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- Saturday, August 22, 2015
- 22 °C
- Altitude: 598 m
GermanyStiegelburg50°53’32” N 8°14’31” E
E1-30-D-Lahnquelle (24km)

Unter Schmerzen - Zweiter Teil des Rothaarsteigs (1/2)
Weiter geht es durch eines der schönsten Waldgebirgslandschaften Deutschlands auf dem Rothaarsteig - dem Weg der Sinne.
Eine zwei Tagestour von Hilchenbach nach Dillenburg.
Ein Samstag Ende August. Es ist schon Mittag, als in Hilchenbach eintreffe. Die Anreise mit dem Zug dauert nun schon ebenso lang wie die Wanderung selbst. Dabei ist die Entfernung von Hamburg zum Ausgangspunkt zwanzig Mal so weit wie die Tour. Ökologisch gesehen mag es bedenklich sein, so weite Distanzen mit dem Zug zurückzulegen, um dann nur eine zweitägige Tour zu wandern. Doch es ist anders schwer machbar. Nur kurze E1-Touren lassen sich derzeit ohne Probleme in meinen Arbeitsalltag integrieren. Ein schöner Nebeneffekt ist, dass ich weiterhin mit kleinem Rucksack unterwegs zu kann. Heute ist das besonders wichtig, denn seit Tagen meldet mein Rücken einen unspezifischen Schmerz genau dort, wo der Rückenwirbel sich mit dem Becken verbindet. Ein verspannter Muskel vielleicht oder ein Hexenschuss, der Ischiasnerv oder gar eine Bandscheibe? Alles ist möglich, doch wie immer ging ich nicht zum Arzt, frei nach dem Motto: „Was kommt, geht auch wieder." Bislang war der Schmerz erträglich und er soll mich ja nicht vom Wandern abhalten. Es wird mich schon nicht umbringen, denke ich. Ich halte das aus! Denn ich will ja wandern!
Die ersten Schritte fallen sehr schwer, die Bewegung der Beine verursacht mir Schmerzen im Kreuz.
Bevor es wieder in den Wald geht, mache ich einen Abstecher in den Ortskern, der nur wenige hundert Meter entfernt vom Bahnhof liegt. Die Häuser gaukeln Fachwerk vor, dahinter steckt Beton der achtziger Jahre. Nur die Kirche am anderen Ende des Marktplatzes, beschattet von mächtigen Eichen, scheint wirklich alt zu sein. Die riesige, massive Holztür steht offen, neugierig trete ich ein. Das Kirchenschiff strahlt die typisch weiße Schlichtheit aus, die evangelische Kirchen zu eigen ist. Die Kirchenbänke sind mit weißen Rosen geschmückt, der Altar üppig in Blumen getränkt. Hier wird bald Hochzeit gehalten, da will ich bei den Vorbereitungen nicht stören. Ich ziehe mich rasch zurück.
Noch schnell einen Kaffee in der Eisdiele um die Ecke. Nicht to go, sondern im Sitzen. Gehen werde ich heute noch genug. Nach dem schnellen Kaffeegenuss werfe ich den Rucksack über und los geht's hinein in das nächste Kapitel meines Abenteuers, das mich jedes Mal ein Stück mehr mit Deutschland vertraut werden läßt. Ich freue mich auf diesen Tag, so wie ich mich bisher auf jeden Wandertag gefreut habe. Was werde ich heute Schönes erleben?
Doch die Wanderfreude wird schon bald getrübt, denn die Rückenschmerzen melden sich bei jedem Schritt. Es ist nicht wirklich schlimm, doch sie machen aufmerksam auf die eine Stelle, wo sich die fünf beweglichen Wirbel des Kreuzbeins mit dem starren Becken verbinden. Irgendetwas ist dort nicht in Ordnung.
Ich bin langsamer als üblich, darauf bedacht, nicht über Wurzeln zu stolpern, die mich aus dem Gleichgewicht bringen könnten. Denn das quittiert der Rücken mit einem schmerzhaften Stich.
Ein Schild am Wegesrand informiert über einen Ruheforst, der hier angelegt wurde. Verstorbene können an dieser Stelle außerhalb eines Friedhofes beigesetzt werden. Zu Lebzeiten sucht man sich einen Baum, Strauch oder Stein aus, unter dem man nach dem Ableben zur Ruhe gebettet wird. Ich finde, es ist eine gute Idee! Der Körper wird nach dem Tode wieder Bestandteil der Natur. Ohne Firlefanz.
Ein steiler Weg führt hoch zur mittelalterlichen Burgruine Ginsburg. Der Aussichtsturm wurde vor Kurzem frisch renoviert. Vom Turm hat man eine herrliche Aussicht, danach lockt mich die Kaffeestube zur ausgiebigen Pause. Ich brauche eine Weile, bis ich auf dem Stuhl im Freien schmerzfrei sitzen kann. Ich blinzele in die Sonne und habe mit der Bestellung keine Eile. Der Pfannkuchen mit Apfelmus, der schließlich vor mir steht, schmeckt köstlich und ich merke erst jetzt, wie viel Hunger ich hatte. Seit Stunden bin ich schon unterwegs. Eine große Gesellschaft kommt schwatzend den Weg herauf, setzt sich an den Nebentisch, bestellt eine Runde Bier. Bald werden sie lustig und laut. Da mache ich mich lieber wieder auf den Weg. Es ist auch Zeit, denn mein Weg ist noch weit.
Auf einer Wiese lege ich mich einfach ins Gras, blinzle in die Augustsonne, die den Boden schön angewärmt hat. Was gibt es Schöneres? Mußevolles Nichtstun. Viel zu lange liege ich dort, schließlich ist es noch weit bis zur Unterkunft. Doch kaum stehe ich, spüre ich wieder diesen dumpfen Schmerz, der heute einfach nicht weichen will. Die ersten Schritte sind hakelig, während mein Blick in die Ferne eine schöne Fernsicht erhascht. Wie schön der Rothaarsteig doch ist! Die Freude darüber lässt mich den Schmerz beinahe vergessen.
Ich überquere die Benfe, laut schnatternd fliegen ein paar Enten auf. Ich habe sie wohl erschreckt. Sie flattern über einen Bach, die langen Hälse weit nach vorne gereckt. Es scheint, als käme hier nicht oft jemand vorbei. Vor mir braucht ihr Flattervögel doch keine Angst zu haben.
Fast zwanzig Kilometer bin ich gelaufen. Zeit für eine weitere Pause! In der Nähe soll es einen Biergarten geben. Tatsächlich finde ich ihn, doch er entpuppt sich als kleine Holzhütte, die aber geschlossen hat. So drehe ich ab und gehe durstig weiter.
Es geht wieder einmal bergan, schöne Weitblicke sind der Lohn der Strecke.
Kurz vor dem Örtchen Lahnquelle verläuft der Weg parallel zur Straße. Er ist voller Wurzeln. Über eine davon stolpere ich, denn ich kann nicht mehr. Der Oberkörper muss das Stolpern abfangen, dem Rücken gibt es den Rest. Ich will einfach nur noch ankommen, für heute ist es genug.
Endlich kommt das Ortsschild <Lahnquelle> in Sicht. Kühe dürfen auf einer großen Wiese hinter einem Stall grasen. Ich brauche auch dringend etwas zwischen die Zähne und kann es kaum noch erwarten, endlich anzukommen, mich auszustrecken und meinen Rücken zu schonen. Hinter der nächsten Kurve sehe ich das Forsthaus Lahnquelle. Auf der Terrasse sitzen Gäste beim Bier. Ohne Umschweife setze ich mich dazu, winke die Bedienung heran und sie weiß gleich, ohne dass ich etwas sagen muss, was ich will. Kurz darauf steht ein großes Krombacher vor mir. Ich setze an und trinke es in einem Zug aus. „Aaahhh!“, entfährt es meiner Kehle. Schon ist das Wandern wieder Lust. Nun kann ich einchecken. Mühsam schleiche ich die Treppe rauf, schließe die Zimmertür auf. Das Zimmer ist zwar klein, die Dusche darin noch kleiner. Doch das Wasser ist heiß und was braucht es mehr, um den Schweiß des Tages abzuwaschen? Der Rückenschmerz rinnt gleich mit in den Abfluss, das warme Wasser belebt die Sinne. Schnell ist die Kleidung gewechselt und bald sitze ich wieder draußen zwischen den Gästen des Hauses, bestelle Wiener Schnitzel und Bier. Während ich warte, spricht ein älteres Pärchen mich an. Sie erzählen viel und unaufgefordert, ohne Pause, so dass ich fast nichts erwidern muss, was mir im Moment sehr angenehm ist. So erfahre ich, dass sie aus dem Rheinland kommen, über das Wochenende zum Wandern hier sind, sie es nicht weit haben, ihr großer Hund vor kurzem vergiftet wurde, es nun wieder gut geht, aber er kann noch nicht wieder gut laufen, das macht auch nichts, denn der Mann hat's auch mit den Knien, wurde schon operiert, aber danach ging's nicht besser. Nun, man wird halt nicht jünger…
Ich höre dem Redefluss einfach nur zu. Die Rheinländer sind eben sehr redselig. Von mir erfahren sie nicht viel, wollen wohl auch gar nichts wissen. Irgendwann werde ich müde und verabschiede mich. In meinem Mini-Zimmer versinke ich sogleich in einen tiefen, erholsamen und traumlosen Schlaf.Read more
Sommersprosse
Schön!!!
Traveler"Was mich nicht umbringt, macht mich härter" fällt mir dazu nur ein.
Traveler
Das sah bei mir finsterer aus und die Wirtschaft hatte ... natürlich nicht auf.