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  • Tag 65

    Tag 63: Bayreuth

    11. Juni 2022 in Deutschland ⋅ ⛅ 22 °C

    Eigentlich hatte ich mir vorgenommen, mich von nichts und niemanden während meiner Reise aus der Ruhe bringen zu lassen. So verfolge ich seit zwei Monaten weder die Lokal- noch die Weltpolitik, kümmere mich nicht um irgendwelche Pandemien und selbst die Schicksale der Kleinen und der Großen in der Promiwelt lasse ich außer Acht. Und heute um 12 Uhr habe ich dann beschlossen, dass es auch so bleiben soll. Aber der Morgen war schon echt besch.... Ich habe mir eine Nacht im Bayerischen Hof, einem 4****-Hotel, gegönnt. Mit wunderbarem Zimmer, Sauna, hauseigenem Garten, großem Frühstücksbuffet ... Entspr. erholt und gestärkt geht's in den Tag. So denk ich zu dem Moment noch. Kurz noch das Fahrrad aus der Tiefgarage geholt, das Handy in die Halterung am Lenker und dann noch schnell ins Hotel, um die Taschen zu holen. 10 Sekunden hat es gedauert, genau 10 Sekunden zu viel. Ich hätte es doch wissen müssen, 50 Meter vom Hauptbahnhof entfernt, nur mal kurz.... Handy weg! (meine neue Nr.: 0151-50882896)
    So sitze ich ziemlich bedröppelt vor dem Hotel und muss mich erstmal sammeln. Hab ich nicht noch mein altes Handy, so als Backup irgendwo in meinen Sachen? Auf dem ist doch auch ne Handyortung installiert! Tatsächlich. Aber demnach liegt das gute Stück im Mülleimer im Hauptbahnhof... Also abschreiben.
    Ich erstatte zwar noch ne Anzeige, so pro forma, und dann beschließ ich, mir den Tag und erst Recht nicht den Urlaub verderben zu lassen.
    Noch mal das gleiche Hotel gebucht und dann geht´s hoch zum Festspielhaus. Und, um so mehr ich dort oben stehe und die vielen Infotafeln durchlese, um so wütender und entsetzter werde ich. Unbestritten hat Richard Wagner mit seiner Musik und den Bayreuther Festspielen die Stadt international berühmt gemacht. Es war und ist wohl immer noch eine besondere Ehre in die Hallen des Bayreuther Festpielhauses als Sänger, Dirigent, Regisseur und Bühnenbildner geladen zu werden. Rufen zu Beginn der Festspielsaison die Fanfaren, strömt ein internationales Publikum herbei.....die Akustik soll phantastisch sein.
    Aber Richard Wagner wollte nicht nur die Musik sondern auch die Gesellschaft erneuern, das sei mit der "Verjüdung" der Gesellschaft nicht möglich. "Die Juden haben sich als fremdes Element in der deutschen Kultur eingenistet und dominieren sie..." Nur in Ausnahmefällen und nur aufgrund ihres besonderen Könnens wurden in das 1875 fertiggestellte Haus jüdische Künstler berufen, man brauchte sie ja.
    Unter Cosima Wagner, der zweiten Ehefrau von Richard Wagner, und ihren Kindern wurde es nur noch schlimmer. Die Familie Wagner, Antisemiten durch Jahrzehnte. Hitler, ein häufiger Gast bei den Festspielen... Die jüdischen Künstler wurden diffamiert, gedemütigt und nur noch in Ausnahmefällen geduldet, viele wurden entlassen, viele später im KZ getötet.
    Und die Stadt Bayreuth? Sie ließ sich gerne zur Hochburg nationalsozialistischer Propaganda umfunktionieren. Es dauerte bis 2012 !!!!, bis sich die kommunale Politik dem Thema zu stellen begann. Weiterhin heißen Straßen nach Mitgliedern der Familie Wagner, nicht nach den verfolgten und getöteten jüdischen Künstlern....
    Früher war es immer ein Wunsch von mir, einmal auf den Festspielen zu sein, vielleicht mal eine Karte zu ergattern.....das hat sich mit meinem heutigen Besuch erledigt.
    Dafür habe ich aber einen neuen großen Wunsch. Ich möchte einmal eine Aufführung im Markgräflichen Opernhaus, dem UNESCO-Weltkulturerbe, erleben.
    Ein barockes Hoftheater, wie aus einem Film entsprungen. Die Außenmauern mächtig, aus Basalt, der Innenraum nur aus heimischen Hölzern (Fichte und Linde) phantastisch gestaltet. Es sieht aus wie Marmor und Gold, dabei ist es nur Farbe, prächtig inszeniert. Das Bühnenbild noch original aus dem 18. Jhd. Alles einzigartig in Europa (alle anderen Theater dieser Art sind abgebrannt). Schöpfer des Ganzen ist der Italiener Guiseppe Galli Bibiena, der vom Wiener Kaiserhof nach Bayreuth kam. Dort saß die Schwester Friedrich des Großen, Wilhelmine, die etwas ganz Besonderes für die Hochzeit ihrer Tochter erschafft haben wollte. Und sie bekam es!
    Schon seit Anfang des 20. Jhd. gibt es kein festes Ensemble mehr im Opernhaus, es wird nur noch für Gastspiele geöffnet. Und da die UNESCO auf ihre Welterbe aufpasst, gibt es nur noch max. 30 Aufführungen im Jahr, und auch nur im Sommer (ein Mehr würde dem Holz, den Farben...schaden). Da müsste doch was möglich sein.....
    Fast an das Opernhaus angrenzend das ehemalige Bergbauamt der Stadt, die Schaffenstätte von Alexander Humboldt. Zum Oberbergmeister wurde er im August 1792 berufen. Fünf Jahre blieb er, dann war sein Fernweh und der Wunsch nach großen Reisen und Forschungen einfach zu groß. Im Juni 1799 bricht er zu seiner berühmten Reise nach Südamerika auf.
    Zum Abschluss schlendere ich noch durch die barocke Altstadt, es gibt ein Leckeis und ich hab Spaß an all den Kindern, die mehr oder weniger nackelig durch die Fontänen des Stadtbrunnens laufen.
    So schaffe ich doch noch den Tag zu genießen, und das ist auch gut so.
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  • Tag 64

    Tag 62: Von Staffelstein nach Bayreuth

    10. Juni 2022 in Deutschland ⋅ ⛅ 20 °C

    Thomas Gottschalk. Ob er wohl seine Thea nach Thurnau, Peesten oder vielleicht auch nach Limmersdorf zum Tanz ausgeführt hat? Zumindest ist es von Kulmbach (seinem Geburtsort) nicht weit dorthin, wenn zur Kirchweih die "Kerwaburschen" mit den "Madla" kunstvolle Dreher um die Tanzlinde vollführen. Sechs betanzte Linden gibt es wohl noch in Deutschland, drei stehen unweit von Kulmbach, wohin Karin, Willi und ich uns heute aufmachen.
    Schwer fällt's heut morgen in die Puschen zu kommen. Kein Wunder, wir konnten es gestern abend ja nicht sein lassen mit dem so süffigen Bier und den vielen Hausschnäpsen....So leiden wir gemeinsam, was das Radeln aber nicht unbedingt leichter macht.
    Wir verlassen Staffelstein mit Blick auf die drei Wahrzeichen des "Gottesgarten" (so nennt man hier die Region) in Oberfranken. Fast wie der Tafelberg in Kapstadt, so denke ich, als ich den so ganz allein dastehenden Staffelberg erblicke. Auf der anderen Seite hoch im Berg das Benedektinerkloster "Kloster Banz" und die von Balthasar Neumann erbaute barocke Wallfahrtskirche "Vierzehnheiligen". Etwa eine halbe Million Besucher jedes Jahr...., bestimmt nicht alles nur Wallfahrer.
    Die treffen wir aber mitten auf dem Radweg auf dem Weg gen Gößweinstein. Jahr für Jahr "wallen" sie am Freitag vor "Dreifaltigkeitssonntag" (also heute) und lösen damit ein Gelübde aus dem Jahr 1684 ein. Der Stadtbrand hatte die Kirche verschont, da muss man für ewig danken... (60 km hin und 60 km wieder zurück).
    Bequemer haben es da die Treckerfahrer, die lachend und winkend an uns vorbeirollen. Nach "Wallern" sehen sie allerdings nicht aus, aber wer weiß....
    Unser Weg zieht sich ein wenig dahin. Viele Felder, Wiesen, Wiesen, Felder...der Fluss ist kaum zu sehen. Das wird auch erst kurz von Kulmbach wieder anders, endlich fahren wir wieder am Main entlang. Fast ein Flüsschen ist er hier. Klar, denn erst kurz zuvor haben sich roter und weißer Main zum Main vereinigt.
    Das ist auch die Stelle, wo sich unsere Vereinigung lösen muss. Karin und Willi fahren weiter nach Kulmbach, wo ihr Auto auf sie wartet, und für mich geht's weiter in Richtung Bayreuth. Wir drücken uns schnell und wünschen gute Reise, mit der großen Dramatik haben wir's grad nicht. Aber ich bin schon traurig, als sie weg sind, die beiden.
    Ganz unspektakulär wirkt der Zusammenfluss der Flüsse, wäre dort nicht ein Schild, ich wäre bestimmt vorbei gefahren. Aber schön ist es hier. Und nun muss ich mich entscheiden. Rot oder weiß? Ins Fichtelgebirge möchte ich nicht, also gibt's nur eine Wahl, den roten Main.
    Warum ich mich in Richtung Bayreuth dann verfahren habe? Keine Ahnung. Ich schieb es mal auf den gestrigen so schönen Abend. Bestimmt war es aber gut, denn so lande ich auf der Route von "Unser Bockala". Eine Dampflock fuhr von 1909 bis 1973 durch die Rotmain-Aue, von Bayreuth nach Hollfeld. Und weil sie manchmal fast durchs Wohnzimmer, durch Gärten und Höfe rollte, gehörte das laute Pfeifen und Läuten als Warnung zum täglichen Leben (man huschte mal eben über die Schienen) dazu.
    Eine schöne Route haben die Eisenbahner damals für ihren Zug gewählt. Auf und ab durch die fränkische Schweiz, mal mitten durch den Wald, mal mit herrlichen Ausblicken bis hin zum Fichtelgebirge. Es bringt mir totalen Spaß dort entlang zu rollen. Langsam geht's mir auch wieder besser und so komm ich fast wie von ganz alleine in Bayreuth an.
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  • Tag 64

    Tag 61: Von Bamberg nach Staffelstein

    10. Juni 2022 in Deutschland ⋅ ☀️ 21 °C

    Ein Geschenk. Das Geschenk der Freiheit. Und so nehme ich mir heute die Freiheit, meine Tour umzuplanen. Eigentlich hatte ich vor, von Bamberg in Richtung Nürnberg an dem 1845 fertiggestellten Ludwig-Donau-Main-Kanal (kurz Ludwigskanal, benannt nach Ludwig I. von Bayern) entlang zu radeln. Von der Nordsee bei Rotterdam bis zum Schwarzen Meer bei Constanta konnte man auf ihm und den den Kanal angrenzenden Wasserstraßen reisen. 100 Schleusen bewältigten den Höhenunterschied von 264 Metern. Erst 1950 wurde er "aufgelassen", Nachfolger wurde der Main-Donau-Kanal.
    Es wäre bestimmt eine schöne und interessante Strecke geworden, aber mich zieht es dann doch zu der Quelle des Mains. Von der Mündung bis...nur nach Bamberg? Das fehlt etwas. Der Main begleitet mich nun schon seit fast 500 km, da möchte ich auch sehen, wo sein Ursprung ist. Aber welcher Ursprung? In Kulmbach entsteht er, aus dem Zusammenfluss des Roten und Weißen Mains. Der Weiße entspringt im Fichtelgebirge unterhalb des Ochsenkopfes, der Rote beginnt seinen Lauf südlich von Bayreuth. Kurz auf die Karte geblickt und ich weiß, wohin es mich treiben wird.
    Mit Bamberg verlasse ich endgültig das fränkische Weinland, ab jetzt geht's nur noch ums Bier. Und eigentllich fängt das Bierfranken ja schon in Bamberg mit seinen neun! Brauereien an. Eine verlässliche Statistik über die Anzahl der hiesigen Brauereien gibt es nicht, aber zumindest die Oberfranken behaupten, in der Region mit der höchsten Brauereidichte zu leben. Über 260 Brauereien sollen es sein!
    So verlasse ich Bamberg in der Erwartung auf Hopfen und Malz. Fehlanzeige. Der Mainradweg führt mich durch unbedeutende kleine Ortschaften und ewig an der Straße entlang. Schön ist es hier nicht. So beschließe ich, den offiziellen Radweg zu verlassen und mich von meiner App Komoot führen zu lassen. Gut so. Ich treffe zwar weiterhin auf nichts, was mit der Bierbrauerei zu tun hat, noch nicht mal auf nen schönen Gasthof oder nen Keller, aber immerhin ist der Weg recht schön. Es ist flach hier. Das Heu ist schon eingefahren, die Wiesen nur braun. Nur, wenn man näher hinguckt, sieht man das Grün der neu nachwachsenden Halme. Aber immerhin besser, als nur an der Straße entlang zu fahren.
    Auf einem Seitenweg stoße ich auf ein altes Wiesenbewässerungssystem. Zweimal im Jahr wurden die Wiesen über ein spezielles Schleusensystem für die Ertragssteigerung bewässert, so ganz verstehe ich die Beschreibung allerdings nicht. Aber die alten Schleusenanlagen sehen schon sehr imposant aus. Und die Art der Bewässerung wurde auch erst in den 70er Jahr mangels Effektivität eingestellt. Heuernte mal ganz anders.
    So erreiche ich Bad Staffelstein, einen echt eingeschlafenen Ort. Überhaupt, die ganze Gegend hier wirkt ärmlich und zurückgeblieben. Vielleicht ist es auch der bedeckte Himmel und die schwülwarme Luft, aber so richtig wohl fühle ich mir hier nicht.
    So freu ich mich echt total, als ich in Staffelstein ankomme und wieder auf meine liebe Karin treffe. Klar doch, dass sie mir mit ihrem Willi hinterhergereist ist...
    Und schön ist, dass heute abend der Gasthof Schwarzer Adler Schlachtfest hat...., das Bier und die Schnäpse schmecken...gute Nacht
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  • Tag 62

    Tag 60: Bamberg

    8. Juni 2022 in Deutschland ⋅ ⛅ 21 °C

    Rom wurde auf sieben Hügeln gebaut, Bamberg zwischen sieben. Auf dem höchsten dieser Hügel thront die rd. 1.000 Jahr alte, fast vollständig erhaltene "Altenburg", zu der ich mich gleich heute morgen aufmache. Und wenn man weiß, dass dort oben ein wunderschöner Biergarten mit einer herrlichen Aussicht auf einen wartet, ist einem der schweißtreibende Aufstieg egal. Mit dem phantastischen Ausblick auf die Stadt, den Steigerwald und die Rhön werde ich tatsächlich belohnt....das mit dem kühlen Getränk.... Ruhetag. Aber auch verschwitzt und durstig lässt sich der 33 m hohe Bergfried mit seinen 166 Stufen erobern. Der Blick noch ein bisschen schöner, noch ein bisschen phantastischer. Auf dem Wehrgang entdecke ich alte in den Stein geritzte Jahreszahlen, 13?6, 1614, 172?. Wer war das wohl war, der sich hier verewigte?
    Überhaupt fühlt man sich auf der Burg in ein anderes Zeitalter zurückversetzt. Alles wirkt so echt, so authentisch, nicht wie ein Relikt aus alter Zeit. Einer könnte mit dem Finger schnippen und Ritter und Burgfräulein würden einen nicht wundern (...nein, nicht zu viel Outlander geguckt...). Zumindest E.T.A. Hoffmann hat wohl auch so gefühlt und schrieb hier in einem der Burgtürme, in dem er von 1808 - 1813 lebte, vielleicht die ein oder andere seiner Gruselgeschichten.
    Vermutlich lebten zu seiner Zeit auch schon Turmfalken in dem alten Gemäuer. Nur so einen genauen und faszinierenden Blick auf ein vollbesetztes Nest, wie ich ihn heute habe, war ihm sicherlich verwehrt. Die Bilder der Nestkamera sind phantastisch.
    Mein Durst treibt mich dann allerdings wieder bergab, von Bierkeller zu Bierkeller. Überall Ruhetag. Aber ich gebe nicht auf und so lande ich in der ältesten Brauerei Bambergs, im "Klosterbräu". Seit 1533 steht das ehemalige "Fürstbischöfliche Braunbierhaus" ganz in der Nähe des Kaiserdoms. Ich lass mir das "Schwärzla" schmecken, das Bamberger Kultbier, das Rauchbier, kann ich mir trotz seiner Berühmtheit und Einmaligkeit nicht antun.
    Der auf dem Domberg stehende Kaiserdom ist 'das' beherrschende Bauwerk der Bamberger Altstadt. In ihm könnte ich das Wahrzeichen der Stadt, den Bamberger Reiter, und die Gräber von Kaiser Heinrich II. und seiner Frau Kunigunde aufsuchen....heute nicht.
    Länger halte ich mich allerdings in der direkt neben dem Dom befindlichen "Alten Hofhaltung" auf. Der alte kopfsteingepflasterte Hof mit den aus dem 15. Jhd. stammenden Wirtschafts- und Wohngebäuden wirkt wie aus einem Fecht- und Degenfilm entsprungen. Hollywood! Ja klar! "Die drei Musketiere" mit Orlando Bloom in Bamberg gedreht...was für eine Werbung für die Stadt, die schon jetzt den Titel "UNESCO-Welterbe" trägt. (Das Sams wurde übrigens auch in Bamberg gedreht..)
    Von der Bergstadt geht es über die Regnitz auf die Inselstadt. Genau auf der Brücke steht das Alte Rathaus mit den so beeindruckenden rotbraunen barocken Fassadenmalereien. Es markiert die alte Herrschaftsgrenze zwischen bischöflicher Berg- und bürgerlicher Inselstadt. Genau dort komme ich mit einem Bamberger Ehepaar ins Gespräch, bzw. muss mir anhörenn, wie toll es in Bayern ist. Das schönste Bundesland, die erfolgreichste Wirtschaft, das beste Essen, das beste Bier....ich sehe zu, dass ich weiterkomme.
    Trotz der vielen Touristenmassen aus aller Welt gibt es auch ruhige Plätzchen in dieser so schönen Stadt, die auf mich wie ein Gesamtkunstwerk wirkt. Nur ein paar Schritte ans Flussufer der Regnitz und man ist fast alleine. Dort setze ich mich ein bisschen in die Sonne und genieße die Eindrücke des Tages. Mehr brauch ich heute nicht.
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  • Tag 61

    Tag 59: Von Grafenrheinfeld nach Bamberg

    7. Juni 2022 in Deutschland ⋅ ⛅ 20 °C

    Die Würde des Menschen ist unantastbar. Mit diesen Worten aus unserem Grundgesetz wird auf einem Gedenkstein auf dem ehemaligen Gelände der Schweinfurter Firma Kugelfischer (Produzent von Kugellagern für Panzer und Flugzeuge) der vielen Zwangsarbeiterinnen und Zwangsarbeiter während des 2. Weltkriegs erinnert. Ein minimalistisch gestalteter und vielleicht deshalb so eindringlicher Ort. Um den halbrunden Stein stehen drei Linden. Linden als Symbol der Begegnung (unter den Linden fand früher das Dorfleben statt), der Rechtsprechung (unter Linden oder Eichen wurde wohl früher meist Recht gesprochen) und der Freiheit und des Friedens (die Linde gilt wohl als Friedensbaum).
    Wieder ein Ort, über den ich bei meiner Weiterfahrt nachdenke. Eigentlich hatte ich gehofft und auch gedacht, dass ich mit Verlassen der ehemaligen deutsch-deutschen Grenzregion auch die ständige Erinnerung an die Nazi-Schreckensherrschaft und ihre Folgen hinter mir lasse. Aber, ja, überall in Deutschland gab es sie und so ist es nur folgerichtig, dass ich an Orten vorbeifahre, die erinnern. Wie subtil und menschenverachtend war die damalige Demagogie. Auf einem Propagandaplakat hieß es: "....Arbeiter aus allen Nationen, die sich am Aufbau eines neuen Europas beteiligen, strömen hierhin, um durch fleißige Arbeit ihrer Heimat zu helfen!"... Gut, dass es immer wieder Menschen und Initiativen gibt, die gegen das Vergessen ankämpfen.
    Schweinfurt (wohl primär Industriestadt) lasse ich bei meiner Weiterfahrt im wahrsten Sinne des Wortes links liegen. Nur am ersten und damit ältesten Walzenwehr der Welt halte ich kurz an. Erstmals 1903 wurde mit ihm wohl der Wasserstand des Mains reguliert, mehr verstehe ich von den technischen Erklärungen allerdings nicht. Sieht aber heftig groß und bedeutend aus.
    Der nun folgende Weg ist schön, immer wieder Ausblicke auf den immer schmaler werdenden Fluss, an dem man in diesem Bereich auch "wasserwandern" kann. Man steige in ein kleines Schiffchen, fahre bis zur nächsten Station, gucke sich dort um, fahre weiter...und so fort. Eine Station ist auch das auf steiler Höhe gelegene und von Weinbergen umgebene Schloss Mainberg. Wer die Kriminserie "Pfarrer Braun" mit Ottfried Fischer liebt, erkennt es bestimmt aus der Folge "Das Erbe von Junkersdorf"...
    Kurz hinter dem kleinen Weinörtchen Haßfurt (mit der einzigen Waldorf-Schule weit und breit) und dem Flugplatz für Sportflugzeuge (ich beobachte etliche Fallschirmspringer, die gerade ihr Flugzeug verlassen haben) erreiche ich ein wunderschönes Naturschutzgebiet in den Main-Auen. Es gehört zum LIFE-Natur-Projekt, einem Vogelschutzprojekt, was in erster Linie von der Europäischen Union finanziert wird. Betreten absolut verboten! Aber man möchte doch so gerne gucken, und das darf man dann auch. So klettere ich auf den Beobachtungsturm abseits des Radwegs und genieße den Blick auf die vielen Vögel und die kleinen und großen Seen, die durch die Flußbegradigung entstanden sind.
    So guckt man nach Vögeln, Wasser und Bäumen und übersieht die Kleinsten. Fast hätte ich ihn mit meinen Rädern erwischt, den Bärenspinner. Sie kriecht ziemlich hektisch quer über den Radweg, die so besonders geschützte Raupe, die dank meiner Vollbremsung nun doch noch zum kräftigen Nachtfalter mutieren kann.
    Noch ein kurzer Blick ins Städtchen Zeil und dann in meine Hosentasche...Der Hotelschlüssel! Wie kann man nur so blöd sein! Aber alles wird gut, ein Einschreiben an die Alte Amtsvogtei macht's möglich.
    Vor dem Postamt treffe ich Bert und Martina. Nach Kufstein wollen sie mit ihren Rädern. Rentner sind sie...., dieses Jahr hätten sie aber nur vier Wochen Zeit....
    Ich kann es kaum glauben. Jetzt bin ich schon fast 3.000 km gefahren und zum ersten Mal treffe ich Radler mit annähernd dem gleichen Ziel, mit der gleichen Idee. Klar, dass wir ins Quatschen kommen. Und wir sind uns total einig. Wir erleben etwas ganz ganz Schönes und jeder sollte den Mut haben, es einfach auch zu tun. Der Rest geht von ganz alleine.
    Fast von ganz alleine erreiche ich dann auch Bamberg, wo ich für zwei Nächte in der Wohnung von Doris (sie macht grad Urlaub auf dem so schönen Usedom) schlafen darf.
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  • Tag 60

    Tag 58: Ochsenfurt nach Grafenrheinfeld

    6. Juni 2022 in Deutschland ⋅ ☁️ 19 °C

    Schon wieder ein Stopp direkt nach meiner Abfahrt. Völlig aus dem Sinn gerissen steht an einer Böschung unterhalb der neuen Mainbrücke von Ochsenfurt ein riesiger steinerner Stier mit einem nackten grimmig blickenden Reiter. Was soll diese martialisch wirkende Plastik hier?
    Die Lokalpolitik hat's entschieden. Aus Frickenhauser Muschelkalk nach einem Entwurf des NS-Bildhauers Willy Meller geschaffen, war diese Stierskulptur wohl für das Seebad Prora auf Rügen bestimmt. Der Stier und sein Reiter sollten dort "die Allegorie der Kraft" symbolisierend (ganz der Nazi-Ideologie entsprechend) einem Wasserbecken entsteigen. Die für 20.000 Menschen konzipierte Ferienanlage Prora, der "Koloss von Rügen", wurde nie fertiggestellt, also blieb der Stier in Ochsenfurt. Was aber machen mit dem Tier? Man stellt es 1954 anlässlich der Eröffnung der neuen Mainbrücke einfach mal auf....
    Bei meiner Weiterfahrt beschäftigt es mich schon noch ne Weile, dass bereits neun Jahre nach der grauenhaften NS-Herrschaft deren zweifelhafte Kunst feierlich wieder aufgestellt wurde.
    Bald lasse ich mich aber wieder ablenken. Ein riesiger Teppich von Wasserlilien, die kurz vor dem Erblühen sind, ist einfach zu schön.
    So komme ich nach Kitzingen, die Hauptstadt der "Fassenacht" - müsste man zumindest denken. Denn mitten im Ort entdecke ich in einer kleinen Seitenstraße das "Deutsche Fastnacht Museum". Es ist tatsächlich das offizielle Museum des Bundes Deutscher Karneval. Warum es gerade hier - und nicht in Köln, Düsseldorf oder Mainz - gelandet ist, bekomm ich nicht raus. Kein Passant, der es weiß, kein Schild, das es erklärt, und es ist Pfingstmontag, also geschlossen. Ich hätte schon gerne mal einen Blick hineingeworfen...
    So radel ich noch kurz durch das ganz nette Kitzingen mit seinem fachwerkgeschmückten Marktplatz und seiner wieder aufgebauten großen Synagoge und mache mich dann auf zur Abtei Münsterschwarzach, eines der wohl wichtigsten Klöster der Benedektiner in Deutschland. Schon aus der Ferne ragen die vier Türme des Klosters am Horizont auf. Es ist schon ein mächtiger Bau, vor dem ich dann stehe, irgendwie werde ich an eine mittelalterliche Festungsanlage mit Burgfried erinnert, dennoch schlicht und einfach. Und so zeigt sich auch das Innere der Kirche. Kein Schmuck, kein Gold, keine Protzerei... Seit über 1.200 Jahren leben hier Benedektiner (aktuell 114) und unterhalten u.a. eine Bäcker- und eine Metzgerei, eine Druckerei, eine Goldschmiedewerkstatt und ein großes Gymnasium. Und natürlich darf der urige Gasthof mit dem Biergarten nicht fehlen.
    Weiter geht's mitten durch die Weinberge, teils mit so heftigen Steillagen, dass ich mich frage, wie man die überhaupt bewirtschaften kann. Rund um mich herum nur Wein, kilometerlang, der Main ist nicht zu sehen. Dann ein Weinfest. Supi, ich könnt sowieso mal ein Päuschen machen...., aber 5 Euro Eintritt? ...da radel ich lieber bis zur Mainschleife nach Volkach, einer 'der' fränkischen Weinorte. Hier gefällt's mir, der historische mittelalterliche Stadtkern, die Atmosphäre, der Wein.... und die beiden Stadttore. An diesen wurde früher von jedem Zoll erhoben, der die Tore passierte....außer er konnte seine Güter auf dem Rücken oder in den Händen tragen (Kreativität war hier wohl gefragt...). Vielleicht belieferte der Betreffende ja einen Metzger, einem im Mittelalter wohl sehr einträglichen Beruf. Und weil man den Wohlstand auch sehen sollte, trug man unter der Arbeitsschürze seine elegante teure Kleidung.... Anno 1500 verspeiste man im Schnitt 100 kg Fleisch pro Jahr... 2018 waren es "nur" 60,1 kg.
    Mit Volkach verlasse ich auch die Winzer und die Weinberge. So richtig schön verläuft der Weg nicht und dazu passt dann auch das: "Herzlich willkommen im Museum Stammheim, Deutschlands größtem Privatmuseum für Militär- und Zeitgeschichte". Irgendein Kampfflugzeug, das hoch über der Straße zum Besuch einlädt und durch den Zaun erkennbar alte Raketen, Panzer, Kriegsgeräte.... Das Museum ist geöffnet...Ich verzichte drauf.
    Die Landschaft wird wieder schöner, ich genieße die lieblichen Mainauen und den Blick auf den "Alten Main", einen ehemaligen Mainarm, der der Flussbegradigung weichen musste. Um so störender dann wenig später ein anderer, ein befremdlicher und in dieser so schönen Landschaft so bedrohlicher Blick, der auf das 2015 stillgelegte Kernkraftwerk Grafenrheinfeld.
    Im nahegelegenden Örtchen beziehe ich mein Zimmer in der ehemaligen Amtsvogtei, einem typischen fränkischen Dorfgasthof. Hier passt's.
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  • Tag 59

    Tag 57: Wanderung um Ochsenfurt

    5. Juni 2022 in Deutschland ⋅ ☁️ 22 °C

    Es regnet. Landregen. Lang anhaltend, gleichmäßig, nicht heftig. Schon heute nacht bin ich mal kurz von dem Geräusch wach geworden und als ich gegen 9 Uhr zum Frühstücken in die große Scheune gehe, muss ich über das alte Kopfsteinpflaster flitzen, um nicht nass zu werden. Wie schön, dass heut mein Ruhetag ist.
    Aber so ne kleine Wanderung könnt man ja machen.... Also Regensachen an und los. Vorbei an der fachwerkgesäumten Marktstraße, am "neuen" Rathaus aus dem 15. Jhd., dem Denkmal für die mutigen Ochsenfurter Frauen (die am 29.03.1945 gegen den Nazifbefehl Barrikaden entfernten und damit die Stadt vor der Zerstörung bewahrten), der alten Stadtmauer mit ihren Wehrtürmen und Stadttoren (die Ochsenfurter Altstadt ist nahezu vollständig von einer Stadtmauer umrahmt), geht es zur "Alten Mainbrücke", die als zweitälteste Steinbrücke Deutschlands gilt. Für's Brückenschoppen ist es noch zu früh (könnt man ja heut abend noch mal drüber nachdenken...) und so mach ich mich mit Blick auf die Weinberge auf den Weg mainaufwärts.
    Herzlich werde ich schon nach wenigen hundert Metern mit: "Wir begrüßen Sie auf dem Gelände der Südzucker AG" eingeladen, dort weiterzugehen und kurze Zeit später ist das riesige Werksgelände auch nicht zu übersehen. Von September bis Januar werden dort wohl mehrere tausend Tonnen Rüben angeliefert und rund um die Uhr zu Zucker verarbeitet, In weniger als 2 Sekunden soll der Jahresbedarf eines Bundesbürgers produziert werden....
    Meine Regenjacke schützt mich wunderbar, aber der Weg durch das teils hohe Gras lässt Socken und Füße irgendwann "schwimmen". Umkehren? Keinesfalls! Also weiter, der Regen wird schon irgendwann aufhören. So erreiche ich die "Polisina", ein wohl ehemals idyllisches Plätzchen mitten im Wald - heute Campingplatz und Luxushotel. Wie war noch mal die Geschichte von der Großen Grünen Wiese? "Wie wunderschön ist es hier", dachte ein Mann aus der Stadt, der auf einem Ausflug eine einsame herrlich gelegene blütenübersäte Wiese entdeckte. Bei seinem nächsten Besuch brachte er Freunde mit, dann einen Campingstuhl- und tisch, ein Zelt zum Übernachten....ein Zaun wurde gezogen, eine Hütte, dann ein Steinhaus gebaut...und die grüne Wiese? In "Polisina" war es der Frickenhauser Hr. Stüdlein. Erst das schöne Plätzchen, dann 1945 eine einfache Hütte, dann Kost für die Wanderer, dann der Campingplatz und 1978 dann die Eröffnung des Hotels... (der Name Polisina soll übrigens von den italienischen Bauarbeitern stammen, die sich an diesem Plätzchen gerne nach ihrer schweren Arbeit beim Bau der Eisenbahnlinie Würzburg-Ansbach - eröffnet 1864 - zum Picknicken eingefunden haben sollen.)
    Nichts mehr da von dieser Idylle, aber wenig später riesige Pilze mitten auf dem Weg. Seltsam in mehreren Schichten geformt, noch nie gesehen. Dann schnackel ich's, die wachsen gar nicht auf dem Weg, die sind vom alten Baumstumpf abgefallen! Ein "Fenchelporling", na klar....(zum Glück hab ich Google-Lens...).
    So geht es dann mit Blick auf die "Via Romea" weiter in Richtung Marktbreit. Ich wusste nicht, dass die Nord- Südverbindung der Autobahn A7, die hier quer die Landschaft durchbricht, genau dem Verlauf der mittelalterlichen "Straße nach Rom" (von Wallfahrern bereits 1236 beschrieben) entspricht.
    Noch ein Blick vom ehemaligen Galgenberg und es geht steil bergab ins Örtchen Marktbreit. Und mit mir geht's steil bergauf. Kein Regen mehr! Langsam trocknen Schuhe und Strümpfe, und als die Sonne hervorkommt, ist sogar wieder T-Shirt-Wetter angesagt.
    Marktbreit hat viel Historisches zu bieten, das zweitälteste Gasthaus in Bayern, mit viel Liebe gestaltete und in die Stadtmauer eingebettete Gräber (um 1600), ein Schloss, mehrere Wehr- und Stadttürme und das Geburtshaus des Psychiaters Alois Alzheimer (ein bissl vergesslich bin ich manchmal ja schon..).
    Ich lasse mir viel Zeit in dem kleinen Örtchen und so entdecke ich, dass Marktbreit nicht nur auf "alt" setzt. Überall sind modern gestaltete Skulpturen platziert, meist so intergriert, so lebensnah, dass man sie erst auf den zweiten Blick wahrnimmt. Gefällt mir total.
    Auf der anderen Mainseite geht es dann - endlich! - durch die Weinberge zurück. Jetzt fahre ich schon so lange an ihnen entlang, habe aber noch keinen Schritt in sie gesetzt. Es wird also Zeit. Die Weinstöcke hängen voll mit einer Ahnung von etwas, was mal Trauben werden könnten, der Ausblick ist herrlich und mit einem Schmunzeln lese ich die Bauernregeln für Winzer. "August: Regen an Maria Schnee tut der Les empfindlich weh. Sankt Lorenz lass den Weinberg braten, dass die Trauben wohl geraten". Eine Regel gibt es auch zu "Sankt Stephanus". Er soll wohl als erster Märtyrer der Kirche gestorben sein, durch Steinigung. Was also liegt da näher, als dass er zum Schutzheiligen der Winzer wird. Durch seine Steinigung soll er sie vor "Kopfweh, Steinleiden und Seitenstechen" schützen.....
    Noch ein Blick auf die in Form eines riesigen Scherenschnitts geschaffene Metallskulptur der Abendmahlszene von Leonardo da Vinci und es geht den Kreuzweg bergab nach Ochsenfurt.
    Und jetzt geht's zum Brückenschoppen...
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  • Tag 58

    Tag 56: Würzburg

    4. Juni 2022 in Deutschland ⋅ ⛅ 21 °C

    Vom Weinfass in den Ziegenstall...was für ein Aufstieg! Es ist urig schön hier, die weiß getünchten Wände, die alten Holzböden, die leicht gekrümmten typischen Stalldecken, liebevoll eingerichtet...man kann sich hier nur wohlfühlen. Nur im Winter möchte ich hier nicht sein. Meine Wirtin schwärmt mir von den wunderbar kühlen Räumen zu jeder Jahreszeit vor, im Winter müsse man sich halt richtig warm anziehen, und Decken habe sie auch genug....für sie ändere sich trotz der steigenden Energiekosten nichts, es sei nur eine Frage der Kleidung. Auch Versorgungsengpässe sehe sie nicht auf uns zukommen. Wir müssten lediglich unser Bewusstsein ändern. Schon seit Jahren sammle sie das Fallobst in den Wiesen und an den Straßen und koche es ein. Zehn Gläser Apfelkompott seien zusammen mit Pfannekuchen zehn vollständige Mahlzeiten.... Einen Fernseher brauche sie (ebenso wie ihre Pensionsgäste) auch nicht und mit dem WLAN sei das bei ihr so ne Sache. Ich sollte es mal im Frühstücksraum versuchen, da dürft es vermutlich mit der Einwahl klappen.
    Mein Fahrrad kommt in den ehemaligen Schweinestall und für mich geht's mit dem Zug (die handumhäkelten Sektgläser des Junggesellinnen-Abschieds - man kann sie sich umhängen - sind echt ein Hingucker) nach Würzburg, dem "Herz der Weinregion Franken".
    Und mit Wein werde ich auch begrüßt. Auf dem Marktplatz der Altstadt ist gerade Weinfest. Weinausschank an jeder Ecke und Kante, dazwischen lange Bänke und Tische, die gegen Mittag schon echt gut besucht sind. Und heute hadere ich nicht lange rum, ich hol mir ne Erdbeerbowle und setz mich einfach dazu.
    Meine Tischnachbarin, ich schätze sie auf Mitte 40, kommt aus Mainz und trifft sich gerade mit ehemaligen Arbeitskollegen. Sie sei Chemikerin, habe sich in der Firma aber nicht mehr wohl gefühlt und den Drang nach etwas Anderem, Neuen verspürt. Da habe sie vor rund drei Jahren gekündigt und mit dem Weinbaustudium an der Uni in Geisenheim angefangen. "Aber so richtig Spaß hat es nie gemacht, vielleicht liegt es an Corona. Man kennt die Kommilitonen (viele mittleren Alters), die Hörsäle, Dozenten und Professoren fast nur aus Onlinevorlesungen, so hab ich mir das nicht vorgestellt." Nach 6 Semestern die Entscheidung: "Ich kehre in meinen alten Beruf zurück. Ich habe einen anderen, neuen Weg versucht, der war nichts, jetzt ist alles okay." Auf keinen Fall fühle sie sich als Versagerin. Und dümmer sei sie ja auch nicht geworden. Ein Stückchen Weinberg sei schon gepachtet und "mal sehen, vielleicht wird mein Wein ja ein edles Tröpfchen"... Das Fass im Keller stehe schon bereit.
    Zur Uni mach ich mich dann auch auf den Weg. Er existiert wirklich noch, der Raum, in dem Wilhelm Conrad Röntgen die X-Strahlen durch Zufall entdeckte. Ein skurril anmutender Versuchsaufbau auf einer Art von altem Küchentisch, ein eichener Schreibtisch, einige kĺeinere und größere Gefäße.... In solch einem Umfeld eine so bahnbrechende Entdeckung! Am 08. November 1895 entdeckt Röntgen die X-Strahlen, bereits am 28. Dezember veröffentlicht er seine Ergebnisse und vier Wochen später, am 23. Januar 1896, hält er dazu einen öffentlich Vortrag vor der physikalisch-medizinischen Gesellschaft in Würzburg. Das Publikum ist so begeistert, dass noch während der Veranstaltung (angeblich unter Ovationen) entschieden wird, die X-Strahlen in Röntgenstrahlen umzubenennen.
    Weiter geht's zum Mainufer. Auf einem urigen tiefroten kleinen Boot genieß ich ein Päuschen. Ruhig ist es hier. Herrlich der Blick auf die alte Mainbrücke und die Festung Marienberg.
    Und herrlich ist der Blick von der Festung auf die Stadt und die sie umgebenden Weinberge. Manch Paar sitzt hier eng umschlungen auf der Festungsmauer und hat die Welt um sich herum vergessen...
    Diese Idylle ist auf der Alten Mainbrücke mit ihren barocken Heiligenfiguren dann auch vergessen, denn ich tauche ein ins "Brückenschoppen". Ein Schoppen Frankenwein am Brückenausschank geholt, sich zu all den anderen gesellt und einfach die Atmosphäre genossen.
    Noch ein kurzer Abstecher zur Residenz Würzburg, ein riesiger unter Regie von Balthasar Neumann entstandener barocker Schlossbau. Das UNESCO Weltkulturerbe gilt als ebenbürtig mit Schloss Versailles bei Paris und Schönbrunn in Wien, dennoch kann ich mich für die Residenz (zumindest heute) nicht begeistern. Alles wirkt so überdimensioniert, so protzig.
    Also ab nach Hause, ins kleine beschauliche Ochsenfurt, da fühl ich mich wohl.
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  • Tag 57

    Tag 55: Doris Geburtstag

    3. Juni 2022 in Deutschland ⋅ ☁️ 23 °C

    Heute wird Geburtstag gefeiert. Mein Schwesterchen wird 60. Fast wäre ich pünktlich bei ihr in Bamberg eingeradelt, hat leider nicht ganz geklappt. Das 9-Euro-Ticket macht's aber möglich, denk ich mir, also fahr ich mit dem Zug zu Doris... und gefühlt tausende andere mit mir. Gequetscht auf dem Bahnsteig, in den Zügen (manch einer kommt überhaupt nicht mehr rein) und im Bahnhof, aber wir finden uns und freuen uns riesig. Gedrückt, geknuddelt.. dann schlendern wir durch's so schöne Bamberg (ich werd's mir die Tage noch mal in Ruhe ansehen) und genießen die gemeinsame Zeit. Dann geht's mit Freunden "auf'n Keller" (nein, nicht in den Biergarten), zur "Wilde Rose". Hoch über der Stadt sitzen wir zwischen uralten dicht belaubten Laubbäumen und genießen die urige Stimmung. Auf'n Keller zu gehen, hat ne lange Tradition, vom Baby bis zur Urgroß-Mama ist alles hier und ein buntes Stimmengewirr erfüllt die Luft. Und die Bierlagerung unter uns?
    Durch kühle Lagerung kann die Haltbarkeit von Bier wohl verlängert werden, also bauten die meisten Brauereien (bis die Moderne mit ihrer Technik Einzug hielt) hier, wie wahrscheinlich überall in der Republik, Bierkeller. In Franken aber sind viele solcher Bierkeller noch in Betrieb und meist gibt's direkt darüber frisch G'zapftes und typisch fränkische Kost (Schäufele, blaue Zipfle, grobe Bratwurst, G'rupfter...) zur Selbstbedienung – und will man nicht gleich als Fremder auffallen, dann macht man's wie die Einheimischen. Man geht für's Kellerbier "auf den Keller" und nicht "in den Biergarten". Und noch was: man darf, ohne Meckerei, seine eigene Brotzeit mitbringen (nur Pizza und Döner sind ein "no go"), dann aber bitte mit der schönen Tischdecke von Zuhause und einem Blümchen für die gute Stimmung.
    Schön ist's mit Doris Freunden, Oliven, Schnittchen und Salat werden mitgebracht, das Zauberwort "Doris" öffnet an der Theke das Tor für alles, was man sonst begehrt. Wir lassen's uns gut gehen und auch das heftige Gewitter ist uns egal - wir haben rechtzeitig nen trockenen Unterschlupf gefunden.
    Nur leider muss ich meinen Zug zurück nach Ochsenfurt bekommen. Schnell ein Taxi und ab zum Bahnhof.. Tja, und da holt mich das 9 Euro Ticket ein. "Der heutige Zug RB 80 nach Würzburg hat wegen hohen Fahrgastaufkommens eine Verspätung von 40 Minuten." Rumms, damit kein Anschlusszug zu meinem Weinfass.. Aber es gibt ja noch den Überland-Nachtexpress, die Buslinie 554. Er sammelt so alles ein, was nach Hause will, die vom Weinfest, die vom Festival, die Nachtschwärmer und mich.. und die Jungs aus Berlin, die mit ihrer "Mucke" den ganzen Bus zum Mitsingen bringen. 18, 19 sind sie, sehen aus, wie die letzten Punks. Und so ist das dann mit seinen Vorurteilen, nicht laut und assi, sondern total höflich und zuvorkommend sind sie, und singen textsicher und fröhlich die Songs der Ärzte mit. Eine supi Stimmung und ein großes "ciao" und "macht's gut", als sie aussteigen.
    So zuckel ich für ne Bahnfahrt von 17 Minuten 75 Minuten quer durch die Lande und erleb mal wieder viel mehr, als gedacht. Direkt am Camping darf ich aussteigen. Wann ich allerdings zum Schlafen komme, weiß ich noch nicht... hier ist Pfingstfete....
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  • Tag 56

    Tag 54: Von Lohr nach Ochsenfurt

    2. Juni 2022 in Deutschland ⋅ ⛅ 18 °C

    Corona! Jetzt hat es mich auch erwischt. Indirekt zumindest. Was hab ich mich auf unser gemeinsames Pfingswochenende in Ochsenfurt gefreut! Das Womo schon gepackt, die letzten Lebensmittel verstaut, nur noch mal zur Sicherheit schnell ins Testzentrum....und heute morgen dann von Helmi die ach so blöde Nachricht. Zum Glück hat er kaum Symptome...
    So starte ich echt traurig in den Tag und brauch schon ein bissl, bis ich meine Reise wieder genießen kann. Zum Glück gibt es trotz der Pfingstfeiertage keine Probleme mit der Unterkunft. Ich halte es da ganz mit Diogenes und werde die nächsten zwei Nächte in einer Tonne...oder eher Weinfass ( ist urgemütlich, aber nach einem Tag Sonne auch brüllendheiß) und dann in einem Ziegenstall schlafen..
    Von meiner Bed&Bike-Unterkunft den steilen Berg hinab, einmal kurz auf das andere Mainufer und ich bin in der Lohrer Altstadt. Wieder ein schmuckes fachwerkgeschmücktes Wein-Städtchen. Cafés, Biergärten, kleine Geschäfte prägen das Bild. Aber Lohr hat ein ganz besonders wertvolles Kleinod, das märchenhaft verzaubert. Das Schloss, in dem einst Schneewittchen lebte... Heute wird es Kurmainzer Schloss genannt und nur noch ein kleines Relief erinnert an die bedeutende Bewohnerin und ihr kleinen Freunde und Beschützer. Ganz nebenbei beherbergt es das Spessartmuseum, das das Leben der einfachen Leute und Handwerker durch die Jahrhunderte dokumentiert.
    Plötzlich, quer über den Fahrradweg und eine angrenzende Bank, ein quer verlaufender weißer Balken. Was ist das? Ein Metallschild macht mich schlauer (gestiftet vom SPD-Ortsverein). Ich überquere gerade den 5. Breitengrad und damit auch die Verbindung zu Ulamgom in der Mongolei, Charkov in Russland, aber auch Prag, die Südspitze Englands und Winnipeg in Kanada.
    Ein wenig wie Urwald wirkt die Strecke, die ich dann durchradle. Grünschimmerndes "bewachsenes" Wasser, abgestorbene Bäume, auf denen riesige Vögel sitzen (könnten auch Geier sein, wenn ich es nicht besser wüsste...), stille Tümpel, in denen sich die Bäume spiegeln....die Natur darf hier noch Natur sein...
    Ich passiere das schöne Städtchen Gemünden und erreiche Karlstadt, mindestens ebenso schön, aber mit einer Königlich-Bayerischen Gendarmerie-Station (immer noch Polizeigebäude) und einem schwarzen mumifizierten Hai im Ratssaal. 500 Jahre soll es her sein, als der Hai "dank eines Hochwassers" in die Kirche St. Andreas gelangte und lebend nie wieder hinaus... Auf dem "Main-Mäuerle" sitzen schon die ersten Genießer mit ihrem Franken-Wein Schoppen und werfen bei ihren innigen Gesprächen vielleicht auch ab und zu einen Blick auf den unter ihnen dahinfließenden Main oder hinauf zur Burgruine von Karlstadt.
    Mir gefällt es in dieser kleinen beschaulichen Stadt, in der sich bestimmt wunderbare Sommerabende auf dem Weinmäuerchen verbringen lassen.
    Man soll übrigens von den dortigen Steilhängen über dem Main, vom Stettiner Stein, die "Schönste Weinsicht Frankens" haben (so zumindest der Titel im Jahr 2020, vergeben vom Deutschen Weininstitut).
    Die Weinberge des Frankweins begleiten mich auch weiterhin, überall Wein, Wein, Wein, egal wohin ich blicke (den Main unterschlage ich jetzt mal). Ich passiere noch so manchen schönen Weinort und auch die Stadt Würzburg (die spar ich mir für die nächsten Tage auf) und dann geht's nicht mehr. Der nächste Weinstand (und hiervon gibt's hier mehr als genug) ist meiner. Köstlich!
    Leicht beduselt erreiche ich mein Weinfass in Ochsenfurt und genieße bei einem weiteren Schöppchen den so schönen Abend....der mit meinem Helmi bestimmt noch viel schöner geworden wäre.
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