E1-Deutschland.Mitte

Mei - Oktober 2015
Auf dem E1 durch das Mittelgebirge Deutschlands. Vom Steinhuder Meer zum Taunus am Rhein.
E1-Tag 16-40, Mehrtagestouren, 597km.
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  • E1-25-D-Diemelsee (24km)

    4 Juli 2015, Jerman ⋅ ⛅ 35 °C

    Bei Hitze und Gewitter durch das Sauerland (1/2)

    Diese 2-tägige Tour führt durch das östliche Sauerland. Hügelige Landschaften, Wälder, der Diemelstausee und das Skigebiet von Willingen prägen den Weg über die Sauerland-Waldroute, den Diemel- und den Uplandsteig.
    Seit Tagen ist der Sommer da. Es ist heiß. Wandern will ich trotzdem. In Maßberg schlägt mir morgens schon die Hitze entgegen, als ich aus dem Zug steige. Vom Bahnhof geht es die Fußgängerzone entlang, kurz darauf den steilen Pfad zum Obermarsberg hinauf. Das Gehen fällt schwer, aus allen Poren dringt Schweiß, durchnässt ist mein Shirt. Die ersten zwei Kilometer fühlen sich viel weiter an als sie es sind. Dann ist endlich das Plateau erreicht und eine Bank im Schatten lädt zur ersten Pause ein. Sie steht auf einem Friedhof, zwischen Gräbern bewegen sich langsam einige Grabbesucher. Sie bringen frisches Wasser in großen Kannen zu dürstender Grabbepflanzung. Auch meine Kehle verlangt nach kühlem Nass, die mitgebrachte Wasserflasche ist schnell geleert. Vorsorglich fülle ich sie wieder auf. Auch im Schatten ist es zu warm, erst der Rundgang durch die nahe Stiftskirche bringt etwas Kühlung.
    Kraftsparend trotte ich weiter, hinter dem Friedhof liegt die Stadthalle von Obersberg, davor fingert ein junger Mann in grauer Uniform an einer kleinen Kanone herum.
    „Was machen Sie denn da?“, frage ich ihn interessiert.
    „Ich lade Pulver in die Kanone. Gleich wird’s hier ganz mächtig rumsen. Überall auf dem Berg stehen meine Kameraden an den Kanonen bereit. Punkt zwölf werden wir sie gleichzeitig zünden. So wird bei uns jedes Jahr das Schützenfest eingeläutet, so ist es üblich hier.“ Er gibt wirklich bereitwillig und ausführlich Auskunft und seine Augen leuchten, während er spricht. Ich dagegen denke: „Schnell weiter“. Ich bin bereits aus Obersberg heraus, da hallt der versprochene Knall herüber. Doch das war erst der Anfang. Bald knallt es überall. Von den Bergen höre ich den Widerhall. So kann das Volksfest denn beginnen! Aber ohne mich, denn ich wandere weiter.
    Am Kalvarienberg bleibe ich stehen, genieße den Blick hinab ins grüne Tal. Und in der Ferne ist immer noch der eckige Turm der Stiftskirche in Obermarsberg zu sehen. Was wäre es für ein schöner Weg, wenn er nur etwas mehr Schatten böte. Es ist so heiß, dass mein Körper sich nach Kühlung sehnt. Kilometer an Kilometer reiht sich in sengender Hitze, der Weg scheint endlos. Diese Etappe wird mörderisch werden.
    Fragen entstehen: Warum geht es immer bergauf? Das ist so anstrengend! Warum habe ich ausgerechnet heute diese bergige Strecke gewählt? Doch eigentlich steht hinter allem nur: "du meine Güte, ist das heiß heute!"
    Alle Fragen sind nutzlos und Antworten gibt es keine. Irgendwann schiebe ich sie fort, ergebe mich in den Weg und nehme einen Schluck aus der Wasserflasche.
    Den Weg kreuzt die Diemel, doch eine Brücke fehlt. Vor mir versucht eine Familie eine Furt zu durchqueren, das Wasser der Diemel reicht knapp über ihre Knie.
    „Wenn sie es schaffen, dann kann ich das auch“, denke ich und schnüre die Wanderschuhe auf. Barfuß wate ich ins kühle Nass, jede Hand einen Wanderstiefel haltend und auf dem Rücken den Rucksack geschultert. Belustigte Kinderaugen schauen mir zu, wie ich wackelig über spitze Steine balanciere. Jetzt nur nicht ausrutschen und hinein klatschen! Wohlbehalten komme ich drüben an.
    Hinter einer Biegung kann ich zwei Zwiebeltürme sehen. In diese Gegend passen sie nicht, finde ich. Sie müssen zur Barockkirche in Padberg gehören. Sie will ich mir ansehen. Ich trete ein und die Kühle im Kirchenschiff tut dem dampfenden Körper wohl. Doch kaum ist er abgekühlt, verlangt er nach mehr. Eine kalte Schorle wäre jetzt recht. Ob es sie im Gasthof gibt? So sehe ich nicht allzu viel vom Innern dieser Kirche, der Wunsch nach dem kühlen Getränk ist größer als es die Kirche ist. Ich verlasse sie eilig. So kommt es, dass von der Kirche St. Maria Magdalena nichts in meinem Gedächtnis haften bleibt, nur das Gefühl vom Durst, den ich dort verspürte. Doch welch arge Enttäuschung! Der Gasthof hat geschlossen. Das warme Wasser aus meiner Trinkflasche rinnt durch meine Kehle und kann doch meinen Durst nicht stillen. Kein Tropfen bleibt übrig. Und das wird schlimm wiegen, denn der Durst wird für den Rest des Tages mein übler Begleiter sein.
    Weiter geht es hinauf, und wieder ist kein Schatten zu finden. Stattdessen flirrt die Hitze, von oben brennt gnadenlos die Sonne vom blauem Himmel herab. Die weiten Blicke hinunter ins Tal lindern etwas die Qual.
    Nach einer gefühlten Ewigkeit ist der Diemelstausee erreicht. Wegen seiner vierzig Meter hohen Staumauer komme ich her, doch im Augenblick interessiert mich das Wasser, das der See beherbergt. Ich könnte es saufen bis auf den Grund - in einem Zug. So groß ist mein Durst, doch ich tue es nicht. Kein Kiosk ist in der Nähe, kein kühles Getränk. Oh, je.
    Die Wanderlust vergeht mir allmählich, den geplanten Aufstieg zum Diemelseeausblick lasse ich sausen, gehe stattdessen die Straße am See entlang. Bald kommt das Seehotel, mein heiß ersehntes heutiges Etappenziel, in Sicht. Doch der Weg ist weiter, als er scheint, denn er folgt sämtlichen lang gestreckten Buchten. Doch was des einen Pein, ist des anderen Lust. Während ich durstig um die Kurven schleiche, ziehen Motorradfahrer ihre schicken Maschinen schneidig durch die Kurven.
    Schweißgebadet erreiche ich endlich das Seehotel und Kühlung tut Not. Das bringt bald ein erfrischendes Bad im See, meine Badehose habe ich dieses Mal nicht vergessen. Voller Wonne schwimme ich im blaugrünen Wasser herum, und langsam kehrt der Körper auf Betriebstemperatur zurück. Dem Bad folgt prompt der Hunger. Ein leckeres Abendbuffet ist bereits gerichtet und die Terrasse hinter dem Hotel bietet einen herrlichen Blick über den Stausee. Das sind gute Voraussetzungen für einen entspannten Abend. Doch die Sonne brennt immer noch vom Himmel. Erst als sie glutrot hinter den Hügeln auf der anderen Seite des Sees versinkt, nimmt sie die Hitze mit. Endlich wird der Abend angenehm.
    „Es war wohl der heißeste Tag des Jahres“, weiß der Ober zu berichten. Doch die 38°C reichten nicht ganz, um den lokalen Temperaturrekord zu brechen. Ich bestelle noch ein Glas eiskalten Wein und genieße die kühle Brise, die vom See herauf steigt. Diese Momente machen das Leben herrlich.
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  • E1-26-D-Willingen [Upland] (21km)

    5 Juli 2015, Jerman ⋅ 33 °C

    Bei Hitze und Gewitter durch das Sauerland (2/2)

    Über Nacht hat es etwas abgekühlt. Der Morgen ist herrlich lau, während ich auf der Terrasse sitze und frühstücke. Der Blick ist auf den Stausee gerichtet, in dem die Sonne glitzert. Doch wo gestern die Sonne glutrot verschwand, ziehen jetzt Schleierwolken herauf. Nachmittags soll es gewittern.
    In den Höhen ein Unwetter zu erleben, ist das Abenteuer? Können Blitze dem Wanderer nicht gefährlich werden? Mit diesen Gedanken gehe ich los. Den Weg über die südliche Seeseite entlang nehme ich nicht, sondern biege am Campingplatz „Hohes Rad“ auf einen Wirtschaftsweg ab. Es geht die „Große Eschenseite“ hinauf. So erspare ich mir ein paar Kilometer. Durch dieser Abkürzung erhoffe ich mir, in Willingen zu sein, bevor das Gewitter mich auf offener Strecke erwischt.
    Im Gegensatz zu gestern ist das Wandern heute leicht, denn die Temperaturen sind wesentlich angenehmer als gestern.
    Bald treffe ich wieder auf den Diemelsteig. Ich werfe einen letzten Blick zurück auf den großartigen Stausee, wende mich dann ab, offen für Neues. Auf einem Feld steht goldschimmernd die Gerste. Es ist gänzlich still hier oben. Doch nicht lang, da wird die Ruhe jäh zerstört. Motorenlärm schwappt vom Tal herauf, gefolgt von einer endlosen Kette chromglänzender Harleys, die blubbernd langsam den Berg herauf kommen. Als sie an mir vorbei ziehen, grüßen die Fahrer, schwarz vermummt mit Helm und Leder, freundlich. Bald sind sie außer Sicht. Die Stille kehrt zurück. Ein Segen! Ich bin wieder alleine hier oben und das tut mir wohl.
    Immer weiter geht es hinauf. Der Blick reicht weit und kann vom großen Butterberg über den Örenstein bis zum Hemberg schweifen, die alle auf der anderen Talseite liegen. Diese Gipfel sind über 600m hoch und befinden sich auf Augenhöhe. Darüber türmen sich dunkle Wolkengebirge auf. Hin und wieder fährt ein Blitz aus den schwarzen Wolken hinab ins Tal, gefolgt von lautem Grollen, der polternd die Abhänge hinunter rollt. Ich bin besorgt, doch über mir scheint noch die Sonne. Ich hoffe sehr, dass das Unwetter mich verschonen wird.
    Ich wende mich ab, gehe weiter. Kurz darauf verschwindet der Höhenweg im Wald. Erst geht es durch einen lichten Buchenwald, dem bald langweiliger Fichtenwald folgt. Lange Reihen hoher, schmaler Stämme sind durch kahle Flächen durchbrochen, die Lücken lassen für Wirtschaftsgeräte. Eine von Menschenhand gestaltete, eintönige Nutzwaldnatur.
    Schließlich weist ein Schild auf einen nahen Aussichtsturm. Ich folge dem schmalen Steig. Fünfhundert Meter geht es steil den Dommel hinauf. Schnaufend und vor Schweiß triefend erreiche ich den Gipfel, er liegt 738m ünN, die höchste Erhebung meiner bisherigen Wanderung. Oben steht der Dommelturm. Die Turmstufen bringen mich noch ein wenig höher hinauf. Der Lohn des Aufstiegs ist ein grandioser Ausblick. Vier bunte Informationstafeln geben Auskunft über die Berge und Orte der Umgebung. Die südliche Tafel interessiert mich besonders, denn dort sind zwei meiner Wanderziele verzeichnet: Konstanz am Bodensee, das ich hoffe im nächsten Jahr zu erreichen, ist noch 408km entfernt. Und Frankfurt, mein Etappenziel für dieses Jahr, ist "nur" noch 136km entfernt. „Fast ein Katzensprung“, denke ich, „Luftlinie natürlich“. Wenn ich fliegen könnte, wäre ich heute schon da. Doch ich habe Beine und Füße und bleibe am Boden. So werde ich doch länger brauchen. Aber das macht überhaupt nichts, denn meine Leidenschaft ist die genussvolle Langsamkeit. Und es ist mir Recht, wenn das Wandern durch Deutschland noch andauert.
    Lange stehe ich hier oben und schaue, bis ich mich satt gesehen habe. Zufrieden verlasse ich den Ort, gehe zurück auf den Diemelsteig. Wenige hundert Meter weiter kreuzt der Uplandsteig, dem ich ab jetzt folgen werde. Er führt nach Willingen.
    Es geht hinab durch lichten Buchenwald, am Ende überquert eine Holzbrücke den friedlich dahin fließenden Dommelbach. Daneben eine Wassermühle, idyllisch gelegen inmitten der Wiesen am Wegesrand. Doch die Idylle bekommt Flecken. Graue Wolken ziehen von Westen her auf. Sie kommen schnell heran und ziehen über mich weg. Das Grau wechselt zu Schwarz und vor mir zuckt ein Blitz auf. Der Donner lässt auf sich warten, grummelt nur leise. Doch das Gewitter kommt schnell näher, direkt auf mich zu. Blitze zucken, Donner folgt auf Blitz in immer kürzeren Abständen, schwillt an, wird zu Gepolter, das beiderseits des Tals an den Berghängen entlang rumpelt. Der Uplandsteig will nun unglücklicherweise den Hügel hinauf, mitten hinein in die tiefhängende Wolkenbrut, die immer näher kommt. Nein, dem Weg folge ich nicht! Lieber bleibe ich hier im Tal und gehe weiter auf der Straße. Richtig sicher fühle ich mich auch hier nicht. Ehrlich gesagt, ich weiß eigentlich gerade nicht genau, wie ich mich jetzt am Besten verhalten soll.
    Auf einer nahen Weide heben ein paar Kühe ihre Köpfe, glotzen mich an. Dann wenden sie sich wieder dem Grasen zu. Das bedrohliche Gewitter scheint sie nicht zu beunruhigen. Ihre Gelassenheit wünsche ich mir.
    „Solange Kühe ruhig grasen, braucht mein Herz nicht zu rasen“, murmle ich, wie um mich selbst zu beruhigen.
    Kaum habe ich es ausgesprochen, da zischt ein Blitz direkt vor mir in die Straße. Ein ohrenbetäubender Donnerschlag folgt.
    „Donnerwetter, nun bin ich mitten drin im Gewitter!“, denke ich verschreckt. Mein Herz beginnt zu rasen. Der Schreck scheint auch in die Kühe gefahren zu sein, denn nun galoppieren sie eilig ihrem Stall entgegen. So ein gutes Versteck hätte ich jetzt auch gerne.
    Zisch! Noch ein greller Blitz. Rumpel, der Donner folgt augenblicklich. Aber der Schlag ist bereits hinter mir. Gottlob, das Gewitter ist weiter gezogen, die Gefahr scheint vorüber zu sein.
    Aber was folgt, ist nicht besser. Erst beginnt es nur zu tröpfelt, kurz darauf öffnen sich alle Schleusen. Fette, schwarze Wolken entladen ihr Wasser genau über mir. Dicke Tropfen prasseln auf mich herab. Die Straßenbäume bieten nur wenig Schutz, sie sind noch klein und das Wasser rinnt durch ihre Blätter. Ich werde nass bis auf die Haut. Doch so unangenehm ist es gar nicht, denn der Regen ist lauwarm. Und so plötzlich es begonnen hat, so schnell ist der Platzregen vorbei. Die schwarzen Wolken ziehen weiter, machen blauem Himmel Platz, die Sonne lugt hervor und sofort beginnt es zu dampfen. Das Unwetter ist vorüber.
    Auf dem Programm steht noch die Besichtigung der Burgruine Schwalenburg. Doch ich habe keine Lust mehr dazu.
    „Gestern Hitze, heute Unwetter. Da macht das Wandern keinen Spaß mehr“, denke ich und wähle eine weitere Abkürzung, die mich noch schneller nach Willingen bringt. Vorbei geht es an geöffneten Geschäften, Restaurants und Cafés voller Touristen, obwohl heute Sonntag ist. Willingen scheint ein beliebter Wintersportort zu sein, der auch im Sommer etwas zu bieten hat.
    Um fünfzehn Uhr stehe ich am Bahnhof.
    Soll ich schon zurück?
    „Nein! Es ist noch genügend Zeit für eine Fahrt auf den Ettelsberg“, denke ich mir, drehe um und gehe zur Seilbahn. Mit ihr kann ich noch einmal, jetzt ohne Anstrengung, an Höhe zu gewinnen. Nebenbei breche ich den nächsten Höhenrekord. Denn jetzt geht es bis auf 837m ünN hinauf. Oben ragt der Ettelsbergturm steil in die Höhe. Ein Fahrstuhl bringt mich weitere 59 Meter hinauf. Auf einer vollständig verglasten Aussichtsplattform genieße ich den gigantischen Rundumblick. Erst schaue ich zurück auf das Hochsauerland, das nun hinter mir liegt und dann Richtung Süden auf das Rothaargebirge, wohin mein Wanderweg mich als Nächstes führen wird. Direkt unter mir liegt die Seilbahn mit den unermüdlich kreisenden Gondeln. Und wo im Winter Skifahrer befördert werden, sind es jetzt Mountainbiker, die ihre Fahrräder mit sich führen. Kaum aus der Gondel gespuckt, besteigen sie ihr Renngerät und stürzen geschwind auf halsbrecherischen Pisten zu Tal.
    Ich nehme lieber wieder die Gondel hinunter. Es ist immer noch Zeit. Eine Pizza mit Blick auf den Ettelsberg macht den Tag schön rund und während ich sie genieße, denke ich an die nächste Wanderung.
    Ich nehme mir vor, dass sie starten soll, wie diese endete: mit einer Gondelfahrt.
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  • E1-27-D-Kahler Asten (23km)

    9 Agustus 2015, Jerman ⋅ ⛅ 20 °C

    Der Weg der Sinne: Rothaarsteig (1/3)
    Es geht durch eines der schönsten Waldgebirgslandschaften Deutschlands. Diese dreitägige Tour führt mich durch die erste Hälfte des Rothaargebirges über 76km vom Skiort Willingen nach Hilchenbach.

    Viereinhalb Stunden auf der Schiene, zur Mittagszeit bin ich endlich in Willingen. Doch die Fahrt ist schnell vergessen.
    Ich freue mich auf den kurzen Lift mit der Seilbahn den Ettelsberg hoch. Die Talstation ist voller Menschen, die wie ich hinauf wollen. Es sind viel mehr als vor vier Wochen, denn jetzt ist Urlaubszeit. Nach schneller Fahrt begrüßt mich laute Musik aus riesigen Boxen. Den Leuten gefällt's offenbar, denn sie schunkeln mit Bier in der Hand zum Takt der Musik. Manche grölen mit: „Atemlos durch die Nacht…“.
    Ich möchte noch einmal die Aussicht genießen, bevor die Wanderung beginnt, reihe mich in die Schlange vor dem Lift des Hochheideturms, der unaufhörlich Leute auf die Plattform pumpt und von dort wieder zurück auf den Boden holt. Der Fahrstuhl arbeitete effizient, ich bin schnell dran. Doch es ist mir zu voll dort oben. Bald mache ich mich an den Abstieg, diesmal über die Treppe.
    Gegen zwei Uhr geht die Wanderung schließlich los. Kurz hinter der Bergstation stoße ich auf den Rothaarsteig, einem bekannten hessischen Fernwanderweg, der etwas nördlich von hier in Brilon beginnt und in südliche Richtung durch das Rothaargebirge bis nach Dillenburg verläuft. Er wird mein Weg für die nächsten hundertfünfzig Kilometer sein. Ich werde über bewaldete Berge wandern, weite Blick genießen, Burgen, Aussichtstürme, einen Skulpturenweg und die Skigebiete Willingen und Winterberg sehen.
    Während ich gehe, wechseln sich Buchenwälder und Fichtenschonungen ab. Ein erster Fernblick lässt ahnen, wie schön der Weg sein wird. Doch die meisten Menschen verbleiben an den touristischen Hotspots und bewegen sich nicht weit von ihnen weg. Bald bin ich alleine im Wald, nur gelegentlich überholt mich ein Radsportler.
    Der Weg verläuft auf achthundert Metern Höhe, es ist kühl hier oben. Nebel wabert durch die Bäume, legt sich schlierig über den Weg und hüllt mich ein.
    Bald bin in dem bedeutenden Wintersportort Winterberg. Er wirbt für sich mit idealen Ski- und Langlaufbedingungen im Winter. Jetzt im Sommer ist nicht viel los hier. Ich komme von der östlichen Seite heran, vorbei an einer Hapimag Ferienanlage. In nebliger Ferne liegt ein riesiger, langgestreckter Komplex. Im Dunst kaum zu erkennen, wächst ein Turm aus dem Gebäude, der aussieht wie ein überdimensionaler Bienenkorb. Das ist das Vitalresorts Oversum, ein riesiger Hotelkomplex mit Kongresszentrum. Der Ort scheint touristisch bestens erschlossen zu sein.
    Telefonzellen sind rar geworden, deshalb fällt das Telefonhäuschen am Wegesrand auf. Telefonieren kann man nicht mehr, stattdessen befindet sich im Innern ein Regal, vollgestopft mit Büchern. Jeder, der möchte, darf sich ein Buch entnehmen, wenn er dafür ein anderes hinein stellt. So lese ich es an der Zellentür. Einen öffentlichen Bücherschrank für Jedermann zu schaffen, das ist eine schöne Idee.
    Nun bin ich auf der anderen Seite von Winterberg. Hier gibt es die St. Georg Sprungschanze zu bewundern. 22 Metern ist sie hoch und 43 Metern lang. Aus nächster Nähe ein imposantes Bauwerk, das schon 1959 gebaut wurde und immer noch in Betrieb ist. Die geschwungenen Formen gefallen mir. Bei gutem Wetter kann man hinauf, heute ist sie aber wegen Nebel geschlossen.
    Kurz darauf finde ich mich auf einer Bobbahn wieder. Hier sollte ich nicht sein, doch ein Wanderer geht nie zurück, wenn er nicht muss und so folge ich dem steilen Weg in weiten Bögen und engen Kurven bis ins Tal hinab. Dort erwartet mich ein knorriger Weg, der gleich wieder steil hinauf führt, nur um anschließend erneut abwärts zu führen. Jenseits einer Brücke, die einen Bach namens „Namenlose“ kreuzt, finde ich endlich wieder auf den Rothaarsteig zurück.
    Das Skigebiet erscheint mir riesig, irgendwann erreiche ich die Nordhangjause, eine Skifahrerhütte, die auch jetzt im Sommer für Wanderer und Radler geöffnet hat. Der Sommer findet allerdings heute woanders statt, wie mir das Barometer am Eingang der Hütte mit 15° C bei ungemütlichen hundert Prozent Luftfeuchtigkeit bestätigt. Trotzdem erzeugt die Langnesewerbung an der Eingangstür Lust auf ein Eis. Wohlige Wärme schlägt mir entgegen, als ich eintrete und ein Eis bestelle. Der Wirt meint lachend, ein Glühwein wäre heute Passender.
    Die Hütte liegt am Fuße des Kahlen Asten, der nun von mir bezwungen werden will. Doch wo es lang geht, ist nicht ganz klar. Ich nehme den Weg rechts neben der Nordhangjause, der steil bergan geht. Bald meckert Komoot: „Du bist von der Tour abgekommen. Wirf einen Blick auf die Karte!“ Es scheint, als läge dieser links von mir, doch dort komme ich nicht hin, zwischen mir und dem Weg ist dichtes Unterholz. So kehre ich um, gehe zur Jause zurück. Dort angekommen, schaue ich die sommerliche Skipiste hoch, die mit hohem Gras bewachsen ist. Doch kein Weg führt hinauf. Sollte es etwa über die Wiese hoch gehen? Sicher warten dort blutrünstige Zecken mit langen Saugrüssel, die sie in meine nackten Waden schlagen wollen, dabei womöglich Borreliose übertragen. Nein, vielen Dank, ich verzichte! Also stapfe ich ein weiteres Mal den steilen Pfad bergan, der sich den Kahlen Asten hoch windet. Weiter oben wabert Nebel, verwandelt Bäume sich zu bizarren Gestalten. Still ist es hier. Totenstille herrscht auf dem Berg. Ich muss mich blind auf die Führung durch Komoot verlassen, denn ich sehe die Hand vor Augen nicht. Erst als ich direkt vor dem Gasthaus stehe, sehe ich es. Ich bin angekommen und es ist auch genug für heute. Der Empfang liegt im ersten Stock, mit einer herzlichen Begrüßung werde ich für heute Nacht eingecheckt. Bei Kaffee und Kuchen starre ich durch milchige Fensterscheiben und schreibe die Fernsicht, die ich erhoffte, für heute ab. Bier und Schnitzel schmecken später trotzdem und in der Gaststube plappern und lachen die Mitglieder einer große Reisegruppe.
    Gute Nacht.
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  • E1-28-D-Jagdhaus Wiese (23km)

    10 Agustus 2015, Jerman ⋅ ☀️ 26 °C

    Der Weg der Sinne: Rothaarsteig (2/3)
    Es geht durch eines der schönsten Waldgebirgslandschaften Deutschlands.

    Am frühen Morgen herrscht immer noch dicke Nebelsuppe und lässt keine Chance auf weite Sicht. Im Frühstücksraum hält ein Teilnehmer der Reisegruppe eine Rede. Er beginnt mit den Worten „Reisen ist Leben und Leben ist Reisen.“ Ich stimme ihm leise zu. Ungewollt erfahre ich einiges von den Nordic Walking Touren, die diese Gruppe schon gemacht hat und sie offenbar zusammen schweißte. Ich höre, wie er die Woche Revue passieren lässt und erfahre, dass die Gruppe rund um den Kahlen Asten bei bestem Wetter und allerbester Sicht unterwegs war und hier ihre Basisstation hat.
    Meine heutige Etappe beginnt im Nebel, der weiterhin undurchdringlich erscheint. Einen Aufstieg auf den Aussichtsturm kann ich mir sparen. So werfe ich meinen Rucksack über und schon nach wenigen Schritten in die karge Heidelandschaft ist der Gasthof im dichten Nebel hinter mir verschwunden.
    Ein wenig fühle ich mich um die erhoffte Weitsicht betrogen. Doch schon wenige Höhenmeter tiefer lichtet sich die dichte Nebelwand und gibt einen phantastischen Blick zum weit entfernten 'Hohen Knochen' frei, dessen Gipfel auch noch in den Nebel ragt. Lange geht es den Höhenweg entlang, der Rothaarsteig zeigt sich von seiner schönsten Seite. Ich verstehe, warum er der Weg der Sinne genannt wird, denn ich fühle, wie die mich umgebende Weite mein Innerstes berührt und es dort leicht werden lässt, wo manches Mal mein Schwermut sitzt.
    Am Fuße des 'Knäppchen' mündet der Höhenweg auf einer Straße, dort stoppt mich ein Schild. Der bisherige Weg hat mich gelehrt, dass es lohnt, die am Wegesrand aufgestellten Schilder zu lesen. Oft berichten sie über interessante Geschichten aus der Region. So auch hier:
    <<Die Höhen des Sauerlandes versanken Winter für Winter im Schnee, Berge, Täler und Wälder in stille Einsamkeit. Jegliche Verbindung zwischen den Dörfern war oftmals abgeschnitten und der Verkehr stark eingeschränkt. Die ersten Ski tauchten im Sauerland auf, dienten aber nicht sportbegeisterten Städtern, sondern Einheimischen als Verkehrsmittel. Die Einwohner hatten sich schon vor Jahrhunderten zur Fortbewegung einer Art Schneeschuh bedient. Um Wasser aus tiefer gelegenen Quellen zu holen, haben sie sich auf Bretter gestellt und talabwärts gleiten lassen. Skilaufen wurde jedoch nicht daraus. Dazu kam es erst 1897 und bald wurde der erste Ski-Klub Sauerland gegründet. Ein junger Student wollte im Jahre 1907 den guten Schnee ausnutzen und baute mit Hilfe zweier Skilehrer aus der Umgebung eine Sprungschanze von etwas 30cm Höhe und übte sich im Skispringen. Die Lehrer staunten nicht schlecht und versuchten es auch. Bald wurden den umliegenden Schulen Skier gestiftet und die Dörfer veranstalteten erste Winterfeste. Die Skifeste wurden zu Volksfesten und verwandelten die Berglandschaften allmählich zur Wintersportregion im deutschen Mittelgebirge (mit heute 59 Skiliften und 220km Loipen rund um den Kahlen Asten). An diesem Ort wurde 1911 die erste Übungsschanze mit einem 7,5m hohen Anlaufturm errichtet, der später auf 14m erhöht wurde. Auf dieser Schanze wurden bei guter Haltung bis zu 38m erzielt. Alljährlich fanden von nun an Wettkämpfe statt, auf denen sich die unerschrockenen Skiläufer aus den Höhendörfern erprobten. Als Auslauf diente die heutige Bundesstraße. Den letzten Sprung auf der früher an diesem Ort befindlichen „Fürst-Richard-Schanze“ machte im Winter 1949 der im Volksmund namentlich bekannte „lange Hoffmann“. Die Schanze ist mittlerweile der rauen Witterung zum Opfer gefallen.>>
    Von der Straße geht es bald wieder auf einen Wanderweg, der zurück in den Wald und steil nach oben führt. Er fordert meine ganze Kraft. Auf steilen Pfaden soll ein Wanderer langsam gehen und niemals stehen bleiben. Erst oben soll er pausieren, denn so ist es kraftsparender, als zwischendurch anzuhalten, um Atem zu schöpfen und dann wieder anzutreten.
    <<Oben wurde eine Informationstafel so optimal aufgestellt, dass ich die Atempause mit Lesen füllen kann. So erfahre ich, dass hier der Grenzweg verläuft, er markierte einst die Grenze zwischen dem kurkölnische Sauerland und dem Waldecker Land. Vor hundert Jahren existierte hier eine Poststation, an der Pferde gewechselt wurden. Nichts blieb davon erhalten. Heute verläuft hier, wo ich stehe, die Grenze zwischen den Bundesländern Nordrhein-Westfalen und Hessen.>>
    Ein Stück weiter wartet die Hoyeleyer Hütte. Dort herrscht munteres Treiben, denn sie ist gut besucht, was nicht wundert, weil die Terrasse der Sonne zugewandt liegt und einen tollen Blick Richtung Süden bietet. An einer langen Bank lasse ich mich nieder und bestelle Milchkaffee. Das Schönste am Wandern sind die Pausen!
    Doch mein Weg ist noch weit und schon bald bin ich wieder auf dem Grenzweg unterwegs, der weiter dem Kamm des Rothaargebirges folgt. Nun geht es an zahlreichen Tannenbaumplantagen vorbei. Es scheint, als kämen hier die Weihnachtsbäume her, die wir später auf den Märkten unserer Städte kaufen. Was in endlosen Reihen jahrelang heranwächst, steht dann wohl eines Tages weihnachtlich geschmückt für nur kurze Zeit in deutschen Wohnzimmern.
    Die Strecke des Rothaarsteigs ist vorbildlich beschildert, der Weg populär und von viel mehr Wanderern frequentiert als andere Wege. Das verwundert nicht, denn die Strecke ist abwechslungsreich und landschaftlich reizvoll. Hinter jeder Biegung kann ein atemberaubender Weitblick warten, der den Atem stocken lässt. Wegen der vielen Höhenmeter, die es rauf oder runter zu überwinden gilt, ist der Weg aber auch sehr anspruchsvoll und nur gut trainierten Wanderern zu empfehlen. Braucht dieser dann und wann eine Pause, kann er sich auf eine der zahlreichen Holzbänke niederlassen, die ergonomisch so vorzüglich geformt sind, dass man gar nicht wieder aufstehen mag. Die Bänke sind offenbar so beliebt, dass man sie im Internet kaufen kann. Mehrere hundert Euro muss man allerdings für so eine Bank berappen.

    Nach Plan treffe ich gleich auf den Waldskulpturenweg, der unweit des Rothaarsteigs liegen soll und vermutlich wird sich der kleine Umweg lohnen. Schon weist ein Schild den Weg zur ersten Skulptur und bald stehe ich staunend davor. Mitten im dichten Fichtenwald wurzeln drei Tore aus solidem Stahl im Boden, davor ein Stahlquader, dahinter ein weiteres Stahlquadrat. Als ich durch die wuchtigen Tore schreite, fällt mir das Kunstwerk in Fallingbostel ein: das Spiegeltor. Dort hatte ich vor einem Jahr das Gefühl, durch das Tor in eine andere Welt zu treten. Hier ist es nun ebenso.
    Und doch bleibt die Welt dahinter dieselbe.
    Ein Stück entfernt wartet die nächste Skulptur, etwas verborgen abseits des Weges liegend. Bis zum letzten Moment ist es nicht zu sehen und ohne Hinweisschild hätte ich es nicht gefunden. Stein-Zeit-Mensch hat es der Künstler genannt. Ein riesiger Quarzit-Monolith ruht mit hundertfünfzig Tonnen schwer auf dem Fundament aus Beton. Er wurde nicht hier gefunden, sondern hierher bewegt. Welche Anstrengung war dafür wohl nötig? Umrahmt wird das Monument von Baumstämmen. Sie scheinen ihn einzusperren, doch das können sie nicht wirklich, denn der Stein ist dafür zu mächtig. Davon zeugen abseits liegende Stämme, die bis vor kurzem den Stein noch umgaben. Jetzt faulen sie, von Baumpilzen zerfressen, im Gras. Der Stein hat die Baumstämme bereits überdauert. Als Mensch komme ich mir vor diesem Kunstwerk klein und verletzlich vor. Auch ich werde bald vergangen sein, während der Stein weiterhin unversehrt hier liegen wird. Was nur ist Zeit, was Unendlichkeit?
    Aber ich habe etwas, das der Stein nicht hat und dafür mag er mich beneiden. Denn er ist verdammt, hier im Wald zu liegen, während ich meine Beine habe, die mich durch die Welt tragen. Und nach einer Rast, die ich auf einer der bequemen Rothaarsteig-Bänke verbringe, bin ich wieder unterwegs, während er hier zurück bleiben muss. Ich werde dich wohl nicht wieder sehen, du Stein.
    Bis zur dritten Skulptur ist es nicht weit. Doch wirklich zu sehen ist sie nicht. Ein Zaun, ein Erdwall, einen Lärchenwald und ein Podest, das ist alles. Das Kunstwerk selbst bleibt für mich unsichtbar. So hatte es der Künstler wohl auch im Sinn, das erkenne ich, als zwei Wanderer mir ihre Broschüre leihen. Sie rätseln wie ich. „Nur aus der Vogelperspektive kann man das 44x28 Meter messende 'Monument des verschollenen Falken vollständig erkennen", lese ich.
    Bis zur dritten Skulptur ist es nicht weit. Doch wirklich zu sehen ist sie nicht. Ein Zaun, ein Erdwall, einen Lärchenwald und ein Podest, das ist alles. Das Kunstwerk selbst bleibt für mich unsichtbar. So hatte es der Künstler wohl auch im Sinn, das erkenne ich, als zwei Wanderer mir ihre Broschüre leihen. Sie rätseln wie ich. „Nur aus der Vogelperspektive kann man das 44x28 Meter messende 'Monument des verschollenen Falken vollständig erkennen", lese ich. Aha, so ist es also. Wir schauen uns an. Der Sinn dieses Kunstwerks erschließt sich uns nicht vollständig.
    Sechs weitere Skulpturen soll es noch geben, aber sie liegen irgendwo, nur nicht auf meinem Weg und so bekomme ich sie nicht zu sehen.

    Bald wird das Erlebte durch Neues überlagert, denn im Wald ist immer etwas los. Das mag man als Wanderlaie kaum glauben. Wie aus dem Nichts kommen zwei Wanderer mit raschem Schritt heran. Ohne Gruß eilen sie vorbei. Er, ein junger Mann, trägt Sportsachen, aber die Schuhe wollen nicht recht dazu passen, denn es sind Straßenschuhe. Merkwürdig auch, dass er den rechten Schuh in der Hand hält, während der Linke noch am Fuß steckt. So geht er auf einem Socken und einem Schuh. Dagegen ist die Frau an seiner Seite vollständig mit Wandersachen bekleidet und trägt einen gut gefüllten großen Rucksack. Sie gehen sehr flott, die Distanz zwischen uns wird schnell größer. Sobald sie sich außer Hörweite wähnen, beginnen sie sich zu unterhalten, den Inhalt kann ich durch ihre Gesten nur erraten: sie scheinen zu streiten.
    Blanke Neugierde treibt mich an, schneller zu gehen. Ich will dran bleiben, der Abstand vergrößert sich trotzdem. Wie kann jemand mit nur einem Schuh so schnell laufen? Eine Weile streiten sie noch, dann stampft er einmal auf und geht noch geschwinder, lässt sie hinter sich zurück. Dann verschwindet er hinter einer Kurve - und weg ist er. Nun wird die Frau langsamer, so dass ich aufholen kann. Sie taucht in eine Senke, die ich nicht einsehen kann, und als ich diese erreiche, ist auch sie verschwunden. Als wären beide vom Erdboden verschluckt worden.
    Ich frage mich: "war das nun real oder nur ein Waldtraum?“
    Bald darauf kommt der Ort Jagdhaus in Sicht, mein heutiges Etappenziel. Am Ortseingang begrüßt mich ein Bauernhof, davor eine Wiese mit einer Kuh, die ihre zwei Jungbullen säugt. Das bekommt ein Stadtmensch wie ich nur selten zu sehen. Nur ein paar Schritte weiter taucht das Jagdhaus Wiese auf, hier habe ich mich für heute eingebucht. Auf der Terrasse des Hotels genießen ältere Herrschaften ihren Nachmittagskaffee in der Sonne. Mein Zimmer liegt abseits in einem Nebenhaus. Swimmingpool und Sauna darf ich trotzdem benutzen, beides frisch renoviert. Ausgiebig genieße ich diesen Luxus vor dem Abendessen, das ich später herrlich entspannt auf der Terrasse, die nun mir alleine gehört, einzunehmen gedenke. Die übrigen Gäste haben sich zum Dinner in den Speisesaal zurück gezogen. Ein Ober in Schwarz bringt mir die Speisekarte, ich bestelle und er hat nichts dagegen, draußen zu servieren. Der Fisch mundet vorzüglich, das Bier fließt reichlich und die Sonne mutiert zu einer großen, glutroten Scheibe, die hinter den Bäumen versinkt, während ich noch ein Bier bestelle.
    Bald darauf versinke auch ich in den Kissen und schlafe herrlich in einer lauen Sommernacht.
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  • E1-29-D-Hilchenbach (30km)

    10 Agustus 2015, Jerman ⋅ ☀️ 28 °C

    Der Weg der Sinne: Rothaarsteig (3/3)
    Es geht durch eines der schönsten Waldgebirgslandschaften Deutschlands.

    Am nächsten Morgen bin ich der Erste im großen Speisesaal. Als die anderen Gäste eintrudeln und sich über das wunderbare Frühstücksbuffet hermachen, bin ich fertig zum Abmarsch. Die Sonne ist schon vor mir aufgestanden, steht bereits hoch am Himmel und verspricht einen schönen und sonnigen Tag. Die Luft ist klar und und die Sicht gut. Nach ein paar Kilometern komme ich an einer Schutzhütte vorbei, die nagelneu ausschaut. Und tatsächlich, sie wurde erst 2012 fertig gestellt, ersetzt ein Hütte, die 2007 wie so vieles andere auch dem Orkantief Kyrill zum Opfer fiel. Aber warum nennt man sie „Potsdamer Platz? Die Frage lässt mir keine Ruh'. Ich finde die Antwort später in einem Online-Artikel der WAZ: <<Der von Wanderern und Radfahrern stark frequentierte Bereich hat seinen Namen von einem Waldarbeiter, der seinerzeit folgenden markanten Satz prägte: „Hier ist ja genau so viel Betrieb wie am Potsdamer Platz“.>>
    Ob er jemals in Berlin war?
    Zehn Kilometern weiter liegt der Rhein-Weser-Turm, ein 24 Meter hoher, schwarzer, monolithischer Turm, der nicht meinem Schönheitsempfinden entspricht. Vier dicke Stahltrossen, eines an jeder Turmseite, sichern den Turm im Boden. Deshalb vielleicht hat er den Orkan Kyrill, dem die kleine Schutzhütte zum Opfer fiel, schadlos überstanden. In seinen Fuß liegt eine Gastwirtschaft, sie hat geöffnet und mein Milchkaffee scheint gesichert. Still sitze ich auf einer Bank in der Sonne, auf der geschrieben steht: „Muße zu zweit“. Ein Pärchen namens „Cordula und Bernhard“ haben sie gestiftet. Muße erlebe ich hier auch gerade, aber nicht zu zweit. Auch wenn ich die vielen Momente mit mir alleine genieße, so fehlt mir jetzt gerade der Mensch, der mich beim Wandern begleitet und das Erlebte mit mir teilt. Aber ich will es ja so, wie es ist!
    Ich besteige den Turm, der einen herrlichen Panoramablick in alle Himmelsrichtungen gewährt. Wie immer geht der Blick dahin, wohin ich noch gehen werde. In der Ferne drehen sich langsam fünf Windkrafträdern, dorthin muss ich heute. Ganz klein sind sie noch.
    Als ich wieder unten bin, hat sich in der Gastwirtschaft das Setting verändert. Ein Reisebus ist eingetroffen und eine Schar munterer Senioren bevölkert Gaststube und Terrasse. Sie haben Kaffee und Kuchen bestellt und schnattern mit vollem Mund munter drauflos. Einige schicken sich an, den Turm zu besteigen, der jährlich von 10.000 Touristen besucht wird. Für die meisten von ihnen ist die Besteigung jedoch zu beschwerlich. Die Kraft reicht gerade vom Bus bis in das Café und zurück.
    Weiter geht es Richtung Hirchenbach. Kurz vorm Ziel verlaufe ich mich. Wo laut Komoot ein Weg sein sollte, ist keiner. Wo nur geht's lang? Ich schaue nach links und nach rechts, kann mich aber nicht entscheiden. Soll ich auf der Straße weiter gehen und einen Umweg machen? Nicht gut! Ich muss pünktlich am Bahnhof sein, denn ich habe ein Sparticket, das keine spätere Abfahrt zulässt. Das erzeugt ein Stressgefühl in mir, es fühlt sich unangenehm an. Ich entscheide mich für den kürzesten Weg, der geradeaus führt, klettere kurzerhand über den Zaun und gehe einfach über die Wiese, folge blind den Anweisungen von Komoot, denn Komoot irrt sich selten. Ein breiter Bach stoppt mich nur kurz, jemand vor mir hat wohl ebenfalls den Weg versucht und Steine im Bachbett verteilt. So komme ich trockenen Fußes ans andere Ufer. Noch ein Zaun, dahinter die Straße. Komoot ist zufrieden: „Du bist zurück auf der Tour“. Hey, das hat Spaß gebracht!
    Bald liegt Hilchenbach vor mir. Es geht eine breite Einfallstraße entlang, die direkt zum Bahnhof führt. Wie so oft sind es die zwei letzten Kilometer, die sich endlos hinziehen. Den Ort lasse ich links (Verzeihung: rechts) liegen, für einen Stadtrundgang scheint keine Zeit mehr zu sein. Jedenfalls meine ich es in diesem Moment, ich fühle mich durch die fixe Abfahrtszeit gehetzt. Ich komme weit vor der Zeit am Bahnhof an, so viel zu früh, dass ich sogar einen Regionalzug eher nehmen kann. Das geht, feste Abfahrtszeiten gelten nur für den überregionalen Zugverkehr. So bleibt mir in Hagen mehr als eine Stunde bis zur Abfahrt des ICE nach Hamburg. Zeit genug also, um mich umzuschauen. Der Bahnhofsvorplatz wirkt grau und abweisend. Die angrenzenden Seitenstraßen zeugen von trauriger Tristesse und bröckelnder Nachkriegsarchitektur. In einem Fastfood-Restaurant am Bahnhof schlinge ich einen Burger und eine Cola runter. Das ist nicht, was ich liebe!

    Endlich ist es Zeit für die Heimfahrt. Die Rückfahrt dauert fast sechs Stunden, die zwei Stunden von Hagen nach Hamburg sind gefühlt davon die Längsten. Es ist anstrengend, nach einem langen Wandertag auch noch eine endlose Zugfahrt zu erleben. Auf der Fahrt reift die Erkenntnis, dass ich die Wandertage ab jetzt anders einteilen sollte. Der erste und der letzte Tag dürfen keine langen Strecken mehr enthalten. Das zwingt mich wohl zu längeren Touren.
    Erst nach Mitternacht bin ich wieder in Hamburg. Nachts träume ich vom Wandern - von der nächsten Tour, die ich hoffentlich bald machen werde. Sie soll noch einmal auf den Weg der Sinne führen.
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  • E1-30-D-Lahnquelle (24km)

    22 Agustus 2015, Jerman ⋅ 22 °C

    Unter Schmerzen - Zweiter Teil des Rothaarsteigs (1/2)
    Weiter geht es durch eines der schönsten Waldgebirgslandschaften Deutschlands auf dem Rothaarsteig - dem Weg der Sinne.
    Eine zwei Tagestour von Hilchenbach nach Dillenburg.

    Ein Samstag Ende August. Es ist schon Mittag, als in Hilchenbach eintreffe. Die Anreise mit dem Zug dauert nun schon ebenso lang wie die Wanderung selbst. Dabei ist die Entfernung von Hamburg zum Ausgangspunkt zwanzig Mal so weit wie die Tour. Ökologisch gesehen mag es bedenklich sein, so weite Distanzen mit dem Zug zurückzulegen, um dann nur eine zweitägige Tour zu wandern. Doch es ist anders schwer machbar. Nur kurze E1-Touren lassen sich derzeit ohne Probleme in meinen Arbeitsalltag integrieren. Ein schöner Nebeneffekt ist, dass ich weiterhin mit kleinem Rucksack unterwegs zu kann. Heute ist das besonders wichtig, denn seit Tagen meldet mein Rücken einen unspezifischen Schmerz genau dort, wo der Rückenwirbel sich mit dem Becken verbindet. Ein verspannter Muskel vielleicht oder ein Hexenschuss, der Ischiasnerv oder gar eine Bandscheibe? Alles ist möglich, doch wie immer ging ich nicht zum Arzt, frei nach dem Motto: „Was kommt, geht auch wieder." Bislang war der Schmerz erträglich und er soll mich ja nicht vom Wandern abhalten. Es wird mich schon nicht umbringen, denke ich. Ich halte das aus! Denn ich will ja wandern!
    Die ersten Schritte fallen sehr schwer, die Bewegung der Beine verursacht mir Schmerzen im Kreuz.
    Bevor es wieder in den Wald geht, mache ich einen Abstecher in den Ortskern, der nur wenige hundert Meter entfernt vom Bahnhof liegt. Die Häuser gaukeln Fachwerk vor, dahinter steckt Beton der achtziger Jahre. Nur die Kirche am anderen Ende des Marktplatzes, beschattet von mächtigen Eichen, scheint wirklich alt zu sein. Die riesige, massive Holztür steht offen, neugierig trete ich ein. Das Kirchenschiff strahlt die typisch weiße Schlichtheit aus, die evangelische Kirchen zu eigen ist. Die Kirchenbänke sind mit weißen Rosen geschmückt, der Altar üppig in Blumen getränkt. Hier wird bald Hochzeit gehalten, da will ich bei den Vorbereitungen nicht stören. Ich ziehe mich rasch zurück.
    Noch schnell einen Kaffee in der Eisdiele um die Ecke. Nicht to go, sondern im Sitzen. Gehen werde ich heute noch genug. Nach dem schnellen Kaffeegenuss werfe ich den Rucksack über und los geht's hinein in das nächste Kapitel meines Abenteuers, das mich jedes Mal ein Stück mehr mit Deutschland vertraut werden läßt. Ich freue mich auf diesen Tag, so wie ich mich bisher auf jeden Wandertag gefreut habe. Was werde ich heute Schönes erleben?
    Doch die Wanderfreude wird schon bald getrübt, denn die Rückenschmerzen melden sich bei jedem Schritt. Es ist nicht wirklich schlimm, doch sie machen aufmerksam auf die eine Stelle, wo sich die fünf beweglichen Wirbel des Kreuzbeins mit dem starren Becken verbinden. Irgendetwas ist dort nicht in Ordnung.
    Ich bin langsamer als üblich, darauf bedacht, nicht über Wurzeln zu stolpern, die mich aus dem Gleichgewicht bringen könnten. Denn das quittiert der Rücken mit einem schmerzhaften Stich.
    Ein Schild am Wegesrand informiert über einen Ruheforst, der hier angelegt wurde. Verstorbene können an dieser Stelle außerhalb eines Friedhofes beigesetzt werden. Zu Lebzeiten sucht man sich einen Baum, Strauch oder Stein aus, unter dem man nach dem Ableben zur Ruhe gebettet wird. Ich finde, es ist eine gute Idee! Der Körper wird nach dem Tode wieder Bestandteil der Natur. Ohne Firlefanz.
    Ein steiler Weg führt hoch zur mittelalterlichen Burgruine Ginsburg. Der Aussichtsturm wurde vor Kurzem frisch renoviert. Vom Turm hat man eine herrliche Aussicht, danach lockt mich die Kaffeestube zur ausgiebigen Pause. Ich brauche eine Weile, bis ich auf dem Stuhl im Freien schmerzfrei sitzen kann. Ich blinzele in die Sonne und habe mit der Bestellung keine Eile. Der Pfannkuchen mit Apfelmus, der schließlich vor mir steht, schmeckt köstlich und ich merke erst jetzt, wie viel Hunger ich hatte. Seit Stunden bin ich schon unterwegs. Eine große Gesellschaft kommt schwatzend den Weg herauf, setzt sich an den Nebentisch, bestellt eine Runde Bier. Bald werden sie lustig und laut. Da mache ich mich lieber wieder auf den Weg. Es ist auch Zeit, denn mein Weg ist noch weit.
    Auf einer Wiese lege ich mich einfach ins Gras, blinzle in die Augustsonne, die den Boden schön angewärmt hat. Was gibt es Schöneres? Mußevolles Nichtstun. Viel zu lange liege ich dort, schließlich ist es noch weit bis zur Unterkunft. Doch kaum stehe ich, spüre ich wieder diesen dumpfen Schmerz, der heute einfach nicht weichen will. Die ersten Schritte sind hakelig, während mein Blick in die Ferne eine schöne Fernsicht erhascht. Wie schön der Rothaarsteig doch ist! Die Freude darüber lässt mich den Schmerz beinahe vergessen.
    Ich überquere die Benfe, laut schnatternd fliegen ein paar Enten auf. Ich habe sie wohl erschreckt. Sie flattern über einen Bach, die langen Hälse weit nach vorne gereckt. Es scheint, als käme hier nicht oft jemand vorbei. Vor mir braucht ihr Flattervögel doch keine Angst zu haben.
    Fast zwanzig Kilometer bin ich gelaufen. Zeit für eine weitere Pause! In der Nähe soll es einen Biergarten geben. Tatsächlich finde ich ihn, doch er entpuppt sich als kleine Holzhütte, die aber geschlossen hat. So drehe ich ab und gehe durstig weiter.
    Es geht wieder einmal bergan, schöne Weitblicke sind der Lohn der Strecke.
    Kurz vor dem Örtchen Lahnquelle verläuft der Weg parallel zur Straße. Er ist voller Wurzeln. Über eine davon stolpere ich, denn ich kann nicht mehr. Der Oberkörper muss das Stolpern abfangen, dem Rücken gibt es den Rest. Ich will einfach nur noch ankommen, für heute ist es genug.
    Endlich kommt das Ortsschild <Lahnquelle> in Sicht. Kühe dürfen auf einer großen Wiese hinter einem Stall grasen. Ich brauche auch dringend etwas zwischen die Zähne und kann es kaum noch erwarten, endlich anzukommen, mich auszustrecken und meinen Rücken zu schonen. Hinter der nächsten Kurve sehe ich das Forsthaus Lahnquelle. Auf der Terrasse sitzen Gäste beim Bier. Ohne Umschweife setze ich mich dazu, winke die Bedienung heran und sie weiß gleich, ohne dass ich etwas sagen muss, was ich will. Kurz darauf steht ein großes Krombacher vor mir. Ich setze an und trinke es in einem Zug aus. „Aaahhh!“, entfährt es meiner Kehle. Schon ist das Wandern wieder Lust. Nun kann ich einchecken. Mühsam schleiche ich die Treppe rauf, schließe die Zimmertür auf. Das Zimmer ist zwar klein, die Dusche darin noch kleiner. Doch das Wasser ist heiß und was braucht es mehr, um den Schweiß des Tages abzuwaschen? Der Rückenschmerz rinnt gleich mit in den Abfluss, das warme Wasser belebt die Sinne. Schnell ist die Kleidung gewechselt und bald sitze ich wieder draußen zwischen den Gästen des Hauses, bestelle Wiener Schnitzel und Bier. Während ich warte, spricht ein älteres Pärchen mich an. Sie erzählen viel und unaufgefordert, ohne Pause, so dass ich fast nichts erwidern muss, was mir im Moment sehr angenehm ist. So erfahre ich, dass sie aus dem Rheinland kommen, über das Wochenende zum Wandern hier sind, sie es nicht weit haben, ihr großer Hund vor kurzem vergiftet wurde, es nun wieder gut geht, aber er kann noch nicht wieder gut laufen, das macht auch nichts, denn der Mann hat's auch mit den Knien, wurde schon operiert, aber danach ging's nicht besser. Nun, man wird halt nicht jünger…
    Ich höre dem Redefluss einfach nur zu. Die Rheinländer sind eben sehr redselig. Von mir erfahren sie nicht viel, wollen wohl auch gar nichts wissen. Irgendwann werde ich müde und verabschiede mich. In meinem Mini-Zimmer versinke ich sogleich in einen tiefen, erholsamen und traumlosen Schlaf.
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  • E1-31-D-Dillenburg (31km)

    23 Agustus 2015, Jerman ⋅ 24 °C

    Unter Schmerzen - Zweiter Teil des Rothaarsteigs (2/2)

    Am nächsten Morgen weckt mich das Muhen der Kühe. Der erste Gedanke gilt meinem Rücken, doch er ist ruhig.
    Unten wartet ein reichhaltiges Frühstücksbuffet. Das Pärchen, das mich gestern so einseitig unterhalten hat, sitzt bereits am Nebentisch, setzt gleich an, das Gespräch von gestern fortzusetzen. Als ich erwähne, dass ich ein Morgenmuffel bin, haben sie ein Einsehen. Erst nach dem Frühstück habe ich Lust auf ihre Gesellschaft. Wir schauen uns die Kuhweide hinterm Haus aus der Nähe an, versuchen die Kühe anzulocken, aber die haben ähnliches wohl schon zu oft erlebt. Jedenfalls fallen sie nicht auf uns herein. Wir verabschieden uns mit den Worten: „Wir treffen uns bestimmt noch einmal im Wald.“ Aber das geschieht nicht und so endet wieder eine flüchtige Begegnung, die folgenlos bleibt. Schlimm ist das nicht.
    Eine Weile führt der Rothaarsteig die einstige Eisenstraße entlang, eine mittelalterliche Handelsstraße.
    <<Die Eisenstraße verdankt ihren Namen dem Erz, das jahrhundertelang auf diesem Weg befördert wurde. Die Händler wurden von Rittern in mächtigen Burgen oder Wallanlagen vor feindlichen Angriffen beschützt. Die Dillburg ist eine davon. Dank der Steinpflasterung konnten die schweren Lasten auf Fuhrwerken bei jedem Wetter transportiert werden, der Weg verlief auf dem Kamm des Rothaargebirges, weil es in den Tälern damals zu sumpfig war.>>
    Nach einer Stunde erreiche ich einen Rastplatz, der Kaffebuche genannt wird. Rechts ragt die einst mächtige Buche als vermodernder Stumpf empor. Sie gab diesem Platz den Namen. Links davon wurde ein für den Rothaarsteig typischer Rastplatz installiert, der wie üblich aus einer Eckbank, zwei schmalen Bänken und einem quadratischen Tisch für das mitgebrachte Picknick besteht. Hinter dem Rastplatz ist eine Informationstafel angebracht und gibt mir Auskunft, was es mit der Kaffebuche auf sich hat: „an dieser Stelle sprudelte einst eine Quelle, mit ihrem frischen Wasser wurde Kaffee aufgebrüht, der dann unter der Buche genossen wurde.“
    Hier raste ich für einen Moment, doch ein Kaffee wird mir nicht kredenzt. Bald geht es weiter durch den Wald. Der Weg führt nun für lange Zeit sanft bergab, denn allmählich nähere ich mich dem südlichen Ende des Rothaargebirges.
    Das Abstoppen beim Abwärtsgehen bekommt meinem Rücken nicht, bei jedem Schritt wird er ein bisschen mehr gestaucht und das tut sehr weh. So beginne ich nach Abkürzungen zu spähen, weiche bei Offdilln von der geplanten Route ab, nehme dafür ein Stück Landstraße in Kauf, auf der es keinen Fußweg gibt. Kurz vor Weidelbach treffe ich auf einen lokalen Wanderweg, der seinen Wegewart wohl nicht sehr interessiert. Er ist fast nicht begehbar, wilder Ginster wächst mitten auf dem Weg und das wohl schon seit Jahren. Das Gras ist kniehoch. Jetzt bloß keine Zecke einfangen, denke ich besorgt, während ich bedächtig vorwärts schleiche. Immer tiefer geht es in den Wald und es scheint, als sei hier seit Jahren kein Mensch mehr gewesen. Eine Lichtung gibt Raum für einen üppig blühenden Heideteppich. Das erinnert mich an eine Etappe im letzten Jahr, die durch die schöne Lüneburger Heide führte. Ich sehe die brennende Heide und die weite, sandige Landschaft wieder vor mir.
    Der Pfad mündet auf einen breiten Weg. Nun geht es sich wieder besser. Ein hoher, windschiefer Hochsitz, aus dünnen Fichtenstämmen grob zusammen gehämmert, verspricht einen grandiosen Blick ins Tal. Ich wage mich auf der wackeligen Leiter hinauf, sie ist nur angelehnt. Die Sprossen halten, der Ausblick vom Hochsitz ist umwerfend. Vor mir verliert sich der Weg im Grün des Waldes. In der Ferne verschmelzen blass schimmernde Berge mit dem Blau des Himmels, als Topping garniert von zart schimmernden Schleierwolken. Lange sauge ich den überwältigenden Anblick in mich auf und es dauert ewig, bis ich satt bin.
    Jetzt wäre eine Kaffeepause toll. Ich hoffe in Oberroßbach ein Café zu finden. Doch schnell ist klar, dass es das hier nicht gibt. Es ist Sonntagnachmittag, kein Mensch ist zu sehen. Tankstelle und Kiosk haben geschlossen. Sogar die Kirche hat zu. Etwas frustriert setze ich mich auf die Stufen des Kirchenportals und knabbere lustlos auf einem Energieriegel herum.
    Kaum bin ich zurück im Wald, führt ein schmaler Pfad den nächsten Berg hinauf. So beginnt ein mörderischer Aufstieg, der mir den Schweiß nur so aus den Poren treibt. Mein Rücken protestiert umgehend, doch es hilft nichts, ich muss da jetzt hoch. Oben angekommen, lockt eine Bank zur Verschnaufpause. Wer sie errichtet hat, muss sehr wohl um die Mühen des Aufstiegs gewusst haben. Doch leider sitzen schon zwei feiste Frauen auf der Bank. Sie müssen meinen schweißtreibenden Aufstieg eine Weile schon beobachtet haben. Was sie aber nicht sehen können, ist mein Rücken, der mich gerade fast in die Knie zwingt. Aber das lasse ich mir nicht anmerken, als ich vor den beiden Dicken stehe und höflich „Guten Tag“ sage, während ich mir insgeheim wünsche, sie würden Platz machen, damit ich mich setzen, den Rücken strecken und das herrliche Gefühl spüren kann, wenn der Schmerz ganz langsam den Körper verlässt. Aber sie sitzen bräsig auf MEINER Bank und für einen kurzen Moment hasse ich sie dafür. Aber das wissen sie ja nicht und schnell verlasse ich den Platz ohne ein weiteres Wort. Vermutlich fragen Sie sich, wer dieser grummelnde, unfreundliche Mensch wohl war.
    Nun geht es so steil hinab, wie es eben bergauf ging. Jeder Schritt staucht meinen Rücken und jeder Schritt tut weh. So erreiche ich unter großen Schmerzen Manderbach, das im Tal liegt. Ich genehmige mir eine Abkürzung, die mich mitten durch den Ort und nicht wie vorgesehen um ihn herum führt. Von einem unbebauten Grundstück stibitze ich einen roten Apfel. Zur Strafe werde ich von angriffslustigen Wespen verfolgt. Es geht an tristen Häusern mit spießig anmutenden Vorgärten vorbei. In diesem Ort herrscht eine gepflegte Langeweile. Ein Haus sieht aus wie das andere.
    Der nächste Hügel heißt Galgenberg, den ich nun hinauf schnaufe. Der Rücken schmerzt gleich wieder, aber immerhin geht es mir hier nicht an den Kragen wie manch' anderem an dieser Stelle in grauer Vorzeit.
    In der Ferne ist die Dillenburg zu sehen. Dort liegt mein heutiges Etappenziel. Die Burg möchte ich trotz der Rückenschmerzen unbedingt noch besichtigen. Wieder wähle ich eine Abkürzung. Eine steile Treppe führt direkt zur Burgmauer hoch, doch dann ist der Weg durch einen Bauzaun versperrt. So muss ich zurück, um die ganze Burgmauer herum. Dann endlich bin ich oben. Das Besondere dieser Burg ist der Wilhelmsturm, der normalerweise bestiegen werden kann. Er wird nur gerade saniert. So muss mir der Blick von der Burgmauer hinab über die Stadt Dillenburg reichen. Auch von hier hat man eine weite Sicht über Stadt und Land. Der Blick schweift zurück zu den Anhöhen, über die ich heute gekommen bin. Von hier sehen sie so klein aus und sind unerhört weit entfernt. Das alles bin ich heute gelaufen? Wahnsinn!
    Das heutige Auf und Ab in Kombination mit den Rückenschmerzen war unglaublich anstrengend. Ich brauche dringend eine Pause. Auf dem trockenen Rasen im Burghof strecke ich die müden Beine aus, dehne den mich peinigenden Rücken und bewundere im Liegen die Pracht des Wilhelmsturms, der hier schon seit 1875 in den Himmel ragt. Trotz seiner Mächtigkeit sieht er so filigran aus, als sei er einem Märchen entsprungen. Jeden Augenblick könnte Rapunzel in luftiger Höhe auf einer Turmzinnen erscheinen. Leise raune ich vor mich hin: „Rapunzel, Rapunzel, lass dein Haar herunter!“. Weiter komme ich nicht, denn ich bin eingeschlafen. Als ich die Augen wieder öffne, ist die Sonne ein ganzes Stück verrückt. Wolken sind aufgezogen. Einen Moment noch bleibe ich liegen, schaue den gemächlich vorbei ziehenden weißen Tupfen nach. Mußevolle Momente.
    Ich muss denselben Weg zurück, den ich gekommen bin. Noch einmal geht es ganz um die Burg herum, dann die lange, steile Treppe hinab. Endlich stehe ich wieder in der Fußgängerzone, lasse mich beim erstbesten Italiener nieder, bestelle Pizza und Bier. Beides kommt rasch. Das Sitzen fällt schwer, der Rücken leidet. Die Pizza ist riesig, ich schaffe sie nicht. Der Wirt möchte sie mir einpacken, doch ich lehne dankend ab. Es macht ihn traurig.

    18:30 Uhr, es ist noch genügend Zeit bis zur Abfahrt. Mir fällt ein, dass ich noch das Portal des Rothaarsteins besuchen könnte, es soll ganz in der Nähe sein. Das wäre doch ein schöner Abschluss der Tour. Mit dem Begriff Portal hatte ich ein großes Tor verbunden, durch das man würdig schreitet, um den Abschluss des Rothaarsteigs zu zelebrieren. Doch im Hofgarten steht statt Portal nur ein Holzklotz, auf dessen Spitze die weiß-rote Wegmarke des Rothaarsteigs prangt. Ich bin ein kleines bisschen enttäuscht. Dafür bekomme ich eine Erkenntnis geschenkt, während ich mir das "Portal anschaue". So oft hatte ich mich während der Tour gefragt, was die geschwungene Linie auf der Wegmarke zu bedeuten hat. Hier plötzlich geht es mir auf: es symbolisiert die vielen Hügel, über die der Steig bergauf und bergab führt. So ist auch das geklärt.
    Der Rothaarsteig ist gegangen, ich wende mich ab, strebe dem Bahnhof zu. Meine Kraft ist aufgebraucht, ich kann nicht mehr. Der Rücken schmerzt. Die Rückfahrt ist lang, doch das Sitzen tut wohl.
    Es ist nach Mitternacht, als der Zug im Hamburger Hauptbahnhof einrollt. Noch schnell mit dem Bus nach Hause.
    Wie wohlig es sein kann, in den eigenen Kissen zu versinken, weiß man erst nach solch anstrengenden und schmerzhaften Wandertagen.
    Doch schon während sich die Augen schließen, ersehne ich die nächste Wandertour herbei.
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  • E1-33-D-Herborn (9km)

    10 September 2015, Jerman ⋅ ⛅ 17 °C

    Entspanntes Wandern auf dem Lahnwanderweg (1/5)

    # wer E1-Tag 32 sucht, der sucht vergebens. Es gibt ihn nicht 🙃 #

    << Eine fünftägige Tour von Dillenburg nach Limburg an der Lahn auf den Spuren des Lahnwanderwegs, teilweise auch auf dem Lahn-Radweg.
    Es gibt schöne Schlösser, alte Burgen und Städtchen zu bestaunen. Vor allem aber beeindruckt die Ruhe und Abgeschiedenheit der Lahn. >>

    Mit der Bahn geht es von Hamburg nach Dillenburg, von dort auf einem Verbindungsstück nach Herborn. Den Abend rundet eine Rundgang durch die Altstadt und die Burg ab.
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  • E1-34-D-Braunfels (30km)

    11 September 2015, Jerman ⋅ ⛅ 19 °C

    Entspanntes Wandern auf dem Lahnwanderweg (2/5)
    Eine lange Etappe durch Wälder und Wiesen. Weitblicke erfreuen das Herz. Auf halber Strecke wartet die hochgelegene Burg Greifenstein mit ihrer erhalten gebliebenen Wehranlage bei bester Sicht über den Hessischen Westerwald auf einen Besuch. Durch das Greifensteiner Land geht es über Leun hinab nach Braunfels. Eine schöne Übernachtung im Alten Forsthaus und ein Spätsommerfest mit fetziger Musik auf dem Marktplatz runden den Tag ab.Baca selengkapnya

  • E1-35-D-Weilburg (13km)

    12 September 2015, Jerman ⋅ ⛅ 23 °C

    Entspanntes Wandern auf dem Lahnwanderweg (3/5)

    Vor der eigentlichen Wanderung gibt es eine Besichtigung des gut erhaltenen neugotischen Schloss Braunfels. Wer wie ich die Ritterzeit interessant findet, kommt voll auf seine Kosten. Nach recht kurzen Strecke lockt der Besuch des Tiergarten Weilburg mit heimischen Tierarten (u.a. Wölfe). Die Unterkunft Aktivhotel Lindenhof in Weilburg ist nicht die erste Wahl gewesen. Empfehlen kann ich es nicht.Baca selengkapnya