• Hans Joerg Forster
  • Place of Rest

Transatlantik 2018

22 Tage ereignisreiche Monotonie: Ich habe es überstanden. Aber nicht nur das. Das Erlebnis der engen Gemeinschaft mit vier Freunden und das unmittelbare Ausgesetztsein an die Kräfte der Natur hat mich extrem beschenkt. Read more
  • Trip start
    November 16, 2018

    Was nehme ich alles mit?

    November 15, 2018 in Switzerland ⋅ 🌧 5 °C

    Das habe ich noch nie gemacht: Packen für 3 oder 4 Wochen - keine Ahnung - ohne Möglichkeit, etwas nachzukaufen. Und auf dem Schiff herrscht sowieso Murphys Law: "Das viele, das du dabei hast, brauchst du nicht. Und was du brauchst, hast du nicht dabei, selbst wenn du 50 kg gepackt hast." Die Gewichtslimite auf dem Flug ist bei 23 kg. Gut so. Abspecken, abspecken, abspecken. 23 kg erreicht und ich frage mich, ob die "Place of Rest" mein ganzes Material aufnimmt?! Und das der anderen?

    Tja, mein Handgepäck ist - sagen wir mal - kreativ: Aussen an die Mappe binde ich mit Spanngurte Schlafsack, Schlafmätteli und Klettergschirr. Und ja, meine Seglerjacke ziehe ich an, die Taschen vollgepackt! Und die Reisegitarre kommt auch noch mit. Da gab es bisher beim Einchecken nie Probleme: Musik weckt Freude. Das wird als zweites Handgepäck durchgehen. Also gleich noch zwei Geschirrtücher in die Gitarrenhülle stopfen. Sodeli! So geht ein Lastesel fliegen.

    Endlich geht es los.
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  • Flug nach Teneriffa

    November 16, 2018 in Spain ⋅ 🌙 20 °C

    Helene bringt mich früh morgens zum Flughafen: Abflug mit Rolf Nussbaumer und Mike Zurbrügg um 7.00 Uhr ab Zürich. Aus dem Fenster der Edelweissair präsentiert sich mir beim Tagesanbruch eine traumhafte Szenerie mit Nebelmeer und Sonnenaufgang.

    Am Flughafen Teneriffa Süd mieten wir ein Auto an, beziehen das grosszügige AirBnB und gehen dann einkaufen: 3x volles Auto, 400 Liter Wasser; ganzer Nachmittag unterwegs.

    Zum Glück können wir von der Vermieterin noch die Gargage dazu haben, um die elend viele Ware im Parterre statt im 3. Stock (unser Appartement) zu lagern. Die frische Ware werden wir morgen einkaufen.
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  • Place of Rest kommt in Teneriffa an

    November 17, 2018 in Spain ⋅ ⛅ 21 °C

    Urs und Doris Berger mit Iwan Meier sind vor einer Woche in Malaga gestartet und kommen in den ersten Morgenstunden an: Wind 5 Beaufort aus Südwest. Doris wird heute das Schiff verlassen und in die Schweiz zurück fliegen.

    Wir haben noch genügend Zeit, die Schiffsladung mit dem Mietauto in mehreren Etappen zum Hafen zu bringen.

    Jetzt nach einem sehr regnerischen Morgen sind wir bereit, die "Place of Rest" zu beladen und Wasser in die Tanks zu füllen: 800 Liter.

    Auf dem Schiff ist es zuerst sehr gewöhnungsbedürftig, weil alles voll ist und niemand weiss, was wo untergebracht werden soll. Ich muss die Initiative übernehmen und die Riesenmengen an Proviant in alle erdenklichen freien Ecken verstauen. Damit habe ich nicht gerechnet. Dieser Augenblick zeigt sich im Nachhinein als einer der grössten Stressmomente des ganzen Törns.

    Auf dem Schiff sind jetzt alle Arbeiten ausgeführt: Wir haben die Tanks gefüllt; ich habe das Grosssegel gewechselt; Gummiboot, genannt Dinghi, richtig festgezurrt.
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  • Erste 24 Stunden auf See

    November 19, 2018, Nordatlantik ⋅ ⛅ 21 °C

    Wir kommen schnell voran mit Kurs Südwest, Windstärke 6-7. Die Wellen sind von Anfang an gross, so dass Mike und Rolf gleich seekrank werden. Das Thema wird Mike noch einige Tage beschäftigen, aber er ist zäh und weiss, wie er seine Befindlichkeit langsam aber stetig über Tage verbessern kann. Deshalb müssen die Wachen in den ersten beiden Nächten zu dritt augeteilt werden, je 4 Stunden alleine. Mir fallen regelmässig fast die Augen zu; die Zahlen auf dem Kompass verschwimmen.

    Iwan ist die gute Seele auf dem Schiff und macht sich in der Küche zu schaffen. Ich soll/möchte ihm dabei helfen, aber muss mich total überwinden, weil unter Deck mit dem Riesengeschaukel auch meine Verfassung leidet.

    Am Morgen sichten wir eine grosse Schule von Delphinen, die um unser Boot herum spielen. Gigantisch! Das ist übrigens exakt der Zeitpunkt, als Rolf aus der Seekrankheit wieder aufersteht.
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  • 3. Tag auf See: Dienstag 20. Nov.

    November 20, 2018, Nordatlantik ⋅ ⛅ 21 °C

    Wir haben eine gute Nacht hinter uns. Aber zum Teil gibt es Flaute, so dass wir zum ersten Mal mit Motor vorwärts fahren. Wir werden insgesamt 50 Stunden mit der normalen Tankfüllung motoren können (120 Liter), dann werden wir die mit ca. 80 Litern gefüllten Resevekanister nachschütten müssen.

    Ich stinke jetzt nach fast drei Tagen ohne Baden. Da es langsam vorwärts geht, schnalle ich mich mit dem Kletterbrustgurt an und lasse mich am Heck des Schiffes nachziehen. Die anderen machen es mir nach.

    Glücklicherweise sind wir jetzt alle gesund. Die Seekrankheit scheint überwunden zu sein.
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  • 4. Tag auf See: Mittwoch 21. Nov.

    November 21, 2018, Nordatlantik ⋅ ⛅ 21 °C

    Ich habe Wache von 6 Uhr bis 8 Uhr. Morgen wird Vollmond sein. Jetzt ist er untergegangen und gibt den uneingeschränkten Blick auf die funkelnden Sterne frei. Schier unglaublich: Volle 360 Grad Rundumsicht und 180 Grad Firmament über mir! Die Sterne werden unsere ständigen Begleiter auf der Reise sein. Mars und Venus sind jede Nacht sichtbar. Zu den mir bekannten Sternbildern Grosser Wagen und Orion gesellen sich Gemini, Kassiopeia, Andromeda und andere. Der Sirius im Grossen Hund ist nur wenig schwächer als der Morgenstern, die Venus.

    Mike hat für die Fischerei eine geeignete Rolle am Heckkorb montiert. Es geht tatsächlich nicht lange, bis ein Fisch beisst. Doch der Silk reisst. Muss ein Grosser gewesen sein! Schade, dann müssen wir heute beim Essen wohl ohne Fisch auskommen.

    Ganz natürlich ergeben sich beste Gespräche in der Runde über das, was wir mit Gott mit anderen Menschen erlebt haben. Lebensgeschichten öffnen sich. Es ist schön, von anderen zu lernen. Ich kann so meinen Alltag, den ich zurückgelassen habe, bestens reflektieren.

    Herrlicher Sonnenaufgang über den Meer! Rundherum fast keine Wolken!

    Mehrere Schildkröten gesichtet.
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  • 5. Tag auf See: Donnerstag 22. Nov.

    November 22, 2018, Nordatlantik ⋅ ☀️ 22 °C

    Spannende Nacht: Absolut glattes Wasser, da könnte selbst der Bodensee neidisch werden. Und das auf dem Atlantik! Wir fahren durch eine Regenfront mit kalter Dusche. Endlich kommt Wind auf. Aber Moment mal: Den Passat erwarten wir doch von Nordost. Jetzt bläst es uns von Süden entgegen. Noch kein Passat!

    Dann wieder Motoren, weil kein Wind vorhanden ist.

    Beim Morgenessen beisst der erste Fisch bei Mikes Angel an. Es ist eine prächtige Goldmakrele (Brasse, Dorade - all the same!), schön mit ihrer Schwanzflosse und der gelben Zeichnung, die aber an der Luft bald einem düsteren Grau weicht.

    Nach einer erneuten Regenfront kommt endlich der Passat auf. Wir werden mit 5.5 Knoten vorwärts geblasen. Am Abend sogar mit 6.8 Knoten. Das wird jetzt tagelang so anhalten, hoffentlich!

    Fisch und Wind sind also gleich zwei Gründe, heute Abend eine Flasche Wein so entkorken. Ja, bis jetzt war der Mannschaft auch gar nicht nach Feiern zumute Zu stark war jeder von den schwierigen Anpassungsprozessen auf See absorbiert. Das Fischen ist übrigens totales Teamwork: Mike fängt die meisten Fische; Rolf bringt sie zur Stecke, nimmt sie aus oder filetiert sie; Iwan giesst literweise Meerwasser mit der Pütz über das Cockpit, um alle Blut- und übrigen Fischspuren zu beseitigen. Und ich bereite den Fisch schmackhaft zu und zerlege ihn vor den Augen der Crew.

    Gemütliches Fischessen. Doch halt: Einer muss immer am Steuer stehen! Die Windsteuerungsanlage war ja leider in Malaga gebrochen, als ein Fischerboot die "Place of Rest" mitten in der Nacht angefahren hatte. Was für ein Schreck für Urs und Doris Berger: ein grosses Loch dicht über der Wasserlinie! Es folgte dann die Reparatur in der Werft, weshalb der Transatlantiktörn ab Teneriffa ja zehn Tage verschoben werden musste.

    Vor dem Eindunkeln nehme ich meine Reisegitarre hervor. 5 kernige Männerstimmen intonieren Lieder wie "Blowing in the winds", "How many roads" von Bob Dylan und "I am sailing" von Rod Stewart. Das alles bei Speed 6.4 mit raumem Passatwind und 2 bis 3 m Wellen! Kunststück, dass mich da ein Glas Wein anspringt und mich von oben bis unten besabbert.
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  • 6. Tag auf See: Freitag 23. Nov.

    November 23, 2018, Nordatlantik ⋅ 🌙 22 °C

    Heute wieder Körperhygiene bei 5 Knoten Fahrt achterlich auf der Brücke mit Eimer: Salzwasser und Sea-Shampoo müssen genügen. Zum wirklichen Eintauchen sind wir zu schnell.

    Ereignisloser, aber schöner Tag: Heute merke auch ich, dass wir in der unendlichen Weite ded Ozeans angekommen sind. Komisch, zum Horizont scheint es immer aufwärts zu gehen! Dieser Eindruck bleibt, solange wir kein Land sehen.

    Eine Stunde vor Sonnenuntergang beisst noch die zweite Goldmakrele an. Diese Art scheint den blauen Köder von Mike zu mögen (Williamson, Dorade Catcher). Der Fisch schmeckt aus dem Ofen wundervoll.

    Morgen ist mein Geburtstag. Ich werde ihn mit vier Stunden Wache in der Nacht beginnen. Irgendwie bin ich dankbar für diese ausserordentliche Erfahrung der Leere, aber auch der tiefen und guten Gemeinschaft unter Freunden.
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  • Geburtstag: Samstag 24. Nov.

    November 24, 2018, Nordatlantik ⋅ ☁️ 23 °C

    Ich schiebe in der Nacht Wache am Steuer. Leider ist der Himnel heute nicht sternenklar. Nur der Mond beleuchtet die Wolken effektvoll von hinten.

    Nach dem Ausschlafen die grosse Überraschung: Gleich zwei grosse Doraden haben angebissen, wahrscheinlich Männchen und Weibchen, denn der eine Fisch hat eine massige Stirn. Sieht ein bisschen wie ein Stier aus! 85 cm Länge sind nicht schlecht. Das gibt ordentlich viel zu essen für uns fünf, ein richtiges Geburtstagsfestessen!

    Heute feiere ich mich selber ein bisschen. Habe Ballone mitgenommen und peppe damit unser Achterdeck auf. Und für die Nacht habe ich Leuchtstäbchen mitgenommen, die mit ihren Neonfarben noch etwas Stimmung in die Tristesse der folgenden grauen Nacht bringen sollen.

    Übrigens stimmt es nicht, dass ich mich alleine feiern muss: Meine liebe Elena hat mir einen wunderbaren Geburtstagsbrief mitgegeben, den ich jetzt öffne. Mit im Gepäck ist auch ein Böxli von meinem Schatz mit einer allerliebsten Aufmuntetung für jeden Tag. Auch meine Kinder haben je etwas ganz Liebes in einem Brief geschrieben und mir verschlossen mitgegeben. Wie rührend, diese herzlichen Worte der innigen Verbundenheit zu lesen, die jetzt auf Distanz besonders nachhaltig wirken! Ich habe es gut: Ich bin nicht von zuhause geflohen, sondern werde nach dem Abenteuer wieder herzlich erwartet weden. Alle zuhause fiebern jetzt mit. Mit dem Iridium-Telefon können wir ab und zu Koordinaten und ganz knappe News nach Hause senden. Diese verbreiten sich auf diversen Chats wie ein Lauffeuer. Ein Freund zeichnet in der Heimat die Route ständig mit und teilt die Karte als Update mit unserer Community.
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  • 8. Tag auf See: Sonntag 25. Nov.

    November 25, 2018, Nordatlantik ⋅ ☁️ 24 °C

    Delphine springen. Das ist jedes Mal ein Fest. Sie schwimmen von weiter weg zum Schiff und wollen mit uns um die Wette rennen. Und um auf sich aufmerksam zu machen, springen sie dabei beim Herannahen ganz weit aus dem Wasser: Hallo, hier sind wir! Bitte alle herschauen! Dabei vergessen wir dann meist die Sicherheitsvorgaben und wechseln, ohne uns anzuleinen, auf das Vorschiff. Hm, nicht ganz wie es sein sollte! Da gibt es übrigens einen grossen Unterschied in unserer Männercrew im Vergleich zu eine gemischten Crew: Während dort die Frauen jetzt vor Entzücken kreischen würden, geht es bei uns hier mit Aahs und Oohs ganz gemässigt zu und her.

    Immer wieder landen in der Nacht fliegende Fische bei uns auf dem Deck, von ganz klein (wie Insekten) bis ca. 20 cm. Stinken tun sie alle. Nervig ist es, wenn sie gar durch den Niedergang im Salon landen und wir dann etwa in der Dunkelheit aus Versehen darauf tappen und ausrutschen. Was hat sich Gott bei der Erschaffung dieses Wesens gedacht: Weder Fisch noch Vogel!?

    Jetzt sind wir eine Woche auf See und ich merke, dass mir das ewige, heftige Geschaukel so richtig auf den Keks geht. Auch Schlafen ist eine Tortur, ständig wirft es mich von links nach rechts. Manchmal erreiche ich in einer Welle gefühlt fast den Zustand der Schwerelosigkeit. Aber irgendwann bin ich so müde, dass es trotzdem schläft. Und eingekeilt zwischen Reisetasche und Ersatzgenuasegel habe ich mich inzwischen auch. Ich kämpfe dafür, dass ich während der ganzen Reise in meiner Vorschiffskoje ein Ersatzsegel oder defektes Segel als Buddy neben mir haben darf. Gibt mir schön Halt.

    Draussen ändert sich an der Szenerie rein gar nichts, und das schon seit Tagen!

    Doch jetzt kommt eine große Schule von Delphinen und springt. Bereits haben wir 1000 Seemeilen im Kielwasser.
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  • 9. Tag auf See: Montag 26. Nov.

    November 26, 2018, Nordatlantik ⋅ ☀️ 24 °C

    Diese Nacht ist von Regenstörungen geprägt, darum nur stossweise Wind, um uns vorwärts zu tragen. Dann am Morgen ein herrlicher Regenbogen! Das Wachbleiben am Steuerstand fällt mir heute in der Morgenwache besonders schwer. Ich habe da mein ultimatives Mittel gegen das definitive Einschlafen oder den Sekundenschlaf entdeckt! Etwas peinlich, aber es hilft: Ich stehe am Steuerstand und verteidige mich 360 Grad gegen imaginäre Feinde. Ich forme meine rechte Hand zur Pistole und schiesse im explosiven Flüsterton, um die anderen nicht zu wecken: Peng, peng, peennggg! Dabei drehe ich mich immer wieder abrupt um meine Achse. Ha, ha, das weckt irgendwie die Lebensgeister durch die fingierte Kampfsituation...

    Und wieder sind drei Tage vergangen seit dem letzten Badetag - alles klebt mit Salz und Schweiss. Also heute wieder Bucket Shower! Hat sich so bei uns eingebürgert, und die ganze Crew, einer nach dem andern, muss da durch. Mittlerweile vertrage ich grössere Wellen, ohne gleich vom Heck abzustürzen. Und ich bin ja gesichert mit Brustgurt.

    Am Mittag bringt Skipper Urs den Sextanten an Deck und macht einen Versuch zur Bestimmung der Mittagsbreite. Ok, das würde im Notfall funktionieren, brauchen wir jedoch im Moment dank mehreren funktionierenden GPS-Geräten nicht.

    Heute erleben wir zum ersten Mal so richtig Passatsegeln vom Feinsten. Die grosse Genua haben wir ausgebaumt.
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  • 10. Tag auf See: Dienstag 27. Nov.

    November 27, 2018, Nordatlantik ⋅ ☀️ 24 °C

    Immer wieder gute Gespräche unter Männern im Cockpit: Ehe, Familie, Berufung, Glaube, Kirche usw.

    Mittlerweile habe ich für fast alles, was auf dem Schiff passiert, ob positiv oder negativ, ein Motto bereit: "Transatlantik? Wie Ferien, nur schöner!". Das bürgert sich in der Crew schnell ein und hilft, die emotionalen Spitzen abzufangen und einzuordnen. Die Stimmung in der Mannschaft ist top - gar nicht selbstverständlich!

    Erster kleiner Defekt: Die brandneue Reffleine der Genua-Rollanlage hat sich bei zu schnellem, unkontrollierten Einrollen dermassen verhaspelt, dass sie nur noch defekt geborgen werden kann. Die hundsalte Reffleine, die noch auf dem Schiff ist, muss nochmals ran.

    Heute ist wieder Fischtag: Pünktlich zum Nachtessen beissen gleich zwei Doraden an. Insgesamt sind es jetzt sechs. Und was für welche: Die grosse misst wieder exakt 85 cm. Leider ist die potentielle Nr. 7 Rolf von der Angel gegangen. Muss ebenfalls ein grosser Fisch gewesen sein, so hat das gezerrt. Erstaunlich, das die überhaupt bei über 6 kn Fahrt anbeissen. Wir werden aber schlauer, als wir nachlesen, dass Goldmakrelen kurzfristig bis 65 km/h schwimmen können. Da sind unsere 11 km/h ein Pappenstiel dagegen.

    Mittlerweile lechzen wir nach Fisch, denn die Alternative, Corned Beef, das wir zum ersten Mal probiert haben, schmeckt widerlich!
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  • 11. Tag auf See: Mittwoch 28. Nov.

    November 28, 2018, Nordatlantik ⋅ ☀️ 24 °C

    Nach einer glanzvollen Sternennacht segeln wir in den Morgen. Doch halt: Was zeigt sich da am Unterliek des Vorsegels? Die Nähte mit altersschwachem Faden gehen auf. Dabei hat doch Urs die Segel vor Abfahrt in Montenegro kontrollieren lassen. Da hat einer Geld eingenommen, ohne dafür wirklich etwas zu machen! Das muss unbedingt genäht werden. Die Morgenarbeit wird bestimmt von Schneiderarbeit (Urs) und Umstellen auf das Hauptsegel.

    Nach der provisorischen Flickerei können wir wieder mit Passatgenua vorwärts kommen, kreativ ausgebaumt by Urs. Mittlerweile hat nämlich auch der dafür normalerweise gebrauchte Spibaum seinen Geist aufgegeben: Der Gleitwagen auf der vertikalen Schiene am Hauptmast ist einfach entzwei gebrochen. Und der Baum hat zusätzlich die Vorschot beim Schothorn der Genua durchgescheuert. Also weg damit. Jetzt muss der Grossbaum zur Stabilisierung der Genua vor dem Wind herhalten. Ob das gut kommt?

    Ich koche und backe die grosse Dorade in Tranchen im Backofen. Die Leistung unseres Kühlschrankes nimmt dermassen ab, das jetzt der ganze Fisch auf einmal weg muss. Dazu gibt es Salzkartorffeln mit Meerwasser gekocht. Achtung: Das nächste Mal Meerwasser 1:1 mit Süsswasser verdünnen!

    Wir haben nun eindeutig zu viel Fisch gegessen. Morgen muss unsere Kost zur Abwechslung wieder mal fischfrei sein: Schonfrist für unsere Mägen und die lieben Fische im Meer!
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  • Halbzeit und Defekt: Donnerstag 29. Nov.

    November 29, 2018, Nordatlantik ⋅ ☀️ 25 °C

    In der Nacht, 2 Uhr, stellen wir fest, dass wir jetzt die Hälfte der geforderten Strecke gesegelt sind: 1400 sm! Sollen wir das als "schon" oder "erst" interpretieren?

    Ok, es sind auch wieder drei Tage her seit dem letzten Bucket Shower. Also wieder unters Wasser, ihr Männer, sonst stinkt es!

    Heute sind wir in einem absoluten Wechselbad der Gefühle: Da ist zunächst pure Begeisterung, wie wir vor dem Wind abfahren mit 6.8 Knoten im Durchschnitt; teils 7.4 über 1 Stunde. Da hilft sicher auch der umfunktionierte Grossbaum kräftig mit. Aber da kommt auch der krasse emotionale Einbruch am Abend: Das Genuafall reisst oben bei der Rolle am Masttop entzwei - die Genua kommt im Profil des Vorstags runter wie eine lose Hose ohne Hosenträger. Beim Bergen wird der Schock komplett: Bei Starkwind verklemmt das Vorliek im Profil und wird von den Böen förmlich in einzelne Bahnen zerlegt. Alles kaputt!

    Ein Wunder, dass wir die Segeltuchresten noch auf Deck bringen. Ob man aus diesem Puzzle überhaupt je wieder ein Segel wird machen können? Wir sind total betreten und setzen die Fahrt einstweilen unter Gross fort. Ja, Hauptsache: Keiner von uns ist bei der stürmischen Aktion über Bord gegangen. Und Skipper Urs macht mächtig Eindruck mit seiner Haltung, nicht beim eben Geschehenen stehen zu bleiben, sondern gleich wieder die Gedanken nach vorne zu richten. Wir wissen uns als Crew in der Hand Gottes und so singen wir vor dem Einnachten den Umständen zum Trotz ein paar fröhliche Anbetungslieder.

    Übrigens haben wir heute unseren bisherigen Rekord für 24 Stunden geknackt mit einem Etmal von 155 sm. Und wir haben unsere erste Kokosnuss aus dem Proviant geknackt. Die müssen noch weg, denn Kokosnüsse nach Martinique zu bringen wäre wie Eulen nach Athen zu tragen!
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  • 13. Tag auf See: Freitag 30. Nov.

    November 30, 2018, Nordatlantik ⋅ ☀️ 24 °C

    Noch 1200 sm liegen vor uns; bei der grossen Materialbelastung noch ein grosses Stück Weg. Der Gedanke an die völlige Einsamkeit in einem Notfall in der Mitte des Atlantiks nötigt uns einigen Respekt ab.

    In der letzten Nacht hatten wir ein übles Zwischenspiel in meiner Wache mit einer Gewitterfront und kurzen, heftigen Windspitzen. Einfach früher reffen, nämlich dann, wenn man ans Reffen denkt. Aber jetzt hat eben niemand dran gedacht! Es kam so schnell in der Dunkelheit. Und ehrlich gesagt sind wir ziemlich auf Blindflug, denn nach Teneriffa stand uns kein aktualisierter Wetterbericht mehr zur Verfügung. Seit mehreren Tagen können wir uns eigentlich nur noch auf die eigenen Wetterbeobachtungen verlassen. Was wird uns da noch begegnen?

    Jetzt, wo es hell wird im Morgengrauen, wird ein neuer Schaden sichtbar: Diesmal betrifft es das Gross, das nahe beim Achterliek auf Höhe der 2. Saling einen Riss aufweist. Also: Auch dieses Segel ist altersschwach, oh jeh! Zum Schutz rollen wir es gleich so weit ein, bis die schadhafte Stelle im Mast verschwindet. Jetzt haben wir einzig mit dem gerefften Gross trotz des konstant guten Passatwindes nicht mehr viel Vortrieb.

    Die zweite Hälfte des Törns fängt sehr beschwerlich an; ein Wunder, dass die Stimmung an Bord nicht kippt.

    Beobachtung zwischendurch: Die Bärte wachsen zusehends! Es wird darüber spekuliert, welche wohl den Segeltörn überleben werden. Die Frauen haben da bestimmt auch noch ein Wörtchen mitzureden.

    Vor dem Einnachten setzen wir erfolgreich die neue/alte Genua. Klappt ganz gut bei mässig Wind in der Abdeckung durch das gereffte Gross. Dass oben am Vorstag etwas nicht in der Ordnung zu sein scheint, ignorieren wir bewusst. Wir brauchen unbedingt einen Zwischenerfolg!

    Zur Gratulation nach scheinbar erfolgreicher Mission taucht eine grosse Schule von Delphinen auf: Episch! Dankbarkeit verströmt sich!
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  • 14. Tag auf See: Samstag 1. Dez.

    December 1, 2018, Nordatlantik ⋅ ☀️ 26 °C

    Schön, dass es in dieser Nacht mit der frisch gesetzten Genua wieder flott lief.

    05:15 UTC bin ich auf Wache und schreibe ein Geburtstags-SMS an Helene und Andrea per Iridium-Satellitentelefon. Ich vermisse Helene, ich vermisse meine Family. Gleichzeitig möchte ich nirgendwo anders sein als hier auf dem Atlantik. Das Abenteuer fesselt mich.

    Abend: Schaden am Vorstag entdeckt! Das also war das vage Unbehagen gestern Abend, nachdem wir die Genua gesetzt hatten. Wir wollten einfach nicht genauer hinsehen: Ein verdickter Flick im Vorderliek hat offensichtlich die Profilstangen im obersten Fünftel der Rollanlage auseinander gestossen. Auch hier Materialermüdung! Unsere zweite und letzte Genua ist jetzt in diesem Bereich auch schon kräftig angerissen. Ein Wunder, dass durch die Scherkräfte der gebrochenen Profilstange das Vorstag selber noch hält. Dieses gilt es jetzt zu schonen. Schnell die Genua ganz einrollen, damit sie sozusagen einen Schutzmantel um das Vorstag bildet. In Kombination mit den losen Wanten haben wir jetzt eine enorm kritische Situation erreicht, bei der im Sturm oder bei einer Patenthalse der ganz Mast von oben kommen könnte.

    Das ist jetzt also unsere Besegelung für die restlichen 1000 sm: ein gerefftes Gross - gerefft, da dieses ja einen Schaden in der Höhe der zweiten Saling aufweist. Das ist alles andere als eine Passatbesegelung, wo möglichst viel Tuch lose vor den Wind gehängt werden sollte. Wenn das nur gut kommt?!
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  • 15. Tag auf See: Sonntag 2. Dez.

    December 2, 2018, Nordatlantik ⋅ ⛅ 26 °C

    Wir haben als Crew den gefühlt zwanzigsten Kaffee oder Tee auf Deck oder in der Kombüse verschüttet. Nicht mehr aufregen - das ist die Normalität bei diesem 3-4 m Wellengang. Wenn wieder mal eine Welle statt schön von hinten quer einsteigt, sind Rudergänger und Servierpersonal machtlos. Wir brauchen Haushaltspapier am Laufmeter und stören uns auch nicht mehr an den vielen Kleckerspuren überall im Cockpit. Die nächste Welle, die überkommt, wird das meiste der Verunreinigungen wieder ausspülen. Und in der Küche? Da schält man die Kartoffeln gleich am besten auf dem Boden sitzend, denn dann können sie nicht mehr weiter fallen. Jetzt sind solche und ähnliche Improvisationen dran, um vom Geschüttel auf die Dauer nicht zermürbt zu werden. Nachdem sich unsere Körper an den Seegang gewöhnt haben, ist jetzt noch die Psyche dran: "Ja, ich will diese Wellen und lehne mich nicht dagegen auf".

    Was mich erstaunt: Die guten Gespräche an Bord nehmen nicht ab. Statt Langeweile stossen wir in den langen Nächten auf Deck immer wieder auf neue Themen, über die es sich zu reden lohnt: Reisen, Leiterschaft, persönliche Entwicklung, Lebenswünsche und -ängste, Kinderlosigkeit, Sex.

    Iwan bäckt das erste Brot im Schiffsbackofen. Gar nicht so einfach, da das Gasteil nur Unterhitze hergibt. Auf diesen Moment haben wir gewartet, damit endlich meine von der Schweiz mitgebrachte Fonduemischung verköstigt werden kann! Oder beisst kurz vor dem geplanten Essen doch noch ein Fisch an? Nein, es kann losgehen... Fondue schmeckt extrem gut mitten im Atlantik!

    Wir kommen heute trotz enorm bewegter See und minimaler Besegelung erstaunlich gut vorwärts: Nur mit gerefftem Gross ganze 5.2 kn. Hoffnung keimt, dass wir es doch in vernünftiger Zeit (sprich: unter 25 Tagen) nach Martinique schaffen werden.
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  • 2000 sm hinter uns: Montag 3. Dez.

    December 3, 2018, Nordatlantik ⋅ ☀️ 26 °C

    Heute geht die Post ab bei 6 bis 7 Beauforts - Wellen bis 3 m. Wir kommen gut voran. Teilweise steigen Wellen seitwärts, mehrere sogar von hinten ein. Nasse Füsse und von Salzwasser beschlagene Sonnenbrillen sind kein Problem. Wir fliegen.

    Wieder Gespräche über Identität, Sensibilität und Berufung. Wird uns der Gesprächsstoff denn nie ausgehen? Zugegeben, wir haben noch etwas nachgeholfen und den Wachplan umgestellt, um neue Zweierteams zu bilden. Gute Gespräche halten in den langen Nachtstunden wach am Steuer und sind zudem für jeden eine absolute Bereicherung, auch für die Zeit nach dem Törn.

    Ja, wir haben mittlerweile mit der Monotonie zu kämpfen. Es gibt kaum mehr eine Aktion auf dem Schiff, die nicht irgendwo in der ungeschriebenen Tagesroutine schon x-mal vorgekommen ist. Und ständig grüsst das Murmeltier... z.B. beim Herrichten des Morgenessens: Cockpittisch ausklappen, Antirutschmätteli (übrigens Gold wert) ausbreiten, Tassen verteilen, die jeder gleich festhalten muss. So ganz gleich ist es bei näherem Hinsehen mit dem Morgenessen dann doch nicht: Es wird immer später, bis wir frühstücken, denn wir haben unsere UTC- Zeit von Teneriffa auf dem Schiff festgehalten. Nur die Sonne will sich nicht dran halten und steht im Westen immer später auf. Aktuelle Frühstückszeit, wenn die ganze Crew freiwillig auf Decknerscheint und niemand mehr nachschlafen muss, ist 11.15 Uhr.

    Die wichtigen Zahlen heute:
    > 2000 sm erreicht
    > noch 800 sm to go

    Am Abend wieder ein herrliches Spiel von Delphinen.
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  • 17. Tag auf See: Dienstag 4. Dez.

    December 4, 2018, Nordatlantik ⋅ ⛅ 25 °C

    Es hängt jetzt wirklich an: Jede weitere Nacht und das ewige Geschaukel. Teller und Tassen lassen sich kaum aufrecht halten. An Schlaf war diese Nacht mit dem diffusen, hohen Wellengang und zu viel Kaffee nicht zu denken. Dafür enschädigt der Nachthimmel alles, was ich an Entbehrungen auf mich nehmen muss. Während wir in Teneriffa fast bei Vollmond gestartet sind, hat sich sein Aufgang im Osten immer mehr verzögert. Dort hat er noch fast pünktlich bei Sonnenuntergang seinen Lauf gestartet. Jetzt wird er immer mehr zur Sichel und verspätet sich mit jedem Tag. Das wenige, das vom Mond noch zu sehen ist, kommt jetzt erst gegen den Morgen über den Horizont. Dafür hat er während der Nachtstunden den Sternen nicht die Show gestohlen. So weiss ist die Milchstrasse, dass man ihr unmöglich einen anderen Namen hätte geben können.

    Damit es flotter vorwärts geht, setzen wir jetzt zusätzlich zum gerefften Gross am Hilfsfall die auf dem Schiff vorrätige Sturmfock. "All dies sagte das Mäuschen, als es sich in den See erleichterte."

    Beim Einnachten sichtet Mike zwei Wolken-Häsli am Himmel, dabei ist doch bald Weihnachten und nicht Ostern...
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  • 18. Tag auf See: Mittwoch 5. Dez.

    December 5, 2018, Nordatlantik ⋅ ⛅ 26 °C

    Kurz nach Tagesanbruch sichte ich einen eindrücklichen Regenbogen, obwohl weit und breit kein Regen auszumachen ist. Die Luft muss hier so mit Feuchtigkeit gesättigt sein, dass es trotzdem zur Refraktion des weissen Sonnenlichts kommt.

    Iwan verwöhnt uns mit dem dritten Brot, immer wieder eine neue Variante, heute mit Bier im Teig.

    Gespräche über unser Ziel Martinique und den hoffentlich nicht mehr allzu weit vor uns liegende Landfall nehmen zu.

    Heute ist es schwachwindig und es ist ein echtes Dilemma zu entscheiden, was wir bei all den kaputten Segeln noch auffahren können, ohne das geschwächte Rigg noch vollends zu gefährden. Vor dem Nachtessen entscheiden wir uns dann, das Grossegel zu wechseln. Auch hier soll das ganz alte zum Zug kommen. Das muss irgenwie robuster sein und das auszuwechelnde leichte hat ja einen Schlitz auf der Höhe der zweiten Saling, so dass wir es schon seit Tagen nicht mehr voll ausgerollt brauchen konnten. Heute muss aber genau dies wieder möglich sein! Just beim Wechseln setzen ein Gewitterregen und stärkere Böen ein, so dass es richtig anstrengend wird. Das Tuch knattert ohrenbetäubend im Wind, bis wir es endlich dicht nehmen können. Bei solchen Aktionen sind alle fünf Crewmitglieder im Einsatz: zwei am Mast, einer bei der Winsch, einer am Steuer und einer als Libero. Zum Glück fällt keiner über Bord.

    Ich koche für die Mannschaft wie fast jeden zweiten Abend. Wird sehr geschätzt. Und ich schätze, dass Iwan noch aktiver und gewandter ist in der Küche als ich.

    Ein Segelschiff am Horizint auf ca. 3.5 sm Distanz: Was? Es ist erst das vierte, das wir seit 18 Tagen sichten.
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  • 19. Tag auf See: Donnerstag 6. Dez.

    December 6, 2018, Nordatlantik ⋅ ⛅ 25 °C

    Endlich Morgengrauen nach einem heftigen Hack. Im Dunkeln ging alles so schnell: Plötzlich zog eine Sturmfront mit 7 Bft auf. Jemand aus der Crew fuhr eine Patenthalse. Ohh, das darf eigentlich gar nicht sein bei unseren losen Wanten: höchst gefährlich! Gott sei Dank hielt die nach vorne gespannte Bullentalje das Schlimmste auf. Sie gab zwar nach, da ihr Block vorne einfach aus dem Deck geschränzt wurde. Dann aber gab es noch einen kleinen, sekundären Halt. So schlug der Baum nur mit voller Wucht knapp über die Schiffsmiite und nicht vollends durch bis in die gegenüber liegenden Wanten. Ich wurde im schlimmsten Moment geweckt und musste sofort ran auf Deck, um einzugreifen. Kurbeln was das Zeug hält mit so viel Druck: Da geht der Puls ordentlich hoch. Und in 10 Sekunden bin ich bis auf die Unterhosen durchnässt. Dieser Passatregen ist wie ein total intensiver Spray!

    Heute ist Chlaustag, wiklich? Bei 25 Grad Lufttemperatur haben wir da ein kleines Problem mit unserer Vorstellung. Aber einen entscheidenden Vorteil haben wir: Unser Skipper Urs trägt das ganze Jahr über Samichlausbart. Heute entrollt sich sogar spontan das rote Bimini des Schiffes, so dass unser Chlaus perfekt aussieht mit roter Kutte!

    Jetzt wird klar, dass uns die stürmische Nacht doch einen ordentlichen Schaden beschert hat: Die Reffleine der Gross-Rollanlage ist fast durchgerissen; muss bei gefiertem Gross an einer scharfen Kante in der Mastdurchführung vorbei, und der Kantenschutz hat unbemerkt Reissaus genommen. Urs und ich reparieren einen halben Tag lang. Nach vier Stunden ist die Geduldsarbeit mit den zu legenden Windungen an der Spindel im Mast geschafft. Dankbar!

    Immer wieder kommen wir an goldfarbenen, schwimmenden Pflanzenteppichen vorbei. Es muss einen Hydrophytenart sein, die ohne Verwurzelung auskommt und sich treiben lässt. Die Teppiche werden nach Westen hin immer grösser. Rolf, unser Phytospezialist kann keine Bestimmung vornehmen, aber probiert muss werden. Schmeckt salzig, wen wundert's.

    Zum Essen gibt es heute Fische Nr. 7 und 8: So fein! Es scheint wieder eine Makrelenart (Brasse) zu sein. Sie sind aber deutlich kleiner als die bisherigen Goldbrassen. Und mit ihren herzigen Glubschaugen wären sie in jedem Kinderspielzimmer ein Augenfang. Wir essen sie trotzdem.
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  • 20. Tag auf See: Freitag 7. Dez.

    December 7, 2018, Nordatlantik ⋅ ☀️ 27 °C

    Was für ein bezaubernder Sternenhimmel war dies wieder in der Nacht: 360 Grad Sicht und die 3 bis 5 Sternschnuppen, die schon bald zur Gewohnheit geworden sind. Nach einer sehr gemächlichen Fahrt durch die Nacht geht es am Tag ebenso gemächlich weiter. Jetzt ist sogar eine Kombination von Segel- und Motortrieb möglich, da wir mit nur noch 300 sm bis Martinique rechnen und unsere Dieselvorräte halten sollten.

    Am Nachmittag taucht fröhlich eine ganze Schule von Delphinen auf: Lassen sich heute bestens fotografieren und filmen.

    Ich mache Kartoffelsalat für die Mannschaft. Es sind fast unsere letzten frischen Reserven. Spannend, wir mir das Rezept sozusagen Schritt für Schritt in den Sinn kommt. Jetzt muss es einfach gelingen. Zuhause macht dies eher Helene: Geschwellte Kartoffeln im Dampfkochtopf (auf der Place of Rest vorhanden) - 8 min sind das doch, oder? Bouillon darüber leeren usw.

    Am Abend freuen wir uns wieder mal am Gesang aus vollen Männerkehlen. Hier draussen auf dem Atlantik Gott für seine grossen Taten zu loben, tut einfach gut. Und wir wissen uns von Gott getragen in all den Schwierigkeiten, die wir zu bewältigen haben. Er hat uns vor Schlimmerem bewahrt!
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  • 21. Tag auf See: Samstag 8. Dez.

    December 8, 2018, Nordatlantik ⋅ ☀️ 26 °C

    Heute haben wir zur Abwechslung wieder richtig viel Speed, jetzt sogar mit Schmetterlingsegeln platt vor dem Wind: Martinique, wir kommen!

    Heute haben unsere beiden Fischer den ganzen Tag über erfolglos ihre Köder gebadet. Die vielen Bisse der vergangenen Tage sind offensichtlich nicht selbstverständlich!

    In Richtung Antillen nimmt der Verkehr offensichtlich zu - wenn man da überhaupt schon von Verkehr reden kann: Heute allein haben wir so viele Schiffe gesichtet wie vorher fast auf der ganzen Reise, nämlich drei.

    Wir essen sogar am zweitletzten Tag auf See noch frisch: wunderbar zubereitete Kürbisspeise von Iwan. Der Butternut-Kürbis hat sich in der Wärme wirklich gut gehalten, aber markiert jetzt das ultimative Ende unserer Frischreserven.

    Dann wieder mal Filmabend ab meinem Sony-Tablet: "Nichts zu verzollen". Schliesslich landen wir ja im Falle von Martinique tatsächlich in Frankreich. Da kann der amüsante Film über die "Franzaken" zur Einstimmung nicht schaden.
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  • Letzter Tag auf See: Sonntag 9. Dez.

    December 9, 2018, Caribbean Sea ⋅ 🌬 26 °C

    Heute Abend werden wir Martinique erreichen, juhui! Kaum zu glauben. Wie sich das anfühlen wird, nach 22 Tagen zum ersten Mal wieder Land zu sehen?

    Die Nacht war ruhig mit leidlich guter Fahrt. Jetzt am Morgen geht es erst richtig los mit halbem Wind und 7 Bft. Wir schrammen an einer Regenzelle vorbei und nehmen ungerefft allen Speed mit, den wir abholen können. 8 Knoten kurzzeitig sind nicht schlecht.

    Möglicherweise zum letzten Mal auf dem freien Wasser sehen wir einen eindrücklichen Regenbogen.

    Die gute Fahrt hält den ganzen Tag über an. Da kommen wir so richtig ins Loben und singen, begleitet von meiner Gitallele, ein Worshiplied nach dem andern. Damit ist nicht genug: Delphine stimmen mit uns ins Lob Gottes ein - grandios!

    "Laaand in Siiicht!!! 35 sm entfernt hat Skipper Urs den 1400 Meter hohen Vulkan Mount Pelée entdeckt. Was für eine Euphorie! Tatsächlich, wir haben unser Ziel, Martinique, direkt vor Augen. Bis jetzt waren GPS und Kompass unsere Hilfsmittel auf die wir uns verlassen mussten, auch wenn wir mit unseren Augen überhaupt keine Veränderung feststellen konnten. Wir fuhren im Glauben, jetzt können wir schauen!
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  • 23. Tag Landfall: Montag 10. Dez.

    December 10, 2018 in Martinique ⋅ ⛅ 25 °C

    Es reichte am Vorabend wegen der früh einsetzenden Dunkelheit nicht mehr, den nächsten Hafen am südlichen Ende von Martinique, Port de Plaisance bei Le Marin, anzusteuern. So ankerten wir vor der "Grande Anse des Salines" Bucht, der längsten oder schönsten Bucht der Insel, wie man uns gleich an Land erklären wird. Doch die Nacht war extrem unruhig mit mächtigen Böen und Schwell, der uns zum letzten Mal nochmals kräftig durchschüttelte. Ja, der Anker war gleich nach dem Setzen noch 35 m geslippt, hielt dann aber die ganze Nacht über an seiner neuen, selbst gewählten Position durch.

    Jetzt haben wir m Port de Plaisance in Le Marin einklariert. Wow, wir haben es geschafft und nach 22 Tagen wieder festen Boden unter den Füssen. Ein grosses Glücksgefühl und viel Dankbarkeit umgeben die Crew während dem ganzen Tag. Die anfallenden Arbeiten wie Segel bergen, Wäsche waschen usw. gehen irgendwie unsortiert mit viel Gemächlichkeit von statten.

    Am Folgetag inspiziert ein Fachmann der Werft die "Place of Rest" und beurteilt das stehende Gut. "You lucky man" sagt er dreimal hintereinander zu Skipper Urs. Dass der Mast mit dem schlechten Zustand von Wanten (die Salinge lassen sich nach vorne und hinten fast wie Flügel bewegen) und Stagen nicht von oben gekommen ist, nehmen wir als Wunder Gottes dankbar entgegen: We are lucky men! Geschafft!
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    Trip end
    December 10, 2018