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- May 10, 2024
- ☀️ 23 °C
- Altitude: 244 m
- ItalyTuscanyPratoFigline di PratoMonte Piccioli43°56’9” N 11°5’39” E
#9 - Erdung
May 10 in Italy ⋅ ☀️ 23 °C
>> Everyday Life Nuggets <<
• Ich fühle mich hier nicht klein, da viele ähnlich groß sind wie ich und alles entsprechend darauf ausgelegt ist (Küchenschränke, Waschbecken, Spiegel, etc.)
• Croissants haben entweder eine dünne süße Glasur, oder sind mit Pistazie, Vanille oder Schokolade gefüllt
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10. Mai
Heute habe ich endlich frei und beschließe einen gaaaanz gediegenen Start aus dem Bett. Gegen 8.30h werde ich wieder von den lustigen Schulkindern mit ihren Koffern geweckt (…täglich grüßt das Murmeltier!). Um 9h genehmige ich mir Frühstück im Garten auf der Bank, während ich in den blauen Himmel schaue und die Sonne genieße. Auf einmal landet ein sehr lustiges weißes Insekt auf mir. Es sieht aus wie ein Pokémon und fasziniert mich irgendwie… sowas hab‘ ich noch nie gesehen!
Dann schlappe ich wieder ins Bett und kuschle mich unter der Decke ein. Aaaaah! Frei haben ist toll!Ich frage mich, ob mein Erleben hier deutlich anders ist, durch die Sprachbarriere. Ohne Barriere hätte ich evtl. mehr den Anspruch, in Kontakt zu kommen und mich mit Leuten anzufreunden. So bin ich froh, wenn ich durch den Tag komme und alle Dinge erledigen kann, die ich brauche.
Um 13.30h schaffe ich es dann doch vor die Tür - ich hab langsam wieder Lust auf Action, weil meine Erkältung fast überstanden ist! Ich gehe spazieren, geniiiiieße die Schönheit des toskanischen Dorfs und fühle mich sehr in meine Kindheit zurückversetzt: meine Großeltern haben in einem Dorf gewohnt und irgendwie erinnert mich das hier an das Dorf meiner Großeltern.
Ich laufe in die Dorfmitte, zur „Bar in piazza“ (eine Bar ist hier sowas wie ein Café) und hole mir einen Cappuccino. Auf der Karte sehe ich, dass ca. 1,5km entfernt ein See liegt. Da die Sonne so schön scheint, will ich noch etwas draußen bleiben und entscheide mich dorthin zu laufen. Google schlägt mir einen Weg vor, dem ich folge – ca. 600m bis ich zu einer Schnellstraße ohne Gehweg komme. Wie soll ich denn da entlanglaufen, ohne, dass mich die Italiener über den Haufen fahren?! Der alternative Weg führt zurück. Na gut, also nochmal… cazzo (= Scheiße auf ital.)!
Dem alternativen Weg folge ich ca. 1km bis ich auf dasselbe Problem stoße. So ein Mist! Anscheinend sind die Italiener:innen -zumindest hier im Dorf- eher mit dem Auto unterwegs, sodass keine Fußwege nötig sind?? Vielleicht ist das eine gute Vorbereitung auf Kanada, denke ich. …dann eben kein romantisches Sitzen am See! Hmpf.
Ich schlendere etwas ziellos durch’s Dorf – und finde endlich eine Bank in einem Wohngebiet. Sitzen und Kaffee trinken! Mit ein bisschen Romantik (eher nicht…).
Wenigstens kann ich hier die Sonne genießen. Und irgendwie fühle ich mich wie eine alte Frau, die aus dem Altenheim ausgebrochen ist und nichts Besseres mit sich anzufangen weiß, als auf einer Bank auf eine Häuserwand zu starren.Das Gute: jetzt kommen die Metagedanken! Gedanken, die das Leben, mein Leben, die Welt betreffen. Ich mag das und denke nach.
Als ich mir die Häuserwand vor mir genauer anschaue, muss ich an den Bodensee denken (da war ich als Kind oft) – und rufe spontan meine Eltern an. Die Gespräche mit ihnen tun mir gut, sie erden mich und es ist schön, mehr von meinen Erfahrungen (live!) zu teilen. Danach fühle ich mich geerdet und schlendere fröhlich nach Hause.
Einige, mit denen ich über meine Reise gesprochen haben, sagten mir, wie mutig sie es finden, dass ich diese Reise mache. Sie haben Recht, wenn ich darüber nachdenke, wieviel Angst es mir teilweise macht. Allerdings finde ich es heutzutage DEUTLICH weniger mutig, als früher, wo man nicht so einfach telefonieren oder schreiben konnte; da war man wirklich auf sich allein gestellt – DAS finde ich richtig mutig!
Und das, was ich eigentlich am beängstigendsten und auch am wertvollsten an solchen Reisen finde: wie direkt und unverblümt man mit seinem absolut nackten Ich in Kontakt kommt.
Hier ein Zitat dazu von Rainer Maria Rilke, was mir heute entgegenkam: „Wenn die Sehnsucht größer als die Angst ist, wird Mut geboren. Ohne Sehnsucht machen wir uns nicht auf den Weg.“ – dem stimme ich absolut zu. Und meine Sehnsucht nach Reisen und direktem Kontakt mit mir, waren sehr groß. So groß, dass sie reichten, die Ängste beiseitezuschieben oder zu überstrahlen – zum Glück :-)
Als ich nach Hause komme, koche ich mir eine Gemüsepfanne mit Kartoffeln und Linsen. Zum Essen setze ich mich wieder auf die Bank in den Garten und schaue mir die schönen Blumen an.
Marta kommt auch nach Hause und ich frage sie (ich bin ganz stolz!), wie die Blumen heißen. Sie sagt: „Calla. Wir können welche in dein Zimmer stellen, wenn du möchtest!“ Ich sage: „Aber dann sterben sie!“. Marta: „Neeein, wir reißen nur die Blumen raus. Schau, so!“ – und zackzack, reißt sie die langen Blumen raus. Na gut… Diskutieren kann ich mit ihr nicht, oder ihr sagen, dass die armen Blumen ja trotzdem sterben. Und ich finde es sehr lieb von ihr, dass sie mir Blumen für mein Zimmer schenkt.
Und am Ende fragt sie mich nach dem Rezept für die Gemüsepfanne: ich hab sie probieren lassen und es schmeckte ihr anscheinend gut. :-)
Anschließend erklärt sie mir, welche Pflanzen sie noch in ihrem Garten hat. Unter anderem einen Zitronen- und einen Birnenbaum. Sie sagt, sie habe nichts davon gepflanzt, alles sei von selbst da gelandet und gewachsen. Und sie pflege es jetzt.
Da Marta gestern für mich gekocht hat, frage ich sie, ob sie heute mein Essen probieren möchte. Sie grinst, nickt und nimmt sich zwei Gabeln. „Hmm! Das ist sehr lecker! Nächstes Mal, wenn du es machst, sag mir Bescheid. Ich möchte es lernen!“ – wie cool ist sie denn!Read more