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  • Day 62

    Valparaíso

    January 2, 2017 in Chile ⋅ ☀️ 23 °C

    Kurz vor 11 am Abend erreichten wir Valparaíso. Die Stadt ist auf verschiedenen Hügeln errichtet, die als „Cerros“ bezeichnet werden. Diese sind mit einer Vielzahl an Bauwerken bestückt, die teilweise eng ineinander verschachtelt wurden. Dementsprechend verwirrend ist es, sich in dem Ort zurecht zu finden. Wir nahmen ein Taxi, dessen Fahrer die Verkehrssituation rund um Silvester auszunutzte und uns für die kurze Strecke nach Playa Ancha 15.000 Pesos berechnete, was in etwa 22 Euro sind. Unsere Rückfahrt haben wir dann mit dem Omnibus gemacht, was uns nur etwa 900 Pesos, also etwa 1,30 Euro, gekostet hat.

    Wir erreichten das Viertel in dem unser Hostel liegen sollte und bekamen gleich einen kleinen Einblick darin, was einige Internetberichte mit der bedrohlichen Atmosphäre in bestimmten Stadtteilen meinten. Ein offenbar geistig verwirrter Mann regelte den Verkehr auf einer kleinen T-Kreuzung. Das Viertel war ungemein klein und ruhig und der Verkehr dementsprechend nicht wirklich nennenswert. Dennoch stand er selbst nachts um 11 da. Auf den kleinen Treppen vor den Häusern saßen Jugendliche mit tiefhängenden Jeans und Baseballcaps und schauten interessiert zu unserem Taxi hinüber.

    Als wir unser Haus gefunden hatten, wurde die Tür von einer offenherzigen älteren Dame geöffnet. Sie überschüttete uns gleich mit einem Schwall Chilenisch, bei dem wir nur schwer mithalten konnten. Wir ließen uns unser Zimmer zeigen und fielen, erschöpft von der langen Fahrt, ins Bett. Am nächsten Morgen servierte sie uns Frühstück und war anhaltend bemüht, uns immer wieder in Gespräche zu verwickeln. Ihre Lieblingsthemen waren dabei ihr Haus und ihre Krankheiten. Auf diese Weise erfuhren wir einiges über Gelenkbeschwerden, grauen Star und die besonderen Geleekapseln aus Muschelextrakt, die sie dagegen einnimmt.

    Den Nachmittag schloßen wir uns einer Tour durch die Stadt an. Kurz zuvor hatten wir uns noch mit Katalina, die wir in Bolvien kennengerlernt hatte, zum Mittagessen getroffen. An jeder Ecke wurden Silvesterutensilien, wie Luftschlangenspray, Plastikhüte und Konfettikanonen verkauft. Ein Feuerwerk in Eigenregie, wie in Deutschland, gibt es in Chile nicht. Stattdessen wird traditionell um 0 Uhr über dem Hafen ein großes zentrales Feuerwerk gezündet. Bereits am Nachmittag positionierten sich viele Chilenen mit Klappstühlen, Wolldecken und Campingtischen an den langgezogenen Terassen der Stadt, die dem Hafen zugewandt waren.

    Unsere Tour führte uns mit Hilfe eines sogenannten „Acensor“ den „Cerro Allegre“ hinauf. Die Acensoren sind große Außenaufzüge, die an den Felswänden entlangfahren und so das Hinaufkommen erleichtern sollen. Der Cerro Allegre ist für seine Graffitis und populärkulturellen Einflüsse berühmt und ein erklärter Lieblingswohnort von Studenten und Künstlern. Auch ganz im Allgemeinen sind viele Wände Valparaísos bunt bemalt. So gilt die Stadt als kulturelle Hauptstadt Chiles. Einige sehr berühmte Persönlichkeiten wurden hier geboren. Darunter Salvador Allende, Augusto Pinochet, David Pizarro und Rodrigo González von der deutschen Band „die Ärzte“.
    Auch der Nationaldichter Pablo Neruda lebte einen bedeutenden Teil seines Lebens in Valparaíso. Allerdings war sein Leben geprägt von Flucht und Vertreibung. So musste er Ende der 40er Jahre aus Chile fliehen, nachdem ein Gesetz erlassen wurde, dass ihm seine kritische Haltung als Poet und Senator verbot und seine Verfolgung trotz politischer Immunität ermöglichte. Neruda starb nur Tage nach der Machtübernahme Pinochets unter nicht eindeutig geklärten Umständen in einer Klinik in Santiago. Bis heute wurde sein Leichnam mehrfach umgebettet und exhumiert, um die genaue Todesursache zu ermitteln. Aktuell sieht es nach offiziellen Berichten des chilenischen Innenministeriums so aus, als sei eine Fremdeinwirkung wahrscheinlich gewesen. Allerdings wies das Ministerium gleichzeitig darauf hin, dass das Urteil der Forensiker nicht abschließend sei. Neruda wurde im April 2016 zum vierten Mal bestattet.

    Bevor wir die Stadt wieder verließen kauften wir noch etwas für den Silvesterabend ein und liefen dann zurück nach Playa Ancha. Dabei sahen wir auch die berühmten Oberleitungsbusse, die wie eine Straßenbahn ohne Schienen funktionieren, mit denen wir allerdings leider über die Feiertage nicht fahren konnten: https://de.wikipedia.org/wiki/Oberleitungsbus_V…

    Den Abend verbrachten wir weintrinkend mit der „Dame des Hauses“. Sie war wirklich eine nette alte Person. Offenbar ist ihr Sohn vor einiger Zeit verstorben, sie wollte das Thema nicht vertiefen. Auch verlässt sie das Haus nur wenig. Sie umgiebt sich aber gerne mit ihren vorwiegend jungen Gästen und umsorgt sie. Dementsprechend wollte sie um halb 12 auch nicht mit zum „Paseo 21 de Mayo“ von dem aus, man einen guten Blick auf das Feuerwerk haben sollte.

    Schon auf dem Weg dorthin kam uns zugute, dass die Chilenen unheimlich kontaktfreudige Menschen sind. Bereits nach ein paar Minuten freundeten wir uns mit eine bunten Gruppe von Menschen an, mit denen wir gemeinsam das Feuerwerk anschauten. Um Punkt 12 wurden parallel zum Feuerwerk auch überall Luftschlangen- und Kunstschneespraydosen eingesetzt, so dass wir danach eindeutig schmutziger waren, als wir es in Deutschland gewesen wären. Außerdem musste jeder von uns einen Löffel gekochte Linsen essen. Das bringe „prosperidad“ für das kommende Jahr. Auch hat einer unserer Begleiter 12 Weintrauben in 12 Sekunden hinuntergeschlungen, was ebenfalls Glück für das neue Jahr bringen soll: http://www.sixt-malaga.com/malaga/spanische-tra…

    Kurz darauf wurden wir von unseren Mitfeiernden noch in deren Hostel eingeladen, von dem wir bis heute nicht wissen, ob es ihnen gehörte oder ob sie dort nur Gäste waren. Auch wissen wir nicht, ob die Gruppe schon länger zusammengehörte oder ob sie sich spontan gefunden hatten. Zumindest aber war sie sehr bunt gemischt. Drei von ihnen waren offen homosexuell, einer von ihnen zeigte mir auch Fotos von sich als Dragqueen. Den Kontrast dazu bildete die eher kleinbürgerliche Familie, die mit mehreren Generationen angereist war. Sogar ein kleines Kind lief uns immer mal wieder zwischen den Beinen durch. Dazu kamen noch ein paar Asiaten. Insgesamt also eine wirklich witzige Mannschaft. Dementsprechend intensiv wurde gefeiert, was uns am nächsten Tag erst gegen 5 das Haus verlassen ließ.

    Wir liefen nochmal zum Cerro Allegre, aßen zu Abend und legten uns wieder ins Bett.

    Am Morgen unseres letzten Tages machten wir eine weitere Stadttour, die uns unter anderem zu einem der ehemaligen Foltergefängnisse aus der Zeit von Pinochet führte. Mitte der 2000er Jahre wurde das seit einigen Jahren geschlossene Gefängnis von Künstlern umfunktioniert und dient nun als Kulturstätte. Die Idee war, dem Gebäude, der das Viertel so lange in einen Ort der Angst verwandelt hatte, ein neues Gesicht zu geben.

    Zum Abschied aus Valparaíso aßen wir nochmal Sushi auf dem Cerro Allegre, wobei ich die Idee besonders schön fand, eine Sommerrolle, die normalerweise wie eine Frühlingsrolle aussieht, die in Reispapier eingewickelt ist, ebenfalls in kleine stäbchengerechte Stücke zu zerschneiden. Unsere Hauswirtin erlaubte uns im Anschluss daran, den Nachmittag ohne Aufpreis noch auf unserem Zimmer zu verbringen, da unser Bus nach Pucón erst am Abend gehen sollte.
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