Satellite
Show on map
  • Day 86

    Santiago

    January 26, 2017 in Chile ⋅ 🌙 23 °C

    Nach den eher ernüchternen Tagen in Conception haben wir es endlich zu unserer letzten Station in Chile geschafft. „Endlich“ sage ich weniger, weil es mir hier keinen Spaß gemacht hat, sondern vielmehr, weil wir uns sehr auf Santiago gefreut haben. Katalina hatte uns bereits in Bolivien von dem „Museo de la Memoria y los Derechos Humanos“ erzählt. In diesem Museum wird die Militärdiktatur Pinochets aufgearbeitet bei der mehrere tausend Menschen getötet wurden oder „verschwunden“ sind. Zudem wurden unzählige von ihnen Opfer grausamster Folter.

    Auf der Fahrt sahen wir auch einige der Waldbrände, die Chile derzeit heimsuchen. Sie gelten als die schlimmsten Brände, die es hier in den letzten Jahrzehnten gegeben hat. Ich habe dazu eine wirklich gute Bilderschau gefunden:
    https://www.nzz.ch/panorama/bildstrecken/bildst…

    Santiago liegt in einem Kessel aus Bergen, so dass der Rauch, vielleicht war es auch Smog, fast durchgehend über der Stadt hing. Ein Taxifahrer hat uns erzählt, dass es in Chile keine hauptamtlichen Feuerwehrleute gibt. Das heißt, dass der gesamte Einsatz zur Brandbekämpfung von Ehrenamtlichen geleistet So mussten zahlreiche Anfragen an das Ausland getätigt werden. NACHTRAG: Etwas später als ich diesen Eintrag begonnen habe, sollten wir erfahren, dass die Stadt Concecion maßgeblich von den Bränden bedroht war und, so zumindest die Nachrichten, nur das Eingreifen von russischen Flugzeugen ein Übergreifen der Brände auf die Stadt verhindert werden konnte.

    Unser Hostal in Santiago lag etwas außerhalb, so dass wir immer erst eine halbe Stunde in die Stadt fahren mussten. Etwas zentraleres konnten bzw. wollten wir uns nicht leisten. Dafür war es bestens ausgestattet, so dass wir hier -seit langem das erste Mal- wieder etwas kochen konnten. Wir schleppten seit Ewigkeiten eine große Einkaufstasche mit Lebensmitteln mit uns herum, hatten aber seit Puerto Varas keine gute Küche mehr.

    In unserer Nähe lag auch ein Einkaufszentrum, so dass wir den ersten Tag eigentlich nur mit Bummeln verbracht haben. Am Abend haben wir uns nach dem Essen „Animales fantasticós“ von J.K. Rowling im angeschlossenen Kino angeschaut. Toller Film. Die Story ist zeitweise etwas dünn, wird aber durch die magische Welt, die man kennenlernt und die zahlreichen guten Interpretationen der 20er Jahre in New York wieder wettgemacht.

    Am zweiten Tag sind am Morgen noch schnell auf einen Abstecher ins Museum der schönen Künste gegangen. Wir wollen eigentlich nur Zeit überbrücken, bis unsere Tour anfing, sind aber auf eine Austellung von Godoy gestoßen. Er malt hauptsächlich nackte Männer, manchmal in Sadomasosituationen:
    http://d2vpb0i3hb2k8a.cloudfront.net/wp-content…
    Das war ein wenig schräg, aber für so ein eher konservatives Land auch spannend. Dafür fand man dann in der zweiten Etage wieder die für Südamerika typischen katholisch inspirierten Gemälde von Maria, Jesus und kleinen dicken Engeln.

    Vor dem Museum startete auch unsere Tour durch die Stadt. Die wohl interessantesten Punkte, an denen wir Halt gemacht haben, waren das „Centro cultural Gabriela Mistral“, der Präsidentenpalast und das frühere Hauptquartier der „Radikalen Partei“. Sie alle hatten mit der Regierung Allendes zu tun.

    Das Kulturzentrum wurde ursprünglich für ein Treffen der Vereinten Nationen errichtet. Es sah allerdings zunächst so aus, als wäre es nicht möglich, es bis zur Konferenz fertig zu stellen. Da Allende das Land von seiner besten Seite präsentieren wollte, startete er einen Aufruf:
    Alle Arbeiter Chiles sollten sich, sofern möglich, in Santiago einfinden, um das Gebäude zu errichten. Und Tausende folgten seinem Ruf. So schafften sie es, anstatt der ursprünglich angesetzten 2 Jahre, lediglich wenige Monate mit dem Bau zu verbringen. Die Konferenz konnte wie geplant abgehalten werden. Nach deren Ende widmete Allende den Bau den Arbeitern Chiles und füllte es mit sozialistisch angehauchten Dovotionalien.

    Nach seinem Sturz wurden diese durch Pinochet entfernt. Da der Präsidentenpalast zerstört war, bezog er die Räume zunächst und machte sie zu seinem Hauptquartier. Dies ist eine ganz typische Vorgehensweise für das Regime gewesen:
    Die Vernichtung der Symbole der vorangehenden Gesellschaft war eines der Kerngeschäfte der neu errichteten Diktatur. Es erinnert dabei ein wenig an die Bücherverbrennung der Nazis. Nichts sollte existieren außerhalb des neuen Regimes. So kam es auch in den ersten 2 Jahren zu den meisten Menschenrechtsverbrechen. Chile sollte „kulturell gesäubert“ werden.

    Das selbe galt auch für das ehemalige Hauptquartier der Radikalen Partei, die Allende unterstützt hatten. Nach der Machtergreifung Pinochets wurde es zum Stützpunkt der Geheimpolizei. Es muss ein furchtbares Gefühl gewesen sein, in seiner ehemaligen politischen Heimat von einem folternden Polizeiapparat verhört zu werden… Auch hier zeigt sich wieder, welche Macht Umdeutungen haben.

    Der spannenste Abschnitt der Tour war aber der Präsidentenpalast. Der Sturz Allendes war nicht so, wie es der Sturz von der Witwe Peróns in Argentinien Mitte der 70er Jahren war. Sie hatte damals die Möglichkeit einfach frei abzuziehen und das Land zu verlassen. Danach zog auch hier der Schrecken ein.

    Der Sturz Allendes war mit einem militärischen Angriff auf den Palast verbunden, der dabei durch die Luftwaffe fast vollständig zerstört wurde. Die letzte Rede Allendes ist bis heute erhalten geblieben:
    https://www.youtube.com/watch?v=HC8UirZLCZQ (Untertitel verfügbar)

    Kurz danach setzte er seinem Leben ein Ende, um der Gefangenschaft zu entgehen. Der Film „Allende en su laberinto“ (auf Netflix verfügbar) ist dabei eine verhältnismäßig authentische Erzählung seiner letzten Stunden. Auf IMDb hat der Film eine recht geringe Gesamtbewertung. Schaut man in die Kommentare sieht man, dass noch heute der Konflikt zwischen Amerikanern und Chilenen schwelt. Alle positiven Stimmen kommen aus Chile, während die Kritk aus Nordamerika kommt:
    „Allende was not a bad president in the eyes of many president but had ideals much too close to communism. This meant he was the US's enemy and we had to do something about it.“

    Man sieht also, dass auch heute noch eine ideologische Aufladung des Themas besteht.
    Ich persönlich kann den Film nur empfehlen. Auch wenn er, wie alle Nacherzählungen, seine Schwächen hat. Gemacht wurde er vom großartigen Miguel Littin, über den Gabriel García Márquez, ein schönes Buch geschrieben hat:
    https://de.wikipedia.org/wiki/Das_Abenteuer_des…

    In angesprochenem „Allende-Film“ ist das eigentlich beeindruckende die Art und Weise, wie Allende dargestellt wird. Aufrecht und rechtschaffend. Ob er das wirklich war, kann ich natürlich nicht sagen. Eine Szene aus dem Film hat mich trotzdem besonders beeindruckt. Allende schickt darin seine Verteidiger nach draußen, um dem Tod zu entgehen. Er selbst bleibt zurück, um sich zu opfern. Bevor er seine Männer entlässt, gibt er, bei anhaltendem Beschuss, jedem einzelnen von ihnen die Hand. Das hat schon etwas ungemein anrührendes und eben „aufrechtes“.

    Wie geplant haben wir es auch noch in das erwähnte Museum geschafft. Wir haben knapp 3 Stunden benötigt, waren aber bereits nach einer schon so erschlagen von all den Informationen und Hintergründen. Der Rundgang durch das Museum beginnt mit dem Sturm auf den Präsidentenpalast und endet mit Pinochets Rücktritt. Die Themen Gewalt und Folter sind zwar allgegenwärtig, aber dennoch nur ein kleiner Teil der Austellung. Viel wird auch über die politischen Strategien der Junta erzählt, viel auch über die Gegenbewegungen und die Rolle der Kirche.
    Das Museum stellt auch eine online zugängliche digitale Bibliothek mit einer gigantischen Menge an Material zur Verfügung: http://www.bibliotecamuseodelamemoria.cl/gsdl/c…

    Das Museum ist, vor allem unter Chilenen, ungemein populär. Es kommt jedoch öfter die Kritik auf, dass es die Zustände in Chile vor dem Putsch nicht beleuchte und so die Realität verzerre. Dem halten die Macher des Museums allerdings entgegen, dass die Zustände, die unter Allende geherrscht haben, keine Rolle in Bezug auf die Menschenrechtsverletzungen unter Pinochet spielen. Dem schließe ich mich an. Ob man Allende nun politisch mochte oder eben nicht, entbindet die nachfolgende Regierung nicht von ihrer Pflicht zur Achtung des menschlichen Lebens. Im Report der Valech-Komission, den ich ja schon einmal verlinkt hatte, werden Details offenbart, die keinerlei Dikussion in Bezug auf den Daseinszweck des Museums zulassen.

    Trotz alledessen hatte Santiago natürlich auch schöne Seiten. Eine witzige Geschichte rankt sich um den sogenannten „Kaffee mit Beinen“ (Café con piernas). Chile ist aufgrund seiner Seefahrertradition eigentlich ein Teetrinkerland. Kaffee hat hier nie den Stellenwert erhalten, den es heute in den meisten andren Ländern Süd- und Mittelamerikas hat. Da sich aber einige Leute in den Kopf gesetzt hatten, mit Kaffee in Chile Geld zu verdienen, wurde der „Kaffee mit Beinen“ erfunden. Überall in Santiago finden sich heute Kaffeeläden mit schwarzgetönten Scheiben, in die nur Männer hineingehen. Ausgeschenkt wird tatsächlich nur Kaffee, kein Alkohol und die Beine sind natürlich die der leichtbekleideten Bedienungen.

    Richtig guten Kaffee findet man in Chile kaum. Die meisten Haushalte und sogar die meisten Restaurants servieren Nescafé. Oft bekommt man einfach eine Tasse heißes Wasser und drei Plastikbeutel serviert: Zucker, Nescafé und Kaffeeweißer…

    ...ich war also ganz froh, dass wir bald schon in Buenos Aires sein sollten, welches maßgeblich durch italienische Einwanderer beeinflusst wurde. Insofern hoffte ich dort mal wieder einen richtigen Kaffee trinken zu können.
    Read more