Darebin

Melbourne empfängt uns mit freundlichen 36°C. Nachdem wir unseren Mietwagen abgeholt haben, fahren wir zum Stadtteil Northcote und sind dabei extrem nervös. Denn wir haben uns bei Kim und Louis einquartiert, die wir bereits von unserer Australienreise in 2016 kennen. Kim und Louis waren damals unsere Rettung, denn der Start unseres "Working Holiday" Aufenthaltes in Australien war alles andere als erfreulich. Die Jobsuche verlief erfolglos, wir wurden Opfer einer Betrugsmasche, unsere Gastgeber warfen uns raus und die Nerven lagen blank. Doch zum Glück lernte ich bei der Jobsuche Kim kennen, die Rezeptionistin eines Zahnarztes. Nachdem ich ihr unser Leid geklagt hatte, bot sie uns kurzerhand an, vorübergehend bei ihr und ihrem Partner zu wohnen. Der große Sohn sei gerade ausgezogen und ein Zimmer frei. Aus "vorübergehend" wurden 4 Monate. Pit war vor allem von Louis beeindruckt, der so schön australisch fluchen kann ("Bloody Bastard", "Oh Shit", "stupid idiots", "Little Bugger" sind ein paar seiner Standardausdrücke). Louis ist aufgrund starker Rückenprobleme frühpensioniert, liebt schwarzen Tee, Zeitunglesen und vor allem Motorsport und hat in seinem Schuppen 3 Motorräder stehen. Mit seinen Bikes hat er in früheren Jahren die ganze Welt bereist (Europa, Amerika, Afrika, Australien...). Er sieht die Welt ganz rational und weiß auf jede politische Frage mindestens eine gute Antwort. Gegen seine Rückenschmerzen züchtet er im Garten ein gewisses "Heilkraut", was er abends bei einem guten Buch in seinem Schuppen raucht. Er und Pit konnten sich stundenlang unterhalten.
Für Kim war ich 2016 wie eine Tochter und wir haben fast täglich gemeinsam gequatscht, gelacht und gekocht. An manchen Tagen haben wir gemeinsam beim Zahnarzt gearbeitet. Kim ist eine bildhübsche Frau und ein Workaholic (Arbeitstier). Sie liebt ihren Garten, nascht gern, ist immer positiv und sehr offen. Ihr australisches Lieblingsfootball-Team ist Collingwood, regelmäßig geht sie samstags zum Football schauen ins Stadion. In den wenigen Momenten, in denen sie ruhig sitzt, liest sie gern Bücher.
Kim und Louis haben uns 2016 nicht nur beherbergt, sondern ihr komplettes Leben mit uns geteilt und, da wir damals knapp bei Kasse waren, im Prinzip alles bezahlt. Ihr Motto: Früher sind wir viel gereist und haben uns von anderen unterstützen lassen, nun geben wir das an euch weiter und später gebt ihr das an andere Reisende weiter. Nach sieben Jahren stehen wir uns heute das erste Mal wieder gegenüber und es ist, als wären wir nie weg gewesen. Wir haben noch nicht mal das Gepäck aus dem Auto geholt, da sind wir schon am Lachen und Erzählen. Doch dafür ist auch später noch Zeit, wir sind nämlich schon wenige Stunden nach unserer Ankunft zum Grillen bei Anthy und ihrem Mann Peter eingeladen. Anthy arbeitet beim selben Zahnarzt wie Kim und auch wir haben uns 2016 angefreundet. Weil morgen Feiertag ist, hat Anthy viele, übrigens sehr internationale Freunde eingeladen. Der Abend ist geprägt von fabelhaftem Essen, anregenden Gesprächen, viel Gelächter, internationaler Musik und Tanz. Genau das sind Anthys Leidenschaften: Internationalität, gutes Essen und Tanzen. Als wir kurz nach Mitternacht als letztes die Party verlassen, sind immer noch an die 30°C (das ist für Melbourne um diese Jahreszeit aber eher ungewöhnlich, hier geht es auf den Herbst zu).
Auch der nächste Tag ist sommerlich heiß. Louis macht uns die alten Fahrräder seiner Söhne, die in den letzten Jahren in Schuppen verstaubt sind, fit. Nach einer kurzen Testfahrt entlang des Baches, der hier durch den Park fließt, radeln wir in die Innenstadt Melbournes und schließen sie vor der Bibliothek an. Diese ist (von innen) ein beliebtes Fotomotiv. Und während Pit hier 2016 noch allein mit der Kamera stand, muss er sich jetzt beim Fotografieren mit unzähligen anderen Touristen abwechseln. Für mich immer wieder interessant, wie sich die Gesellschaft entwickelt. Abgesehen davon ist Melbourne noch so, wie wir es in Erinnerung haben. Die Straßenmusiker sind Weltklasse, das Stadtbild übersichtlich trubelig, der Fluss Yarra River, der durch die Innenstadt fließt, an der Promenade sehr gesellig und die Skyline szenisch, aber unaufdringlich. Hier und da stehen neue Gebäude, was uns besonders am Hauptbahnhof auffällt. Übrigens ist die Straßenbahn in der Innenstadt kostenlos, was ich auch wieder echt klasse finde! Wir verleben einen schönen Tag, genießen das Stadtleben nach den letzten Wochen, die hauptsächlich von Natur geprägt waren. Als wir den Tag beenden und unsere Fahrräder abschließen wollen, kriegen wir einen Schock. Das Schloss wurde aufgebrochen, ein Fahrrad geklaut. Auf belebter Straße und bei Videoüberwachung. Verzweifelt rufen wir Kim und Louis an, fragen, was wir jetzt machen sollen... Louis lacht "No worries" (keine Sorge/kein Problem), er hole uns jetzt einfach mit dem Auto ab. Nach 15 Minuten ist er da, wir fragen, ob wir nicht die Polizei verständigen sollten? Louis winkt ab, das Fahrrad sei eh alt gewesen und sein Sohn hätte es in den letzten 10 Jahren nie benutzt und würde es eh nicht vermissen und die Polizei habe besseres zu tun. Und das Schloss sei einfach nicht gut gewesen. Wieder sind wir erstaunt, wie entspannt Kim und Louis sind. Louis organisiert uns in den Tagen danach sogar ein neues Fahrrad (eine Kellerleiche der Nachbarn) und ein gutes Schloss.
Am Dienstag besuche ich zur Mittagspause den Zahnarzt, bei dem ich 2016 gearbeitet habe. Er erkennt mich sofort, zeigt mir ganz stolz die Neuerungen seiner Praxis und fragt mich über mein Arbeitsleben aus. Den Nachmittag verbummeln Pit und ich in einem Shoppingcenter, am Abend schauen wir bei Rory, Kim und Louis' älterem Sohn, in der Bar vorbei. Er ist dort Manager, passt mit seinem langen Haaren und dem Bart perfekt zur laufenden Rockmusik und spendiert uns allen ein Getränk. Am Mittwoch besteht Louis darauf, uns den "Boulevard" (die Straßen, die am Fluss entlang führen) genauer zu zeigen und so sehen wir noch einige schöne Fleckchen der Stadt. Außerdem statten wir Kim bei der Arbeit einen Besuch ab. Die Abrechnungen in der Zahnarztpraxis macht sie nämlich nur an einem Tag in der Woche, ansonsten kümmert sie sich in der riesigen Holzfirmas ihres Schwagers um die Verwaltung. Abends gehen wir gemeinsam beim Italiener Abendessen. Es ist schon fast gruselig, wie unsere Tage in Melbourne verfliegen... Czytaj więcej