Satelliet
Weergeven op kaart
  • E1-56-D > Mummelsee (24km)

    16 september 2016, Duitsland ⋅ ⛅ 13 °C

    Südwärts auf dem Westweg (4)

    Forbach liegt im Tal auf dreihundert Metern. Gestern bin ich von über neunhundert Höhenmetern in den Ort abgestiegen, nur um heute auf der anderen Seite wieder hinauf zu marschieren. So sehr ich die Berge herbei gesehnt hatte, so sehr verfluche ich sie jetzt. Der Weg ist steil, doch gut ausgebaut und so komme ich gut voran. Ich habe den Berg zur Hälfte geschafft, da treffe ich auf Martina. Schon von weitem sehe ich sie, wie sie langsam den Berg hochmarschiert und sich redlich mit dem Rucksack abmüht, den sie wieder im Rollwagen hinter sich her zieht. Sie muss also sehr früh aufgebrochen sein und sicher hat sie kein so schönes Frühstück gehabt wie ich. Aber sie klagt nicht und sieht sehr zufrieden aus. Heute werde ich sie ein Stück begleiten und sie quasi den Berg hoch ziehen und so ein wenig gutmachen, dass ich so viel komfortabler genächtigt hatte als sie.
    Wir biegen vom breiten Forstweg auf einen schmalen Pfad, der steil den Berg hinauf führt. Das Gehen wird beschwerlich, spitze Steine und knorrige Baumwurzeln lassen uns stolpern. Martina muss ihren Rucksack wieder auf den Rücken schultern. Wir kommen nur langsam voran, Martina geht vor mir und das gibt mir die Gelegenheit, ihren Rucksack zu betrachten. Ein grünes Monstrum. Wie kann sie nur so einen großen Rucksack tragen, wo sie doch gestern über Rückenprobleme klagte? Was sie wohl alles darin hat?
    „Dein Hüftgurt wird bald abreißen.“, meine ich, während sie vor mir mit ihrer schweren Last langsam Schritt für Schritt den Pfad aufsteigt.
    „Ja, ich weiß. Den Rucksack habe ich vor vielen Jahren in Taiwan gekauft, als ich mal dort war. Aber da war ich nicht wandern, sondern den brauchte ich nur zum herumreisen."
    Sie bleibt stehen und muss sich strecken. Tut ihr der Rücken weh? Sie klagt nicht.
    „Du brauchst einen anderen Rucksack“, meine ich, „der hier ist viel zu schwer für dich. Und der Hüftgurt ist kaputt, aber den brauchst du, damit deine Schultern nicht die ganze Last tragen. Und offenbar hast du viel zu viel dabei. Was ist bloß alles drin in deinem Rucksack?“
    „Ich will doch unterwegs Fußpflege anbieten. Da muss ich doch meine Ausrüstung dabei haben.“
    „Wie ist sie bloß auf die Idee gekommen?“, frage ich mich. Mit diesem Rucksack wird sie doch nie in Basel ankommen. Aber das sage ich ihr nicht. Schweigend quälen wir uns weiter bergauf.
    Irgendwann kommen wir oben an. Hier steht die Wegscheidhütte, die wie gerufen kommt für eine Pause. Von Forbach hier hoch sind es zwar nur drei Kilometer, aber die fünfhundert Höhenmeter haben es in sich gehabt. Nun ist geschafft und wir sind es auch.
    Aus der Hütte höre ich Stimmen. Wer mag das denn sein? Da lugt der Kopf von Joseppe durch die Tür, die Augen noch ganz klein und die Haare verwuselt. Ob er gerade aus dem Schlafsack gekrochen ist? Als hätte er unsere Gedanken erraten, meint er:
    „Wir haben gestern in Forbach nichts gefunden und sind einfach weiter gewandert. Das war nicht leicht im Dunkeln. Den ganzen Berg herauf! Aber dann haben wir diese Hütte gefunden. Die ist ganz toll. Man kann sogar oben schlafen.“
    Und wie um es zu bestätigen, kommt Timo gerade die Leiter herunter.
    „Das ist eine ganz tolle Hütte“, meint er. „Hier gibt es Feuerholz, Kerzen und sogar ein Feuerzeug haben wir gefunden. Gestern Abend haben wir noch Feuer gemacht. Nachts ist es schon ganz schön kalt. Aber da oben war es herrlich gemütlich.“
    Ich klettere die Leiter hoch und schaue mir die Dachkammer an. Ihre Schlafsäcke liegen noch auf dem nackten Boden.
    „Echt toll!“. Ich bin ganz begeistert und denke, dass ich es bei meiner nächsten Tour auch einmal ausprobieren werde, in einer Schutzhütte zu übernachten.
    „Hattet ihr schon einen Kaffee?“, frage ich.
    „Nein“, lautet die Antwort von allen gleichzeitig.
    So hole ich meinen kleinen Kocher heraus und setze Wasser auf. Während ich den Nescafé in das heiße Wasser schütte, muss ich an Danee denken. Heute wird mein Kaffee dankbar angenommen.
    Joseppe und Timo packen ihre Sachen zusammen und bald darauf gehen wir vier gemeinsam los. Bald kommen wir schon an der nächsten Schutzhütte vorbei. Die Jägerlochhütte ist oberhalb der Schwarzenbach - Talsperre schön gelegen und bietet einen prächtigen Ausblick. Der Stausee ist groß, das blaue Wasser erstreckt sich bis zur weit entfernt liegenden Talsperre. Die Hütte ist zwar verschlossen, bietet aber Schutz unter einem überdachten Vorraum. Auch hier hätte man übernachten können. Vor der Hütte ist ein Brunnen, frisches Wasser wäre also auch vorhanden. Wir gehen weiter, endlich mal wieder geht es bergab. Der Weg führt zum See. Es beginnt zu regnen. Joseppe, Timo und ich holen den Regenschutz für unsere Rucksäcke heraus und ziehen sie über. Da müssen wir lachen, denn wir haben alle dasselbe blaue Modell über unsere Säcke gestülpt. Martina holt derweil einen blauen Müllsack aus ihrem Rucksack und spannt sich einen roten Regenschirm auf. So sieht sie noch lustiger aus.
    Kaum haben wir den Stausee hinter uns gelassen, hört es schon wieder auf zu regnen. Dafür geht es wieder bergauf Richtung Seekopf und der liegt 300 Höhenmeter weiter oben. Martina wird immer langsamer und als wir vom breiten Forstweg abbiegen, um dem Seebach entlang zum Herrenwieser See zu folgen, muss Martina wieder ihren Rucksack nebst Rollwagen schultern. Nun geht es für Joseppe und Timo zu langsam, sie gehen vor und geraten allmählich außer Sicht. Ich bleibe bei Martina, als hätte ich es mir heute zur Aufgabe gemacht, sie mental den Berg hoch zu ziehen. Vorbei geht es am kleinen Herrenwieser See, den wir nur durch die Bäume zu sehen bekommen. Ganz still liegt er da und gerne hätte ich einen Abstecher zu ihm gemacht. Doch kein Weg führt zu ihm.
    Und jetzt wird es richtig schlimm, der schmale Pfad windet sich immer steiler werdend den Seekopf hinauf. Aber wenn man denkt, es geht nicht mehr, kommt von irgendwo ein Lichtlein her. Bei uns ist es eine schmale Bank, die zum Ausruhen gemacht ist und dabei einen tollen Blick auf den Herrenwieser See bietet. Toll, dass jemand genau hier eine Bank gebaut hat.
    „Was machst du hier eigentlich?“, frage ich Martina.
    „Ich suche die Wahrheit“, meint sie.
    „DIE Wahrheit gibt es nicht“, erwidere ich spontan.
    „Doch! Und ich will sie finden“, meint sie.
    „Du kannst nur DEINE Wahrheit finden, aber niemals DIE Wahrheit. Es gibt keine ein-eindeutige Wahrheit. Sie kann es nicht geben, weil alle Menschen unterschiedliche Erfahrungen machen, auf denen sie ihr Weltmodell aufbauen. Der eine findet seine Wahrheit mit dem Herzen, während der andere sie mit dem Verstand definiert. Das führt zu unterschiedlichen Wahrheiten, die eine ist eher durch Gefühl bestimmt, die andere durch Fakten. Es gibt so viele Wahrheiten wie es Menschen auf der Welt gibt. Mit jeder Geburt kommt eine dazu, mit jedem Tod stirbt eine Welt mit ihrer ganzen Wahrheit. So sehe ich das.“
    „Dann suche ich meine Wahrheit“.
    „Komm, wir müssen weiter. Es ist schon spät und der Weg noch weit“, sage ich.
    „Es ist doch egal, wie weit wir kommen.“
    „Nein, das ist es nicht. Für mich jedenfalls nicht. Ich will heute noch zum Mummelsee. Ich habe dort ein Zimmer gebucht.“
    „Ich bleibe wieder irgendwo draußen. Und wann ich ankomme, ist nicht so wichtig wie, dass ich ankomme".
    Ich hätte hier noch stundenlang sitzen und über die Wahrheit nachdenken können, doch es treibt mich weiter und Martina treibe ich damit an, ob sie will oder nicht. Ich will es so und das ist meine Wahrheit. Was Martina will, weiß ich nicht, aber sie folgt mir.
    Endlich haben wir den Seekopf erklommen. Am Ende war der Anstieg sanft. Der erste Eintausender auf meiner Wanderung durch Deutschland! Der Moment ist bewegend und ich muss innehalten. Das Ehrenmal von Philipp Bussemer, einem der Pioniere des Schwarzwaldvereins, der den Westweg zusammen mit Julius Kaufmann im Jahre 1900 anlegen ließ, gibt Gelegenheit zum Besinnen. Und zum Fotos machen.
    Das erste Mal ist immer etwas Besonderes.
    Jetzt ist es nur noch ein kurzes Stück zur Badener Höhe Hütte. Von Weitem schon ist der Friedrichsturm zu sehen, der dem Hohlohturm zum Verwechseln ähnlich sieht. Ich eile Martina voraus, denn ich will geschwind auf den Turm steigen. Unten jedoch wartet eine Überraschung auf mich. Aus der Hütte vor dem Turm lugt der Kopf von Joseppe.
    „Hey, Joseppe! Seid ihr schon lange hier? Ich hätte nicht gedacht, dass ich euch noch mal wiedersehe.“
    „Wir sind gerade erst angekommen.“. Na, da sind Martina und ich ja gar nicht so langsam gewesen, wie ich dachte.
    Aber nun hält mich nichts mehr, ich will auf den Turm. 157 Stufen höher kann mein Blick ungehindert in alle Richtungen schweifen. Im Westen ist das erstaunlich nahe Rheinland auszumachen, in den drei anderen Himmelsrichtungen nur unberührter Schwarzwald. Schön einsam!
    Als ich wieder unten bin, ist auch Martina eingetroffen und die beiden Burschen sind am Kochen. Ich merke, dass ich Hunger habe. Bei ihnen gibt es Reis mit Mais und Champignons. Nahrhaft und wie sich herausstellt, auch schmackhaft. Sie kochen ihren Reis auf einem normalen Kochtopf, der echt schwer ist. Und sie verbrauchen viel Gas dabei, denn der Reis muss zehn Minuten kochen. Auch ich hole jetzt meine Kochutensilien heraus und mache mir eine Tütensuppe. Sie interessieren sich für mein kleines Kochgeschirr, dass um so Vieles leichter ist als ihr schweres Gerät.
    Nach dem Essen heißt es Abschied nehmen von Martina, Joseppe und Timo, denn ich will jetzt schneller vorwärts kommen. Schließlich sind es noch fünfzehn Kilometer, die ich zu laufen habe und es ist schon fünfzehn Uhr durch. Ein bisschen traurig bin ich schon, als ich die frisch gewonnenen Wanderfreunde schon wieder verlassen muss. Aber so ist es beim Wandern und so muss es auch sein. Jeder sollte in seinem Rhythmus voran schreiten. Das gilt ja auch für das Leben. So verabschieden wir uns herzlich. Wir werden uns wohl nie wieder sehen. Ich nehme die Wanderstöcke in die Hand und eile davon. Alleine zu wandern, ist effizienter, aber lustiger war es mit den Dreien.
    Breite Wege wechseln mit schmalen Steigen, in den Tälern kleine Skigebiete und auf den Höhen spektakuläre Blicke. Das wird wohl die spektakulärste Stelle dieser Tour sein, denke ich, als ich mich die Hornisgrinde hinauf plage. Es ist schon nach achtzehn Uhr. Ich versuche, das Hotel zu erreichen, doch mein Telefon erhält kein Signal. Bin ich denn im Tal der Ahnungslosen? Dabei ist doch ein großer Funkturm direkt vor mir. Warum nur kriege ich gerade jetzt kein Telefonsignal? Ist doch zum Mäusemelken! Ich bin besorgt um mein Zimmer, vielleicht ist es schon weiter gegeben worden, weil ich mich nicht melde, denn es ist schließlich Freitag und die Wochenendgäste fallen in den Schwarzwald ein. Ich mache mir echt Sorgen und kann den schönen Ausblick nicht recht genießen. Doch kaum habe ich das Plateau der Hornisgrinde erreicht, da klappt die Verbindung. Endlich! Meine Sorge ist unbegründet, man freut sich aber, dass ich mich gemeldet habe. Das Zimmer ist sicher, jetzt kann ich loslassen und die Aussicht hier oben genießen. Und wie grandios die ist! Wow! Wow! Und noch mal wow! Ich kann sehr weit nach Osten blicken. Von da bin ich gekommen.
    Aber viel spektakulärer ist der Blick nach Westen, denn dort geht gerade rot schimmernd die Sonne unter und färbt den weit entfernten Rhein zu einem rotgoldenen Band. Dahinter ist schon Frankreich. Diese Fernsicht ist unglaublich schön. Kein Mensch ist mehr hier oben auf dem Plateau, ich bin ganz alleine. Gerne würde ich verweilen, doch es dämmert und im Dunkeln möchte ich hier oben nicht mehr sein.
    Doch das Plateau der Hornesgrinde ist größer als gedacht. Ich komme noch an einem großen Windrad vorbei, das hier erst seit 2015 steht und drei kleinere Anlagen ersetzt. Wie ich im Zwielicht gerade noch auf einer Informationstafel entziffern kann, schafft die Anlage (Nabenhöhe: 84m, Gesamthöhe 120m) eine Nennleistung von 2,3MW. Im Jahr produziert das in Deutschland am höchsten gelegene Kraftwerk beachtliche 5,2 Mio. kWh. Doch lange kann ich über diese Leistungen nicht staunen, denn die Dämmerung schreitet fort. Ich muss runter von der Hornisgrinde, bevor es dunkel wird.
    Der Abstieg ist steil, doch zum Glück führt ein asphaltierter Weg nach unten zum
    Mummelsee. Es ist schon schwarze Nacht, als ich endlich Licht auf dem See spiegeln sehe. Das muss das Hotel sein!
    Was bin ich froh, als ich die warme Hotelhalle betrete, denn draußen ist es mittlerweile bitterkalt geworden. Für den Luxus, den das Hotel den Gästen bietet, ist es bereits zu spät, aber die Küche hat noch auf und ich bekomme eine leckere Grillplatte. Einige Biere gesellen sich dazu. Anschließend genieße ich die Annehmlichkeiten meines riesigen Zimmers, in das ich mich müde zurück ziehe. Direkt unter dem Fenster liegt der Mummelsee, Nebel kräuselt sich auf der Wasseroberfläche. Es ist Luxus pur, den ich hier nach einem langen, abwechslungsreichen und auch anstrengenden Wandertag genießen darf.
    Meer informatie