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  • Day 8

    Estella - Los Arcos (~21km)

    March 22, 2022 in Spain ⋅ 🌬 7 °C

    Das lange Schlafen alleine in einem Raum hat gut getan. Ich nutze den Platz, um meinen Rucksack wieder ordentlich zu packen und dehne mich auch noch ein bisschen, denn den Rücken merke ich langsam auch. Meine Ferse fühlt sich ein wenig besser als gestern an, aber anscheinend bin ich irgendwie in Schonhaltung gelaufen, denn es zieht nun ein bisschen im Unterschenkel. Vorsichtig optimistisch starte ich um 20 vor 8. Falls es nicht geht, gibt es nach etwa 9 km eine Unterkunft und einen Ort, der auch groß genug für eine Bushaltestelle sein sollte. Ich werde es langsam angehen und schauen, wie es sich entwickelt.
    Kurz nach 8 erreiche ich auf jeden Fall den berühmten Weinbrunnen von Irache, an dem es einen Hahn für Wein und einen für Wasser gibt. Ich probiere ein bisschen von dem Wein, der aber wie erwartet nicht besonders gut schmeckt. Da aber jeden Tag bis zu 100 Litern von Pilgern gezapft werden können, habe ich auch nichts herausragendes erwartet und fülle meine Flasche lieber mit Wasser.

    An der nächsten Abzweigung holt mich Marc ein. Hier gibt es zwei Alternativen nach Los Arcos, eine ist einen km kürzer, aber mit mehr Höhenmetern und ohne Orte für eine Pause. Ich entscheide mich für die andere, da ich ja noch nicht weiß, wie weit ich heute komme und extra Höhenmeter sowieso nicht in Frage kommen und auch Marc nimmt diesen Weg, zieht mir aber schnell davon. Bald überholt mich Max und sagt, er habe gehört, dass ich gestern einen Ort früher aufgehört habe. Ich erzähle ihm, dass ich doch weitergelaufen bin, freue mich aber, dass die anderen wohl an mich gedacht haben. Max plant, bis nach Los Arcos zu gehen, ich treffe ihn aber nicht mehr und auch sonst überholt mich heute niemand, den ich kenne. Ob die alle den anderen Weg genommen haben?

    Es geht zwar einige Anstiege hoch, aber wenn ich mal im Laufen bin, geht es eigentlich ganz gut. Nur die ersten Meter nach einer Pause merke ich meine Beine und Füße stark. Leider fängt es bald wieder an zu regnen und ich ziehe meinen Poncho drüber. Da es heute auch extrem windig ist, ist das kein leichtes Unterfangen und er fliegt mir mehrmals von hinten wieder über den Kopf. Zum Glück regnet es immer nur ein bisschen mit vielen Unterbrechungen, bleibt aber den ganzen Tag grau und stürmisch.

    Bereits um halb 11 erreiche ich die Spitze des heutigen Berges und den Ort, den ich mir als alternatives Ziel überlegt hatte. Halb 11 ist definitiv zu früh, um den Tag zu beenden, die Albergue macht auch erst in ein paar Stunden auf und es geht besser, als ich erwartet habe. Ich mache trotzdem eine Pause in der offenen Bar am Ort und gönne mir ein Bocadillo und einen Café con leche. Um 11 mache ich mich wieder auf den Weg. Leider sind es bis zur nächsten Stopmöglichkeit noch gut 12 km, aber es geht nur bergab und ich sollte es auch in meinem langsamen Tempo in gut 4 Stunden schaffen. Das Wetter ist zwar schlecht, aber die Landschaft trotzdem schön und ich bin ganz für mich allein. Wirklich seltsam, dass ich niemanden treffe, ob sie alle vorbeigezogen sind als ich in der Bar war oder extrem früh und schnell gelaufen sind?

    Nach 1.5 Stunden nimmt meine Laune merklich ab. Es stürmt so stark, dass ich mich richtig gegen den Wind lehnen muss, der dauernd von der Seite kommt, außerdem gibt es wirklich keine Gelegenheit, mal eine Pause zu machen und mit der Kapuze des Ponchos sehe ich auch immer nur das Stück direkt vor mir. Ich möchte einen windgeschützten Sitzplatz, um mal wenigstens ein paar Minuten die Füße zu entlasten. Und wenn wir schon dabei sind, was warmes zu trinken!

    Irgendwie scheint der Draht nach oben auf dem Camino wirklich kürzer zu sein, denn nach der nächsten Kurve stolpere ich beinah über ein Schild, das eine "Pilgrims Oasis" und warme Getränke in 150m verspricht. Ich bin irritiert, aber "the Camino provides" wie es so schön heißt und tatsächlich steht da ein Food Truck mit ein paar Paletten und Campingstühlen zum Sitzen, der Tee, Kaffee, heiße Suppe, kalte Getränke und Süßigkeiten im Angebot hat. Außer mir sind bereits 3 andere Pilger dort und ich gönne mir einen heißen Tee. Der Besitzer des Wagens erzählt, dass er von einer christlichen Organisation aus den Staaten ist, ebenso wie das Mädchen, das gerade einen Freiwilligendienst dort absolviert. Er hat ein paar Jahre immer mal wieder in Alberguen und dem Foodtruck ausgeholfen und als die ehemaligen Besitzer sich vor 4 Jahren zur Ruhe gesetzt haben, haben er und seine Frau den Wagen übernommen. Er meint, dass es wichtig sei, den Pilgern sowohl für Körper und Seele etwas anzubieten und dass das für ihn gelebte Nächstenliebe sei. Ich bin auf jeden Fall froh, dass sie hier Mitten im Nirgendwo stehen. Als wir alle wieder aufbrechen, gibt uns der Mann noch seinen Segen.

    Nach der Pause laufe ich mit richtig guter Laune weiter. Obwohl das Wetter mies ist und ich den Fuß spüre, macht es einfach Spaß. Ich habe nun für ein Stück Rückenwind und irgendwie kommt mir das Lied "Möge die Straße" in den Sinn, das einfach so gut passt (obwohl ich den warmen Sonnenschein in meinem Gesicht dem nicht so sanften Regen auf den Feldern vorziehen würde. Da ich mich gerade wirklich gut fühle und vor und hinter mir niemand zu sehen ist, singe ich laut vor mich hin und komme schneller voran als gedacht. 3km vor dem Ziel gibt es sogar nochmal eine Bank und ich kann mich etwas ausruhen, bevor ich das letzte Stück leider wieder mit Gegenwind in Angriff nehme.

    Bereits um Viertel nach 2 erreiche ich Los Arcos und entscheide mich für die Herberge, die mir Olivier vor ein paar Tagen empfohlen hat, weil es dort deutsches Bier gäbe. Das brauche ich zwar gerade nicht, aber die Herberge entpuppt sich trotzdem als Glückstreffer. Heiße Duschen mit genug Wasserdruck zum Haare waschen und einen Aufenthaltsraum mit Kamin. Außerdem werden Massagen auf Spendenbasis angeboten, aber ob ich das möchte, weiß ich noch nicht. Ich bekomme sogar noch ein unteres Bett, das eine der wenigen Steckdosen direkt neben dran hat. Was für ein Glückstag! Außer mir sind nicht viele Pilger hier und bis auf den älteren Spanier, dessen Namen ich vergessen habe, kenne ich keinen.

    Kurz nach mir kommt ein deutsches Paar an. Gerade als ich aus der Dusche komme, kommt die Frau rein und motzt auf Deutsch vor sich hin. Ich sage ihr, dass zumindest die Dusche super ist, um sie aufzumuntern und deutlich zu machen, dass ich sie verstehe, falls sie nur für sich alleine sich mal Luft machen wollte. Anscheinend nicht, denn sie motzt weiter, warum man sich das überhaupt antut und dass sie jetzt auch noch ein oberes Bett hat. Zurück im Schlafsaal mosert sie weiter vor sich hin und schielt mehrfach zu mir rüber. Sie spricht mich aber nicht direkt an und so biete ich sicher nicht an, die Betten zu tauschen, zumal ihr Mann anscheinend unten schläft. Mit dem habe ich ein bisschen Mitleid, denn er gibt sich Mühe, sie aufzumuntern und plant die nächsten Etappen, sie will aber ganz eindeutig einfach schlechte Laune haben. Mir tun beide leid, denn auf diese Weise werden sie an der Reise beide keinen Spaß haben. Sie machen aber den Eindruck, als ob sie noch nicht solange unterwegs sind und ich hoffe für sie, dass es die nächsten Tage schöner wird.

    Ich genieße erst mal noch ein bisschen das Kaminfeuer und wenn es später nicht mehr regnet, werde ich einkaufen und auch neue Blasenpflaster besorgen und mal schauen, wie es meinen Füßen geht.
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