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  • E1-28-D-Jagdhaus Wiese (23km)

    10 augusti 2015, Tyskland ⋅ ☀️ 26 °C

    Der Weg der Sinne: Rothaarsteig (2/3)
    Es geht durch eines der schönsten Waldgebirgslandschaften Deutschlands.

    Am frühen Morgen herrscht immer noch dicke Nebelsuppe und lässt keine Chance auf weite Sicht. Im Frühstücksraum hält ein Teilnehmer der Reisegruppe eine Rede. Er beginnt mit den Worten „Reisen ist Leben und Leben ist Reisen.“ Ich stimme ihm leise zu. Ungewollt erfahre ich einiges von den Nordic Walking Touren, die diese Gruppe schon gemacht hat und sie offenbar zusammen schweißte. Ich höre, wie er die Woche Revue passieren lässt und erfahre, dass die Gruppe rund um den Kahlen Asten bei bestem Wetter und allerbester Sicht unterwegs war und hier ihre Basisstation hat.
    Meine heutige Etappe beginnt im Nebel, der weiterhin undurchdringlich erscheint. Einen Aufstieg auf den Aussichtsturm kann ich mir sparen. So werfe ich meinen Rucksack über und schon nach wenigen Schritten in die karge Heidelandschaft ist der Gasthof im dichten Nebel hinter mir verschwunden.
    Ein wenig fühle ich mich um die erhoffte Weitsicht betrogen. Doch schon wenige Höhenmeter tiefer lichtet sich die dichte Nebelwand und gibt einen phantastischen Blick zum weit entfernten 'Hohen Knochen' frei, dessen Gipfel auch noch in den Nebel ragt. Lange geht es den Höhenweg entlang, der Rothaarsteig zeigt sich von seiner schönsten Seite. Ich verstehe, warum er der Weg der Sinne genannt wird, denn ich fühle, wie die mich umgebende Weite mein Innerstes berührt und es dort leicht werden lässt, wo manches Mal mein Schwermut sitzt.
    Am Fuße des 'Knäppchen' mündet der Höhenweg auf einer Straße, dort stoppt mich ein Schild. Der bisherige Weg hat mich gelehrt, dass es lohnt, die am Wegesrand aufgestellten Schilder zu lesen. Oft berichten sie über interessante Geschichten aus der Region. So auch hier:
    <<Die Höhen des Sauerlandes versanken Winter für Winter im Schnee, Berge, Täler und Wälder in stille Einsamkeit. Jegliche Verbindung zwischen den Dörfern war oftmals abgeschnitten und der Verkehr stark eingeschränkt. Die ersten Ski tauchten im Sauerland auf, dienten aber nicht sportbegeisterten Städtern, sondern Einheimischen als Verkehrsmittel. Die Einwohner hatten sich schon vor Jahrhunderten zur Fortbewegung einer Art Schneeschuh bedient. Um Wasser aus tiefer gelegenen Quellen zu holen, haben sie sich auf Bretter gestellt und talabwärts gleiten lassen. Skilaufen wurde jedoch nicht daraus. Dazu kam es erst 1897 und bald wurde der erste Ski-Klub Sauerland gegründet. Ein junger Student wollte im Jahre 1907 den guten Schnee ausnutzen und baute mit Hilfe zweier Skilehrer aus der Umgebung eine Sprungschanze von etwas 30cm Höhe und übte sich im Skispringen. Die Lehrer staunten nicht schlecht und versuchten es auch. Bald wurden den umliegenden Schulen Skier gestiftet und die Dörfer veranstalteten erste Winterfeste. Die Skifeste wurden zu Volksfesten und verwandelten die Berglandschaften allmählich zur Wintersportregion im deutschen Mittelgebirge (mit heute 59 Skiliften und 220km Loipen rund um den Kahlen Asten). An diesem Ort wurde 1911 die erste Übungsschanze mit einem 7,5m hohen Anlaufturm errichtet, der später auf 14m erhöht wurde. Auf dieser Schanze wurden bei guter Haltung bis zu 38m erzielt. Alljährlich fanden von nun an Wettkämpfe statt, auf denen sich die unerschrockenen Skiläufer aus den Höhendörfern erprobten. Als Auslauf diente die heutige Bundesstraße. Den letzten Sprung auf der früher an diesem Ort befindlichen „Fürst-Richard-Schanze“ machte im Winter 1949 der im Volksmund namentlich bekannte „lange Hoffmann“. Die Schanze ist mittlerweile der rauen Witterung zum Opfer gefallen.>>
    Von der Straße geht es bald wieder auf einen Wanderweg, der zurück in den Wald und steil nach oben führt. Er fordert meine ganze Kraft. Auf steilen Pfaden soll ein Wanderer langsam gehen und niemals stehen bleiben. Erst oben soll er pausieren, denn so ist es kraftsparender, als zwischendurch anzuhalten, um Atem zu schöpfen und dann wieder anzutreten.
    <<Oben wurde eine Informationstafel so optimal aufgestellt, dass ich die Atempause mit Lesen füllen kann. So erfahre ich, dass hier der Grenzweg verläuft, er markierte einst die Grenze zwischen dem kurkölnische Sauerland und dem Waldecker Land. Vor hundert Jahren existierte hier eine Poststation, an der Pferde gewechselt wurden. Nichts blieb davon erhalten. Heute verläuft hier, wo ich stehe, die Grenze zwischen den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Hessen.>>
    Ein Stück weiter wartet die Hoyeleyer Hütte. Dort herrscht munteres Treiben, denn sie ist gut besucht, was nicht wundert, weil die Terrasse der Sonne zugewandt liegt und einen tollen Blick Richtung Süden bietet. An einer langen Bank lasse ich mich nieder und bestelle Milchkaffee. Das Schönste am Wandern sind die Pausen!
    Doch mein Weg ist noch weit und schon bald bin ich wieder auf dem Grenzweg unterwegs, der weiter dem Kamm des Rothaargebirges folgt. Nun geht es an zahlreichen Tannenbaumplantagen vorbei. Es scheint, als kämen hier die Weihnachtsbäume her, die wir später auf den Märkten unserer Städte kaufen. Was in endlosen Reihen jahrelang heranwächst, steht dann wohl eines Tages weihnachtlich geschmückt für nur kurze Zeit in deutschen Wohnzimmern.
    Die Strecke des Rothaarsteigs ist vorbildlich beschildert, der Weg populär und von viel mehr Wanderern frequentiert als andere Wege. Das verwundert nicht, denn die Strecke ist abwechslungsreich und landschaftlich reizvoll. Hinter jeder Biegung kann ein atemberaubender Weitblick warten, der den Atem stocken lässt. Wegen der vielen Höhenmeter, die es rauf oder runter zu überwinden gilt, ist der Weg aber auch sehr anspruchsvoll und nur gut trainierten Wanderern zu empfehlen. Braucht dieser dann und wann eine Pause, kann er sich auf eine der zahlreichen Holzbänke niederlassen, die ergonomisch so vorzüglich geformt sind, dass man gar nicht wieder aufstehen mag. Die Bänke sind offenbar so beliebt, dass man sie im Internet kaufen kann. Mehrere hundert Euro muss man allerdings für so eine Bank berappen.

    Nach Plan treffe ich gleich auf den Waldskulpturenweg, der unweit des Rothaarsteigs liegen soll und vermutlich wird sich der kleine Umweg lohnen. Schon weist ein Schild den Weg zur ersten Skulptur und bald stehe ich staunend davor. Mitten im dichten Fichtenwald wurzeln drei Tore aus solidem Stahl im Boden, davor ein Stahlquader, dahinter ein weiteres Stahlquadrat. Als ich durch die wuchtigen Tore schreite, fällt mir das Kunstwerk in Fallingbostel ein: das Spiegeltor. Dort hatte ich vor einem Jahr das Gefühl, durch das Tor in eine andere Welt zu treten. Hier ist es nun ebenso.
    Und doch bleibt die Welt dahinter dieselbe.
    Ein Stück entfernt wartet die nächste Skulptur, etwas verborgen abseits des Weges liegend. Bis zum letzten Moment ist es nicht zu sehen und ohne Hinweisschild hätte ich es nicht gefunden. Stein-Zeit-Mensch hat es der Künstler genannt. Ein riesiger Quarzit-Monolith ruht mit hundertfünfzig Tonnen schwer auf dem Fundament aus Beton. Er wurde nicht hier gefunden, sondern hierher bewegt. Welche Anstrengung war dafür wohl nötig? Umrahmt wird das Monument von Baumstämmen. Sie scheinen ihn einzusperren, doch das können sie nicht wirklich, denn der Stein ist dafür zu mächtig. Davon zeugen abseits liegende Stämme, die bis vor kurzem den Stein noch umgaben. Jetzt faulen sie, von Baumpilzen zerfressen, im Gras. Der Stein hat die Baumstämme bereits überdauert. Als Mensch komme ich mir vor diesem Kunstwerk klein und verletzlich vor. Auch ich werde bald vergangen sein, während der Stein weiterhin unversehrt hier liegen wird. Was nur ist Zeit, was Unendlichkeit?
    Aber ich habe etwas, das der Stein nicht hat und dafür mag er mich beneiden. Denn er ist verdammt, hier im Wald zu liegen, während ich meine Beine habe, die mich durch die Welt tragen. Und nach einer Rast, die ich auf einer der bequemen Rothaarsteig-Bänke verbringe, bin ich wieder unterwegs, während er hier zurück bleiben muss. Ich werde dich wohl nicht wieder sehen, du Stein.
    Bis zur dritten Skulptur ist es nicht weit. Doch wirklich zu sehen ist sie nicht. Ein Zaun, ein Erdwall, einen Lärchenwald und ein Podest, das ist alles. Das Kunstwerk selbst bleibt für mich unsichtbar. So hatte es der Künstler wohl auch im Sinn, das erkenne ich, als zwei Wanderer mir ihre Broschüre leihen. Sie rätseln wie ich. „Nur aus der Vogelperspektive kann man das 44x28 Meter messende 'Monument des verschollenen Falken vollständig erkennen", lese ich.
    Bis zur dritten Skulptur ist es nicht weit. Doch wirklich zu sehen ist sie nicht. Ein Zaun, ein Erdwall, einen Lärchenwald und ein Podest, das ist alles. Das Kunstwerk selbst bleibt für mich unsichtbar. So hatte es der Künstler wohl auch im Sinn, das erkenne ich, als zwei Wanderer mir ihre Broschüre leihen. Sie rätseln wie ich. „Nur aus der Vogelperspektive kann man das 44x28 Meter messende 'Monument des verschollenen Falken vollständig erkennen", lese ich. Aha, so ist es also. Wir schauen uns an. Der Sinn dieses Kunstwerks erschließt sich uns nicht vollständig.
    Sechs weitere Skulpturen soll es noch geben, aber sie liegen irgendwo, nur nicht auf meinem Weg und so bekomme ich sie nicht zu sehen.

    Bald wird das Erlebte durch Neues überlagert, denn im Wald ist immer etwas los. Das mag man als Wanderlaie kaum glauben. Wie aus dem Nichts kommen zwei Wanderer mit raschem Schritt heran. Ohne Gruß eilen sie vorbei. Er, ein junger Mann, trägt Sportsachen, aber die Schuhe wollen nicht recht dazu passen, denn es sind Straßenschuhe. Merkwürdig auch, dass er den rechten Schuh in der Hand hält, während der Linke noch am Fuß steckt. So geht er auf einem Socken und einem Schuh. Dagegen ist die Frau an seiner Seite vollständig mit Wandersachen bekleidet und trägt einen gut gefüllten großen Rucksack. Sie gehen sehr flott, die Distanz zwischen uns wird schnell größer. Sobald sie sich außer Hörweite wähnen, beginnen sie sich zu unterhalten, den Inhalt kann ich durch ihre Gesten nur erraten: sie scheinen zu streiten.
    Blanke Neugierde treibt mich an, schneller zu gehen. Ich will dran bleiben, der Abstand vergrößert sich trotzdem. Wie kann jemand mit nur einem Schuh so schnell laufen? Eine Weile streiten sie noch, dann stampft er einmal auf und geht noch geschwinder, lässt sie hinter sich zurück. Dann verschwindet er hinter einer Kurve - und weg ist er. Nun wird die Frau langsamer, so dass ich aufholen kann. Sie taucht in eine Senke, die ich nicht einsehen kann, und als ich diese erreiche, ist auch sie verschwunden. Als wären beide vom Erdboden verschluckt worden.
    Ich frage mich: "war das nun real oder nur ein Waldtraum?“
    Bald darauf kommt der Ort Jagdhaus in Sicht, mein heutiges Etappenziel. Am Ortseingang begrüßt mich ein Bauernhof, davor eine Wiese mit einer Kuh, die ihre zwei Jungbullen säugt. Das bekommt ein Stadtmensch wie ich nur selten zu sehen. Nur ein paar Schritte weiter taucht das Jagdhaus Wiese auf, hier habe ich mich für heute eingebucht. Auf der Terrasse des Hotels genießen ältere Herrschaften ihren Nachmittagskaffee in der Sonne. Mein Zimmer liegt abseits in einem Nebenhaus. Swimmingpool und Sauna darf ich trotzdem benutzen, beides frisch renoviert. Ausgiebig genieße ich diesen Luxus vor dem Abendessen, das ich später herrlich entspannt auf der Terrasse, die nun mir alleine gehört, einzunehmen gedenke. Die übrigen Gäste haben sich zum Dinner in den Speisesaal zurück gezogen. Ein Ober in Schwarz bringt mir die Speisekarte, ich bestelle und er hat nichts dagegen, draußen zu servieren. Der Fisch mundet vorzüglich, das Bier fließt reichlich und die Sonne mutiert zu einer großen, glutroten Scheibe, die hinter den Bäumen versinkt, während ich noch ein Bier bestelle.
    Bald darauf versinke auch ich in den Kissen und schlafe herrlich in einer lauen Sommernacht.
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