E1-Deutschland.Nord

May - September 2014
Meine Wanderreise auf dem E1 beginnt in Hamburg. Zunächst geht es nach Flensburg, dann Richtung Süden bis kurz vor das Steinhuder Meer.
E1-Tag 1-15, 14 Tagestouren, 456km
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  • Der Weg durch Deutschland

    May 8, 2014 in Germany ⋅ ⛅ 10 °C

    Die geografische Nord-Süd Ausdehnung Deutschlands beträgt etwa 900 km. Der deutsche Teil des E1 startet an der dänischen Grenze in Flensburg und endet in Konstanz am Bodensee an der Schweizer Grenze. Die E1-Route ist mit 1.900 Kilometern mehr als doppelt so lang wie die geografische Ausdehnung. Das liegt daran, dass der Fernwanderweg - wann immer möglich - regionale Wanderwege benutzt, die den Wanderer an möglichst vielen Hotspots vorbei führt. Das ist dann eben auch mal mit Umwegen verbunden.
    Drei Jahre (2014 bis 2016) war ich auf dem E1 durch Deutschland unterwegs. Für die 1.700km brauchte ich 72 Tage. Dabei ließ ich ein paar Schlenker aus, die sich der E1 hier und da gönnt und sparte so um die zweihundert Wegekilometer ein.
    Trotz hoher Bevölkerungsdichte und vieler Agrarflächen gibt es in Deutschland erstaunlich viel Wald, durch die der E1 auf gut markierten Wanderwegen führt. Auch wenn gelegentlich lärmige Straßen nerven, kann man doch auch in Stille wandern. Die Annehmlichkeiten der Zivilisation sind nie weit entfernt, was ich als sehr beruhigend empfand.

    zur Komoot Collection:
    https://www.komoot.de/collection/893555
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  • E1-001-D-Norderstedt (24 km)

    May 9, 2014 in Germany ⋅ 🌧 13 °C

    Antworten stehen am Ende, nicht am Anfang unseres Weges

    Es ist Anfang Mai, das Wetter kalt und regnerisch. Ich stehe auf der Straße vor meiner Wohnung, mache einen ersten Schritt. Den Ersten von Tausenden, die hoffentlich folgen werden. Mir fällt das Sprichwort ein: "auch die längste Reise beginnt mit dem ersten Schritt".
    Soll ich wirklich los gehen? Was bürde ich mir auf? Was erwartet mich? Was wird der Weg mit mir machen? Solche Fragen beschäftigen mich während der ersten Schritte.
    Am Anfang einer Wanderung stehen stets Fragen, doch Antworten findet man erst am Ende einer Reise.
    Also geh los! Jetzt! Michael wandert.
    Die heutige Route hatte ich schon Tage zuvor am Computer mit der Outdoor-Software Komoot vorbereitet. Das ging einfach, die Software hat fast alles von alleine gemacht. Ich brauchte nur Start und Ziel einzugeben und schon schlug mir die Anwendung eine Route vor.
    Dieser folge ich nun, mein Smartphone weist mir mittels der Komoot-App die Richtung. Es soll durch den Stadtpark gehen. Ich bin noch auf bekanntem Gelände, aber der Weg, den Komoot vorschlägt, ist schon neu für mich.
    Nach dem Stadtpark folgt die City Nord, der Weg schlängelt sich auf einem Grünstreifen durch riesige Gebäudekomplexe hindurch. Es folgt der Ohlstorfer Friedhof, Europas größter Friedhof. Durch den südlichen Eingang gelange ich hinein, aber auf der anderen Seite finde ich nicht wieder heraus. Endlich kann ich durch eine Pforte schlüpfen. Danach quere ich die Alster, folge dem schönen Alsterwanderweg, strebe immer weiter Richtung Norden.
    Es beginnt zu regnen.
    Eine kleine Hütte auf einem Spielplatz, eigentlich nur ein Dach auf Stelzen, lädt zur Pause ein. Warum nicht? Ich bin schon eine ganze Weile unterwegs und der Regen wird immer heftiger. So schlüpfe ich hinein und strecke mich aus. Hier ist es zwar trocken, aber auch zugig. Schnell wird mir kalt. Um mich abzulenken, betrachte ich den Nebel, der beim Ausatmen meinem Mund entweicht. Es macht dösig. Ich schlafe ein. Als ich wieder erwache, hat der Regen aufgehört. Wie lange habe ich wohl hier gelegen? Ich weiß es nicht. Die Pause hat mich erfrischt und jetzt habe ich Hunger. Verpflegung habe ich nicht dabei. Bis zum nächsten Café ist es nicht weit, dort gibt es Kaffee und Kuchen. Es schmeckt mir herrlich nach der vielen frischen Luft. Durch die Fenster sehe ich, dass es wieder regnet. Was für ein Glück ich doch habe, ein zweites Mal im Trocknen zu sitzen!
    Gut gestärkt geht es weiter.
    Vor mir liegt das Raakmoor. Hier weiche ich vom geplanten Pfad ab, denn in diesem Naturschutzgebiet war ich schon ein paar Mal. Das nimmt mir das Komoot-Programm übel, denn es stürzt ab - und zwar richtig! Das Smartphone fährt vollständig herunter. Was habe ich falsch gemacht? Vielleicht die Karte zu oft hin und her gezoomt? Keine Ahnung, ich weiß es nicht. Als die App wieder bereit ist, fehlt die geplante Route und die App stürzt wieder ab. Glücklicherweise habe ich die restliche Strecke ungefähr im Kopf, so daß ich den Weg vermutlich auch ohne Unterstützung finden werde. Ich lasse die App in Ruhe und freue mich, dass der Weg wenigstens weiter aufgezeichnet wird.
    Bald liegt das Rackmoor hinter mir, der Weg schlängelt sich nun durch eine kleine Wohnstraße mit Einfamilienhaus-Bebauung, kreuzt bald darauf die Segeberger Chaussee. Immer weiter geht es Richtung Norden, bis ich Norderstedt erreiche. Der Weg führt nun durch einen Park, durch den sich die Tarpenbek windet. An ihrem Ufer steht eine Skulptur, die mir Rätsel aufgibt. Was will mir die hängende Fledermaus sagen? Gibt es hier in diesem Park etwa Fledermäuse? Ich kann keine entdecken.
    Ich erreiche den Bahnhof von Norderstedt, mein heutiges Ziel. Es reicht mir jetzt auch, für einen ungeübten Wanderer ist es ein langes Stück Weg gewesen. Erschöpft besteige ich die U1, um nach Hamburg zurück zu fahren. Während der Fahrt komme ich an Stellen vorbei, an denen ich wenige Stunden zuvor gewandert bin. Wie schnell brause ich nun in umgekehrter Richtung an ihnen vorbei! Die Rückfahrt dauert eine Stunde, zu Fuß habe ich viermal so lange gebraucht.
    Erst zu Hause merke ich, wie müde ich bin. Der erste Wandertag hat mich geschafft. Die Dusche braucht lange, um mich durchzuwärmen. Und doch freue ich mich schon sehr auf den nächsten Wandertag.
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  • E1-002-D-Kaltenkirchen (21 km)

    May 17, 2014 in Germany ⋅ ⛅ 20 °C

    Ich lerne das Wandern

    Ich bin zeitig unterwegs, es verspricht an diesem Samstag frühlingshaft warm zu werden.
    Beim Bäcker gegenüber der Bushaltestelle kaufe ich schnell noch ein Brötchen für später und ein Croissant für sofort, dann bringt mich der Bus zur U-Bahn und diese in einer knappen Stunde zum Bahnhof Norderstedt. Weiter geht es dort, wo die letzte Tour endete. Schnell geht es durch den Ort, noch schneller überquere ich eine laute Straße, dann umfängt mich der Wald und damit die Stille. Ich bin froh, dass der Weg im Schatten verläuft, denn es wird schnell warm. Das Blätterdach lässt hier und da breite Sonnenstrahlen zu mir durchdringen. Es scheint ein perfekter Frühlingstag zu werden und die Vögel finden das wohl auch.
    Drei Kilometer weiter ist der Zauber vorbei. Ich muss durch ein Gewerbegebiet, auf dem ein großes Umspannwerk steht. Keine schöne Gegend.
    Ich freue mich, wieder im Wald verschwinden zu können. Nun geht es an der Trasse der AKN-Bahn entlang. Hier werde ich wohl heute Abend mit dem Zug in entgegen gesetzter Richtung zurück nach Hamburg fahren. Den Gedanken wische ich beiseite, denn lieber möchte ich wandern. Immer weiter wandern. Vier Kilometer folgt der Weg den Schienen durch den dichten Wald. Doch kein einiger Zug rattert auf den Gleisen, auch begegnet mir kein anderer Mensch. Nur die zwitschernden Vögel sind um mich und tragen ihren Teil zu meiner entspannten Stimmung bei.
    Ich fühle mich rundherum wohl und glücklich hier, mitten im Wald.
    Auf einer Bank am Ortseingang von Henstedt-Ulzburg mache ich Rast. Das mitgeführte Wasser und das Brötchen schmecken viel köstlicher als zu Hause!
    Leider endet der Zauber bald. Sechs Kilometer geht es nun wieder durch ein Gewerbegebiet. Dieses ist sehr groß. Unternehmen jeder Branche haben sich hier angesiedelt. Hamburg quillt offenbar über seine Ränder, der Speckgürtel wird immer fetter.
    Nach einundzwanzig Kilometern erreiche ich Kaltenkirchen nach nur vier Stunden. Ich bin weder erschöpft noch sind die Beine müde. Heute könnte ich tatsächlich noch weiter gehen, so viel Lust bereitet mir das Wandern heute.
    Doch ich lasse es gut sein. Das Ziel ist erreicht.
    Im Bahnhofskiosk gönne ich mir einen Kaffee. Ein Brötchen dazu wäre fein, doch das gibt es nicht. Mit dem Heißgetränk in der Hand setze ich mich auf die Treppe, wo schon andere hocken, die sich mit Bier in der Hand lallend unterhalten, mit ihren Stimmen gegen plärrende Musik ankämpfen, die aus einem kleinen Radio dröhnt. Es ist vermutlich nicht das erste Bier, das sie genießen. „Jedem das Seine“, denke ich nur, trinke aus und sehe zu, dass ich mich trolle.
    Die AKN-Bahn nimmt mich mit und bald rumpelt sie an dem Waldstück vorbei, an dem ich heute morgen an den Schienen entlang ging. Während die Bahn vorbei zischt, bin ich in Gedanken.
    Ich bin gerade rechtzeitig zurück, um eine Verabredung für den Abend einzuhalten.
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  • E1-003-D-Boostedt (36 km)

    May 25, 2014 in Germany ⋅ ⛅ 22 °C

    Umwege führen auch zum Ziel

    Es ist kurz nach 11 Uhr, als ich nach 2-stündiger Fahrt mit der AKN am Kaltenkirchener Bahnhof eintreffe. Bei strahlendem Sonnenschein und 20 Grad mache ich mich auf den Weg. Den Ort verlasse ich auf einer kleinen Landstraße, die zwar landschaftlich reizvoll, aber sehr befahren ist. „Autos sind furchtbar laut. Sie stören beim Wandern“, denke ich.
    Fünf Kilometern weiter erst kann ich in ein kleines Waldstück abbiegen. Der Straßenlärm verhallt bald. Stille, nur manchmal unterbrochen durch den Ruf eines Kuckucks. Mir fällt sofort der Sprichwort meines Vaters ein: "Hat man Geld in der Tasche, vermehrt es sich, wenn du den Ruf des Kuckucks hörst". Aber mein Portemonnaie ist im Rucksack verstaut. Pech. Aber was bedeutet schon Geld, wenn man wandern kann?
    Der Weg mündet in eine große Straße, die natürliche Stille wird erneut vom Lärm der Autos verdrängt. Komoot möchte mich über die Straße führen und wieder im Wald verschwinden. Doch das scheint mir ein Umweg zu sein, ich beschließe, nach links zu gehen und der Landstraße zu folgen. Doch bald muss ich erkennen, dass Komoot recht hatte. Es gibt weder Rad- noch Fußweg und ich muss am Rand der Straße entlang gehen. Komoot wiederholt immer wieder mit einprogrammierter Frauenstimme, die stets geduldig klingt: "bitte umkehren". Recht hat sie, denn hier ist das Laufen echt gefährlich, die Autos nehmen wenig Rücksicht auf mich und ein paar Mal muss ich sogar in den Graben springen. Hier hat ein Fußgänger nichts zu suchen und das zerrt an meinen Nerven. Komoot wiederholt eins ums andere Mal: "Bitte umkehren". Ich aber will nicht, bin auch schon viel zu weit auf der Straße gegangen, um zurück zu gehen. Außerdem kehrt ein Wanderer niemals um, basta! Endlich, nach einer gefühlten Unendlichkeit kann ich in in einen schmalen Feldweg ausweichen, der zu einem Gestüt führt. Schon bald ist der Stress mit der Straße vergessen. Es geht an einer Koppel vorbei, von der zwei Pferde herüber glotzen. Möchten sie von mir gestreichelt werden? Ich tue ihnen den Gefallen, dann geht es weiter. Irgendwann sagt die programmierte Stimme: "du bist zurück auf dem Weg."
    "Na, endlich, Else", entfährt es mir erleichtert. Ab jetzt soll die programmierte Stimme so heißen, beschließe ich spontan.
    Else wird mir hoffentlich auf vielen Touren eine treue Begleiterin und Wegweiserin sein.
    Ein schmaler Asphaltweg führt durch den Wald. Zeit für eine Pause, dieses Mal auf einem Holzstapel. Heute habe ich an Proviant gedacht. Aus meinem kleinen Rucksack fördere ich einen Müsliriegel und einen Apfel zu Tage. Der Riegel staubt etwas, der Apfel löscht dafür perfekt den Durst. Beides zusammen gibt die nötige Energie für die vielen Kilometer, die noch vor mir liegen.
    Ich höre Stimmen und ein komisches Knattern. Es kommt von oben, aber da ist nichts.
    Weiter. Ein spontaner Impuls lässt mich zum Sportflugplatz Hartenholm abbiegen, der eigentlich nicht auf der geplanten Strecke liegt. Es gibt dort bestimmt Spannendes zu beobachten - und tatsächlich - gerade landet ein Sportflugzeug dicht neben dem Wanderweg. Zwei andere starten kurz darauf. Kaum in der Luft, da landet ein Fallschirmspringer knatternd auf dem Flugfeld.
    Als weitere Fallschirmspringer mit munterem Geknatter landen, löst sich für mich das Rätsel, dass ich während der Pause noch nicht lösen konnte. Über mir müssen Fallschirmspringer gewesen sein. Während sie landen, rufen sich die Springer etwas zu und lachen. Es ist ganz schön was los hier. Befriedigt gehe ich weiter und finde, der Umweg hat sich gelohnt.
    Kurz hinter Weide, bei Kilometer 19, stoße ich auf ein kleines Bauernhofcafé. Ein Schild wirbt für Kaffee und selbst gebackenen Kuchen. Genau das Richtige im Moment. Es gibt noch einen sonnigen Platz auf der Terrasse. Hier will ich die müde gewordenen Beine ein Weilchen ausstrecken. Während ich Kaffee und Kuchen genieße, belauschen meine Ohren ein Gespräch am Nebentisch, wo es um Buchführung in der Landwirtschaft und die besonderen Probleme damit geht. Dinge, die für mich im Moment unglaublich weit weg sind.
    "Wie gut ich es doch habe, unbekümmert wandern zu können", denke ich.
    Mir fällt es schwer, den sonnigen Platz zu verlassen, doch es muss ja sein, ich will ja noch weiter. Bald darauf hat mich der Wald wieder in sich aufgenommen.
    Ein Schild weist in Richtung einer romantisch daliegenden Wiese und ich fühle mich versucht, ihm zu folgen. Manchmal muss man mal vom Weg abweichen, aber Else hält nichts davon. "Bitte umkehren", ist wieder ihr Kommentar. Ach, soll sie doch, der Weg ist so schön verschlungen, ich muss hier jetzt einfach mal lang gehen. Doch nach kurzer Strecke mündet er auf eine Straße, die zum Wildpark Eeckholt führt. Der liegt nun auch nicht gerade auf meinem Weg, aber hier muss ich jetzt lang.
    Auf einen Parkplatz stehen zahlreiche Autos von Touristen, die den Wildpark besuchen. Else möchte immer noch, dass ich umkehre, aber ich hege die Hoffnung, das sie bald einen Weg Richtung Norden anzeigt. Doch sie hat wieder Recht, denn hier gibt es keinen. Ich bin an den Rand eines Waldschutzgebiet geraten, dass die Wanderer durch einen Zaun von dem dahinter liegenden Gelände trennt. Es gibt keinen direkten Weg, sondern ich muss in einem großen Bogen drum herum gehen. Diesen Umweg habe ich mir selbst eingebrockt und Else ist vielleicht gar nicht so doof, wie ich dachte. Allerdings ist sie gerade sehr aufgeregt und gemahnt ununterbrochen zur Umkehr. Das muss sie sehr erhitzt haben, denn urplötzlich ist sie still. Else ist abgestürzt. Ob sie beleidigt ist, dass ich ihr nicht gefolgt bin? Wie ein bockiges Weib schweigt sie, ich kriege sie nicht mehr zum Laufen und in mir kriecht ein mulmiges Gefühl hoch. Was tun ohne sie? Was, wenn ich sie mir nun den Weg nicht mehr zeigt? Ich habe keine Karte dabei und ohne Wegweisung könnte ich mich nun verlaufen. Ich könnte Google Maps benutzen, aber das weißt Else zu verhindern, denn auf einmal lässt sie sich zumindest soweit überreden, meine Route zwischen bockigen Abstürzen immer mal wieder einzusehen, so dass ich mich orientieren kann.
    So nähere ich mich Stück für Stück der geplanten Route, die weiter nördlich liegt.
    Ich werde herausfinden müssen, warum Else bockig wird und abstürzt, sobald ich den geplanten Weg verlasse.
    Endlich bin ich zurück auf der Route. Else findet zu ihrer alten Form zurück und mag mir wieder den Weg weisen. Nun geht es mit ihrer Hilfe einen schmalen Wirtschaftsweg Richtung Norden entlang, durch das große Halloher Gehege. Hier ist wieder kein Mensch unterwegs. Die Stille, die mich umgibt, breitet sich in mir aus. Dazwischen mischen sich nur der Klang meiner Schritte und das Gezwitscher der Vögel von den hohen Bäumen. Lange Zeit wandere ich in mich gekehrt durch diese Stille, als es hinter mir rumpelt. Ein Geräusch, das hier definitiv nicht hingehört, lässt das Adrenalin in meine Adern schießen. Ich wende meinen Blick nach hinten und sehe ein sehr betagtes Auto langsam auf mich zurollen. „Ein Auto mitten im Wald gehört sich nicht“, befinde ich, „es stört die Ruhe und Unversehrtheit des Waldes“. Es stoppt ein paar dutzend Meter hinter mir, nur um gleich wieder anzufahren. Es bremst, fährt wieder an. Es wiederholt sich mehrere Male, dann stoppt das Auto direkt neben mir. Zwei dunkle Gesichter schauen mir aus dem Auto direkt ins Gesicht. In meiner linken Hand halte ich noch mein Smartphone, damit Else mir den Weg weisen kann. Ich beginne zu schwitzen, denn jetzt blicken auch die beiden Männer auf Else. "Werden sie jetzt aussteigen und es mir aus der Hand schlagen?", frage ich mich und weiche vermutlich gerade einen Schritt zurück. Furcht steigt in mir hoch.
    "Was könnte ich dann tun?"
    Man weiß ja nicht, was in einem einsamen Wald alles passieren kann. Ohne den Kopf zu wenden, halte ich nach einem Fluchtweg Ausschau. Doch die Kerle haben offenbar anderes im Sinn, denn sie setzen das alte Gefährt wieder in Bewegung und fahren, ohne mir weitere Beachtung zu schenken, vorbei. Dann bremst das Auto erneut ab, nur um sich gleich darauf wieder in Bewegung zu setzten. Glück gehabt! Was ist das nur für eine seltsame Begegnung gewesen. Während das Auto außer Sicht gerät, spüre ich, wie mir der Schweiß den Rücken herunter rinnt. Ich bin heilfroh, unbehelligt geblieben zu sein.
    Doch der Schrecken ist noch nicht zu Ende, denn da kommt der Wagen wieder zurück, stoppt vor mir, fährt gleich wieder an, stoppt noch einmal und fährt wieder im Schneckentempo an mir vorbei.
    Sprungbereit lasse ich sie durch. Nun ist das T-Shirt vollends nass geschwitzt. Ich hoffe, dass ich die beiden unheimlichen Gestalten nun los bin.
    Angst erschöpft, ich brauche dringend eine Erholungspause. Etwas Abseits des Weges finde ich eine Baumwurzel, auf der ich mich nieder lasse. Was ist noch drin im Rucksack? Och, nur noch ein Müsliriegel und ein weiterer Apfel.
    Gerade will ich den Vorfall vergessen, da kommt der Wagen schon wieder vorbei. Stoppen, langsames Rollen, stoppen, rollen, wie vorhin. Vermutlich suchen die dunklen Gestalten etwas, das sie nicht finden können. Wie gut, dass ich nun etwas abseits sitze. Trotzdem ist es mir unheimlich, ich packe meine Sachen und mache, dass ich weiter komme.
    Offenbar bin ich sie los geworden, sie tauchen nicht mehr auf.
    Nach einer Weile fällt die Angst von mir ab, ich kann wieder die Schönheit des Waldes genießen. Auf einer Lichtung steht ein Reh mit ihren zwei Kitzen. Ich bleibe stehen, wir beäugen uns gegenseitig, bis Mutter Reh auf langen Beinen ganz langsam davon stelzt, gefolgt von den Kleinen, die fast im hohen Gras versinken.
    Einige Kilometer später zieht ein Jogger an mir vorbei, seine Gegenwart signalisiert, dass der Wald bald zu Ende sein wird. Kurz darauf erreiche ich Boostedt. Die nächsten Kilometer ziehen sich endlos hin, doch irgendwann bin ich doch am Bahnhof. Der Zug kommt erst in vierzig Minuten, so setzte ich mich in das kleine Wartehäuschen. Ich bin froh, dass die Tour zu Ende ist und ich hier etwas ausruhen kann. Ich bin fix und fertig, der Rücken tut mir weh. Das war wohl etwas weit für meinen noch ungeübten Körper. Ich spüre jeden einzelnen Knochen. Gerne hätte ich mich weiter meinem Schmerz hingegeben, doch ein Mann setzt sich neben mich auf die Bank. Aus seinem Handy schallt laute Musik. "Warum benutzt er keine Kopfhörer?", denke ich bestürzt und will gerade anfangen zu meckern, da merke ich, dass seine Musik mir gute Laune macht. Das sage ich ihm auch und schon sind wir mittendrin in einem Gespräch. So erzählt er mir, dass er Gleisbauer ist. Er erzählt so spannend, euphorisch und unterhaltsam über seinen Beruf, dass unsere Wartezeit in Windeseile vergeht. Meine Rückenschmerzen vergehen gleich mit.
    Als der Zug einfährt, verabschieden wir uns, denn er wartet auf einen Zug in Gegenrichtung. Meine Zugfahrt von Boostedt nach Hamburg zieht sich, denn ich bin müde und erschöpft. Zwei Stunden später schließe ich endlich die Haustür auf, hole ein eiskaltes Bier aus dem Kühlschrank, öffne es mit einem lauten Plopp auf dem Balkon. Der erste Schluck ist immer der Beste. Von meinem Balkon kann ich weit schauen, mein Blick verliert sich in die Ferne, ohne etwas zu sehen. Ich träume vom Wandern. "Was ich heute alles erlebt habe", denke ich. Ein Grollen holt meine Gedanken zurück in die Gegenwart, in der gerade ein Blitz aus dunklen Wolken über die Stadt hinweg zuckt. Dann beginnt es zu regnen. Ein Unwetter ist aufgezogen und entlädt sich gerade über meiner schönen Stadt. Das schöne Wetter, das mich heute den ganzen Tag begleitet hat, ist zu Ende. Der schöne Wandertag ist es auch.
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  • E1-004-D-Bordesholm (32 km)

    June 9, 2014 in Germany ⋅ ⛅ 24 °C

    Ein langer Weg durch das Moor

    Pfingstmontag. Zwei Wochen sind seit der letzten Wanderung vergangen. Heute soll es warm werden, deshalb will ich früh los. Der Wecker klingelt um sieben Uhr. Das Müsli ist eilig gelöffelt, die Kaffeetasse bleibt halbvoll zurück. Nur raus, endlich raus, wieder unterwegs sein!
    Mit dem Auto fahre ich in einer Stunde nach Boostedt und setze die Wanderung genau dort fort, wo die letzte Etappe endete, wende mich gleich nach Norden und lasse den Ort rasch hinter mir. In der Feldmark höre ich den Kuckuck. Das Getreide steht höher als vor zwei Wochen. Es ist wunderbar, den stetigen Wandel der Natur hautnah mitzuerleben
    Jenseits der breiten, lärmenden Straße, die gerade den Feldweg kreuzt, lockt der stille Wald, doch dorthin darf ich nicht, denn er liegt im militärischen Sperrgebiet. Ich muss auf der Landstraße drum herum laufen. Autos fahren vorbei, machen tarak - tarak - tarak, während sie über Querrillen brettern. Es nervt. Tausend Meter weiter kann ich endlich seitlich in den Wald abtauchen. Auf einem Waldweg geht es nach Gadeland, dort vorbei an herausgeputzten Häusern mit gepflegten Vorgärten.
    Endlose Weite. Hier fährt kein Auto und kein Traktor. Kein Vogel zwitschert, keine Kuh muht. Totale Stille und mittendrin ich - der einzige, der hier Geräusche macht. Meine Wanderschuhe knarzen bei jedem Schritt. Das war mit bisher noch nicht aufgefallen. Das Gehen geht wie von selbst, die Augen heften sich auf das Nichts des Asphalts vor mir. Der Blick hat sich längst nach innen gewendet, die Gedanken aufgehört zu kreisen. Das alles ist angenehm.
    Mittag. Die Sonne brennt. Die Beine sind schwer, ein stilles Plätzchen der Ruhe muss her! Vielleicht in Tasdorf? Nein, nichts zum Ruhen dort, weiter. In Grossharrie gibt es ein Wartehäuschen aus Plastik, wenigstens Schatten. Ich hatte mir einen schöneren Platz gewünscht, doch ich nehme ihn an, verdrücke im Sitzen einen Energieriegel, schaue mit Hilfe des Smartphones, wie ich ins Dosenmoor komme. Zoome die Komoot-Karte groß und wieder klein, wieder groß und nochmals klein. Peng - der Bildschirm wird schwarz. Komoot ist abgestürzt.
    "Ach, Else! Nicht schon wieder!", rufe ich wütend, weil ich ahne, dass Else jetzt wieder zicken wird. Und dabei habe ich dieses Mal nicht die Route verlassen. Verstehe einer die Frauen! Auch wenn Else nur eine Computerfrau ist.
    Nun gut, ich habe die Route ungefähr im Kopf, lange genug habe ich an der heutigen Tour ja herum gefeilt.
    „Das müssen die von Komoot unbedingt anpassen“, grummele ich vor mich hin, während ich mich in Richtung Dosenmoor bewege.
    Doch ohne die Hilfe von Else läuft's nicht rund. Keine zweihundert Meter weiter bin ich schon vom Weg abgekommen. Zum Moor hätte ich eben abbiegen müssen. Zurück will ich aber nicht, also versuche ich es stattdessen einfach querfeldein. Ein Acker, auf dem Mais wächst, ist schließlich kein Hindernis, oder? Erst geht alles gut, dann steht ein hoher Knick im Weg. "Da muss ich durch!", sage ich zu mir selbst und das laut, während ich mich durch das die Büsche dränge. Scharfe Äste ritzen die Haut blutig, während Brennnessel an die Beinen brennen. Aua!
    Auf der anderen Seite: noch ein Maisfeld. Ich hüpfe über die Furchen. Anstrengend! Die Erkenntnis reift langsam, aber stetig, dass es einfacher gewesen wäre, zurück zu gehen und den richtigen Weg zu nehmen. Ich versuche mir einzureden, dass das hier eine Portion Extra-Abenteuer sei.
    Irgendwann stehe ich am Rand des Moors, zu erkennen an einem Hinweistafel, das informiert, dass vor wenigen hundert Jahren noch zehn Prozent der Fläche Schleswig Holsteins von Mooren bedeckt war, diese aber heute fast vollständig verschwunden sind, denn die Moore wurden abgetragen, der gewonnene Torf in Ermangelung anderer Brennstoffe verheizt.
    Dann geht es hinein in das weite Moor. Ganz wohl ist mir nicht dabei , es ist etwas unheimlich und auf einmal fühle ich mich alleine gelassen. Da passt es gut, dass von der anderen Seite des endlosen Moorwegs ein Wanderer entgegen kommt. Weit entfernt und noch ganz klein wird er beim Näherkommen langsam größer. Es dauert eine gefühlte Ewigkeit, bis wir uns begegnen.
    „Moin“. „Moin“. Mehr sagt man im Norden manchmal nicht.
    Die Bank in der Mitte des Moors kommt gerade recht, um eine Pause zu machen. Rucksack vom Rücken, Wanderschuhe von den Füßen, Wasserflasche an den Hals. Ah, hatte ich einen Durst! Heiß im Moor! Energieriegel fast flüssig, Finger ganz klebrig. Satt, aber nun müde. Die Augen fallen mir zu. Sonnenstrahlen kitzeln mich wach.
    "Wie herrlich das Leben doch ist", denke ich.
    Der Weg durch das Moor ist noch lang, mein Körper zerfließt allmählich in der Hitze. Dann irgendwann bin ich durch, habe Bahngleise und Uferstraße überquert, stehe am Einfelder See. Der Magen meldet: Hunger! Offenbar haben die Energieriegel nicht gereicht, der Körper benötigt wegen der Wärme offenbar mehr Energie als gewohnt. Für einen Moment lockt deshalb das noble Restaurant Schanze am See, doch dann es erscheint es mir zu gediegen für meinen rustikalen Wanderdress. Auch zieht es mich mehr zum herrlichen Sandstrand.
    Ich würde jetzt gerne ein Bad nehmen, doch der Griff in den Rucksack bringt nur die Erkenntnis, dass die Badehose nicht ist, wo sie sein sollte. Zu blöd! Ohne Hose kann ich hier nicht baden, ohne zum öffentliches Ärgernis zu werden.
    Der Schatten der Bäume auf den Rasen ist ein Stück weiter gezogen. Ich muss wohl eingenickt sein, fühle mich wieder frisch. Ich packe meine Sachen zusammen und folge dem Uferweg.
    Hinter der nächsten Biegung führt ein Trampelpfad zum Ufer, wo ich ein stilles Plätzchen finde. Hier sieht mich keiner. Also runter mit den Klamotten und ohne Badehose rein ins kühle Nass. Ah, wie erfrischend! Nach einer großen Runde durch den See kehre ich ans Ufer zurück, stehe nackt und tropfnass, auch ein wenig fröstelnd am Ufer, greife in den Rucksack - kein Handtuch. Ach man, habe ich heute denn alles vergessen? Egal! Schlüpfe ich eben nass in die Klamotten, die warme Sonne wird mich schnell trocknen, hoffe ich. Und so ist es auch.
    An seiner Nordseite verlasse ich den See. Bald darauf bin ich am Bordesholmer See, einem schattigen Pfad durch dichten Wald folgend. Eine Hinweistafel informiert, dass ich gerade in einem Flora-Fauna-Habitat–Gebiet unterwegs bin, das unter dem Schutz der Europäischen Kommission steht, um den naturnahen Laubwald zu erhalten. Es scheint zu gelingen.
    Nach bald dreißig Kilometern erreiche ich die Bordesholmer Stadtgrenze, die letzten zwei Kilometer sind schier endlos, doch irgendwann kommt der Bahnhof doch in Sicht. Meine Beine können nicht mehr, es reicht mir. Zur Belohnung gönne ich mir zwei Kugeln Eis in der Waffel, die in der Sonne schneller schmelzen, als ich schlecken kann.
    Die Rückfahrt ist lang und das ich das Auto in Boostedt zurück gelassen habe, war ein Fehler. Um hin zu gelangen, muss ich zwei Mal umsteigen.
    Am Abend bin ich in St. Georg zum Essen eingeladen. Jetzt ist mein Hunger riesengroß und der Durst ist es auch. Voller Begeisterung berichte ich meinem Gegenüber über meine neuesten Erlebnisse. Erzähle von Elses Absturz, von meinem Gefühl im einsamen Dosenmoor, dem Nacktbaden im Einfelder See und dem dichten Urwald am Bordesholmer See.
    Ach, war das ein schöner Wandertag!
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  • E1-005-D-Kiel (24 km)

    June 14, 2014 in Germany ⋅ ⛅ 19 °C

    Die erste 2-Tages Tour

    Dieses Wochenende will ich zwei Tagen am Stück wandern. Das ist das erste Mal und ich bin schon sehr gespannt, was mein Körper zu fünfundfünfzig Kilometern Wandern an zwei aufeinander folgenden Tagen sagen wird.
    Heute soll es aber erst einmal nach Kiel gehen. Das sind ca. vierundzwanzig Kilometer.
    Vier Wanderstunden liegen vor mir, reichlich Zeit also für einen entspannten Tag. So lasse ich mir schon am Anfang Zeit und breche erst um zehn Uhr auf. Da mein Startpunkt nun schon etwas weiter entfernt von Hamburg liegt, muss ich erstmals den DB- Regional nehmen, der mich rasch nach Bordesholm bringt.
    Als ich aus dem Zug steige, scheint mir die Sonne breit entgegen. Dabei war ein Regentag vorhergesagt. Mein kleiner Tagesrucksack ist randvoll gefüllt und schwerer als auf den vorangegangenen Touren. Heute habe ich Schlaf- und Wechselsachen zusätzlich dabei.
    Schnell lasse ich Bordesholm hinter mir und bald stoße ich auf den Eidertalwanderweg, den es heute entlang gehen soll.
    Acht Kilometer auf dem Eidertalwanderweg in fast absoluter Stille. Zwar verläuft rechts des Weges die Bahnlinie Kiel - Hamburg, aber es fährt nur gelegentlich mal ein Zug vorbei, der die Ruhe kaum stört. Auf der anderen Seite gewährt das Eidertal schöne Weitblicke. In regelmäßigen Abständen informieren Hinweistafeln über Besonderheiten des Wanderweges. Ich lese, dass ich auf einem Rundweg von insgesamt 10 km Länge gehe, der erst 2001 eingeweiht wurde. Er führt rund um das Eidertal herum, das selbst nicht betreten werden darf und deshalb eingezäunt ist. Innerhalb der Zäune gibt es Wildpferde und Rinder. Das Eidertal wurde durch die Gletscher der letzten Eiszeit geformt.
    Ich treffe auf meine erste Schutzhütte und ich frage mich, ob ich nächstes Jahr wohl in einer solchen Hütte übernachte? Noch würde ich es nicht tun!
    Es geht einen Hügel hinauf. Von hinten überholt mich schnaufend ein Radfahrer, verschwindet bald darauf hinter der Kuppe. Auch ich beginne zu pusten. Oben auf dem Hügel verspüre ich Hunger. Sehr willkommen ist mir da die Bank, auf der ich mich niederlasse und das herrliches Panorama über das hügelige, grüne Tal genieße. Auf der anderen Seite grasen wilde Pferde, sie schnauben gemütlich beim Grasen. Ich ziehe meinen Apfel und einen Powerriegel aus dem Rucksack, kaue gemütlich und anschließend mache ich ein Mittagsschläfchen. Lange allerdings halte ich es nicht aus, denn die Bank liegt in der prallen Mittagssonne, die Hitze öffnet meine Poren. Eine große, schwarze Fliege lässt sich brummend auf der Bank direkt vor meiner Nase nieder. Wir beäugen uns und ich denke, wenn die Brummer fliegen, ist der Sommer nicht mehr weit. Was der Brummer denkt, weiß ich nicht, aber das dicke Insekt fliegt bald davon. Auch ich mache mich wieder auf den Weg.
    Dann muss ich den Eiderwanderweg verlassen, denn mein Weg geht weiter Richtung Norden.
    Die Eider mündet in den Schulensee, an dessen Ufer ich mich auf einer Bank direkt an einer Badestelle nieder lasse. Ich schlafe sofort ein. Etwas Feuchtes an meiner Wange lässt mich hochschrecken. Ich öffne meine Augen, blicke direkt in das Schwarz großer Hundeaugen, die mich erwartungsvoll anschauen. Ein kurzer Ruf des Herrchens lässt den großen Hund herumfahren und dem geworfenen Ball hinterher springen, der gerade in den Schulensee plumpst. Ich bin erleichtert.
    Nun ist es nicht mehr weit bis zum heutigen Etappenziel. Ich rufe meine Schwiegermutter an und teile ihr mit, dass ich bald da sein werde. Es geht noch am schönen Russee vorbei und tatsächlich komme ich fast pünktlich nach insgesamt 24km um 18 Uhr bei ihr an. Sie erwartet mich schon auf der Terrasse mit leckerem Spargel und einem herrlich kühlen Bier.
    Das Leben kann so schön sein.
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  • E1-006-D-Eckernförde (35 km)

    June 15, 2014 in Germany ⋅ ☀️ 20 °C

    Die Weite der Ostsee

    Um sieben klingelt der Wecker, meine Augen erfassen erst allmählich die ungewohnte Umgebung. Der Duft frisch gebrühten Kaffees lockt mich aus dem Bett, unten wartet ein reichhaltiges Frühstück auf mich, meine Schwiegermutter hat auf der Terrasse gedeckt und nun sitzen wir gemeinsam in der Morgensonne, unterhalten uns über meine vorangegangenen Touren.
    Es ist das erste Mal, dass ich zwei so lange Etappen ohne Pause mache. Mehr als dreißig Kilometer sollen es heute werden. Während der ersten Schritte achte ich besonders auf die Beine, ob sie müde sind oder schmerzen. Nein, alles ist bestens, keine Beschwerden. Das Laufen fällt sogar leichter als an den Vortagen.
    Ein schmaler Pfad führt um den Rother Teich herum. Grashalme streichen um die nackten Waden. Ich muss unweigerlich an Zecken denken, die gerne von Grashalmen auf ihre Opfer überspringen. Diese fiesen Insekten sind eine Plage für den Wanderer, denn sie übertragen unter anderem Borreliose. Ein Zeckenbiss kann nach Tagen eine Hautrötung auslösen, die sich dann kreisförmig ausbreitet. Die Symptome vergehen wieder und meist vergisst man das Ungemach, doch manchmal bildet sich später eine Hirnhautentzündung oder eine Muskelentzündung, die nicht mehr mit dem Zeckenbiss in Verbindung gebracht wird. Das macht den Zeckenbiss so tückisch. Ich sollte mir vorsorglich ein Mittel besorgen oder besser noch mich impfen lassen.
    Zwei Kilometern weiter beginnt der Asphalt, der heute nicht mehr enden wird. Vorbei geht es so an Mehlsdorf, Quarnbeck, Landbeck. Das monotone Wandern versetzt mich in Trance. Die Füße verrichten ihren Dienst ganz automatisch. Der Blick ist ins Leere gerichtet und was er sieht, nimmt der Geist nicht wahr. Die Gedanken fließen hier hin und dort hin, entfernen sich, kommen zurück, bringen Gedanken mit, die betrachtet und wieder losgelassen werden wollen. Überwiegend drehen sie sich um die Zukunft und fragen, was sein wird mit dem Wandern in in einem Jahr. Die Zeit verrinnt, ohne dass ich es wahrnehme.
    Mein Blick bleibt an einem Schild kleben: Nord-Ostsee Kanal (NOK). Ach, schon so weit? Vor mir liegt eine Anlegestelle, die Fähre macht in diesem Augenblick von der anderen Seite los. Genug Zeit, die Informationstafel zu studieren und etwas über die Geschichte des NOK zu erfahren.
    Der NOK hieß früher einmal Kaiser-Wilhelm-Kanal, wurde vor mehr als hundert Jahren erbaut, er ist fast hundert Kilometer lang ist, teilt Schleswig von Holstein und verbindet durch seine Wasserstraße die Ost- mit der Nordsee. Jedes Jahr passieren den Kanal 37.000 Schiffe, das sind doppelt so viele wie den Suezkanal befahren. Hinzu kommen weitere vierzehn Tausend Sportboote.
    Mit der Fähre geht es über den Kanal und dann wieder zu Fuß weiter Richtung Gettorf. Die Sonne steht hoch am Himmel, es ist heiß, der Asphalt kocht. Jeder noch so kleine Alleebaum, der für einen Moment kühlen Schatten bringt, ist mir willkommen.
    Am südlichen Stadtrand von Gettorf durchstreife ich das KuBiZi, das Kultur- und Bildungszentrum. Ich überquere einen großen Parkplatz, komme an Fahrradstellplätze für hunderte von Fahrrädern vorbei, erblicke eine große Turnhallen und noch größere Unterrichtsgebäude und wundere mich über die Größe der schulischen Anlage. Über allem liegt Stille, denn es ist Samstag und kein Schüler geht heute zur Schule.
    Kaum liegt das Schulgelände hinter mir, da lädt eine Bank im kühlen Schatten zur Mittagspause ein, die heute reichhaltiger ausfallen wird. Meine Schwiegermutter hat mir zwei hartgekochte Eier und Butterstullen in den Rucksack gesteckt. Ich wollte das erst gar nicht mitnehmen, aber nun esse ich mit Wonne und freue mich über dieses Extra. Es schmeckt mir so gut, dass ich sofort beschließe, es mit auf meine Proviantliste zu setzen. Ein anschließendes Nickerchen wird durch ein Mauzen beendet. Eine junge Katze streift um die Bank und möchte unbedingt gestreichelt werden. Sie springt hoch und vollführt auf mir eine kleine Katzenmassage, indem sie ihre Pfoten voller Wonne in meinen Bauch drückt. Schließlich lässt sie sich dort nieder, schließt die Augen und schläft laut schnurrend ein. So schlummern wir beide ein Weilchen, bis ein Hund mit lautem Gebell den kleinen Schmuser vertreibt. Schade.
    Damit ist die Pause zu Ende und ich mache mich Richtung Richtung Stratenbrook auf.
    Eine Straße ohne Fußweg. Ich gehe links, wie es mich vor langer Zeit mein Vater gelehrt hat. So sieht man den Gegenverkehr und kann rechtzeitig reagieren, falls Gefahr von vorne droht. Doch die Straße ist leer, kein Verkehr. Nur am Straßenrand liegt das, was aus Autos achtlos heraus geworfen wurde: leere Bierdosen, zerknüllte Zigarettenschachteln, zerrissene Chipstüten und noch viel mehr Unrat. Je mehr Müll und Dreck ich sehe, um so ärgerlicher werde ich. Muss das denn sein?
    Und dann liegt sie vor mir: die Ostsee. Nach einhundertsiebzig Kilometer zu Fuß habe ich das Meer erreicht. Ein großer Moment des Glücks breitet sich in mir aus und ich genieße das sehr.
    Lange hocke ich am Strand, der Blick schweift übers Meer bis zum Horizont. Ich kann es nicht richtig fassen, dass ich bis hierhin zu Fuß gekommen bin. Ich zerre mir die klobigen Wanderstiefel von den Füßen und wate ins Wasser. Gerne hätte ich auch gebadet, doch schon wieder habe ich die Badehose vergessen. Barfuß geht es weiter am Strand entlang, der verflixt steinig ist. Aua! Kurz vor Eckernförde am FFK-Strand komme ich doch noch zu meinem erfrischenden Bad, denn hier kann man ohne Badehose ins Wasser hüpfen. Natürlich habe ich auch das Handtuch vergessen, aber ich weiß ja mittlerweile, wie schnell man wieder trocken ist.
    Warum nur sind die letzten zwei Kilometer immer so schwer? Das war auf jeder Wanderung bisher so und auch heute zieht es sich bis zum Bahnhof wieder endlos hin. Doch endlich liegt er vor mir. In Windeseile löse ich das Ticket, denn der Interregio fährt schon ein. Zügig bringt er mich ohne Umsteigen zurück zum Hamburger Hauptbahnhof. Während der Fahrt fällt mir auf, dass die zwei aufeinander folgenden Wandertage mir nicht zugesetzt haben, obwohl es sechzig Kilometer waren. Statt es anstrengend zu finden, macht mich das Wandern glücklich und zufrieden.
    Mit diesen Gedanken muss ich wohl eingeschlafen sein, denn erst im Hamburger Bahnhof wache ich wieder auf.
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  • E1-007-D-Schleswig (34 km)

    June 28, 2014 in Germany ⋅ ⛅ 18 °C

    Endlich auf den E1 unterwegs

    Bisher ging es ausschließlich nach Norden, heute aber ist die Hauptrichtung Westen. Das geht nicht anders, weil sich die Schlei von der Ostsee kommend tief ins Landesinnere frisst. Und ich heute endlich dem E1 folgen möchte. Und der verläuft nach Schleswig. So werde ich zwar viele Kilometer abspulen, komme meinem nördlichen Ziel Flensburg aber nur wenig näher.
    Trotzdem sind es dreißig Kilometer zu Laufen.
    Das Besondere an diesem Wandertag: ich werde dem Fernwanderweg E1 begegnen und von nun an auf ihm wandern. Ich bin schon sehr gespannt.

    Früh stehe ich auf, frühstücke reichlich, schmiere Brote, packe Äpfel und Müsliriegel in den Rucksack. Weil es beim letzten Mal gut tat, lege ich zwei hartgekochte Eier hinzu.
    Es soll regnen, vielleicht ein Gewitter geben, womöglich wird die Sonne scheinen. Es ist also heute alles drin und so muss ich mehr Zeug einpacken, um für jedes Wetter gewappnet zu sein. So kommt zum kurzärmeligen noch das langärmelige Fleece in den Rucksack. Oben drauf der Proviant; der kleine Rucksack ist randvoll. Die Regenjacke passt nicht mehr rein, ich ziehe sie gleich an.
    Der Bus bringt mich zum Bahnhof, der Interregio nach Kiel. Dort steige ich in den Zug nach Eckernförde. Eine Hundestaffel steigt zu. Die Hunde sollen das Zugfahren üben.
    So ist die Zugfahrt kurzweilig und vergeht im Nu. Bald stehe ich in Schleswig am Bahnhof, nur eine Schnellstraße trennt mich noch vom Windybyer Noor. Dort soll der Fernwanderweg E1 für mich beginnen, dem ich von nun an folgen möchte. So halte ich nach der Wegmarke Ausschau. Es soll ein weißen Kreuz sein, das ich mir recht groß und gut sichtbar vorstelle, vielleicht in die Rinde eines Baumes geritzt oder auf einen Stein gemalt.
    Und tatsächlich: da ist es. Mein allererstes weißes Kreuz entdecke ich auf der groben Borke einer dicken Eiche, wesentlich kleiner, als ich es mir vorgestellt hatte. Große Freude, bin ich doch ab diesem Moment auf dem bekannten Fernwanderweg unterwegs, der vom Nordkap bis nach Sizilien durch ganz Europa verläuft. Nun werde ich zu der kleinen Gemeinschaft von E1-Wanderern gehören, die sich auf dem E1 durch Deutschland oder durch Europa leiten lassen. Mir ist Deutschland vorerst mehr als genug.
    Für drei Kilometer geht es am Noor entlang, das sanft und von großer Schönheit ist. Eine lange Allee knorriger Eichen säumt den Weg, mein Blick wandert in das dichte, grüne Blätterdach. Ich bleibe stehen, schließe die Augen, atme tief ein und aus, lasse die Luft sehr bewusst durch meine Lungen strömen. Um mich herum ist es sehr still, auch in mir wird es ruhig.
    Ich freue mich so sehr, auf dem E1 unterwegs zu sein, dass ich spontan eine knorrige, alte Eiche umarme. Ihr Stamm ist mächtig, meine Arme reichen nicht einmal halb um sie herum. Ein Spaziergänger beobachtet schmunzelnd mein Tun, dann bietet er mir an, den Moment in einem Foto fest zu halten. Während ich ihm mein Handy reiche, verrate ich ihm, warum ich mich so freue. Der Spaziergänger versteht und achtet darauf, die E1-Markierung mit mir auf das Bild zu bekommen. Viel Glück auf meinem Weg wünscht er mir zum Abschied.
    Eine Schutzhütte des E1 liegt am Wegesrand. Weil ich gelesen habe, dass darin manch Wanderer übernachtet, schaue ich sie mir genau an. Fest gebaut ist sie, stabile Wände und ein festes Dach hat sie auch. Sie wird dem Regen wohl gut standhalten. Der Boden dagegen ist dreckig und die Bank in der Hütte so schmal, dass man auf ihr nicht nächtigen kann. Man würde wohl herunterfallen. Ich kann mir nicht vorstellen, in einer solchen Hütte zu übernachten. Aber noch muss ich es auch nicht.
    Dann ist das weiße <X> verschwunden, der E1 muss irgendwo abgezweigt sein. Zurück will ich aber nicht. So folge ich doch wieder der eigenen Route, die ich mir in Komoot zurecht gelegt hatte und die doch nun dem E1 folgen sollte. Aber auch ohne E1-Markierung ist der Weg nach Kochendorf schön, führt er doch durch nahezu unberührte Landschaft.
    Der Himmel verfinstert sich, die Wolken werden dunkelgrau und in der Ferne grollt es bedrohlich. Kurz vor Kochendorf beginnt der Regen, ich finde unter dem dichten Blätterdach eines mächtigen Stammes gerade noch rechtzeitig einen Unterschlupf, dann bricht das Gewitter los. Der Himmel nun tiefschwarz, kübelt es wie aus Eimern, Blitze zucken, Donner rollt. Wie weit ist das Unwetter wohl entfernt? Man kann das durch langsames Zählen recht genau bestimmen. Nach einem Blitz zählt man, bis man den Donner hört: "Einundzwanzig, zweiundzwanzig, … siebenundzwanzig." Das sind dann sieben Kilometer bis zum Gewitter. Keine Gefahr vorerst. Mir fällt das Sprichwort ein: "Eichen sollst du weichen, Buchen sollst du suchen". Ich stehe unter einer Eiche und sollte also lieber weiter gehen. Doch der Regen spritzt immer noch heftig von der Straße hoch. Ein weiterer Blitz. "Einundzwanzig, zweiundzwanzig..." Donner. Nur noch zwei Kilometer entfernt! Noch ein Blitz. "Vierundzwanzig." Das Gewitter zieht also vorüber. Der Regen lässt auch nach. Ich kann wohl weiter. Doch bald fängt es wieder an zu schütten wie aus Eimern. So schnell die Beine mich tragen, renne ich die Straße entlang. Ein Buswartehäuschen bietet Schutz, dankbar schlüpfe ich ins Trockene.
    Ok, dann mache ich eben Mittagspause. Eigentlich ist es zu früh dafür, ich bin ja gerade mal ein Stunde unterwegs. Ich krame den Proviant aus dem Rucksack. Eier und belegtes Brot vertilge ich im Nu, während der Regen immer noch laut aufs Pflaster klatscht. Plötzlich ist es still, der Regen hat schlagartig aufgehört. Ich luge aus dem Häuschen hervor, werde so Zeuge eines seltsamen Schauspiel genau über mir. Die pechschwarze Gewitterwolke weicht in diesem Moment einem makellos blauen Himmel ohne jede Wolke. Die Sonne scheint schon wieder, wärmt und trocknet. Die Straße fängt an zu dampfen.
    Nun kann ich im Trockenen meinen Weg Richtung Götheby-Holm fortsetzen. Der Regen hat jede Menge Schnecken und Frösche von den nahen Wiesen auf die dampfende Straße gelockt, die so zahlreich herum krabbeln, dass ich den Blick nicht mehr heben mag aus Angst, sie zu zertreten.
    Mein Blick bleibt auf einer Schnecke haften, die gerade die Fahrbahn überquert. Ich schätze, sie wird dazu noch den ganzen Tag brauchen. Wenn sie auf der anderen Seite angekommen sein wird, bin ich wohl schon in Schleswig. Zeit und Raum sind relativ. Beim Wandern hat man so unendlich viel Zeit, über vermeintliche Nebensächlichkeiten nachzudenken.
    Hinter Goetheby treffe ich auf die Schlei. Bald stehe ich vor dem Tor eines großen Herrenhauses, am Tor ein Schild: „Landeserziehungsheim Stiftung Louisenlund“. Hier also liegt das Schloss, das nach dem 2. Weltkrieg zum Internat umgebaut wurde.
    [Exkurs: Die Schule verfolgt das Ziel, "jungen Menschen eine zeitgemäße, umfassende und ihre Individualität fördernde Schulausbildung zu ermöglichen. Sie sollen Fähigkeiten entdecken und diese auch für das Gemeinwohl einsetzen." „Zukunftsorientierte Selbstverantwortung“ steht laut des Pressesprechers im Mittelpunkt der Schulerfahrung. Ganz billig ist die Ausbildung nicht, denn mindestens 30.000 EUR müssen die Eltern pro Jahr berappen, um ihren Sprösslingen eine derartige schulische Ausbildung nach dem Motto „Lernen, Leisten, Leben“ bieten zu können, Segeln und andere Sportarten sind dann aber schon inklusive. ]
    Ich gehe um das Schloss herum und an den Stallungen vorbei. Nahe der alten Sonnenuhr bietet eine Bank die Möglichkeit zur Rast mit weitem Blick über Schlei und kleinem Segelhafen, der zum Internat gehört. Ein wenig strecke ich noch die Beine aus, dann geht es weiter.
    Ein mächtiger Baum liegt am Weg, aus dem lautes Brummen dringt. Bäume brummen normalerweise nicht. Was hat es mit dem Baum also auf sich? Lange muss ich vor ihm verharren, dann erst erschließt sich mir sein Geheimnis. Auf zarten Blüten, die der Baum trägt, haben sich Tausende von Hummeln und Bienen versammelt, die summen und brummen. Das Rätsel ist gelöst. Für solche Momente wandere ich!
    Jetzt wäre ein Kaffee gut! Ich halte Ausschau. Doch in Borgwedel gibt es nichts, auch nicht in Stexwig, doch in Fahrdorf werde ich fündig.
    Schon von Weitem lacht mich das sonnige Schild an, darauf steht in großen Lettern: Rick’s Imbiss. Ich merke, wie sich voller Vorfreude mein Schritt beschleunigt, der Körper dem Imbiss entgegen strebt. Rick hat einen leckeren Cappuccino, den ich vor dem Café im Schatten einer Markise genieße. Und weil's so schön ist, bestelle ich gleich noch einen.
    Doch irgendwann muss es weiter gehen, denn zehn Kilometer liegen immer noch vor mir. Es soll noch ums Haddebyer Moor gehen, so sieht der Plan es vor.
    Mein innerer Schweinehund, der auf den letzten Etappen brav war, hat da ganz andere Pläne. Ihm reicht es für heute, er würde jetzt am Liebsten direkt über die Brücke der Haddebyer Chaussee laufen, um nur schnell zum Bahnhof zu kommen. Das Haddebyer Noor würde er einfach links liegen lassen. Ein anderes Mal vielleicht. Ich bin fast geneigt, dem faulen Hund zuzustimmen. Doch auf der anderen Seite des Noors kann ich schon Haithabu und das Wikingermuseum erspähen. Das will ich mir auf jeden Fall näher ansehen. Und wer weiß, ob ich hier noch jemals wieder hin komme.
    Mein Schweinehund gibt sich geschlagen und wartet auf eine andere Gelegenheit. Sie wird wohl kommen.
    Ein sechs Kilometer langer Umweg führt auf gut ausgebautem Wanderweg oberhalb des prächtigen Noors entlang. Der Weg lohnt sich. Nach etwa einer Stunde kommt man am westlichen Teil eines Ringwalls vorbei, der seit 770 nChr. die Wikingersiedlung <Haithabu> schützte.
    [Exkurs Haithabu: Die Lage war günstig gewählt, denn als verlängerter Arm der Ostsee war die Schlei seinerzeit schiffbar. Zugleich führte hier der Ochsenweg vorbei. 300 Jahre lang wuchs Haithabu als Handelsdrehscheibe heran und soll in der Blütezeit mehr als 1.000 Einwohner gehabt haben,. 1050 wurde es während einer Schlacht niedergebrannt und danach nie wieder aufgebaut. Haithabu verschwand im Schlick des Noors. In den 1980gern wurde es ausgegraben und rekonstruiert. Heute gibt es hier einige Nachbauten, die uns das Leben der Wikinger näher bringen wollen. Anstelle des ehemaligen Hafens gibt es nur noch einen Steg, an dem der Nachbau eines Wikingerschiffes, das hier im Schlick gefunden wurde, bewundert werden kann.]
    Für den Besuch der Siedlung ist es leider zu spät, aber ein Blick von der nördlichen Wallanlage gibt mir auch einen guten Eindruck von der Siedlung. Hinter Haithabu taucht das Andreaskreuz des Fernwanderwegs E1 wieder auf. Eine Informationstafel zeigt an, dass der Wegverlauf des E1 geändert wurde. Ich war auf dem ehemaligen Weg unterwegs. Deshalb also war er verschwunden. Schließlich komme ich wieder zur Haddebyer Chaussee, auf der mich mein innerer Schweinehund schon vor einer Stunde gerne gesehen hätte. Ein Stück geht es noch an der Schlei entlang, gegenüber liegt die schöne Schleswiger Altstadt. Da ist aber auch der Wikingturm, das markante Wohnhaus mit 27 Stockwerken auf neunzig Metern Höhe. Das Bauwerk wurde 1970 erbaut und löste damals heftige Proteste unter der Bevölkerung aus. Der Turm sei viel zu monumental, meinten sie und würde das bis dahin harmonische Stadtbild zerstören. Dieser Meinung bin ich auch.
    Wieder sind die letzten zwei Kilometer die längsten der ganzen Etappe und wollen nicht enden. Aber ich bin es jetzt schon gewohnt und irgendwann erreicht man den Bahnhof ja doch. Als ich den Zug besteige, freue ich mich, dass hier schon bald der Startpunkt zur nächsten Wanderung sein wird. So ist ein Abschied gleichzeitig auch Hoffnung auf ein hoffentlich baldiges Wiedersehen. Heute bin ich fast vierunddreißig Kilometer gelaufen und jeder davon - bis auf die letzten zwei - waren schön, friedlich und genussvoll.
    Da ich für heute ein Schleswig – Holstein Ticket habe, das ja bekanntlich einen Tag lang freie Fahrt durch Schleswig Holstein bietet und in Kiel gerade die Kieler Woche veranstaltet wird, mache ich noch einen Abstecher dorthin, zische ob der langen Wanderung einige dänische Tuborg, lausche der flotter Musik auf dem Rathausplatz und fühle mich wohl. Erst weit nach Mitternacht fahre ich zurück nach Hamburg und bin glücklich, endlich meine müden Glieder im Bett ausstrecken zu dürfen.
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  • E1-008-D-Tarp (33 km)

    August 13, 2014 in Germany ⋅ ⛅ 21 °C

    Eile tut nicht gut

    Zeit ist vergangen. Für Urlaub an der Nordsee. Nun kann es weiter gehen. Mitten in der Woche nehme ich mir frei und starte zur nächsten Tour.

    Der Wecker klingelt früh. Rasch packe ich den Rucksack, kaufe mir am Bahnhof wieder ein Schleswig – Holstein Ticket und warte am S-Bahnsteig, dass die Zeit vergeht, denn das Ticket gilt wochentags erst ab neun Uhr. Der Berufsverkehr hat Vorrang, ich muss warten. Deshalb kann ich den Regio-Express um 8:47 Uhr nicht nehmen, der mich in nur eineinhalb Stunden ohne Umsteigen nach Schleswig gebracht hätte und mir zwei Stunden mehr Zeit zum Wandern gegeben hätte. So nehme ich pünktlich um neun die S-Bahn nach Altona, steige in den Regionalzug nach Neumünster. Dort muss ich umzusteigen, um weiter nach Schleswig zu kommen. Die Fahrt wird mehr als zweieinhalb Stunden dauern. Um mir die Fahrzeit zu verkürzen, kaufe ich die ZEIT. Während der Fahrt lese ich, wie Google sich die Welt von morgen vorstellt. Politik und Demokratie werden in den Hintergrund rücken, Technik die Macht übernehmen. Natürlich wird Google Teil dieser Macht sein und man plant schon, künstliche Inseln fernab jeder Staatsmacht im Meer zu verankern, um die zukünftigen Geschicke von dort aus zu lenken.
    Das wird dann Google’s Welt sein. Etwas gruselt es mich vor dieser Zukunftsperspektive.

    Eine Durchsage holt mich in die Gegenwart zurück. Aufgrund von Vandalismus sei etwas an den Gleisen zerstört, der Zugverkehr nach Neumünster unterbrochen. Doch es gäbe einen Busersatzverkehr. Schon halten wir am Bahnhof Wrist, eine Menschenmenge ergießt sich auf den Bahnsteig, strömt zur Bushaltestelle, wo aber kein Bus wartet. Noch bleibt die Masse ruhig. Lange warten wir geduldig, allmählich aber wird Missmut spürbar. Es gibt keinerlei Informationen. Ich rechne mir aus, dass nicht alle Wartenden in den Bus passen werden.
    Es wird warm. Ein junger Mann in gelben T-Shirt brabbelt vor sich hin, man könne eh nichts machen, man solle das Ganze gelassen nehmen. Ich kann das nicht, beneide ihn aber um seine Haltung. Während die Zeit verrinnt, frage ich mich, ob es noch lohnt, überhaupt weiter zu fahren. Ich könnte ja auch hier eine Wanderung machen. Doch schnell verwerfe ich den Gedanken, denn ich möchte doch auf dem E1 von Schleswig weiter nach Flensburg wandern. So sitze ich im Wartehäuschen, schließe die Augen, versuche mich in Gelassenheit zu üben. Doch das ist schwer, wenn man auf den Bus lauert. Ein Bus biegt um die Ecke - ein Raunen erzeugend - bleibt an der Haltestelle stehen. Die Wartenden geraten in Bewegung, jeder möchte jetzt vorne sein. Ich habe Glück, bekomme im Bus einen Sitzplatz, andere müssen stehen. Der Busfahrer muss die Situation schon kennen, denn er bleibt ganz ruhig und wartet solange, bis keiner mehr rein passt. Dann fordert er über sein Mikrophon, dass die Stehenden wieder aussteigen müssten. Keiner reagiert. Er wiederholt die Ansage mehrere Male. Fügt bestimmend hinzu, dass er nicht abfahren werde, solange jemand im Bus stehen muss. Zögernd bewegen sich die Stehenden nach draußen.
    „Ich werde meine Fähre nach Oslo nicht kriegen“, heult da eine ältere Dame auf.
    „Ist jemand bereit, seinen Platz zu tauschen?“, reagiert der Busfahrer.
    Keiner meldet sich, auch ich nicht, obwohl meine innere Stimme mich deutlich genug ermahnt.
    Ein schwarz gekleideter Mann macht seinen Gefühlen Luft: „Können wir nun endlich fahren?“
    Ich schaue ihn missbilligend an, frage mich aber gleichzeitig, ob ich besser bin als er. Auch ich will, dass es weiter geht. Der Mann im gelben T-Shirt predigt wieder Gelassenheit, ohne diese auszustrahlen. Und aufgestanden ist auch er nicht.
    Schließlich ist alles geordnet. Der Bus kann starten. Der Fahrer versucht professionell mit lockeren Sprüchen unsere gedrückte Stimmung zu heben. Nach einer Weile gelingt es ihm, uns zum Lachen zu bringen.
    Mit einstündiger Verspätung kommt der Bus in Neumünster an. Mit dem Interregio fahre ich weiter.

    Eine lange Anfahrt führt die spektakuläre Rendsburger Hochbrücke hinauf, auf zweiundvierzig Meter Höhe geht es über den Kanal und dann eine ebenso lange Abfahrt wieder hinunter. Der Blick von der mehr als hundert Jahre alten Brücke über das flache Schleswig-Holstein ist phantastisch.
    Der Schaffner möchte meine Fahrkarte sehen.
    „Das war ja ein kleines Abenteuer heute“, meine ich zu ihm.
    Er weiß, worauf ich anspiele und antwortet:
    „Ja, für alle Beteiligte“.
    Schlagartig wird mir bewusst, dass von der Bahn einiges geleistet werden musste, um uns weiter befördern zu können. Und sie kann ja nichts für die Vandalen.
    Endlich komme ich in Schleswig an und freue mich, nach sechs Wochen den Bahnhof wieder zu sehen, an dem meine letzte Etappe endete.

    Bald geht es über den Gottorfer Damm zur Gottdorfer Residenz.
    Ich bedauere, dass für eine Besichtigung keine Zeit bleibt. Durch den verwilderten Schlossgarten muss ich nun. Eigentlich möchte ich nur schnell hindurch und auf der anderen Seite zügig im Wald verschwinden. Aber aus dem Barockgarten, der 1637 zum fürstlichen Lustwandeln angelegt wurde, finde ich nicht mehr heraus. Ich laufe treppauf und treppab, rüttle an verschlossenen Toren, nirgends komme ich raus. Ärger kocht in mir hoch.
    „Ich will hier raus!“
    Doch raus geht es nur, wo es rein ging. Tatsächlich waren es nur Minuten, die ich im Irrgarten verbrachte, doch sie kamen mir wie eine Ewigkeit vor.
    Erst der Zug, jetzt ein Garten, der mich behindert. Dabei habe ich es eilig.
    Ich bin ungeduldig. Warum?
    Ich finde keinen Sinn für die Schönheit und Weite der Allee, durch die ich gerade übel gelaunt stapfe. Die Kronen der noch jungen Bäume formen einen Tunnel, der immer dunkler zu werden scheint. Wie meine Gedanken.
    Es läuft nicht rund heute, dabei bin ich noch keine fünf Kilometer weit gekommen. Mein Körper signalisiert Unlust und Müdigkeit. Mein Geist mault mit mir, er habe mit lauter Widrigkeiten zu kämpfen, für die er nichts kann. Meine Seele fragt mich, warum ich es so eilig habe.
    Die Antwort scheint banal: Ich würde gerne den Regio-Express um 18:15 Uhr bekommen. Es ist die einzige Verbindung, die am Abend ohne Umzusteigen nach Hamburg fährt. Doch ich habe mit der unglücklichen Anfahrt schon mehr als eine Stunde verloren und muss nun schneller gehen, als ich eigentlich will, um den Verzug zu kompensieren. Keine gute Voraussetzung für entspanntes Wandern.
    Die heutige Etappe soll eigentlich dem E1 folgen. Der hat sich aber noch nicht blicken lassen.
    Da, endlich! Das weiße Kreuz glänzt wie frisch gemalt am Stamm eines dicken Baums. Nun bin ich wieder auf dem Fernwanderweg unterwegs. Gleich geht das Wandern leichter, der Rücken entspannt sich, die Beine schreiten williger aus.
    Eine weitere Wegmarke gesellt sich kurz darauf hinzu. Der E1 hat mit dem alten Ochsenweg (Haervejen), der von Dänemark bis nach Hamburg verläuft, den gleichen Weg.
    Ein Gatter versperrt den Weg.
    „Schon wieder ein Hindernis“, denke ich, übel gelaunt. Beim Öffnen klemme ich mir einen Finger.
    „Du hast es zu eilig. Werde ruhiger!“, ermahne ich mich.
    „Was du gerade machst, ist doch kein meditatives Wandern, sondern ein Abspulen von Kilometern!"
    Doch ich bin ärgerlich, kann das Wandern überhaupt nicht genießen. Es macht sich in mir das Gefühl breit, ich müsse hier eine Leistung vollbringen. Aber ist das Wandern überhaupt eine Leistung? Man verbraucht zwar Energie, aber man produziert doch gar keinen Wert.
    Gedanken kreisen und quälen mich. Sie hindern mich daran, im Hier und Jetzt zu sein und zu genießen. Anstatt zu akzeptieren, was nicht zu ändern ist, versuche ich, mich dagegen aufzulehnen. Schneller! Ich erinnere mich an den Mann mit dem gelben T-Shirt und seine Demut. Stattdessen laufe ich immer schneller.
    Noch fünf Wegstunden liegen vor mir und es ist schon früher Nachmittag.
    Nun verwandle ich meinen Körper in eine Laufmaschine, die nur eine Aufgabe hat: Laufen.
    Tatsächlich: ich werde schneller, laufe nun sechs statt der gewohnten fünf km/h. Und es ist genau dieser eine Stundenkilometer, der mich stört. Daneben gesellt sich aber auch Stolz, dass mein Körper das schafft und mitmacht.
    „Lass den Zug sausen, mach dir keinen Stress. Verdammt noch mal!“. Meine Seele lehnt sich auf.
    Der Geist hält dagegen: „Es ist die beste Verbindung. Wenn du den Zug nicht bekommst, bist du viel zu spät zu Hause“.
    Ich bin Gefangener meines inneren Zwiespalts.
    Das weiße Kreuz ist weg. Der Pilgerpfad ebenfalls. Eben waren sie noch da. Ich hätte an einer Weggabelung doch gerade ausgehen sollen. Doch Else kennt den Weg und am Rethsee treffe ich wieder auf die Wegmarken.
    Hunger meldet sich, allmählich unterzuckere ich wohl. Doch dem Körper gönne ich weiterhin nur Wasser im Laufen. Keine Pause! Vor Idstedt spare ich mir die Strecke um den vermutlich schönen Idstedter See. Zwei Kilometer weniger!
    In Idstedt gibt es eine Gaststätte, doch sie hat zu. Es ist wie in dem Wanderbuch von Wolfgang Lührs, das ich gerade lese. Auf seiner Wanderungen durch Deutschland waren die Gaststätten oft ebenfalls geschlossen. Mittwochnachmittag ist eben kein Geschäft zu machen. Zu gerne hätte ich jetzt einen Kaffee gehabt, auch wenn es Zeit gekostet hätte.
    Am Wegesrand in der Sonne liegt die Pension „Petersen“. Vor der Tür stehen drei Wanderer mit großen Rucksäcken auf dem Rücken. Es sind die ersten richtigen Wanderer, denen ich begegne. Ein kurzer Stopp, ein kurzes Moin, Moin, wie hier üblich. Gerne hätte ich sie ein bisschen ausgefragt, woher sie kommen, wohin sie gehen, wie sie übernachten. Es wären vielleicht hilfreiche Informationen für meine späteren Wanderungen geflossen. Doch ich verzichte auf das Gespräch, trabe stattdessen vorbei, entscheide mich weiter für die Hatz, wieder fragend, warum eigentlich. Was nur bringt diese ungewohnte Effizienz beim Wandern?
    Eine Schutzhütte liegt am Pilgerweg. Im Vergleich zu der E1-Schutzhütte, die ich bisher kennen gelernt habe, ist diese geräumig, sehr sauber und äußerst stabil gebaut. In dieser Hütte könnte man sicher auch übernachten. Sehr bequem wäre es wohl nicht, aber ausreichend groß.
    Vor der Hütte ein Schild, das über die Pilgerroute informiert. Und darüber, dass diese Hütte wie eine Kirche in Miniformat gestaltet sei. Im Moment interessiert mich aber mehr der runde Tisch vor der Hütte, hier lasse ich mich erschöpft nieder. Die fünfzehn Kilometer, die hinter mir liegen, sind gerade mal die Hälfte der heutigen Strecke. Ich packe meinen Proviant aus, vertilge fast alles davon. Mann, hatte ich einen Hunger! Dann lege ich die Füße hoch – und schon bin ich fest eingeschlafen.
    Eine halbe Stunde später wache ich auf. Nun ist es wohl definitiv zu spät für den Direktzug.
    Obwohl es doch eigentlich keinen Sinn mehr ergibt, beschleunige ich wieder meine Schritte. Mein Atem folgt einem festen Rhythmus: zwei Schritte beim Einatmen, zwei Schritte beim Ausatmen, jeder Schritt nährt die Hoffnung, dass ich es vielleicht doch noch rechtzeitig schaffe. Ich werde immer schneller. Doch warum nur habe ich es so eilig?

    Ein Spruch von Steven Covey (7 Wege zur Effektivität) fällt mir ein:
    „Du, deine Säge ist stupf. Warum machst du sie nicht wieder scharf?“
    Der andere: erwidert „Keine Zeit. Ich habe noch so viel zu sägen“.

    Meine Körpermaschine läuft auf Hochtouren. Ich spüre meinen schnellen Puls.
    E1 und Pilgerroute verlaufen nun schnurgeradeaus einen Feldweg entlang, der Verlauf des Weges ist weit im Voraus zu sehen. Kein Mensch geht diesen wunderschönen Weg, der sich gemütlich durch die Felder zieht und auf dem ich so ungebührlich schnell entlang haste, bis ich abbiegen muss. Der Weg zum Bahnhof ist ein Umweg, den ich zu Beginn der nächsten Etappe wieder zurück laufen muss. Insgesamt wird der Weg dadurch um zwanzig Kilometer länger.
    Immer noch ist da die Hoffnung, den Zug um 18:15 Uhr zu schaffen. Dabei ist es schon siebzehn Uhr. Die noch vor mir liegenden neun Kilometer müsste ich in 1:15 Stunde schaffen. Das ist wenig realistisch, selbst, wenn ich noch schneller laufen würde als bisher schon. Für Momente überlege ich, ein Stück zu rennen, doch meine Seele protestiert umgehend. Der Geist entschuldigt sich und meint, er versuche nur, sein vorgegebenes Ziel zu erreichen. Der Körper meint, an ihm läge es nicht, er funktioniere prima und könne noch schneller. Die nächsten Kilometer werden ekelig zäh.

    Kurz vor dem Etappenziel eine Überraschung:
    in einem kleinen Wäldchen stoße ich auf den Tarper Eulenwanderweg. Durch die nahe Wiese fließt die Treene, eine hübsche Brücke führt hinüber. An den Eulen-Exponaten sause ich vorbei, ohne sie zu würdigen. Nur vor der Skulptur eines Teufels bleibe ich fasziniert stehen. Er hält etwas zwischen seinen Händen. Es ist der „Innerer Reichtum“. Mehr Zeit hätte mich heute reich gemacht!

    Dann kommt der Moment der Wahrheit: "den Zug kriegst du nicht mehr".
    Und die Erkenntnis bringt das, was dem heutigen Tag gefehlt hat: Zeit.
    Nun endlich kann ich in Ruhe in den Supermarkt gehen, um Bananen, Salat, Joghurtdrink und eine Fassbrause zu kaufen. Seelenruhig sitze ich anschließend auf einer Bank am Bahngleis und stille meinen großen Hunger. Jetzt, wo die Zeit nicht mehr drängt, bin ich zufrieden mit der Situation. Der Zug ist weg, und?
    Völlig entspannt warte ich auf den nächsten Zug. Der allerdings wird erst in vierzig Minuten kommen. Zeit genug, die Abendsonne in vollen Zügen genießen.

    Hektik soll nicht wieder eine meiner Wanderungen bestimmen. Das habe ich heute gelernt.
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  • E1-009-D-Flensburg (31 km)

    August 16, 2014 in Germany ⋅ ⛅ 17 °C

    Das kleines Finale!
    Heute werde ich auf meiner Nordroute die dänischen Grenze und damit den nördlichsten Punkt meiner Wanderung durch Deutschland erreichen. Ich freue mich schon wie Bolle darauf.
    Doch noch liegt eine dreißig Kilometer Wanderung plus Zugfahrt nach Tarp zwischen mit und dem Kleinen Finale.
    Die heutige Wanderung soll ruhiger und entspannter verlaufen als die letzte Etappe. Das habe ich mir fest vorgenommen, denn von Hast und Eile habe ich genug.
    Schon um acht Uhr geht's los. Die Hamburger Straßen sind noch menschenleer. Heute läuft alles wie am Schnürchen. Die Bahn bringt mich pünktlich nach Tarp. Ich bin herrlich entspannt. Doch am Bahnhof klemmt die Zugtür, sie geht einfach nicht auf. Ich gerate in Panik. Ich will raus! Voller Wucht stemme ich mich gegen das Hindernis. Es knackt. Doch nicht die Tür, sondern das Fenster gibt nach, bricht einfach aus der Fassung, kracht splitternd auf dem Bahnsteig. Mit meiner Fassung ist es ebenfalls vorbei, ich habe mich furchtbar erschrocken. Doch die Tür bleibt zu, hier ist nichts zu machen. Eilig haste ich durch den Waggon zur nächsten Tür, die sich wie Butter öffnen lässt. Endlich draußen. Gerade noch rechtzeitig, schon rollt der Zug weiter.
    Ich stehe sinnierend vor der geborstenen Scheibe.
    „Warum setzt die Bahn nur so alte Rumpelzüge ein?“, frage ich mich laut.
    Niemand kann mir antworten, der Bahnsteig ist menschenleer, keiner hat das Malheur beobachtet.
    Ich wende mich ab und gehe. Soll sich die Bahn doch um ihren Müll kümmern.

    Wenn alles gut läuft, werde ich heute meinen nördlichsten Punkt erreichen, der für viele E1-Wanderer doch eher der Startpunkt ist, denn die meisten starten den Fernwanderweg an der dänischen Grenze, um in südliche Richtung zu laufen. Karin Baseda Maas, deren Buch "E1 – das Buch zum Weg" ich gerade mit Vergnügen gelesen habe, beschreibt ihren persönlichen Startpunkt als „eine Rolltreppe an der dänischen Grenze“. Mein Weg wird südlicher enden. Den Yachthafen vor dem Hotel Wassersleben - kurz vor der dänischen Grenze - habe ich zu meinem Zielpunkt erkoren. Ein Bad in der Ostsee soll der krönende Abschluss der Tour sein. Sogar an Badehose und Handtuch habe ich heute gedacht.
    Bevor es so weit ist, liegen aber noch sechs Stunden Marsch vor mir. Der Wetterbericht hat sonnige zwanzig Grad vorhergesagt.
    Der Weg vom Bahnhof zurück auf den E1 führt mich noch einmal am Eulenwanderpfad vorbei. Heute habe ich mehr Zeit eingeplant, um mir die Skulpturen anzusehen. Es sind viele.

    Nun stoße ich wieder auf den E1, der zusammen mit dem Ochsenweg (Haervejen) verläuft. Eine von insgesamt dreizehn Pilgerhütten lädt bald zur Rast ein, schön an einer Wiese gelegen. Ich kann nicht widerstehen, obwohl es für eine Pause eigentlich noch zu früh ist. Während ich die Brote mit Lust verzehre, denke ich sehnsüchtig an heißen Kaffee. In Gedanken ergänze ich die Ausstattungsliste um eine Thermoskanne.
    Kurze Zeit später packe ich alles wieder ein und schon hat mich der Wald wieder verschluckt. Meine Schritte bedächtig setzend, wandere ich gemächlich und ohne Hast. Kein Zeitdruck heute, aber das Wissen darum, dass ich einen Meilenstein auf meinem Weg durch Deutschland heute erreichen werde, lässt mich doch ein wenig ungeduldig werden. Es ist eine freudige Erregung in mir, bald etwas geschafft zu haben, dass ich mir vorgenommen habe.
    Jetzt aber genieße ich erst einmal den Wald und nehme ihn mit meinen Sinnen auf.
    Riech, wie würzig der Waldboden riecht!
    Schau, wie die Sonne durch das grüne Blätterdach blinkt!
    Hör, wie die Vögel singen!
    Einige Kilometer führt mich der Weg durch den verwunschenen Wald, dann erreiche ich Oeversee, wo ich der romanische Rundturmkirche St. Georg einen Besuch abstatte. Seit dem 12. Jahrhundert ist sie Anlaufstation für Pilger und Reisende auf ihrem Weg nach Rom oder Santiago de Compostela. Früher war hier sicher mehr los. Der Vorraum zur Kirche ist schlicht, eine Tür führt ins Innere der Kirche. Auch sie ist in schlichtem Weiß getüncht. Ich mache nur einen kurzen Rundgang, stehe bald wieder im Vorraum. In einer Ecke ruht das Kirchenbuch, in das ich einen Eintrag mache.
    Auf dem Friedhof erzählt ein alter Grabstein von einem Mann, der vor mehr als hundert Jahren hier in der Nähe in der Nacht erfroren aufgefunden wurde.
    Weiter geht es zum Sankelmarker See. Eine Aussichtsplattform oberhalb des Sees lädt zum Schauen ein, darauf eine Bank, auf die ich mich erst setze und dann lege. Schon bin ich eingenickt, sehe mich im Traum schon in der Ostsee schwimmen.
    Stimmen holen mich aus dem Traum zurück. Ich muss mir die Augen reiben, so fest habe ich geschlafen. die Stimmen stammen von zwei Frauen, die laut plaudernd mir gegenüber in der Sonne sitzen, neben sich zwei große und prall gefüllte Rucksäcke. Sie scheinen auf einer längeren Tour unterwegs zu sein. Das interessiert mich, ich spreche sie an. Mutter und Tochter erzählen bereitwillig, dass sie ihren Urlaub nutzen, um eine Woche auf dem E1 von Flensburg nach Kiel zu gehen. Erst heute morgen sind sie in Flensburg gestartet, abends wollen sie sich irgendwo ein Quartier suchen, gebucht ist nichts. Auf ihrer Wanderung orientieren sich am Wanderführer von Arthur Krause „Europäischer Fernwanderweg E1“ (erschienen 2000). Ich darf einen Blick hinein werfen. Von dem Buch hatte ich gehört, es ist mittlerweile vergriffen und wird wohl auch nicht neu aufgelegt. Obwohl schwer, haben sie es auf die Tour mitgenommen, weil es für sie nützlich ist für die Routenplanung, der Suche nach Unterkünften und als sonstige Informationsquelle für alles, was am Wegesrand liegt. Die Damen sind begeistert von dem Buch. Im Gegenzug erzähle ich von meinem Plan, durch Deutschland zu wandern und das ich kurz davor bin, meinen vorerst nördlichsten Punkt zu erreichen. Ich zeige ihnen, wie ich mit der Komoot-App plane und navigiere. Sie staunen, was Technik alles möglich macht.
    Es ist Zeit, weiter zu gehen. Unsere Wege liegen in entgegengesetzter Richtung. Wir wünschen uns gegenseitig viel Glück auf unseren Touren. Während ich den Hügel zum See hinunter gehe, bleiben die beiden auf ihrer Bank sitzen und schauen mir nach. Am See drehe ich mich noch einmal um und winke ihnen fröhlich zu. Sie winken zurück.
    Nun geht es vorbei an großen Maisfeldern, dessen Pflanzen schon hoch gewachsen sind und reif. Man kann nicht mehr drüber schauen, was das Wandern etwas trist macht.
    Kurz vor der Flensburger Stadtgrenze verlässt der Ochsenweg, der um Flensburg herum verläuft, den E1, der in die Flensburger Innenstadt führt.
    Hier komme ich endlich an einem Schild vorbei, dass die offizielle Längenangabe des E1 verrät: von Flensburg bis Konstanz sind es 1.800 km. Zweihundertsiebzig Kilometer davon habe ich bereits bewandert. Verbleiben also eintausendfünfhundertunddreißig Kilometer. Eine beachtliche Entfernung, die mir Respekt abfordert.
    Es geht über eine Brücke, die über den Flensburger Bahnhof führt. Fünf Kilometer sind es jetzt noch. Es geht durch die Flensburger Innenstadt, wo ich endlich einen Kaffee kriege.
    In der Fußgängerzone sind die Geschäfte geöffnet, es schäumt vor Menschen, in der Grenzstadt ist viel Dänisch zu hören. Mit Shoppen aber möchte ich meine Zeit nicht verbringen, denn ich habe mein Ziel nun schon fast vor Augen. Bald bin ich am Stadthafen, auch hier sind viele Menschen unterwegs. Alte Schoner sind im Hafenbecken verzurrt. Heute ist Hafenfest. Von Buden und Ständen strömt der Geruch allerlei Speisen und Getränke herüber, machen Lust auf Currywurst und Flensburger Bier.
    "Aber nein, halte aus, noch bist du nicht am Ziel!". Ich muss mich echt zusammen reißen.
    Weiter geht es durch ein tristes Gewerbegebiet.

    Die Ostsee blinkt durch die Bäume, mein Herz beginnt zu hüpfen.
    Nur noch ein kleines Stück am Sandstrand entlang und dann kann ich mein Ziel auch schon ausmachen. Es ist schon ganz nah. Die Beine werden von alleine schneller, alles in mir strebt dem Ende entgegen.
    Da, ein Pfiff. Ich schaue mich um. Woher kommt der denn?
    „Willkommen, Michael. Du bist fast da! Glückwunsch!“.
    Mit diesen Worten springt sie von einem umgestürzten Baum herunter, auf dem sie auf mich gewartet hat. Sie gegrüßt mich mit einer Umarmung. Ich war erst in der Marina mit ihr verabredet. Hier habe ich nicht mit ihr gerechnet. Sie hat mich überrumpelt. Kaum hat sich die freudige Überraschung gelegt, da fange ich an zu lachen. Und lache immer weiter, kann gar nicht mehr aufhören.
    Die Flasche Flensburger in ihrer Hand macht Plopp, als sie den Bügelverschluss mit einer Hand öffnet.
    „Für den wackeren Wandersmann“, sagt sie lächelnd und reicht mir die Flasche, die ich dankbar nehme. Das kühle Bier läuft die Kehle hinunter. Ah, wie lecker das schmeckt. Ich leere die Flasche in einem Zug. Dann umarme ich sie. Tränen steigen mir in die Augen. Ich spüre Dankbarkeit. Für das Bier, aber auch für die Entscheidung, los gegangen zu sein. Ich empfinde Glück.
    Und es ist ja erst der Anfang meiner langen Wanderung.
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