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  • E1-76-DK- Kongeaen (26km)

    May 9, 2017 in Denmark ⋅ 🌧 9 °C

    Warum nur? (4 )

    Meine Güte, war das eine lausige Nacht! Ich wachte mehrmals auf, weil ich fror. Im Laufe der Nacht zog ich immer mehr über. Erst war es nur die Merinounterwäsche, dann noch ein Shirt, später kamen der Merinopullover, dann Fleeceweste und am Ende die Fleecejacke dazu. Ich fror trotzdem. Am Morgen ist die Zeltwand mit einer Schicht Raureif überzogen, also war es nachts unter Null Grad. Wer rechnet schon mit solchen Temperaturen im Mai? Ich jedenfalls nicht. Mein Schlafsack und die Isomatte sind für derart niedrige Temperaturen nicht ausgelegt, ihr Komfortbereich endet bei +5°C. Aber daran kann ich jetzt nichts ändern. Frühstück fällt aus wegen Kalt. Das Zelt wird, noch mit Raureif bedeckt, zusammen mit den übrigen Sachen zügig im Rucksack verstaut.
    Weiter geht´s. Erst durch das Naturschutzgebiet, dann folgt die Stursbøl-Plantage mit noch jungem Baumbestand. Ich hoffe, der Weg bleibt so abwechslungsreich, wie er gerade ist.
    Über Nacht ist der Wind eingeschlafen, am späteren Vormittag scheint auch die Sonne wieder. Doch der Nachmittag bringt Regen und Kälte. Der Regen will nicht mehr aufhören.

    Wandert man ohne Gesellschaft, so hat man ausreichend Zeit, um über dies und das nachzudenken. Bisweilen beginnen die Gedanken düster zu kreisen, die den Geist verdunkeln. Passiert dies in Gesellschaft, kann ein Mitwanderer helfen, die dunklen Gedanken zu vertreiben. Doch ich bin alleine unterwegs. Keiner ist da, der meine dunklen Gedanken zurück ins Licht führen kann. Wie eine Spirale kreist mein Geist einem schwarzen Loch entgegen.
    Das Ergebnis sind Fragen wie diese:
    „Was mache ich hier eigentlich bei dem miesen Wetter?
    Es ist so kalt, es regnet ohne Unterlass...
    Das macht keinen Spaß mehr!
    Was soll das hier?
    Soll ich die Tour verkürzen, gar ganz abbrechen, nach Hause fahren?
    Später wieder zurück kommen? Oder gar nicht?“
    Der Geist kreist und kreist und keiner ist da, das Mühlrad abzuschalten. So reift ein emotional geprägter Entschluss heran:
    BIS NACH SKAGEN GEHE ICH AUF KEINEN FALL!!!
    Er scheint mir zu weit sein und nach den bisher gemachten Erfahrungen auch zu eintönig. Darüber hinaus ist das Wetter im Norden immerzu schlecht und kalt.
    Vielleicht bin ich nicht bereit gewesen für Dänemark. Oder aber es ist einfach nicht mein Wanderland?
    An der alten Wassermühle Knagemøll ändert der Haervejen die Richtung. Nun geht es nach Westen, dem Lauf des Kongeåen folgend, der bis 1920 Grenzfluss zwischen Dänemark und Deutschland war. Zunächst ist es eine schöner Strecke. Doch bald wird aus dem Weg ein schmaler Pfad. Dann stehe ich mitten auf einer Weide, von dunklen Kuhaugen neugierig beäugt. Am gegenüber liegenden Zaun ist der Pfad endgültig zu Ende, es scheint nicht weiter zu gehen. Das ist für den Haervejen nicht typisch. Ich muss eine Wegmarke übersehen haben.
    Nun muss ich zurück.
    Zurück? Niemals!
    Dann doch lieber über den nächsten Zaun auf die nächste Wiese, dann über noch einen Zaun. Dahinter ein Graben. Hindurch. Die Schuhe werden nass, doch es ist mir egal! Weiter durchs hohe Gras. Kühe schrecken hoch und vergessen das Widerkäuen. Wahrscheinlich kommt hier sonst kein Mensch vorbei. Matschloch oder Kuhfladen, sollen Wanderstiefel und Hosenbund doch dreckig werden! Es ist mir egal, ich muss weiter. Noch ein Zaun, über den ich klettern muss, dann meldet sich Else von Komoot:
    „Du bist zurück auf der Tour“.
    Endlich! Ich stehe an einem Steg, der in den Kongeåen hinein ragt. Vermutlich ist es eine Anlegestelle für Paddler. Einen Pfad gibt es hier auch wieder. Es ist der Haervejen. Gottlob, die Plackerei hat ein Ende, ich bin zurück auf meinem Weg.
    Nicht weit vom Steg liegt eine Hütte, die auf einem kleinen Hügel thront. Eine Fata Morgana? Nein, sie ist real! Sie bietet sechs Schlafplätze, eine Feuerstelle, Bänke und Tische, alles gut überdacht. Daneben ein weißes Gebäude mit Toiletten und Dusche mit warmem Wasser. Es ist eine Pilgerhütte der Luxusklasse. Für mich ein Geschenk des Himmels am Ende eines harten Wandertages. Die Verheißung einer guten Nacht.
    Natürlich bleibe ich hier, keine Frage!
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