• WildeHilde
feb – ott 2024

Ich gehe.

Es gibt einen Plan.
Schließlich braucht’s
was zum Verwerfen…
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  • 22. Mai

    22 maggio 2024, Svezia ⋅ 🌙 15 °C

    Gegen fünf steigt die Sonne, die gestern Abend im Nordwesten verschwunden ist, jetzt im Nordosten hinter dem Wald hervor. Über dem See steigt ganz feiner Nebel auf, der mit dem Wind die ganze Zeit weitergetragen wird. Ab 5:30 Uhr höre ich weiter entfernt in den Wäldern zwei Motorsensen. Sie sind komplett die ganze Zeit im Vollgasbetrieb und damit ist es mit wirklich schlafen nicht mehr weit her. Auch ungefähr ab dieser Zeit fährt auf der Schotterpiste, die einen halben Kilometer von mir entfernt am See entlang geht, von Zeit zur Zeit ein Auto oder LKW, das hört sich ähnlich an, als wenn ich in Hannover an der Startbahn stehe und die Flieger starten. So stehe ich um sieben genötigterweise auf und schwimme erst mal gleich eine Runde, um danach in Ruhe zu frühstücken und gegen halb zehn loszuziehen.
    Nach 20 Minuten komme ich nach Klockarberg und am beschriebenen Gehöft steht tatsächlich schon Elsa in Habachtstellung, sie scheint auf mich zu warten. Dementsprechend ist uns beiden sofort klar, wer wir sind, Pär hatte mich bereits angekündigt. Es ist eine herzliche Begrüßung, sie holt gleich Pentti aus dem Garten, wo er gerade Holz macht und die alten Apfelbäume so herrlich blühen. Und sie laden mich zu einer Fika ein. Es ist wunderschön in diesem 100 Jahre alten Haus, die alte Küche, die alten Möbel und all diese alten Sachen zu sehen und dazu auch in den nächsten anderthalb Stunden viel von ihnen und aus ihrem Leben zu hören. Elsa stammt hier aus dem Ort, Pentti ist ein Finne, der im Fortsetzungskrieg in 1942, als er gerade zwei Jahre alt war, mit den Eltern von seinem Wohnort an der russischen Grenze fliehen musste. Er zeigt mir eine Verletzung am Arm, die er sich damals zugezogen und Zeit seines Lebens behalten hat. Sie erzählen mir, halb in Englisch, halb in Schwedisch von den fünf Leuten, die in diesem Dorf das ganze Jahr über leben, neben denen, die ihre Häuser hier nur als Sommerhäuser nutzen. Pentti zeigt mir den alten oberirdischen Keller und in der Scheune sein altes ukrainisches Motorrad mit Kardanwelle und Seitenwagen. Es ist wohl ein BMW-Lizenzbau und noch ein Stück weiter ist ein alter Traktor, den Elsa früher gefahren hat. Es ist wieder ein fantastischer kurzer Ausritt in die alte Zeit, den ich so aus keinem Geschichtsbuch erlesen könnte. Ich trage mich noch in ihr kleines persönliches Gästebuch ein und natürlich kann ich noch eine Sache regeln, nämlich das Austauschen der Kontaktdaten mit Pär und Hanna, das ich am Samstag vergessen hatte.
    Als ich um zwölf wieder auf dem Weg bin, sehe ich schon vom weiten mal den Siljan, mein Ziel soll heute Abend der Ort Gesunda sein (spricht sich ungefähr wie bei uns gesünder). Der Siljan ist mit gut 35km Länge doch recht groß und ich möchte gern an ihm entlang bis nach Mora gehen. Deshalb werde ich den E1 für eine gewisse Zeit verlassen, später aber wieder darauf zurückkommen.
    Der Weg führt teils durch Wälder, aber auch immer wieder über Weideland und Bodarnas, wie es hier in Dalarna so häufig anzutreffen ist.
    Gegen fünf komme ich an den Svarttjärn, hier gibt es eine Wanderkapelle. Ich nehme erst mal ein Bad, schließlich ist das letzte vom Morgen ja schon nicht mehr wahr. Ich fülle meinen Wasservorrat noch mal auf und ziehe gegen halb sechs weiter. Der Weg heute ist noch recht lang, ich habe bis dahin erst circa die Hälfte des Tages geschafft, bin also kein Sprinter. Und wieder ist es heute der späte Nachmittag, an dem noch mal eine Steigung bevorsteht, ich sehe schon in der Karte die dunkle Schattierung. Nachdem ich die aber auch im Wald schön schattig gemeistert habe, komme ich auf einer Anhöhe heraus, wo wieder einmal eine große Bodarna ist, eine ganze Reihe von Häusern über eine große Fläche verteilt. Scheinbar werden die alle als Sommerhäuser genutzt, es ist rundherum alles piekfein gepflegt und hübsch anzusehen. Ab hier geht der Weg abwärts, ich habe zwar noch gute 8 km vor mir, aber bin nur noch 2 km vom See als solches entfernt. Der Weg geht einigermaßen parallel zum See und ich werde erst ziemlich am Ende in Gesunda zum See kommen. Die Hoffnung, dass es jetzt den Rest auf Seehöhe einfach so dahingeht, zerschlägt sich relativ schnell wieder. Noch einmal geht es im Wald recht steil bergauf, auf der Karte sehe ich, dass der Weg direkt über eine Bergspitze gezogen ist: Wer macht sowas? Was mich allerdings mehr stört als der Berg sind die Moskitos, es ist gegen acht, sie sind jetzt richtig aktiv und hier im Wald ist es so viel, wie ich es bisher nie hatte. Ich ziehe mir mein Hemd zusätzlich über und decke alles ab, was geht; einfach nur hurtig voranschreiten ist hier kein probates Mittel mehr.
    Gegen halb neun komme ich nach Gesunda und treffe, als ich durch den Ort laufe, auf Jan. Er wuselt draußen um seine Werkstatt rum, ist ein ehemaliger Berufsschullehrer in Sachen Holz und geht jetzt als Rentner diesem Hobby nach. Es ist wie immer mit den alten Leuten, ich komme ins Gespräch und ich bin mal nicht derjenige, der die ganze Zeit eine Story zu erzählen hat. Interessanterweise war er in seinen jungen Jahren Fallschirmspringer, hat die Ausbildung natürlich in Karlsborg gemacht, genau dort, wo ich vor einigen Wochen den halben Abend unter anderem an der Fallschirmspringer-Schule umeinander geschlichen bin. Später war er zur Winterzeit in Kiruna, dort weit oben nördlich des Polarkreises. Auch wenn ich schon recht spät dran bin, so viel Zeit hab ich auf jeden Fall, um genau diese Geschichten hier zu hören. Um neun ziehe ich für die letzten 2 km des Wegs weiter und finde an einer Slipanlage am See ein Plätzchen für die Nacht. Ein Schwede, der hier gerade sein Motorboot aus dem Wasser zieht, erzählt mir, das es auf der anderen Seite der Straße ein altes Kirchenboot gibt, das ich mir auf jeden Fall angucken soll. Früher, als Kirche für die ganze Familie noch regelmäßig gang und gäbe war, war es einfacher, mit einem solch großen Boot gemeinsam zur Kirche zu fahren, als durch unwegsames Gelände zu stapfen. Um die Mittsommer Zeit herum machen Sie dann mit diesem Boot hier Rennen, leider kann ich es nur abgestellt unter einem Dach betrachten, trotzdem habe ich eine grobe Vorstellung, wie viele Leute dort früher mitgefahren sind. Nach all diesen vielen interessanten Begegnungen und Eindrücken heute ist es dann auch alles in allem fast elf, bis ich mich ins Zelt verdrücke.
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  • 23. Mai

    23 maggio 2024, Svezia ⋅ ☀️ 19 °C

    Am Morgen ist der erste Weg ins Wasser, um eine Runde um die Motorboote rumzuschwimmen. Während ich mein Frühstück zubereite, kommen zwei Männer mit einem Pickup und Trailer dahergefahren. Sie haben recht lange Kiefernstangen geladen und ziehen aus dem Wasser einige Bündel mit dünneren Kiefernästen heraus. Sie erzählen mir, dass sie heute einen der traditionellen Holzzäune bauen wollen und benötigen die jetzt gut biegbaren Äste zur Verbindung der Elemente untereinander.
    Ich gehe um neun los, nach einem guten Kilometer zum dortigen Campingplatz und hole mir dort frisches Wasser und ein Eis. Dann zieht sich der Weg über die Insel Sollerön, leider kann ich nicht allzu viel vom Wasser sehen, da es nicht am Ufer entlang geht. Irgendwann geht es auf eine Art Bundesstraße, der Randstreifen ist zwar ausreichend breit und ich komme auch sehr gut vorwärts, trotzdem ist das Laufen über mehrere Kilometer hier gerade bei der Wärme nicht das Schönste.
    Bei einer Pause in einem kleinen Abzweig von dieser Straße liegt neben mir ein Fahrrad im Graben. Es sieht bis auf einige kleinere Blessuren völlig intakt aus, ich überlege für ein paar Minuten, ob ich es nehme bis Mora, sehe dann aber, das ausgerechnet die Bremsen vorne und hinten völlig kaputt sind. Aber wer braucht schon Bremsen? Am Ende lasse ich doch die Vernunft entscheiden, wie sieht das denn aus, das Kamel mit dem riesigen Rucksack auf dem ollen Hobel…
    Als ich nach Mora komme, nehme ich erst mal gleich ein Bad, es ist die letzte Möglichkeit, noch mal im Siljan zu baden. Den Weg über Mora, bekannt unter anderem durch seine Messerschmiede, mache ich zum einen wegen des Supermarkts, zum anderen weil ich seit heute morgen in gut 100km ein spezielles Ziel ansteuere: Gessi-kojan. Ein altes Holzhaus im Wald am See Gessi, in dem ich in 2007 zum ersten Mal in Schweden war. Dementsprechend war ich damals auch hier in Mora und in Älvdalen, wo ich noch mal einkaufen möchte. Von Gessi aus werde ich dann Richtung Westen ziehen und kurz darauf das Gebirge (Fjäll) erreichen. Die Wege von hier nach Gessi und dann weiter ins Fjäll sind dementsprechend nur an einigen Stellen Wanderwege.
    In Mora laufen viele junge Leute umher mit Mützen, die sie wie Seemänner aussehen lassen. Sie haben gerade ihre 12. Klasse abgeschlossen und sind in diesen Tagen am Feiern. Ich schlendere ein wenig durch die Stadt, da ich recht früh dran bin und es mich irgendwie noch hier hält im Moment. Finde ein schönes Restaurant, in dem ich einen leckeren Burger esse. Am Nachmittag gehe ich zum ICA, den Lidl gibt es anscheinend hier in Mora nicht mehr. Nachdem ich meine Vorräte etwas erweitert habe, ziehe ich dann endlich aus der Stadt raus. Es gibt hier ein großes Ski Resort und den MoraPark. Hier gibt es Langlaufpisten und viele Sportmöglichkeiten, durch die sich die Wege aus der Stadt herausziehen. Dementsprechend treffe ich eine ganze Reihe junger Leute, die joggen oder mit dem Fahrrad unterwegs sind, mit einigen von Ihnen komme ich ins Gespräch, während wir uns gleichzeitig alle um die Mücken kümmern, die uns umschwirren. Mein Wasservorrat ist ziemlich am Ende und ein Radler hatte mir gesagt, dass im nächsten Dorf Eldris möglicherweise wohl eher niemand anzutreffen ist und da sehe ich einen Sprinter in einem Waldweg stehen. Er hat ein deutsches Kennzeichen und da denke ich, es ist eine gute Idee mal zu fragen. Ich treffe dort Luise und Janneck, sehr liebenswertes preußisch-studentisches Volk. Sie sind schon seit Oktober mit ihrem selbst ausgebauten Camper von Südeuropa beginnend unterwegs und werden wohl noch bis September auf einer fantastischen Reise sein. Wir kommen ins Gespräch und irgendwie gar nicht so schnell zum Wasser, weil es einfach zu interessant und sehr angenehm ist, sich mit ihnen zu unterhalten. Am Ende sitze ich sogar noch bei ihnen und darf einen sehr leckeren und scharfen Reistopf vernaschen, vielen vielen Dank Euch beiden. Da die Zeit dabei recht weit fortgeschritten ist, nehme ich mir am Ende einen Wasservorrat und ziehe nur noch bis hinter den nächsten Berg weiter, um dort unter massivsten Beschuss mein Zelt aufzubauen und den Tag zu beenden.
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  • 24. Mai

    24 maggio 2024, Svezia ⋅ ☀️ 16 °C

    Am Morgen um fünf ist der Himmel bedeckt, ich rechne irgendwann demnächst mit Regen beziehungsweise auch Gewitter, da seit nunmehr vier Wochen tolles Sommerwetter ist. Aber um sieben rum ist der Himmel auch wieder blau, lediglich ein paar Wolken ziehen vorbei und da werde ich mich nicht beschweren.
    Da ich heute mit meinen Arbeitskollegen eine Frühstückskonferenz geplant habe, lasse ich das Frühstück hier im Zelt mal ausfallen und werde das nachher abhalten. Es ist für einen Morgen doch recht mückig und es zieht sich weiter auf staubigen Wegen auf den Skiloipen entlang des Vasaloppsleden. Es läuft sich teilweise wie direkt am Sandstrand.
    Da mir die Mücken mehr und mehr auch beim Laufen zu schaffen machen und ich ständig mit dem Hut um mich schlagen muss, ziehe ich bei der ersten Pause heute Jonas‘ Joker, das altbewährte Mittel Nordic Summer und werde mal schauen, was die Plagen dazu sagen.
    Nach einer sehr angenehmen Frühstücksrunde mit Talk rund um das wichtigste Eichsfelder Gut, nämlich frisch geschlachtetes Gehacktes und sogar on top noch einer Abschluss-Präsentation unseres Auszubildenden Lorenz ziehe ich um zwölf weiter und kann jetzt schon sagen, dass ich im großen Ganzen vor den Mücken Ruhe habe. Der Weg zieht sich in Kürze auf den Hökberget, knapp 400m hoch, von dem aus ich eine tolle Sicht zurück auf den Siljan und im Voraus auf den Österdalälven habe, der zwar ein Fluss ist, aber der in der Ausdehnung wie ein See erscheint. Auf dem Weg hoch auf den Berg und später noch mal unten in einem Slogbod treffe ich zwei junge Mädels. Es ist, wie sollte es anders sein, deutsches studentisches Jungvolk. Monika und Michelle sind als Austausch-Studentinnen in Uppsala und machen gerade das beste, was man in der freien Zeit tun kann: einen Trip auf eigene Faust durch Schweden. Es ist eine sehr angenehme, lange Pause, in der wir uns über alles wichtige dieses Lebens unterhalten. Gegen vier ziehe ich weiter bei bestem Wetter und aktuell auch völlig ohne Mücken. Am Nachmittag steigen immer mehr dicke Quellwolken auf, dementsprechend bin ich schon wieder gedanklich auf Gewitter eingestellt, aber nix da, die lösen sich später wieder auf und es bleibt alles beim alten. Das Skiareal aus Mora heraus dünnt sich langsam aus, seit ich über den Berg gestiegen bin, sind die Wege gefühlt wieder echte Wanderwege.
    Ich bin seit dem letzten Gespräch kaum eine halbe Stunde gegangen, da kommt in Gopshus Sonja mit ihrer Tochter Ida daher, ich höre sie Deutsch sprechen und natürlich kann ich da nicht einfach weitergehen. Kurz darauf sitzen wir zusammen mit ihrem Mann Bram in der gemütlichen Gaststube ihres Bed&Breakfast-Hauses, dass sie seit Ende letzten Jahres betreiben. Bei einem Schnitzel, lokalem Bier und guten Gesprächen ist es auch hier einfach viel zu schön, einfach weiterzugehen.
    Gegen sieben raffe ich mich dann doch auf, ich habe noch gut 10 km zu laufen und während ich der untergehenden Sonne hinterhergehe, reizen mich die Moskitos förmlich bis aufs Blut, so dass ich doch heute schon genervterweise das Moskitonetz überziehe. Dass diese Entwicklung innerhalb von nur zwei Tagen so massiv voranschreitet, hätte ich nicht erwartet.
    Gegen halb zehn komme ich am Oxbergssjön an einem Slogbod vorbei und nachdem ich hier nochmal ein kurzes Bad genommen habe, beende ich den Tag voll und ganz zufrieden.
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  • 25. Mai

    25 maggio 2024, Svezia ⋅ ☀️ 21 °C

    Um halb fünf am Morgen nehme ich die Sonne wahr, wie sie hinter dem Oxbergssjön über die Bäume geklettert kommt. Ich vermute, sie hat da hinten im Wald übernachtet, weil lang ist es ja noch nicht her, dass sie verschwunden ist. Da es um diese Zeit praktisch noch keine Realität gibt, drehe ich mich noch mal um und schlafe bis um sieben. Danach beginnt die inzwischen geläufige schöne Morgenroutine: Einmal den See in Auszügen durchschwimmen, Katzenwäsche, Zweizylinder, einen türkischen Kaffee kochen, ein bisschen Müsli dazu und nebenbei alles, was in der Nacht feucht geworden ist, trocknen und einpacken. Und wenn ich das ganze in Ruhe mache, marschiere ich so wie heute gegen halb zehn los.
    Ich laufe auf einer Straße, die allerdings aufgrund von Bauarbeiten komplett gesperrt ist. Es sind gute 6 km, die sich aber prächtig laufen, da es einfach ruhig ist. Scheinbar haben diese Ruhe auch die örtlichen Flattermänner erkannt: Alles, was ein Paar Flügel am Leib hat, ist rausgeflogen und präsentiert sich. Zuerst ein Marienkäfer, der keiner sein will und sich deshalb zum Pappelblattkäfer hat umbauen lassen. Dann sehe ich, übrigens zum ersten Mal auf dieser Reise, einen Schwalbenschwanz, er ist recht groß, durchaus mit einem Zaunkönig zu vergleichen. Neben seiner Schönheit gefällt mir auch sehr, dass er nicht so zappelig und scheu ist wie die ganzen kleinen Motten, die ich die letzten Tage versucht habe, einzufangen. Als nächstes entdecke ich auf dem Boden einen Veilchen-Perlmuttfalter, der allerdings merkwürdige Anstalten macht. Näher dran sehe ich, dass eine Ameise ihn gerade behandelt, eine zweite zu Hilfe eilt. Seine große Freude über die schnelle erste Hilfe wird sich sicher ändern, wenn er erfährt, dass es heute in ein anderes Lazarett geht. Aber so ist das Leben: Fressen und gefressen werden. Anders sieht es da bei den Karussellbremsern aus. Es vergeht keine Stunde, wenn ich am Wandern bin, dass einer von Ihnen seine Runden um mich dreht, um zu erkennen, dass es mit mir keinen Sinn macht. Heute habe ich einen, der fliegt schon in der Kreisklasse, kann erste Manöver, muss aber auch erkennen, dass er noch etwas Übung braucht. Und denkt sich so dabei: Ach, aber eine Runde flieg ich noch… und dann wird’s doch wieder ne halbe Stunde.
    Als es später von der Straße ab wieder auf den Vasaloppsleden geht, kommt mir ein Quad mit Anhänger entgegen. Es sind zwei Männer und drei Jugendliche darauf. Die Teenies kenne ich von gestern Abend, sie haben dort, wo ich übernachtet habe, gerade ihre Angeln eingepackt und sind heimgezogen. Sie lesen auf dem Weg Müll auf. Mir ist schon seit Mora aufgefallen, dass Unmengen von ausgelutschten Energy-Quetsch-Tüten da rumlagen. Einer erzählt mir, dass im März ein Ski-Rennen mit mehreren tausend Leuten gewesen ist von Älvdalen nach Mora und sie jetzt diese Reste beseitigen. So ergibt es also auch für mich Sinn. Ich laufe also auf diesem hier beliebten Ski- und Runningtrail weiter, während sich dicke, weiße Quellwolken auftürmen, von denen ich mir aber nicht ernsthaft etwas erwarte. Um die Mittagszeit komme ich an eine Bodarna mit Slogbod und einer alten Schwengelpumpe, hier kann ich mir frisches Grundwasser in meine Thermoskanne füllen, da ich sonst total verdorre. Bis hierher hat sich der Weg seit heute Morgen konsequent aufwärts gezogen, nicht sehr steil, aber durchgehend. Ab jetzt geht es eher gerade oder auch manchmal ein wenig abwärts. Als ich mich Älvdalen nähere, überholen mich mehrere Runner, kurz darauf komme ich an eine Kreuzung, an der ein paar Leute stehen, die sie anfeuern. Ich erfrage erst mal, was es denn genau auf sich hat: Es ist ein Rennen je nach Leistungsfähigkeit über verschiedene Distanzen, das weiteste sind 170 km, d.h. einige Läufer sind mehr als 24 Stunden unterwegs.
    Gegen vier bin ich in Älvdalen, bewusst recht früh, da ich nach dem Einkauf noch gute 6 km aus der Stadt rausgehen will, das ganze aber heute möglichst nicht als Mückenschlacht am späten Abend. In der Stadt ist etwas Betrieb, da eben gerade das Rennen stattfindet und dementsprechend der Zieleinlauf in der Stadt ist, den ich auch durchlaufe und vom Moderator entsprechend gewürdigt werde. Was auch immer der Mann da gesagt hat…
    Im Supermarkt hucke ich mir ein paar Sachen auf, die ich für die nächsten 4-5 Tage benötige. Mache direkt vor dem Supermarkt gleich eine dicke Mahlzeit und ziehe dann entlang der Straße zum Ufer des Österdalälven, hier ist ein kleiner Platz mit Slogbods und dergleichen. Ich steige in den Fluss gleich mal rein, der ist deutlich kälter als die Seen der letzten Tage und nachdem ich frisch bin und das Zelt aufgestellt habe, ist dieser Tag auch beendet. Ich möchte an dieser Stelle dazu sagen: Es ist alles toll, wie es ist, ich habe keinerlei Beschwerden und ich bin glücklich.
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  • 26. Mai - Gessi kojan

    26 maggio 2024, Svezia ⋅ ☀️ 20 °C

    Hui, was für ein Morgen. Es ist bedeckt und geradezu kalt außenrum, so dass ich mir doch mein Hemd zusätzlich überziehen muss, während ich meine Sachen zusammenpacke, um 100 Meter weiter an einem Slogbod zu frühstücken. Dann wird es wohl heute doch den so lange erwarteten Wetterumschwung geben. Nachdem ich mit Frühstücken und Einpacken durch bin, ist der Himmel allerdings wieder so blau wie an jedem anderen Tag und ich freue mich so sehr: Heute geht es nach Gessi. Ich habe mich gestern dazu entschieden, nicht hier auf den Campingplatz zu gehen, sondern stattdessen lieber zwei Tage in Gessi zuzubringen. Ach, da fällt mir gerade noch eine ganze Packung Weintrauben in die Hände, die ich gestern gekauft habe. Diesen Süßwasservorrat werde ich nicht durch die Landschaft tragen, sondern beginne just auf den ersten Metern beim Losgehen, sie zu verinnerlichen. Noch auf dem Rastplatz treffe ich ein paar Deutsche, sie sind mit einem Pick-up mit aufgesetztem Wohnmobil unterwegs und erkunden Schweden.
    Ich werde heute erst mal gut 10km auf der Bundesstraße laufen, danach verläuft sich der Weg eher durch den Wald und auf Schotterpisten. Insgesamt werden es knapp 30km werden und da kann ich gut Strecke machen, zumal der Highway nicht stark befahren und mit einem breiten Seitenstreifen ausgestattet ist. Ich habe mein Spektrum an Sangeskünsten in der letzten Zeit Stück für Stück erweitert und so kann ich mir die Zeit auf dem rotbraunen Asphalt lauthals jenseits aller Definitionen von „Gut singen“ vertreiben. Gegen zwei verlasse ich die Piste und es geht ab jetzt durch Wälder, um halb drei komme ich an einen See, den ich bei dieser Hitze auf jeden Fall für ein ausgiebiges Bad nutze. Im Laufe des Nachmittags haben sich wieder Quellwolken gebildet und als ich mit dem Bad fertig bin, kommt ganz ordentlich Wind auf. Auf dem weiteren Weg beobachte ich, wie sie immer stärker aufquellen und gegen vier ist weit entfernt erstes Donnergrollen zu vernehmen. Ich beobachte diese Entwicklungen zu gern und die Formationen, die sich so herausbilden, lassen mich immer wieder stehen bleiben, beobachten und auch Fotos machen. Gegen fünf kracht es ganz in meiner Nähe ziemlich heftig, leider kann ich durch den Wald das Schauspiel nicht genau sehen. Ich stapfe querab vom Weg gut 200m bis zu einer offenen Moorlandschaft, gerade soweit, dass die Schuhe nicht von oben her volllaufen. Jetzt habe ich einen idealen Blick auf eine Gewitterzelle direkt vor mir und ich kann die Blitze beobachten, wie sie laut krachend zur Erde zucken. Trotz dieser faszinierenden Einlagen hoffe ich, dass ich nach diesem wochenlangen fantastischen Sommerwetter heute für die letzten 2 Stunden neben den Reisekosten nicht auch noch Schlechtwettergeld anmelden muss. Es ist eine merkwürdige Stimmung, einerseits scheint die Sonne und zieht ihr Programm voll durch, gleichzeitig ist es zeitweise rechts und links pottschwarz am Himmel und grummelt.
    Die letzten Kilometer ziehen sich länger und länger und meine Pausen zwischendurch werden auch entsprechend häufiger. Aber heute kann mich nichts mehr aufhalten, nach etwas mehr als 1800km lockt dieser besondere Ort Gessi als eine der ganz wichtigen Stationen auf meinem Weg. Um zwanzig nach sieben sehe ich den See Gessi erstmals durch die Bäume schimmern und ab da läuft es sich doch wieder auf sehr flinken Füßen die letzten anderthalb Kilometer. Um kurz nach halb acht ist es dann geschafft, ich habe trocken die Hütte erreicht und die Moskitos sind erst in der letzten halben Stunde aktiver geworden. Ich sehe mich erst mal außenrum und in der Hütte um, bis auf die ausgehängte Tür ist alles beim alten geblieben. Es sind scheinbar die Haken, die die Türangeln tragen, aus dem Holz herausgerissen. Für mich eine Reparatur mit ein wenig Schnitzarbeit, die in 10 Minuten erledigt ist. Jetzt geht die Tür wieder ordentlich auf und lässt sich vor allem verschließen. Ich setze mich genau auf den Platz, den ich immer hatte und lasse das Ganze erst mal auf mich wirken. Später koche ich mir einen ordentlichen Topf voll zum Essen und nachdem ich wahrgenommen habe, dass doch eine ganze Reihe Moskitos unentwegt in der Hütte schwirren, baue ich mein Zelt draußen vor der Hütte auf, zumal es dort auch noch deutlich heller ist. Ich bin ganz glücklich, diesen Meilenstein geschafft zu haben: zu Fuß nach Gessi kojan.
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  • 27. Mai - Erster Ruhetag in Gessi

    27 maggio 2024, Svezia ⋅ ☁️ 14 °C

    Die Nacht draußen war wieder eine sehr milde und ich sehe im Norden noch um Mitternacht den hellen Schein der versunkenen Sonne. Heute schlafe ich erst mal länger aus, stehe erst um halb zehn auf und beginne langsam mit dem Frühstück. Das alles draußen, weil es trotz einigermaßen Wind angenehm warm ist und hier weniger Mücken als in der Hütte sind. Nach dem Frühstück beginne ich zu waschen und so Dies und Das zu tun. Dabei kann ich mit dem kleinen Feldstecher wunderbar Schwäne und Kraniche am anderen Seeufer beobachten. Je weiter der Mittag heranrückt, desto dunkler ziehen sich die Wolken zu, ich rechne zum wievielten Mal mit Regen. Um zwölf höre ich es in einiger Entfernung donnern und tatsächlich ist es heute um eins so, dass es langsam zu regnen beginnt. Das Ganze wird im Laufe der nächsten halben Stunde zu einem ausgewachsenen Gewitter mit heftig Regen und Sturm. Allerdings ist das alles auch in einer guten Dreiviertelstunde durchgezogen und ab um zwei ist draußen alles wieder friedlich, ganz wie vorher.
    Die Wäsche, die ich pro forma unter das Vordach der Hütte verfrachtet hatte, hänge ich wieder zwischen die Bäume, weil die Sonne dorthin scheint und die geblümten Kameraden schneller trocknen. Und so sitze ich wieder draußen und genieße die Ruhe, die Sonne, den Wind, die Wellen, die Wolken, das Zwitschern und Rufen der Vögel. Um fünf breche ich auf, um zur 3 km entfernten Gessibodarna am nördlichen Ende des Sees zu gehen. Diese Bodarna war seit den siebziger Jahren verlassen und seit vier oder fünf Jahren ist sie jeweils über die Sommermonate von ein paar Einsiedlern wieder in Betrieb genommen worden. Sie halten dort Kätzchen, Kühe, Kälber, Ardennenpferde, Hühner und Schweine, gehen zur Jagd und machen Milch, Butter und Käse natürlich selbst. Ich möchte mir dort ein paar der köstlichen Naturprodukte mitnehmen, da ich hier ja gut die Möglichkeit habe, mir was zuzubereiten, sei es ein paar Spiegeleier mit Schinken oder was immer sie entbehren können. Leider bin ich zu früh, auch hier beginnt die Saison erst im Juni und so sehe ich mich immerhin auf dieser wunderschönen, uralten Sennerei um, während es heftig zu regnen beginnt. Als ich sicher bin, tatsächlich niemanden anzutreffen, kehre ich um und laufe eine halbe Stunde in einem zünftigen Gewitter mit heftigem Regen heim. Dort angekommen ist alles wieder wie vorher, die Sonne scheint und die Vögel singen. Ich setze mich wieder raus und werde aus meinem Fundus etwas zum Essen zusammenrühren.
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  • 28. Mai - Zweiter Ruhetag in Gessi

    28 maggio 2024, Svezia ⋅ ☁️ 19 °C

    Was braucht es mehr zum Paradies? Mir fällt da kaum was ein. Es ist ein herrliches, angenehm warmes Wetter, leichte Brise zieht über den See, so dass ich hier frei am Baum angelehnt sitzen kann, trinke meinen türkischen Kaffee und blicke verzaubert in die große Runde. Aufmerksam stolziert dort hinten am Ende des Sees der selbe Kranich wie gestern auf der Suche nach Futter, während der Schwan weiter auf seinen Eiern brütet. Libellen und Falter tanzen umeinander, während die Ameisen und Käfer geschäftig marschieren. Die Wellen spielen ein Lied, während sie über die Ufersteine schwappen, der Wind ist ihr Dirigent. Die Zeit scheint stillzustehen. Herz, was willst du mehr?
    Selbst das routinierte Aufbrechen zu einem neuen Ziel ist heute nicht notwendig.
    Gerade jetzt fühle ich mich wie Oskar, der Landstreicher. Es gibt nichts, dem ich nachhasten oder vorauseilen muss. So wie ich auch schon seit geraumer Zeit nicht mehr dem ursprünglichen Plan hinterhereile, im Herbst zwingend an diesem Nordkap zu sein. Sämtliche bisher durchstöberte Literatur ist sich einig, das ist kein Wanderzirkus, sondern wohl ein sehr fixer Punkt, der auch nächstes Jahr noch dort ist. Ich bin inzwischen gute fünf Wochen hinter der Zeit, die ich letztes Jahr mit Excel und spitzem Stift so straff vorauskalkuliert habe. Und da kommt erst noch das Gebirge, in dem mit Sicherheit noch die eine oder andere Verspätung lauert. Aber es stört mich gar nicht mehr. Es brauchte seine Zeit, loszulassen von „Ich muss…“. Ich hatte das ja schon anklingen lassen, eh über den Winter weit oben im Norden bleiben zu wollen und so fiel es mir gar nicht mehr schwer, eine neue Variante zu erdenken: Ich laufe, so lange es vom Wetter her realistisch bleibt und hänge den Rest nach dem Winter dran.
    Aber jetzt erst mal zurück in die Zukunft, also die etwas nähere. Ungefähr ab dem Ende dieser Woche komme ich ins Fjäll, dass ich die Kurve Richtung Westen eingeschlagen habe und gar nicht mehr weit von der norwegischen Grenze entfernt bin, kann man auch schon gut auf der Karte erkennen. Schon jetzt bin ich auf einer Höhe von circa 500m ü.M., während noch vor zwei Wochen nur die Bergspitzen mit Aussichtstürmen zwischen 400 und 500m ü.M. waren. Sobald ich dann ins Fjäll aufsteige, bewege ich mich anfangs zwischen 800 und 900m ü.M., Tendenz steigend. Es gibt also bei mir eine ganz große, innerliche Vorfreude auf diese andere Art von Landschaft.
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  • 29. Mai

    29 maggio 2024, Svezia ⋅ ☀️ 12 °C

    Die Nacht habe ich mit dem Innenzelt in der Hütte verbracht, da mir das Wetter zu wechselhaft aussah und ich keine Lust hatte, mitten in der Nacht umzuziehen. Am Morgen hängen schwere tiefe Regenwolken über dem See, eine Sache ist sehr auffällig: In der Hütte ist nicht eine einzige Mücke. Was ist hier los? Ich kann ganz normal Frühstück machen. Lediglich einzelne versprengte Widerständler zeigen sich kurz. Nachdem ich die Stube noch ordentlich ausgegefegt habe, verlasse ich gegen halb zehn diesen besonderen Ort. Kaum eine halbe Stunde hin erschreckt mich ein Kranich, der ziemlich nah am Weg steht. Als ich näher rankomme, sehe ich, dass er wohl am Bein verletzt ist, weil er stark humpelt und so wohl auch kaum einen Flugstart hinbekommt. Ich bleibe nicht allzu lange stehen, weil ich sehe, wie viel Angst er hat, und lasse ihn in Ruhe. Nach einer guten Stunde sehe ich an einer etwas freien Stelle im Wald im Westen das Fjäll, es ist das erste Mal, dass ich es so konkret sehe und auch als solches benennen kann. Von hier aus sind es nur 25 km Luftlinie bis dorthin, es sind Schneefelder zu sehen und macht mir ein ganz besonderes Gefühl.
    Ich bin übrigens auf dem Weg nach Sälbod. Auch ein nicht unbedeutender Ort, denn hier hat Marco, ein ehemaliger Kollege von der Telekom, schon in 1998 bei einem Sommerhaus einen kleinen Brunnen eingerichtet, an dem man trockenen Fußes Wasser holen kann. Seinerzeit wurde eine kleine Einweihung gefeiert und ein Holzschild mit entsprechender Inschrift aufgestellt. Das ist nun gut 25 Jahre her und Marco hat mich darum gebeten, doch mal nachzusehen, wie es dort so ist. Das tue ich natürlich mit großer Freude, ich war selbst einmal an diesem Ort und der Weg dahin ist zwar ein Umweg, aber es sind nur 2-3 Stunden, das werde ich durchaus schaffen. Er war übrigens neben Michael einer der zweien, die mich damals nach Gessi mitgenommen haben.
    Noch auf dem Weg nach Sälbod hält ein Auto an und ich komme mit Christina und Kurt ins Gespräch. Sie sind hier aus der Gegend, er ist Jäger, und sie bieten mir an, mich bis zum Brunnen mitzunehmen. Da es ohnehin ein Zusatzweg ist und es sich auf diesem Schotterweg hässlich laufen lässt, stimme ich zu. Vor Ort ist alles noch ziemlich genauso wie vor über 20 Jahren, lediglich das Holzschild steht nicht mehr am Pfahl, sondern liegt jetzt unten im Gebüsch, da die Schrauben weggegammelt sind. Während wir uns zusammen umschauen, erzählt mir Kurt, dass er mit der Wünschelrute besondere Fähigkeiten hat, nicht nur Wasser zu finden, sondern er kann das Alter von Bäumen bestimmen. Aber auch Spuren nachgehen, alte ehemalige Gebäude mit ihren Mauern aufspüren und er kann bestimmte Dinge erfragen. Ich sitze hinten im Auto, höre sehr gespannt zu und bekomme das Maul nicht mehr zu, merke ich doch, dass er nicht mit irgendwas rumprahlt, sondern ganz sachlich auch Geschichten dazu hat. Wirklich beeindruckend. Zwischendurch machen wir noch einen Abstecher tiefer in den Wald und kommen auf eine Anhöhe, zum einen gibt es dort besonders viele sehenswerte Findlinge oder auch Steine, die quadratmetergroße absolut plane Flächen haben, aber wir haben auch von hier einen tollen Blick zum Fjäll, auch bis weiter in den Norden Richtung Idre. Wir fahren sehr langsam und mit diversen Stops noch bis zur nächsten Straßenkreuzung, auf dem Weg erzählt er mir sehr viel über das Leben hier früher und heute. Von den alten Postrouten oder wie man vom Siljan bis Røros in Norwegen (gut 250km Luftlinie) früher per Pferd Waren transportiert hat, als es all die Wege durch die Wälder wie heute noch nicht gab. Das ging natürlich nur im Winter und mit „Schneeschuhen“ auch für die Vierbeiner. Und hat mal eben 3 Monate gebraucht. Es ist eine faszinierende und wundersame Begegnung. Kurt verabschiedet mich mit den Worten: „You made our day.“ Da geht mir doch das Herz auf, ich habe mal wieder nichts dazu beigetragen, als am Wegesrand Platz zu machen, sodass sie durchfahren können.
    Nachdem es sich den ganzen Vormittag und auch bis zu diesem Treffen trocken hielt, hat es in der Zwischenzeit angefangen zu regnen, so dass ich jetzt für die nächsten Stunden auf einer recht einsamen Landstraße entlang Richtung Westen marschiere. Zwischendurch ist es zwar auch mal wieder trocken und sogar sonnig, aber das hält heute nicht so lange an und so ist es später wieder am Regnen, als ich gerade in Nornäs bin. Dort sehe ich auf einer Anhöhe ein Slogbot und suche dort erst mal Schutz vor dem Regen, esse etwas und zwischendurch fallen mir auch immer mal wieder die Augen zu. Nach einer Dreiviertelstunde, es ist inzwischen halb sieben, ziehe ich weiter, schließlich bin ich von den letzten Tagen ausgeruht, dunkel wird es auch nicht und dort im Westen steht ein großer, teils verschneiter Magnet, der unheimlich anzieht.
    Und so komme ich gegen neun am Abend in Sörsjön an, ein Dorf, in dem es einen Supermarkt gibt, den ich morgen aufsuchen will. Recht unkompliziert finde ich nur 200 m davon entfernt ein Slogbot direkt an einer tollen Fluss-Auenlandschaft. In Summe habe ich heute gute 45km hinter mir, davon bin ich zwölf mit dem Auto gefahren. Und es fühlt sich für mich gar nicht an wie so lange gelaufen. In den letzten 2 Stunden waren die Mücken wieder deutlich aktiver, inzwischen gewöhne ich mich aber mehr und mehr an diese Umstände und als ich hier ankomme, ist es sogar ziemlich mückenfrei. Da alle Wiesen nass sind, entscheide ich mich, im Slogbot im Schlafsack zu schlafen, das einzige was am Ende rausguckt, ist der Kopf und das werde ich heute Nacht mal in probieren. Zum Einschlafen ist es allerdings mit der Ruhe nicht soweit her, einerseits natürlich durch das Konzert aller möglicher Wasservögel hier in der Nähe, dann höre ich in einiger Entfernung Schaflämmer und scheinbar gibt es ein Tierheim oder jemand hat eine ganze Reihe von Hunden. Wenn einer von ihnen anfängt, machen die anderen mit und es ist ein Gebell und Gejaule, was bis weit Richtung Mitternacht immer wieder zu hören ist.
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  • 30. Mai

    30 maggio 2024, Svezia ⋅ ☁️ 17 °C

    Ich wache heute erst um halb neun auf, das ist aber ganz passend, denn der Kaufmannsladen hier öffnet erst um zehn und zu dem will ich ja noch. Die ganze Nacht war dichter Nebel und so sind alle meine Sachen am Morgen ziemlich klamm. Auf dem Poncho, den ich zum Trocknen aufgehängt hatte, hat sich sogar in einer Senke eine richtig große Wasserpfütze gebildet. Nach dem Frühstück gehe ich die paar Meter zum Laden, lasse meinen Rucksack gleich draußen stehen, da innen alles viel zu eng ist. Es ist ein Handlarn, eine Laden-Kette, die hier im Norden im ländlichen Bereich verbreitet ist, sowas wie die Weiterführung der alten Tante-Emma-Läden. Die Kette kümmert sich um die frischen Lebensmittel, den Rest managed der Laden-Betreiber selbst. Entsprechend ist es alles teurer als in den großen Supermärkten, die ich bisher hatte und das Sortiment muss nicht unbedingt überall gleich sein. Weiter im Norden werde ich aber in der Hauptsache auf diese Art von Versorgung angewiesen sein. Ich werde für die nächsten gut 100km einkaufen und schiele nebenbei auch immer mal nach Gas, tatsächlich gibt es hier genau das, was ich benötigte, wäre ich denn schon bedürftig. Beim Bezahlen rolle ich wie erwartet mit den Augen angesichts des Gesamtpreises für nicht mal eine Woche, aber was soll’s, es soll auch keine afrikanische Woche werden, geht ja in die Berge. Vor dem Laden mache ich gleich einen Imbiss von frischen und schweren Sachen, inzwischen ist es schon zwölf. Dabei komme ich mit Anita ins Gespräch, sie hat eben auch hier eingekauft und nachdem wir das Woher und Wohin erörtert haben, ist sie sich nicht mehr sicher, ob der nächste Laden, den ich im Auge habe, überhaupt existiert. Sie hat selbst einmal in dem hiesigen gearbeitet und kümmert sich gleich, um am Ende herauszufinden, dass es den erhofften wohl nicht mehr gibt. Ich könnte jetzt stattdessen über Norwegen laufen, wo ich aber weder auf den Umweg noch auf die noch höheren Preise Lust habe. Dementsprechend gucke ich in der Karte und sehe, dass zwei Tage später auf meinem Weg wieder ein Supermarkt geplant ist. Werden ja nicht alle dichtgemacht haben…
    So komme ich doch schon um halb eins heute los. Es sind zwischen 15 und 20km bis zum Fuß des Fjälls und so werde ich das, was ich gestern schon herausgearbeitet habe, heute doch wieder abbummeln. Es geht erst mal wieder an einer schmalen Landstraße entlang, alle 2 Stunden kommt mal ein Fahrzeug. Die Straße wird später zu einer Schotterpiste und so passiert auch nicht wirklich viel. Nebenbei knabbere ich immer mal wieder von den Tannen die frischen grünen Nadeln und betrachte mir dabei das Trollhaar. Es wächst nur dort, wo die Luft absolut sauber ist, also ein gutes Zeichen für diese Gegend. Ich komme gut voran und in der letzten Stunde geht es kontinuierlich bergan, am Ende des Tages werde ich auf gut 650m ü.M. sein. In Morbäckssätern ist einer der offiziellen Eingänge in den Fulufjället-Nationalpark, bekannt unter anderem für seine Bärenvorkommen. Hier gibt es eine ausgesprochen große und komfortable Rasthütte, in der ich schon um sechs ankomme. Da es hier keinen Bach gibt, gehe ich noch mal ein Stück zurück, es ist hier wie eine Art Feriendorf. Dabei treffe ich zwei Norwegerinnen und sie erzählen mir, dass sie schon zweimal Bären hier gesehen haben, die Wahrscheinlichkeit, einen zu Gesicht zu kriegen also gar nicht so gering ist.
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  • 31. Mai

    31 maggio 2024, Svezia ⋅ ☀️ 17 °C

    Der Berg ruft! Nach einer ruhigen und völlig mückenfreien Nacht in dieser tollen Hütte stehe ich heute schon um halb sieben auf, der Himmel ist blau und die Sonne hat schon seit halb fünf durchs Fenster gelacht. Nach getaner Morgenroutine starte ich heute um acht ins Fulufjället, es sind jetzt gute 3km bis oben aufs Plateau, wo es eine Hütte gibt. Der Weg verschwindet nach kurzer Zeit im Wald und wie erwartet geht es jetzt wieder wild über Stock und Stein bergauf. Meine Stelzen müssen sich nach den ganzen Tagen auf der Straße erst mal wieder an das echte Wandern und Kraxeln gewöhnen. Am ersten Bach, der daherkommt, fülle ich mein Frischwasser auf und es dauert nicht lange, habe ich nach einer Dreiviertelstunde die Baumgrenze erreicht. Immer wieder erstaunlich, wie abrupt die doch verläuft. Von hier aus habe ich schon mal den ersten freien Blick zurück weit übers Land und voraus auf die Schneefelder. Das erste erreiche ich auch kurz darauf, nach einer knappen Stunde habe ich das Plateau erreicht, ich bin wieder in meinem Element. Fühle mich sofort zurückversetzt in die Zeit, als ich weit im Norden im Fjäll unterwegs war, die karge Landschaft, die weite Sicht, die Schneefelder. Es gibt hier oben nichts zu hören außer das Singen der Vögel, das Rauschen des Windes, hier und da Flüsse und Bachläufe.
    An der Tangådalsstugan mache ich die erste Pause und betrachte mir die Hütte von innen. Man kann hier oben gegen Gebühr in einem Raum mit Betten übernachten oder auch in der einfacheren Variante im großen Vorraum. Es gibt sowohl ein Notfalltelefon als auch eine -Ausrüstung, falls Wanderer insbesondere im Winter unter widrigen Bedingungen hier Schutz suchen. So zum Beispiel ein Vorrat an Feuerholz, eine Gas-Kartusche, Atomfutter, Verbandsmaterial, eben das notwendigste für alle Fälle.
    Übrigens bin ich ab dieser Hütte wieder auf dem E1 und der folgt hier seit Sälen dem südlichen Kungsleden (Königsweg). Das ist der womöglich bekannteste Trekkingpfad hier in Schweden, er besteht aus einem südlichen und nördlichen Teil, die nicht miteinander verbunden sind, es liegen mehrere 100 Kilometer dazwischen. In 2022 bin ich vom nördlichen Ende des nördlichen Kungsleden in Lappland ungefähr dessen Hälfte gelaufen. Jetzt drösel ich den südlichen komplett auf und werde später auch noch den mir fehlenden Teil des nördlichen absolvieren.
    Ich mache mich auf den Pfad, der ab jetzt wieder Richtung Norden zeigt und für längere Zeit der Grenze zu Norwegen in unterschiedlichen Abständen folgt. Die typischen Kennzeichnungen, nämlich orange Markierungen an Bäumen oder Steinen vermisse ich hier komplett, dafür ist der Pfad aber in der Regel so zu erkennen. Er zieht sich hier mehr oder weniger dicht an einem kleinen Fluss entlang, der hier oben auf der Höhe das Schmelz- und Regenwasser sammelt. Gegen halb elf: Zssssss. Ich stoppe, mein 38-teiliges mechanisches Gehirn läuft am Limit. „Nanu, denkst doch sonst nicht nanu…“ Lispeln tut hier niemand, also muss es wohl eine Schlange sein. Ich gehe ein, zwei Meter zurück und brauche einen Moment, bis ich sie ausgemacht habe: Da steht sie bewaffnet bis an die Zähne, weil ich wohl ihr Sonnenbad gestört habe. Ich verspreche ihr, dass sie heute in die Zeitung kommt und entferne mich wieder, da ich nicht sicher bin, wie weit die Schlangen vorschnellen, wenn sie denn mal anbeißen wollen.
    Richtung Mittag zieht es sich mehr und mehr zu, die Quellwolken türmen sich unendlich hoch und ich muss mich hier oben mehr um das Wetter bekümmern, als ich es bisher musste, wo es immer einen Wald oder Unterstand zumindest fürs gute Gefühl gab. Das ist der Unterschied, der gerade den Reiz, aber ebenso gern auch mal eine gewisse Beklemmung ausmacht, dass es hier eben gar nichts gibt, was Schutz bietet.
    Es ist Freitag und wir baden früh, also steige ich um zwölf in den kleinen, durchaus sehr kalten Bach und genehmige mir eine Frischekur. Wenig später startet mit entsprechendem Terz ein Moorschneehuhn und fliegt in eine sichere Entfernung, aus der ich es nur noch mit dem Fernglas beobachten kann.
    Trotz der aufgetürmten Wolken, die rundherum an vielen Stellen ziemlich dunkel aussehen, hält es sich einigermaßen trocken und es gibt nur einen Schauer, kurz bevor ich an die Tangsjöstugan komme. Ab diesem Moment sind merkwürdigerweise Unmengen von kleinen Fliegen aktiv. Sie stieben vor mir aus dem Kraut am Boden, so dass es teilweise kaum möglich ist, vernünftig zu gucken oder zu atmen. Allerdings tun sie, wie heute alle diese kleinen Geister hier oben nichts, außer zu nerven. Als ich in die Hütte gehe, sehe ich in einiger Entfernung jemanden in diese Richtung gewandert kommen, es dauert kaum 10 Minuten, da kommt Valentin, ein Abiturient aus Freiburg reingeschneit. Er ist mit den Öffis bis hier hoch nach Särna gefahren, um jetzt vier Tage lang auf eigene Faust durchs Fjäll zu ziehen. Das begeistert mich absolut, wenn jemand schon in dem Alter so unterwegs ist. Im Handumdrehen ist beim Schwätzchen eine Stunde verflogen, dann zieht jeder seines Weges. Ich vernehme beim Laufen hinter mir einige Male Donnergrollen und erreiche um kurz vor sechs die Nothütte Särnmanskojan.
    Ich betrachte mir die Wetterlage, speziell auf Gewitter bezogen und entscheide mich, noch die nächsten 5km bis zur Rörsjöstugorna zu gehen, die war auch mein erklärtes Ziel für heute, insbesondere weil unweit von ihr der Njupeskär, Schwedens höchster Wasserfall ist.
    An den Hütten spreche ich mit dem Stugvärd (Hüttenwirt), wir unterhalten uns eine ganze Weile und auch über die Preise für die Übernachtungen in den hier oben betriebenen Hütten. Es gibt unweit von hier einen Shelter, den aber just in diesem Moment zwei Angler übernehmen und da die Saison erst morgen beginnt, bietet er mir die Übernachtung in der Hütte im Bett for free an. Na da bedanke ich mich doch in allerschärfster Form.
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  • 1. Juni

    1 giugno 2024, Svezia ⋅ ⛅ 13 °C

    Meine Nacht endet so, wie sie begonnen hat: Mit dem Kuckucks-Evergreen, der sich zu gern selbst hört und gestern Abend wieder alles verfügbare Hartgeld in die Jukebox gesteckt hat. Ich stehe heute schon um sechs auf, da ich einen Ausflug machen will, bevor ich auf dem Trail weitergehe. Zum einen zum Njupeskär als Schwedens höchstem Wasserfall mit 125m und gut 90m freiem Fall und auf dem Weg dahin ist der älteste Baum der Welt zu bewundern. Das ganze kostet mich hin und zurück mindestens 7km, so dass ich nach dem Frühstück um sieben aufbreche. Als erstes begegne ich auf dem Weg einem Weidenschneehuhn, dieses Modell ist eher Läufer denn Flieger und so habe ich die Chance, es eine Zeit lang aus der Nähe zu beobachten. Dann komme ich zu „Old Tjikko“, wie sie ihn genannt haben: Eine 9500 Jahre alte Fichte, das oberirdisch sichtbare ist ca. 400 Jahre alt. Sie wurde eher durch Zufall in 2008 von zwei Wissenschaftlern entdeckt, die das Leben der Bäume hier an der Baumgrenze untersucht haben. Von hier aus steige ich tief runter, um den Wasserfall nicht nur von oben, sondern auch an der Unterseite zu sehen, auch wenn ich hier schon mehrere Male war. Schon in einiger Entfernung spüre ich den immensen Luftzug und der Wassernebel ist so stark, dass ich mich nicht allzu lange aufhalte, sonst bin ich komplett nass. Beeindruckend ist die Menge an Schnee, die noch unten im Bachbett liegt, man stelle sich diesen imposanten Wasserfall im Winter komplett vereist vor. Schön, dass der Hüttenwart mir genehmigt hat, den Rucksack in der Stuga stehen zu lassen, denn es geht jetzt wieder steil auf zurück. Er hat übrigens gestern auch erwähnt, dass vor vier Wochen, wo ich ja eigentlich schon hier durchmarschiert sein wollte, noch bis zu 3m Schnee lagen und der See eine 1,10m dicke Eisschicht hatte. Fortbewegen wäre also zu Fuß in meinem Stil ziemlich unmöglich gewesen und von daher sollte es wohl doch so sein, dass ich so langsam unterwegs bin. Der Frühling ist hier komplett ausgefallen, wie er erzählt. Also ein langer und sehr schneereicher Winter, der abrupt mit vier Wochen Trockenheit dank kräftigem Sonnenschein beendet wird und alle möglichen Pflanzen jetzt viel zu früh sind. Das hat mir auch Kurt vor wenigen Tagen exakt so erklärt.
    Zurück bei den Hütten gibt es erst mal ein zweites Frühstück, ich unterhalte mich mit ein paar Schweden, die unterwegs sind, um Vögel zu beobachten und zu fotografieren.
    Um kurz nach zehn ziehe ich dann los und habe erstmal eine Gruppe Schweden vor mir, sie haben auch in einer der Hütten übernachtet und sind übers Wochenende hier im Fjäll unterwegs. Als sie mich vorbeiziehen lassen, kommen wir ins Gespräch und unterhalten uns eine Weile. Ich merke, dass jeder von ihnen eine gewisse Inspiration mitnimmt, als ich davon erzähle, dass heute der fünfte Monat meines Draußenseins beginnt.
    Zur Pause sitze ich am See und beobachte das Wetter rundherum, was ja dank der unendlich weiten Sicht hier oben außergewöhnlich gut möglich ist. Es zieht sich im Süden und Osten gewittrig zu, ich bin bis zum späten Nachmittag heute Richtung Westen unterwegs. Ganz unerwartet kracht es hinter mir, ich gehe noch ein Stück weiter bis zur nächsten Hütte und lasse den Regenschauer durch. Es wird wahrscheinlich aber heute immer mal wieder etwas geben. Als ich wieder aufbreche, laufe ich auf die nächsten Wolken zu, die schon fröhlich vor sich hindonnern. Auf einmal kracht es direkt über mir, so dass ich mit einem kurzen Schrei zusammenzucke, so unvorbereitet war ich auf diesen Moment. Es braut sich mehr und mehr rundherum was zusammen, ist aber kein so heftiges Gewitter, dass ich mich jetzt hier irgendwo eingraben will, wo auch?
    Es geht demnächst ins Gördalen, wie der Name sagt ein Tal, allerdings der Weg dorthin geht erst mal über eine Anhöhe auf knapp 1000m. Gegen eins gibt sich das Ganze wieder, es regnet noch ein wenig und um zwei sehe ich schon die ersten Sonnenstrahlen und blauen Himmel durch. Um drei erreiche ich Gördalen, hier gibt es einen Campingplatz und ein Restaurant. Ich genehmige mir heute einen Burger und es wird doch sechs, bis ich weiterkomme. Aus dem Ort raus sehe ich an den zugewucherten Holzplanken, dass hier scheinbar noch weniger als niemand unterwegs ist. Ich versuche, so schnell wie möglich hoch auf den Berg zu kommen. War jetzt auf 600m runter und muss bis auf fast 1000m wieder hochsteigen, damit mich Staatsfeind Nummer 1 nicht erwischt.
    Im Trollhaarwald geht es auf der Scooter-Strecke dann recht steil entlang kleiner Bäche wieder aufwärts.
    Vor mir grummelt es schon wieder in diesem Wolkenmix von weiß über bläulich bis tiefschwarz. Gegen dreiviertel sieben komme ich ins Drevfjällen Naturreservat. Was in der Anleitung des heutigen Tages nur sehr klein und unleserlich geschrieben war: Es geht jetzt auf, dann noch einmal ab ins Tal und dann erst hoch aufs Plateau. Da bleibt von der kräftigen Mahlzeit nicht viel übrig.
    Ich laufe gegen halb acht direkt auf eine Gewitterfront zu, vor mir bollert es immer mehr und so werde ich in einem guten Kilometer auf 900m ü.M. den Shelter Gröningshålan aufsuchen und den weiteren Verlauf entscheiden. Auf dieser Höhe ist wieder wie mit Lineal die Baumgrenze gezogen, also ab hier nur noch Krüppel-Kiefern, die aufwärts immer spärlicher und verkümmerter werden. Das Wetter hat sich beruhigt, es ist leicht windig, ich werde weiterlaufen. Nicht allzu lange hin gehen in meiner Laufrichtung mehrere Blitze mit lautem Krach nieder. Ich setze mich in eine Kuhle, warte gut 20 Minuten und beobachte dabei, was die Wolken über mir tun. Nachdem sie etwas weitergezogen sind, stapfe ich auch weiter. Es ist der 1. Juni und Petrus hat wohl heute die neue Programmzeitschrift für die nächsten vier Wochen bekommen. Als er reinschaut, was die PrimeTime am Samstagabend hergibt, weint er bitterliche Tränen. Und wer muss das wieder ausbaden? Er blättert scheinbar recht lange und erst um halb zehn stellt er fest, dass es zwecklos ist und schaltet das große Licht wieder an für alle, die draußen spielen wollen. Bis er sich wieder eingekriegt hat, dauert es aber noch eine halbe Stunde. Ich kann in dieser Zeit meine Regensachen einmal vollständig durchtesten und erreiche kurz darauf nach einem guten Kilometer Verlaufen gegen zehn die Drevfjällstugan. Eine kleine unbewirtschaftete Wanderhütte, in der ich sehr gemütlich die Nacht zubringen werde.
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  • 2. Juni - Ruhetag

    2 giugno 2024, Svezia ⋅ ☁️ 18 °C

    Ich habe gestern Abend erst gemerkt, dass ja schon Samstag war, also heute Ruhetag ist. Es sieht hier draußen aber auch dienstags nicht anders aus als sonntags und ich habe dafür ziemlich das Gefühl verloren. Diese Hütte bietet sich an und so schlafe ich bis um halb neun aus und frühstücke. Während es am Morgen noch ziemlich bedeckt ist, lichtet sich der Himmel und es wird mehr und mehr blau, so dass ich nach dem Frühstück die Wäsche ansetze und alles, was in irgendeiner Form Sonne braucht, draußen hindrapiere: Solarzellen, Schuhe, Wäsche, mich…
    In den Tagen im Fjäll ist deutlich aufgefallen, dass der Mobilfunk-Empfang hierum deutlich eingeschränkter ist, das hatte ich eigentlich erst weiter nördlich erwartet. Aber es ist halt Gebirge und so bin ich ab jetzt darauf eingestellt, vielleicht auch mal ein, zwei, drei Tage keinen Empfang zu haben oder nur mal sporadisch an Stellen, wo ich ihn zwecks Flugmodus nicht wahrnehme. Heute zum Beispiel muss ich ein Stück weit von der Hütte bergauf gehen und jeweils einen Spruch aufsagen, um ein paar Mal etwas Empfang zu haben, scheinbar nuschle ich aber oft. Bin verwundert, dass es einmal sogar für die Fütterung der Pinguine reicht.
    Von den 8 Grad, auf die der Regen gestern alles runtergekühlt hatte, ist das Thermometer heute doch wieder auf 14 Grad am Abend hochgeklettert.
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  • 3. Juni

    3 giugno 2024, Svezia ⋅ ☀️ 15 °C

    Um kurz nach sechs aufgestanden, mache ich mich heute schon vor halb acht auf den Weg. Es ist schon ein wenig sonnig und zieht sich auf halber Höhe zwischen Berg und Tal im Wald langsam Richtung Talsohle, an der ich gegen neun dann an den Drevsjön komme und die erste Pause mache. Das Tal ist nicht sehr tief eingeschnitten, so bleibe ich auf gut 800m Höhe. Es geht ab jetzt in dieser Höhe durch nasses Birkenland; gut, dass ich meine Schuhe gestern mal wieder eingewachst habe. Auffällig sind hier die Unmengen von Elchlosung, vielleicht ergibt sich ja mal wieder was. Es läuft sich recht einfach, der Wald ist nicht so dicht, alles recht weit offen und auch eine große Menge an Totholz zu bewundern. Tatsächlich sind diese toten Bäume uralt und haben etwas ganz Besonderes. Einige sind massiv in sich verdreht, das konnte ich auch schon recht häufig bei den alten Holzhäusern sehen. Und ich sehe in dieser immernassen Landschaft mehr und mehr Blüten von Hjortron, der Moltebeere. Sie wird schon in gut vier Wochen reif sein, diese gelb-orange leckere Frucht mit der leichten Aprikosen-Note. Gegen elf komme ich an eine halb durchgebrochene Brücke, sie ächzt unter meinem Gewicht, aber sie hält. Die nächste, die ich gegen zwölf erreiche, ist eine ganz kaputte Brücke, von der nur noch ein paar Einzelteile existieren. Hier heißt es heute zum ersten Mal in Schweden Furten. Das Umbauen von Wanderschuhen auf Crocs ist schnell gemacht, das Durchwaten eine Sache von ein bis zwei Minuten, da ist die Soße teurer als der Braten. Es war zwar auch eine Stelle, da hätte ich mit einem großen Sprung übersetzen können, aber nicht mit 30 Kilo Gepäck auf dem Rücken. Nebenbei nasche ich heute ein paar Winegums aus dem letzten Supermarkt. Geschmacklich ist damit kein Blumentopf zu gewinnen und wenn ich mir die Zutatenliste ansehe, ist es eine Komposition komplett in E-Moll. Naja, was wir bezahlt haben, wird gegessen. Am weiteren Nachmittag ändert sich das Land etwas in eine schräge Ebene aus großen Felsblöcken und vereinzelten Bäumen. Von hier aus habe ich einen wunderbaren Blick in Richtung Norden. Selbige laufe ich auch seit vorhin wieder und habe dort recht hohe Berge mit Schnee im Voraus. Gegen fünf komme ich an die Hütte Röskåsen, mache hier noch eine letzte Pause und finde das Buch „Die 100 besten deutschen Gedichte“, das ich natürlich gleich erst mal durchschmökere, aber von der recht trübseligen Auswahl des Gereimten nicht wirklich begeistert bin. Es geht jetzt noch gute 6 km weiter bis an den Busjön, an dem ich heute niederkommen will. Ich sehe den See schon seit einiger Zeit vor mir. Es ist weiterhin so wie den ganzen Tag heute ziemlich feucht und nass untenrum, aber bei dem herrlichen Wetter und mit so viel Zeit wunderbar zu laufen. Gegen sieben erreiche ich mein Ziel und werde auf der Wiese nahe einiger alter Holzhäuser mein Zelt platzieren.Leggi altro

  • 4. Juni

    4 giugno 2024, Svezia ⋅ ☁️ 12 °C

    Endlich habe ich mal wieder im Zelt geschlafen nach so vielen Nächten in prächtigen Hütten. Trotz des warmen Wetters hat es sich doch einigermaßen abgekühlt, da auch gestern schon den ganzen Tag über ganz gut Wind war. Was mich ja grundsätzlich erfreut zwecks Abkühlung beim Laufen, vor allem aber Mücken und Knots können damit nicht gut um. Kurz nach acht starte ich heute, es wird wieder den ganzen Tag durch einigermaßen flaches Hochland gehen mit viel nassem, weitläufigen Sumpfland. Gegen neun werfe ich etwas irritiert einen Blick in die Karte, ich laufe schon seit geraumer Zeit auf die Sonne zu, was ja heißt, dass ich nicht nach Norden unterwegs bin. Nehme aber wahr, dass es einfach eine Zeit lang jetzt mal nach Osten führt. Meine Wahrnehmung für diese Dinge ist über die Zeit deutlich besser geworden und so reagiere ich ganz unterbewusst inzwischen viel früher, wenn ich doch abseits der Richtung bin oder mal über eine Zeit keine Markierungen mehr wahrnehme.
    Als es wieder nördlich geht, kann ich über die großen freien Flächen in gut 30km Entfernung westlich in Norwegen deutlich höhere Berge sehen, sie sind über 1700m hoch. Tolle Landschaft!
    Gegen dreiviertel zehn mache ich die erste Pause, sie ist mir die wichtigste geworden im Laufe dieser Reise. Früher bin ich morgens voller Energie losgezogen und gelaufen quasi so lange ich konnte, um dann, wenn ich kaputt war, mit Pausen anzufangen. Jetzt ist regelmäßig nach einer oder spätestens anderthalb Stunden die erste Pause fällig, alle weiteren sind dann eher nach Bedarf und Gelände ausgerichtet. Es läuft sich doch kaum schöner als nach einer Pause.
    Und weil es sich so schön läuft und mir dabei auch ganz viele Lieder durch den Kopf gehen, kann ich bei der nächsten Pause nicht anders, als mir einmal lautstark Janis Joplin und Bobby McGee zu geben, weil der Empfang es auch gerade zulässt. Unterwegs höre ich sonst grundsätzlich keine Musik, außer die, die ich selbst mache.
    Während ich hier so laufe entlang der Seen, Tümpel und Wasserlöcher bleibe ich natürlich häufig mal stehen, um nach Käfern, Pflanzen oder auch einfach nur Fantasiebildern Ausschau zu halten. Ich bin fasziniert von manchen Pflanzen, die ich an einer Stelle noch mit gerade beginnenden Blüten sehe und ein Stück weiter hat sie sich schon entwickelt und ist zu einer solch filigranen Schönheit geworden. Mich beeindruckt das sehr.
    Bis um zwölf hat sich der Himmel fast unbemerkt zugezogen, es ist angenehm kühl mit leichtem Wind.
    Kurz darauf komme ich seit einigen Tagen mal wieder an eine Schotterpiste durch den Wald, sie führt mich jetzt auf den nächsten 2km nach Flötningen, das hört sich merkwürdig Deutsch an. Immerhin ist es sowas wie ein Dorf, klar ist alles weit verstreut, vielleicht 10 oder 15 Häuser. Ich sehe sogar einen Menschen bei der Gartenarbeit. Direkt als ich weitergehe, der Weg kreuzt hier die B70, zeigt mir die orange Kennzeichnung den Pfad auf den Winterweg. Ich blicke über eine circa 300 m lange ebene Grasfläche, bei der ich von hier aus schon erkenne, dass sie wirklich nass ist und frage mich, ob das wirklich so sein soll, stapfe aber erst mal gute 50m einwärts. Es bestätigt sich, was ich angenommen habe: Es ist sehr nass und so gucke ich noch mal kurz nach der Karte, um dort zu sehen, dass der Weg noch einmal ein Stück weiter entlang der Straße führt. Jetzt müsste ich allerdings zurückgehen und schon wieder ist in meinem Kopf der Schalter rum: Nein, zurück gehe ich niemals nicht. Und so stapfe ich laut schmatzend durch den Riesen-Glitzi-Haushaltsschwamm. Immer wieder muss ich nach rechts und links ausweichen, um den direkten Wasserstellen zu entgehen, schließlich steht es bei meinen Schuhen schon Oberkante Unterlippe. Nach drei Viertel der Strecke schaffe ich es dann aber doch, einen Schuh auch von oben her zu befüllen, kurz drauf der Ausgleich zum 1:1. Das musste ja so kommen. Eine gute Viertelstunde später bin ich dann wieder auf dem richtigen Weg, tausche meine Socken gegen ein Set trockene und frage mich wieder einmal: „Fabian, warum bist du niemals bereit, die paar Meter zurückzugehen?“ Aber er antwortet mir nicht.
    Während der Pause in Flötningen habe ich mich auch noch mal ein wenig mit dem nächsten Laden beschäftigt. Erstens, weil hier einigermaßen Empfang ist und auch weil mir die Tage bei irgendeinem Gespräch im Ohr geklingelt hat, der 6. Juni wäre der Nationalfeiertag der Schweden und da ist in diesen kleinen Butzen natürlich „stängt“. Ausgerechnet an diesem Tag möchte ich aber gern in einem der zwei Läden, die es demnächst gibt, um Nahrung vorsprechen. Einer der beiden hat nur vormittags geöffnet, fällt also für mich morgen aus, der zweite hat morgen am Nachmittag aber nur bis um vier offen. Ich werde mich also sputen müssen, damit ich mir nicht einen ganzen Tag lang die Nase am Schaufenster platt drücke.
    Gegen halb vier, während ich die ganze Zeit schon auf einem Schotterweg entlang laufe, stelle ich fest: Hier ist gar kein E1, dieser Weg existiert nicht mal in meiner Karte. Ich bin nur 100m von der norwegischen Grenze entfernt und habe jetzt gut 2km querwaldein bis zurück auf den Weg, eine andere Variante gibt es nicht. Dabei passiere ich in östliche Richtung noch zwei weitere gute Forstwege, die auch nicht in meiner Karte zu finden sind. Ich frage mich, ob das GPS-System vielleicht gerade spinnt und ich eventuell schon an der richtigen Stelle war. Aber es ist jetzt nicht wirklich die Zeit, das herauszufinden, also arbeite ich mich weiter Richtung Osten durch und tatsächlich, der kleine Ausflug kostet mich auch nur eine Stunde, bin ich wieder zurück und aufgegleist.
    Den Rest des Weges bleibe ich auf dieser Piste und erreiche gegen acht nach fast 32 km heute eine Hütte, in der ich übernachten werde. Kurz vorher komme ich aber noch am Wegesrand an einer Art sprudelnden Quelle vorbei. Hier guckt ein Rohr aus dem Boden, aus dem sauberes Wasser sprudelt, besonders auffällig, dass es nicht so typisch braun, sondern wirklich klar ist. Ich bin heute besonders weit gelaufen, damit ich morgen auch mit Sicherheit rechtzeitig am Nachmittag noch den Laden erreiche.
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  • 5. Juni

    5 giugno 2024, Svezia ⋅ ☀️ 3 °C

    Um sieben aufgestanden, brauche ich heute gut 2 Stunden, bis ich loskomme. Es ist draußen herbstlich trüb und es liegt leichter Niesel in der Luft. Deshalb habe ich gleich das Regenzeug übergezogen, weil ich davon ausgehe, es wird noch etwas mehr werden. Tatsächlich wird es immer mehr regnerisch, wechselhaft und dabei windig. Bis um kurz nach zehn laufe ich auf einem geschotterten Forstweg und komme jetzt pünktlich zur ersten Pause an einen Shelter, an dem ich mich trocken untersetzen und ausruhen kann. Ab jetzt führt der Weg im Wald weiter auf echten Wanderpfaden über Stock und Stein und natürlich sumpfiges Gras. Angesichts dieses Wetters passiert nicht allzu viel, nicht mal die Vögel singen, aber ich weiß, dass Klärchen sich hinter diesem Milchgrau versteckt hält. Wahrscheinlich nimmt sie selbst heute ein Bad, will sich mir einfach nicht nackt zeigen und hat deshalb den grauen Vorhang zugezogen. Es sei ihr gegönnt, schließlich hat sie sich hier mehr als vier Wochen lang zu meinen Gunsten ziemlich verausgabt.
    Gegen zwölf komme ich an eine alte Bodarna, es ist die Valdalsbygget Raststuga. In einer der Hütten kann ich Mittag machen. Ich habe bis zum Laden jetzt nur noch gut 5 km vor mir. Während der Pause nimmt der Regen massiv zu, es schüttet heftig. Wahrscheinlich ist grad ihre Wanne dort oben übergelaufen oder sie sitzt laut johlend drin und patscht mit beiden Händen flach aufs Wasser. Morgen ist hier Nationalfeiertag, da will sie wieder glänzen wie 350g Landbutter. Nichtsdestotrotz breche ich um eins auf, der Konsum ruft sehr laut und ich habe einfach Angst, dort heute zu spät anzukommen. Der Weg läuft sich gut, der Regen wird noch stärker. Es geht eine Zeit lang über ein baumloses Plateau, wo der Regen fast waagerecht fällt und mir ins Gesicht peitscht. Trotzdem habe ich heute ziemliche Freude an diesem Wetter. Gegen halb drei komme ich zum Laden, ich darf meinen Rucksack samt patschnassem Poncho gleich mittendrin stehen lassen und brauche fast bis zum Ladenschluss, bis ich mich der Fressalien bemächtigt und sie dann auch noch auf die Schnelle verpackt habe. Immerhin muss ich davon auf knapp 200 Kilometern jetzt leben. Der Regen hat nicht nachgelassen, ich laufe nicht allzu weit und komme an der örtlichen Kirche, Storsätterns Kapell vorbei. Angesichts des Wetters und der Zeit, die ich habe, kehre ich hier für anderthalb Stunden ein, genieße auch diese Ruhe und natürlich den Schutz, den sie bietet. In der Zwischenzeit hat der Regen tatsächlich aufgehört, ich sehe sogar mal blauen Himmel durch. Da will ich doch nicht untätig sein und breche auf. Habe einen Shelter im Ort Grövelsjön in gut 5 km am südlichen Ende des gleichnamigen Sees zur Übernachtung angedacht. Aber kaum bin ich ein paar hundert Meter gegangen, kommt auf meiner Straßenseite ein Engel daher. Es ist Alena mit ihrer Husky-Hündin Umka. Wir kommen ins Gespräch und prompt, als sie mich fragt, ob ich noch irgendetwas brauche, fällt mir meine leere Kaffeedose ein. Hab ich im Laden vorhin nicht mehr dran gedacht, der ist jetzt lange zu. Sie lädt mich ein auf einen Kaffee zum Trinken und einen Teil zum mitnehmen für die kommenden Tage. Außerdem kann ich mal wieder eine warme Dusche genießen und was viel wichtiger ist, wir unterhalten uns eine ganze Weile, während Umka mich immer wieder anstupst, doch nicht mit dem Streicheln aufzuhören. Alena ist mal eine junge, die mir eine Geschichte erzählen kann, ihre Herkunft aus Karelien und ihr Weg über Finnland bis hier nach Schweden oder von ihrer Arbeit in Idre. Mir gefällt das. Zu guter Letzt empfiehlt sie mir noch zur Übernachtung in der Nähe eine Art Museumsdörfchen, eine Bodarna mit uralten Häusern, das älteste aus 1751. Danke für deine liebenswerte Art.
    Als ich nach um acht dort ankomme, sehe ich mich erst mal in allen Häusern, Ställen und Werkstätten um. Das ist wirklich fantastisch, wie alles noch uralt und möglichst original eingerichtet ist. Auch der Stall wird zur Saison für das Vieh genutzt. Aktuell ist niemand hier, so dass ich mich für diese Nacht hier einrichten werde.
    Da ich im Supermarkt war, gibt es heute mal wieder ein umfangreicheres frisches Mahl, unter anderem eine ganze Packung Spiegeleier.
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  • 6. Juni

    6 giugno 2024, Svezia ⋅ ⛅ 6 °C

    Nach einem etwas üppigeren Frühstück heute morgen starte ich gegen neun. Es ist draußen sehr wechselhaft von blauem Himmel bis zu Graupel und Regen, das ganze im viertelstündlichen Wechsel. Es hat sich durch den Regen sehr abgekühlt, in der Nacht waren es um die drei Grad, am Vormittag ist es nur knapp über fünf.
    An der Fjällstation Grövelsjön mache ich die erste und auch merkwürdig lange Pause. Ab hier trenne ich mich auch für gut 200km vom E1, der führt ab jetzt nach Norwegen, während ich weiter dem südlichen Kungsleden in Schweden folge. Nach einem knackig steilen Anstieg verlasse ich schon nach gut 20 Minuten den Mischwald und habe jetzt noch für weitere 20 Minuten Krüppelbirken um mich herum. Jetzt ist der Blick wieder frei, ich bewege mich wieder bei gut 1000m ü.M. oben durchs Fjäll. Noch während ich mich begeistert in alle Richtungen umsehe, zieht hinter mir ein Schauer heran, es graupelt für gut 15 Minuten und danach hab ich für längere Zeit von oben her Ruhe. Nichtsdestotrotz ist der Wind ganz ordentlich. Gegen halb zwei treffe ich zwei junge Schwedinnen, die mit ihrem Hund für ein paar Tage unterwegs sind und gerade eine Pause machen. Sie werden wahrscheinlich die einzigen bleiben, die ich treffe.
    Um zwei erreiche ich die Hütte Särsjöbäcken, passenderweise zieht hinter mir gerade die nächste schwarze Front heran und so kann ich eine längere Pause machen, während es draußen auch schon einige Male donnert. Es ist eine sehr kleine Schutzhütte, die mir für eine kurze Feierlichkeit der gerade erreichten 2000km allemal gut ist. Ich hatte dazu eingeladen und reiche Käsehäppchen an, hinterher gibt’s für jeden noch was Schoki und schon ist die Party auch vorbei. Was lese ich da grad neben den vielen „Ich war hier“ auf die Wand gekritzelt: „Kurz mal nicht nachgedacht, gewandert, zack Glücklich!“ Das hätte auch einer unserer großen Dichter und Denker nicht besser zusammenfassen können.
    Als ich weiterziehe, ist es trocken, aber sehr kalt und windig, so dass ich meinen Hoody und die Handschuhe um Hilfe bitte. Es geht jetzt von der Höhe wieder ein wenig abwärts ins Tal Richtung See Hävlingen, hier muss ich durch eine ganze Reihe von Blockfeldern klettern. Vieles ist auch dicht bewachsen, so dass hier auf Schritt und Tritt die Moskitos auch wegen der vielen nassen Stellen des Sees aus dem Kraut schießen. Eins muss ich aber fairerweise mal dazu sagen, die Zustände, die ich nach Mora hatte, sind seitdem deutlich besser geworden und es ist jetzt eher nach dem Schema: Leben und stechen lassen oder wie der Spruch heißt.
    Nach einer Rast am See geht es natürlich wieder aufwärts. Es zieht sich über 1 Stunde lang durch den Wald. Dazu kommt noch einmal fast eine halbe Stunde lang ein heftiger Graupelschauer und es läuft sich sehr aufwändig, da es wirklich nur Klettern durch nasse Stein- und Blockfelder ist. Von Zeit zu Zeit bleibe ich stehen und versuche, weiter in die Ferne zu sehen, da dieses ewige Fokussieren immer einen Meter vor mir sehr anstrengend ist. Endlich wieder oben raus ist freie Sicht und rundherum ist es wieder wie in einem gut sortierten Gemischtwarenladen, für jeden etwas dabei: blendend gelb, schneeweiß, azur, feinste Graustufen bis zu dunklem Blau und tiefgrau. Ich steige wieder auf gut 950m und erwarte dort eine Hütte am Slagusjön. Ich bin noch nicht sicher, ob ich dort heute bleibe oder noch gute 3km weiter zum nächsten See laufe.
    Nachdem ich hier eine kurze Rast gemacht habe, entscheide ich mich weiterzugehen, da die Hütte eine ziemlich kleine zugige Schutzhütte ist, obwohl die Lage hier oben mit zwei Seen vor und hinter dem Haus schon sehr schön ist. Ich stehe übrigens an einem besonderen Punkt, hier ist eine Wasserscheide. Der eine Abfluss zieht sich Richtung Osten über mehr als 500 km bis zum bottnischen Meerbusen, die andere Seite geht mehr als 700 km bis nach Göteborg an die Westküste.
    Die knapp 3 km, die ich jetzt noch vor mir habe, sind auch eine weite Landschaft voller Felsbrocken und ich erreiche genau um acht die Fjällstuga Storrödtjärn. Hier treffe ich ein paar Schweden an, sie sind alle unabhängig voneinander für einige Tage im Fjäll unterwegs und nutzen kostenpflichtig die Betten in der Hütte. Es ist interessant, geradezu als wenn ich die Zeitung aufschlage. Das sind die Schlagzeilen:
    -Gestern hatten sie hier noch Schnee
    -Ralf, der Holländer ist vor 2-3 Stunden hier gewesen und weitergezogen
    -Einer von ihnen hat vor kurzem in Mora einen verrückten Deutschen getroffen, der mit vier Pferden zu Fuß durch ganz Europa unterwegs ist.
    Aufgefrischt mit dem Wichtigsten der letzten Tage ziehe ich knapp 100 m von der Stuga entfernt an ein schönes Plätzchen und baue mein Zelt auf. Hier oben, gerade wo es jetzt schon heftig windet, natürlich mit allen Sicherungsmaßnahmen.
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  • 7. Juni

    7 giugno 2024, Svezia ⋅ ☁️ 9 °C

    Was für eine gute Nacht. Einigermaßen kalt, aber irgendwann hat der Wind aufgehört. Als ich um zwei mal wach bin, ist es total windstill, für diese Berglage finde ich das fast surreal. Ich werde in nächster Zeit das Zelt häufiger verwenden, da die Saison in Kürze startet und die Hütten dann häufiger belegt sind, beziehungsweise ich die kostenpflichtigen nicht nehmen werde und es eine Reihe von anderen gibt, in denen es zumindest formell betrachtet nicht erlaubt ist zu übernachten. So auch einige der letzten, die mir so angenehm waren. Es ist herrlicher Sonnenschein am Morgen. Ich frühstücke und packe routiniert zusammen. Ab um neun geht es etwas niedriger durch waldartiges Land, das stark beplankt ist. Die Holzplanken gehen je nach Alter natürlich auch den Weg alles Irdischen und so sind etliche dabei, von denen nur noch ein schmaler, morsch-verfaulter Rest übrig ist, auf denen ich wie auf einem Schwebebalken dahintanze, mit weit ausgestreckten Armen und einem Lied auf den Lippen. (Fabian, 47, männlich, Hausfrau und Prima Ballerina)
    Pünktlich zur ersten Pausenzeit steht mitten im Nichts völlig unerwartet eine Bank, ob mich hier jemand erwartet hat?
    Es geht heute immer wieder wechselhaft durch große Blockfelder, die sich allerdings bei diesem Wetter gut durchlaufen, besser gesagt durchsteigen lassen und auch immer mal wieder über offene nass-sumpfige Landschaft, die aber hier meistenteils so geführt ist, dass ich nicht mit den Schuhen tief in den nassen Schwamm einsinke. Im Laufe des Tages türmen sich die Quellwolken immer weiter auf, entsprechend werden sie nach dem Mittag mehr und mehr dunkel von unten, aber ich rechne kaum mit ernstzunehmendem Regen.
    Als es sich nach der Mittagspause lange hoch auf den Berg zieht, ist es mal wieder an der Zeit, eine Runde Erschrecken zu spielen. Ein Schneehuhn hat sich arglistig hinter einem großen Fels versteckt und just auf den Moment gewartet, als ich gerade mal einen Meter daneben bin, um laut gackernd oder lachend davonzufliegen. Ich mache auf meiner Lebenszeiterwartungsliste mal wieder einen Abstrich.
    Gegen zwei erreiche ich die Spitze des Bergs Tandsjövålen auf 993m ü.M., der Weg ist extra hier hochgeführt, da es eine herrliche Aussicht über den See Rogen ist. An dessen nordwestlicher Flanke werde ich heute den Rest des Tages entlanglaufen. Da denke ich wieder an diesen wahren Satz von Jean Paul: „Man kann einen seligen, seligsten Tag haben, ohne etwas anders dazu zu gebrauchen als blauen Himmel und grüne Frühlingserde.“
    Von hier oben aus mit diesem fantastischen Weitblick sehe ich einerseits hinter mir nun doch verschiedene Regenfelder heranziehen mit den grauen Schlieren, die sich bis zur Erde ziehen, ebenso sehe ich aber über dem Rogen in weiter Entfernung auch etwas, das ich womöglich so noch nie beobachtet habe: Das Aufsteigen des Wasserdampfs. Typischerweise sehen wir die Wolken ja eher ab einer gewissen Höhe. Das Aufsteigen selbst ist hier ähnlich wie die Schlieren des fallenden Regens, nur entsprechend in weiß und aufstrebend nach oben zu sehen.
    Nachdem ich vom Berg runter auf Seehöhe bin, zieht es sich gute 10km in einiger Entfernung zum See durch Wald oder Sumpfland. Im Wald auf den Pfaden ebenso wie auf den Holzbohlen oder Brücken ist abgesehen von Wanderern immer mächtig Verkehr. Hauptsächlich Ameisen sind hier in großer Zahl anzutreffen, eine erregt aber mit ihrer Schlepperei da unten meine Aufmerksamkeit. Ich frage sie, was sie denn vorhat: Sie käme wohl da hinten aus dem Blockfeld von Libellas Flügelverleih (ausdrücklich keine Pianos) und bis zum See sind es nur noch dreihundert Meter. Sie ist zwar eine gelernte Ameise und die Eltern haben es strikt verboten, aber sie will jetzt Windsurfen lernen. Ich zeige mich beeindruckt und sage ihr, damit schafft sie es heute in meine TV-Show. Sie ist stolz wie Bolle und will jetzt richtig gut dastehen, deshalb klemmt sie sich am Ende unter den anderen Arm noch eins dieser hippen zweinadligen Surfboards. Damit ist sie jetzt vollständig ausgerüstet.
    Wenn jemand wüsste, wie sehr ich das liebe, wenn sich am Wegesrand der kleine Vorhang öffnet und das Puppentheater beginnt ;)
    Schmunzelnd ziehe ich weiter und stelle mir noch vor, wie sie später etwas wacklig über den See surft. Dieser Gedanke einer aufrecht stehenden Ameise kommt aber mal nicht von ungefähr: Am Morgen habe ich auf einer der Brücken beobachtet, dass sie da auch ihren ganzen Klump über‘n Bach schleppen. Als ich das fotografieren wollte, (ja, da muss ich gaaanz dicht rangehen) standen sie zu dritt unter dem Telefon und haben Männchen gemacht. Und da soll ich ernst bleiben…
    Gegen halb sechs springt mir jemand anderes vor die Linse, es ist ein Grünschenkel. Mal wieder Federvieh, das ich schon wie oft gehört oder auch hab fliegen sehen, aber jetzt mal so nah und mit Bilderrahmen ist viel schöner.
    Gegen sieben erreiche ich am nördlichen Ende des Sees den Shelter Rödvik, hier treffe ich Jürgen an, ein Deutscher, der mit einem Faltboot in dieser Gegend auf verschiedenen Seen auf Angeltour ist. Wir kochen jeder was, unterhalten uns ein wenig und bauen danach die Zelte auf. Um halb neun, ich bin gerade mit allem fertig, gibt es einen heftigen Graupelschauer, danach ist Friede…
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  • 8. Juni

    8 giugno 2024, Svezia ⋅ ☁️ 4 °C

    Die Nacht hat sich trocken gehalten, dafür gibt es am Morgen um sieben, als ich kurz vorm Aufstehen bin, einen kurzen Regenschauer. Es hält sich aber trotzdem so gut, dass ich gegen neun, als ich mit Frühstücken und Einpacken fertig bin, auch das Zelt komplett getrocknet ist, so dass ich mich darum heute weiter nicht kümmern muss. Jürgen ist gerade um die Zeit jetzt aufgestanden, wir verabschieden uns und ich ziehe weiter nordwestlich entlang des Rogen. Es geht auf die norwegische Grenze zu, nördlich von mir ziehen sich in einigen 100m Entfernung steil aufragende Felswände entlang. Ich habe übrigens schon gestern die Provinz Dalarna verlassen und bin ab jetzt in Jämtland unterwegs. Gegen zwölf bin ich kurz vor Norwegen, hier knickt der Weg jetzt wieder scharf ab Richtung Norden.
    Gerade auf einem langen Bohlenpfad durchs Sumpfland unterwegs, kommt mir ein Hund mit Herrchen entgegen, Deutsche, die den Kungsleden Richtung Süden laufen. Es ist interessant zu sehen, dass der Hund auch rechts und links eine Tasche mit seinem Futter trägt.
    Einen guten Kilometer weiter in der Skedbrostugan treffe ich den Tschechen Petr. Er ist aus Brno und läuft einen Teil des südlichen Kungsleden. Wir halten gemeinsam die Pause hier ab und werden uns später sicher noch mal wiedersehen.
    Der Weg, der jetzt vom Rogen wegführt, nimmt nicht wirklich an Höhe zu, sondern es geht mehr und mehr durch ein Netz von See an See, die irgendwie miteinander verbunden sind. Dementsprechend ist es ganz gemischtes Gelände auf recht sandigem Untergrund. In den Seen hier ist der Bereich am Ufer oftmals aus hellem, recht feinen Sand, wie ein feiner Sandstrand ausgebildet, Dazwischen natürlich immer wieder, sonst wäre es nicht diese Landschaft, Stein- und Blockfelder, die durchklettert werden müssen. Bis dahin hat sich das Wetter prächtig gehalten, auch wenn es, was die Wolken betrifft, einigermaßen bedeckt oder wechselhaft ist.
    Gegen sechs beginnt es zu regnen, es regnet sich scheinbar ein. Ich habe noch gut 7 Kilometer vor mir, will oben in den Bergen übernachten. Bei einer Geschwindigkeit von höchstens drei Kilometern pro Stunde heißt das, es wird spät heute. Gegen sieben oder halb acht komme ich an eine Hütte, die in der Karte nicht auftaucht. Für eine Pause taugt die mir, denke ich so und wie ich die Tür öffne, sitzen da schon Petr und der Onkel aus Amerika, Jeffrey aus Minneapolis. Sie haben in dieser kleinen gemütlichen Hütte schon das Feuer an und trocknen ihre Sachen. Da werde ich wohl weiterlatschen? Nix da! Eine interessante Runde, in der ich kaum zum Kochen komme vor lauter Erzählen. Ach, Wasser hab ich natürlich jetzt noch nicht, die 200m husche ich nochmal schnell runter zum nächsten Bach. Und während es draußen weiter vor sich hin gießt, endet dieser Abend doch sehr cozy.
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  • 9. Juni - Ruhetag

    9 giugno 2024, Svezia ⋅ ☁️ 6 °C

    Dieser Morgen sollte so früh beginnen. Jeffrey wollte schon um sieben losgehen und ich hätte diese Gelegenheit zum Frühaufstehen mitgenutzt. Letztendlich ist es aber doch wieder halb acht wie bei mir üblich, bis ich als Erster von allen aufstehe und dann die Runde das morgendliche Treiben beginnt. Nachdem alle gefrühstückt und gepackt haben, ich bin aber noch nicht ganz soweit, verabschieden wir uns. Dabei denke ich an den Ruhetag, der ja üblicherweise am Sonntag ist, den ich hier aber bisher wegen fehlenden Wassers für die Wäsche ausgeschlagen hatte. Da es die ganze Nacht geregnet hat und auch für den restlichen Tag sowas ansteht, entscheide ich mich, als ich schon fast die Schuhe anhabe, doch hier zu bleiben, da ich einen Ofen habe, sodass ich nach dem Waschen unabhängig vom Wetter auch trocknen kann. So muss ich zwar heute einige Male mit meinen Wasserflaschen und der tragbaren Waschmaschine runter zum Bach laufen, aber wenn ich eins habe, dann ist es ziemlich viel Zeit. Damit auch die nächsten Wanderer wieder Holz am Ofen vorfinden, mit dem sie direkt anschüren können, säge und spalte ich im Laufe des Tages einen guten Vorrat und so vergeht der Tag Stück für Stück mit immer wieder Regen und trockenen Phasen.Leggi altro

  • 10. Juni

    10 giugno 2024, Svezia ⋅ ☁️ 4 °C

    Obwohl die Nacht zeitlich gesehen lang genug war, war sie betreffs Schlafen doch recht kurz. Einerseits hat es bis Mitternacht ordentlich geregnet, andererseits war ab da heftiger Wind, dessen Pfeifen und Tosen um die Hütte herum ziemlich laut war. Trotzdem geht es um halb sieben raus und ich packe all meine wunderbar trockenen Sachen ein. Mein Blick schweift draußen weit ins Land. Während es hier noch heftig windet und dabei auch irgendwie aus den tief hängenden Wolken etwas regnet, ist es in der Ferne relativ hell über dem weiten Fjäll, d.h. die Sonne scheint dort schon durch. Kurz nach acht starte ich und es zieht sich relativ schnell aufwärts durch die letzten Birken. Schon nach 20 Minuten habe ich Mühe, die Hütte dort unten noch zu erkennen und nach einer halben Stunde habe ich das Plateau erreicht. Die Landschaft wirkt hier sehr sanft, da es keine freien Steinflächen sind, sondern alles mit Moosen, Flechten und kleinen Pflanzen bedeckt ist. Und so läuft es sich auch wunderbar, der Pfad ist feiner Kies und während der Wind hier oben schon noch ordentlich zieht, hat er gegenüber der Nacht inzwischen deutlich nachgelassen. Zwischendurch sehe ich immer mal ein Stück blauen Himmel und Sonne, während es nebenbei aus den durchziehenden Wolken etwas nieselt.
    In dieser Gegend, so hat Jeffrey erzählt, gibt es Moschusochsen, ich bin gespannt, ob ich einen davon vielleicht zu Gesicht bekomme. Ebenso deutet ein Schild darauf hin, dass ab dieser Gegend die Rentierherdenhaltung beginnt. D.h. ich bin inzwischen in der südlichsten Gegend der Sámi-People („Sumpfleute“) und werde wohl demnächst auch domestizierte (halbwilde) Rene zu sehen bekommen.
    Der Weg führt heute nach Hamra, das sind circa 17 km und guck an, es gibt dort einen Supermarkt. Das habe ich am Samstag im Gespräch mit Petr erfahren und hatte wohl bei meiner Planung die ganz dicke Filzbrille auf, als ich auf der Karte nach Shops gesucht habe. Ich werde dort also ein wenig frisches Obst und Brot kaufen. Der Rest ist laut Planung noch ausreichend vorhanden. Tatsächlich ist die Menge, die ich kalkuliert hatte, gar nicht schlecht. Für mich war es, wenn auch so gesehen unnötig, mal ein guter Test, da weiter im Norden definitiv noch einmal mindestens ein Stück kommt, wo ich für 10-12 Tage Futtervorrat mitnehmen muss.
    Die Landschaft hier auf dem Plateau ist so merkwürdig schön, meine Augen grasen die ganze Zeit rechts und links, obwohl gar nicht wirklich viel passiert. Hin und wieder ist ein Vogel zu hören, sonst ist es eher der Wind, den ich höre und gegen den ich hier auf 1100m ü.M. auch eine Lage mehr angezogen habe. Einerseits bin ich dankbar, dass ich gestern diese tolle Hütte hatte mit all ihren Vorzügen, andererseits wäre das Übernachten hier oben einfach landschaftlich gesehen eine tolle Sache gewesen. Mal schauen, wo ich heute Abend lande.
    Während ich zur Pause an einem kleinen See sitze, sehe ich in gut 70-80m Entfernung etwas helles liegen. Da es hier oben keine Bäume gibt, kann es also kein Totholz sein. Und so eröffne ich meine Rentiersaison nicht mit einem Tier als solchem, sondern mit einem Geweih. Es bricht innerlich sofort wieder dieses Sammelfieber aus, wie wir es letztes Jahr auch im Sarek hatten, aber ich weiß, dass ich am Ende einen Tieflader bräuchte, wenn ich alle gefunden Geweihe mitnehmen wollte. Von daher überlasse ich es der Natur oder vielleicht einem anderen Wanderer.
    Es läuft sich einfach wunderbar heute Morgen, für meine erste Pause nehme ich mir kaum Zeit, ich will weiter. Der Rucksack fühlt sich wie ein Leichtgewicht an, hoffentlich habe ich nichts in der Hütte liegen gelassen. Zu meiner rechten in einiger Entfernung sind etwas niedrigere, bewaldete Berge, die von der Sonne angestrahlt werden, im Voraus tut sich mit jedem kleinen Hügel, den ich übersteige, ein weiterer hoher, teils komplett schneebedeckter Berg auf. Was für ein Panorama! Die höheren Berge in einiger Entfernung zeigen auf ihren Spitzen deutlich, dass die letzten Nächte, in denen es bei mir geregnet hat, dort oben neuer Schnee gefallen ist. Gerade diese geänderten Temperaturen lassen mich wieder große Freude an meiner Thermoskanne haben, bei der ich in den letzten Tagen immer mal wieder darüber nachgedacht habe, sie vielleicht bei irgendjemandem zu hinterlassen, um sie später abzuholen. Dieser Prügel wiegt schließlich leer schon fast ein Kilo, aber jetzt tut sie mir wieder gute Dienste und schließlich wird es auch wieder Herbst werden, wo ich sie regelmäßig benötige. Von daher bleibt sie.
    Nach Hamra hin zieht es sich vom Berg runter durch ein Skigebiet entlang von Lift- und Pistenanlagen. Gegen zwei mache ich meinen Einkauf, der Gott sei Dank heute nicht so lange dauert und habe um drei auch schon die kleine Orgie vor dem Supermarkt hinter mir. Ab jetzt geht es jenseits des Tals wieder aufwärts in die Berge. Ich habe noch gute 8-9 km zu laufen bei wechselhaftem Wetter. Vorher geht es erst noch gute 3km an der Straße entlang durch Fjällnäs und fast wie erwartet, auf den Wiesen sehe ich doch die ersten Rentiere. Sie grasen dort oder ruhen und wirken nicht so scheu, wie ich sie aus Lappland so kenne.
    Dann ist der Weg recht einfach wieder rauf aufs Plateau. Es läuft sich recht einfach, wenn auch etwas nass und ich erreiche circa um acht eine Hütte, in der ich übernachten werde. Nicht zuletzt, da es angefangen hat zu schneien.
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  • 11. Juni

    11 giugno 2024, Svezia ⋅ ☁️ 3 °C

    Obwohl ich schon um sieben aufstehe, komme ich doch erst gegen neun los, mußte am Morgen noch Winterreifen aufziehen. Es hat bis mindestens um Mitternacht geschneit. Es ist nicht absonderlich kalt, entsprechend ist der Schnee nass und es taut. Ich lasse mir trotzdem ein Bad im Bach am Morgen nicht nehmen, wer weiß, wann wir wieder Schnee kriegen. Während der Weg von der Hütte aus nach einer Hängebrücke erst mal für einige Zeit lang steil aufwärts geht, ist jeglicher Pfad jetzt als Rinnsal ausgebildet, in dem ich nass in nass laufe. Oben auf dem Plateau wird es mehr ein stehendes Gewässer, so dass das Wasser tiefer ist, in dem ich die ganze Zeit rumpatsche. Erstmals heute auf dieser Reise sehe ich ein paar Falkenraubmöwen. Ich beobachte sie erst mal genau, da ich eine Erinnerung der besonderen Art vom nördlichen Kungsleden habe, hier ist mich eine der Möwen damals mehrfach angegangen. Ist dann immer sturzflugartig bis ca. 3m auf mich zugeflogen. Diese hier sind aber friedlicher. Die einzigen sonstigen Begleiter neben dem Wind heute am Morgen sind Goldregenpfeifer, die ich schon seit Wochen wahrnehme. Sie machen immer und immer wieder ein und denselben Piep, das begleitet mich durchaus eine halbe Stunde lang. Er fliegt 50m weiter, sitzt dort wieder, piept mich an, das geht ewig lange so und stört durchaus manchmal meinen Gesang. Schließlich bin ich eh, was das betrifft, auf wackligen Knien unterwegs und dann stört jemand konsequent immer wieder den Takt, da bin ich raus.
    Trotz der tief hängenden Wolken ist es immerhin trocken von oben und ich hoffe, dass meine Schuhe heute recht lange Freude an dieser Art des Wanderns haben werden. Mein Respekt gilt ja heute den Wanderern mit Trailrunnern. Die laufen unter diesen Umständen in wenigen Minuten voll, trocknen können sie aber kein bisschen.
    Der Pfad als solches ist oftmals nicht zu erkennen und er folgt glücklicherweise aktuell dem Winterweg, wie passend, so dass ich mich tatsächlich eher an den roten Kreuzen orientiere. Dann komme ich an einen Wasserlauf, der zwei Seen verbindet.
    Hier heißt es einmal die Wanderstöcke rauszuholen und zumindest das Telefon wasserdicht zu verstauen. Dann gehe ich vorsichtig über die am höchsten liegenden Steine durch das Wasser. Gegen elf geht’s dann auf ein Tal zu, das schon von weitem grün leuchtet, geschneit hat es da unten nicht. Auf dem Weg runter ins Tal begegne ich der ersten Rentierherde. Sie haben junge Kälber dabei, die noch recht klein sind. In der Größe habe ich sie noch nie gesehen, wirklich niedlich. Ich stoppe sofort und setze mich auf einen Stein, einerseits um sie ein wenig zu beobachten, andererseits ist das die Grundregel, nicht weiterzugehen, sondern zu warten und Ihnen Zeit zu geben, so dass sie nicht fluchtartig verschwinden müssen. Es ist inzwischen ein großes Problem, wie ich schon in den letzten Jahren erfahren habe, als ich hier im Norden unterwegs war, dass die Anzahl der Menschen draußen immer mehr zunimmt und immer mehr „Streetflowers“ dabei sind, völlig unerfahren in der Natur und immer scharf auf ein Foto. Entsprechend werden die Tiere so oft gestört am Tag und müssen flüchten, dass die Ureinwohner, die Samis, damit massive Probleme haben, die Kälber groß zu bekommen. Zum Beispiel achtet das Muttertier, mit dem die Kälber typischerweise unterwegs sind, bei schneller Flucht nicht auf das Kalb, sie verlieren sich also sehr schnell und finden dann nicht wieder zueinander. Damit ist das Ende für den Youngster besiegelt.
    Ich dehne das Ganze aus auf meine erste, längst überfällige Pause und es ist schön zu beobachten, wie sie nach kurzer Zeit schon wieder total ruhig sind. Die Kälber wieder gesäugt werden, sie grasen und langsam weiterziehen.
    Auf dem Weg hinab ins Tal nehme ich wahr, dass die Vegetation hier deutlich hinter der ist, die ich bis jetzt so gesehen habe. D.h. die Birken als auch das Weidengestrüpp sind teils gerade erst am Blühen. Das zeigt, dass die Gesamtbedingungen hier deutlich rauer sind als in der südlicheren Gegend, wo ich bisher war. Unten im Tal an einem Shelter mache ich nochmal eine Pause, hier begegnet mir ein älteres wanderndes Ehepaar, das scheinbar auf einer Tageswanderung ist. Sie sollen auf dem Weg heute die einzigen Menschen bleiben, die ich treffe. Und die Rentiere sind hier überall, ständig kommen wieder kleinere Herden dahergezogen.
    Aus dem Tal raus zieht es sich steil im Wald hoch in der Nähe eines größeren Bachlaufs.
    Ziemlich weit oben ist ein schöner Wasserfall und kurz danach muss ich dieses Gewässer überqueren. Das werde ich heute noch weitere fünf oder sechs mal tun. Dazu baue ich wieder alles um nach dem Standard-Procedere, allerdings immer mit den Wanderschuhen.
    Wieder auf dem freien Plateau angekommen, pfeift ein scharfer Wind und ich fühle mich sehr schwach, seitdem es steil hoch auf den Berg ging, sodass ich ständig stehe und Pause mache und mir sehnlich in 3km die nächste Hütte wünsche. Auf dem Weg dahin überlege ich, ob ich dort bleibe. An der Rasthütte Svaaletjahke angekommen esse und trinke ich noch mal was, lege mich dann eine Runde hin und schlafe und so wird es sechs, bis ich wieder aufwache. Bis zur nächsten Hütte sind es 8km und nachdem ich eine Zeit lang hin und her geknobelt habe, entscheide ich mich doch, noch einmal aufzubrechen. Draußen rum ist es aktuell trocken, allerdings weiterhin sehr kräftiger Wind aus West, der mich als laufende Schrankwand gut im Griff hat. Nach dieser Pause läuft es sich wieder geschmiert, da war ich wohl unterzuckert vorhin. Dann begegne ich wieder einer Falkenraubmöwe, die ich dieses Mal sogar toll einfangen kann. Es geht jetzt leicht abwärts in ein grünes Tal, ich kann kilometerweit den Pfad erkennen.
    Gegen acht wird es für heute zum ersten Mal richtig hell, für zehn Minuten kommt die Sonne raus und es gibt eine Portion blauen Himmel, ein wunderbarer Moment.
    Gegen neun erreiche ich die Fjällstuga Fältjägaren, deren Name wohl keiner Übersetzung bedarf. Und den sie in Gedenken an drei Feldjäger bekommen hat, die hier bei einer Übung im März 1944 bei einem Schneesturm ums Leben gekommen sind. Und nachdem ich es seit Tagen erwarte, ist es heute soweit: Ralf, der Holländer sitzt hier schon seit dem Nachmittag und hat Feuer an. Seit über zwei Wochen sehe ich auf dem Pfad immer wieder einen bestimmten Schuhabdruck, von dem ich immer annahm, es kann nur seiner sein, er ist mir nicht weit voraus. Und so kralle ich mir erstmal gleich einen seiner Wanderstiefel und Bingo, das Profil passt. Was für eine Freude, da wird es beim Essen und Plaudern doch gleich wieder Mitternacht.
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  • 12. Juni

    12 giugno 2024, Svezia ⋅ ☁️ 6 °C

    Auf nach Helags! Aber ruhig, erst mal wird zusammen in Ruhe gefrühstückt, die Bude bezahlt und klargemacht. Schließlich haben wir hier in einem richtigen Bett geschlafen, konnten den Gasherd, den Ofen und einige andere Annehmlichkeiten nutzen. Dann starte ich mit Ralf um halb zehn bei kaltem Wind, aber blauen Himmel und Sonnenschein zur gleichnamigen Fjällstation, die östlich des Massivs liegt. Dort werden sich unsere Wege ab heute trennen und wahrscheinlich werden wir uns in Richtung Norden nicht wiedersehen, obwohl wir quasi die selbe Destination haben. Von unserem Startpunkt, der Fjällstuga Fältjägaren, kann man links des Helags-Massivs (1796m ü.M.) auch schon das Sylarnas-Massiv (1762m ü.M.) sehen, das ich morgen ebenfalls an seiner östlichen Flanke passieren werde. Es läuft sich wunderbar, einerseits bei diesem tollen Wetter, aber auch der Weg und das Auf und Ab ist eine Freude. Kaum sind wir eine halbe Stunde unterwegs, begegnen wir der ersten Rentierherde. Die Tiere sind einigermaßen abseits des Weges, so dass wir weiterlaufen können und sie nicht besonders stören. Beim Laufen unterhalten wir uns die ganze Zeit und bleiben recht häufig stehen, um das angefangene Wort in Ruhe und auch akustisch verständlich zu Ende zu bringen, da das Laufen auf dem Pfad meistens nur hintereinander möglich ist, und da ist die Unterhaltung auf Dauer recht müßig.
    Kurz darauf begegnet uns noch einmal eine kleine Herde Rene, wir bleiben stehen, beobachten sie und geben ihnen Zeit, unseren Weg zusammen mit den Kälbern zu kreuzen.
    Zu unserer Linken haben wir hoch aufragend das schneebedeckte Bergmassiv, zur Rechten sehr weite grüne Flächen gespickt mit Seen. Es werden jetzt ständig mehr und mehr Bergkuppen oder -Spitzen, die jenseits der 1700m liegen und deutlich mit Schnee bedeckt sind.
    Nach gut 2 Stunden machen wir die erste Pause, gegen halb drei, wir sind jetzt schon seit einiger Zeit auf einen Ausläufer des Bergs hinaufgestiegen, machen wir unsere Mittagspause. Es ist ein prächtiger Platz, der trotz der Höhe nicht zugig ist und uns einen weiten Blick übers Land bietet. Der Wind hat teilweise komplett aufgehört und so genießen wir die Sonne und absolute Stille. Entsprechend dauern die Pausen recht lange, da wir beide kaum bereit sind, wieder aufzubrechen. Wir stellen recht simpel fest, dass wir gerade mit Nichts und Niemandem das hier eintauschen wollen. Ich freue mich innerlich und sicherlich merkt man es mir auch an, dass wir uns beide so viel Zeit nehmen. Heute ist eine so tolle gemeinsame Atmosphäre, mal ganz vom Wetter abgesehen. Und so schaffen wir es, für ganze 13km bis am Nachmittag um fünf zur Station zu brauchen. Hier sitzen wir noch mal für anderthalb Stunden zusammen, kochen uns einen Kaffee und verabschieden uns gegen halb sieben. Jeder von uns will jetzt noch ein bißchen Strecke machen, obwohl das für den heutigen Tag nur noch Beiwerk ist. Ich laufe ab Helags noch gute 9 km bei steiniger werdendem Gelände und habe das Sylarnas-Massiv schon die ganze Zeit vor mir. Zügig platziere ich noch meine Einraumwohnung auf einer kleinen Anhöhe, stiefele noch mal schnell runter zum Fluss, um alle Wasserflaschen zu füllen und nachdem ich noch was gegessen habe, ist gegen halb zehn Feierabend.
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  • 13. Juni - Bergfest

    13 giugno 2024, Svezia ⋅ ☁️ 10 °C

    In der Nacht gab es ein paar mal Regen, nicht sonderlich stark und außerdem lag ich auf der richtigen Seite der Zeltplane. Jegliche Feuchtigkeit haben Wind und Sonne am Morgen schon verdampft und sie bitten mich ab um sieben herauszutreten. Ich gehe gleich bei der Gelegenheit runter an den Fluss Handölan und nehme ein kaltes Vollbad. Nach dem Frühstück ist schnell alles verpackt, es ist deutlich das Schrumpfen in all den Fresstüten zu erkennen, morgen Abend will ich schließlich schon in Storlien sein, bis dahin wird es reichen. Bei herrlich bayrisch-kariert beleuchtetem Bergpanorama starte ich gegen neun, es zieht sich jetzt noch einige Kilometer an diesem schönen breiten Fluss entlang. Kaum bin ich eine Viertelstunde unterwegs, da gehen schon zum ersten Mal wieder die Schranken runter und ich lasse eine Herde Rentiere in Ruhe ein wenig ins Abseits ziehen. Obwohl der Wind einigermaßen frisch ist, lege ich nach kurzer Zeit das Hemd ab und bin wieder nur in meinem Terence-Hill-Shirt unterwegs, wie ich es nenne. Ich liebe dieses Teil, es wird mir mit jedem Tag, an dem ich es trage, etwas kürzer, hat inzwischen einige Löcher und mit der wilden Friese oben auf dem Schädel fühle ich mich tatsächlich wie in einem dieser brillanten Schinken aus den Siebzigern.
    Nach einer halben Stunde erreiche ich eine kleine Schutzhütte, die ich auch gestern Abend durchaus noch hätte aufsuchen können, aber nein, nicht für Geld und gute Worte, ich wollte unbedingt draußen schlafen.
    Während der ersten Frühstückspause ist es immer noch wunderbar sonnig, weiße Quellwolken türmen sich, aber der Wind hat deutlich aufgefrischt, so dass ich mir einen Platz hinter einem großen Stein suche, wo ich windgeschützt sitzen kann. Richtung Mittag zieht sich der Weg stetig einen Pass hinauf Richtung Sylarnas Fjällstation. Es sind noch einige Schneefelder zu überqueren, die allerdings dank der niedrigen Temperaturen soweit tragfähig sind, dass ich ohne einzusinken darüberlaufen kann.
    Auf dem Weg rauf sehe ich in einiger Entfernung in einem Schneefeld etwas merkwürdig grünlich-bläuliches schimmern. Das schreit natürlich nach: Komm und guck mal genauer, was hier los ist. Ich gehe vom Weg ab, dieses Mysterium aufzusuchen, an eine riesengroße Stelle, in der der Schnee in einer leichten Senke kreisförmig in sich eingebrochen ist. Während ich anfangs noch befürchte, diese Farbe würde beim Näherkommen oder aus einem anderen Winkel verschwinden, wird es umso intensiver, je dichter ich herankomme. Also bleibt mir nichts übrig, als diese riesengroße Stelle aufzusuchen, natürlich mit größter Freude. Was für ein merkwürdig schöner Ort, einerseits circa 4m hohe Schneemassen, auf denen ich stehe und die hier in Form eines riesigen Ovals zusammengefallen sind und dann dieses Türkis-Blau, was an einer Stelle aus dem Spalt scheint. Es ist tatsächlich das Blau des Himmels, dass sich durch eine besondere Schräglage des abgebrochenen Schneestücks auf der anderen Seite so schön widerspiegelt.
    Ich laufe weiter aufwärts über das gesamte Schneefeld und arbeite mich auf den Pfad zurück, habe dabei aber, das merke ich erst später, eine Weggabelung verpasst, an der ich rechts hätte gehen sollen, jetzt aber auf dem linken Teil bin. Der geht zwar grundsätzlich auch Richtung Fjällstation, aber mit einem kleinen Umweg. Und wie es mit Umwegen so ist, bringt der mich genau an die Stelle, wo ich einen direkten Blick ins Herz des Sylarnas-Massivs habe. Der andere Weg führt etwas kürzer um einen Riesenklumpen-Berg herum, der mir genau diese Ansicht zu 100% verwehrt hätte. Dann nenne ich mich doch selbst Glückspilz. Ab hier geht es jetzt noch gute zweieinhalb Kilometer abwärts Richtung Station. Es ist ziemlich steinig und viel Geröll, aber dafür habe ich es ja bisher ziemlich angenehm gehabt. Kurz nach eins erreiche ich diese Riesenanlage, die eher einem Hotel als einer Hütte im Fjäll gleicht. Sie haben wieviele Betten und ein Restaurant, extra Strom hier hoch gelegt, da man vor Jahren erkannt hat, dass damit Geld zu verdienen ist. Leute fühlen sich hier wie in echter Natur, haben aber ein gemachtes Bett und Essen, das serviert wird. Das bringt die Massen hier raus und genau die Probleme mit sich, gegen die man jetzt wiederum Stück für Stück anzukämpfen beginnt. Die nächste Station auf meinem Weg zum Beispiel, Blåhammarens Fjällstation, hat ihren Pachtvertrag nur deshalb wieder verlängert bekommen, weil das Restaurant geschlossen wird. Die Mengen von Menschen, die nicht viel mit Natur als solches am Hut haben, sondern mehr um der Erlebniswelt wegen hier sind und die Störungen für die Umwelt, die sie mit sich bringen, speziell für die Rentiere, sollen im Sinne der Natur und der Sami-People reduziert werden.
    Während ich noch Pause mache, kommt eine Wanderin rein, es ist Eva aus Estland. Sie lebt hier in Schweden und ist häufiger mal in dieser Region im Fjäll unterwegs. Wir unterhalten uns noch mindestens eine ganze Stunde lang, so dass es doch 16 Uhr wird, bis ich von hier loskomme. Der Weg zieht sich jetzt allerdings längere Zeit leicht abwärts und lange Stücken auf Holzplanken, so dass es für mich wie auf der Autobahn vorangeht. Ich verabschiede mich von Sylarnas und habe jetzt wieder weite, grüne, sanfte Landschaft vor mir, die auch sehr gut zu laufen ist.
    Gegen halb sechs mache ich Pause auf einem Bergrücken auf gut 1000m Höhe, den ich inzwischen erklommen habe, von hier ist es ein weiter Blick 30-40KM entfernt in die norwegischen Berge. Auf einmal habe ich eine ganze Meute der Falkenraubmöwen über mir. Ich beobachte seit Tagen mehr und mehr, dass es eher Neugier denn Angriff ist, sie kommen einige Male relativ dicht angeflogen und erkennen, dass es nur Hilde ist, um dann wieder zurück auf den Hochwiesen auf ihr Gelege zu fliegen.
    Die letzten Kilometer ziehen sich einfach wunderbar über das grüne Hochland, ich kann mich rundherum an den weit entfernen Schneegipfeln und dieser kräftig grünen Fläche kaum satt sehen. Dann liegt ein Stein im Weg, ein recht großer Block, dessen Oberfläche glänzt wie ganz viele Salzkristallle. Irgendwie sind heute so magische Effekte auf dem Weg verteilt.
    Und dann habe ich um kurz vor acht mein heutiges Tagesziel erreicht, auf das ich mich so gefreut habe und auch so gespannt war:
    Es ist Kilometer 2150, also genau die Hälfte meines geplanten Weges zum Nordkap. Da es bis hier auch ungefähr mit dem Tagespensum übereinstimmt, hatte ich mir vorgenommen, genau an diesem Kilometer das Zelt aufzuschlagen, wo auch immer es sein mag. Und natürlich ist das auch mal wieder ein guter Grund für eine kleine Feierlichkeit. Es ist vom Plateau leicht ab in eine Senke gegangen, ganz in der Nähe ist ein Bach und ich bin genau an einem kleinen See, schöner kann es nicht sein. Ruckfix ist das Partyzelt aufgebaut und ich sehe aus der Richtung, aus der ich kam, ziehen dunkle Wolken heran. Die scheinen mit Hilfe von merkwürdiger Beleuchtung durch die Sonne die Polarlichter imitieren zu wollen. Und ab um acht höre ich es von Zeit zu Zeit auch schon donnern. Da es hier draußen nicht allzu oft Partys in der Art gibt, habe ich sofort Unmengen von ungebetenen Zaungästen, denen ich aber den Zutritt verwehren muss und mache deshalb eine geschlossene Veranstaltung daraus. Ich habe jetzt gute zwei Stunden Zeit zu essen und mich zurechtzumachen, die dunklen Wolken ziehen immer näher und das Donnern wird heftiger. Ab circa halb zehn entlädt sich ein kräftiges Gewitter mit Hagel und Regenschauer über mir. Ich beende dann auch irgendwann die Veranstaltung. Daß ich mal wirklich so weit laufe, wer hätte das gedacht? Wie es mir dabei heute geht? Na, es geht so halbwegs. 😂
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  • 14. Juni

    14 giugno 2024, Svezia ⋅ ☀️ 11 °C

    Nach dem Regen am späten Abend war die Nacht ruhig und leicht windig. Am Morgen sehe ich schon auf dem Mesh außenrum die wütende Meute, die mich ausbuht und nur darauf wartet, dass ich rauskomme. Da sie nicht mit Steinen nach mir schmeißen können, tun sie es auf ihre Art, also ist die Aktion „Hose runter, Hose hoch“ sehr schnell abgehandelt.
    Der Weg führt mich jetzt über diese gut zu laufende Riesengrünanlage auf etwas über 1000m ü.M. über die Blåhammarens Fjällstation und ab dann wird es bis Storlien den Rest des Tages abwärts gehen. Entsprechend freue ich mich schon auf diesen Downhill-Tag. Gegen elf erreiche ich die Fjällstation, sie ist so ziemlich der höchste Punkt hier rundherum. Ich lasse mich auf Ihrer Nordseite im Windschatten, aber mit Sonne nieder und habe einen extrem weiten Blick Richtung Norden, kann unter anderem schon Storlien in 15km Luftlinie sehen, wo ich heute Abend sein will. Der Weg ins Tal entlang der Hänge ist steinig und immer mal pampig je nach Wasserlauf, oft führt er durch kniehohes Weidengestrüpp.
    Gegen eins treffe ich den Norweger Thore, der neben seinem Job als Börsianer gerne am Wochenende das volle Kontrast-Programm fährt und heute also auf dem Weg rauf nach Blåhammarens ist. Am Abend will er wieder unten und zu Hause sein, weil es wohl heute Abend ein spezielles Fußballspiel gibt. War da was? Wir unterhalten uns, eine halbe Stunde ist dabei schnell rum, über diese zwei völlig konträren Welten: Stundenlang fokussiertes Arbeiten hinter einem Display und Wandern hier draußen. Was mir heute mal wieder auffällt: Wenn ich mein Start und Ziel erwähne, ist die Antwort ziemlich immer ein entsetztes, bedeutungsschwangeres „Dschiejses“ (der Gekreuzigte). Obwohl es doch von hier in beide Richtungen gar nicht so weit ist…
    Inzwischen habe ich ziemlich die Talsohle erreicht, die ich hier durchschreiten muss. Es ist alles voller Birken und in Kürze auch Nadelwald. Dementsprechend ist Stehenbleiben, wofür auch immer, mit ständig Wischen und um mich gestikulieren verbunden, um die Blutsauger einigermaßen abzuhalten. Kurz darauf, als ich wieder unterwegs bin, passiert mal was ganz eigenartiges, ich gerate in eine Mini-Windhose. Es ist bester Sonnenschein und auch kaum Wind, ich nehme ein heftiges Geräusch wahr, während ich gleichzeitig in 20-30 m Entfernung sehe, wie am Boden jegliche Pflanzen wüst flattern. Und noch bevor ich verstehe, was dort passiert, bin ich auch schon selbst mittendrin und der heftige Wind schleudert mich so an, dass ich sieben, acht Schritte laufen muss, um nicht zu fallen und wieder festen Stand zu haben. Wow, ich stehe und verstehe. Und sehe dem Phänomen hinterher, wie es recht schnell weiterzieht und alles, was am Boden an Bäumen und Sträuchern ist, ordentlich durchgerüttelt wird.
    Die Gegend hier ist übrigens ein ziemliches Kontrastprogramm zu dem, was ich die letzten Tage oben in den Bergen hatte. Gegen fünf erreiche ich Storlien, gleich am Ortseingang ist ein riesengroßer Supermarkt, in dem ich zumindest für heute Abend ein paar Sachen einkaufe. Da ich mit den neuen Schuhen insofern Probleme habe, dass sich schon recht kurze Zeit nach dem Kauf die Geröllkante an einer Stelle zu lösen begann und ich inzwischen noch zwei weitere Stellen hab, möchte ich das im letzten Laden Richtung Norden, der für mich erreichbar ist, klären lassen. Dieser Laden ist in Åre, gute 50 km östlich von Storlien. Gegen halb sieben fährt der letzte Zug, ich bin um sechs kurz vor dem Bahnhof. Dort sehe ich, dass dieser Zug wegen eines Gleisschadens ausfällt und ersatzweise eine Dreiviertelstunde später ein Bus fährt. Da ich zwecks Ausfall des Zuges das Ticket nicht mehr buchen kann, ist diese Fahrt dann für mich am Ende gratis, da es den Busfahrer nicht interessiert. In Åre ist direkt beim Bahnhof ein nettes kleines Restaurant mit eigener Brauerei. Dort gibt es für mich Fischtartar und ein frisches Bier, danach ziehe ich noch einen guten Kilometer weiter an den Strand, um hier zu nächtigen. Der Laden öffnet morgen um zehn, so dass ich ganz in Ruhe ausschlafen kann.
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  • 15. Juni

    15 giugno 2024, Svezia ⋅ ⛅ 16 °C

    Bis um Mitternacht hatte ich neugieriges Menschenvolk rund ums Zelt, man schläft hier halt typischerweise eher im Hotel oder guten Pensionen. Recht früh am Morgen kommt ein städtischer Angestellter mit Motorsense entlang des Gehwegs, die glücklicherweise elektrisch und daher recht leise ist. Und er senst auch sehr, sehr zärtlich. Besten Dank dem Meister!
    Nach dem Einpacken gehe ich zurück zum Bahnhof, es gibt hier eine öffentliche Toilette. Unter denen darf man sich nicht das vorstellen, was wir üblicherweise von Bahnhofs- und Autobahntoiletten kennen, hier haben sie eher den Standard eines guten Restaurants oder fast Hotels. Diese hier in Åre ist für 50 Pfennig sogar mit einer Dusche dabei, folglich gibt es für mich das Feudalprogramm am Morgen. Von hier aus gehe ich 500m weiter zu einem Bäcker, den ich mir rausgesucht hatte. Bin erstaunt, es gibt nicht nur einfach ein paar Teilchen, sondern Sie bieten wie in einem Hotel ein Buffet an. Für den Preis bin ich sehr angenehm überrascht, nicht einfach hingeworfene Toastbrote, sondern es ist so umfangreich, so vielfältig, so frisch, dass ich es mir richtig besorge, während ich den vielen Paraglidern oben am Berg zusehe.
    Der Weg zurück Richtung Zentrum führt an der Kirche entlang, die ich erst mal aufsuche und ein paar Minuten die Ruhe genieße. Gegen elf bin ich dann in Naturkompaniet und trage Lisa mein Leid vor. Sehr freundlich und kompetent bietet sie mir anstandslos den Austausch der Schuhe an, holt mir schon das passende neue Paar her. Während ich am Anprobieren bin, sehe ich in der Auslage auch ein Paar, von dem Thore gestern gesprochen hat. Eine andere Marke, die ich aber gerne mal probiere und von der ich sofort hellauf begeistert bin. Sie kosten etwas mehr, aber ich bin gerne bereit, diesen Aufpreis zu zahlen und gehe nach anderthalb Stunden ganz glücklich mit einem neuen Paar Wanderschuhe raus auf den Marktplatz und wachse die neuen voller Hingabe erst mal ein. An den Leuten und ihren Blicken nehme ich wohl wahr, dass der barfüßig wild behaarte in dieser fancy Umgebung doch zumindest mal auffällig ist. Auch genau deswegen finden auf einmal die Finnen Ida und Bjorn zu mir, sie haben gestern Thore irgendwo auf dem Weg getroffen, über mich gesprochen und waren eben auch im Outdoorladen und da ging es wieder um mich. Also war ihnen sofort klar, das muss er sein, der Wandersmann. Übrigens hatte Ralf auch die Tage erwähnt, dass ihn ein Schwede auf dem Weg gefragt hat, ob er der Deutsche aus dem Radio wäre. Es ist die erste Reaktion aus dem Interview, die ich irgendwo wahrgenommen habe.
    Ich drehe noch eine kleine Runde in der Stadt, esse dann was vernünftiges in einem Restaurant, wie meine Mutter es mir aufgetragen hat und nehme um kurz vor vier einen Zug noch eine halbe Stunde weiter in östliche Richtung nach Järpen. Hier habe ich mir ein Zimmer gebucht, um meine Klamotten mal durchzuwaschen und den morgigen Ruhetag zuzubringen. Elvira, die freundliche deutsche Betreiberin holt mich sogar vom Bahnhof ab.
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