Transatlantik 2018

November - December 2018
22 Tage ereignisreiche Monotonie: Ich habe es überstanden. Aber nicht nur das. Das Erlebnis der engen Gemeinschaft mit vier Freunden und das unmittelbare Ausgesetztsein an die Kräfte der Natur hat mich extrem beschenkt. Read more
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  • Was nehme ich alles mit?

    November 15, 2018 in Switzerland ⋅ 🌧 5 °C

    Das habe ich noch nie gemacht: Packen für 3 oder 4 Wochen - keine Ahnung - ohne Möglichkeit, etwas nachzukaufen. Und auf dem Schiff herrscht sowieso Murphys Law: "Das viele, das du dabei hast, brauchst du nicht. Und was du brauchst, hast du nicht dabei, selbst wenn du 50 kg gepackt hast." Die Gewichtslimite auf dem Flug ist bei 23 kg. Gut so. Abspecken, abspecken, abspecken. 23 kg erreicht und ich frage mich, ob die "Place of Rest" mein ganzes Material aufnimmt?! Und das der anderen?

    Tja, mein Handgepäck ist - sagen wir mal - kreativ: Aussen an die Mappe binde ich mit Spanngurte Schlafsack, Schlafmätteli und Klettergschirr. Und ja, meine Seglerjacke ziehe ich an, die Taschen vollgepackt! Und die Reisegitarre kommt auch noch mit. Da gab es bisher beim Einchecken nie Probleme: Musik weckt Freude. Das wird als zweites Handgepäck durchgehen. Also gleich noch zwei Geschirrtücher in die Gitarrenhülle stopfen. Sodeli! So geht ein Lastesel fliegen.

    Endlich geht es los.
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  • Day 1

    Flug nach Teneriffa

    November 16, 2018 in Spain ⋅ 🌙 20 °C

    Helene bringt mich früh morgens zum Flughafen: Abflug mit Rolf Nussbaumer und Mike Zurbrügg um 7.00 Uhr ab Zürich. Aus dem Fenster der Edelweissair präsentiert sich mir beim Tagesanbruch eine traumhafte Szenerie mit Nebelmeer und Sonnenaufgang.

    Am Flughafen Teneriffa Süd mieten wir ein Auto an, beziehen das grosszügige AirBnB und gehen dann einkaufen: 3x volles Auto, 400 Liter Wasser; ganzer Nachmittag unterwegs.

    Zum Glück können wir von der Vermieterin noch die Gargage dazu haben, um die elend viele Ware im Parterre statt im 3. Stock (unser Appartement) zu lagern. Die frische Ware werden wir morgen einkaufen.
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  • Day 2

    Place of Rest kommt in Teneriffa an

    November 17, 2018 in Spain ⋅ ⛅ 21 °C

    Urs und Doris Berger mit Iwan Meier sind vor einer Woche in Malaga gestartet und kommen in den ersten Morgenstunden an: Wind 5 Beaufort aus Südwest. Doris wird heute das Schiff verlassen und in die Schweiz zurück fliegen.

    Wir haben noch genügend Zeit, die Schiffsladung mit dem Mietauto in mehreren Etappen zum Hafen zu bringen.

    Jetzt nach einem sehr regnerischen Morgen sind wir bereit, die "Place of Rest" zu beladen und Wasser in die Tanks zu füllen: 800 Liter.

    Auf dem Schiff ist es zuerst sehr gewöhnungsbedürftig, weil alles voll ist und niemand weiss, was wo untergebracht werden soll. Ich muss die Initiative übernehmen und die Riesenmengen an Proviant in alle erdenklichen freien Ecken verstauen. Damit habe ich nicht gerechnet. Dieser Augenblick zeigt sich im Nachhinein als einer der grössten Stressmomente des ganzen Törns.

    Auf dem Schiff sind jetzt alle Arbeiten ausgeführt: Wir haben die Tanks gefüllt; ich habe das Grosssegel gewechselt; Gummiboot, genannt Dinghi, richtig festgezurrt.
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  • Day 4

    Erste 24 Stunden auf See

    November 19, 2018, North Atlantic Ocean ⋅ ⛅ 21 °C

    Wir kommen schnell voran mit Kurs Südwest, Windstärke 6-7. Die Wellen sind von Anfang an gross, so dass Mike und Rolf gleich seekrank werden. Das Thema wird Mike noch einige Tage beschäftigen, aber er ist zäh und weiss, wie er seine Befindlichkeit langsam aber stetig über Tage verbessern kann. Deshalb müssen die Wachen in den ersten beiden Nächten zu dritt augeteilt werden, je 4 Stunden alleine. Mir fallen regelmässig fast die Augen zu; die Zahlen auf dem Kompass verschwimmen.

    Iwan ist die gute Seele auf dem Schiff und macht sich in der Küche zu schaffen. Ich soll/möchte ihm dabei helfen, aber muss mich total überwinden, weil unter Deck mit dem Riesengeschaukel auch meine Verfassung leidet.

    Am Morgen sichten wir eine grosse Schule von Delphinen, die um unser Boot herum spielen. Gigantisch! Das ist übrigens exakt der Zeitpunkt, als Rolf aus der Seekrankheit wieder aufersteht.
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  • Day 5

    3. Tag auf See: Dienstag 20. Nov.

    November 20, 2018, North Atlantic Ocean ⋅ ⛅ 21 °C

    Wir haben eine gute Nacht hinter uns. Aber zum Teil gibt es Flaute, so dass wir zum ersten Mal mit Motor vorwärts fahren. Wir werden insgesamt 50 Stunden mit der normalen Tankfüllung motoren können (120 Liter), dann werden wir die mit ca. 80 Litern gefüllten Resevekanister nachschütten müssen.

    Ich stinke jetzt nach fast drei Tagen ohne Baden. Da es langsam vorwärts geht, schnalle ich mich mit dem Kletterbrustgurt an und lasse mich am Heck des Schiffes nachziehen. Die anderen machen es mir nach.

    Glücklicherweise sind wir jetzt alle gesund. Die Seekrankheit scheint überwunden zu sein.
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  • Day 6

    4. Tag auf See: Mittwoch 21. Nov.

    November 21, 2018, North Atlantic Ocean ⋅ ⛅ 21 °C

    Ich habe Wache von 6 Uhr bis 8 Uhr. Morgen wird Vollmond sein. Jetzt ist er untergegangen und gibt den uneingeschränkten Blick auf die funkelnden Sterne frei. Schier unglaublich: Volle 360 Grad Rundumsicht und 180 Grad Firmament über mir! Die Sterne werden unsere ständigen Begleiter auf der Reise sein. Mars und Venus sind jede Nacht sichtbar. Zu den mir bekannten Sternbildern Grosser Wagen und Orion gesellen sich Gemini, Kassiopeia, Andromeda und andere. Der Sirius im Grossen Hund ist nur wenig schwächer als der Morgenstern, die Venus.

    Mike hat für die Fischerei eine geeignete Rolle am Heckkorb montiert. Es geht tatsächlich nicht lange, bis ein Fisch beisst. Doch der Silk reisst. Muss ein Grosser gewesen sein! Schade, dann müssen wir heute beim Essen wohl ohne Fisch auskommen.

    Ganz natürlich ergeben sich beste Gespräche in der Runde über das, was wir mit Gott mit anderen Menschen erlebt haben. Lebensgeschichten öffnen sich. Es ist schön, von anderen zu lernen. Ich kann so meinen Alltag, den ich zurückgelassen habe, bestens reflektieren.

    Herrlicher Sonnenaufgang über den Meer! Rundherum fast keine Wolken!

    Mehrere Schildkröten gesichtet.
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  • Day 7

    5. Tag auf See: Donnerstag 22. Nov.

    November 22, 2018, North Atlantic Ocean ⋅ ☀️ 22 °C

    Spannende Nacht: Absolut glattes Wasser, da könnte selbst der Bodensee neidisch werden. Und das auf dem Atlantik! Wir fahren durch eine Regenfront mit kalter Dusche. Endlich kommt Wind auf. Aber Moment mal: Den Passat erwarten wir doch von Nordost. Jetzt bläst es uns von Süden entgegen. Noch kein Passat!

    Dann wieder Motoren, weil kein Wind vorhanden ist.

    Beim Morgenessen beisst der erste Fisch bei Mikes Angel an. Es ist eine prächtige Goldmakrele (Brasse, Dorade - all the same!), schön mit ihrer Schwanzflosse und der gelben Zeichnung, die aber an der Luft bald einem düsteren Grau weicht.

    Nach einer erneuten Regenfront kommt endlich der Passat auf. Wir werden mit 5.5 Knoten vorwärts geblasen. Am Abend sogar mit 6.8 Knoten. Das wird jetzt tagelang so anhalten, hoffentlich!

    Fisch und Wind sind also gleich zwei Gründe, heute Abend eine Flasche Wein so entkorken. Ja, bis jetzt war der Mannschaft auch gar nicht nach Feiern zumute Zu stark war jeder von den schwierigen Anpassungsprozessen auf See absorbiert. Das Fischen ist übrigens totales Teamwork: Mike fängt die meisten Fische; Rolf bringt sie zur Stecke, nimmt sie aus oder filetiert sie; Iwan giesst literweise Meerwasser mit der Pütz über das Cockpit, um alle Blut- und übrigen Fischspuren zu beseitigen. Und ich bereite den Fisch schmackhaft zu und zerlege ihn vor den Augen der Crew.

    Gemütliches Fischessen. Doch halt: Einer muss immer am Steuer stehen! Die Windsteuerungsanlage war ja leider in Malaga gebrochen, als ein Fischerboot die "Place of Rest" mitten in der Nacht angefahren hatte. Was für ein Schreck für Urs und Doris Berger: ein grosses Loch dicht über der Wasserlinie! Es folgte dann die Reparatur in der Werft, weshalb der Transatlantiktörn ab Teneriffa ja zehn Tage verschoben werden musste.

    Vor dem Eindunkeln nehme ich meine Reisegitarre hervor. 5 kernige Männerstimmen intonieren Lieder wie "Blowing in the winds", "How many roads" von Bob Dylan und "I am sailing" von Rod Stewart. Das alles bei Speed 6.4 mit raumem Passatwind und 2 bis 3 m Wellen! Kunststück, dass mich da ein Glas Wein anspringt und mich von oben bis unten besabbert.
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  • Day 8

    6. Tag auf See: Freitag 23. Nov.

    November 23, 2018, North Atlantic Ocean ⋅ 🌙 22 °C

    Heute wieder Körperhygiene bei 5 Knoten Fahrt achterlich auf der Brücke mit Eimer: Salzwasser und Sea-Shampoo müssen genügen. Zum wirklichen Eintauchen sind wir zu schnell.

    Ereignisloser, aber schöner Tag: Heute merke auch ich, dass wir in der unendlichen Weite ded Ozeans angekommen sind. Komisch, zum Horizont scheint es immer aufwärts zu gehen! Dieser Eindruck bleibt, solange wir kein Land sehen.

    Eine Stunde vor Sonnenuntergang beisst noch die zweite Goldmakrele an. Diese Art scheint den blauen Köder von Mike zu mögen (Williamson, Dorade Catcher). Der Fisch schmeckt aus dem Ofen wundervoll.

    Morgen ist mein Geburtstag. Ich werde ihn mit vier Stunden Wache in der Nacht beginnen. Irgendwie bin ich dankbar für diese ausserordentliche Erfahrung der Leere, aber auch der tiefen und guten Gemeinschaft unter Freunden.
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  • Day 9

    Geburtstag: Samstag 24. Nov.

    November 24, 2018, North Atlantic Ocean ⋅ ☁️ 23 °C

    Ich schiebe in der Nacht Wache am Steuer. Leider ist der Himnel heute nicht sternenklar. Nur der Mond beleuchtet die Wolken effektvoll von hinten.

    Nach dem Ausschlafen die grosse Überraschung: Gleich zwei grosse Doraden haben angebissen, wahrscheinlich Männchen und Weibchen, denn der eine Fisch hat eine massige Stirn. Sieht ein bisschen wie ein Stier aus! 85 cm Länge sind nicht schlecht. Das gibt ordentlich viel zu essen für uns fünf, ein richtiges Geburtstagsfestessen!

    Heute feiere ich mich selber ein bisschen. Habe Ballone mitgenommen und peppe damit unser Achterdeck auf. Und für die Nacht habe ich Leuchtstäbchen mitgenommen, die mit ihren Neonfarben noch etwas Stimmung in die Tristesse der folgenden grauen Nacht bringen sollen.

    Übrigens stimmt es nicht, dass ich mich alleine feiern muss: Meine liebe Elena hat mir einen wunderbaren Geburtstagsbrief mitgegeben, den ich jetzt öffne. Mit im Gepäck ist auch ein Böxli von meinem Schatz mit einer allerliebsten Aufmuntetung für jeden Tag. Auch meine Kinder haben je etwas ganz Liebes in einem Brief geschrieben und mir verschlossen mitgegeben. Wie rührend, diese herzlichen Worte der innigen Verbundenheit zu lesen, die jetzt auf Distanz besonders nachhaltig wirken! Ich habe es gut: Ich bin nicht von zuhause geflohen, sondern werde nach dem Abenteuer wieder herzlich erwartet weden. Alle zuhause fiebern jetzt mit. Mit dem Iridium-Telefon können wir ab und zu Koordinaten und ganz knappe News nach Hause senden. Diese verbreiten sich auf diversen Chats wie ein Lauffeuer. Ein Freund zeichnet in der Heimat die Route ständig mit und teilt die Karte als Update mit unserer Community.
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  • Day 10

    8. Tag auf See: Sonntag 25. Nov.

    November 25, 2018, North Atlantic Ocean ⋅ ☁️ 24 °C

    Delphine springen. Das ist jedes Mal ein Fest. Sie schwimmen von weiter weg zum Schiff und wollen mit uns um die Wette rennen. Und um auf sich aufmerksam zu machen, springen sie dabei beim Herannahen ganz weit aus dem Wasser: Hallo, hier sind wir! Bitte alle herschauen! Dabei vergessen wir dann meist die Sicherheitsvorgaben und wechseln, ohne uns anzuleinen, auf das Vorschiff. Hm, nicht ganz wie es sein sollte! Da gibt es übrigens einen grossen Unterschied in unserer Männercrew im Vergleich zu eine gemischten Crew: Während dort die Frauen jetzt vor Entzücken kreischen würden, geht es bei uns hier mit Aahs und Oohs ganz gemässigt zu und her.

    Immer wieder landen in der Nacht fliegende Fische bei uns auf dem Deck, von ganz klein (wie Insekten) bis ca. 20 cm. Stinken tun sie alle. Nervig ist es, wenn sie gar durch den Niedergang im Salon landen und wir dann etwa in der Dunkelheit aus Versehen darauf tappen und ausrutschen. Was hat sich Gott bei der Erschaffung dieses Wesens gedacht: Weder Fisch noch Vogel!?

    Jetzt sind wir eine Woche auf See und ich merke, dass mir das ewige, heftige Geschaukel so richtig auf den Keks geht. Auch Schlafen ist eine Tortur, ständig wirft es mich von links nach rechts. Manchmal erreiche ich in einer Welle gefühlt fast den Zustand der Schwerelosigkeit. Aber irgendwann bin ich so müde, dass es trotzdem schläft. Und eingekeilt zwischen Reisetasche und Ersatzgenuasegel habe ich mich inzwischen auch. Ich kämpfe dafür, dass ich während der ganzen Reise in meiner Vorschiffskoje ein Ersatzsegel oder defektes Segel als Buddy neben mir haben darf. Gibt mir schön Halt.

    Draussen ändert sich an der Szenerie rein gar nichts, und das schon seit Tagen!

    Doch jetzt kommt eine große Schule von Delphinen und springt. Bereits haben wir 1000 Seemeilen im Kielwasser.
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