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  • Day 3

    Folklore am Rabenkopf

    September 4, 2022 in Germany ⋅ ⛅ 23 °C

    Unterschätze mir die Kleinen nicht! Eine Erfahrung die ich heute machen musste. Schaut man von Benediktbeuern auf die Alpenkulisse, fällt dieser bewaldete „Winzling“ Namens Rabenkopf (1.559 m) zwischen Jochberg und Benediktenwand gelegen, zunächst gar nicht weiter auf. Dass die Besteigung dieses "Hügels" mehr als ein großer Spaziergang werden würde war klar, aber was ich dann insbesondere auf den letzten 200 Höhenmeter durchleben sollte, hatte ich so nicht erwartet.

    Los geht’s vom Wanderparkplatz im Kocheler Ortsteil Pessenbach. In etwas über einer Stunde führt ein unspektakulärer Waldweg hinauf zur wunderbar gelegenen Orterer Alm. Der Streckenbelag wird dabei zusehends grobfelsiger und unangenehm zu begehen. Auf der Alm angekommen ordere ich Erfrischung in Form einer kühlen Johannisbeerschorle und lasse es mir auf der letzten übrig gebliebenen Schattenbank gut gehen. Das Essensangebot beschränkt sich auf Marmorkuchen und so entscheide ich mich mit der Nahrungsaufnahme bis zum Rabenkopfgipfel zu warten. Großer Fehler!

    Ich sitze gerade ein paar Minuten, da gesellt sich ein etwa gleichaltriger Mountainbiker zu mir auf die Bank. Die Almwirtin kommt, reicht ihm die bestellte Erfrischung, er kramt ein Buch aus seinem Rucksack und beginnt darin zu lesen. Ich überlege derweil welchen Weg zum Gipfel ich von hier einschlagen soll. Da ich zuvor mitbekommen hatte, dass es sich bei meinem Banknachbarn um einen Einheimischen oder zumindest Ortskundigen handeln muss, nehme ich mein Herz in die Hand und spreche den hochkonzentriert in sein Buch vertieften Bayern an.

    Der reagiert alles andere als grantig, muss aber auf meine Frage nach dem besten Weg auch passen. Jetzt traue ich mich was und haue BonnGiorno’s und meinen Lieblingsspruch in solchen Situationen raus: „Frage nie einen Einheimischen nach dem Weg!“ Er lacht und bestätigt mir, schon häufig genug die gleichen Erfahrungen auf Reisen gemacht zu haben. Er verrät mir etwas südlich von München sehr ländlich zu wohnen, dass er schon oft hier hochgekommen ist, aber dass es mit dem Rad nie weiter als bis zur Alm geht. Nachdem ich später den Gipfel erklommen habe, wird mir auch klar warum. Nun entwickelt sich ein kurzweiliges Gespräch über seine und meine Heimat, die Liebe zur Natur und die Geschehnisse unserer Zeit. Halt Gschichten, nicht aus dem Paulanergarten, sondern von der Orterer Alm. Irgendwann bemerke ich das ich schon viel zu lange hier sitze und verabschiede mich.

    Während der Zeit auf der Alm beobachtete ich wie Wanderer am Rande der Wiese einen Pfad steil hoch oder runter gingen. Diesen schlage ich nun ein und erreiche eine halbe Stunde später das große Kreuz mit schöner Aussicht auf dem Pessenbacher Schneid. Von hier führen nun 2 Wege auf den Rabenkopf. Ich behalte mir die Normaltroute für den Rückweg auf und schlage den Pfad über die Bergwachthütte steil hinauf zum Schwarzeck ein. Nach etwa 300 Metern merke ich wie meine Kraftreserven mich verlassen. Der Magen grummelt, die Beine zittern. Zum ersten Mal auf einer Wanderung mache ich Erfahrung mit einem Hungerast. Ein kurz hinter mir gehendes Paar mit zwei Hunden lasse ich vorbei, dann nix wie runter mit dem Rucksack. Seit dem Frühstück hatte ich nichts mehr gegessen und mittlerweile ging es auf 14:00 Uhr zu. Einen Riegel, eine Nektarine, etwas Trockenobst, ein kräftiger Schluck Wasser und einen längeren Moment ausruhen. Puuh! 🥵

    Dann geht es weiter, steil und immer steiler. Freiliegende Wurzeln dienen als Stufen und je näher ich dem Schwarzeck komme, desto ausgesetzter werden die Felsabschnitte. Das Trittmaß erreicht zeitweise Dimensionen eines halben Spagats und Stahlseile als Aufstiegshilfe sind Mangelware. Schließlich schaffe ich es dann doch hoch und lasse während ich das Video drehe erstmal meine Beine auszittern. So langsam kehrt die Kraft zurück. Die letzten 30 Höhenmeter wuchte ich mich problemlos über teils Seilversicherte Abschnitte hoch. Der kleine aber stolze Rabenkopf ist erklommen. Hallelujah! 😇😁

    Auf dem schmalen und Felszerklüftetem Gipfel befinden sich außer mir nur eine Handvoll Wanderer, u.a das Paar was mich zuvor überholt hatte. Ein Hoch auf die Gipfel, die nicht von Bergbahnen erschlossen sind! 👍 Die Aussicht ist wieder grandios, auch wenn der Walchensee von den höheren Nachbargipfeln verdeckt bleibt. Dafür ist heute sogar der Ammersee, 20 km westlich des Starnberger Sees zu erkennen und natürlich auch Kochel- und Staffelsee. In einem Kasten am Gipfelkreuz finde ich das extra für mich neu ausgelegte Gipfelbuch. Die Damen und Herren vom Gebirgs- Trachten- Erhaltungsverein waren wohl erst ein paar Stunden zuvor hier oben. Wer wissen möchte was ich da reingeschrieben habe, möge zeitnah dort vorbeischauen. Die Bücher scheinen sehr beliebt zu sein. 😄

    Plötzlich dringt von irgendwo gut hörbar Blechbläsersound ans Ohr. Zwei Madln fragen einen Buabn wo denn hier die Musi spuit? Jetzt wird’s auch noch zünftig! Eine gute halbe Stunde halte ich mich noch auf, dann geht es über die Normalroute wieder langsam runter vom Berg! Während im Abstieg die bewirtete Staffelalm ins Blickfeld rückt, erkenne ich viel weiter unten noch einen weiteren Hof. Dort herrscht reges Treiben und jetzt ist auch klar wo die Krachledernen Stimmungsmacher ihr Werk verrichten. Ein aus tiefer Brust erzeugter Jodler hallt durch die Berge und setzt dem folkloristischen Treiben das Sahnehäubchen auf. Das Auslegen eines neuen Gipfelbuches scheint offensichtlich ein besonderes Happening zu sein!? 😂 🤣 Heute aber kann mich nix mehr erschüttern!

    An der sehr idyllisch gelegenen Staffelalm mache ich lediglich Fotos, da ich mich auf dem Rabenkopf ausreichend gestärkt hatte. Sensationelle Pfade mit Wiesenreichen Ausblicken führen nun zurück zum Pessenbacher Schneid. Von hier geht es dann wieder zur Orterer Alm und über die bekannten, insbesondere Bergab sehr unangenehm zu laufende Schwerschotterpisten zurück ins Tal. Eine sehr anstrengende, aber auch sehr schöne Bergwanderung ist Geschichte. Blauweißer hätte ich sie nicht malen können!
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