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  • E1-55-D > Forbach (27km)

    September 15, 2016 in Germany ⋅ ⛅ 22 °C

    Südwärts auf dem Westweg (3)

    Die Pension Heidi liegt an einer Durchgangsstraße und so wache ich vorzeitig durch Verkehrslärm auf, der durch mein Dachfenster dringt, das wegen der Hitze die Nacht über offen stehen musste. Aber alles hat sein Gutes und so genieße ich früh am Morgen schon mein Frühstück. Am Nebentisch sitzt ein russisches Pärchen, bestellt Kaffee und Eier. Die Wirtin ist emsig bemüht und bringt rasch das Gewünschte. Doch es ist nicht recht, der Kaffee nicht entkoffiniert und die Eier hart. Also nimmt sie es wieder mit. Fünf Minuten später schwebt sie wieder heran. Nun ist der Kaffee zu dünn und die Eier wollen sie gar nicht mehr. Sie dreht sich um und ich sehe, wie sie mit den Augen rollt. Ich tue es auch, denn nun unterhalten sich die beiden lautstark. Glücklicherweise gehen sie bald und es nun herrscht Frieden im Frühstücksraum. Die beiden haben echt genervt. Nach dem ausgiebigen Frühstück hole ich meinen Rucksack Kumpel aus meinem Zimmer. Nebenan steht eine Zimmertür offen und ich sehe ich, wie eine junge Wanderin gerade ihren Rucksack packt.
    Wohin soll`s gehen?“, frage ich.
    „Auf dem Westweg entlang Richtung Süden“, meint sie.
    „Oh, dann haben wir den gleichen Weg“, erwidere ich.
    „Wollen wir ein Stück zusammen gehen?“, fragt sie mit leiser Stimme.
    „Nein“, sage ich, „lieber nicht. Jeder sollte den Weg in seiner Geschwindigkeit laufen. Mach`s gut und viel Spaß“.
    So geht sie alleine los, während ich mich noch eine Weile zur Wirtin in die Frühstücksstube setzte.
    „Das waren ja anstrengende Gäste vorhin“, eröffne ich beiläufig, während ich die Rechnung begleiche.
    „Sie glauben ja gar nicht, was ich hier so alles erlebe“, meint sie und schon beginnt sie von ihren Sorgen als Pensionswirtin zu erzählen. Und später erfahre ich, dass ihr Mann schon lange in Hamburg im Hafen arbeitet und nur ab und zu nach Hause in den Schwarzwald kommt. So kommt es, dass ich heute erst spät starte. Aber was macht das schon? Die Tour ist ja nur zwanzig Kilometer lang.
    Gleich hinter Dobel liegt das Sonnentor. Und über dem Portal scheint tatsächlich die Sonne. Andächtig durchschreite ich das zweite Portal des Westweges. Dieses hier ist ganz aus Holzschindeln gemacht. Und wieder erfahre ich auf den Hinweistafeln, die im Innern des Tores befestigt sind, was für offizielle Wanderhighlights auf mich warten.
    Die Tafel kündigt an: der Weg sei garniert mit zahlreichen Weitblicken. Das wäre sehr nach meinem Geschmack. Und tatsächlich kann ich später mehrmals staunend bis ins weit entfernte Rheintal schauen, die Sicht ist prächtig. Immer weiter geht es den Westweg entlang. Ich komme an mehreren Schutzhütten vorbei, die alle viel besser sind als die, die ich bisher auf dem E1 kennen gelernt habe. An der Kreuzlehütte mache ich eine ausgedehnte Mittagspause mit Tütensuppe und einem frischen Nescafé. Dann Füße hoch und am Holz gehorcht. Nach dem ausgedehnten Nickerchen geht es weiter, von der Kreuzlehütte führt der Weg hinab zum kleinen Skigebiet Kaltenborn, das an diesem heißen Spätsommertag einsam im Tal ruht und auf die nächste Wintersaison wartet. Und wieder geht es bergauf, oben auf 988m Höhe wartet der Hohlohturm. 162 Stufen zähle ich während der Besteigung und oben gibt es einen herrlichen Rundumblick. Während ich im Westen das Rheintal sehe, kann ich auf der anderen Seite Forbach ausmachen. Dorthin muss ich und ich freue mich, denn Forbach liegt im Tal. Es geht gleich bergab, juche!
    Kurz darauf treffe ich die bemerkenswerte Wanderin wieder. Wie schon gestern zieht sie ihren Rucksack hinter sich her. Ich sage höflich „Guten Tag“ und frage, ob wir ein Stück gemeinsam gehen wollen. Sie stimmt freudig zu. So erfahre ich bald, dass sie Fußpflegerin ist und gerade ihr Leben in andere Bahnen lenken will. Sie erzählt von ihrem Plan, Wanderern, die auf dem Westweg unterwegs sind, ihre Fußpflegedienste anzubieten und so das notwendige Geld für ihre eigene Wanderung zu verdienen.
    „Aber der Westweg ist nur ein Test,“ meint sie, „im nächsten Jahr will ich den berühmten Jakobsweg wandern. Ganz bis nach Santiago de Compostela. Willst du den auch laufen?“
    „Nein“, erwidere ich, „das bin ich schon häufig gefragt worden. Aber seit Hape Kerkeling sein tolles Buch über den Weg geschrieben hat, scheint es mir dort zu voll zu sein. Ich suche mir lieber ruhigere Wege.“
    Unser Gespräch über den Camino Francés, den berühmtesten aller Pilgerwege, endet abrupt, als der Weg plötzlich steil bergab führt. Hier kann sie den Rucksack nicht mehr ziehen, sondern muss ihn tragen. Und das Fahrgestell muss sie ebenfalls schultern. Das sieht mühsam aus und um ihr den Weg etwas zu erleichtern, reiche ich ihr einen meiner Wanderstöcke, damit sie sich besser stützen kann. Sie nimmt ihn dankbar. Am Ende des mühsamen Abstiegs wartet die Latschighütte auf uns. Es ist mehr ein Aussichtspunkt und den Ausblick ins Tal genießen bereits zwei Wanderer. Es gibt ein lautes „Hallo“, denn die zwei kennen die Wanderin bereits. Die beiden jungen Männer heißen Joseppe und Timo, auch sie sind auf dem Westweg unterwegs. Und so erfahre ich endlich auch, dass meine Begleitung Martina heißt. Lange sitzen wir in der Hütte zusammen, genießen den Ausblick, während wir uns angeregt unterhalten. Ich höre gespannt zu, wie die zwei Burschen erzählen, dass sie auf ihrem Weg auf dem Westweg in Schutzhütten übernachten. Drei Nächte haben sie bereits draußen hinter sich.
    „Es war ein bisschen kühl“, meint Joseppe.
    Aber es ging“, ergänzt Timo.
    „Ich hätte ein Zelt mitnehmen sollen“, meint Martina, die die letzte Nacht nur im Schlafsack unter freiem Himmel verbracht hat.
    „Ich traue mich noch nicht, in einer Schutzhütte zu übernachten“, gebe ich zu. „Vielleicht mache ich das auf meiner nächsten Wanderung. Doch dieses Mal wollte ich mit leichtem Gepäck unterwegs sein. Deshalb übernachte ich in Pensionen, die ich bereits im Voraus gebucht habe. Dadurch ist mein Rucksack sehr leicht, nur 8kg habe ich dabei.“
    „Der schwere Rucksack nervt schon ein bisschen. Und geplant haben wir gar nichts“, meint Timo.
    „Meiner nervt auch“, wirft Martina ein. „Vor allem, wenn ich ihn tragen muss.“
    Das glaube ich gerne und innerlich schüttle ich ein wenig den Kopf über die Unbedarftheit der Drei. Gleichzeitig bewundere ich sie für ihre Unbekümmertheit. Nach einer sehr, sehr langen Pause geht es weiter und da wir alle den gleichen Weg haben, gehen wir zusammen. Langsam und stetig geht es Richtung Forbach hinab.
    „Wir wollen hier mal ins Internet schauen, was Forbach für Übernachtungsmöglichkeiten bietet“, meint Joseppe, als wir den Ort fast erreicht haben.
    „Denn vom draußen übernachten haben wir erst mal genug“, ergänzt Timo.
    So lassen Martina und ich die Burschen am Hexenbrunnen zurück, wo sie ihre Wasservorräte ergänzen, während die kleine Hexe, die dem Brunnen den Namen gab, ihre Füße im Brunnen kühlt.
    Martina sucht eine Bleibe unter freiem Himmel für die Nacht. Kurz vor Forbach ergibt sich eine gute Möglichkeit für sie. Die kleine Schutzhütte ist zwar verschlossen, aber der Vorraum hat ein großes Dach, der vor Regen schützt, der Balkon ist sogar mit Geranien geschmückt. Hier kann sie sich ein bequemes Nachtlager machen, ein Brunnen ist nah und so hat sie in der Früh frisches Wasser.
    Ich gehe alleine weiter und als ich mich noch einmal umdrehe, winkt Martina mir fröhlich zu. Ob ich sie noch einmal wieder sehen werde? Den Weg nach Forbach gehe ich voller Gedanken. Warum mache ich es nicht wie sie? Sorglos und einfach drauf los, so macht es Martina, während ich immer planend meine Schritte vorbereiten muss.
    „Was ist besser? Planen oder spontan sein?“, frage ich mich, während ich das dritte Westwegportal „Murgtaltor“ durchschreite, welches das Ende meiner heutigen Tour bedeutet. Als ich über die alte Holzbrücke schreite, grüble ich immer noch. Doch eine Antwort finde ich heute nicht auf diese Frage.
    Ich bin froh, in dem reservierten Hotel einzuchecken, wo ein weiches und warmes Bett auf mich wartet. Aber bevor ich darin versinken kann, muss ich mich sputen, um noch ein Abendessen zu bekommen, denn um zwanzig Uhr werden in Forbach die Bürgersteige hoch geklappt. Im nahe gelegenen Hotel Adler bin ich der einzige Gast. Auf der Terrasse genieße ich den lauen Abend und eine Schinkenplatte Schwarzwälder Art, während die Sonne hinter den gegenüber liegenden Bergen versinkt und sich die Nacht über Forbach senkt.
    Was wohl Martina jetzt macht?
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