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- Jun 21, 2024, 11:51 PM
- ☁️ 8 °C
- Altitude: 552 m
- NorwayNord-Trøndelag FylkeSteinkjerLågvatnet63°58’49” N 12°16’29” E
21. Juni - Midsommar
June 21, 2024 in Norway ⋅ ☁️ 8 °C
Was für eine gute Entscheidung! In diesem Unterstand ist alles so schön trocken, ich habe wohlig geschlafen, während es draußen in der Nacht geregnet und den gesamten Morgen ohne Unterbrechung genieselt hat. Zu Hause hinter dem Fenster würde man sagen: Es ist ungemütlich. Umso aufregender ist dafür heute für mich die Thronbesteigung, es ist royal im wahrsten Sinne des Wortes und so lasse ich mich, noch bevor der Hahn dreimal gekräht hat, zur Kronprinsesse Hilde I. krönen. Dieses Örtchen muss ein echter Verehrer des blauen Blutes eingerichtet haben, es sind nicht nur die norwegischen, sondern auch die englischen Royals aus Zeiten, als noch alles schwarz-weiß und aus Holz war bis zu den heutigen, die auch ich schon mal in der „Bild der Frau“ gesehen habe. So eine Zeremonie zieht sich natürlich hin, so dass es heute zehn wird, bis ich loskomme. Vielleicht ist es aber auch immer nur der Blick nach draußen, der mich noch 10 Minuten und wieder 10 Minuten warten lässt.
Ich habe noch gute 4km durch Niemandsland zu beschreiten, bevor ich den E1 wieder erreiche. D.h. Orientierung immer mal wieder mit dem Handy und da viel Wald dabei ist, ist es wirklich schwierig. Ich muss nach Nord-Ost laufen und nachdem ich seit der letzten Orientierung gut 500m hinter mir hab, merke ich, dass ich Richtung Süd unterwegs bin, also minimal daneben. Da ich mir das minütliche Gucken auf’s Handy zwecks Akku und fehlender Sonneneinstrahlung nicht leisten kann, nehme ich jetzt den richtigen Kompass dazu, um mir ständig die Richtung zu nehmen. Schön, dass ich dann also doch auf diesem Wege den Kurs von und für Anfänger „Kompass-Nutzung leicht gemacht“ besuchen kann. Das Laufen in dieser Art heißt auch, dass ich jeden Berg und jedes Tal vor mir eins zu eins so mitnehmen muss, während die Wanderwege üblicherweise ja eher um schwieriges Terrain herumgeführt sind. Das heißt wieder einmal Klettern an recht steilen Hängen und es ist inzwischen fast zwölf geworden. Ich habe ganze 2km in 2 Stunden geschafft und stehe an einem Fluss. Schon gestern hatte ich beim Blick auf die Karte geahnt, dass der doch etwas umfangreicher ist und so ist jede Minute wertvoll, die ich jetzt erst mal ein paar Meter auf- und abwärts gehe, um nach einer günstigen Stelle zu suchen. Und da fress ich doch‘n Besen, in meinem Fall ist mal wieder Kommissar Zufall ganz dicht in der Nähe und ich sehe gute 200m flussabwärts eine riesengroße massive Brücke, obwohl es dort weder einen Pfad noch sonstwas gibt. Diese Einladung nehme ich dankend an und halte an der Stelle auch gleich erst mal eine Pause ab. Nicht ohne mich die ganze Zeit zu fragen: Warum ausgerechnet ich, warum ausgerechnet hier? Bei der Art, wie ich gerade unterwegs bin, hätte ich ebenso ein oder auch zwei Kilometer weiter entfernt an den Fluss kommen können und schon 200m weiter etwas um die Kurve hätten gereicht, diese Brücke nicht zu sehen. Es ist schon merkwürdig schön, wie sich die Dinge hier zutragen.
Von hier ab ist es jetzt noch bis kurz vor eins zum E1. Ich begegne einer ganzen Menge von Rentieren und nehme endlich wieder die roten Kennzeichnungen an den Bäumen wahr, ab jetzt geht alles wieder etwas weniger aufwändig. Seit um zwölf hat es angefangen zu regnen, das ist nicht dramatisch und hält sich im Rahmen. Um halb zwei betrete ich den Blåfjella-Skjækerfjella/Låarte-Skæhkere Nasjonalpark, eröffnet im Juni 2006 durch Mette Marit, wie eindrücklich an einer hohen Stele gekennzeichnet ist.
Der Weg als solches ist hier anfangs wieder mit Planken ausgelegt, es läuft sich ganz gut, auf jeden Fall besser als das, was ich bis eben hatte. Der Regen setzt mehr ein und hält auch bis um drei an. Es zieht sich mehr aus den niedrigeren Lagen aus dem Wald heraus auf freiere Hochfläche, an der ich auch um die Zeit meine große Pause mache. Es gibt Bockshornklee-Käse mit Kümmel und Nelken. Davon hatte ich mir ein 400g-Stück mitgenommen, eine wirklich gute Wahl. Dazu ein Rest Margarine und Brot. Wenn einer wüsste, was das hier draußen für ein Festtagsmenü ist.
Zum Thema nasser Untergrund sag ich heute besser nichts mehr, es ist erstaunlich, ich hätte das tatsächlich in diesem Ausmaß nicht erwartet, es mir nicht vorstellen können. So weite Flächen ewig nur nass in nass. Und umsomehr bin ich erstaunt, dass meine Schuhe nun an Tag vier in Folge ihren Tauchschein machen und weiterhin nicht verzagen.
Gegen vier auf dem Weg abwärts zu einem See entlang eines kleinen Baches schmiere ich auf einer großen Steinplatte dann ab, kann mich glücklicherweise noch einigermaßen fangen und freue mich, dass weiter nichts passiert ist, einen blauen Fleck wird es aber wohl geben.
Der Weg zieht sich über‘s Hochland auf 550m, das nicht absolut eben ist, also schon auch mit Berg und Tal, aber nicht so stark und gegen fünf sehe ich in gut 10km Entfernung hinter dem Nebel durch die Landschaft hell leuchten, es ist ein Zeichen. Es könnte das erste Mal heute sein, dass die Sonne auch für mich durchkommt.
Hatte ich mich gestern noch gewundert, dass wohl scheinbar Veggie-Day ist, sind sie heute alle wieder auf ihren Positionen, die Rentiere als auch die vielen Schafe mit ihren Lämmern. Ihre Scheu lässt mich lange, bevor ich in ihre Nähe komme, Ansagen machen, damit sie sich nicht erschrecken, wenn ich so dicht bei Ihnen bin. Ich rufe ihnen schon von weitem zu, ich wäre im Namen des Herrn unterwegs, muss aber im Laufe des Tages einsehen: Sie verstehen mich nicht.
An einem eben überquerten recht breiten Fluss zieht sich der Weg jetzt eine Zeit entlang. Ich kann ihn gut von oben sehen, viele kleinere Wasserfälle zwischendurch und gegen halb sieben ändert sich die Ansicht des Bergs, indem er förmlich nackt ist. Riesengroße Steinflächen, auf denen ich später stehe, dunkel und nur leicht gewellt. Ich fühle mich, als würde ich auf einem Riesen-Walfisch umherlaufen. Und eben genau von diesem hohen Punkt aus habe ich vor mir einen Blick in ein Tal mit so vielen Wasserstellen, Tümpeln, kleinen Seen und auch einem großen Fluss. Entlang dieses Tals werde ich jetzt gute 7km Richtung Norden laufen. Richtung Süden sehe ich in weiter Entfernung, geschätzt bis 40km, Bergkette an Bergkette hintereinander gereiht. Irgendwo von da bin ich hergekommen, kaum zu glauben, dass das alles zu Fuß einfach so geht, obwohl ich es ja mit meinen eigenen Hufen getan habe. Um sieben gelange ich an die Skjækerdalshytta, wie erwartet verschlossen. Ich mache eine kurze Pause und fülle mein Wasser auf, packe allerdings auch sofort wieder zusammen, da die Luft nur so schwirrt von Knots und ich keine Minute irgendwo stehen kann. Je länger ich laufe, desto mehr spüre ich, dass auch meine Kraft irgendwann am Ende des Tages durch ist und so nehme ich die letzten heutigen Vorräte zum Knabbern, um irgendwie Energie nachzuschieben. Ich hole sogar die halbe Schokolade raus, die für heute am Abend gedacht war, um noch ein Stück weiter zu kommen. Gegen halb neun, völlig unerwartet sind dort am Wegesrand fünf Zelte und ein paar Kerle dabei, wo ich natürlich sofort einraste. Es sind Holländer, die für vier Tage in andere Richtung unterwegs sind. Sie haben schon die ganze Zeit massiv mit den Knots zu kämpfen. Ich halte mich eine gute halbe Stunde auf, trinke mit ihnen zwei Becher Rum. Danke, Jungs! Das ist meine Mittsommer-Andacht und nachdem ich die Plagen irgendwann auch mit Netz nicht mehr aushalte, ziehe ich gegen neun weiter. Wie lange noch, habe ich keine Ahnung, allerdings läuft es sich mit Rum im Kopf ziemlich geschmeidig. Nichtsdestotrotz merke ich beim Laufen, dass ich hochrot-blinkende Ohren, ein rotes Gesicht und total zugeschwollene Augen habe von all der Wischerei und womöglich auch dem Mittel, was ich mir vorhin freundlicherweise hab geben lassen und auf die Haut geschmiert habe. Also ist mein Credo jetzt: Laufen an der frischen Luft, Laufen und noch mal Laufen. Punkt zehn komme ich an den See Skjækervatnet, an dem ich den daraus auslaufenden Fluss über eine Riesenbrücke überquere. Hier endet auch der Nationalpark, den ich heute im Laufe des Tages beschritten habe. Irgendwie habe ich auch schon wieder Hunger, aber es wird sich hoffentlich halten, bis ich angekommen bin, ja wo eigentlich? Kurz nach der Überquerung des Flusses ist eine Hütte mit ein paar Wegweisern. Da gibt es in 4km die nächste Hütte, die wäre das Tagesziel, aber was mich viel mehr anspringt, in 6km Entfernung, es ist scheinbar auch auf diesem Weg, ist der Mittelpunkt Norwegens. Und das triggert mich doch ziemlich an, vom Mittelpunkt Deutschlands zum Mittelpunkt Norwegens an Mittsommer um Mitternacht. Ich bin total beflügelt und steige wieder allmählich auf 550m hoch. Habe einen großartigen Blick über das Tal zur anderen Seite an den Berg, der jetzt gegen halb zwölf so schön orange angeleuchtet wird. Egal wohin ich sehe, es haben sich tolle Wolkenformationen gebildet, die von der „untergehenden“ Sonne angestrahlt werden, eine fantastische Stimmung.
Eine Viertelstunde später bin ich dann an der Lågvassbua mit tollem Blick runter über den See Lågvatnet. Eine offene Hütte, in der ich gegen eine kleine Gebühr schlafen und auch den Gasherd nutzen kann. Ich lasse es hier gut sein und für mich zählt auch dieser Punkt als Mittelpunkt des Landes. Ich laufe noch mal 200m runter zum See, um Wasser zu holen und beginne kurz nach Mitternacht, das Nachtmahl anzurichten. So liege ich circa um eins dann im Nest. Mittsommer ist der längste Tag und war es auch für mich in jeder Hinsicht auf dem bisherigen Weg.Read more
Traveler Von den blauen Bergen...