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  • E1-27-D-Kahler Asten (23km)

    August 9, 2015 in Germany ⋅ ⛅ 20 °C

    Der Weg der Sinne: Rothaarsteig (1/3)
    Es geht durch eines der schönsten Waldgebirgslandschaften Deutschlands. Diese dreitägige Tour führt mich durch die erste Hälfte des Rothaargebirges über 76km vom Skiort Willingen nach Hilchenbach.

    Viereinhalb Stunden auf der Schiene, zur Mittagszeit bin ich endlich in Willingen. Doch die Fahrt ist schnell vergessen.
    Ich freue mich auf den kurzen Lift mit der Seilbahn den Ettelsberg hoch. Die Talstation ist voller Menschen, die wie ich hinauf wollen. Es sind viel mehr als vor vier Wochen, denn jetzt ist Urlaubszeit. Nach schneller Fahrt begrüßt mich laute Musik aus riesigen Boxen. Den Leuten gefällt's offenbar, denn sie schunkeln mit Bier in der Hand zum Takt der Musik. Manche grölen mit: „Atemlos durch die Nacht…“.
    Ich möchte noch einmal die Aussicht genießen, bevor die Wanderung beginnt, reihe mich in die Schlange vor dem Lift des Hochheideturms, der unaufhörlich Leute auf die Plattform pumpt und von dort wieder zurück auf den Boden holt. Der Fahrstuhl arbeitete effizient, ich bin schnell dran. Doch es ist mir zu voll dort oben. Bald mache ich mich an den Abstieg, diesmal über die Treppe.
    Gegen zwei Uhr geht die Wanderung schließlich los. Kurz hinter der Bergstation stoße ich auf den Rothaarsteig, einem bekannten hessischen Fernwanderweg, der etwas nördlich von hier in Brilon beginnt und in südliche Richtung durch das Rothaargebirge bis nach Dillenburg verläuft. Er wird mein Weg für die nächsten hundertfünfzig Kilometer sein. Ich werde über bewaldete Berge wandern, weite Blick genießen, Burgen, Aussichtstürme, einen Skulpturenweg und die Skigebiete Willingen und Winterberg sehen.
    Während ich gehe, wechseln sich Buchenwälder und Fichtenschonungen ab. Ein erster Fernblick lässt ahnen, wie schön der Weg sein wird. Doch die meisten Menschen verbleiben an den touristischen Hotspots und bewegen sich nicht weit von ihnen weg. Bald bin ich alleine im Wald, nur gelegentlich überholt mich ein Radsportler.
    Der Weg verläuft auf achthundert Metern Höhe, es ist kühl hier oben. Nebel wabert durch die Bäume, legt sich schlierig über den Weg und hüllt mich ein.
    Bald bin in dem bedeutenden Wintersportort Winterberg. Er wirbt für sich mit idealen Ski- und Langlaufbedingungen im Winter. Jetzt im Sommer ist nicht viel los hier. Ich komme von der östlichen Seite heran, vorbei an einer Hapimag Ferienanlage. In nebliger Ferne liegt ein riesiger, langgestreckter Komplex. Im Dunst kaum zu erkennen, wächst ein Turm aus dem Gebäude, der aussieht wie ein überdimensionaler Bienenkorb. Das ist das Vitalresorts Oversum, ein riesiger Hotelkomplex mit Kongresszentrum. Der Ort scheint touristisch bestens erschlossen zu sein.
    Telefonzellen sind rar geworden, deshalb fällt das Telefonhäuschen am Wegesrand auf. Telefonieren kann man nicht mehr, stattdessen befindet sich im Innern ein Regal, vollgestopft mit Büchern. Jeder, der möchte, darf sich ein Buch entnehmen, wenn er dafür ein anderes hinein stellt. So lese ich es an der Zellentür. Einen öffentlichen Bücherschrank für Jedermann zu schaffen, das ist eine schöne Idee.
    Nun bin ich auf der anderen Seite von Winterberg. Hier gibt es die St. Georg Sprungschanze zu bewundern. 22 Metern ist sie hoch und 43 Metern lang. Aus nächster Nähe ein imposantes Bauwerk, das schon 1959 gebaut wurde und immer noch in Betrieb ist. Die geschwungenen Formen gefallen mir. Bei gutem Wetter kann man hinauf, heute ist sie aber wegen Nebel geschlossen.
    Kurz darauf finde ich mich auf einer Bobbahn wieder. Hier sollte ich nicht sein, doch ein Wanderer geht nie zurück, wenn er nicht muss und so folge ich dem steilen Weg in weiten Bögen und engen Kurven bis ins Tal hinab. Dort erwartet mich ein knorriger Weg, der gleich wieder steil hinauf führt, nur um anschließend erneut abwärts zu führen. Jenseits einer Brücke, die einen Bach namens „Namenlose“ kreuzt, finde ich endlich wieder auf den Rothaarsteig zurück.
    Das Skigebiet erscheint mir riesig, irgendwann erreiche ich die Nordhangjause, eine Skifahrerhütte, die auch jetzt im Sommer für Wanderer und Radler geöffnet hat. Der Sommer findet allerdings heute woanders statt, wie mir das Barometer am Eingang der Hütte mit 15° C bei ungemütlichen hundert Prozent Luftfeuchtigkeit bestätigt. Trotzdem erzeugt die Langnesewerbung an der Eingangstür Lust auf ein Eis. Wohlige Wärme schlägt mir entgegen, als ich eintrete und ein Eis bestelle. Der Wirt meint lachend, ein Glühwein wäre heute Passender.
    Die Hütte liegt am Fuße des Kahlen Asten, der nun von mir bezwungen werden will. Doch wo es lang geht, ist nicht ganz klar. Ich nehme den Weg rechts neben der Nordhangjause, der steil bergan geht. Bald meckert Komoot: „Du bist von der Tour abgekommen. Wirf einen Blick auf die Karte!“ Es scheint, als läge dieser links von mir, doch dort komme ich nicht hin, zwischen mir und dem Weg ist dichtes Unterholz. So kehre ich um, gehe zur Jause zurück. Dort angekommen, schaue ich die sommerliche Skipiste hoch, die mit hohem Gras bewachsen ist. Doch kein Weg führt hinauf. Sollte es etwa über die Wiese hoch gehen? Sicher warten dort blutrünstige Zecken mit langen Saugrüssel, die sie in meine nackten Waden schlagen wollen, dabei womöglich Borreliose übertragen. Nein, vielen Dank, ich verzichte! Also stapfe ich ein weiteres Mal den steilen Pfad bergan, der sich den Kahlen Asten hoch windet. Weiter oben wabert Nebel, verwandelt Bäume sich zu bizarren Gestalten. Still ist es hier. Totenstille herrscht auf dem Berg. Ich muss mich blind auf die Führung durch Komoot verlassen, denn ich sehe die Hand vor Augen nicht. Erst als ich direkt vor dem Gasthaus stehe, sehe ich es. Ich bin angekommen und es ist auch genug für heute. Der Empfang liegt im ersten Stock, mit einer herzlichen Begrüßung werde ich für heute Nacht eingecheckt. Bei Kaffee und Kuchen starre ich durch milchige Fensterscheiben und schreibe die Fernsicht, die ich erhoffte, für heute ab. Bier und Schnitzel schmecken später trotzdem und in der Gaststube plappern und lachen die Mitglieder einer große Reisegruppe.
    Gute Nacht.
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