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  • Day 70

    Alles wird gut in Hokitika

    March 8, 2019 in New Zealand ⋅ ⛅ 18 °C

    Es regent die ganze Nacht in Strömen und die Luft kühlt stark ab. Draußen ist es so dunkel, dass ich keine 2 Meter aus meinem kleinen Campervan-Fenster blicken kann. Eine etwas beklemmende Atmosphäre. Für einen Moment muss ich an die Erdrutsche denken, die letzte Woche in dieser Region aufgrund des starken Regenfalls stattgefunden haben und einige Straßen versperrt haben. „Hoffentlich komme ich hier morgen wieder gut weg...“ denke ich. Erstmal bin ich froh jetzt nicht in irgend einem Zelt zu liegen und in meine beiden Decken eingewickelt zu sein. Und ich schlafe gar nicht mal allzu schlecht, denn der prasselnde Regen wirkt irgendwie auch angenehm hypnotisierend.

    Ich wache früh auf und wage ein paar Schritte vor meinen Camper. Der Regen hat zum Glück endlich aufgehört. Die Luft ist feucht, frisch und belebend. Die Landschaft wolkenverhangen. An diesem Morgen hätte ich noch nicht im Kühnsten erahnen können, dass ich am Abend den spektakulärsten Sonnenuntergang meiner Reise sehen werde. Aber jetzt hält mich erstmal nicht viel in dieser Einöde und ich begebe mich direkt auf den Weg nach Arthur Pass, einem kleinen Ort auf 900m, der Ausgangspunkt für viele Wanderungen in den Bergen darstellt. „Zurück in die Zivilisation“ denke ich und hoffe darauf dort auch wieder mit Empfang zu haben. Und tatsächlich leuchten etwa 30 Minuten später die Balken wieder in schönem grün auf und ich kann Susi endlich ein Lebenszeichen geben. Ich nehme ein kleines Frühstück zu mir und entwickele so langsam wieder Lust auf die Weiterreise. Wäre da nicht noch dieser defekte Gaskocher, der mich gestern um ein schönes warmes Getränk gebracht hat. Aber dazu später mehr...

    Ich nutze die frische Luft und mache zwei kleinere Tracks zu einem hohen Wasserfall. Schön anzusehen, insbesondere weil er durch die Regenfälle der letzten Tage gut gespeist wurde. Einen Teil des Weges laufe ich spontan mit einem Engländer in meinem Alter, der ebenfalls allein unterwegs ist und seine Frau in der grauen Heimat gelassen hat. Alleine zu reisen scheint also durchaus keine Ausnahme zu sein, auch für Paare...

    Gegen Mittag überquere ich dann den Pass und die Straßen führen mich durch Landschaften, wie wir sie aus unseren geliebten Alpen in Österreich kennen. Die gelben langen Gräser haben ich inzwischen wieder in grüne Wiesen verwandelt, auf den hier und da Kuhherden friedlich grasen. An den Seiten des Tals wachsen hohe steile, nur schwach begrünte Berge in den Himmel. Diese Landschaft durchfahre ich noch etwa 50 km, dann plötzlich verlasse ich die Berglandschaft und hinter der nächsten Kurve erblicke ich auf einmal wie aus dem Nichts die Wellen der Tasmanische See. Ich habe die Westküste erreicht. Es verwundert mich immer wieder, wie schnell sich hier die Landschaften innerhalb kurzer Strecken verändern können. Wenn man ein paar Stunden in Neuseeland mit dem Auto unterwegs ist kann man durchaus ohne Probleme Gletscher, steinige Berge, sanfte Hügellandschaften, flache Täler, endlose Kiesstrände und schroffe Steilküsten sehen. Ähnlich verhält es sich mit der Vegetation: noch eben denke ich in einem schönen deutsche Laubwald unterwegs zu sein, dann wenig später laufe ich durch regenwaldähnliche Gewächse, suche Schatten unter Palmen oder erblicke dichte Teebaum-Wälder wie in Australien. Langweilig wird es hier wirklich nicht...

    Gegen frühen Nachmittag erreiche ich Hokitika, eine schöne schnuckelige Küstenstadt mit reichlich Kunsthandwerk, insbesondere auch bekannt für seine Kunstwerke aus dem schönen grünen Jadestein, der in dieser Region zu finden ist. Bevor ich mich hier aber auf Entdeckungsreise machen kann, will ich erstmal das lästige Gaskocher-Problem lösen. Ein Anruf bei der Mietgesellschaft hilft mir nicht wirklich weiter. Sie übernehmen gerne die Kosten für die Nachfüllung oder Austausch der Flasche, aber ich solle mich mal bei den Locals durchfragen, wo mir geholfen werden kann. Eine Rückfahrt zur Mietgesellschaft ist auch absolut keine Option für mich, da mich das mindestens einen Tag kosten würde. Ich versuche also erstmal mein Glück bei einem Angestellten meines heutigen Campingplatzes, der mich zumindest an eine Tankstelle verweisen kann, bei der ich Gas nachfüllen lassen kann. Ich mache mich also zuversichtlich auf den Weg zu Tankstelle. Hier scheitert man aber beim Nachfüllen. „Die Flasche ist randvoll“ heißt es. Fragezeichen schwirren in meinem Kopf. Was nun? Ich beschließe nochmal zum Camping Platz zurückzufahren und mit dem Angestellten zu sprechen. Vielleicht hab ich einfach irgend einen dummen Bedienfehler gemacht, der einem zweiten auffällt. Fehlanzeige. Daran liegt es nicht. Auch der Angestellte bekommt den Kocher nicht zum Laufen. Endlich macht sich meine Experimentierfreudigkeit als Physiker bezahlt und ich beginne eine systematische Fehlersuche. Ich lasse mir am Camping Platz eine andere Gasflasche zur Probe geben und siehe da: Der Gaskocher funktioniert. Es liegt also definitiv an der Gasflasche. Der Angestellte vermutet, dass an der Tankstelle ein Fehler gemacht wurde und die Flasche doch leer sei. Ich also wieder zurück zur Tankstelle, um dem Personal dort die Situation zu schildern. Zum Glück sind diese sehr freundlich und hilfsbereit und wir versuchen erneut die Befüllung, diesmal in meinem Beisein. Hilft aber nichts, die Flasche ist tatsächlich voll. Nach etwas hin-und herschreiben erkennen wir, dass das Ventil der Gasflasche defekt ist und sich nicht mehr öffnen lässt. Okay, also Gasflasche austauschen, aber wo? Ich frage an der Tankstelle nach. Der freundliche Inder teilt mir jedoch mit, dass sie leider keine Gasflaschen in dieser Größe verkaufen und er auch sicher ist, dass ich sonst in Hokitita keine kaufen kann. Verdammt!!! Beim Verlassen der Tankstelle starte ich noch einen letzten Versuch und spreche noch einen weiteren Angestellten an. Irgendwie hatte ich ein merkwürdiges Gefühl bei der ersten Auskunft und meine mich zu erinnern, dass Inder lieber eine falsche Antwort geben anstatt einzugestehen, die Antwort nicht zu kennen. Meine Hartnäckigkeit macht sich bezahlt. Siehe da, der zweite Angestellte nennt mir einen Baumarkt eine Straße weiter, die Gasflaschen verkaufen. Glücklich und in meiner Hartnäckigkeit bestätigt ziehe ich also zum Baumarkt weiter. Ja, hier verkaufen sie Gasflaschen und ich bekomme eine Auswahl demonstriert. Aber alle zu groß... Andere haben sie leider nicht. „Ich glaub ich spinne...“ Dann erblicke ich in einem Regal in der hinteren Ladenecke doch noch kleinere Gasflaschen. „Was ist denn mit denen?“ frage ich. „Ja, die könne ich natürlich auch kaufen.“ Innerliches Kopfschütteln. Aber ich bin zu Geschäft, um mich aufzuregen und zu glücklich, endlich fündig geworden zu sein. Gasflasche gekauft, zurück zur Tankstelle, auffüllen lassen, wieder eingebaut und... die Flamme lodert 😀 Endlich bin ich wirklich voll ausgerüstet und muss mich die nächsten Tage nicht nur von kaltem Wasser und Brot ernähren.

    Ich lächele wie ein Honigkuchenpferd und kann mich endlich auf die Reise an sich konzentrieren. Ich nutze den verbleibenden Tag, um das schöne Hokitika per Fuß zu erkunden, entlang alter historischer Gebäude zu schlendern und entlang des schönen grauen Strandes entlangzuspazieren. Das Wasser ist rauh, die Luft vom Wasserdunst getränkt, grauer Sand, graues Wasser und grauer Himmel gehen nahezu nahtlos ohne klare Grenze ineinander über. Eine tolle Atmosphäre. Am Strand sind Unmengen an Treibholz angeschwemmt, die von Besuchern und Künstlern verwendet wurden, um Skulpturen und kleine Kunstwerke zu errichten. Ich fühle mich wie in einem wilden Freiluftmuseum und kann den Fotoapparat kaum aus der Hand legen. Ich hatte keine Ahnung, was mich in Hokitika erwartet und habe es einfach mal auf mich zukommen lassen. Ich werde absolut positiv überrascht.

    Als am Abend die Sonne beginnt, sich langsam zu senken und das Wetter ideal für einen beeindruckenden Sonnenuntergang aussieht, beschließe ich, nochmal in meinen Campervan zu springen und die ca. 15 Minuten vom Campingplatz zum Strand zu fahren. Der Aufwand erweist sich als mehr als lohnenswert. Was ich an diesem Abend zu sehen bekomme, ist einer der schönsten Sonnenuntergänge, die ich auf dieser Reise oder vielleicht insgesamt überhaupt gesehen habe. Entlang eines groben Steinwalls haben bereits viele Zuschauer ein Plätzchen gefunden und nehmen das farbige Spektakel sprachlos wahr. Am dunklen Strand glitzern tausende flache Steine wie Diamanten im Sonnenlicht, das Meer wirkt wie flüssiges Gold und spiegeln die flach am Horizont stehende Sonne, ein dichter Wolkenteppich drückt den Himmel dramatisch in Richtung Boden, das wilde Meer rauscht ohrenbetäubend, der aufsteigende Wasserdampf schafft eine mystische Atmosphäre, Seemöwen tapsen durch den feuchten Sand auf der Suche nach einem Leckerbissen oder kreisen in den letzten Sonnenstrahlen. Für einen Moment werde ich zutiefst von dieser unglaublichen Atmosphäre erfasst und meine Augen werden. Schade, dass ich diesen Moment jetzt nicht mit Susi teilen kann 😔 Nach dem gestrigen trüben und eher niederschlagenden Tag, ist dieser Anblick ein absolutes Geschenk des Himmels, dass ich am liebsten für immer festhalten würde...
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