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- Jun 29, 2023
- ☁️ 28 °C
- Altitude: 35 m
- IndonesiaCentral JavaKabupaten CilacapKedungsari7°32’52” S 108°48’2” E
Schlaf-Opferfest
June 29, 2023 in Indonesia ⋅ ☁️ 28 °C
Wir radeln weiter in Richtung Jakarta, entlang der Küste, irgendwo zwischen den Provinzen Zentral-Java und West-Java. Seit wir den Großraum Yogyakarta verlassen haben, haben wir wieder das Gefühl, die einzigen Weißen weit und breit zu sein. Und noch eine Sache hat sich geändert: Statt saisonaler Regen- und Trockenzeit gibt es hier ganzjährig Niederschläge. Nach einem Monat ohne Regen müssen wir uns nun wieder auf Nässe einstellen: Es nieselt viel, manchmal folgt dazwischen auch ein einstündiger Regenguss.
Die Strecke ist etwas flacher, die Bevölkerungsdichte nicht ganz so hoch, der Verkehr ruhiger und wir finden immer wieder nette Orte zum Zelten. Doch so schön die Orte auch sind, so groß ist diese Woche die Herausforderung, durchzuschlafen.
Episode 1: Am ersten Tag kommen wir abends an einen Strand mit dutzenden Kiosks und dürfen unter dem Vordach eines dieser Kiosks das Zelt aufstellen. Im Hintergrund rauscht das Meer, das uns sanft in den Schlaf begleitet. Um zwei Uhr Nachts werden wir allerdings von einem feucht-nassen Gefühl aufgeweckt. Durch den Wind und einige Risse im Kioskdach schafft es der Regen zu uns ins Zelt hinein. Wir springen aus dem Zelt, rücken es an einen trockeneren Ort, befestigen zur Sicherheit die Regenplane und legen uns zur zweiten Nachthälfte wieder ins Bett, um weiterzuschlafen, während die Tropfen auf das Wellblechdach prasseln.
Episode 2: Am nächsten Tag, dem Vorabend des islamischen Opferfestes (Idul Adha), finden wir abends ein ruhiges Café mit großem Grundstück. Nach einigem hin und her und der obligatorischen Anmeldung beim Ortsvorsteher erlauben uns die Eigentümer, dort zu zelten, wir müssten nur am Morgen früh aufbrechen, da das Café wegen des Opferfestes geschlossen bleiben wird. Als wir um 19 Uhr etwas zu Abend essen, ruft der Muezzin gerade wie jeden Abend zum Abendgebet. Während wir uns noch über das Opferfest informieren, ahnen wir noch nicht, dass er heute länger rufen wird als gewohnt.
Da Beschwerden über religiöse Praktiken in Indonesien bei Gefängnisstrafe (bis zu 5 Jahre) verboten sind, greifen wir an dieser Stelle auf eine Beschreibung zweier Zeug:innen zurück, die lieber anonym bleiben wollen:
Eine Stunde später liegen R. (29) und E. (30) bei weiterhin ohrenbetäubendem Gesang aus mindestens vier Moscheen im Zelt. Neben dem Gebetsruf des Muezzins seien über die Lautsprecher auch Gebete und Koranlesungen von Gemeindemitgliedern abgespielt worden. Diese seien nicht besonders melodisch gewesen. Die Qualität der Lautsprecher habe dabei für zusätzliche Verzerrung gesorgt. R. und E. bezeichnen sich selbst als gute Schläfer:innen, tolerant, hart im Nehmen und freuen sich laut eigener Aussage über besondere kulturelle Erfahrungen. Sie beschreiben den sich überlangernden Sing-Sang aber als eine Mischung aus Feuerwehrsirene, Schlachthaus und kindlichem Gebrabbel, garniert mit einer Spur Hallenbad - und das Ganze in Konzertlautstärke.
An Schlaf sei bei dieser Beschallung wirklich nicht zu denken gewesen. Mit Hörbüchern aus Noise-Cancelling-Kopfhörern schaffen sie es immer mal wieder wegzudösen, nur um beim nächsten Aufheulen der Klagelieder wieder aus dem Schlaf gerissen zu werden. Bis auf einen halbminütigen Stromausfall gegen halb drei Nachts sei die Beschallung bis um sieben Uhr Morgens ununterbrochen und in voller Lautstärke zu hören gewesen. Sie haben Tränen in den müde wirkenden Augen, als sie diese Ereignisse schildern.
Wir verzichten auf weitere Kommentare zu dieser Ausführung und fahren am nächsten Morgen selber übermüdet weiter. Dabei passieren wir mehrere Moscheen, an denen Menschengruppen Hammel und Rinder zur Schächtung vorbereiten (Morgens), diese bereits durchführen (Mittags) oder sich mit einzelnen Körperteilen der Opfertiere unterm Arm auf den Heimweg machen (Nachmittags).
Episode 3: In der übernächsten Nacht liegen wir an einem wunderschönen Platz direkt am Strand. Der Muezzin hat, heute angenehm melodisch und nur mit kurzer Liveübertragung des Kinder-Freitagsgebetes, die Nachtruhe eingeleitet. Kaum liegen wir im Zelt, werden wir schon wieder wachgerüttelt - im wahrsten Sinne des Wortes. Der Boden wackelt, als lägen wir auf dem Boden einer Hüpfburg, während andere Kinder weiter darauf herumhüpfen - das riecht nach Erdbeben.
Da wir seit Tagen regelmäßig an Tsunamiwarnschildern vorbeifahren und bei Indonesien, Küste, Erdbeben und Tsunami traurige Assoziationen geweckt werden, ist auch jetzt an Schlaf nicht zu denken. Wir klettern also aus dem Zelt, blicken fragend aufs Meer und checken erstmal alle umliegenden Bäume auf Stabilität und Kletterbarkeit aus. In der Nähe sitzt eine Gruppe Anwohner, sie wirken entspannt. Wir fragen nach, sie diskutieren kurz, haben aber keine Warnung erhalten. Online finden wir schnell einige Infos: Ein Seebeben vor der Küste Yogyakartas, etwa 200 Kilometer von uns entfernt, hat uns aus dem Schlaf geholt. Nach einer Viertelstunde hat einer der Anwohner genauere Informationen und versichert uns "aman, aman" - alles sicher. Das Beben war zwar im Meer, aber seine Stärke von 5,8 reiche nicht, um einen Tsunami auszulösen. Wir klettern trotzdem mit einem leicht mulmigen Gefühl zurück ins Zelt.
Episode 4: In der nächsten Nacht stellen wir das Zelt wieder neben einem Strandlokal auf. Es ist keine laute Straße oder Moschee in der Nähe, wir wissen, wo der Tsunamifluchtweg ist und haben die Regenplane auf das Zelt gespannt. Was kann da noch schiefgehen? Gegen 21 Uhr beschließt der Lokalbetreiber, dass es nun noch Zeit für eine Karaoke-Einlage wäre, obwohl kein einziger Gast mehr zugegen ist. Nach so vielen Schlafunterbrechungen ist uns das egal - wir lassen uns von der indonesischen Hitparade in den Schlaf singen und schlafen endlich durch.Read more
Traveler Da könnt Ihr ja nur auf einen ausgedehnten Mittagsschlaf hoffen!
Traveler Wie schön von fremden Sitten und Bräuchen zu lesen! Geniesst das Eintauchen in diese südostostasiatische Klang- und Lärmwelt. Schlafen könnt Ihr doch, wenn Ihr wieder daheim seid.