• Michael-wandert
May – Sep 2014

E1-Deutschland.Nord

Meine Wanderreise auf dem E1 beginnt in Hamburg. Zunächst geht es nach Flensburg, dann Richtung Süden bis kurz vor das Steinhuder Meer.
E1-Tag 1-15, 14 Tagestouren, 456km
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  • Trip start
    May 9, 2014
    Die Original-Route des E1 durch Deutschland - 1.900 km

    Der Weg durch Deutschland

    May 8, 2014 in Germany ⋅ ⛅ 10 °C

    Die geografische Nord-Süd Ausdehnung Deutschlands beträgt etwa 900 km. Der deutsche Teil des E1 startet an der dänischen Grenze in Flensburg und endet in Konstanz am Bodensee an der Schweizer Grenze. Die E1-Route ist mit 1.900 Kilometern mehr als doppelt so lang wie die geografische Ausdehnung. Das liegt daran, dass der Fernwanderweg - wann immer möglich - regionale Wanderwege benutzt, die den Wanderer an möglichst vielen Hotspots vorbei führt. Das ist dann eben auch mal mit Umwegen verbunden.
    Drei Jahre (2014 bis 2016) war ich auf dem E1 durch Deutschland unterwegs. Für die 1.700km brauchte ich 72 Tage. Dabei ließ ich ein paar Schlenker aus, die sich der E1 hier und da gönnt und sparte so um die zweihundert Wegekilometer ein.
    Trotz hoher Bevölkerungsdichte und vieler Agrarflächen gibt es in Deutschland erstaunlich viel Wald, durch die der E1 auf gut markierten Wanderwegen führt. Auch wenn gelegentlich lärmige Straßen nerven, kann man doch auch in Stille wandern. Die Annehmlichkeiten der Zivilisation sind nie weit entfernt, was ich als sehr beruhigend empfand.

    zur Komoot Collection:
    https://www.komoot.de/collection/893555
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  • Die erste Pause verbringe ich auf einem Spielplatz
    Eine Brücke im Raakmoor im Norden von Hamburgwas will mir die Fledermaus wohl mitteilen?

    E1-001-D-Norderstedt (24 km)

    May 9, 2014 in Germany ⋅ 🌧 13 °C

    Antworten stehen am Ende, nicht am Anfang unseres Weges

    Es ist Anfang Mai, das Wetter kalt und regnerisch. Ich stehe auf der Straße vor meiner Wohnung, mache einen ersten Schritt. Den Ersten von Tausenden, die hoffentlich folgen werden. Mir fällt das Sprichwort ein: "auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt".
    Soll ich wirklich los gehen? Was bürde ich mir auf? Was erwartet mich? Was wird der Weg mit mir machen? Solche Fragen beschäftigen mich während der ersten Schritte.
    Am Anfang einer Wanderung stehen stets Fragen, doch Antworten findet man erst am Ende einer Reise.
    Also geh los! Jetzt! Michael wandert.
    Die heutige Route hatte ich schon Tage zuvor am Computer mit der Outdoor-Software Komoot vorbereitet. Das ging einfach, die Software hat fast alles von alleine gemacht. Ich brauchte nur Start und Ziel einzugeben und schon schlug mir die Anwendung eine Route vor.
    Dieser folge ich nun, mein Smartphone weist mir mittels der Komoot-App die Richtung. Es soll durch den Stadtpark gehen. Ich bin noch auf bekanntem Gelände, aber der Weg, den Komoot vorschlägt, ist schon neu für mich.
    Nach dem Stadtpark folgt die City Nord, der Weg schlängelt sich auf einem Grünstreifen durch riesige Gebäudekomplexe hindurch. Es folgt der Ohlstorfer Friedhof, Europas größter Friedhof. Durch den südlichen Eingang gelange ich hinein, aber auf der anderen Seite finde ich nicht wieder heraus. Endlich kann ich durch eine Pforte schlüpfen. Danach quere ich die Alster, folge dem schönen Alsterwanderweg, strebe immer weiter Richtung Norden.
    Es beginnt zu regnen.
    Eine kleine Hütte auf einem Spielplatz, eigentlich nur ein Dach auf Stelzen, lädt zur Pause ein. Warum nicht? Ich bin schon eine ganze Weile unterwegs und der Regen wird immer heftiger. So schlüpfe ich hinein und strecke mich aus. Hier ist es zwar trocken, aber auch zugig. Schnell wird mir kalt. Um mich abzulenken, betrachte ich den Nebel, der beim Ausatmen meinem Mund entweicht. Es macht dösig. Ich schlafe ein. Als ich wieder erwache, hat der Regen aufgehört. Wie lange habe ich wohl hier gelegen? Ich weiß es nicht. Die Pause hat mich erfrischt und jetzt habe ich Hunger. Verpflegung habe ich nicht dabei. Bis zum nächsten Café ist es nicht weit, dort gibt es Kaffee und Kuchen. Es schmeckt mir herrlich nach der vielen frischen Luft. Durch die Fenster sehe ich, dass es wieder regnet. Was für ein Glück ich doch habe, ein zweites Mal im Trocknen zu sitzen!
    Gut gestärkt geht es weiter.
    Vor mir liegt das Raakmoor. Hier weiche ich vom geplanten Pfad ab, denn in diesem Naturschutzgebiet war ich schon ein paar Mal. Das nimmt mir das Komoot-Programm übel, denn es stürzt ab - und zwar richtig! Das Smartphone fährt vollständig herunter. Was habe ich falsch gemacht? Vielleicht die Karte zu oft hin und her gezoomt? Keine Ahnung, ich weiß es nicht. Als die App wieder bereit ist, fehlt die geplante Route und die App stürzt wieder ab. Glücklicherweise habe ich die restliche Strecke ungefähr im Kopf, so daß ich den Weg vermutlich auch ohne Unterstützung finden werde. Ich lasse die App in Ruhe und freue mich, dass der Weg wenigstens weiter aufgezeichnet wird.
    Bald liegt das Rackmoor hinter mir, der Weg schlängelt sich nun durch eine kleine Wohnstraße mit Einfamilienhaus-Bebauung, kreuzt bald darauf die Segeberger Chaussee. Immer weiter geht es Richtung Norden, bis ich Norderstedt erreiche. Der Weg führt nun durch einen Park, durch den sich die Tarpenbek windet. An ihrem Ufer steht eine Skulptur, die mir Rätsel aufgibt. Was will mir die hängende Fledermaus sagen? Gibt es hier in diesem Park etwa Fledermäuse? Ich kann keine entdecken.
    Ich erreiche den Bahnhof von Norderstedt, mein heutiges Ziel. Es reicht mir jetzt auch, für einen ungeübten Wanderer ist es ein langes Stück Weg gewesen. Erschöpft besteige ich die U1, um nach Hamburg zurück zu fahren. Während der Fahrt komme ich an Stellen vorbei, an denen ich wenige Stunden zuvor gewandert bin. Wie schnell brause ich nun in umgekehrter Richtung an ihnen vorbei! Die Rückfahrt dauert eine Stunde, zu Fuß habe ich viermal so lange gebraucht.
    Erst zu Hause merke ich, wie müde ich bin. Der erste Wandertag hat mich geschafft. Die Dusche braucht lange, um mich durchzuwärmen. Und doch freue ich mich schon sehr auf den nächsten Wandertag.
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  • Geregnet hat es heute nur für diese Drei

    E1-002-D-Kaltenkirchen (21 km)

    May 17, 2014 in Germany ⋅ ⛅ 20 °C

    Ich lerne das Wandern

    Ich bin zeitig unterwegs, es verspricht an diesem Samstag frühlingshaft warm zu werden.
    Beim Bäcker gegenüber der Bushaltestelle kaufe ich schnell noch ein Brötchen für später und ein Croissant für sofort, dann bringt mich der Bus zur U-Bahn und diese in einer knappen Stunde zum Bahnhof Norderstedt. Weiter geht es dort, wo die letzte Tour endete. Schnell geht es durch den Ort, noch schneller überquere ich eine laute Straße, dann umfängt mich der Wald und damit die Stille. Ich bin froh, dass der Weg im Schatten verläuft, denn es wird schnell warm. Das Blätterdach lässt hier und da breite Sonnenstrahlen zu mir durchdringen. Es scheint ein perfekter Frühlingstag zu werden und die Vögel finden das wohl auch.
    Drei Kilometer weiter ist der Zauber vorbei. Ich muss durch ein Gewerbegebiet, auf dem ein großes Umspannwerk steht. Keine schöne Gegend.
    Ich freue mich, wieder im Wald verschwinden zu können. Nun geht es an der Trasse der AKN-Bahn entlang. Hier werde ich wohl heute Abend mit dem Zug in entgegen gesetzter Richtung zurück nach Hamburg fahren. Den Gedanken wische ich beiseite, denn lieber möchte ich wandern. Immer weiter wandern. Vier Kilometer folgt der Weg den Schienen durch den dichten Wald. Doch kein einiger Zug rattert auf den Gleisen, auch begegnet mir kein anderer Mensch. Nur die zwitschernden Vögel sind um mich und tragen ihren Teil zu meiner entspannten Stimmung bei.
    Ich fühle mich rundherum wohl und glücklich hier, mitten im Wald.
    Auf einer Bank am Ortseingang von Henstedt-Ulzburg mache ich Rast. Das mitgeführte Wasser und das Brötchen schmecken viel köstlicher als zu Hause!
    Leider endet der Zauber bald. Sechs Kilometer geht es nun wieder durch ein Gewerbegebiet. Dieses ist sehr groß. Unternehmen jeder Branche haben sich hier angesiedelt. Hamburg quillt offenbar über seine Ränder, der Speckgürtel wird immer fetter.
    Nach einundzwanzig Kilometern erreiche ich Kaltenkirchen nach nur vier Stunden. Ich bin weder erschöpft noch sind die Beine müde. Heute könnte ich tatsächlich noch weiter gehen, so viel Lust bereitet mir das Wandern heute.
    Doch ich lasse es gut sein. Das Ziel ist erreicht.
    Im Bahnhofskiosk gönne ich mir einen Kaffee. Ein Brötchen dazu wäre fein, doch das gibt es nicht. Mit dem Heißgetränk in der Hand setze ich mich auf die Treppe, wo schon andere hocken, die sich mit Bier in der Hand lallend unterhalten, mit ihren Stimmen gegen plärrende Musik ankämpfen, die aus einem kleinen Radio dröhnt. Es ist vermutlich nicht das erste Bier, das sie genießen. „Jedem das Seine“, denke ich nur, trinke aus und sehe zu, dass ich mich trolle.
    Die AKN-Bahn nimmt mich mit und bald rumpelt sie an dem Waldstück vorbei, an dem ich heute morgen an den Schienen entlang ging. Während die Bahn vorbei zischt, bin ich in Gedanken.
    Ich bin gerade rechtzeitig zurück, um eine Verabredung für den Abend einzuhalten.
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  • Wandern bei strahlendem Frühlingswetter
    Flugbetrieb auf dem Flugplatz Hartenholm - direkt am Wanderwegein Riesenumweg wegen Wald- und Wildschutzfriedvolle Begegnung

    E1-003-D-Boostedt (36 km)

    May 25, 2014 in Germany ⋅ ⛅ 22 °C

    Umwege führen auch zum Ziel

    Es ist kurz nach 11 Uhr, als ich nach 2-stündiger Fahrt mit der AKN am Kaltenkirchener Bahnhof eintreffe. Bei strahlendem Sonnenschein und 20 Grad mache ich mich auf den Weg. Den Ort verlasse ich auf einer kleinen Landstraße, die zwar landschaftlich reizvoll, aber sehr befahren ist. „Autos sind furchtbar laut. Sie stören beim Wandern“, denke ich.
    Fünf Kilometern weiter erst kann ich in ein kleines Waldstück abbiegen. Der Straßenlärm verhallt bald. Stille, nur manchmal unterbrochen durch den Ruf eines Kuckucks. Mir fällt sofort der Sprichwort meines Vaters ein: "Hat man Geld in der Tasche, vermehrt es sich, wenn du den Ruf des Kuckucks hörst". Aber mein Portemonnaie ist im Rucksack verstaut. Pech. Aber was bedeutet schon Geld, wenn man wandern kann?
    Der Weg mündet in eine große Straße, die natürliche Stille wird erneut vom Lärm der Autos verdrängt. Komoot möchte mich über die Straße führen und wieder im Wald verschwinden. Doch das scheint mir ein Umweg zu sein, ich beschließe, nach links zu gehen und der Landstraße zu folgen. Doch bald muss ich erkennen, dass Komoot recht hatte. Es gibt weder Rad- noch Fußweg und ich muss am Rand der Straße entlang gehen. Komoot wiederholt immer wieder mit einprogrammierter Frauenstimme, die stets geduldig klingt: "bitte umkehren". Recht hat sie, denn hier ist das Laufen echt gefährlich, die Autos nehmen wenig Rücksicht auf mich und ein paar Mal muss ich sogar in den Graben springen. Hier hat ein Fußgänger nichts zu suchen und das zerrt an meinen Nerven. Komoot wiederholt eins ums andere Mal: "Bitte umkehren". Ich aber will nicht, bin auch schon viel zu weit auf der Straße gegangen, um zurück zu gehen. Außerdem kehrt ein Wanderer niemals um, basta! Endlich, nach einer gefühlten Unendlichkeit kann ich in in einen schmalen Feldweg ausweichen, der zu einem Gestüt führt. Schon bald ist der Stress mit der Straße vergessen. Es geht an einer Koppel vorbei, von der zwei Pferde herüber glotzen. Möchten sie von mir gestreichelt werden? Ich tue ihnen den Gefallen, dann geht es weiter. Irgendwann sagt die programmierte Stimme: "du bist zurück auf dem Weg."
    "Na, endlich, Else", entfährt es mir erleichtert. Ab jetzt soll die programmierte Stimme so heißen, beschließe ich spontan.
    Else wird mir hoffentlich auf vielen Touren eine treue Begleiterin und Wegweiserin sein.
    Ein schmaler Asphaltweg führt durch den Wald. Zeit für eine Pause, dieses Mal auf einem Holzstapel. Heute habe ich an Proviant gedacht. Aus meinem kleinen Rucksack fördere ich einen Müsliriegel und einen Apfel zu Tage. Der Riegel staubt etwas, der Apfel löscht dafür perfekt den Durst. Beides zusammen gibt die nötige Energie für die vielen Kilometer, die noch vor mir liegen.
    Ich höre Stimmen und ein komisches Knattern. Es kommt von oben, aber da ist nichts.
    Weiter. Ein spontaner Impuls lässt mich zum Sportflugplatz Hartenholm abbiegen, der eigentlich nicht auf der geplanten Strecke liegt. Es gibt dort bestimmt Spannendes zu beobachten - und tatsächlich - gerade landet ein Sportflugzeug dicht neben dem Wanderweg. Zwei andere starten kurz darauf. Kaum in der Luft, da landet ein Fallschirmspringer knatternd auf dem Flugfeld.
    Als weitere Fallschirmspringer mit munterem Geknatter landen, löst sich für mich das Rätsel, dass ich während der Pause noch nicht lösen konnte. Über mir müssen Fallschirmspringer gewesen sein. Während sie landen, rufen sich die Springer etwas zu und lachen. Es ist ganz schön was los hier. Befriedigt gehe ich weiter und finde, der Umweg hat sich gelohnt.
    Kurz hinter Weide, bei Kilometer 19, stoße ich auf ein kleines Bauernhofcafé. Ein Schild wirbt für Kaffee und selbst gebackenen Kuchen. Genau das Richtige im Moment. Es gibt noch einen sonnigen Platz auf der Terrasse. Hier will ich die müde gewordenen Beine ein Weilchen ausstrecken. Während ich Kaffee und Kuchen genieße, belauschen meine Ohren ein Gespräch am Nebentisch, wo es um Buchführung in der Landwirtschaft und die besonderen Probleme damit geht. Dinge, die für mich im Moment unglaublich weit weg sind.
    "Wie gut ich es doch habe, unbekümmert wandern zu können", denke ich.
    Mir fällt es schwer, den sonnigen Platz zu verlassen, doch es muss ja sein, ich will ja noch weiter. Bald darauf hat mich der Wald wieder in sich aufgenommen.
    Ein Schild weist in Richtung einer romantisch daliegenden Wiese und ich fühle mich versucht, ihm zu folgen. Manchmal muss man mal vom Weg abweichen, aber Else hält nichts davon. "Bitte umkehren", ist wieder ihr Kommentar. Ach, soll sie doch, der Weg ist so schön verschlungen, ich muss hier jetzt einfach mal lang gehen. Doch nach kurzer Strecke mündet er auf eine Straße, die zum Wildpark Eeckholt führt. Der liegt nun auch nicht gerade auf meinem Weg, aber hier muss ich jetzt lang.
    Auf einen Parkplatz stehen zahlreiche Autos von Touristen, die den Wildpark besuchen. Else möchte immer noch, dass ich umkehre, aber ich hege die Hoffnung, das sie bald einen Weg Richtung Norden anzeigt. Doch sie hat wieder Recht, denn hier gibt es keinen. Ich bin an den Rand eines Waldschutzgebiet geraten, dass die Wanderer durch einen Zaun von dem dahinter liegenden Gelände trennt. Es gibt keinen direkten Weg, sondern ich muss in einem großen Bogen drum herum gehen. Diesen Umweg habe ich mir selbst eingebrockt und Else ist vielleicht gar nicht so doof, wie ich dachte. Allerdings ist sie gerade sehr aufgeregt und gemahnt ununterbrochen zur Umkehr. Das muss sie sehr erhitzt haben, denn urplötzlich ist sie still. Else ist abgestürzt. Ob sie beleidigt ist, dass ich ihr nicht gefolgt bin? Wie ein bockiges Weib schweigt sie, ich kriege sie nicht mehr zum Laufen und in mir kriecht ein mulmiges Gefühl hoch. Was tun ohne sie? Was, wenn ich sie mir nun den Weg nicht mehr zeigt? Ich habe keine Karte dabei und ohne Wegweisung könnte ich mich nun verlaufen. Ich könnte Google Maps benutzen, aber das weißt Else zu verhindern, denn auf einmal lässt sie sich zumindest soweit überreden, meine Route zwischen bockigen Abstürzen immer mal wieder einzusehen, so dass ich mich orientieren kann.
    So nähere ich mich Stück für Stück der geplanten Route, die weiter nördlich liegt.
    Ich werde herausfinden müssen, warum Else bockig wird und abstürzt, sobald ich den geplanten Weg verlasse.
    Endlich bin ich zurück auf der Route. Else findet zu ihrer alten Form zurück und mag mir wieder den Weg weisen. Nun geht es mit ihrer Hilfe einen schmalen Wirtschaftsweg Richtung Norden entlang, durch das große Halloher Gehege. Hier ist wieder kein Mensch unterwegs. Die Stille, die mich umgibt, breitet sich in mir aus. Dazwischen mischen sich nur der Klang meiner Schritte und das Gezwitscher der Vögel von den hohen Bäumen. Lange Zeit wandere ich in mich gekehrt durch diese Stille, als es hinter mir rumpelt. Ein Geräusch, das hier definitiv nicht hingehört, lässt das Adrenalin in meine Adern schießen. Ich wende meinen Blick nach hinten und sehe ein sehr betagtes Auto langsam auf mich zurollen. „Ein Auto mitten im Wald gehört sich nicht“, befinde ich, „es stört die Ruhe und Unversehrtheit des Waldes“. Es stoppt ein paar dutzend Meter hinter mir, nur um gleich wieder anzufahren. Es bremst, fährt wieder an. Es wiederholt sich mehrere Male, dann stoppt das Auto direkt neben mir. Zwei dunkle Gesichter schauen mir aus dem Auto direkt ins Gesicht. In meiner linken Hand halte ich noch mein Smartphone, damit Else mir den Weg weisen kann. Ich beginne zu schwitzen, denn jetzt blicken auch die beiden Männer auf Else. "Werden sie jetzt aussteigen und es mir aus der Hand schlagen?", frage ich mich und weiche vermutlich gerade einen Schritt zurück. Furcht steigt in mir hoch.
    "Was könnte ich dann tun?"
    Man weiß ja nicht, was in einem einsamen Wald alles passieren kann. Ohne den Kopf zu wenden, halte ich nach einem Fluchtweg Ausschau. Doch die Kerle haben offenbar anderes im Sinn, denn sie setzen das alte Gefährt wieder in Bewegung und fahren, ohne mir weitere Beachtung zu schenken, vorbei. Dann bremst das Auto erneut ab, nur um sich gleich darauf wieder in Bewegung zu setzten. Glück gehabt! Was ist das nur für eine seltsame Begegnung gewesen. Während das Auto außer Sicht gerät, spüre ich, wie mir der Schweiß den Rücken herunter rinnt. Ich bin heilfroh, unbehelligt geblieben zu sein.
    Doch der Schrecken ist noch nicht zu Ende, denn da kommt der Wagen wieder zurück, stoppt vor mir, fährt gleich wieder an, stoppt noch einmal und fährt wieder im Schneckentempo an mir vorbei.
    Sprungbereit lasse ich sie durch. Nun ist das T-Shirt vollends nass geschwitzt. Ich hoffe, dass ich die beiden unheimlichen Gestalten nun los bin.
    Angst erschöpft, ich brauche dringend eine Erholungspause. Etwas Abseits des Weges finde ich eine Baumwurzel, auf der ich mich nieder lasse. Was ist noch drin im Rucksack? Och, nur noch ein Müsliriegel und ein weiterer Apfel.
    Gerade will ich den Vorfall vergessen, da kommt der Wagen schon wieder vorbei. Stoppen, langsames Rollen, stoppen, rollen, wie vorhin. Vermutlich suchen die dunklen Gestalten etwas, das sie nicht finden können. Wie gut, dass ich nun etwas abseits sitze. Trotzdem ist es mir unheimlich, ich packe meine Sachen und mache, dass ich weiter komme.
    Offenbar bin ich sie los geworden, sie tauchen nicht mehr auf.
    Nach einer Weile fällt die Angst von mir ab, ich kann wieder die Schönheit des Waldes genießen. Auf einer Lichtung steht ein Reh mit ihren zwei Kitzen. Ich bleibe stehen, wir beäugen uns gegenseitig, bis Mutter Reh auf langen Beinen ganz langsam davon stelzt, gefolgt von den Kleinen, die fast im hohen Gras versinken.
    Einige Kilometer später zieht ein Jogger an mir vorbei, seine Gegenwart signalisiert, dass der Wald bald zu Ende sein wird. Kurz darauf erreiche ich Boostedt. Die nächsten Kilometer ziehen sich endlos hin, doch irgendwann bin ich doch am Bahnhof. Der Zug kommt erst in vierzig Minuten, so setzte ich mich in das kleine Wartehäuschen. Ich bin froh, dass die Tour zu Ende ist und ich hier etwas ausruhen kann. Ich bin fix und fertig, der Rücken tut mir weh. Das war wohl etwas weit für meinen noch ungeübten Körper. Ich spüre jeden einzelnen Knochen. Gerne hätte ich mich weiter meinem Schmerz hingegeben, doch ein Mann setzt sich neben mich auf die Bank. Aus seinem Handy schallt laute Musik. "Warum benutzt er keine Kopfhörer?", denke ich bestürzt und will gerade anfangen zu meckern, da merke ich, dass seine Musik mir gute Laune macht. Das sage ich ihm auch und schon sind wir mittendrin in einem Gespräch. So erzählt er mir, dass er Gleisbauer ist. Er erzählt so spannend, euphorisch und unterhaltsam über seinen Beruf, dass unsere Wartezeit in Windeseile vergeht. Meine Rückenschmerzen vergehen gleich mit.
    Als der Zug einfährt, verabschieden wir uns, denn er wartet auf einen Zug in Gegenrichtung. Meine Zugfahrt von Boostedt nach Hamburg zieht sich, denn ich bin müde und erschöpft. Zwei Stunden später schließe ich endlich die Haustür auf, hole ein eiskaltes Bier aus dem Kühlschrank, öffne es mit einem lauten Plopp auf dem Balkon. Der erste Schluck ist immer der Beste. Von meinem Balkon kann ich weit schauen, mein Blick verliert sich in die Ferne, ohne etwas zu sehen. Ich träume vom Wandern. "Was ich heute alles erlebt habe", denke ich. Ein Grollen holt meine Gedanken zurück in die Gegenwart, in der gerade ein Blitz aus dunklen Wolken über die Stadt hinweg zuckt. Dann beginnt es zu regnen. Ein Unwetter ist aufgezogen und entlädt sich gerade über meiner schönen Stadt. Das schöne Wetter, das mich heute den ganzen Tag begleitet hat, ist zu Ende. Der schöne Wandertag ist es auch.
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  • Hinter Gadeland geht es offenbar ins Nirgendwo - und das ist mir gerade Recht
    am Rand des DosenmoorsGenau in der Mitte des Dosenmoors steht diese BankSchattige Pause am Einfelder SeeBordesholmer See

    E1-004-D-Bordesholm (32 km)

    June 9, 2014 in Germany ⋅ ⛅ 24 °C

    Ein langer Weg durch das Moor

    Pfingstmontag. Zwei Wochen sind seit der letzten Wanderung vergangen. Heute soll es warm werden, deshalb will ich früh los. Der Wecker klingelt um sieben Uhr. Das Müsli ist eilig gelöffelt, die Kaffeetasse bleibt halbvoll zurück. Nur raus, endlich raus, wieder unterwegs sein!
    Mit dem Auto fahre ich in einer Stunde nach Boostedt und setze die Wanderung genau dort fort, wo die letzte Etappe endete, wende mich gleich nach Norden und lasse den Ort rasch hinter mir. In der Feldmark höre ich den Kuckuck. Das Getreide steht höher als vor zwei Wochen. Es ist wunderbar, den stetigen Wandel der Natur hautnah mitzuerleben
    Jenseits der breiten, lärmenden Straße, die gerade den Feldweg kreuzt, lockt der stille Wald, doch dorthin darf ich nicht, denn er liegt im militärischen Sperrgebiet. Ich muss auf der Landstraße drum herum laufen. Autos fahren vorbei, machen tarak - tarak - tarak, während sie über Querrillen brettern. Es nervt. Tausend Meter weiter kann ich endlich seitlich in den Wald abtauchen. Auf einem Waldweg geht es nach Gadeland, dort vorbei an herausgeputzten Häusern mit gepflegten Vorgärten.
    Endlose Weite. Hier fährt kein Auto und kein Traktor. Kein Vogel zwitschert, keine Kuh muht. Totale Stille und mittendrin ich - der einzige, der hier Geräusche macht. Meine Wanderschuhe knarzen bei jedem Schritt. Das war mit bisher noch nicht aufgefallen. Das Gehen geht wie von selbst, die Augen heften sich auf das Nichts des Asphalts vor mir. Der Blick hat sich längst nach innen gewendet, die Gedanken aufgehört zu kreisen. Das alles ist angenehm.
    Mittag. Die Sonne brennt. Die Beine sind schwer, ein stilles Plätzchen der Ruhe muss her! Vielleicht in Tasdorf? Nein, nichts zum Ruhen dort, weiter. In Grossharrie gibt es ein Wartehäuschen aus Plastik, wenigstens Schatten. Ich hatte mir einen schöneren Platz gewünscht, doch ich nehme ihn an, verdrücke im Sitzen einen Energieriegel, schaue mit Hilfe des Smartphones, wie ich ins Dosenmoor komme. Zoome die Komoot-Karte groß und wieder klein, wieder groß und nochmals klein. Peng - der Bildschirm wird schwarz. Komoot ist abgestürzt.
    "Ach, Else! Nicht schon wieder!", rufe ich wütend, weil ich ahne, dass Else jetzt wieder zicken wird. Und dabei habe ich dieses Mal nicht die Route verlassen. Verstehe einer die Frauen! Auch wenn Else nur eine Computerfrau ist.
    Nun gut, ich habe die Route ungefähr im Kopf, lange genug habe ich an der heutigen Tour ja herum gefeilt.
    „Das müssen die von Komoot unbedingt anpassen“, grummele ich vor mich hin, während ich mich in Richtung Dosenmoor bewege.
    Doch ohne die Hilfe von Else läuft's nicht rund. Keine zweihundert Meter weiter bin ich schon vom Weg abgekommen. Zum Moor hätte ich eben abbiegen müssen. Zurück will ich aber nicht, also versuche ich es stattdessen einfach querfeldein. Ein Acker, auf dem Mais wächst, ist schließlich kein Hindernis, oder? Erst geht alles gut, dann steht ein hoher Knick im Weg. "Da muss ich durch!", sage ich zu mir selbst und das laut, während ich mich durch das die Büsche dränge. Scharfe Äste ritzen die Haut blutig, während Brennnessel an die Beinen brennen. Aua!
    Auf der anderen Seite: noch ein Maisfeld. Ich hüpfe über die Furchen. Anstrengend! Die Erkenntnis reift langsam, aber stetig, dass es einfacher gewesen wäre, zurück zu gehen und den richtigen Weg zu nehmen. Ich versuche mir einzureden, dass das hier eine Portion Extra-Abenteuer sei.
    Irgendwann stehe ich am Rand des Moors, zu erkennen an einem Hinweistafel, das informiert, dass vor wenigen hundert Jahren noch zehn Prozent der Fläche Schleswig Holsteins von Mooren bedeckt war, diese aber heute fast vollständig verschwunden sind, denn die Moore wurden abgetragen, der gewonnene Torf in Ermangelung anderer Brennstoffe verheizt.
    Dann geht es hinein in das weite Moor. Ganz wohl ist mir nicht dabei , es ist etwas unheimlich und auf einmal fühle ich mich alleine gelassen. Da passt es gut, dass von der anderen Seite des endlosen Moorwegs ein Wanderer entgegen kommt. Weit entfernt und noch ganz klein wird er beim Näherkommen langsam größer. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis wir uns begegnen.
    „Moin“. „Moin“. Mehr sagt man im Norden manchmal nicht.
    Die Bank in der Mitte des Moors kommt gerade recht, um eine Pause zu machen. Rucksack vom Rücken, Wanderschuhe von den Füßen, Wasserflasche an den Hals. Ah, hatte ich einen Durst! Heiß im Moor! Energieriegel fast flüssig, Finger ganz klebrig. Satt, aber nun müde. Die Augen fallen mir zu. Sonnenstrahlen kitzeln mich wach.
    "Wie herrlich das Leben doch ist", denke ich.
    Der Weg durch das Moor ist noch lang, mein Körper zerfließt allmählich in der Hitze. Dann irgendwann bin ich durch, habe Bahngleise und Uferstraße überquert, stehe am Einfelder See. Der Magen meldet: Hunger! Offenbar haben die Energieriegel nicht gereicht, der Körper benötigt wegen der Wärme offenbar mehr Energie als gewohnt. Für einen Moment lockt deshalb das noble Restaurant Schanze am See, doch dann es erscheint es mir zu gediegen für meinen rustikalen Wanderdress. Auch zieht es mich mehr zum herrlichen Sandstrand.
    Ich würde jetzt gerne ein Bad nehmen, doch der Griff in den Rucksack bringt nur die Erkenntnis, dass die Badehose nicht ist, wo sie sein sollte. Zu blöd! Ohne Hose kann ich hier nicht baden, ohne zum öffentliches Ärgernis zu werden.
    Der Schatten der Bäume auf den Rasen ist ein Stück weiter gezogen. Ich muss wohl eingenickt sein, fühle mich wieder frisch. Ich packe meine Sachen zusammen und folge dem Uferweg.
    Hinter der nächsten Biegung führt ein Trampelpfad zum Ufer, wo ich ein stilles Plätzchen finde. Hier sieht mich keiner. Also runter mit den Klamotten und ohne Badehose rein ins kühle Nass. Ah, wie erfrischend! Nach einer großen Runde durch den See kehre ich ans Ufer zurück, stehe nackt und tropfnass, auch ein wenig fröstelnd am Ufer, greife in den Rucksack - kein Handtuch. Ach man, habe ich heute denn alles vergessen? Egal! Schlüpfe ich eben nass in die Klamotten, die warme Sonne wird mich schnell trocknen, hoffe ich. Und so ist es auch.
    An seiner Nordseite verlasse ich den See. Bald darauf bin ich am Bordesholmer See, einem schattigen Pfad durch dichten Wald folgend. Eine Hinweistafel informiert, dass ich gerade in einem Flora-Fauna-Habitat–Gebiet unterwegs bin, das unter dem Schutz der Europäischen Kommission steht, um den naturnahen Laubwald zu erhalten. Es scheint zu gelingen.
    Nach bald dreißig Kilometern erreiche ich die Bordesholmer Stadtgrenze, die letzten zwei Kilometer sind schier endlos, doch irgendwann kommt der Bahnhof doch in Sicht. Meine Beine können nicht mehr, es reicht mir. Zur Belohnung gönne ich mir zwei Kugeln Eis in der Waffel, die in der Sonne schneller schmelzen, als ich schlecken kann.
    Die Rückfahrt ist lang und das ich das Auto in Boostedt zurück gelassen habe, war ein Fehler. Um hin zu gelangen, muss ich zwei Mal umsteigen.
    Am Abend bin ich in St. Georg zum Essen eingeladen. Jetzt ist mein Hunger riesengroß und der Durst ist es auch. Voller Begeisterung berichte ich meinem Gegenüber über meine neuesten Erlebnisse. Erzähle von Elses Absturz, von meinem Gefühl im einsamen Dosenmoor, dem Nacktbaden im Einfelder See und dem dichten Urwald am Bordesholmer See.
    Ach, war das ein schöner Wandertag!
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  • durch das Eidertal
    Wie unberührt liegt das Eidertal vor mirdie erste Schutzhütte auf meinem Wegdie Eider

    E1-005-D-Kiel (24 km)

    June 14, 2014 in Germany ⋅ ⛅ 19 °C

    Die erste 2-Tages Tour

    Dieses Wochenende will ich zwei Tagen am Stück wandern. Das ist das erste Mal und ich bin schon sehr gespannt, was mein Körper zu fünfundfünfzig Kilometern Wandern an zwei aufeinander folgenden Tagen sagen wird.
    Heute soll es aber erst einmal nach Kiel gehen. Das sind ca. vierundzwanzig Kilometer.
    Vier Wanderstunden liegen vor mir, reichlich Zeit also für einen entspannten Tag. So lasse ich mir schon am Anfang Zeit und breche erst um zehn Uhr auf. Da mein Startpunkt nun schon etwas weiter entfernt von Hamburg liegt, muss ich erstmals den DB- Regional nehmen, der mich rasch nach Bordesholm bringt.
    Als ich aus dem Zug steige, scheint mir die Sonne breit entgegen. Dabei war ein Regentag vorhergesagt. Mein kleiner Tagesrucksack ist randvoll gefüllt und schwerer als auf den vorangegangenen Touren. Heute habe ich Schlaf- und Wechselsachen zusätzlich dabei.
    Schnell lasse ich Bordesholm hinter mir und bald stoße ich auf den Eidertalwanderweg, den es heute entlang gehen soll.
    Acht Kilometer auf dem Eidertalwanderweg in fast absoluter Stille. Zwar verläuft rechts des Weges die Bahnlinie Kiel - Hamburg, aber es fährt nur gelegentlich mal ein Zug vorbei, der die Ruhe kaum stört. Auf der anderen Seite gewährt das Eidertal schöne Weitblicke. In regelmäßigen Abständen informieren Hinweistafeln über Besonderheiten des Wanderweges. Ich lese, dass ich auf einem Rundweg von insgesamt 10 km Länge gehe, der erst 2001 eingeweiht wurde. Er führt rund um das Eidertal herum, das selbst nicht betreten werden darf und deshalb eingezäunt ist. Innerhalb der Zäune gibt es Wildpferde und Rinder. Das Eidertal wurde durch die Gletscher der letzten Eiszeit geformt.
    Ich treffe auf meine erste Schutzhütte und ich frage mich, ob ich nächstes Jahr wohl in einer solchen Hütte übernachte? Noch würde ich es nicht tun!
    Es geht einen Hügel hinauf. Von hinten überholt mich schnaufend ein Radfahrer, verschwindet bald darauf hinter der Kuppe. Auch ich beginne zu pusten. Oben auf dem Hügel verspüre ich Hunger. Sehr willkommen ist mir da die Bank, auf der ich mich niederlasse und das herrliches Panorama über das hügelige, grüne Tal genieße. Auf der anderen Seite grasen wilde Pferde, sie schnauben gemütlich beim Grasen. Ich ziehe meinen Apfel und einen Powerriegel aus dem Rucksack, kaue gemütlich und anschließend mache ich ein Mittagsschläfchen. Lange allerdings halte ich es nicht aus, denn die Bank liegt in der prallen Mittagssonne, die Hitze öffnet meine Poren. Eine große, schwarze Fliege lässt sich brummend auf der Bank direkt vor meiner Nase nieder. Wir beäugen uns und ich denke, wenn die Brummer fliegen, ist der Sommer nicht mehr weit. Was der Brummer denkt, weiß ich nicht, aber das dicke Insekt fliegt bald davon. Auch ich mache mich wieder auf den Weg.
    Dann muss ich den Eiderwanderweg verlassen, denn mein Weg geht weiter Richtung Norden.
    Die Eider mündet in den Schulensee, an dessen Ufer ich mich auf einer Bank direkt an einer Badestelle nieder lasse. Ich schlafe sofort ein. Etwas Feuchtes an meiner Wange lässt mich hochschrecken. Ich öffne meine Augen, blicke direkt in das Schwarz großer Hundeaugen, die mich erwartungsvoll anschauen. Ein kurzer Ruf des Herrchens lässt den großen Hund herumfahren und dem geworfenen Ball hinterher springen, der gerade in den Schulensee plumpst. Ich bin erleichtert.
    Nun ist es nicht mehr weit bis zum heutigen Etappenziel. Ich rufe meine Schwiegermutter an und teile ihr mit, dass ich bald da sein werde. Es geht noch am schönen Russee vorbei und tatsächlich komme ich fast pünktlich nach insgesamt 24km um 18 Uhr bei ihr an. Sie erwartet mich schon auf der Terrasse mit leckerem Spargel und einem herrlich kühlen Bier.
    Das Leben kann so schön sein.
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  • Am idyllischen Rother Teich muss ich an Zecken denken
    mit der Fähre über den Nord-Ostsee-KanalEen Egen Hus, Een Fröhlich Hart, Gesundes Lief, Een Smuckes Wief, Un Een Glas Wien...Warum?Schatten suchenein großer Moment des Glücks am Ostseestrand bei Eckernförde

    E1-006-D-Eckernförde (35 km)

    June 15, 2014 in Germany ⋅ ☀️ 20 °C

    Die Weite der Ostsee

    Um sieben klingelt der Wecker, meine Augen erfassen erst allmählich die ungewohnte Umgebung. Der Duft frisch gebrühten Kaffees lockt mich aus dem Bett, unten wartet ein reichhaltiges Frühstück auf mich, meine Schwiegermutter hat auf der Terrasse gedeckt und nun sitzen wir gemeinsam in der Morgensonne, unterhalten uns über meine vorangegangenen Touren.
    Es ist das erste Mal, dass ich zwei so lange Etappen ohne Pause mache. Mehr als dreißig Kilometer sollen es heute werden. Während der ersten Schritte achte ich besonders auf die Beine, ob sie müde sind oder schmerzen. Nein, alles ist bestens, keine Beschwerden. Das Laufen fällt sogar leichter als an den Vortagen.
    Ein schmaler Pfad führt um den Rother Teich herum. Grashalme streichen um die nackten Waden. Ich muss unweigerlich an Zecken denken, die gerne von Grashalmen auf ihre Opfer überspringen. Diese fiesen Insekten sind eine Plage für den Wanderer, denn sie übertragen unter anderem Borreliose. Ein Zeckenbiss kann nach Tagen eine Hautrötung auslösen, die sich dann kreisförmig ausbreitet. Die Symptome vergehen wieder und meist vergisst man das Ungemach, doch manchmal bildet sich später eine Hirnhautentzündung oder eine Muskelentzündung, die nicht mehr mit dem Zeckenbiss in Verbindung gebracht wird. Das macht den Zeckenbiss so tückisch. Ich sollte mir vorsorglich ein Mittel besorgen oder besser noch mich impfen lassen.
    Zwei Kilometern weiter beginnt der Asphalt, der heute nicht mehr enden wird. Vorbei geht es so an Mehlsdorf, Quarnbeck, Landbeck. Das monotone Wandern versetzt mich in Trance. Die Füße verrichten ihren Dienst ganz automatisch. Der Blick ist ins Leere gerichtet und was er sieht, nimmt der Geist nicht wahr. Die Gedanken fließen hier hin und dort hin, entfernen sich, kommen zurück, bringen Gedanken mit, die betrachtet und wieder losgelassen werden wollen. Überwiegend drehen sie sich um die Zukunft und fragen, was sein wird mit dem Wandern in in einem Jahr. Die Zeit verrinnt, ohne dass ich es wahrnehme.
    Mein Blick bleibt an einem Schild kleben: Nord-Ostsee Kanal (NOK). Ach, schon so weit? Vor mir liegt eine Anlegestelle, die Fähre macht in diesem Augenblick von der anderen Seite los. Genug Zeit, die Informationstafel zu studieren und etwas über die Geschichte des NOK zu erfahren.
    Der NOK hieß früher einmal Kaiser-Wilhelm-Kanal, wurde vor mehr als hundert Jahren erbaut, er ist fast hundert Kilometer lang ist, teilt Schleswig von Holstein und verbindet durch seine Wasserstraße die Ost- mit der Nordsee. Jedes Jahr passieren den Kanal 37.000 Schiffe, das sind doppelt so viele wie den Suezkanal befahren. Hinzu kommen weitere vierzehn Tausend Sportboote.
    Mit der Fähre geht es über den Kanal und dann wieder zu Fuß weiter Richtung Gettorf. Die Sonne steht hoch am Himmel, es ist heiß, der Asphalt kocht. Jeder noch so kleine Alleebaum, der für einen Moment kühlen Schatten bringt, ist mir willkommen.
    Am südlichen Stadtrand von Gettorf durchstreife ich das KuBiZi, das Kultur- und Bildungszentrum. Ich überquere einen großen Parkplatz, komme an Fahrradstellplätze für hunderte von Fahrrädern vorbei, erblicke eine große Turnhallen und noch größere Unterrichtsgebäude und wundere mich über die Größe der schulischen Anlage. Über allem liegt Stille, denn es ist Samstag und kein Schüler geht heute zur Schule.
    Kaum liegt das Schulgelände hinter mir, da lädt eine Bank im kühlen Schatten zur Mittagspause ein, die heute reichhaltiger ausfallen wird. Meine Schwiegermutter hat mir zwei hartgekochte Eier und Butterstullen in den Rucksack gesteckt. Ich wollte das erst gar nicht mitnehmen, aber nun esse ich mit Wonne und freue mich über dieses Extra. Es schmeckt mir so gut, dass ich sofort beschließe, es mit auf meine Proviantliste zu setzen. Ein anschließendes Nickerchen wird durch ein Mauzen beendet. Eine junge Katze streift um die Bank und möchte unbedingt gestreichelt werden. Sie springt hoch und vollführt auf mir eine kleine Katzenmassage, indem sie ihre Pfoten voller Wonne in meinen Bauch drückt. Schließlich lässt sie sich dort nieder, schließt die Augen und schläft laut schnurrend ein. So schlummern wir beide ein Weilchen, bis ein Hund mit lautem Gebell den kleinen Schmuser vertreibt. Schade.
    Damit ist die Pause zu Ende und ich mache mich Richtung Richtung Stratenbrook auf.
    Eine Straße ohne Fußweg. Ich gehe links, wie es mich vor langer Zeit mein Vater gelehrt hat. So sieht man den Gegenverkehr und kann rechtzeitig reagieren, falls Gefahr von vorne droht. Doch die Straße ist leer, kein Verkehr. Nur am Straßenrand liegt das, was aus Autos achtlos heraus geworfen wurde: leere Bierdosen, zerknüllte Zigarettenschachteln, zerrissene Chipstüten und noch viel mehr Unrat. Je mehr Müll und Dreck ich sehe, um so ärgerlicher werde ich. Muss das denn sein?
    Und dann liegt sie vor mir: die Ostsee. Nach einhundertsiebzig Kilometer zu Fuß habe ich das Meer erreicht. Ein großer Moment des Glücks breitet sich in mir aus und ich genieße das sehr.
    Lange hocke ich am Strand, der Blick schweift übers Meer bis zum Horizont. Ich kann es nicht richtig fassen, dass ich bis hierhin zu Fuß gekommen bin. Ich zerre mir die klobigen Wanderstiefel von den Füßen und wate ins Wasser. Gerne hätte ich auch gebadet, doch schon wieder habe ich die Badehose vergessen. Barfuß geht es weiter am Strand entlang, der verflixt steinig ist. Aua! Kurz vor Eckernförde am FFK-Strand komme ich doch noch zu meinem erfrischenden Bad, denn hier kann man ohne Badehose ins Wasser hüpfen. Natürlich habe ich auch das Handtuch vergessen, aber ich weiß ja mittlerweile, wie schnell man wieder trocken ist.
    Warum nur sind die letzten zwei Kilometer immer so schwer? Das war auf jeder Wanderung bisher so und auch heute zieht es sich bis zum Bahnhof wieder endlos hin. Doch endlich liegt er vor mir. In Windeseile löse ich das Ticket, denn der Interregio fährt schon ein. Zügig bringt er mich ohne Umsteigen zurück zum Hamburger Hauptbahnhof. Während der Fahrt fällt mir auf, dass die zwei aufeinander folgenden Wandertage mir nicht zugesetzt haben, obwohl es sechzig Kilometer waren. Statt es anstrengend zu finden, macht mich das Wandern glücklich und zufrieden.
    Mit diesen Gedanken muss ich wohl eingeschlafen sein, denn erst im Hamburger Bahnhof wache ich wieder auf.
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  • Ich habe Kontakt
    die Hunde vom Altenholzer Hundefreunde e.V. lernen Zug fahrendas erste E1-Kreuz, das ich auf meinem Weg entdeckeDie ersten km auf dem E1 führen am Windybyer Noor entlangEntfernung ist relativSchloss Louisenlundendlich Kaffee!am Haddebyer Noor meldet sich mein innerer SchweinehundEinst eine Siedlung der Wikinger: Haithabu

    E1-007-D-Schleswig (34 km)

    June 28, 2014 in Germany ⋅ ⛅ 18 °C

    Endlich auf den E1 unterwegs

    Bisher ging es ausschließlich nach Norden, heute aber ist die Hauptrichtung Westen. Das geht nicht anders, weil sich die Schlei von der Ostsee kommend tief ins Landesinnere frisst. Und ich heute endlich dem E1 folgen möchte. Und der verläuft nach Schleswig. So werde ich zwar viele Kilometer abspulen, komme meinem nördlichen Ziel Flensburg aber nur wenig näher.
    Trotzdem sind es dreißig Kilometer zu Laufen.
    Das Besondere an diesem Wandertag: ich werde dem Fernwanderweg E1 begegnen und von nun an auf ihm wandern. Ich bin schon sehr gespannt.

    Früh stehe ich auf, frühstücke reichlich, schmiere Brote, packe Äpfel und Müsliriegel in den Rucksack. Weil es beim letzten Mal gut tat, lege ich zwei hartgekochte Eier hinzu.
    Es soll regnen, vielleicht ein Gewitter geben, womöglich wird die Sonne scheinen. Es ist also heute alles drin und so muss ich mehr Zeug einpacken, um für jedes Wetter gewappnet zu sein. So kommt zum kurzärmeligen noch das langärmelige Fleece in den Rucksack. Oben drauf der Proviant; der kleine Rucksack ist randvoll. Die Regenjacke passt nicht mehr rein, ich ziehe sie gleich an.
    Der Bus bringt mich zum Bahnhof, der Interregio nach Kiel. Dort steige ich in den Zug nach Eckernförde. Eine Hundestaffel steigt zu. Die Hunde sollen das Zugfahren üben.
    So ist die Zugfahrt kurzweilig und vergeht im Nu. Bald stehe ich in Schleswig am Bahnhof, nur eine Schnellstraße trennt mich noch vom Windybyer Noor. Dort soll der Fernwanderweg E1 für mich beginnen, dem ich von nun an folgen möchte. So halte ich nach der Wegmarke Ausschau. Es soll ein weißen Kreuz sein, das ich mir recht groß und gut sichtbar vorstelle, vielleicht in die Rinde eines Baumes geritzt oder auf einen Stein gemalt.
    Und tatsächlich: da ist es. Mein allererstes weißes Kreuz entdecke ich auf der groben Borke einer dicken Eiche, wesentlich kleiner, als ich es mir vorgestellt hatte. Große Freude, bin ich doch ab diesem Moment auf dem bekannten Fernwanderweg unterwegs, der vom Nordkap bis nach Sizilien durch ganz Europa verläuft. Nun werde ich zu der kleinen Gemeinschaft von E1-Wanderern gehören, die sich auf dem E1 durch Deutschland oder durch Europa leiten lassen. Mir ist Deutschland vorerst mehr als genug.
    Für drei Kilometer geht es am Noor entlang, das sanft und von großer Schönheit ist. Eine lange Allee knorriger Eichen säumt den Weg, mein Blick wandert in das dichte, grüne Blätterdach. Ich bleibe stehen, schließe die Augen, atme tief ein und aus, lasse die Luft sehr bewusst durch meine Lungen strömen. Um mich herum ist es sehr still, auch in mir wird es ruhig.
    Ich freue mich so sehr, auf dem E1 unterwegs zu sein, dass ich spontan eine knorrige, alte Eiche umarme. Ihr Stamm ist mächtig, meine Arme reichen nicht einmal halb um sie herum. Ein Spaziergänger beobachtet schmunzelnd mein Tun, dann bietet er mir an, den Moment in einem Foto fest zu halten. Während ich ihm mein Handy reiche, verrate ich ihm, warum ich mich so freue. Der Spaziergänger versteht und achtet darauf, die E1-Markierung mit mir auf das Bild zu bekommen. Viel Glück auf meinem Weg wünscht er mir zum Abschied.
    Eine Schutzhütte des E1 liegt am Wegesrand. Weil ich gelesen habe, dass darin manch Wanderer übernachtet, schaue ich sie mir genau an. Fest gebaut ist sie, stabile Wände und ein festes Dach hat sie auch. Sie wird dem Regen wohl gut standhalten. Der Boden dagegen ist dreckig und die Bank in der Hütte so schmal, dass man auf ihr nicht nächtigen kann. Man würde wohl herunterfallen. Ich kann mir nicht vorstellen, in einer solchen Hütte zu übernachten. Aber noch muss ich es auch nicht.
    Dann ist das weiße <X> verschwunden, der E1 muss irgendwo abgezweigt sein. Zurück will ich aber nicht. So folge ich doch wieder der eigenen Route, die ich mir in Komoot zurecht gelegt hatte und die doch nun dem E1 folgen sollte. Aber auch ohne E1-Markierung ist der Weg nach Kochendorf schön, führt er doch durch nahezu unberührte Landschaft.
    Der Himmel verfinstert sich, die Wolken werden dunkelgrau und in der Ferne grollt es bedrohlich. Kurz vor Kochendorf beginnt der Regen, ich finde unter dem dichten Blätterdach eines mächtigen Stammes gerade noch rechtzeitig einen Unterschlupf, dann bricht das Gewitter los. Der Himmel nun tiefschwarz, kübelt es wie aus Eimern, Blitze zucken, Donner rollt. Wie weit ist das Unwetter wohl entfernt? Man kann das durch langsames Zählen recht genau bestimmen. Nach einem Blitz zählt man, bis man den Donner hört: "Einundzwanzig, zweiundzwanzig, … siebenundzwanzig." Das sind dann sieben Kilometer bis zum Gewitter. Keine Gefahr vorerst. Mir fällt das Sprichwort ein: "Eichen sollst du weichen, Buchen sollst du suchen". Ich stehe unter einer Eiche und sollte also lieber weiter gehen. Doch der Regen spritzt immer noch heftig von der Straße hoch. Ein weiterer Blitz. "Einundzwanzig, zweiundzwanzig..." Donner. Nur noch zwei Kilometer entfernt! Noch ein Blitz. "Vierundzwanzig." Das Gewitter zieht also vorüber. Der Regen lässt auch nach. Ich kann wohl weiter. Doch bald fängt es wieder an zu schütten wie aus Eimern. So schnell die Beine mich tragen, renne ich die Straße entlang. Ein Buswartehäuschen bietet Schutz, dankbar schlüpfe ich ins Trockene.
    Ok, dann mache ich eben Mittagspause. Eigentlich ist es zu früh dafür, ich bin ja gerade mal ein Stunde unterwegs. Ich krame den Proviant aus dem Rucksack. Eier und belegtes Brot vertilge ich im Nu, während der Regen immer noch laut aufs Pflaster klatscht. Plötzlich ist es still, der Regen hat schlagartig aufgehört. Ich luge aus dem Häuschen hervor, werde so Zeuge eines seltsamen Schauspiel genau über mir. Die pechschwarze Gewitterwolke weicht in diesem Moment einem makellos blauen Himmel ohne jede Wolke. Die Sonne scheint schon wieder, wärmt und trocknet. Die Straße fängt an zu dampfen.
    Nun kann ich im Trockenen meinen Weg Richtung Götheby-Holm fortsetzen. Der Regen hat jede Menge Schnecken und Frösche von den nahen Wiesen auf die dampfende Straße gelockt, die so zahlreich herum krabbeln, dass ich den Blick nicht mehr heben mag aus Angst, sie zu zertreten.
    Mein Blick bleibt auf einer Schnecke haften, die gerade die Fahrbahn überquert. Ich schätze, sie wird dazu noch den ganzen Tag brauchen. Wenn sie auf der anderen Seite angekommen sein wird, bin ich wohl schon in Schleswig. Zeit und Raum sind relativ. Beim Wandern hat man so unendlich viel Zeit, über vermeintliche Nebensächlichkeiten nachzudenken.
    Hinter Goetheby treffe ich auf die Schlei. Bald stehe ich vor dem Tor eines großen Herrenhauses, am Tor ein Schild: „Landeserziehungsheim Stiftung Louisenlund“. Hier also liegt das Schloss, das nach dem 2. Weltkrieg zum Internat umgebaut wurde.
    [Exkurs: Die Schule verfolgt das Ziel, "jungen Menschen eine zeitgemäße, umfassende und ihre Individualität fördernde Schulausbildung zu ermöglichen. Sie sollen Fähigkeiten entdecken und diese auch für das Gemeinwohl einsetzen." „Zukunftsorientierte Selbstverantwortung“ steht laut des Pressesprechers im Mittelpunkt der Schulerfahrung. Ganz billig ist die Ausbildung nicht, denn mindestens 30.000 EUR müssen die Eltern pro Jahr berappen, um ihren Sprösslingen eine derartige schulische Ausbildung nach dem Motto „Lernen, Leisten, Leben“ bieten zu können, Segeln und andere Sportarten sind dann aber schon inklusive. ]
    Ich gehe um das Schloss herum und an den Stallungen vorbei. Nahe der alten Sonnenuhr bietet eine Bank die Möglichkeit zur Rast mit weitem Blick über Schlei und kleinem Segelhafen, der zum Internat gehört. Ein wenig strecke ich noch die Beine aus, dann geht es weiter.
    Ein mächtiger Baum liegt am Weg, aus dem lautes Brummen dringt. Bäume brummen normalerweise nicht. Was hat es mit dem Baum also auf sich? Lange muss ich vor ihm verharren, dann erst erschließt sich mir sein Geheimnis. Auf zarten Blüten, die der Baum trägt, haben sich Tausende von Hummeln und Bienen versammelt, die summen und brummen. Das Rätsel ist gelöst. Für solche Momente wandere ich!
    Jetzt wäre ein Kaffee gut! Ich halte Ausschau. Doch in Borgwedel gibt es nichts, auch nicht in Stexwig, doch in Fahrdorf werde ich fündig.
    Schon von Weitem lacht mich das sonnige Schild an, darauf steht in großen Lettern: Rick’s Imbiss. Ich merke, wie sich voller Vorfreude mein Schritt beschleunigt, der Körper dem Imbiss entgegen strebt. Rick hat einen leckeren Cappuccino, den ich vor dem Café im Schatten einer Markise genieße. Und weil's so schön ist, bestelle ich gleich noch einen.
    Doch irgendwann muss es weiter gehen, denn zehn Kilometer liegen immer noch vor mir. Es soll noch ums Haddebyer Moor gehen, so sieht der Plan es vor.
    Mein innerer Schweinehund, der auf den letzten Etappen brav war, hat da ganz andere Pläne. Ihm reicht es für heute, er würde jetzt am Liebsten direkt über die Brücke der Haddebyer Chaussee laufen, um nur schnell zum Bahnhof zu kommen. Das Haddebyer Noor würde er einfach links liegen lassen. Ein anderes Mal vielleicht. Ich bin fast geneigt, dem faulen Hund zuzustimmen. Doch auf der anderen Seite des Noors kann ich schon Haithabu und das Wikingermuseum erspähen. Das will ich mir auf jeden Fall näher ansehen. Und wer weiß, ob ich hier noch jemals wieder hin komme.
    Mein Schweinehund gibt sich geschlagen und wartet auf eine andere Gelegenheit. Sie wird wohl kommen.
    Ein sechs Kilometer langer Umweg führt auf gut ausgebautem Wanderweg oberhalb des prächtigen Noors entlang. Der Weg lohnt sich. Nach etwa einer Stunde kommt man am westlichen Teil eines Ringwalls vorbei, der seit 770 nChr. die Wikingersiedlung <Haithabu> schützte.
    [Exkurs Haithabu: Die Lage war günstig gewählt, denn als verlängerter Arm der Ostsee war die Schlei seinerzeit schiffbar. Zugleich führte hier der Ochsenweg vorbei. 300 Jahre lang wuchs Haithabu als Handelsdrehscheibe heran und soll in der Blütezeit mehr als 1.000 Einwohner gehabt haben,. 1050 wurde es während einer Schlacht niedergebrannt und danach nie wieder aufgebaut. Haithabu verschwand im Schlick des Noors. In den 1980gern wurde es ausgegraben und rekonstruiert. Heute gibt es hier einige Nachbauten, die uns das Leben der Wikinger näher bringen wollen. Anstelle des ehemaligen Hafens gibt es nur noch einen Steg, an dem der Nachbau eines Wikingerschiffes, das hier im Schlick gefunden wurde, bewundert werden kann.]
    Für den Besuch der Siedlung ist es leider zu spät, aber ein Blick von der nördlichen Wallanlage gibt mir auch einen guten Eindruck von der Siedlung. Hinter Haithabu taucht das Andreaskreuz des Fernwanderwegs E1 wieder auf. Eine Informationstafel zeigt an, dass der Wegverlauf des E1 geändert wurde. Ich war auf dem ehemaligen Weg unterwegs. Deshalb also war er verschwunden. Schließlich komme ich wieder zur Haddebyer Chaussee, auf der mich mein innerer Schweinehund schon vor einer Stunde gerne gesehen hätte. Ein Stück geht es noch an der Schlei entlang, gegenüber liegt die schöne Schleswiger Altstadt. Da ist aber auch der Wikingturm, das markante Wohnhaus mit 27 Stockwerken auf neunzig Metern Höhe. Das Bauwerk wurde 1970 erbaut und löste damals heftige Proteste unter der Bevölkerung aus. Der Turm sei viel zu monumental, meinten sie und würde das bis dahin harmonische Stadtbild zerstören. Dieser Meinung bin ich auch.
    Wieder sind die letzten zwei Kilometer die längsten der ganzen Etappe und wollen nicht enden. Aber ich bin es jetzt schon gewohnt und irgendwann erreicht man den Bahnhof ja doch. Als ich den Zug besteige, freue ich mich, dass hier schon bald der Startpunkt zur nächsten Wanderung sein wird. So ist ein Abschied gleichzeitig auch Hoffnung auf ein hoffentlich baldiges Wiedersehen. Heute bin ich fast vierunddreißig Kilometer gelaufen und jeder davon - bis auf die letzten zwei - waren schön, friedlich und genussvoll.
    Da ich für heute ein Schleswig – Holstein Ticket habe, das ja bekanntlich einen Tag lang freie Fahrt durch Schleswig Holstein bietet und in Kiel gerade die Kieler Woche veranstaltet wird, mache ich noch einen Abstecher dorthin, zische ob der langen Wanderung einige dänische Tuborg, lausche der flotter Musik auf dem Rathausplatz und fühle mich wohl. Erst weit nach Mitternacht fahre ich zurück nach Hamburg und bin glücklich, endlich meine müden Glieder im Bett ausstrecken zu dürfen.
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  • der Teufel der Eile sitzt mir heute im Genick
    auf der Rendsburger Hochbrücke geht es über den Nord-Ostsee-Kanalin Schleswig geht es heute losSchloss Gottorf in Schleswigkein Sinn für die Schönheit und Weite der AlleeE1 und Haervejen haben den gleichen WegEine typische Haervejen Schutzhütteder Teufel schenkt mir eine Erkenntnis:Eile mit Weile!

    E1-008-D-Tarp (33 km)

    August 13, 2014 in Germany ⋅ ⛅ 21 °C

    Eile tut nicht gut

    Zeit ist vergangen. Für Urlaub an der Nordsee. Nun kann es weiter gehen. Mitten in der Woche nehme ich mir frei und starte zur nächsten Tour.

    Der Wecker klingelt früh. Rasch packe ich den Rucksack, kaufe mir am Bahnhof wieder ein Schleswig – Holstein Ticket und warte am S-Bahnsteig, dass die Zeit vergeht, denn das Ticket gilt wochentags erst ab neun Uhr. Der Berufsverkehr hat Vorrang, ich muss warten. Deshalb kann ich den Regio-Express um 8:47 Uhr nicht nehmen, der mich in nur eineinhalb Stunden ohne Umsteigen nach Schleswig gebracht hätte und mir zwei Stunden mehr Zeit zum Wandern gegeben hätte. So nehme ich pünktlich um neun die S-Bahn nach Altona, steige in den Regionalzug nach Neumünster. Dort muss ich umzusteigen, um weiter nach Schleswig zu kommen. Die Fahrt wird mehr als zweieinhalb Stunden dauern. Um mir die Fahrzeit zu verkürzen, kaufe ich die ZEIT. Während der Fahrt lese ich, wie Google sich die Welt von morgen vorstellt. Politik und Demokratie werden in den Hintergrund rücken, Technik die Macht übernehmen. Natürlich wird Google Teil dieser Macht sein und man plant schon, künstliche Inseln fernab jeder Staatsmacht im Meer zu verankern, um die zukünftigen Geschicke von dort aus zu lenken.
    Das wird dann Google’s Welt sein. Etwas gruselt es mich vor dieser Zukunftsperspektive.

    Eine Durchsage holt mich in die Gegenwart zurück. Aufgrund von Vandalismus sei etwas an den Gleisen zerstört, der Zugverkehr nach Neumünster unterbrochen. Doch es gäbe einen Busersatzverkehr. Schon halten wir am Bahnhof Wrist, eine Menschenmenge ergießt sich auf den Bahnsteig, strömt zur Bushaltestelle, wo aber kein Bus wartet. Noch bleibt die Masse ruhig. Lange warten wir geduldig, allmählich aber wird Missmut spürbar. Es gibt keinerlei Informationen. Ich rechne mir aus, dass nicht alle Wartenden in den Bus passen werden.
    Es wird warm. Ein junger Mann in gelben T-Shirt brabbelt vor sich hin, man könne eh nichts machen, man solle das Ganze gelassen nehmen. Ich kann das nicht, beneide ihn aber um seine Haltung. Während die Zeit verrinnt, frage ich mich, ob es noch lohnt, überhaupt weiter zu fahren. Ich könnte ja auch hier eine Wanderung machen. Doch schnell verwerfe ich den Gedanken, denn ich möchte doch auf dem E1 von Schleswig weiter nach Flensburg wandern. So sitze ich im Wartehäuschen, schließe die Augen, versuche mich in Gelassenheit zu üben. Doch das ist schwer, wenn man auf den Bus lauert. Ein Bus biegt um die Ecke - ein Raunen erzeugend - bleibt an der Haltestelle stehen. Die Wartenden geraten in Bewegung, jeder möchte jetzt vorne sein. Ich habe Glück, bekomme im Bus einen Sitzplatz, andere müssen stehen. Der Busfahrer muss die Situation schon kennen, denn er bleibt ganz ruhig und wartet solange, bis keiner mehr rein passt. Dann fordert er über sein Mikrophon, dass die Stehenden wieder aussteigen müssten. Keiner reagiert. Er wiederholt die Ansage mehrere Male. Fügt bestimmend hinzu, dass er nicht abfahren werde, solange jemand im Bus stehen muss. Zögernd bewegen sich die Stehenden nach draußen.
    „Ich werde meine Fähre nach Oslo nicht kriegen“, heult da eine ältere Dame auf.
    „Ist jemand bereit, seinen Platz zu tauschen?“, reagiert der Busfahrer.
    Keiner meldet sich, auch ich nicht, obwohl meine innere Stimme mich deutlich genug ermahnt.
    Ein schwarz gekleideter Mann macht seinen Gefühlen Luft: „Können wir nun endlich fahren?“
    Ich schaue ihn missbilligend an, frage mich aber gleichzeitig, ob ich besser bin als er. Auch ich will, dass es weiter geht. Der Mann im gelben T-Shirt predigt wieder Gelassenheit, ohne diese auszustrahlen. Und aufgestanden ist auch er nicht.
    Schließlich ist alles geordnet. Der Bus kann starten. Der Fahrer versucht professionell mit lockeren Sprüchen unsere gedrückte Stimmung zu heben. Nach einer Weile gelingt es ihm, uns zum Lachen zu bringen.
    Mit einstündiger Verspätung kommt der Bus in Neumünster an. Mit dem Interregio fahre ich weiter.

    Eine lange Anfahrt führt die spektakuläre Rendsburger Hochbrücke hinauf, auf zweiundvierzig Meter Höhe geht es über den Kanal und dann eine ebenso lange Abfahrt wieder hinunter. Der Blick von der mehr als hundert Jahre alten Brücke über das flache Schleswig-Holstein ist phantastisch.
    Der Schaffner möchte meine Fahrkarte sehen.
    „Das war ja ein kleines Abenteuer heute“, meine ich zu ihm.
    Er weiß, worauf ich anspiele und antwortet:
    „Ja, für alle Beteiligte“.
    Schlagartig wird mir bewusst, dass von der Bahn einiges geleistet werden musste, um uns weiter befördern zu können. Und sie kann ja nichts für die Vandalen.
    Endlich komme ich in Schleswig an und freue mich, nach sechs Wochen den Bahnhof wieder zu sehen, an dem meine letzte Etappe endete.

    Bald geht es über den Gottorfer Damm zur Gottdorfer Residenz.
    Ich bedauere, dass für eine Besichtigung keine Zeit bleibt. Durch den verwilderten Schlossgarten muss ich nun. Eigentlich möchte ich nur schnell hindurch und auf der anderen Seite zügig im Wald verschwinden. Aber aus dem Barockgarten, der 1637 zum fürstlichen Lustwandeln angelegt wurde, finde ich nicht mehr heraus. Ich laufe treppauf und treppab, rüttle an verschlossenen Toren, nirgends komme ich raus. Ärger kocht in mir hoch.
    „Ich will hier raus!“
    Doch raus geht es nur, wo es rein ging. Tatsächlich waren es nur Minuten, die ich im Irrgarten verbrachte, doch sie kamen mir wie eine Ewigkeit vor.
    Erst der Zug, jetzt ein Garten, der mich behindert. Dabei habe ich es eilig.
    Ich bin ungeduldig. Warum?
    Ich finde keinen Sinn für die Schönheit und Weite der Allee, durch die ich gerade übel gelaunt stapfe. Die Kronen der noch jungen Bäume formen einen Tunnel, der immer dunkler zu werden scheint. Wie meine Gedanken.
    Es läuft nicht rund heute, dabei bin ich noch keine fünf Kilometer weit gekommen. Mein Körper signalisiert Unlust und Müdigkeit. Mein Geist mault mit mir, er habe mit lauter Widrigkeiten zu kämpfen, für die er nichts kann. Meine Seele fragt mich, warum ich es so eilig habe.
    Die Antwort scheint banal: Ich würde gerne den Regio-Express um 18:15 Uhr bekommen. Es ist die einzige Verbindung, die am Abend ohne Umzusteigen nach Hamburg fährt. Doch ich habe mit der unglücklichen Anfahrt schon mehr als eine Stunde verloren und muss nun schneller gehen, als ich eigentlich will, um den Verzug zu kompensieren. Keine gute Voraussetzung für entspanntes Wandern.
    Die heutige Etappe soll eigentlich dem E1 folgen. Der hat sich aber noch nicht blicken lassen.
    Da, endlich! Das weiße Kreuz glänzt wie frisch gemalt am Stamm eines dicken Baums. Nun bin ich wieder auf dem Fernwanderweg unterwegs. Gleich geht das Wandern leichter, der Rücken entspannt sich, die Beine schreiten williger aus.
    Eine weitere Wegmarke gesellt sich kurz darauf hinzu. Der E1 hat mit dem alten Ochsenweg (Haervejen), der von Dänemark bis nach Hamburg verläuft, den gleichen Weg.
    Ein Gatter versperrt den Weg.
    „Schon wieder ein Hindernis“, denke ich, übel gelaunt. Beim Öffnen klemme ich mir einen Finger.
    „Du hast es zu eilig. Werde ruhiger!“, ermahne ich mich.
    „Was du gerade machst, ist doch kein meditatives Wandern, sondern ein Abspulen von Kilometern!"
    Doch ich bin ärgerlich, kann das Wandern überhaupt nicht genießen. Es macht sich in mir das Gefühl breit, ich müsse hier eine Leistung vollbringen. Aber ist das Wandern überhaupt eine Leistung? Man verbraucht zwar Energie, aber man produziert doch gar keinen Wert.
    Gedanken kreisen und quälen mich. Sie hindern mich daran, im Hier und Jetzt zu sein und zu genießen. Anstatt zu akzeptieren, was nicht zu ändern ist, versuche ich, mich dagegen aufzulehnen. Schneller! Ich erinnere mich an den Mann mit dem gelben T-Shirt und seine Demut. Stattdessen laufe ich immer schneller.
    Noch fünf Wegstunden liegen vor mir und es ist schon früher Nachmittag.
    Nun verwandle ich meinen Körper in eine Laufmaschine, die nur eine Aufgabe hat: Laufen.
    Tatsächlich: ich werde schneller, laufe nun sechs statt der gewohnten fünf km/h. Und es ist genau dieser eine Stundenkilometer, der mich stört. Daneben gesellt sich aber auch Stolz, dass mein Körper das schafft und mitmacht.
    „Lass den Zug sausen, mach dir keinen Stress. Verdammt noch mal!“. Meine Seele lehnt sich auf.
    Der Geist hält dagegen: „Es ist die beste Verbindung. Wenn du den Zug nicht bekommst, bist du viel zu spät zu Hause“.
    Ich bin Gefangener meines inneren Zwiespalts.
    Das weiße Kreuz ist weg. Der Pilgerpfad ebenfalls. Eben waren sie noch da. Ich hätte an einer Weggabelung doch gerade ausgehen sollen. Doch Else kennt den Weg und am Rethsee treffe ich wieder auf die Wegmarken.
    Hunger meldet sich, allmählich unterzuckere ich wohl. Doch dem Körper gönne ich weiterhin nur Wasser im Laufen. Keine Pause! Vor Idstedt spare ich mir die Strecke um den vermutlich schönen Idstedter See. Zwei Kilometer weniger!
    In Idstedt gibt es eine Gaststätte, doch sie hat zu. Es ist wie in dem Wanderbuch von Wolfgang Lührs, das ich gerade lese. Auf seiner Wanderungen durch Deutschland waren die Gaststätten oft ebenfalls geschlossen. Mittwochnachmittag ist eben kein Geschäft zu machen. Zu gerne hätte ich jetzt einen Kaffee gehabt, auch wenn es Zeit gekostet hätte.
    Am Wegesrand in der Sonne liegt die Pension „Petersen“. Vor der Tür stehen drei Wanderer mit großen Rucksäcken auf dem Rücken. Es sind die ersten richtigen Wanderer, denen ich begegne. Ein kurzer Stopp, ein kurzes Moin, Moin, wie hier üblich. Gerne hätte ich sie ein bisschen ausgefragt, woher sie kommen, wohin sie gehen, wie sie übernachten. Es wären vielleicht hilfreiche Informationen für meine späteren Wanderungen geflossen. Doch ich verzichte auf das Gespräch, trabe stattdessen vorbei, entscheide mich weiter für die Hatz, wieder fragend, warum eigentlich. Was nur bringt diese ungewohnte Effizienz beim Wandern?
    Eine Schutzhütte liegt am Pilgerweg. Im Vergleich zu der E1-Schutzhütte, die ich bisher kennen gelernt habe, ist diese geräumig, sehr sauber und äußerst stabil gebaut. In dieser Hütte könnte man sicher auch übernachten. Sehr bequem wäre es wohl nicht, aber ausreichend groß.
    Vor der Hütte ein Schild, das über die Pilgerroute informiert. Und darüber, dass diese Hütte wie eine Kirche in Miniformat gestaltet sei. Im Moment interessiert mich aber mehr der runde Tisch vor der Hütte, hier lasse ich mich erschöpft nieder. Die fünfzehn Kilometer, die hinter mir liegen, sind gerade mal die Hälfte der heutigen Strecke. Ich packe meinen Proviant aus, vertilge fast alles davon. Mann, hatte ich einen Hunger! Dann lege ich die Füße hoch – und schon bin ich fest eingeschlafen.
    Eine halbe Stunde später wache ich auf. Nun ist es wohl definitiv zu spät für den Direktzug.
    Obwohl es doch eigentlich keinen Sinn mehr ergibt, beschleunige ich wieder meine Schritte. Mein Atem folgt einem festen Rhythmus: zwei Schritte beim Einatmen, zwei Schritte beim Ausatmen, jeder Schritt nährt die Hoffnung, dass ich es vielleicht doch noch rechtzeitig schaffe. Ich werde immer schneller. Doch warum nur habe ich es so eilig?

    Ein Spruch von Steven Covey (7 Wege zur Effektivität) fällt mir ein:
    „Du, deine Säge ist stupf. Warum machst du sie nicht wieder scharf?“
    Der andere: erwidert „Keine Zeit. Ich habe noch so viel zu sägen“.

    Meine Körpermaschine läuft auf Hochtouren. Ich spüre meinen schnellen Puls.
    E1 und Pilgerroute verlaufen nun schnurgeradeaus einen Feldweg entlang, der Verlauf des Weges ist weit im Voraus zu sehen. Kein Mensch geht diesen wunderschönen Weg, der sich gemütlich durch die Felder zieht und auf dem ich so ungebührlich schnell entlang haste, bis ich abbiegen muss. Der Weg zum Bahnhof ist ein Umweg, den ich zu Beginn der nächsten Etappe wieder zurück laufen muss. Insgesamt wird der Weg dadurch um zwanzig Kilometer länger.
    Immer noch ist da die Hoffnung, den Zug um 18:15 Uhr zu schaffen. Dabei ist es schon siebzehn Uhr. Die noch vor mir liegenden neun Kilometer müsste ich in 1:15 Stunde schaffen. Das ist wenig realistisch, selbst, wenn ich noch schneller laufen würde als bisher schon. Für Momente überlege ich, ein Stück zu rennen, doch meine Seele protestiert umgehend. Der Geist entschuldigt sich und meint, er versuche nur, sein vorgegebenes Ziel zu erreichen. Der Körper meint, an ihm läge es nicht, er funktioniere prima und könne noch schneller. Die nächsten Kilometer werden ekelig zäh.

    Kurz vor dem Etappenziel eine Überraschung:
    in einem kleinen Wäldchen stoße ich auf den Tarper Eulenwanderweg. Durch die nahe Wiese fließt die Treene, eine hübsche Brücke führt hinüber. An den Eulen-Exponaten sause ich vorbei, ohne sie zu würdigen. Nur vor der Skulptur eines Teufels bleibe ich fasziniert stehen. Er hält etwas zwischen seinen Händen. Es ist der „Innerer Reichtum“. Mehr Zeit hätte mich heute reich gemacht!

    Dann kommt der Moment der Wahrheit: "den Zug kriegst du nicht mehr".
    Und die Erkenntnis bringt das, was dem heutigen Tag gefehlt hat: Zeit.
    Nun endlich kann ich in Ruhe in den Supermarkt gehen, um Bananen, Salat, Joghurtdrink und eine Fassbrause zu kaufen. Seelenruhig sitze ich anschließend auf einer Bank am Bahngleis und stille meinen großen Hunger. Jetzt, wo die Zeit nicht mehr drängt, bin ich zufrieden mit der Situation. Der Zug ist weg, und?
    Völlig entspannt warte ich auf den nächsten Zug. Der allerdings wird erst in vierzig Minuten kommen. Zeit genug, die Abendsonne in vollen Zügen genießen.

    Hektik soll nicht wieder eine meiner Wanderungen bestimmen. Das habe ich heute gelernt.
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  • E1-009-D-Flensburg (31 km)

    August 16, 2014 in Germany ⋅ ⛅ 17 °C

    Das kleines Finale!
    Heute werde ich auf meiner Nordroute die dänischen Grenze und damit den nördlichsten Punkt meiner Wanderung durch Deutschland erreichen. Ich freue mich schon wie Bolle darauf.
    Doch noch liegt eine dreißig Kilometer Wanderung plus Zugfahrt nach Tarp zwischen mit und dem Kleinen Finale.
    Die heutige Wanderung soll ruhiger und entspannter verlaufen als die letzte Etappe. Das habe ich mir fest vorgenommen, denn von Hast und Eile habe ich genug.
    Schon um acht Uhr geht's los. Die Hamburger Straßen sind noch menschenleer. Heute läuft alles wie am Schnürchen. Die Bahn bringt mich pünktlich nach Tarp. Ich bin herrlich entspannt. Doch am Bahnhof klemmt die Zugtür, sie geht einfach nicht auf. Ich gerate in Panik. Ich will raus! Voller Wucht stemme ich mich gegen das Hindernis. Es knackt. Doch nicht die Tür, sondern das Fenster gibt nach, bricht einfach aus der Fassung, kracht splitternd auf dem Bahnsteig. Mit meiner Fassung ist es ebenfalls vorbei, ich habe mich furchtbar erschrocken. Doch die Tür bleibt zu, hier ist nichts zu machen. Eilig haste ich durch den Waggon zur nächsten Tür, die sich wie Butter öffnen lässt. Endlich draußen. Gerade noch rechtzeitig, schon rollt der Zug weiter.
    Ich stehe sinnierend vor der geborstenen Scheibe.
    „Warum setzt die Bahn nur so alte Rumpelzüge ein?“, frage ich mich laut.
    Niemand kann mir antworten, der Bahnsteig ist menschenleer, keiner hat das Malheur beobachtet.
    Ich wende mich ab und gehe. Soll sich die Bahn doch um ihren Müll kümmern.

    Wenn alles gut läuft, werde ich heute meinen nördlichsten Punkt erreichen, der für viele E1-Wanderer doch eher der Startpunkt ist, denn die meisten starten den Fernwanderweg an der dänischen Grenze, um in südliche Richtung zu laufen. Karin Baseda Maas, deren Buch "E1 – das Buch zum Weg" ich gerade mit Vergnügen gelesen habe, beschreibt ihren persönlichen Startpunkt als „eine Rolltreppe an der dänischen Grenze“. Mein Weg wird südlicher enden. Den Yachthafen vor dem Hotel Wassersleben - kurz vor der dänischen Grenze - habe ich zu meinem Zielpunkt erkoren. Ein Bad in der Ostsee soll der krönende Abschluss der Tour sein. Sogar an Badehose und Handtuch habe ich heute gedacht.
    Bevor es so weit ist, liegen aber noch sechs Stunden Marsch vor mir. Der Wetterbericht hat sonnige zwanzig Grad vorhergesagt.
    Der Weg vom Bahnhof zurück auf den E1 führt mich noch einmal am Eulenwanderpfad vorbei. Heute habe ich mehr Zeit eingeplant, um mir die Skulpturen anzusehen. Es sind viele.

    Nun stoße ich wieder auf den E1, der zusammen mit dem Ochsenweg (Haervejen) verläuft. Eine von insgesamt dreizehn Pilgerhütten lädt bald zur Rast ein, schön an einer Wiese gelegen. Ich kann nicht widerstehen, obwohl es für eine Pause eigentlich noch zu früh ist. Während ich die Brote mit Lust verzehre, denke ich sehnsüchtig an heißen Kaffee. In Gedanken ergänze ich die Ausstattungsliste um eine Thermoskanne.
    Kurze Zeit später packe ich alles wieder ein und schon hat mich der Wald wieder verschluckt. Meine Schritte bedächtig setzend, wandere ich gemächlich und ohne Hast. Kein Zeitdruck heute, aber das Wissen darum, dass ich einen Meilenstein auf meinem Weg durch Deutschland heute erreichen werde, lässt mich doch ein wenig ungeduldig werden. Es ist eine freudige Erregung in mir, bald etwas geschafft zu haben, dass ich mir vorgenommen habe.
    Jetzt aber genieße ich erst einmal den Wald und nehme ihn mit meinen Sinnen auf.
    Riech, wie würzig der Waldboden riecht!
    Schau, wie die Sonne durch das grüne Blätterdach blinkt!
    Hör, wie die Vögel singen!
    Einige Kilometer führt mich der Weg durch den verwunschenen Wald, dann erreiche ich Oeversee, wo ich der romanische Rundturmkirche St. Georg einen Besuch abstatte. Seit dem 12. Jahrhundert ist sie Anlaufstation für Pilger und Reisende auf ihrem Weg nach Rom oder Santiago de Compostela. Früher war hier sicher mehr los. Der Vorraum zur Kirche ist schlicht, eine Tür führt ins Innere der Kirche. Auch sie ist in schlichtem Weiß getüncht. Ich mache nur einen kurzen Rundgang, stehe bald wieder im Vorraum. In einer Ecke ruht das Kirchenbuch, in das ich einen Eintrag mache.
    Auf dem Friedhof erzählt ein alter Grabstein von einem Mann, der vor mehr als hundert Jahren hier in der Nähe in der Nacht erfroren aufgefunden wurde.
    Weiter geht es zum Sankelmarker See. Eine Aussichtsplattform oberhalb des Sees lädt zum Schauen ein, darauf eine Bank, auf die ich mich erst setze und dann lege. Schon bin ich eingenickt, sehe mich im Traum schon in der Ostsee schwimmen.
    Stimmen holen mich aus dem Traum zurück. Ich muss mir die Augen reiben, so fest habe ich geschlafen. die Stimmen stammen von zwei Frauen, die laut plaudernd mir gegenüber in der Sonne sitzen, neben sich zwei große und prall gefüllte Rucksäcke. Sie scheinen auf einer längeren Tour unterwegs zu sein. Das interessiert mich, ich spreche sie an. Mutter und Tochter erzählen bereitwillig, dass sie ihren Urlaub nutzen, um eine Woche auf dem E1 von Flensburg nach Kiel zu gehen. Erst heute morgen sind sie in Flensburg gestartet, abends wollen sie sich irgendwo ein Quartier suchen, gebucht ist nichts. Auf ihrer Wanderung orientieren sich am Wanderführer von Arthur Krause „Europäischer Fernwanderweg E1“ (erschienen 2000). Ich darf einen Blick hinein werfen. Von dem Buch hatte ich gehört, es ist mittlerweile vergriffen und wird wohl auch nicht neu aufgelegt. Obwohl schwer, haben sie es auf die Tour mitgenommen, weil es für sie nützlich ist für die Routenplanung, der Suche nach Unterkünften und als sonstige Informationsquelle für alles, was am Wegesrand liegt. Die Damen sind begeistert von dem Buch. Im Gegenzug erzähle ich von meinem Plan, durch Deutschland zu wandern und das ich kurz davor bin, meinen vorerst nördlichsten Punkt zu erreichen. Ich zeige ihnen, wie ich mit der Komoot-App plane und navigiere. Sie staunen, was Technik alles möglich macht.
    Es ist Zeit, weiter zu gehen. Unsere Wege liegen in entgegengesetzter Richtung. Wir wünschen uns gegenseitig viel Glück auf unseren Touren. Während ich den Hügel zum See hinunter gehe, bleiben die beiden auf ihrer Bank sitzen und schauen mir nach. Am See drehe ich mich noch einmal um und winke ihnen fröhlich zu. Sie winken zurück.
    Nun geht es vorbei an großen Maisfeldern, dessen Pflanzen schon hoch gewachsen sind und reif. Man kann nicht mehr drüber schauen, was das Wandern etwas trist macht.
    Kurz vor der Flensburger Stadtgrenze verlässt der Ochsenweg, der um Flensburg herum verläuft, den E1, der in die Flensburger Innenstadt führt.
    Hier komme ich endlich an einem Schild vorbei, dass die offizielle Längenangabe des E1 verrät: von Flensburg bis Konstanz sind es 1.800 km. Zweihundertsiebzig Kilometer davon habe ich bereits bewandert. Verbleiben also eintausendfünfhundertunddreißig Kilometer. Eine beachtliche Entfernung, die mir Respekt abfordert.
    Es geht über eine Brücke, die über den Flensburger Bahnhof führt. Fünf Kilometer sind es jetzt noch. Es geht durch die Flensburger Innenstadt, wo ich endlich einen Kaffee kriege.
    In der Fußgängerzone sind die Geschäfte geöffnet, es schäumt vor Menschen, in der Grenzstadt ist viel Dänisch zu hören. Mit Shoppen aber möchte ich meine Zeit nicht verbringen, denn ich habe mein Ziel nun schon fast vor Augen. Bald bin ich am Stadthafen, auch hier sind viele Menschen unterwegs. Alte Schoner sind im Hafenbecken verzurrt. Heute ist Hafenfest. Von Buden und Ständen strömt der Geruch allerlei Speisen und Getränke herüber, machen Lust auf Currywurst und Flensburger Bier.
    "Aber nein, halte aus, noch bist du nicht am Ziel!". Ich muss mich echt zusammen reißen.
    Weiter geht es durch ein tristes Gewerbegebiet.

    Die Ostsee blinkt durch die Bäume, mein Herz beginnt zu hüpfen.
    Nur noch ein kleines Stück am Sandstrand entlang und dann kann ich mein Ziel auch schon ausmachen. Es ist schon ganz nah. Die Beine werden von alleine schneller, alles in mir strebt dem Ende entgegen.
    Da, ein Pfiff. Ich schaue mich um. Woher kommt der denn?
    „Willkommen, Michael. Du bist fast da! Glückwunsch!“.
    Mit diesen Worten springt sie von einem umgestürzten Baum herunter, auf dem sie auf mich gewartet hat. Sie gegrüßt mich mit einer Umarmung. Ich war erst in der Marina mit ihr verabredet. Hier habe ich nicht mit ihr gerechnet. Sie hat mich überrumpelt. Kaum hat sich die freudige Überraschung gelegt, da fange ich an zu lachen. Und lache immer weiter, kann gar nicht mehr aufhören.
    Die Flasche Flensburger in ihrer Hand macht Plopp, als sie den Bügelverschluss mit einer Hand öffnet.
    „Für den wackeren Wandersmann“, sagt sie lächelnd und reicht mir die Flasche, die ich dankbar nehme. Das kühle Bier läuft die Kehle hinunter. Ah, wie lecker das schmeckt. Ich leere die Flasche in einem Zug. Dann umarme ich sie. Tränen steigen mir in die Augen. Ich spüre Dankbarkeit. Für das Bier, aber auch für die Entscheidung, los gegangen zu sein. Ich empfinde Glück.
    Und es ist ja erst der Anfang meiner langen Wanderung.
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  • von nun an geht es Richtung Süden - längs durch Deutschland
    von den Landungsbrücken über die Elbe nach FinkenwerderApfelbäume hinter GitternBlick vom Opferberg ins Naturschutzgebiet Fischbeker Heidemit hoher Konzentration über Stock und Steinauf niedersächsischen Wegen in den Wanderflowin Buchholz am Bahnhof türmt sich Ungemach auf

    E1-010-D-Buchholz (35 km)

    August 23, 2014 in Germany ⋅ ⛅ 16 °C

    Wanderflow

    Von nun an geht es in den Süden. Es ist die Richtung, die ich ab jetzt einschlagen werde, bis irgendwann der Bodensee erreicht ist. Wie schon einmal zu Beginn der Wanderung starte ich diese Tour fast direkt vor der eigenen Haustür.
    Noch vor acht Uhr stehe ich an den Hamburger Landungsbrücken. Kurz darauf finde ich mich am Bug einer HVV–Fähre der Linie 62 wieder, um mich auf einer kleinen Hafenrundfahrt auf die andere Elbseite bringen zu lassen. Grau liegt der breite Strom vor mir, der Hafen ist so früh am Morgen in milchige Farben getaucht. Der Fahrtwind pustet mich ordentlich durch. Es ist kalt. In schneller Fahrt steuert die Fähre die Docklands an. Hier liegt gerade die aus der Fernsehsehserie "Traumschiff" bekannte MS Deutschland. Im Vergleich zu den AIDA-Kreuzfahrtschiffen, die sonst hier festmachen, ist sie eher klein. Auf der anderen Seite sind die Kräne schon bei der Arbeit, entladen einen riesigen Frachter. Die Geschwindigkeit und Präzision, mit der die Kräne die Container von Bord holen, beeindruckt mich.
    In Finkenwerder gehe ich von Bord, es ist zwanzig vor neun. Mir ist saukalt, weil ich zu lange im Fahrtwind am Bug gestanden habe. Kurz denke ich an mein kuscheliges Bett, in dem ich liegen könnte, würde ich jetzt nicht wandern. Doch ich bin neugierig auf das, was der heutige Wandertag für mich bereit hält. Jeder der bisherigen Wandertage war einzigartig. Das Wandern bleibt spannend. Aber das erfährt nur, wer sein warmes Bett verlässt.
    Ich folge auf dem Aue-Hausdeich dem Lauf des Kohlfleets. Auf der anderen Uferseite arbeiten die Kräne weiterhin unermüdlich. Von hier gleichen sie riesigen Dinosauriern, die sich gespenstisch im Dunst bewegen.
    Zwei Angler halten ihre Ruten in den Fleet. Während sie sich für das graue Wasser interessieren, geht mein Blick nach oben in den Himmel, wo sich die Sonne durch das Grau kämpft. Wäre doch schön, wenn der Tag so sonnig werden würde, wie vorhergesagt.
    Ich freue mich, wieder unterwegs zu sein. Dreißig Kilometer liegen heute vor mir. Beim Gehen wird mir auch schnell wieder warm. Das Landschaftsbild ändert sich. Eben noch der Hafen, jetzt große Apfelbaumplantagen. Hier beginnt das Alte Land.
    Vorbei geht es an Hunderten -nein - Tausenden von identisch aussehenden Apfelbäumen, in scheinbar endlosen Reihen gepflanzt. Jeder Baum an einen Stab gefesselt, der den dürren Baumstamm vorm Umknicken bewahrt. Unter der Last seiner roten Früchte haben die Bäumchen schwer zu tragen. Hier werden Äpfel im industriellen Stil produziert, das Endprodukt sieht zwar rot und saftig aus, aber nicht sehr natürlich. Ich habe einen ähnlich aussehenden Apfel im Rucksack, der vielleicht von hier stammt. Jetzt, wo ich die angepflockten Apfelbäume sehe, fühle ich mich schuldig, ihn gekauft zu haben und somit den Sklavenmarkt für Apfelbäume unterstützt zu haben.
    Das Bild wandelt sich. Nun führt der Weg mitten durch eine Kleingartensiedlung. Hier sind es Gartenhäuschen, die in Reih und Glied stehen. Alles ist sauber, aufgeräumt und adrett. Die Hecken sind niedrig gehalten, man kann in die Gärten sehen und nichts bleibt verborgen.
    Am Kretorfteich biege ich scharf links ab und für mich unerwartet tauche ich wieder in urbanes Gebiet. Hier beginnt Hausbruch, der Harburger Stadtteil im Südwesten von Hamburg.
    Auch hier ist alles in Reih und Glied wohl geordnet, nur sind es jetzt Hochhäuser.
    In den sechziger Jahren entstand die Siedlung Neuwiedenthal, damals als bahnbrechendes Wohnkonzept gefeiert. Für mich sieht es zu geplant aus, nichts ist gewachsen. Immerhin folgt der Weg einem Grünstreifen zwischen den hohen Häusern.
    „Zeit für eine Pause“, denke ich, „ein Kaffee wäre jetzt gut“. Wie bestellt tut sich da ein kleines Einkaufszentrum auf, wo ich finde, was ich suche. Mit einem Kaffee in der Hand setze ich mich, das Treiben um mich herum beobachtend. Ein paar Rentner sitzen am Nebentisch und schlagen sich lautstark die Zeit bei einem Kaffee tot.
    Bald bin ich wieder unterwegs. Laut Komoot muss ich jetzt den Opferberg hinauf. Es wird steil. „Hoffentlich bin nicht ich das Opfer“, denke ich im Scherz, während ich schon ins Schwitzen komme. Tatsächlich endet der Weg vor einem geschlossenen Tor. Hier geht es nicht weiter, ich habe wohl den falschen Weg eingeschlagen. Also zurück. Fünfzig Meter weiter finde ich den richtigen Weg. Wieder geht es steil hinauf, nun ist es auch der richtige Opferberg, der mich ins Schnaufen bringt. Siebzig Meter ist er hoch. Oben gibt ein Schild Auskunft, dass hier das Naturschutzgebiet Fischbeker Heide beginnt. Die 773 Hektar große Heide- und Waldlandschaft ist nach der Lüneburger Heide die zweitgrößte Kulturlandschaft in Deutschland.
    Die Großstadt weicht dem Heidewald, durch den es nun rauf und runter geht. Mein Herz schlägt mir von der Anstrengung bis zum Hals. Die Großstadt bleibt zurück, ihr Lärm macht der Ruhe, die über der Heide liegt, Platz. Auf einer Wiese liegt ein schlafender Wanderer.
    Während ich strakst nach Süden strebe, macht der E1 weiter westlich einen Schlenker durch das Alte Land. Den Umweg wollte ich vermeiden. In Tempelberg treffe ich nun wieder auf die erste Wegmarke südlich der Elbe, die ich wie einen alten Freund begrüße.
    Kurz darauf gesellt sich an einem Baum eine weitere Wegmarke hinzu. Ein weißes [ H ] auf schwarzem Grund markiert den Heidschnuckenweg, der die schönsten Heideland­schaften der Nord- und Südheide miteinander verbindet und von Hamburg nach Celle führt. Bis Buchholz wird er mich begleiten.
    Der Weg verläuft auf geraden Asphaltwegen durch den Heidewald, er bedarf meiner Beachtung nicht. Ich schreite einfach, ohne hinzusehen, fühle mich ganz für mich. In mir breitet sich eine friedvolle Stimmung aus. Ich bin ganz ruhig und zufrieden, setze Schritt vor Schritt und komme allmählich in einen Wanderflow. Bis in der Ferne eine Sirene aufheult und die Ruhe zerfetzt. Die Vorstellung von Einsamkeit war von kurzer Dauer, noch bin ich der Zivilisation sehr nah.
    Mit 6 km/h gehe ich schnell für meine Verhältnisse, aber heute fühlt es sich gut an.
    Der Wald ist licht und die Sonne blinzelt durch das Fichtengrün. Alle 50 Meter weist mir ein frisch an einen Baum gepinseltes weißes Kreuz oder ein weißes H den Weg auf dem E1 bzw.. Heidschuckenweg. Der hier zuständige Wegewart hat ausgezeichnete Arbeit geleistet, so macht das Wandern Freude. Die Seele kann sich baumeln lassen, während der Körper ausschreitet. Und der Geist hat Pause.
    Ein paar Kilometer weiter wird der Weg sandig und weich, später geht es über Stock und Stein. Knorrige Wurzeln schlängeln sich über den Pfad, erfordern volle Konzentration. Das Gehen wird beschwerlicher, der Wanderflow ist dahin.
    Zwei Mountainbiker kommen mir auf ihren Rennmaschinen entgegen. Sie radeln wie die Teufel, den Blick stur nach unten gerichtet. Es geht ihnen offenbar mehr ums Tempo als um die Schönheit des Waldes, der anscheinend nur ihre Arena darstellt. Sie unterhalten sich lautstark über die Vorzüge ihrer Räder und nehmen die Stille des Waldes vermutlich nicht wahr. Mich stören sie sehr, zum Glück sind sie schnell vorbei.
    Zwanzig Kilometer bin ich nun schon gelaufen, es ist Zeit für eine Pause. Da steht wie bestellt an einer Weggabelung eine Bank, auf der ich mich lang mache und einschlafe, bis ich recht unsanft von lauten Stimmen geweckt werde. Vier Radlern mittleren Alters palavern direkt vor meiner Bank über ihre tollen Leistungen, wie schnell sie heute seien und wie schön ihre Räder funktionieren. Schicke Outfits haben sie ja an, aber das sie meinen Schlaf gestört haben, haben sie nicht bemerkt. Auch meinen Gruß erwidert sie nicht. Es ist, als sei ich Luft für sie. Ich bin sauer und gehe ohne weitere Worte.
    Der Waldweg ist von Baumwurzeln übersät, es geht rauf und runter. Das Wandern wird beschwerlich. Ich erinnere mich an eine energetische Fingerübung, die in Momenten, in denen Energie gebraucht wird, immer hilft:
    <<Im Takt der Laufbewegung berühren sich Daumen und Zeigefinger, dann ticken nacheinander Mittel-, Ring und kleiner Finger an den Daumen. Beide Hände vollziehen diese Bewegung gleichzeitig. Immer wieder von vorne, immer im Takt der Beine. So kehren Kraft und Energie zurück. Es funktioniert immer, koordiniert die Bewegung, lässt den Atem ruhiger werden und die Gedanken sammeln.>>
    Diese Übung mache ich mehr als 10 Minuten lang und komme allmählich wieder in den Wanderflow.
    Da holen die vier Biker auf. Sie unterhalten sich immer noch lautstark, zerstören meinen Waldfrieden. Ich springe zur Seite, lasse sie passieren, warte auf einen Dank, der aber nicht kommt. Während ich noch lange ihre lauten, aufgeregten Stimmen ertragen muss, werden sie für mich zu einem Symbol unserer modernen Zivilisationsgesellschaft, die so viel Hektik und Lärm produziert und mehr nimmt als gibt. Ich selbst fühle mich nur ungern als Teil davon, doch kann ich mich auch nicht völlig davon frei sprechen.
    Weiter geht es auf schnurgeraden, ebenen Wegen. Die Füße fliegen, der Blick ist ins Nichts gerichtet. Wenn es so läuft, ist das Wandern eine Pracht. Kein Vogelgezwitscher, überhaupt keine Geräusche gibt es hier. Im Wald ist es absolut still. Nur die eigenen Schritte knirschen im Takt am Boden. Da ist es wieder, das Gefühl des meditativen Wanderns, die Augen kann ich fast schließen beim Gehen. Nur wenn es bergauf geht, verliert sich der Flow, wegen der Anstrengung wird dann der Körper wieder spürbar. Geht es bergab, kehrt der Flow zurück, der Körper schiebt, wandert wie von allein, alles ist leicht. Weicht einmal der Schatten der Bäume einer Lichtung, spüre ich die Kraft der warmen Augustsonne. Auch wenn der Sommer bald vorüber ist, spielt er jetzt noch einmal einen Joker aus. Heute ist einer dieser typischen norddeutschen Spätsommertage, die so ideal zum Wandern sind.
    Kurz darauf kehren die Zeichen der Zivilisation zurück. Zuerst in Form einer Überland-Hochspannungsleitung, die dem Wald in breiter Scheise eine Wunde schlägt. In der Ferne rauscht eine Autobahn. Als ich schließlich auf der Autobahnbrücke stehe, ist der Lärm schier unerträglich. Auf breiter Trasse rasen in einem nicht abreißenden Strom die Autos vorbei, in jedem sitzen Menschen, die vielleicht ihre Fahrt genießen und nicht ahnen, was für einen Lärm ihr Auto produziert und in welchem Maße sie der Natur schaden. Ich stehe hier oben und begreife nicht, warum wir Menschen es bisher nicht geschafft haben, Automobile leiser zu bauen.
    Dann ist der Heidewald zu Ende, mir reicht es für heute auch. Er öffnet sich einer Wiese, die mit roter Heide prachtvoll überzogen ist. Die Heideblüte wirkt wie ein roter Teppich, der am Horizont den blauen Himmel küsst.
    Noch sind es sechs Kilometer bis Buchholz, als sich das Himmelsblau blitzartig in eine dunkle Regenwand verwandelt, die schnell von Nordwesten heran zieht. Sie folgt mir schneller, als ich laufen kann. Werde ich am Ende noch nass?
    Doch ich habe Glück, die Wolke zieht über mir hinweg, ohne sich abzuregnen.
    An einer Bank halte ich inne. Während ich sitze, mache ich mal einen Körpercheck:
    <<Ich fange unten an: der linke Fuß, den ich mir vor Wochen umgeknickt hatte, schmerzt ein wenig. Zwei Wanderungen ging es gut, doch jetzt kommt ein leichter Schmerz zurück. Dem anderen Fuß geht es gut. Bisher keine einzige Blase. Die alten Wanderschuhe sind immer noch gut. Leider laufen sich die Sohlen ab, im nächsten Jahr werde ich Neue brauchen. Die Beine funktionieren prächtig, keine Klagen von dort. Die Leistengegend tut etwas weh, aber es ist auszuhalten. Stretching würde vielleicht helfen. Der Hintern hält sich gut, keine Klagen von dort. Der unterer Lendenwirbel tut, wo der Rucksack aufsetzt, weh. Der Schmerz ist mir vertraut und ich hoffe, dass es im Verlauf der weiteren Wanderungen nicht mehr wird. Schultern, Hals und Kopf verhalten sich klaglos. Mit meinen fast 55 Jahren fühle ich mich fit und fürs Wandern ausreichend trainiert. Ich habe meine Distanzen, in denen ich mich wohlfühle, von 20 auf 30 Kilometer ausdehnen können. Ein ansehnlicher Anfangserfolg, wie ich finde. Nur die Muße ist durch die längeren Distanzen etwas zu kurz gekommen. Manchmal fühle ich mich in Eile.>>
    Mit mir zufrieden gehe ich weiter.
    Und nun sind wieder die letzten Kilometer bis zum Bahnhof da. Diese Kilometer, die nicht enden wollen. Die Strecke, wo Wanderlust den Knochen entweicht und die Freude des Ankommens überwiegt. Genau dort sollte immer ein Café auf den Wanderer warten. Auch heute habe ich Glück. Bei Kaffee und einem ordentlichen Stück Kuchen entspanne ich mich vor der Rückfahrt.
    Nach der Stärkung sind es nur noch wenige Meter bis zum Bahnhof. Der Zug steht schon bereit, doch ich habe noch kein Ticket. Während ich es aus dem Automaten ziehe, fährt der Zug los. Ich schaue ihm nach, wie er sich Richtung Hamburg in Bewegung setzt. Jetzt muss ich auf den Nächsten warten. Etwas verschnupft setze ich mich, das Ticket in der Hand. Am Himmel wird es dunkel, wieder zieht eine dunkle Regenwolke auf, sie türmt sich geradezu bedrohlich über dem Bahnhof auf. Ganz allmählich wird sie groß und größer, wächst zu einem richtigen Ungetüm heran. Bevor das Unwetter losbricht, sitze ich im nächsten Zug zurück nach Hamburg.
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  • auf dem E1 durch die Nordheide Richtung Undeloh
    schmale Pfade führen durch lichten HeidewaldBlick vom Brunsberg über die Heideleider fehlt der Heide heute das BrennenSchutzhütte bei Inzmührenmorbide Stimmung in den Heidewäldernin Undeloh gönne ich mir Kaffee und Kuchen, bevor es mit dem Heideshuttle zurück geht

    E1-011-D-Undeloh (28km)

    August 30, 2014 in Germany ⋅ 🌧 17 °C

    Morbides Gewand

    Nach nur zwanzig Minuten Bahnfahrt stehe ich in Buchholz am Bahnhof, von dem es über eine graue Eisenbahnbrücke geht. Bald bin ich zurück in der Heide. Es dauert nicht lange, bis ich die erste Markierung des E1 sehe. Auch der Heidschnuckenweg ist wieder da. Heute will ich dem Fernwanderweg quer durch die Heide bis nach Undeloh folgen. Else Komoot soll dieses Mal Pause haben, denn ich möchte mich auf die Wegmarken des E1 verlassen und das Smartphone nur die Strecke loggen lassen. So möchte ich prüfen, ob man den Fernwanderweg auch nur anhand seiner Wegmarken folgen kann.

    Die Heide steht ungewöhnlich früh in voller Blüte. Es mag am zeitigen Frühling und dem schönen Sommer liegen, das in diesem Jahr alles ein paar Wochen nach vorne versetzt zu sein scheint. Vielleicht ist Weihnachten in diesem Jahr bereits Ende November? Man kann es nicht wissen.

    Leider meint es die Sonne heute nicht gut. Im Grau des Himmels brennt die Heide nicht rot, wie erhofft, sondern schimmert grau. Für den Tag ist kein gutes Wetter vorhergesagt, es soll bewölkt bleiben, vielleicht etwas regnen. Bei einer solchen Prognose empfiehlt es sich, für jede Eventualität etwas im Rucksack zu haben. Das macht ihn schwer, er scheuert schon auf den Schultern. Das mag ein Vorgeschmack sein, was mich im nächsten Jahr erwartet, wenn ich mit vermutlich schwererem Übernachtungsgepäck wandern werde.
    Die Planung der heutigen Etappe war mühsam. Lange dachte ich, dass ich dem E1 durch die Heide nicht folgen könnte, denn es gibt keinen Bahnhof dort. Ich wusste, dass der Heidesprinter EriX ab Buchholz fährt, doch die Strecke führt westlich an der Heide vorbei– und eben nicht hindurch. Und so schaffte ich es lange nicht, diese Etappe zu planen. Leicht verzweifelnd begann ich mir einzureden, dass ich die Heide vielleicht links liegen lassen müsste. Es wäre schade gewesen.
    Kurz bevor es los gehen sollte, habe ich den Heide-Shuttle entdeckt. Es ist ein Beförderungssystem, das auf drei Buslinien im Zweistundenrythmus alle Heideorte bedient. Damit wurde die Planung auf einmal kinderleicht, denn für den Rückweg konnte ich nun den Shuttlebus ab Undeloh einplanen. Sogar Fahrräder sind willkommen. Und besonders toll finde ich, dass der Service kostenfrei ist. Das ist doch eine sinnvolle Maßnahme, um die Heide autofrei zu bekommen.
    Auf schmalen und verschlungenen Waldpfaden führt der E1 durch lichten Heidewald, der aus großen Birken, dicken Eichen und schlanken Kiefern besteht. Obwohl es idyllisch ist, bin ich doch ein wenig enttäuscht, denn eigentlich möchte ich die weiten Heideflächen sehen. Ich werde mich gedulden müssen, denn nur 65% der Flächen besteht aus Heide. Der Rest ist von Bäumen bewachsen. Wald ist die ursprüngliche Form der Heidelandschaft, die heutige Heide ist erst durch Menschenhand entstanden. Rodungen, intensiver Ackerbau und Viehzucht ließen entstehen, was wir heute unter Heide verstehen.
    Schließlich endet der Wald, es bietet sich ein prächtiger Blick auf den Brunsberg. Die Anhöhe ist vollständig mit Heide bewachsen. Heide satt sozusagen, in voller Blüte. Ich bin genau zur rechten Zeit gekommen. Langsam gehe ich den sanft ansteigenden Weg hinauf zum Brunsberg. Oben angekommen, will ich Pause machen, doch es bläst ein zugiger Wind hier oben, den ich im Wald nicht bemerkt habe. Auf eine Bank setzte ich mich trotzdem und schaue mich um. Von hier kann man unglaublich weit in alle Richtungen schauen, bis zum Horizont nur Heide und Wald. Hier oben bin ich ganz für mich und das genieße ich sehr.
    Schade nur, dass über der Heide ein so dunkler Himmel hängt. Das Grau der Wolken schwappt in die Heide und nimmt ihr das rote Brennen.
    Der Wind lässt mich frösteln, deshalb verlasse ich schon bald den Berg auf der gegenüber liegenden Seite. Bei meinem Abstieg begegne ich einer lustigen Gemeinschaft, die sich laut lachend unterhält. Ein paar Frauen stehen in zwei Reihen hintereinander, gackeln und kommen nicht zur Ruhe. Ein Mann steht auf dem Weg, hält in gebückter Haltung einen Fotoapparat in der Hand und müht sich ab, den munteren Haufen so zu postieren, dass alle in den Sucher passen. Es gelingt ihm offenbar nicht. Ich beobachte amüsiert, was geschieht. Das geht eine ganze Weile so, ich habe schon Mühe, nicht zu lachen. Endlich frage ich den Mann, der vermutlich der Wanderführer ist, ob er nicht mit auf das Bild möchte. Er ist sichtlich erleichtert, die schwierige Aufgabe elegant lösen zu können, drückt mir blitzschnell die kleine Kamera in die Hand und eilt zu den Damen. Jetzt reißen sie sich plötzlich zusammen, stellen sich vorteilhaft in Pose. Ich bekomme alle in den Sucher und drücke ab. Ich soll gleich mehrere Bilder schießen. „Nur zur Sicherheit“, meinen die Damen. Mit dem Ergebnis sind sie zufrieden. Wir verabschieden uns und ich kann weiter.
    An der nächsten Biegung kommen mir zwei Frauen entgegen.
    „Guten Tag, die Heide blüht dieses Jahr ja ziemlich spät“, meint die eine von ihnen.
    „Nein, sie blüht viel früher als sonst“, erwidere ich.
    „Ach so“, sagt die andere, „wir können das nicht so genau wissen, denn wir kommen aus dem Rheinland“.
    Immer weiter folge ich den Spuren des Fernwanderweges, die Wegmarken weisen mir vorzüglich den Weg. Wald, Heidewiesen und bewirtschaftete Flächen, auf denen überwiegend Mais wächst, wechseln sich ab. Manchmal muss ich auf ausgetretenen Pferdewegen gehen, im weichen Sand ist das Wandern dann beschwerlich.
    Kurz hinter Inzmühren treffe ich auf eine Schutzhütte. Sie kommt mir gerade recht, denn aus heiterem Himmel beginnt es zu regnen. Kurzerhand verkrieche ich mich in die Hütte, packe den Proviant aus, esse mit Genuss und mache anschließend die müden Beine lang. Wie gut das tut! Und schon bin ich weg. Als ich die Augen wieder aufmache, ist die Regenwolke abgezogen. Ich kann weiterwandern. Die Hütte war zur rechten Zeit am rechten Ort.
    Weiter geht es durch den Wald, der mich bis nach Undeloh begleiten wird. Der Weg ist breit, die Wegmarken des E1 gut sichtbar. Else Komoot brauche ich heute tatsächlich nicht. Dann wird der Weg schmaler und der Wald dichter, auf der Wetterseite sind die Stämme voller Moos. Hier ist es feucht und totes Holz liegt in Mengen herum. Es riecht moderig und streng. Auf dem Weg krabbeln Mistkäfer herum, kleine, schwarze Geschöpfe, die sogar glänzen, wenn die Sonne nicht scheint. Sie verschwinden in kleinen Löchern, um an anderer Stelle wieder hervor zu kriechen. Pferdeäpfel scheinen sie zu lieben, denn auf den Hinterlassenschaften der Pferde sitzen sie zu Dutzenden. Überall kriechen sie herum, ich muss aufpassen, nicht auf die schwarzen Krabbler zu treten.
    In meinem Geist bildet sich das Wort „morbide“. Am Liebsten hätte ich die Gegend hinter mir. Doch noch eine ganze Weile geht es weiter durch den feuchten, klammen Wald, bis der Pfad endlich in Undeloh endet. Ich komme an einem großen Parkplatz vorbei, der mir irgendwie bekannt vorkommt. „Hier war ich schon einmal“, denke ich. Aber es fällt mir fällt nicht ein, wann das war.
    Die Straße durch Undeloh ist viel befahren, PKW und Busse drängeln sich dicht an dicht, es ist ein großes Geschiebe und es sieht so aus, als hätten die Touristen den Ort fest in ihren Händen.
    Es dauert noch eine dreiviertel Stunde, bis das Heide-Shuttle kommt. So ist genug Zeit, um mir in der Teestube eine leckere Buchweizentorte und einen großen Milchkaffee zu gönnen. Ich setze mich in den Garten, die Bedienung hat Tische und Stühle bereits trocken gewischt.
    Kurz vor der Abfahrt füllt sich die Haltestelle mit Wanderern, Touristen und Radfahrern, so dass ich mich frage, ob wir alle in den Bus passen werden. Doch ich übe mich in Gelassenheit und warte ab. Der Bus kommt, und alle passen locker hinein, der Busfahrer hilft den Fahrradfahrern mit den Rädern und mit einem kessen Spruch startet er die Tour durch die Heide. Während der Fahrt bekomme ich noch eine Menge von der Heide zu sehen, bis der Bus in Buchholz auf dem Bahnhofsplatz stoppt und ich noch ein paar hundert Meter zum Bahnsteig laufen muss. Dafür wartet heute der Zug und fährt erst los, nachdem ich mit Ticket eingestiegen bin.
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  • die offene Heidefläche liegt nun vor mir. Ja, so wollte ich es haben!auf sandigen Pfaden durch die Heide zum Wilseder BergErinnerungen werden wach auf dem Wilseder Bergwo die Heide summtEichenbuschwaldwenn die Sonne scheint, glüht die HeideWarten auf ErixX

    E1-012-D-Wolterdingen (28km)

    September 2, 2014 in Germany ⋅ ⛅ 18 °C

    Wo die Heide summt

    Halb zehn ist Frühstückszeit in Deutschland, so heißt es doch in einer Werbung für Schoko-Waffeln. Doch ich steige gerade erst in Undeloh aus dem Heideshuttle. Für eine Pause ist es noch zu früh, erst einmal soll gewandert werden. In dem kleinen Touristenort ist so zeitig noch kein Betrieb, die angespannten Ackergäule warten vor den Kutschen auf Kundschaft für eine Kutschpartie durch die Lüneburger Heide. Die Touristen werden sicher bald kommen.
    Ich gehe schon mal los, sichere mir so einen Vorsprung vor den Touristenströmen.
    Noch ist der Himmel bewölkt, später soll es aufklaren. Heute habe ich große Lust zum Wandern. Also los. Zunächst geht es weiter durch den Heidewald, der in der grauen Morgenstimmung ebenso morbid wirkt wie auf der letzten Wanderung.

    <<Beim Gehen drehen sich meine Gedanke etwas im Kreis. Ich denke über das nächste Wanderjahr nach.
    Die Touren sind immer weiter vom Ausgangspunkt Hamburg entfernt und bald ist es vermutlich zu weit, um eintägige Touren zu unternehmen. Irgendwann werde ich wohl oder übel irgendwo zwischenübernachten müssen.
    Mir gehen verschiedene Übernachtungsmöglichkeiten durch den Kopf.
    Ich denke über Zeltübernachtungen nach. Es soll ja Ein-Personen-Zelte geben, die weniger als 2 kg wiegen. Es würde aber bedeutet, dass ich nicht nur Zelt, sondern auch Schlafsack und mehr Verpflegung auf dem Rücken schleppen muss. Will ich das?
    Ich könnte auch mit einem Miniwohnwagen unterwegs sein, den ich hinter meinen Smart hänge. So etwas gibt es, ist aber teuer. Und es wäre nicht praktisch, denn ich müsste den Wagen nach einer Wanderung immer nachziehen, dafür ein Stück mit der Bahn zurück fahren. Ich wäre gezwungen, in der Nähe von Bahnstrecken zu bleiben, um abends einen Bahnhof zu erreichen. Das schränkt natürlich ein und macht das Wandern auf dem E1 vermutlich unmöglich.
    Ich könnte auch in Pensionen oder Hotels übernachten. Aber die sind vielleicht nicht dort, wo ich sie zum Übernachten brauche. Oder sie wären ausgebucht.
    Die Gedanken drehen sich unentwegt im Kreis und keine der Optionen gewinnt die Oberhand.
    Ich kann es einfach nicht gelassen auf mich zukommen lassen. Ich mag nicht einfach so auf gut Glück mit einem gut gepackten Rucksack losziehen und schauen, was am Ende eines Wandertages auf mich wartet. Aber im Winter, der jetzt noch so fern scheint, werde ich sicherlich genügend Gelegenheit haben, mir weitere Gedanken zu machen. Einstweilen schiebe ich sie zur Seite.
    Das Wandern wird für mich zu einer Beschäftigung, der ich immer mehr Zeit widme. Zum einen sind es die Wanderungen selbst, die meine Wochenenden bestimmen. Seit Monaten bin ich meist Samstags unterwegs, während der Sonntag der Regeneration dient. Zum anderen nimmt das Vorbereiten der Touren viel Zeit unter der Woche in Anspruch, weil ich gründlich plane.
    Für die Planung hat sich ein festes Schema etabliert:
    zunächst plane ich die als nächstes anstehende Etappe grob und schaue, ob ich dem E1 folgen kann oder ob der Fernwanderweg wieder einmal einen zu großen Schlenker vorsieht, dem ich nicht folgen möchte. Schließlich möchte ich ja irgendwann am Bodensee ankommen. Im zweiten Step wird die Planung detailliert, damit die Route möglichst wenig auf Straßen, sondern auf Wanderwegen verläuft.
    Den groben Planungsprozess unterstützt die Komoot-Software ganz gut. Ich muss nur Start und Zielpunkt eingeben und oft bietet Komoot mir Wege an, die dem Verlauf des E1 folgen. Doch manchmal ist mir das nicht gut genug. So nimmt die Vorbereitung viel Zeit in Anspruch.
    Doch ich empfinde es als sinnvoll verbrachte Freizeit. Und es entwickelt sich zu einer Leidenschaft.>>

    Der Wald öffnet sich, die offene Heidefläche liegt nun vor mir. Ja, so wollte ich es haben! Bald darauf steigt das Gelände sanft an. Bunte Blumen säumen den Sandweg, die ich nicht beim Namen kenne. Ich kann nur den roten Teppich zuordnen: Heidepflanzen. Wunderschön und absolut still ist es.
    Vor mir liegt der Wilseder Berg, der immerhin 160 Meter hoch ist und mich zum Schnaufen bringt. Ich bin halt nur ein Flachlandtiroler, der keine Berge gewohnt ist. Oben ist ein Aussichtspunkt, von dem man weit in die Heide blicken kann.
    Ein Radfahrer will gerade auf sein Rad steigen. Ich bitte ihn, schnell ein Foto von mir zu machen, damit ich auch mal eines von mir habe. Während ich ihm mein Smartphone in die Hand drücke, kommen wir auch schon ins Gespräch. Er erzählt von seiner viertägigen Radtour durch die Heide, die er gerade unternimmt. Er ist alleine unterwegs, radelt hundert Kilometer am Tag. Als ich höre, dass er in Jugendherbergen übernachtet, spitze ich die Ohren, bohre nach. Er berichtet, dass er mit den Jugendherbergen nur gute Erfahrungen gemacht hat. Meistens hatte er ein Zimmer für sich ganz alleine und für Übernachtung, Frühstück und Abendbrot zahlt er nie mehr als 30€. Das hört sich doch gut an! In Gedanken setzte ich die Jugendherbergen auf meine Liste der Übernachtungs-möglichkeiten.
    Schon im Fahren fragt er mich, ob ich hier oben schon einmal gewesen sei.

    „Ja, zum Sternschnuppen zählen.“, erwidere ich. Aber das hat er nicht mehr gehört.
    <<Die Geschichte liegt zwei Jahre zurück. Zu der Zeit war ich mit jemandem befreundet, die immer lustige und verrückte Ideen im Kopf hatte, mich ständig mit etwas Neuem überraschte. So auch an jenem Abend. Sie klingelte und verkündete, ich solle sofort feste Schuhe anziehen und eine Jacke mitnehmen. Ich griff zur Jacke und schon ging es los. Sie saß am Steuer, fuhr die Autobahn von Hamburg Richtung Süden. Sie lachte immerzu fröhlich, so wie es Kinder machen. Ich bemerkte kaum, dass wird die Autobahn verließen, denn ich hatte nur Augen für sie. Wir parkten auf einem großen Platz am Waldesrand. Sie griff hinter sich und holte einen Picknickkorb vom Rücksitz.
    „Komm“, sagte sie fröhlich.
    Ich folgte ihr durch einen verwunschenen Wald auf einem Weg, der im Dämmerlicht kaum auszumachen war. Sie lief voran und lachte immerzu. Ich fühlte mich unbehaglich, denn ich wusste weder, wo wir waren noch wo wir hin wollten.
    „Vertraue mir“, erwiderte sie, als ich es ihr sagte. Das fiel mir nicht leicht, weil ich mich fragte, was aus mir würde, wenn sie auf einmal weg wäre. Aber sie würde ja nicht verschwinden.
    Der Wald wich beiseite, offene Heidefläche tat sich vor uns auf. Die Füße stapften über sandigen Boden. Es ging erst seicht, dann steiler bergan, bis wir oben auf einem Berg standen. Von dort hatte man einen wundervollen Blick in alle Richtungen. Mittlerweile war es schwarze Nacht geworden, nur im Norden konnte man die Lichter Hamburgs ausmachen. Ich hatte immer noch keine Ahnung, wo wir waren.
    Sie gab mir einen Kuss, breitete eine Decke aus, die sie aus dem mitgebrachten Korb zog, drückte mir zwei Sektgläser in die Hand, zog eine Sektflasche aus dem Korb, es machte kurz "Plopp". Ihre eine Hand lud mich ein, sich zu ihr zu setzen, während die andere den Sekt in die Gläser füllte. Während wir tranken, wies sie zum Himmel. Mein Blick folgte ihrer Bewegung und sah den unglaublich klaren Sternenhimmel, den ich so lange nicht mehr betrachtet hatte. Millionen und Abermillionen Sterne glitzerten am schwarzen Firmament. Sterne, die nur für uns da waren.
    „Es ist die Nacht der Perseiden und wir zählen heute Sternschnuppen. Bei jeder Sternschnuppe kannst du dir etwas wünschen.“, sagte sie und küsste mich.
    „Was sind die Perseiden?“, wollte ich wissen.
    „Ein Haufen von Meteoriten, die jedes Jahr zur selben Zeit dicht an der Erde vorbei fliegen und uns ihre Sternschnuppen schenken. Wir müssen sie nur sehen und uns dann etwas wünschen.“
    So zählten wir. Ich entdeckte 42 Sternschnuppen, sie 76. Sie war eindeutig die bessere Sternschnuppenzählerin. Bei jeder Sternschnuppe rief sie aus: „Da“ und ich bekam einen Kuss. Viele Wünsche kamen so zusammen, manche davon haben sich erfüllt, andere noch nicht und manche werden wohl nie in Erfüllung gehen.
    Die Zeit hätte in diesem Moment stehen bleiben können. Doch sie lief weiter und irgendwann wurde uns kalt.
    Auf dem Rückweg ging der Mond auf. Er löste sich glutrot aus der Heide und schickte sich an, ein riesiger roter Ball am dunklen Himmel zu werden. Die bis eben noch graue Heide strahlte plötzlich dunkelrot, fast so wie tagsüber. Sie stand gerade in voller Blüte, denn es war August.
    In dieser Nacht habe ich sie sehr geliebt. Für ihre unglaubliche Idee und auch dafür, dass sie zum richtigen Zeitpunkt für mich da war.>>

    Es ist Zeit zum Gehen, denn von der Südseite kommen Touristen lärmend den Berg herauf. Ich bin dankbar, dass ich meinen einsamen Moment auf dem Berg hatte.
    Am Fuße des Wilseder Berges weist die Wegmarke des E1 nach links, der Fernwanderweg macht einen gewaltigen Umweg über Bispingen. Mir ist das zu weit, so verlasse ich hier den E1 für eine Weile. Ich glaube, ich werde erst im nächsten Jahr wieder auf ihn treffen.
    Die Sonne bricht durch die grauen Wolken. Und schon glüht die Heide.
    Bolterberg und Stattberg sind Erhebungen, die fast so hoch und schön sind wie der Wilseder Berg. Aber sie sind nicht so bekannt, hier ist kein Mensch weit und breit.
    Auf einer Wiese werden zwei Hütehunden ausgebildet. Übermütig ziehen sie an ihren Leinen, laufen freudig bellend um den Schäfer herum. Die Schafe finden das nicht lustig, ängstlich scharen sie sich aneinander und machen den Hunden das Hüten leicht.
    Der Magen knurrt. Ich bin mit fast leerem Magen losgegangen und außer zwei Powerriegel habe ich nichts dabei. Ein Gasthof käme jetzt recht und ich erinnere mich, dass in Niederhaverbeck einer sein soll. Tatsächlich komme ich jetzt durch das Dorf und den Gasthof gibt es auch. Auf der Terrasse lasse ich mich in der Sonne nieder, strecke die Beine lang aus und lasse mir die Karte reichen. Eine Stunde später bin ich wieder unterwegs.
    Hundert Meter vor mir kreuzt eine Schafherde den sandigen Weg. Bald sind sie hinter dem nächsten Heidehügel wieder verschwunden. Ich bin wieder alleine auf dem Weg.
    Die Weite und Stille der Heide ist beeindruckend. Ist es windstill, hört man - nichts. Geht ein Lüftchen, dann hört man das Singen der Bäume.
    Eine Informationstafel berichtet, dass in der Heide früher alle 20 bis 30 Jahre Eichen auf den Stock gesetzt wurden. So wurde Feuerholz für die kalten Wintertage gewonnen. Nachdem Kohle als Heizmittel das Eichenholz verdrängte, wurden die Bäume nicht mehr gefällt. Die Triebe haben sich zu stattlichen Eichenbüschen entwickeln können und bildeten untypische Eichenbuschwälder aus, die einmalig auf unserem Planeten sein sollen.
    Ich bin nun vier Stunden unterwegs, es ist Zeit für eine zweite Pause. Ich setze mich auf eine der Bänke, die zahlreich am Wegesrand stehen, streife die Wanderschuhe von den Füßen und strecke mich lang aus. Ganz still ist es, solange ich die Augen offen habe. Als ich sie schließe, höre ich nach kurzer Weile, dass die Heide gar nicht still ist, sondern brummt.
    „Woher mag das kommen?“, frage ich mich neugierig und öffne wieder die Augen. Ich sehe eine Biene auf einer nahen Heideblüten. Sie ist es, die summt. Nach und nach sehe ich weitere, die von Blüte zu Blüte fliegen und Nektar aus den Heideblüten saugen. Alle zusammen bilden das Brummen. Doch damit nicht genug. Zwei Zitronenfalter flattern munter herum, lassen sich schließlich auf meinem Rucksack nieder. Nach und nach sehe ich viel mehr Falter. So viel Leben in der Heide, dass ich gar nicht wahrgenommen habe. Offenbar muss ich mich auf das Betrachten konzentrieren, um all das wahrzunehmen. Es ist, als sei es unsichtbar bis zu dem Moment, an dem man bereit bin, es zu sehen. Lange sitze ich auf der Bank und spüre einen inneren Frieden in mir aufsteigen. „So also fühlt sich die Muße an“, sinniere ich. Ich denke es nicht nur, ich fühle es. Es dauert Ewigkeiten, bis ich weiter gehen mag.
    An einer Weggabelung will Else Komoot, dass ich geradeaus gehe, doch da ist kein Weg. Als ich ganz genau hinschaue, entdecke ich hinter dichten Kiefern einen versteckten Pfad, der kniehoch mit Gras bewachsen ist. Das hätte ich nie als Weg angesehen. Aber ich folge ihm, wie Else Komoot es mir vorschlägt.
    Erst geht es gut, später wird es beschwerlicher. Wildschweine haben den weichen Heidesand umgepflügt. Dann verliert das Smartphone auch noch die Internet-Verbindung, in Folge verschwindet die Komoot-Karte vom Display. Nur eine blaue Linie, die den zu gehenden Weg markiert, bleibt glücklicherweise sichtbar, dazu ein Punkt, der blinkt und damit anzeigt, wo ich mich gerade aufhalte. Der Weg vor mir geht weiter geradeaus, also gehe ich einfach weiter. Der blinkende Punkt folgt der Linie auf dem Display, also bleibe ich auf meiner geplanten Route. Alles ist gut.
    Den Gedanken, was wäre, wenn jetzt das Smartphone vollständig den Dienst quittieren würde, schiebe ich lieber beiseite. Vielleicht wäre eine Karte - so richtig aus Papier - doch besser, als sich auf die Technik zu verlassen.
    Ein paar Kilometer weiter schleicht sich ein dumpfes Geräusch in die Stille, wird beim Näher kommen lauter und konkreter, zerfällt schließlich in einen festen Rhythmus, der aus immer wiederkehrendem Rattern, Klacken und lautem Gekreische besteht. Dann klärt es sich auf: links von mir liegt der großen Freizeitpark Heidepark Soltau. Das Geräusch entstammt einem Fahrgeschäft.
    Zum Bahnhof Wolterdingen ist es nicht mehr weit. Dort warte ich auf den Heidesprinter ErixX, der mich, aus Richtung Hannover kommend, zurück nach Hamburg bringt.
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  • Smartie bleibt in Wolterdingen zurückneugierige KüheRast auf dem Golfplatz Hof Lohauf der WanderautobahnIch möchte nicht wissen, was da drin istWanderfreuden auf dem Freudenthalwegdas Tordie Böhme führt durch ursprünglich anmutende LandschaftAuf der Wiese linst mich eine Kuh ander Bahnhof Fallingbostel mutet nicht sehr anheimelnd an

    E1-013-D-Fallingbostel (35 km)

    September 6, 2014 in Germany ⋅ ⛅ 24 °C

    Wanderfreuden auf dem Freudenthalweg

    Die Bahn streikt. So nehme ich meinen Smart, um nach Wolterdingen zu fahren. Morgens um neun Uhr parke ich ihn in einer Seitenstraße, schultere den leichten Tagesrucksack und los geht es.
    Heute geht es ein Stück den Freundenthalwanderweg entlang. Die erste Wegmarke, ein weißes [ F ] auf schwarzem Grund, begegnet mir rasch.
    In Soltau ist Markt in der Fußgängerzone, die Leute kaufen für das Wochenende ein. Bald liegt der Ort hinter mir und es wird ländlich.
    Der Weg führt auf einen Bauernhof zu. Kein Mensch ist zu sehen, aber ein Kuhstall, dessen Tor weit offen steht. In der Mitte ein breiter Gang, links und rechts Kühe, die mit Fressen beschäftigt sind. Ich mache einen Schritt in den Stall, keine Ahnung, warum. Die Kuh links neben mir hebt den Kopf, glotzt mich aus dunklen Augen fragend an. Sie bewegt ihr Maul sehr langsam. „Muh“, sagt sie, ziemlich laut und erzeugt damit eine Kettenreaktion. Die Kuh neben ihr hebt nun ebenfalls den Kopf, dann nacheinander die anderen, bis auch die letzte Kuh im Stall mich anstarrt. Was ich nun tue, ist vermutlich verboten, aber es reizt mich so. Ich gehe langsam durch den langen Stall und genieße, wie mir die Kühe hinterher glotzen. Etwas unheimlich finde ich es, das gebe ich zu und ich bin auch froh, als ich auf der anderen Seite ankomme.
    Bald habe ich die ersten zehn Kilometer geschafft, eine Bank am Rande des Golfplatzes „Hof Loh“ kommt für eine Rast wie gerufen. Auf dem Platz ist heute nur wenig Betrieb.
    Ich wandere auf lockerem Waldboden, es geht immer nur geradeaus. Mit der Zeit wird das langweilig. Es kommt mir vor wie auf einer Autobahn, auf der ich zwar schnell vorankomme, aber es gibt nur wenig Abwechslung. Doch ich darf mich nicht beschweren, habe ich die Route doch selbst so geplant. Mein Ziel war, möglichst schnell voran zu kommen. Wäre ich dem E1 gefolgt, wäre die Strecke vermutlich spannender gewesen. Ich hätte aber auch zwei Tage länger gebraucht. So hat alles seinen Preis. Meiner scheint heute eine gewisse Langeweile beim Wandern zu sein. Die Erfahrung ist neu und ich frage mich, ob sich die Freude am Wandern abnutzen wird.
    Die Sonne scheint mir mitten ins Gesicht. Eine weitere neue Erfahrung, denn während der ersten Etappen Richtung Norden kam die Sonne immer von hinten.
    Noch ein Bauernhof, durch den Else Komoot mich führen möchte. Ich komme an zwei schwarzen Mülltonnen vorbei, auf denen in riesigen Lettern „Kadaver“ steht. Ich möchte nicht wissen, was da drin ist. Mich gruselts, denn meine Phantasie geht mit mir durch. Der Weg hört am Hofende auf und Else Komoot möchte, dass ich umkehre. Das aber möchte ich nicht. Nicht noch einmal an den Tonnen vorbei. Lieber schlage ich mich durch die Büsche, um wieder auf den Weg zu gelangen.
    Ich komme zur Böhme, springe über Steine auf die andere Bachseite. Der Weg führt aus dem Flusstal hinaus auf einen Hügel. Dort werde ich von zwei obskuren Kunstobjekten überrascht, die mir erst auffallen, als ich unmittelbar vor ihnen stehe.
    „Der Wächter“ bewacht ein "Tor", das man kaum wahrnimmt, denn es ist aus Spiegeln gefertigt, in denen sich der Wald spiegelt. Blaue Fliesen verwurzelt das Kunstwerk mit dem braunen Waldboden.
    Am Abend recherchiere ich, dass die Skulpturen Teil der Naturausstellung „Böhme schafft Kunst“ sind. Neun Skulpturen wurden entlang der Böhme aufgestellt und sollen damit „das verbindende Element der Böhme und ihren besonderen Naturraum betonen."
    Weiter geht es Richtung Dorfmark. Im Dorf gibt es einen Bahnhof. Das weiß auch mein innerer Schweinehund, der sich mal wieder meldet. Er würde jetzt gerne nach Hause fahren, gibt er mir energisch zu verstehen. Auch möchte er nicht nass werden. Tatsächlich, am Himmel braut sich das für den Nachmittag angekündigte Unwetter zusammen. Noch scheint zwar die Sonne, aber im Süden türmen sich dunkle Wolken auf und verkünden nichts Gutes. Bis nach Fallingbostel sind es noch gut eineinhalb Stunden und wenn ich weiter gehe, riskiere ich tatsächlich, richtig nass zu werden. Ich bin geneigt, meinem Schweinehund recht zu geben.
    Doch eine Eisdiele lenkt ab. Ich bestelle erst einmal ein großes Eis. Das besänftigt ihn, er verkriecht sich wieder. Ich kann also weiter marschieren. Gut zu wissen, dass mein innerer Schweinehund bestechlich ist.
    Weiter geht es die Böhme entlang, das Flusstal kommt urwüchsig und wild daher. Gerade passiere ich eine Brücke. Das linke Geländer ist weggebrochen, einzelne Planken fehlen, in Summe sieht sie nicht sehr vertrauens­erweckend aus. Aber es gibt keinen anderen Weg.
    Danach geht es einen Hügel hinauf. Ich stehe vor einer eingezäunten Kuhweide. Es gibt ein Gatter, das sich öffnen lässt und als Bestätigung, dass alles seine Richtigkeit hat, prangt das weiße F des Freundenthalwanderwegs neben dem Gatter.
    Auf der Wiese steht eine einsame braune Kuh, die mir riesig vorkommt. Ich muss an ihr vorbei. Das ist jetzt etwas anderes als mit den Kühen im Kuhstall, die hinter einer Stange von mir getrennt waren. Diese Kuh läuft frei herum und ich bin hier der Eindringling. Wie wird sie sich verhalten? Ich weiß, Kühe sind eigentlich friedliche Tiere. Aber weiß sie das auch? Reckt sie mir nicht schon ihre Hörner entgegen? Gleich wird sie Anlauf nehmen und mich über den Haufen rennen. Oh Mann, was in meinem Großstadthirn herum spuckt! Ich versuche, die aufkeimende Furcht zu bändigen, denn die ist doch lächerlich! Mutig nähere ich mich dem Ungetüm, wir beäugen uns und ihre großen, dunkelblauen Augen schauen mich erwartungsvoll an.
    Sie lässt mich passieren, ich lasse sie nicht aus den Augen. Immer wieder drehe ich mich um, man weiß ja nie! Nein, sie folgt mir nicht. Flatsch! Da habe ich einen Kuhfladen übersehen. Sch…
    In diesem Moment fällt Komoot aus. Das Internet ist zu schwach, es bekommt kein Signal, die Karte wird nicht mehr angezeigt. Ich kenne das ja schon vom letzten Mal. Aber heute komme ich vom Weg ab, finde keinen Ausgang mehr. Ich suche den gegenüberliegenden Zaun ab, gehe nach rechts, dann nach links. Es wird anstrengend, denn es wird schwül, der Schweiß rinnt mir den Rücken runter. Das ist auf einer Kuhwiese fatal, denn es lockt die Fliegen an, die sonst auf dem Rücken der Kühe glücklich sind. Ich kann und will nicht mehr! Aber hier, mitten auf der Wiese, kann ich mich nicht fallen lassen. Ich muss weiter suchen. Schließlich weiß ich mir nicht anders zu helfen, als über den Stacheldrahtzaun zu klettern.
    Nun wird alles wieder besser. Die Internetverbindung ist wieder da und ich realisiere, dass ich vom Weg abgekommen bin. Lange dauert es, bis ich zurück auf der Route bin. Ich hatte zeitweise vollständig die Orientierung verloren.
    Ein paar Kilometer geht es das wunderschöne Flusstal der Böhme entlang. Hier zu wandern ist wieder spannend. Vergessen sind Wanderautobahn und Kuhwiese.
    Die Böhme fließt durch Bad Fallingbostel, genauer gesagt durch den Kurpark, der zum Bahnhof führt.
    Der Zug kommt bald und bringt mich rasch nach Wolterdingen zurück, wo mein Auto wartet. Die Rückfahrt nach Hamburg kommt mir lang vor, denn ich bin erschöpft. Aus den geplanten 28 km sind 34 km geworden und ich weiß nicht genau, warum. An der Kuhweide alleine kann es nicht gelegen haben.
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  • auf dieser Wanderung erhielt ich ein Zeichen
    weiter auf der WanderautobahnPflanzen im Dämmerlichtendlich Ruhe!Buchweizentortedie Allergenau zur rechten Zeit: Schloss BothmerAmor hat seinen Pfeil bereits verschossen

    E1-014-D-Bothmer (29 km)

    September 12, 2014 in Germany ⋅ ☀️ 21 °C

    Vom Sinn des Wanderns

    Zum heutigen Startpunkt dauert es schon zweieinhalb Stunden mit der Bahn. Bald wird die Zeit der eintägigen Wanderungen wohl vorbei sein.
    An diesem Freitag geht es schon vor acht Uhr los. Ich sitze im Zug nach Buchholz, höre die Durchsage, das das Neun – Uhr Ticket, wie der Name sagt, erst ab neun Uhr gelte. Ist ja klar, denke ich noch und schließe die Augen, um ein Weilchen zu dösen.
    Mit einem Ruck schrecke ich hoch.
    „Mensch, du hast gar kein Ticket gelöst“.
    Das habe ich total vergessen und nun bin ich zum Schwarzfahrer geworden. Mir wird heiß, die Finger eiskalt, der Puls beschleunigt. Ich versuche mich zu beruhigen, an nichts zu denken. Vor allem nicht an den Schaffner, der sicher gleich meine Fahrkarte checken möchte. Ich weiß zwar, das in der Regionalbahn wenig kontrolliert wird. Die Wahrscheinlichkeit, entdeckt zu werden, ist gering. Aber es hilft nichts, meine Gedanken beißen sich fest und ich halte pausenlos Ausschau, denn als Schwarzfahrer möchte ich nicht erwischt werden. Es wäre mir peinlich. Tatsächlich, da nähert sich jemand, der Fahrkarten kontrolliert. Oder bilde ich mir das nur ein? Um der Kontrolle zu entgehen, springe ich auf, eile durchs Abteil. Nur weg vom Schaffner. Ich poltere die Treppe des doppelstöckigen Abteils runter, will schlau sein. Aber auch unten scheint ein Schaffner durch die Sitzreihen zu schleichen. Noch ist er weit weg, aber vermutlich kennen sie die Tricks der Schwarzfahrer. Sie wollen mich abfangen, indem sie oben und unten gleichzeitig kontrollieren.
    „Was mach ich nur?“, frage ich mich verzweifelt. Da kommt mir die rettende Idee: ich verschwinde einfach auf dem WC und bleibe dort, bis der Zug im Bahnhof Buchholz einfährt. Genial. Ich horche an der Tür und hoffe, das niemand klopft. Als der Zug in Buchholz hält, öffne ich vorsichtig die WC-Tür, luge heraus. Steht der Schaffner vor der WC-Tür? Nein, da ist niemand.
    Auf dem Bahnsteig atme ich tief durch.
    Jetzt schnell ein Ticket gezogen und ab in den Heidesprinter, der sich auch gleich in Bewegung setzt, dann aber sehr gemächlich durch die Heide zuckelt. Bis ich in Bad Fallingbostel ankomme, ist viel Zeit vergangen. Erst um 10:30 Uhr steige ich aus dem Zug.

    Nun kann die Wanderung endlich losgehen.
    Zunächst muss ich durch ein Gewerbegebiet, dann beginnt der Wald.
    Die Sonne bricht durch die Wolken, ihre Strahlen haben auch im September noch erstaunlich viel Kraft.
    Wie beim letzten Mal führt der Weg schnurgeradeaus, was das Wandern etwas eintönig macht.
    Ein Feld am Wegesrand sieht merkwürdig aus. Über 400 Meter ist es lang und verhängt mit dunklen Planen, unter der es dämmrig ist. In Mulden wachsen Pflanzen, die dem dämmrigen Licht entgegen streben. Was mag das sein?
    Zwei riesige Vögel kreisen in luftiger Höhe. Anmutig sind ihre Schwingen gespreizt, sie bewegen sich kaum beim Fliegen. Gelegentlich geben sie kurze Laute von sich. Zwei Adler? Ich weiß es nicht. Adler sind selten in Deutschland und warum sollten sie gerade hier über dem eigenartigen Feld kreisen? Minutenlang beobachte ich staunend ihren Flug.
    Schließlich wende ich ab. Weiter geht es immer geradeaus.
    Schließlich geht es nach links in das Gehölz „Bossels Born“, doch auch durch dieses Waldstück geht es nur geradeaus. Der Waldweg ist sandig, deshalb mit zwei Asphaltspuren befestigt, vermutlich, damit Fahrzeuge der Land- und Forstwirtschaft hier fahren können. Zwischen den Fahrspuren wächst Gras. Ich gehe auf der linken Spur, brauche nicht auf den Weg zu achten, komme gut voran. Ich muss auf nichts achten. Zunächst merke ich es nicht, aber der Wanderflow ist wieder da. Ein Schritt folgt einfach dem Nächsten, keine Aufgaben als nur die Füße voreinander zu setzen, um voran zu kommen.

    Wandermeditation. Meditation beim Wandern.
    <<Eine Meditation dient Körper und Geist, um sich zu beruhigen und zu entspannen.
    Wer schon einmal meditiert hat, kennt das: zunächst wird der Körper beruhigt, z.B. durch gezielte Atemübungen. Durch langsames und tiefes Ein- und Ausatmen wird dem Geist der Körper, den er bewohnt, bewusst. Dieser entspannt sich durch das bewusste Atmen. Ist der Körper entspannt, kann es auch der Geist sein, er kann dann seine immerwährende Gedankenarbeit unterbrechen, sich leeren. Allmählich zerfließen Raum und Zeit, die Gegenwart dehnt sich aus.
    Wandern kann eine Meditation sein, wenn die äußeren Bedingungen gegeben sind. Hierzu gehört nach meinen Erfahrungen, dass ich einen möglichst geraden, ebenen und trockenen Weg vor mir haben muss. So muss ich mich nicht um den nächsten Schritt sorgen. Die Augen können entspannen, der Blick richtet sich auf den Boden, dorthin, wo die Füße in vier Schritten sein werden. Perfekt ist, wenn totale Stille herrscht und die Ohren nichts zu hören haben. Vielleicht ist ja der Herbst die beste Jahreszeit, denn dann ist es oft ganz still.
    Es sollte kein Zeitdruck herrschen, damit der Körper seinen eigenen Rhythmus finden kann. Das Ankommen zu einer bestimmten Uhrzeit sollte nicht bestimmend sein.
    Wenn die äußeren Bedingungen gegeben sind, kann eine Technik noch unterstützen, in den gewünschten meditativen Wanderflow zu kommen: ich achte auf die Arme, die mit den Beinen im Takt vor und zurück schwingen. Während die Arme schwingen, berühren beide Zeigefinger den Daumen und formen ein O. Nach dem Zeigefinger berühren nacheinander Mittelfinger, Ringfinger und kleiner Finger den Daumen im Takt der Bewegung. Der Atem passt sich dem Schritttempo an. Das Atmen wird immer ruhiger und gleichmäßiger, nach einer Weile atme ich tief ein und aus. Der Körper erhält jetzt viel mehr Sauerstoff. Ich atme immer beim ersten Schritt ein und bei den folgenden drei Schritten mit kleinen Stößen wieder aus. Bei jedem Schritt wechsle ich den Finger, so dass nach vier Schritten alle Finger einer Hand den Daumen berührt haben. Meist mache ich es synchron mit beiden Händen. Am Anfang geschieht es sehr bewusst, später geht es automatisch. Manchmal gehe ich so mehrere Kilometer weit, bis der Körper seinen Rhythmus gefunden hat.>>

    Während ich so die endlos langen Wirtschaftswege entlang wandere, drehen sich meine Gedanken auch immer wieder um mein Wanderprojekt.
    Etwa so:
    <<Durch Deutschland zu wandern war anfangs eine große Herausforderung für mich. Ich hatte großen Respekt vor der Entfernung und es veranlasste mich zu gründlichster Planung und Vorbereitung. Ich wollte einschätzen können, ob ein solches Vorhaben für mich überhaupt machbar wäre. Nun, nach 14 Tagesetappen mit durchschnittlich 30 Kilometern am Tag habe ich herausgefunden, dass mein Körper das Wandern beschwerdefrei verkraftet unter der Voraussetzung, dass ich ausreichend Pausen mache und unterwegs die richtige Nahrung zu mir nehme. Ich darf nicht zu schnell gehen, denn mein Körper verlangt nach seiner individuellen Geschwindigkeit. Wenn ich das beachte, macht mein Körper sehr gut mit. Während ich nach Flensburg unterwegs war, war ich mir noch nicht sicher, aber nun glaube ich, mein Körper wird bis zum Ende der Wanderung durchhalten. Diese Frage nach dem Ob scheint beantwortet zu sein. Aber kaum kenne ich die Antwort, erscheint die nächste Frage: worin besteht nun der Reiz des Vorhabens, wenn das Ankommen bereits zur Gewissheit geworden ist? Dieser Gedanken kreist im Kopf herum und findet seine Antwort nicht.>>
    Die Wanderautobahn ist plötzlich zu Ende, ich muss abbiegen. Damit endet auch die erholsame Wandermeditation. Doch Antworten habe ich keine gefunden.
    Der Weg führt in einen dichten Wald. Der Pfad wird immer schmaler, ist kaum noch zu erkennen und verschwindet dann ganz. Das Gras reicht bis zum Knie, doch Else Komoot hat mich bisher immer sicher ans Ziel gebracht. Ich stolpere durch immer dichter werdendes Unterholz, bis ich vor einer großen Pfütze stehe. Der Pfad scheint mitten hindurch zu führen, es sieht tief aus. Vielleicht kann ich das Wasserloch auch umgehen, denke ich, während ich gleichzeitig einen großen Schritt nach vorne mache und sogleich im Morast versinke. Das Wasser steigt den Stiefel hoch, gleich wird es in den Schuh schwappen. Um nicht zu versinken, ziehe ich meinen rechten Schuh nach. Wie blöd! Denn nun versinken beide Stiefel im Matsch, das Brackwasser läuft über den Rand der Stiefel. Es fühlt sich kalt an. Zwei Schritte, dann erreiche ich endlich wieder festen Boden. Schuhe und Hose sind völlig verdreckt! So schnell kann es gehen. Wie kam das denn? Ich bin völlig verwirrt.
    Stellen wir uns einmal vor, es gäbe eine Macht, die uns umgibt. Wenn das vorstellbar ist, dann könnte es sein, dass diese Macht mich zu diesem Wasserloch geführt hat, um mir hier ein Zeichen zu geben. Genau in dem Moment, an dem ich begonnen hatte, an den Sinn meiner Wanderung zu zweifeln und anfing, das Wandern langweilig zu finden. Genau in dem Augenblick, als ich den Abbruch meiner Wanderung ins Auge fasste. Als ich vermutete, meine Wanderung würde nichts anderes mehr sein als die Aneinanderreihung von weiteren Wandertagen ohne Abwechslungen.

    Wenn es so wäre, dann könnte diese Macht mir sagen wollen, dass jeder Augenblick eine Überraschung bereit halten kann und das Wandern ein Abenteuer ist.

    Für diejenigen, für die eine solche Kraft nicht vorstellbar ist, bin ich einfach in einem Wasserloch versunken. Das mag sich jeder selbst aussuchen.
    Ich aber möchte an diese Macht glauben, die mir mit einem Zeichen die Augen öffnete. Dafür bin ich dankbar. Das Zeichen habe ich gebraucht, um meine Wanderung freudig fortsetzen zu können.
    Damit ist der spirituelle Moment vorbei.

    Der Wald endet an der viel befahrenen Bundesstraße, die nach Hodenhagen führt. Komoot meint, dass es hier nun lang geht. Ich muss auf der Straße laufen, einen Fußweg gibt es hier nicht. Eine endlose Kette von Schwerlasttransportern zwingt mich auf den Randstreifen. Ich komme nur sehr langsam voran. Die entgegenkommenden Lastkraftwagen weichen nicht aus, ich spüre die Bugwellen, die die Trucks vor sich her schieben. Hier zu laufen, ist lebensgefährlich. Was bin ich froh, endlich das Ortsschild passieren zu können. Endlich ist die Höllenstrecke zu Ende.
    Endlich erreiche ich Eickelloh, die Bundesstraße führt mitten durch den geschundenen Ort. Der Schwerlastverkehr brettert mit fast unverminderter Geschwindigkeit durch die Ortschaft, ich bedaure die Anwohner. Auch mich, der hier gerade lang muss. Doch am Ende des Dorfes kommt eine Überraschung, mit der ich nicht mehr gerechnet habe. Ein altes Bauernhaus ist in ein Café verwandelt worden, hinter dem Haus gibt es Tische im Freien. Ich bestelle einen großen Kaffee und eine hausgemachte Buchweizentorte. Sehr lecker! Von der Straße hört man überhaupt nichts mehr und ich danke der Kraft, die nach meiner Prüfungen für diese leckere Belohnung gesorgt hat.
    Frisch gestärkt mache ich mich bald wieder auf den Weg und finde gleich darauf ein Hinweisschild zum Schloss Bothmer. Hurra, da will ich ja hin! Es ist heute mein Ziel, ich werde dort übernachten. Endlich kann ich von der viel befahrenen Hauptstraße in die Feldmark abbiegen und der Aller folgen, die gemächlich durch die Felder fließt. Fünf Kilometer weiter ist mit der Gemächlichkeit Schluss, als die Wassermassen tosend mehrerer Meter tief ein Wehr hinab stürzen.
    Kurz darauf wird die kleine Aller durch die zufließende Leine verschluckt. Hier verlasse ich den Flusslauf, folge nun dem Weg an Stoppelfelder entlang, über die eine schon tief stehende Abendsonne lange Schatten wirft.
    Ich bin froh, endlich durch das stattliche Tor von Schloss Bothmer zu schreiten. Als erstes sehe ich Pferdeställe. An einer der Pferdeboxen lehnt die Tochter des Hauses. Sie begrüßt mich und bietet mir sogleich einen Kaffee an. Ich nehme dankbar an. Serviert wird draußen unter einem großen Baum mit Blick auf das alte Gutshaus. Es soll früher einmal ein Rittergut gewesen sein, wie ich auf meinem Smartphone nachlesen kann. Heute ist es eher ein Reitergut, wovon die Stallungen am Eingang zeugen. Eine Statue im Hof mimt Gott Amor, der Pfeil ist bereits verschossen. Vielleicht hat er die weiße Statue getroffen, die sehnsüchtig gen Himmel schaut und nach dem Liebsten Ausschau hält.
    Auch ich bleibe heute nicht alleine, denn morgen wird mich eine Freundin begleiten. Sie steckt noch im Stau auf der Autobahn und es wird noch etwas dauern, bis sie eintreffen wird. So beziehe ich schon mal das Zimmer im Gästehaus neben dem Gutshaus. Es ist gemütlich, hat Wintergarten und eine Terrasse. Der Abend klingt schließlich mit einem leckeren Essen aus, dass uns Frau Königbauer, die Eigentümerin des Hotels, selbst zubereitet hat. In dem nur für Hotelgäste geöffneten Wintergarten reicht sie Parmesankartoffeln auf marktfrischem Salat mit gebratener Hühnerbrust bzw. frischem norwegischen Lachs. „Das Huhn stammt aus dem Nachbardorf“, betont sie, denn sie verarbeitet nur frische und möglichst heimische Zutaten. So hat es auch geschmeckt – einfach phantastisch!
    So versinke ich nach einem erfüllten Tag in einen wohlverdienten Schlaf.
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  • was ist Glück?
    Michael wandertKnack!Am Ende des 1. Wanderjahres fand ich das Motto meiner Wanderung

    E1-015-D-Neustadt am Rübenberge (33 km)

    September 13, 2014 in Germany ⋅ ⛅ 19 °C

    Über das Glück

    Um acht Uhr gibt es Frühstück, es ist lecker und reichlich, sogar das Ei gibt es nach Wunsch. Ich könne es weich gekocht bekommen, betont unsere Bedienung. „5½ Minuten wären fein“, antworte ich. Als ich es probiere, ist es steinhart. Auf meine Nachfrage bekomme ich zur Antwort, dass es wie bestellt exakt fünfeinhalb Minuten im Eierkocher stand. Nun ist klar, warum das Ei so hart ist, es geht halt schneller im Eierkocher als im gewöhnlichen Kochtopf.
    Nach dem leckeren Frühstück machen wir uns auf den Weg. Meine Beine fühlen sich leicht an, die Wanderung vom Vortag spüre ich nicht. Schnell liegt Dorf Bothmer hinter uns, Felder und Wiesen vor uns. Heute verläuft der Weg nicht so gradlinig wie gestern, stattdessen geht es im Zickzackkurs weiter nach Süden. Es soll nach Neustadt am Rügenberge gehen, das fast schon am Steinhuder Meer liegt.
    Ich merke schnell: das Wandern zu zweit ist anders. Ich konzentriere mich mehr auf meine Begleiterin als auf die Strecke.
    Nach dreizehn Kilometer, die wie im Fluge vergingen, bietet eine Bank Gelegenheit für eine Pause. Sie macht zwar einen vermodernden Eindruck, aber es wird einfach Zeit. Und tatsächlich - beim Hinsetzen knackt es und mein Hintern landet im Gras. Meine Begleiterin schüttelt sich aus vor Lachen und hilft mir wieder auf die Beine. Der Bank fehlt jetzt ein Stück.
    Nach einer kurzen Pause geht es weiter, wir kommen ins Diskutieren und reden über die wirklich existentielle Frage: „Was braucht man für ein glückliches Leben?“
    Die Antwort finden wir nicht sofort, aber auf der Wanderung hat man ja genügend Zeit, um ein Thema zu entwickeln.
    Nachdem wir lange hin und her argumentiert haben, lasse ich mich zu in einem langen Monolog hinreißen.
    Ich führe aus, dass es zum Glücklich sein nicht wichtig ist, viel zu besitzen. Die Werbung, die uns ständig umgibt, suggeriere uns zwar, das Kaufen glücklich mache. Ich dagegen behaupte, dass die Wirtschaft nur aus einem Grund ein Interesse daran hat, uns viele Waren und Dienstleistungen zu verkaufen. Der sei, Umsatz und Gewinn immer weiter zu steigern. Auch der Staat sei in Wahrheit daran interessiert, das Unternehmen möglichst viel verkaufen. Gute Umsätze würden schließlich automatisch auch ein gutes Steuereinkommen bedeuten.
    Die Bemessung unserer Wirtschaftsleistung erfolge, einfacht gesagt, über das Sozialprodukt, einer Kennzahl zur Bewertung der produzierten Endprodukte und Dienstleistungen einer Periode. Je höher diese sei, umso mehr werde produziert und verkauft und umso besser wachse die Wirtschaft.
    Ich erkläre, das sei zwar eine volkswirtschaftlich legitime Betrachtung, für den einzelnen jedoch fatal, denn im privaten Sektor werde der Wert eines Gutes oder einer Dienstleistung nur einmal, nämlich zum Zeitpunkt des Kaufes bewertet. Die Nutzungszeit dagegen zählt nicht. Der Wohlstand bemisst sich somit nur über das Kaufen, nicht über das Nutzen und suggeriere Wachstum auch dann, wenn Gegenstände lediglich ersetzt werden.
    Nach meiner Wahrnehmung seien Wirtschaftsunternehmen seit einiger Zeit dazu übergegangen, die Nutzungszyklen der Konsumgüter zu senken oder Produkte auf den Markt zu bringen, die suggerieren, dass ihre Vorgänger veraltet seien. So etwas nenne man geplante Obsoleszenz, von den Unternehmen mit genauem Kalkül ausgeführt. Es führt dazu, dass Güter nach vorausberechneten Nutzungszeiten kaputt gingen oder weit vor dem Ende ihrer möglichen Nutzungsdauer veralten. Zusätzlich unterstützt durch Werbung, die uns verspricht, dass Konsum glücklich macht. In Wirklichkeit diene es aber dem Wachstum der Kapitalrendite und der Verteilung der Geldmittel von Arm nach Reich, aber es nützt nicht dem Konsumenten, der dafür sein Geld einsetzen müsse, ohne einen realen Mehrwert zu erhalten.
    So gesehen mache Besitz nicht glücklich, er frustriere sogar, weil Gegenstände vorzeitig kaputt gehen. Deshalb wäre es besser, man könne mit Wenigem auskommen. Es wäre smart, wenn jeder von sich aus wissen würde, welche Dinge und Dienstleistungen er besitzen und nutzen möchte. Dabei kommt es nicht nur auf das Wenige an, sondern auch auf das Richtige. Es kommt genau auf das an, was den einzelnen glücklich macht. Und was das ist, kann nur jeder Mensch für sich alleine entscheiden. Die Werbung könne da nicht helfen, denn sie generiere meist Bedürfnisse, die vorher gar nicht vorhanden waren. Durch ausgefeiltes Marketing würde das ewig Neue, das Immer Mehr und das nie Genug suggeriert. Davon sollten wir uns jedoch frei machen und stattdessen auf das eigene Herz hören, denn das könne uns genau erzählen, was es braucht, um glücklich zu sein.
    Es wird gesagt, das es vier Säulen sind, die das Glück bedeuten:
    - eine gute Gesundheit zu haben
    - Liebe geben und empfangen zu können
    - gleichmütig und absichtslos zu sein
    - nach etwas zu streben, das einen erfüllt
    Zu diesen vier Säulen des Glücks möchte ich noch eine fünfte hinzufügen:
    - sich mit genau den Dingen zu umgeben, die das eigene Leben lebenswert machen.
    „Und das nenne ich: das Leben right-sizen“, erkläre ich meiner Begleiterin. „Die Reduktion auf das richtige Maß. Was richtig und genug ist, kann jeder für sich selbst herausfinden, indem er in sich horcht und zuhört, was Körper, Geist und Seele erzählen. Wer es tut und danach handelt, wird glücklich sein.“

    So fliegt die Zeit dahin, bald schon ist Nachmittag. Uns würde nun ein Kaffee gut tun. Doch in Wulfelade, wo wir gerade durchmarschieren, ist das Gasthaus geschlossen. Einen Ort weiter aber finden wir, was wir suchen. An den Mauern des Klosters Mariensee prangt ein Schild: „Das kleine Café“. Ein Glücksgefühl durchströmt uns. Und der Kaffee und das Stück Kuchen tun kurz darauf ein Übriges. Später hören wir leise einen Chor. Der Gesang tropft zart aus den Mauern der angrenzenden Kirche und die sanften Frauenstimmen wärmen uns die Herzen. Einen Moment noch verweilen wir, dann hat die Straße uns wieder.
    Um siebzehn Uhr erreichen wir den Bahnhof in Neustadt am Rügenberge, rechtzeitig genug, um uns noch ein wenig auszuruhen, bevor der Zug uns über Hannover nach Bothmer zurück bringt. Ein Taxi bringt uns zum Schloss, im Restaurant ist Frau Königbauer schon mit der Zubereitung allerlei Leckereien für uns beschäftigt. Sie kocht nur für uns, wir sind die einzigen Gäste.
    Eine schnelle Dusche erfrischt. Kurz darauf sitzen wir glücklich, aber auch erschöpft an dem schön eingedeckten Tisch, genießen Spagetti mit Tomaten - Mozzarella – Sauce an Riesen-Gambas. Das dazu gestellte Bier ist im Nu geleert und verlangt nach Nachschub. Meine Wanderpartnerin prostet mir zu und meint, dass sie mich gerne einmal wieder begleiten würde. Es wäre ganz in meinem Sinne.
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    Trip end
    September 13, 2014