Satellite
Show on map
  • E1-88-DK Grenaa (22km)

    May 28, 2017 in Denmark ⋅ ☁️ 18 °C

    Ich schaffe den Weg (4)

    Tatsächlich - der Wind schläft mit dem Sonnenuntergang ein und die Nacht ist ruhig. Das Wellenrauschen weckt mich am Morgen, oder ist es ein Sonnenstrahl, der meine Nase kitzelt? Die Weite des Meeres direkt vor dem Zelt ist unglaublich! Das Paradies kann nicht mehr fern sein. Ich könnte ewig hier liegen und aus dem Zelt über das Wasser schauen. Doch auf! Vor mir liegt der letzte Wandertag! Hurra! Ich weiß ungefähr, was mir heute bevor steht: bis nach Grenaa geht es immer direkt am Strand entlang.
    Der Weg startet vielversprechend: als schmaler Pfad verläuft er parallel zum Strand und das Laufen ist entspannt. Bis nach Glatved Strand. Dort ragt eine Förderanlage weit in das Ostseewasser hinaus. Hier wird Kalk gewonnen und als Abfallprodukt fallen massenhaft Steine an, die nach Durchmessern geordnet in Haufen zu Tausenden gelagert werden. „Where nature meets industry“, meint die Infotafel. Hübsch ist anders. Aber gelegentlich muss das wohl sein.
    Jenseits der Anlage verläuft der Weg direkt auf den Strand. Welcher Weg? Hier ist nur Strand, der aus tausenden und abertausenden Steinen besteht. Ich gehe wie auf Eiern und verliere schon mal wegen des Gewichts auf meinem Rücken das Gleichgewicht. Nur gut, dass der Rucksack leicht ist. Gut auch, dass eine frische Brise von achtern kommt und schiebt. Nicht gut, dass die Brise auch dunkle Wolken mit sich bringt. Wir es kurz vor dem Ende noch einmal Regen geben?
    Die halbe Strecke bis Grenaa ist geschafft, ich bin es auch. Da kommt die rote Hütte, die direkt am Strand steht, genau richtig. Ich stehe soeben davor und staune noch, da beginnt es zu schauern. Das nennt man Timing, denn den Regen kann ich ja nun in der Hütte abwettern, denn die Tür ist nicht verschlossen und lädt geradezu zum Verweilen ein. Drinnen gibt zwei Liegestühlen (für draußen bei Sonnenschein), eine Sitzbank (für drinnen bei Regen), einen Tisch, ein Gästebuch. Sogar an eine Lesebrille wurde gedacht. Hier versuchte jemand, dem Wanderer seine Pause angenehm wie zu gestalten. Ich schreibe dem Unbekannten meinen Dank in sein Gästebuch.
    Der Schauer zieht vorbei, ich kann weiter. Doch nicht lang, da regnet es wieder. Und zwar sehr heftig! So kommt kurz vor dem Ziel die neue Regenjacke doch noch zu ihrer Bewährungsprobe. Blöd nur, dass es gleich ein Lanzeittest wird, denn erst in Grenaa, dessen Türme gerade erst am Horizont auftauchen, hört es auf zu regnen.
    In Grenaa wechselt die Molsrute vom Strand in die Heide und strebt dem Hafen entgegen. Was war das für eine Plackerei! Wer hat sich das nur ausgedacht, einen E1-Wanderer mit Mehrtagesrucksack über die Steine zu schicken? Aber nun ist es geschafft. Zum Abschluss machen die dunklen Wolken tatsächlich noch der Sonne Platz, die Regenjacke hat ihren Test bestanden und kann wieder im Rucksack verschwinden.
    Der letzte Kilometer führt an einem überdimensionalen Campingplatz und einer Strandhaussiedlung vorbei. Dann bin ich am Hafen, wo der dänische Teil des E1 und auch die Molsruten enden. Jetzt könnte ich eine Fähre nehmen und nach Varberg in Schweden übersetzen, um anschließend die paar tausend Kilometer bis zum Nordkap zu wandern. Aber ich habe ja schon beschlossen, dass der nördliche E1 ist nicht mehr mein Weg sein wird.
    Ich drehe mich um, wende dem E1 den Rücken zu und gehe ohne Wehmut in die entgegengesetzte Richtung. Für zwei Kilometer oder so geht es den kanalisierten Verlauf der Grenåen entlang. Wer hier wohnt, hat's schön.
    Ich stehe am Bahnhof von Grenaa, der etwas herunter gekommen ist, vielleicht, weil kein Zug hier mehr hält. Schon kommt der blaue Bus der Midttrafik, mit einmal Umsteigen geht es in einer Stunde zurück nach Aarhus, wo ich vor vier Tagen zu Fuß gestartet bin.
    Schon verrückt, wie schnell die Technik uns Menschen gemacht hat.
    Read more