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  • Day 90

    Buenos Aires I

    January 30, 2017 in Argentina ⋅ ☀️ 30 °C

    Buenos Aires hat wirklich ungemein guten Kaffee. Zumindest, wenn man sich die Mühe macht, und ein anständiges Lokal sucht. Warum hier Kaffee im Gegensatz zu anderen südamerikanischen Ländern eine lange Tradition hat, liegt an der bewegten Geschichte der Stadt.

    Vermutlich war einer der Hauptgründe für die Errichtung von Buenos Aires, die gute Lage als zentraler südamerikanischer Hafen auf der Ostseite des Kontinents. Ein weiterer war allerdings, dass man große Silbervorkommen in der Region vermutete. Daher rührt auch der Name „Río de la Plata“ für den dortigen Fluss und der Name Argentinien, der von Argentum stammt. Das meiste Silber kam allerdings aus Potosí im heutigen Bolivien. Silber wurde hier keines gefunden. Aber die sich zunehmend vergrößernde Stadt wurde zum Zentrum eines Landes, dass sich maßgeblich mit Argrarwirtschaft finanzierte.

    Im Jahr 1810 erlangte Argentinien seine Unabhängigkeit infolge der Thronbesteigung von Joseph Bonaparte, dem Bruder Napolenos, in Spanien. Das „Mutterland“ hatte daraufhin soviele innenpolitische Instabilitäten zu bewältigen, dass es seinen kolonialen Ideen nicht mehr gerecht werden konnte. Infolge dieser Unabhängigkeit wurde zwar eine Republik gegründetm diese wurde aber maßgeblich von Oligarchen dominiert, welche über gigantische Ländereien verfügten. Ein paar Jahrzehnte später öffnete sich Argentinien für europäische Aussiedler. Etwa 50 % waren Italiener, daneben viele Nordspanier aus dem Baskenland und Galizien. Infolgedessen und durch die indigenen Einflüsse u.a. aus dem Guaraní, dem Mapundugun und dem Quechua, bildete sich der für Argentinier so eigentümliche Dialekt heraus. Aus „J“ wird hier eine Art „Che“. Aus „llamar“ (sprich: jamar) wird hier also „dschamar“. Einer der berühmtesten Söhne Argentiniens, Ernesto Guevara, erhielt seinen Spitznamen durch diese Besonderheit.
    Neben der Sprache veränderten sich auch die Brauchtümer innerhalb des Landes. So gelangte der Kaffee, neben dem Nationalgetränk „Jerba Mate“, zu großer Beliebtheit.

    Buenos Aires ist eine fantastische Stadt. Ich habe mich innerhalb weniger Stunden verliebt und plane schon jetzt fest, hier nocheinmal für eine längere Zeit her zu kommen. Die Stadt ist ein wirklicher „Melting Pot“ mit Einflüssen aus allerlei Kulturen, Trends und Weltanschauungen. Die Architektur ist auf die Zusammenstellung bezogen eine Katastrophe. Alt neben neu. Glashochhaus neben florentiner Bauweise. Und dennoch schafft es die Stadt, wie aus einem Guss zu wirken. So als habe sie dieses Chaos als einen Teil von sich akzeptiert und beschlossen es stolz und mit Würde zu betonen.

    Gleich am ersten Tag machten wir eine Tour durchs Zentrum. Die damalige Oligarchie war stets bemüht, dem Ort ein „kulturell Wertvolles“ Antlitz zu verleihen. Auf diese Weise entstanden hier gewaltige Prunkbauten in den verschiedensten Stilrichtungen… nur viel größer als sie es in Europa gewesen wären. Beim Kongress, an dem auch unsere Stadttour begann, ging man sogar soweit, jedes einzelne Teil, jeden Stein, jeden Türbeschlag aus Europa zu importieren. Auf diese Weise formte sich die Innenstadt ganz im Sinne der damaligen Oberschicht.

    Mit dem fortschreitenden Zuzug von immer mehr Aussiedlern, entschieden sich die damaligen Oligarchen, sich etwas aus dem Zentrum zurückzuziehen und andere Quartiere einzunehmen, was es einigen Neuankömmlingen ermöglichte auch in den schönen Bauten im Zentrum zu leben. Das natürlich nicht so prunkvoll, wie es ihre Vorgänger getan hatten, sondern mit deutlich mehr Personen pro Zimmer. Küchen wurden gemeinsam genutzt, was die heutige argentinische Küche formte, die zahlreiche europäische Einflüsse aufweist.

    Die Lebensbedingungen der Zuwanderer waren allerdings oft fatal. Viele Männer hatten ihre Familien zurückgelassen und lebten in der Hoffnung, sie durch die Früchte ihrer Arbeit irgendwann in die neue Heimat holen zu können. Und die, die es bereits geschafft hatten, lebten oftmals trotzdem unter erbärmlichen Bedingungen. In dieser Zeit entwickelte sich auch der Tango, der eine Mischung aus Tanz, Gesang, Schauspiel und Gedicht ist. Er gilt als das Produkt der Tragik, die die Menschen aus allen Himmelsrichtungen damals umgab. Er weist Einflüsse aus Afrika, Osteuropa und zahlreichen anderen Erdteilen auf (https://de.wikipedia.org/wiki/Tango_Argentino).
    Wir wurden auf unserer Tour auch am Kaffee Tortoni vorbeigeführt, dem ältesten Kaffee der Stadt, wo wir einen Abend später eine Tango-Show besuchen sollten.

    Die wirtschaftliche Situation Argentiniens verbesserte sich zusehends. Zwischenzeitlich war Argentinien eines der wohlhabensten Länder der Erde. Doch durch die Weltwirtschaftskrise wurden die aufkommenden Hoffnungen auf eine goldene Zukunft schon rasch wieder zerstört. Die Situation der armen Arbeiter, grade auf auch auf dem Land, wurde immer prekärer und auch die Oberschicht, immer in der Angst vor Bauernaufständen und Rebellionen, wurde zusehends nervös.

    Und dann trat eine der interessantesten politischen Figuren Südamerikas auf den Plan, Juan Perón. Er war ein großer Bewunderer Mussolinis und des Faschismus, was es, nebenbei bemerkt, so vielen Nazis ermöglichte vor den Alliierten nach Argentinien zu fliehen. Trotz dieser Tatsache war seine Sozialpolitik durch marxistische Einflüsse geprägt. So verstaatlichte er zahlreiche Industriezweige und verbesserte maßgeblich die Situation der armen Bevölkerung. Der Peronismus war geboren. Diese politische Denkrichtung versteht sich selbst als dritten Weg zwischen Kapitalismus und Kommunismus. Er versucht die Klassen der Gesellschaft zu erhalten, aber gleichzeitig einen starken staatlichen Fürsorgecharakter zu etablieren. So wurden die Industriebesitzer zum Beispiel nicht, wie es klassisch sozialistisch gewesen wäre, enteignet, sondern mit horrenden Summen abgefunden. Unter anderem dies führte zur Absetzung Peróns, denn die Staatskasse war auf diese Weise bereits nach einigen Jahren hoffnungslos geleert. Der nächste Halt unserer Tour war ein gigantisches Konterfei seiner ersten Ehefrau Evita. Noch heute wird sie von vielen Argentiniern verehrt. Sie war Radiosprecherin und fungierte als die Stimme des „kleinen Mannes“. Sie hatte einen gewaltigen Einfluss auf ihren Mann, der aus ihre beinahe die Vizepräsidentin des Landes gemacht hätte. Sie starb mit Anfang 30 an Gebärmutterhalskrebs. Ihre Beerdigung wurde zu einem Volkstrauertag. Aber sie und ihr Mann waren umstritten. So wurden nach ihrem Tod zahlreiche Mauern der Stadt mit dem Slogan „Viva el cancer!“ besprüht. Um ihren Leichnam, der auf dem Friedhof in Recoletta ruht, ranken sich zahlreiche Legenden und Geschichten.

    Unser nächster Halt war der Plaza de Mayo, der seinen Namen nach dem Monat trägt, in dem Argentinien unabhängig wurde. Hier erinnern Bodenbedruckungen in der Form von Kopftüchern an die Bewegung der „Madres des Plaza de Mayo“. Nachdem Peroń abgesetzt wurde, lief es trotzdem nicht so recht in der Politik, so dass er auf großen Druck der Bevölkerung in den 70er Jahren aus seinem Exil in Spanien heimkehrte und sich nochmal zur Wahl aufstellen ließ. Er starb allerdings kurz nach seiner Amtsübernahme und seine Frau, die gleichzeitig Vizepräsidentin war, übernahm die Amtsgeschäfte. Sie galt es etwas verrückt. Angeblich hat sie einmal Versucht sich auf den Leichnam von Evita zu legen, um sich mit Hilfe eines Magiers ihrer Seele zu bemächtigen. Sie scheitete als Präsidentin und wurde von einer Militärjunta abgesetzt.

    Diese bestand aus den wohl übelsten Menschen Argentiniens. Sie waren hoch konservativ und traditionalistisch und wohl auch von den Altnazis beeinflusst, die noch unter Perón vielfach als Militärberater eingesetzt wurden. Es wirkt so, als würden sie nicht ertragen, dass die Erde sich entwickelt. Ein berühmter Ausspruch von einem der Oberkommandierenden lautete:
    „Die aktuelle Krise der Menschheit ist drei Männern geschuldet: Zum Ende des 19. Jahrhunderts veröffentlichte Marx die drei Bände seines Kapitals und säte mit ihnen Zweifel an der Unverletzlichkeit des Eigentums; Anfang des 20. Jahrhunderts wurde die geheiligte Intimsphäre des Menschen angegriffen durch Freud mit seinem Buch die Traumdeutung, und schließlich hat Einstein 1905 mit seiner Relativitätstheorie die statische Vorstellung von der Materie und ihrem Untergang untergraben.“
    Er erwähnte zudem, dass es sich bei allen dreien um Juden gehandelt habe.
    Infolge der Machtübernahme begannen zahlreiche Menschen zu verschwinden. Sie wurden in Foltergefängnisse verbracht, dort verhört und hinterher beseitigt. Gängig war es zum Beispiel die Verletzten noch lebend aus einem Helikopter oder Lastenflugzeug in den Rio de la Plata zu werfen. Zum Ende der Militärdiktatur galten etwa 30.000 Menschen als „Desaparecidos“. Demonstrationen waren zu dieser Zeit verboten, aber den Müttern der Verschwundenen war klar, dass sie als Mütter eine hoch geachtete Stellung in der Gesellschaft hatten. Sie beschlossen Demonstrationen zu wagen, indem sie, die alten Stoffwindeln ihrer verschwundenen Kinder zu Kopftüchern gebunden, schweigend im Kreis über den Plaza de Mayo liefen, wo auch der Regieruntgssitz liegt.
    Der Plaza de Mayo wird auch heute noch für Demonstrationen genutzt. Die letzte war ein Aufmarsch der transnationalen Bewegung „Ni una menos“, die sich gegen die Gewalt an Frauen in Argentinien und Südamerika stellt. Mehrere hunderttausend Menschen kamen.
    Wir besichtigten auch noch den Friedhof von Recoletta, zu dem es zahlreiche Geschichten gibt. So zum Beispiel die eines Mannes, der Angst davor hatte, lebendig begraben zu werden und deshalb sein Grab mit allerlei Mechanismen ausgestattet hatte, um in einem solchen Fall entkommen zu können. Er testet diese Vorrichtungen bis zu seinem Tode jedes Jahr einmal. Immer an seinem Geburtstag…
    Unsere Reise durch Argentinien beginnt in Buenos Aires und wird auch hier enden. Ich freue mich schon, wenn wir in 3 Wochen wieder hier sein dürfen...
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