Freunde finden wir unterwegs

March - April 2024
Wir machen eine Reise durch Deutschland und treffen unterwegs liebe Menschen Read more
  • 71footprints
  • 2countries
  • 55days
  • 528photos
  • 5videos
  • 9.5kkilometers
  • Day 54

    Zeit anhalten

    April 29 in Germany ⋅ ☁️ 12 °C

    Ich habe die Zeit angehalten. So kommt es mir vor. Wir sitzen in Nienhagen hinter dem Städtchen, mit Blick auf den Besinnungsgarten, die grünen Bäume im Frühlingskleid. An einem kleinen Stück Wiese, unter einem hohen Baum, der sich schützend über uns hält.

    Am Morgen habe ich angefangen zu lesen, obwohl ich wegfahren wollte. Ich bin müde, aber ich lese, bis mir die Augen zufallen, lege mich zurück neben Hilde, die auf dem Bettzeug schläft. Mich ableckt, mich anschaut, lange nachdenklich, unbeweglich.

    Spüre in mich hinein. Frage mich, ob es das Buch macht, dass meine Stimmung bedrückt. Mir sehr nahe kommt, weil ich gerade dieser Gedankenwelt begegnet bin. Louisa Waugh lebt in der Mongolei. Zumindest ein Jahr lang. Und sie kann gut schreiben. Dicht, aufwühlend, ernst und trotzdem Sehnsucht versprühen.

    Leben aus zweiter Hand. Ob das meine Lebensphilosophie sei, hören Sie mal, die alte Stimme aus der offenen Tür schallt herüber. Wir haben Ihr Buch im Bücherschrank gefunden, im Dezember, letztes Jahr. Wir kommen ins Gespräch, sie haben kleine Geschenke für uns.

    Erst als sie mir die Hundeleckerlies gibt, sehe ich das schwarze Tier unterm Tisch. Er sei krank, kann das nicht mehr fressen. Hilde hat ihn nicht mal gerochen. Wenn ich mich kurz zum Schlafen hinlege, wache ich aus unruhigen Träumen auf.

    Zwei Mädchen spielen schon seit einer Stunde an der Drehschaukel, vielleicht zwölf Jahre alt, das Handy im Blick. Samstag im Ort, Hilde fragt nach Wasser, durch die offene Tür kommt kalte Luft, ich esse einen Joghurt, Mumford singt.

    "Wenn ein Esel auf Reisen geht, wird er nicht als Pferd zurückkommen." (Thomas Fuller) Mein linker Fuß ist taub. Sein Knie habe ich zulange abgeknickt, dass er wohl einschlafen konnte. Wenn ich denke, wie oft ich in den letzten Jahren mit ihm umgeknickt bin, jetzt sind die Sehnen so verkürzt, dass ich abends lange brauche, bis die Füße sich entspannt haben.

    Wir packen zusammen, ich möchte an einen anderen Ort fahren. Oder später, hierher zurückkommen. Aber ich muss uns bewegen, der Blick aus den drei Fenstern ermüdet mich, die Mädchen sind weggefahren, Wind ist aufgewacht, ein Vogel hat vom Zweig herunter sich entleert. Ein grüner Fleck lagert auf der Windschutzscheibe, der alte Mann schiebt den Rollator, am Eingang vom Altenheim lagern zwei Hunde, Hilde hat sie aus hundert Meter Entfernung durch dem geschlossenen Bus wahrgenommen.

    Schnitt. In der Nähe ist eine Wiese. Wir fahren wieder dorthin, um ein wenig unter den hohen Bäumen zu spielen. Das Gras ist kurz, die Wurzeln der Bäume voll mit Gerüchen. Keine Mäuse. Ein guter Spaziergang führt zu Mauselöchern. So lange spielt sie im Bus die leidende Hilde.

    Mit herabhängendem Kiefer, triefender Schnauze, gequältem Gesichtsausdruck, der ganze Hund schreit, ich muss raus, mich erleichtern. Bitte, du blöder Sozialarbeiter, hab Erbarmen. Halte ich an, fällt alle Dringlichkeit ab, die Hündin ist völlig entspannt. Ein Pseudopipilein für Papa zwingt sie sich ab, dann wird aber auch losgeschnüffelt.

    Die Sonne scheint, hoch über den Baumspitzen tanzt der blaue Himmel seine weiße Wolkenflugmelodie. Jeder kleine Weg wird zu eine Oase des Vergnügens.
    Da kommen die Bilder von weit her, fast überall in der Welt kannst du heute reisen, und ja, ich genieße es, sie sehen zu dürfen.

    Auch wenn meine Schritte stolpern, und wir den Bus vielleicht nur für eine halbe Stunde verlassen können, bis die Schmerzen zu stark werden, um stehen zu können. Denn Mäuse haben einen begrenzten Bewegungsradius, und das, was Hilde ausbuddelt, ist manifestiert.

    Die Welt ist schön. Dafür musst Du nicht weit fahren. Es ist die Sehnsucht, die uns treibt, nicht an einem Ort bleiben zu wollen. Nicht nur, wenn wir jung sind. Obwohl in den jeweiligen europäischen Ländern, die wir bereisen, inzwischen die Zahl der "bürgerlichen Nomaden", die die Grenzen selten überschreiten, ständig gewachsen ist. Vier Tage an einem Ort, eine Woche, dann vielleicht fünfzig, hundert Kilometer weiter fahren. Braungebrannt, wir brauchen nichts. Ein Ehepaar mit zwei Hunden, zwei Fahrzeugen, manchmal getrennten Wegen, ich höre zu. Was sich verändert hat, wie das Reisen jedem sein eigenes Gefühl hinterlässt.

    Zusammen ist man weniger alleine. Auch wir müssen uns neu justieren. An dem Prioritäten wird sich wenig ändern. Die Mäusebuddlerin ist das schwächste Glied in der Verbindung, ihre Bedürfnisse werden hochangesiedelt. Aber wir überlegen schon, wie jeder sein Wohlgefühl leben kann.

    Wir müssen uns kennenlernen, jeder in seiner Eigenart, unter den unterschiedlichen Bedingungen. Auch wir wissen kaum noch, wie Wohnung geht, können uns aber überraschend schnell dran gewöhnen. Der aufrechte Gang, die Tür zur Wiese, der dunkle Raum, in dem das Wasser fließt.

    Zu Dritt im Bus, gebeugt leben, ausgestreckt geht nur draußen und im Liegen. Eine Boxio ist eingezogen, auf ihr koche ich morgens Kaffee, obwohl sie eher für die Verdauung dient. In der Zeit gehen wir spazieren, die Hilde und ich. Die am meisten von der veränderten Situation profitiert. Mehr Spaziergänge, mehr Streicheleinheiten, mehr Zusammenhalt.

    Heute sind wir alleine unterwegs. Dort war Deutschland geteilt. Im Februar 1990 wurde diese Brücke geöffnet. Eine kleine Straße, östlich von Wittingen. Dann kommt Diesdorf mit einem kostenlosen Stellplatz, oberhalb von der Kirche, die geöffnet ist, nicht weit von einem Superbäcker, wie es in den Bewertungen heißt. Des deutschen Campers höchste Priorität, morgens müssen Brötchen auf den Frühstückstisch, ein Ei und Butter. Gute Butter. Das Ei vom Feld, Bio muss auf der Packung stehen.

    Gute Butter, sagt sie, liebe ich. Zu einem starken Brot, dem man die Kraft ansieht. Leberwurst, nickt Hilde. Bio sei ihr egal, auch Ei. Bisher war nur abends trockenes Baguette mit Leberwurst angesagt, aber warum nicht, mal flexibel sein.

    Ich liebe Hundelogik. In der letzten Zeit telefonieren wir viel, das wird ein Ende haben. Obwohl ich auch mehr lese, was gut ist. Heute Abend bringen wir den Sohn zum Flieger, mit seiner Familie geht's in den Süden, weg von der norddeutschen Kälte. Auch wenn es nur eine Woche ist.

    Einfach mal das Land wechseln. Die Leute austauschen. Sich selber verändern fällt da deutlich schwerer. Will auch nicht jeder. Wir sind schnell zufrieden. Besonders Sonntags. Der Himmel hat sich verändert. Mehr Wolken weniger blau. Windstill. Die Sonne versteckt, habe ich sie doch entdeckt im Grün des Laubs, im Frühlingshauch.

    Schnitt. Nachmittags singen die Vögel, auf einem Parkplatz in Neuhaus schlafe ich wiederholt. Trinke Tee. Schafgarbe, Fenchel, Kümmel, Kamille. Vermutlich ist mir die kalte Dose Klöpse nicht bekommen. Erhöhte Temperatur kommt nicht gut, wartet der Sohn doch auf eine Fahrt zum Flughafen. Man empfiehlt viel zu trinken.

    In Brome gäbe es das beste Eis, leider heute nicht für mich, aber ein schattiger Parkplatz an der Burg, die in der Sonne steht. Verwunschene Häuser am Wegesrand, Fachwerk und Blumen, Rosen und alte Zäune.

    Er möge doch noch mal den Bauch abtasten. Es ist Sonntag. Mein Doktor ist ein Freund, der sich Zeit nimmt. Jederzeit. Jede Zeit. Möge sie ihm immer und lange noch gewährt sein. Sein Go und mach langsam, er würde nichts Bedenkliches fühlen, aber mit dem Fieber soll ich nicht mehr weit fahren.

    Am Flughafen nimmt der Sohn mich in den Arm. Zweimal. Vater sein ist nicht immer einfach gewesen, aber herzlich geblieben. Ich schau ihm nach. Starte den Motor, wir fahren in die Nacht hinein ein.

    Mitternacht. Ehlen. Stellplatz. Das Fieber ist gesunken.
    Read more

  • Day 53

    Burg Brome

    April 28 in Germany ⋅ ⛅ 18 °C

    "Burg Brome ist eine Wasserburg, die wahrscheinlich schon vor 1195 von Heinrich dem Löwen gegründet wurde. Die Burgbesatzung sollte die nahegelegene Grenze zur Mark Brandenburg überwachen. Prominentester Gast war Kaiser Karl IV., der die Burg 1376 persönlich in Besitz nahm. Das heute noch stehende Hauptgebäude stammt aus der Renaissance. Bis in das 20. Jahrhundert diente es als Sitz eines Burgvogts, welchem die Verwaltung der umliegenden Dörfer unterstand. Von 2009 bis 2014 wurde der akut einsturzgefährdete Bau aufwändig saniert und neu fundamentiert. Dabei entdeckte man Reste der burgeigenen Brauerei aus dem 16. Jahrhundert. Sie wurden bewahrt und sind nun im Eingangsbereich zu sehen."

    https://www.museen-gifhorn.de/museum-burg-brome/
    Read more

  • Day 51

    Im Dunkeln

    April 26 in Germany ⋅ ☁️ 7 °C

    2.861. Tag auf unserer Lebensreise im blauen Bus, wir stehen unter einem grünen Blätterwald in Nienhagen. Es soll nochmals sehr kalt werden, Hilde ist ganz schmusig, wir vermissen beide Marion und hören Bruce Secret Garden.

    https://youtu.be/dMriDhHDB1E?si=-1flgfe6hAhS1XyT
    Read more

  • Day 50

    Zauber

    April 25 in Germany ⋅ ☁️ 9 °C

    Sie
    habe
    einen Zauberspruch
    noch nie
    angewandt
    ist sich nicht mal
    sicher
    ob und wie sie ihn
    sprechen
    soll und ob sie dabei
    sich selber anschauen
    kann
    oder hinter einem
    Baum hervorlugen müsste
    falls er sich gegen sie wendet

    wir stehen am Waldrand
    mit dem Blick
    auf die Spitzen neu
    geborener hell
    grüner Tannenspitzen
    - auf denen kleine Engel sitzen - wie uns Lieder
    bezeugen neben den
    schwingenden Ästen
    einer Kiefer es regnet

    über die stille Straße
    hinweg das Gelb
    eines Feldes voller Raps
    im verschlierten
    verschleierten Rückfenster
    harrt ein Erntehelfer
    aus
    im Gras
    mag dort vielleicht dem
    Geist von Walt Whitman
    begegnen

    Who is that singing
    in the land of
    the falling rain
    höre in die
    Felice Brothers
    folgern es sei
    Kurt Cobain

    "In this recurring dream
    Two swans on a rushing stream
    Things are seldom as they seem
    In a fevered dream
    And into the fire
    Into the fire, they go
    Far from the world they know
    Into the fire, they go...

    ...In diesem wiederkehrenden Traum
    Zwei Schwäne auf einem rauschenden Bach
    Die Dinge sind selten so, wie sie scheinen
    In einem Fiebertraum
    Und ins Feuer
    Ins Feuer gehen sie
    Weit entfernt von der Welt, die sie kennen
    Ins Feuer gehen sie"

    übers braune Feld
    vom Bauern gerecht und
    begradet
    winkt die Sonne aus den
    Wolken die Fenster
    im blauen Bus
    sind
    innen beschlagen
    draussen könnte der Bauer
    warten der Jäger und der
    Hirte der Hase und das Lamm
    ob Märchen
    Wirklichkeit werden liegt
    nicht am Zauberspruch
    eher an deiner Bereitschaft
    Auge um Auge
    Sinn auf Sinn
    Herz Verstand und
    Seele zu öffnen

    oh it's a wonderful life.

    Die Bilder sind entstanden auf unserer Reise um Visselhövede.
    Read more

  • Day 49

    Eisblüte

    April 24 in Germany ⋅ ☁️ 4 °C

    Es hat geregnet. In der Nacht. Das habe ich gehört. Jetzt zeugen die Tropfen am Fenster davon. Gerade mal sechs Uhr. Früh. Wenn ich bedenke, wie lange ich in der Nacht war, wie spät ich schlafen gegangen bin.

    Wir haben lange telefoniert. Wie jedes Mal. Bis das Telefon nach zwei Stunden die Verbindung unterbricht. Ich wusste gar nicht, dass es das tun kann. Vermutlich habe ich in den Jahren zuvor höchstens zwei Stunden im Monat telefoniert. Aber wir haben uns viel zu sagen.

    Trotzdem ersetzt das Telefonieren nicht die Begegnung, das Anschauen, das Fühlen, die Berührung. Ganz schön weit weg. Sagt mein Sohn. Schade, dass sie nicht näher wohnt. Sechshundert Kilometer ist viel. Eigentlich können wir das nicht an einem Tag fahren. Selbst über die Autobahn.

    Obwohl ich ja viel fahre. Ich erinnere mich an früher, Weihnachten zu den Eltern, das Jahr der Grenzöffnung, eine Handvoll Fahrzeuge, ein Trabi wie ein unbekanntes Verkehrshindernis. Jung verheiratet, meine Tochter war schon da, ich wollte nicht wegfahren, aber die Mutter war jetzt alleine zuhause. Ihr letztes Fest, eine unserer wenigen Begegnungen, die geblieben sind.

    Heute sind die Autobahnen auch über Weihnachten nicht mehr so leer, die politische Lage hat sich verändert. Gestern um 18 Uhr auf einem Rastplatz sind eigentlich nur die Frauenparkplätze und die für Behinderte nicht von Lastwagen belegt. Im letzten starken Schnee, haben sie kilometerlang den Seitenstreifen blockiert.

    Würde man alle Lastwagen zu einer Zeit in Deutschland hintereinander parken, ergebe es vermutlich eine geschlossene Kette, eine Grenze von Osteuropäern mit einer größeren Fraktion an Deutschen und versprenkelten Südländern, der ein oder andere Däne und Niederländer. Aber wir sprechen von Flüchtlingsproblemen, dabei fahren Lastwagen mit Fahrern, die drei bis sechs Monate ohne Urlaub, ohne ihre Familie zu sehen, in Deutschland herum, von Marokko bis Norwegen.

    Du musst nur mal an einer Revolution Laundry in Deutschland deine Wäsche waschen. Der einzige Fremde unter Ausländern. Und das in dem Land, in dem ich geboren bin. Wir stehen auf den Rastplätzen, über Stunden, halbe Tage, zwischen den Terminen, dem nächtlichen Schlafplatz.

    Besser als bei Rewe auf dem Parkplatz. Hilde schläft, ich lese. Oder telefoniere. Die Sonne scheint, es regnet. Sturm, kalt, Schneefall. Jetzt im April ist Winter. Nach dem wärmsten Jahreswechsel aller Zeiten. So spricht man von Temperaturen um Null Grad.

    Abends um neun Uhr hole ich den Sohn von der Arbeit ab, bringe ihn nachhause. Wir reden die zehn Minuten lang ein bisschen, er füllt unsere Wasserflaschen auf, schenkt mir eine Tüte voll mit Osterhasenschokolade, von der ich bis zur Weihnachtszeit fast genug habe.

    Er lacht. Du isst das viel schneller. Besuch bei meiner Tochter, einmal werde ich noch meinen Reisedoktor treffen. Zu viel mehr fehlt mir die Energie. Hilde muss an drei Vormittagen zu Marianne. Da freut sie sich jedesmal. Doch kaum zurück im Bus, verfällt sie in einen komatösen Schlaf.

    Mit den Ärzten habe ich jedesmal persönliche Gespräche, unseren zweiten Band nehmen sie mit großer Dankbarkeit an, erzählen vom Sabbatjahr und den Wanderungen durch die Schweiz im Urlaub. Mit Rucksack und Zelt, sagt der Urologe, der vermutlich auch bald in Rente gehen könnte.

    Aber man findet kaum einen Nachfolger, die Politik macht uns kaputt. Schauen Sie hinter die Kulissen, nicht mal für ein halbes Jahr kann ich weg, sagt der für die Lunge, der es gerade besonders gut geht. Er trage Verantwortung für die Patienten, und braucht eine kompetente Vertretung, ich mache immer schon einen Termin fürs Folgejahr.

    Ich erzähle ihm von meinem Ausstieg, von der langen Erkrankung einer Freundin, die auch von so einer Verantwortung sprach. Und dann. Von einem Tag auf den anderen bist du nicht mehr wichtig, die Nachfolge regelt sich. Und wofür du dir jahrelang Sorgen gemacht hast, löst sich im Wind auf. Der Tod ist da noch endgültiger.

    Und schauen Sie sich um, die Welt wird kleiner, selbst in Europa. Und ob Ruanda ein sicheres Land ist. Man kann wieder durch Afghanistan reisen. China öffnet die Grenzen, aber wie sicher das ist. Und wie lange noch, wenn sie in den USA wählen, in Israel kämpfen.

    Ein bisschen mehr Egoismus tut gut, er würde darüber nachdenken. Die Sonne wacht auf, der Himmel ist blau, Hilde schaut raus. Leichter Wind, ich konnte nicht schlafen in der Nacht, aber kurz nach halb sechs bin ich wach. Heute morgen muss Hilde nicht zu Marianne, wir wollen einen Ausflug machen. Am Sonntag den Sohn zum Flieger bringen. Urlaub in der Türkei mit Frau und Kind.

    Ich könne Freitag nochmal duschen. Spargelzeit in Deutschland. Ab Mitte April bis 24. Juni. Traditionell, sofern das Wetter mitspielt. Rauhreif auf den Feldern, als die Bauern ihre zehn Reihen stechen. Der Transporter sieht mindestens so ramponiert aus wie der blaue Bus. Die Ausbeute gering. Fast sieben Euro kostet das Kilo. Früher habe ich jeden Morgen ein Kilo geschenkt bekommen, nach der Arbeit, zweite, dritte Wahl, für die Suppe noch gut genug, auch fürs Schnitzel als Beilage.

    Jetzt bietet der Grieche ein Drittel vom Preis an, ich habe für meinem Sohn einige Kilo gekauft, während er arbeitet, sie essen gerne Spargel. Ich mochte es noch nie. Der Bauer aus Braunschweig, wo ich vor vierzig Jahren gearbeitet habe, hat sich einige Zeit später erhängt. In der Garage, wo er immer auf uns gewartet hat.

    Es habe mit Liebe, Frau und Geld zu tun gehabt, sagte man. Er war schon Anfang Fünfzig und trotzdem zu jung zum Sterben. Wann ist man alt genug. Wir vermissen uns. Obwohl wir schon über Siebzig sind, haben wir das nicht verlernt. Ob sie mit uns reist, oder wir vielleicht sesshaft werden. Der Flieder blüht wieder.

    Wir werden uns das Leben neu anschauen müssen. Was wir vom einen mitnehmen, und vom anderen geschenkt bekommen. Kürzere Entfernungen zueinander wählen, mehr Zeit füreinander nehmen. Und Hilde wäre glücklich, wenn wir eine gute Lösung finden. Wie uns, geht es ihr, um die Menschen. Dass wir alle uns wohlfühlen. Wir haben eine zweite Matratze besorgt, eine TTT für sie. Ich habe wieder Lust gehabt zu kochen.

    Das ging gut in ihrer Küche, Hilde kann über die Terrasse in den kleinen Park. Morgens im Schlafanzug. Oder frei über die Wiese, an der wir übernachten werden. Die Welt steht uns offen, so sagt man doch. Ob ich Probleme mit meinen Allergien habe, fragt der Arzt. Kaum habe ich das verneint, kaum bin ich draußen, habe ich Niesattacken.

    Die Blütenknospen haben einen Überzug aus Eis, dahinter wartet die Sonne, der blaue Himmel. Trotzdem strahlen sie vor Schönheit, ziehen den Frühling untern den Blättern hervor. Nicht wahr, darauf wartest du. Mensch. Es ist keine Woche mehr, bis wir uns wieder sehen. Frühling und Liebe, seit langem mal in der Kombination. Ich kann es kaum erwarten, da hat die Blüte recht.
    Read more

  • Day 45

    Das kleine Hengstfohlen

    April 20 in Germany ⋅ ☁️ 7 °C

    Als ich um zwei Uhr nachts aufwache, ist es kalt und ganz still. Der Mond scheint und hellt das Dunkel auf, aber obwohl ich sicher bin, dass mich etwas aufgeweckt hat, kann ich nichts hören.

    Hilde schläft, also gab es nichts Gewöhnliches draußen, dass ihren Wachinstinkt, der niemals schläft, berührt haben könnte.

    Wir stehen hinter der Mauer draußen auf dem Hof der Tochter, zwischen Gebäude und Lagerhalle, wo jetzt die Pferdemama mit ihrem neugeborenen Hengstfohlen übernachtet. Weil es draußen wahrlich zu kalt ist. Auch von dort ist Stille.

    Aber ich bin mir sicher. Da war etwas. Ich werde nicht von Nichts wach. Außer aus einem schlechten Traum, einer inneren Unruhe, dem jähen Gedanken über einen Menschen in Gefahr, oder wegen Hilde.

    Aber da war nichts, was mich beunruhigt haben könnte. Dann klappert es hinter dem Bus und der Wind setzt ein. Wieder und wieder ist dieses Geräusch da, während der Wind stärker wird. Wir schlafen wieder ein.

    Früh am Morgen scheint die Sonne, das Tor zur Pferdemama öffnet sich quietschend. Halb sechs. Ich mag noch nicht aufstehen. Zu anstrengend waren die letzten Tage. Um viertel vor acht, pünktlich zu ersten Tasse Kaffee, muss Hilde raus.

    Für nackte Füße und dünnem Schlafanzug ist des definitiv zu kalt, das nasse Gras kitzelt an den Zehen. Entgegen früheren Gepflogenheiten, gerne mal auf die wilde Jagd zu gehen, erledigt sie heute ihre Angelegenheiten, und geht wieder in den Bus zurück.

    Die Sonne scheint. Hilde rollt sich auf meiner Decke ein, schenkt mir ein hochgezogenes Auge, und schläft ein. Ich trinke weiter Kaffee, die Knie schmerzen, die Heizung gibt ihr Bestes. Es ist Samstag.

    Seit Mittwochabend sind wir im Terminmodus. Gewollt oder nicht, aber wenn ich die Kinder und die Ärzte sehen will, muss ich mich an ihre Vorgaben halten. So holen wir den Sohn nach Feierabend um 21.00 Uhr bei der Arbeit ab, sehen den Enkel noch, der nicht schlafen kann, und sich auf Hilde freut. Kommen morgens zum Frühstück, Duschen, Rasieren, der Enkel ist schon wieder müde und wird unruhig, der Sohn ist gespannt, ein kleiner Schnitt, ein bisschen Blut, zu Viert im schmalen Bad, denn Hilde muss ja auch überall hin mit.

    Am anderen Morgen Labor, Rezepte, Überweisungen. Sind Sie sicher, dass Sie davon die doppelte Menge brauchen, fragt die Apothekerin. Es ist für ein halbes Jahr. Wir kommen ins Gespräch über unsere Reisen, unser Leben, auch sie möchte noch viel von der Welt sehen.

    In vier Jahren gehe ich in Rente, sagt die Arzthelferin, während sie mir Blut abzapft. Das ist noch lange hin, denke ich müde, und erinnere mich, wie sich die Welt in den letzten vier Jahren verkleinert hat.

    Hilde ist die Arzttage über bei Marianne, die einen Garten hat, auf die sie sich immer sehr freut, eine Freundin aus ihren ganz frühen Hundejahren. Als Marianne noch eine alte Hündin hatte, deren Namen ich in der Zwischenzeit vergessen habe.

    Ich bin eilig unterwegs, muss in die wenigen Stunden viele Erledigungen packen. Auto waschen, aussaugen, einkaufen. Parkplatzsuche. Auf der zweiten Runde ist tatsächlich was vor der Tür frei, ich danke Gott, dass Er so für mich sorgt.

    Nachmittags stehen wir auf einem Autobahnrastplatz. Die Sonne scheint, auf einem Feld dahinter werden Windräder aufgebaut. Abends sehe ich, dass Patrick nördlich von Braunschweig. Er ist in Oldenburg vor zwei Wochen aufgebrochen, um die Welt zu durchwandern.

    https://www.instagram.com/thegreatzigzag?igsh=M…

    Unter diesem Link findest du den Instagram Blog von Patrick, dessen ruhige, unaufgeregte Stimme jeden Tag von seinen Abenteuern berichtet.

    Wir treffen uns am nächsten Tag, am Kanal bei Fallersleben, kurz vor Wolfsburg, wo er dann in der Jugendherberge übernachtet. Eine fröhliche Begegnung in einer Regenpause, kurz nur, denn das Nass sitzt ihm im Nacken. Sozusagen.

    Denn kaum eine Stunde später geht ein schwerer Hagelschauer runter, gerade als wir vor Thomas Garage ankommen. Er lebt in einem Vorort von Wolfsburg, dort wo wir vor zwei Jahren Marion am Bücherschrank kennengelernt haben. Ein magischer Ort. So wie wir uns gefunden haben. Genau im richtigen Moment. Dennoch hat es zwei Jahre und viele Gespräche gedauert, bis wir uns getraut haben, obwohl wir nicht getraut sind. Und doch erwachsen genug sind, um uns verbindlich zu machen.

    Fünf Stunden hat Thomas den Bus plus diverses Zubehör gestylt. Endlich habe ich wieder ein weiches Polster unterm Po, nicht mehr nur hartes Holz. Und die Lüftung funktioniert. Auch mit warmer Luft. Partystimmung im blauen Bus. Ich bin immer wieder erstaunt, was diese Spezialisten wie Alex und Thomas alles hinkriegen.

    Wir reden nochmal übers Hochdach. Thomas hat wieder recherchiert, etwas gefunden, was seine Ideen unterstützt. September. Machen wir aus. Dann soll er nochmal schauen. Ob es die Sensoren sein könnten. Und wenn sich seine Theorie bestätigt, dann...auch wenn ich Bauchweh habe, ob alles klappt, das Dach sich wieder schließen lässt. Aber es lässt ihn nicht in Ruhe. Wie die Unvollendete. War es Mozart oder Beethoven, die der Tod vorher einholte. Thomas erfreut sich zum Glück bester Gesundheit.

    Die Sonne ist raus gekommen. Hilde schläft, ich ziehe mich an. Heute muss ich noch Bücher von den Spaziergängen u.a. zum Verschenken einpacken, meine Post erledigen, einiges einkaufen. Jeder Tag hat sein Tun und trotzdem möchte ich mir Zeit nehmen für das Wichtige, das Besondere im Leben. Die Begegnungen, die innere Ruhe, das neue Handy, was meine Tochter mir einrichten wird, zwischen ihren Wochenendaufgaben, wenn der Landhandel geschlossen ist.

    Sie ist noch jung, sagt sie, da kann man noch alles mit links erledigen, bis die Rechte auch erschöpft ist. Und der Mensch Entspannung braucht, das Nichtstun sollen Alten machen, die Rentner, die die Beine noch hochlegen können, nachdem sie keine Zeit vorher gefunden haben.

    Da ist ein Fehler im System, den Menschen oft zu spät entdecken. Deshalb ist es gut, mal die Routine zu unterbrechen. Sagt auch Patrick, der lange gearbeitet hat, um sich ein Leben auf dem Rücken der Welt zu gönnen.
    Read more

  • Day 44

    Einmal um die ganze Welt

    April 19 in Germany ⋅ 🌧 9 °C

    https://www.instagram.com/thegreatzigzag?igsh=M…

    Unter diesem Link findest du den Instagram Blog von Patrick, der vor zwei Wochen aufgebrochen ist, die Welt zu durchlaufen.

    Er ist 34 Jahre alt, das erste Fernziel ist Istanbul, der "Umweg" über Berlin dient dazu, sich von seinen Freunden zu verabschieden.

    Wir haben uns am Kanal getroffen, das war geplant, nachdem ich gesehen habe, dass wir heute auf einer ähnlichen Route unterwegs sind.
    Read more