• Robert Fichtner

Quer durchs Land

This will become a story about Germany. Maybe its gonna become a long time story. Have a look whenever you are interested. --- In Deutschland liegt meine Heimat. Also warum sollte ich die Welt bereisen wenn ich noch nicht mal mein eigenes Land kenne? Les mer
  • Der Neandertaler

    8. juni 2020, Tyskland ⋅ ⛅ 16 °C

    1856 erblickte in einer Schlucht unweit von Essen und Düsseldorf der Neandertaler das zweite Mal das Licht der Welt. Zuvor war es ein beliebtes Wandergebiet der Einheimischen, später wurde Kalkstein abgebaut und irgendwo dazwischen fand man in den Karsthöhlen den Schädel unseres Vormenschen. Sehr viel mehr kann icb euch eigentlich gar nicht dazu sagen, denn es war Montag und das Museum hatte geschlossen. In Deutschland ist das eben üblich. Armes Deutschland wenn es Wissen wieder mal nur auf Zuteilung gibt. - Mach ich eben Urlaub und genieße das Wildtiergehege nebenan. Der Förderverein hat dort Eiszeittiere angesiedelt. Wisente,Auerochsen, Zurückgezüchtete Tarpane usw. Leider ist denen in der Mittagshitze ebenso schwül und daher sieht man sie kaum.

    Alles in allem habe ich vom Neandertal mehr erwartet. Soweit ich weiß war er dennoch ein schlaues Kerlchen, weitaus kräftigere Statur als wir heute. Selbst als Hölenmensch war er wohl technisch begabt und doch später technologisch unterlegen. Bis zuletzt muss es eine Coexistenz mit dem Neandertaler gegeben haben. Man kann das wohl anhand von Funden belegen die einen Austausch zwisch beiden Kulturen aufzeigen. Dennoch kann ich es leider nicht näher beschreiben.

    Auf nach Düsseldorf! Dort überrasche ich einen Freund. Es gibt Kaffee, Kuchen und ein bisschen Großstadtflair. Düsseldorf gehört jedoch zu den Ecken in Deutschland, die ich bereits sehr gut kenne. Es geht weit hinaus gen Westen in die Rheinische Tiefebene.
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  • Giganten der Braunkohle

    9. juni 2020, Tyskland ⋅ ☁️ 14 °C

    Am Rhein, soweit weiß man, waren schon immer Schätze vergraben. Manche wurden nie gefunden. Andere bewusst nie gehoben oder mittels Talsperren wieder versenkt. Die deutsche Braunkohle ist hingegen ein Schatz auf den man nur ungern verzichtet. Ich muss zugeben man kann weitaus bessere Sachen damit anfangen als sie denn zu verbrennen und zu Strom zu verarbeiten, aber naja.

    Heute gibt es noch drei große Tagebaue in der Region. Davon habe ich mir Garzweiler I+II näher angeschaut. Erst kommt lange nichts, später folgen ausgestorbene Dörfer und dann, stehe ich plötzlich an der Kante zum Abgrund. Im wahrsten Sinne des Wortes. Denn die Kohleflöze liegen in einer Tiefe von 40-210m auf einer Länge von ca. 10km. Da muss man erstmal baggern. Mittlerweile hat sich das Verhältnis von Kohle zu Abbrau. Auf 1:5 verschlechtert. Scheint aber keinen zu interessieren. Denn demnächst kommt ja der Kohleausstieg. Bis dahin kann man fördern was geht. Aha! Und solange malt RWE ungehindert rasant immer neue Farbenspiele aus Sand, Erde und Stein in die Mondlandschaft. Auf der einen Seite abbagern und auf der anderen Seite abkippen. Das nennt sich dann Renaturierung...

    Wir Männer lieben ja großes Maschinenspielzeug. Aber ich muss zugeben, selbst in und um Leipzig kommt man nicht so nah an schweres Gerät wie hier. Allerdings wird mir auch anders in welcher Geschwindigkeit die Natur hier weichen muss. Für die nächsten hundert Jahre liegen hier getroßt noch Vorräte. Aber hoffen wir mal dass wir nicht mehr halb NRW umsiedeln müssen. Am Ende tragen wir Stromverbraucher dafür ja die Rechnung. Nicht der Konzern.

    Von mehreren Aussichtspunkten kann man bis auf die untere Sole des Tagebaus blicken oder zuschauen wie ein Bagger gerade beim TÜV generalüberholt wird. Natürlich werden die Aussichtspunkte jedoch auch regelmäßig weggebaggert. Zu schade, dass der Skywalk erst kürzlich deswegen geschlossen wurde. Mal schauen wann und wo sie den nächsten bauen.

    Durch Zufall erlebe ich keine paar Kilometer weiter drei Seilkünstler beim ausbessern der Stromtrasse. Mit allem was sie brauchen hängen sie in ihren Gondeln und drillen tag ein tag aus die Stromkabel neu. Sieht witzig aus und rundet den Tag perfekt ab. Fehlt nur noch ein balancierendes Fahrrad oben auf. ;)
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  • Kaiserpfalz zu Aachen

    9. juni 2020, Tyskland ⋅ ☁️ 17 °C

    Die Städte hier am Niederrhein sind allgemein alt. Viele gehen bis auf die Römer zurück. Die Stadt Jülich zum Beispiel feierte schon vor Christi seine erste urkundliche Erwähnung. Außer einem Fort erinnert heute aber nichts mehr an diese eventuelle Vergangenheit. Jülich gleicht äußerlich einer maroden Stadt und hinter den Kulissen ist es eines von Deutschlands Top-Forschungseinrichtungen und eines der leistungsfähigsten Rechenzentren der Bundesrepublik.

    Aachen kann da ebenfalls gut mithalten. Die RWTH in Aachen gilt als die Top-Adresse unter den technischen Hochschulen in Deutschland. Die Stadt bekommt durch sie ein sehr junges Gesicht. Nach Braunschweig ist Aachen tatsächlich wieder eine Stadt die mir vollumfänglich gefällt. Egal ob die Reitarena Tivoli, der Aachener Dom, gestiftet von Karl dem Großen und über Jahrhunderte Ort der Krönungszeremonie in Deutschland. Die paar anderen Sehenswürdigkeiten sind schnell erzählt doch die Menschen, vor allem die Studenten, geben hier eine wunderbare Atmosphäre.
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  • Der Domschatz zu Aachen

    9. juni 2020, Tyskland ⋅ ☁️ 16 °C

    Der Domschatz zu Aachen ist ein besonderes Schmuckkästchen. Es gehört einmal mehr zum Weltkulturerbe. Man findet über 100 Objekte zur schau und unzählige weitere in den Archiven.

    Wer hier ein gewisses Kunstverständniss mitbringt zollt dem kreativen Kopf dahinter schnell den zustehenden Respekt mit welcher Detailtreue und Präzision hier geschaffen wurde. 700Jahre alt erhaltene Holzschnitzereien. Vergoldete Büsten vom König, Monstranzen, Schreine und Reliquien. Achen war ein wahrer Pilgerort für viele Gläubige.

    Dieses Glitzern und Funkeln zog eben schon immer viele Menschen magisch an.
    Wo sonst als in Aachen kommt Geschichte, Kunst und Technik hier auf einen ganz einzigartigen Nenner. Nachdem man aus ddm Krieg seine Lehren zog wurde festgestellt dass man diesen Schatz niemals kurzfristig und unfallfrei in Sicherheit bringen könnte. Die Lösung kommt hier in Zusammenarbeit mit der RWTH Aachen. Man baute einen oberirdischen Bunker um die Sammlung und integrierte ihn ins Bild des angrenzenden Dom. Es ist ohnehin erstaunlich wie gut der Dom und die Aachener Innenstadt erhalten geblieben sind. Entlang der heutigen Deutsch-Belgischen Grenze tobten gerade ab Kriegsmitte heftige und blutige Grabenkämpfe.
    Deren Geschichte schau ich mir auf der Vennbahn näher an.
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  • Hohes Venn

    10. juni 2020, Belgia ⋅ ⛅ 15 °C

    „Wir erben die Erde nicht von unseren Eltern, sondern wir leihen sie uns von unseren Kindern!“

    Unter diesem Leitspruch stand die Landschaftsentwicklung des Hohen Venn als es bei uns nach dem Krieg noch kaum Naturschutzgebiete gab. Beide Weltkriege haben tiefe Wunden in dieser Landschaft hinterlassen. Über Nacht wurde das lange Zeit als ‚Geisterfront‘ bekannte Gebiet unter der blutigen Ardennen-Offensive bekannt.

    Gemütlich aber für ganze 38km geht es steig bergauf. Ich fühle mich fast so wie in den Rocky Mountains. Die Berghänge links und rechts fallen jedenfalls ähnlich steil ins Tal hinab. Das wäre was für Mountainbiker aber nichts für meinen kleinen Packesel. Und die Knie! Die Knie! Auweia, ich will gar nicht daran denken. Soweit erlaubt gehe ich lieber nur mit Rucksack im Venn wandern.
    Für viele Naturschutzzonen ist das Betreten gänzlich untersagt. Teilweise sind es auch Hochmoore. Das will ich wieder lieber gar nicht ausprobieren. Aber die Idee mit dem Schnorchel beim Fahrradfahren find ich gut. ;)

    Die Bewohner waren mal Deutsch, mal Belgisch. In Luxemburg wurde strenges Regime geführt und viele flohen im Krieg über die Eisenbahnlinien. Die wichtigste Verbindung, die Vennbahn war schon vor dem 2. Weltkrieg quer durch die Ardennen gebaut um die Kohle in die Industriegebiete rund um Luxemburg zu transportieren. Später war sie Fluchthelferroute und hernach nie wieder als Bahn eingesetzt. Viele Viadukte galten hier als strategisch wichtig und wurden daher öfter zerstört, manchmal wieder aufgebaut. Was blieb war die Landschaft rund um das hohe Venn. Sumpfwiesen und Heidelandschaft links und rechts der Bahnstrecke. Bereits im April blühen hier Millionen von Narzissen.

    Nach einer Wanderpause denke ich erst wieder hier bauen sie irgendwo mit dem Vorschlaghammer Gestein ab. Immer wieder rummst es. Ehe ich mich eines besseren besinne verläuft der Radweg jedoch an einem Truppenübungsplatz vorbei. Immerhin, vorbei - und nicht mittendurch wie in Ontario! Aber es klang weit echter als manches Gefecht in den heimischen Kasernen. Passt ja auch in die Region. Hier gab es die letzten 100 Jahre immer Grabenkämpfe. Warum nicht also auch hier üben.

    Nach dem Venn geht es auf und ab auf der Suche nach einem Kaffee. Ich bin ja Tagesausflügler, sonst dürfte ich aktuell gar nicht hier sein. Und da will ich es mir gut gehen lassen. Doch weit gefehlt. Hier in Belgien sind die Corona-Vorschriften oftmals sehr verschieden zu Deutschland. Keine Maskenpflicht, jeder grüßt mich freundlich auf deutsch, französisch oder wallonisch (zugegeben es wäre übertrieben zu sagen das die Menschen in Deutschland unfreundlich sind, doch man merkt den Unterschied sofort. So richtig Urlaubsfeeling entsteht halt doch immer erst nach der Grenze.) Aber die Cafés bleiben bis auf weiteres zu! Keine Ausnahmen. Selbst dIe Supermärkte haben ihre Öffnungszeiten auf ein Minimum reduziert. Prima! Bin ich schon mal hier und keiner will mich an dem leckeren Belgischen Törtchen teilhaben lassen. :(
    Doch! Einer. Im fünften Versuch bei einem Bäcker bekomme ich mein Marzipan-Eierlikör-Törtchen. Ein Bäcker aller paar Dörfer zählt hier zur Grundversorgung. Das ist wie die eine Apotheke die im Einzugsgebiet Notdienst hat, nur dass hier anders als normal nirgends steht welcher Bäcker das denn sei.
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  • Grabenkämpfe in den Ardennen

    11. juni 2020, Luxembourg ⋅ ⛅ 17 °C

    Jeder schöne Radweg hat einmal ein Ende. Die Vennbahn endet in Troisvierges im heutigen Luxemburg. So ziemlich mit dem Grenzübertritt erreiche ich zunächst den Burgplatz, den höchsten Punkt in Luxemburg. Naja, immerhin 558m! denke ich mir. Nach einer Rast hat mich der Vennbahnweg wieder. Zu meiner Mißgunst verläuft der Radweg hier aber nicht mehr AUF der Bahnlinie, sondern AN der Bahnlinie! Mit allen höhen und tiefen. *grrr*. Gestern noch wollte ich es mir lieber nicht vorstellen, heute gehört dieser kräftezehrende Grabenkampf für mich auch zum Alltag. Wenn man oben auf dem Berg steht sieht man die Täler nicht mal. Es ist eine sanfte Hügellandschaft. Mehr nicht. Naja, und dazwischen fehlen schnell mal 300 Höhenmeter.

    Wenn nicht Kaffee und Kuchen immer so total lecker schmecken würden ließe ich gern das ein oder andere Tal aus. Aber sie tun es nun einmal. Danach heißt es jedes Mal den Berg wieder hinauf zu kämpfen. Die Bahn schlängelt sich ein letztes Mal durch ein Tal. Es wurde früher ein Tunnel gebaut, der ist jetzt aber geschlossen. Fledermäuse! Man hat in dem Tunnel mindestens 13 Arten gefunden die hier überwintern. Darunter auch die Teichfledermaus. Sie steht auf der roten Liste und ist extrem selten. Zuvor wusste man gar nicht, dass es sie in Luxemburg überhaupt gibt. Gehört doch der halbe Tunel zu Belgien und der halbe zu Luxemburg. (So einfach kann man es sich machen...) Bati und seine Freunde haben neben einem Lehrpfad aber auch ein ideales zu Hause. Mehrere Quellen liegen im Berg. Die Wände bis zum Tunnel sind feucht und über und über mit Moos bewachsen. Ein idealer Lebensraum für Insekten und damit eben auch für Fledermäuse.

    Dass in diesen Bergen einmal die Ardennenoffensive herschte ist kaum zu glauben. Was wollte man im Krieg eigentlich in diesen unwirtlichen Berghängen? Die Amerikaner nutzten sie lange Zeit als Hinterland um Truppen zu versorgen, wieder aufzustocken und dergleichen. Dann kam der Einmarsch. Viele verloren ihr Leben auf der Flucht oder wurden beim Ausharren sogar noch aus den Kellern vertrieben. Es wundert daher heute wenig. Selbst nach 75 Jahren sehnen sich die Menschen nach Frieden und können überhaupt nicht verstehen wie politische Gruppen links und rechts der europäischen Mitte immer aktiver werden. Ich denke diese Gräben werden nie verheilen solange man nicht beiderseitig die Geschichte respektiert. Jetzt aber das hier und jetzt genießen, mitzugestalten und stetig verändern darf man aber in meinen Augen auch nicht immer nur politisch sehen. Daheim ist daheim, das will man sich nicht wegnehmen lassen. Aber man darf interessiert über den Tellerrand schauen. Wie so oft wartet da bestimmt ein Regenbogen voller Schönheit.
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  • Das Sauertal

    12. juni 2020, Tyskland ⋅ ☁️ 25 °C

    Trotz vieler Höhen und tiefen geht es in Luxemburg schlag auf Schlag mit den Highlights. Aus den Ardennen grüßt ein letztes Mal die Burg Vianden. Ein paar Esel gesellen sich zum Abend noch zu mir. Neugierig bis ins Letzte! Und dann geht es hinab ins Tal der Sauer. Was ein schönes Tal gleichzeitig die Grenze zurück ins heutige Deutschland. Woran man das auch als Nicht-Radfahrer merkt? In jedem deutschen Dorf stehen entlang der Grenze überall Parkautomaten, außerhalb Deutschlands nicht.

    Ich komme mit einem älteren Radfahrer ins Gespräch. Er ist Luxemburger, schon leicht wackelig auf den Beinen, nicht mehr das neueste Carbonrad (anders als die vielen Rennradfahrer auf den Flussradwegen.) doch auf dem Rad macht er eine überaus stabile Figur.
    Mit seinen 86 Jahren meint er: „Ich fahre nicht mehr so viel wie du. Aber ich möchte dieses Jahr noch ca. 2000km schaffen dann habe ich mindestens einmal 150.000km zusammen“. Das möchte er schaffen. Und so fährt er immer mal die Sauer hoch und runter und freut sich genau so dass er auch mal jemand zum reden hat. Guter Mann! Gefällt mir.

    An der Mosel trennen sich unsere Wege. Er fährt nach Luxemburg, ich nach Deutschland die Mosel weiter. Doch der Moselradweg ist dermaßen touristisch, dass er mir bereits nach 10km nicht mehr gefällt. Mir scheint ich bin verwöhnt. Überall wieder diese Salzstöcke auf dem Fahrrad wie schon an der Nordsee. Wortkarg aber energisch warum man soviel Platz auf dem Radweg beansprucht. Jetzt weiß ich warum mein Fahrradladen es als mutig bezeichnete sich mit dem Rad auf deutsche Radwege zu wagen. Mit der Idylle ist es jedenfalls aus.

    Erst recht als ich in Trier angekommen bin. Trier gilt als die älteste Stadt Deutschlands. Alexander der Große hat sie zur Blüte gebracht indem er öffentliche römische Bäder und ein Amphibtheater erbauen ließ. Außerdem ist Trier in hoher Hand der Katholischen Kirche die hier eine riesige Basilika Minor betreibt und Trier ist wohl überall bekannt für sein Stadttor, die Porta Nigra. Aber ich muss sagen, das war es denn auch. Der Stadt fehlt einfach das Flair. Selbst im Eisladen muss der Kellner zweimal nachfragen weil er seine Kreation nicht unter deutschem Namen kennt (Ich wollte gern ganz was schweres —> einen Butterkeks-Eisbecher) :) Wenn man nur als Tagestourist kommt sind die Eintrittspreise ebenfalls unverschämt teuer. Also sollte mal jemand im vorbeifahren sein, fahrt einfach weiter. (Es sei denn ihr braucht ein Selfie vor der Porta Nigra - und dann fahrt ihr weiter...)
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  • Schleifen bis zum Horizont

    13. juni 2020, Tyskland ⋅ ⛅ 15 °C

    Ich lasse den Gedanken die Mosel weiter zu radeln schnell hinter mir. Mehrfach wurde nun schon erwähnt dass die Mosel von sehr vielen stummen anstatt geselligen Radfahrern bevölkert wird. Bestes Zitat eines Anwohners: "Nebenan im Saarland, da sind die Menschen ganz anders. Aber hier würde ich nicht bleiben!"

    Ich schlendere noch zwei Minuten duch das abendliche Trier. Von der Stadt habe ich mir mehr erwartet. In meinem Kopf drehen sich derweil die Schleifen bis zum Horizont. Was macht man mit der wenigen Zeit die diese Radtour noch übrig hat? Was schaue ich mir an, wo will ich noch alles hin und schaffe ich das von meinen Kräften auch bis zum Ende der Tour? Immer dieses Hin und Her. Das nervt! Während der Reise habe ich für solche Gedanken meist wenig übrig doch zum Ende kommt immer ein bisschen Wehmut auf. Ich habe zunächst keine weiteren Treffen geplant nachdem ich erneut mehrere Absagen erhielt. Fahre ich nun links rum oder rechts rum aus Trier heraus?

    Und gerade da will es der Zufall dass ich meinen Augen kaum traue. Gleich drei voll bepackte Fahrräder wie ich sie in den letzten Wochen überhaupt noch nicht gesehen habe. Schnell wird klar wir haben die selbe Idee, wir schlagen die selbe Richtung ein.
    Zu viert ist man weniger allein. Die letzten paar Kilometer an der Mosel sind gerettet.

    Bis zum Abend fahren wir auf einen Campingplatz kurz hinter der Saarmündung. Viele Gespräche laufen über eigene Radtouren von Kanada bis Indonesien. Diese Reise bietet nun endgültig alles. Die Zeit vergeht wie im Flug. Über Nacht kommt starker Regen auf. Jetzt, wo ich sonst immer eine trockene Schutzhütte oder eine nette Gastfamilie gefunden habe fällt mir am vorletzten Tag doch tatsächlich ein, dass ich auch mal noch Zelten könnte. Dieser Urlaub deckt echt alles ab! Doch entsprechend unbeholfen geht mein Zelt mit dem Regen um. Bis die nähte sich vollgesogen haben tropft es fleißig rein. Am Morgen heißt es alles fast noch bis zum Mittag zu trocknen bevor es weiter geht. Wir wollen noch ein Stück gemeinsam fahren. Daher bringt es auch nichts einfach früher aufzubrechen. Vom Regen der Nacht liegt noch Nebeldunst im Tal und ich erkenne nicht einmal das Ende der Berghänge.

    Im Konvoi schlängeln wir uns an der Saar. Sogar die anderen Radfahrer zeigen anstatt Unverständnis plötzlich Interesse und Respekt. Mir scheint irgendetwas habe ich alleine dann doch falsch gemacht aber naja. Die Weinberge links und rechts ragen steil auf und lassen mich das schnell vergessen. Hoch oben thront die Saarburg. Daneben klebt die große Kirche und der Ort direkt am Hang. Mit über 20% erklimmen unsere Packesel den Anstieg. Belohnt werden wir mit einem sehr schönen Kleinod. Trotz Restaurierung scheint es der Ort kann sich nicht weiter am Hang ausweiten und behält damit ganz seine Ursprünglichkeit. Um den Mittag ist alles von Touristen überrannt doch sonst ist es wunderschön hier. Der Weg entlang der Saar ist also schon einmal die richtige Entscheidung gewesen.

    Um die Saar für die Binnenschifffahrt zu nutzen kommen alle 5-10km große Schleußen über wir unsere Packesel buxieren müssen. Doch sonst geht es bis zum gemeinsamen Mittagessen schön gemächlich bergauf. Und gleich im Anschluss folgt die ultimative Schleife. Von der Saarschleife habe ich zuvor schon so viele Bilder gesehen dass ich mir unbedingt vorgenommen habe diesen Ort selbst einmal zu besuchen. Neben dem vielen Radfahren geht es jetzt also auch wieder einmal mit Wandersocken auf Tour. Gesagt, getan. Wie im Flug gehe ich ruhigen Schrittes bergauf und lasse den ein oder anderen Tagesausflügler hinter mir stehen. Training ist die halbe Miete. Die andere Hälfte ist immer die Belohnung. Wenn man oben angekommen ist entschädigt das Panorama sogar das schlechte Wetter. Klar, ein feuerroter Sonnenaufgang über den Bergen, die spiegelglatte Saar 200m unter mir, das wäre glaube ich noch schöner. Aber ich kann nicht alles haben. Die Saarschleife lohnt sich immer!
    Beim Abstieg treffe ich eine ältere Dame. Sie meint sie wohne dort oben im Dorf. Doch die vielen Tagestouristen liesen sie oft nur verstummen. Sie freut sich, dass sie auf den ersten Blick auch jemand anderes getroffen hat. Die meisten Leute nehmen diesen steilen Auf- und Abstieg nicht in Kauf und fahren nur noch mit dem Auto vor. Sie selbst sei schon 86 Jahre und versucht mindestens noch einmal im Jahr durch das Steinbachtal und den steilen Aufstieg zum Aussichtspunkt zu gelangen. Sie möchte selbst wissen ob ihre Fitness und ihr Körper seit jeher noch in der Lage dazu sind. Mein Respekt! Das gefällt mir.
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  • Völklinger Hütte

    13. juni 2020, Tyskland ⋅ ⛅ 20 °C

    JA, die liebe Zeit. Wer sie hat, hat es gut und wer sie nutzt noch viel besser!

    Bei der Kapelle zum Heiligen Petrus bietet sich ein letzter Zwischenstop an. Ich will ja dankbar sein dass der Wettergott in den letzten Wochen zu mir gehalten hat. Und nicht zu letzt schimpfen immer alle über Petrus wenn das wetter mal nicht passt, aber wie schön er es eigentlich an seiner Kapelle hat, egal bei welchem Wetter, das weiß kaum einer.

    Ein alltägliches Ritual am frühen Abend ist mittlerweile meine liebgewonnene Quarkspeise. Wann immer ich sie im Laden finde habe ich mindestens eine dabei. Schmeckt gut, macht satt und gibt Kraft bis in die späten Abendstunden. Frisch gestärkt begebe ich mich auf die letzten Kilometer in Richtung Saarbrücken. Die Landschaft wird zunehmend von Industrie geprägt. In Saarlouis fühle ich mich in eine komplett andere, triste Zeit versetzt. Zwei Radfahrer erzählen mir am Rande wie sie in Zeiten Covid-19 den Moselradweg noch nie so leer und interessant erlebt hätten. Aber sonst sei es die richtige Entscheidung gewesen an die Saar zu kommen. :) Sie berichten mir von einer Hütte wenige Kilometer weiter in Völklingen. Die ist zwar am Abend geschlossen wird aber am Wochenende gern mit viel Licht in Szene gesetzt. Es wird ja auch erst spät am Abend wirklich dunkel. Doch wer jetzt denkt es sei eine Hütte zum Übernachten, der fehlt gewaltig.

    Die Völklinger Hütte ist ein Stahlwerk das noch bis vor 25 Jahren Stahl verhüttet hat. Ein Industriegigant und gleichzeitig ein Urgestein deutscher Industriegeschichte. Aufgrund der guten Erhaltung wird die Hütte heute als Kultur- und Welterbestätte geführt. Ebenso wie der Zollverein in Essen spiegelt sie eine Zeit wieder in der vieles von Hand gefertigt wurde und die Wenigen Maschinen die es gab kommen wahren Monstern gleich. Heute stehen die Hochöfen still und verrosten einen Kilometer nach dem nächsten entlang der Saar.
    Der Uhrzeit geschuldet scheine ich beinahe der Einzige zu sein der noch unterwegs ist. Das ergibt gleichzeitig wieder so ein besonderes Flair. Diese Kollose inmitten grüner Auen. Die Saar ist ruhig und spiegelglatt. Die Vögel zwitschern zur Guten Nacht. Es ist ein schöner Ort zum verweilen und staunen. Mein Respekt an die Erbauer. Ich hätte soetwas nicht auf die Beine stellen können. Als es dunkler wird ist es mit der Beleuchtung leider weit gefehlt so wie sie im Internet zu sehen war. Warum auch wenn niemand da zu sein scheint. Ein wenig schade doch auf der anderen Seite gerade die einzigartige Chance den vewrgänglichen Geist der Hütte so unverfälscht aufzunehmen wie nur möglich. Die Wolken ziehen übers Land. In der Dämmerung wirkt die Hütte wie eine Blume die verwelkt. Sobald es finster ist gibt es denn wenigstens einen Hollywoodreifen Abschied.
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  • Russisches Glücksspiel nach Saarbrücken

    14. juni 2020, Tyskland ⋅ ⛅ 15 °C

    Erst nach Mitternacht gelange ich nach Saarbrücken. Das letzte Stück weg führt quer durch den Wald zu einem See. Ich treffe noch auf eine russische Familienfeier die versuchen mit Wodka und Gitarre ihre Stimme zu ölen. Doch der Weg bis zur Unterkunft ist noch ein Stück quer durchs Land. Also bleibe ich nicht lang. In der Finsternis nehme ich den Waldweg zwischen den Fisnteren Bäumen nicht mehr wirklich wahr. Daher lasse ich mich auf ein Experiment ein. (Nicht nachmachen wer kein 100% gutes Bauchgefühl dabei hat!) Anders als auf der Straße leuchtet die Fahrradlampe nicht den halben Wald aus. Mein weg führt durch ein dichtes Netz von Wanderwegen irgendwo da drüben runter. Wegweiser gibt es nicht und ein breiter Waldweg ist ebenfalls Fehlanzeige. Ich weiß gar nicht wie ich mich da hinein manövriert habe doch ich will nicht ständig Bergauf Bergab. Nicht nach Mitternacht! Die letzten 1800 km hat mich mein Bauchgefühl immer auf gutem Weg begleitet.Daher wage ich es und nutze maps.me statt nur zum Route planen nun erstmalig zum blinden Navigieren auf engen, verwurzelten Wegen bergab. Irgendwo zwischen den Bäumen falsch abbiegen und ich lande in den Brombeeren wenn es gut für mich läuft. Immer wenn das Navi sagt "jetzt abbiegen" geht es 'jetzt' zwischen den Bäumen ins schwarze Ungewisse. Immer fleißig bergab. Als ich ankomme bin ich froh und überglücklich. Der Wald hat nachts mindestens genausoviel Geheimnisse zu bieten wenn ich durch Adrenalin geleitet mit allen Sinnen wahrnehme. Ich bin eben doch in der Natur gut aufgehoben. Nach der Ankunft fällt das Abendbrot ziemlich kurz aus. Das kann ich auf der Heimfahrt nachholen.

    Saarbrücken ist vorerst das Ende meiner Quer-durchs-Land tour. Nach drei Wochen ruft die Pflicht. An diesem Sonntag Morgen habe ich die Stadt scheinbar ganz für micht allein. Noch nicht einmal die Putzkollone ist früh um Acht schon auf den Beinen. Ein letzter Blick aufs Stadtschloss, rüber über die Saar und ab in den Zug. Wenn es wieder einmal über alle Berge geht muss ich das Flair von Saarbrücken wohl an einem anderen Wochentag genießen. Schade.
    Typisch Deutsche Bahn bringt der Bummelexpress mich auf Kurs Richtung Heimat. Ich komme gefühlt nur wenig schneller voran als mit dem Rad. Und 10 Stunden lang Mundschutz tragen ist auch nicht die helle Freude. Ich kann es daher nicht lassen und entschließe mich einen Bahnhof früher auszusteigen. Es ist Regen angekündigt doch das stört mich nicht. Ich möchte diese Tour so beenden wie ich sie angefangen habe. Über kurz oder lang ist 'zu Hause' nur ein weiterer Zwischenstop

    Nun ist wieder alles zusammen gepackt. Das Zelt, die Radtaschen, das Kochgeschirr. Es waren nur drei Wochen. Für Außenstehende ist es einmal mehr Kopfschütteln welche Arbeit und Zeit ich hineingesteckt habe Deutschland mit dem Rad zu bereisen. Erinnert sich der ein oder andere noch? Der Sinn des Lebens ist doch zu einer bestimmten Zeit immer das zu tun was einem am meisten Spaß macht. Egal ob Kurztrip oder Weltreise.

    Quer durchs Land gibt es noch so viel zu Entdecken! Mit meiner "Fernweh-wegtrink-Tasse" sitze ich und schaue einige Tage später auf den grandiosen Sonnenuntergang am Midsommer-Abend. Dem längsten Tag des Jahres. So sicher wie das Amen in der Kirche wird die Sonne auch wieder aufgehen. An einem neuen Ort. Mit einem neuen Ziel.
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  • "In walking we aquire more of less"

    17. januar 2021, Tyskland ⋅ ☀️ -5 °C

    Januar - Im Jahresverlauf ist diese Zeit zu Hause die Kälteste. Der Wind pfeift eisig, die Straßen sind ohnehin verweht und die Pandemie lässt derzeit auch keine großen Sprünge zu. Die perfekte Zeit um das Rad einzutauschen. Mit Ski auf Arbeit zu fahren ist wohl an manchen Tagen ohnehin die bessere Alternative. Wem das wohl eher anstrengend klingt anstatt nach purer Freude? Ich kann nicht klagen. Insgeheim mag ich den Winter ja nur wenn er weiß ist. Der Schnee bietet so viel Auslauf und Abwechslung wie lang schon nicht mehr. "Beim Wandern nehmen wir viel mehr von dem wahr was uns alltäglich umgibt"...verloren geglaubte Schätze. Wenn am Wegesrand die Schneefrau grüßt lockt für kurze Zeit schon wieder das Abenteuer quer durchs Land.
    Besonders in den vergangenen Jahren habe ich den kleinen Details am Wegrand stets auch besondere Aufmerksamkeit geschenkt. Und dieser Tage ist es einfach wieder magisch! Der Winter kommt irgendwie immer zu kurz. Die aktuelle Situation verhindert viele große Sprünge. Doch sie hindert uns nicht auf Streifzüge zu gehen und bald auch wieder darüber hinaus.
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  • Das weiße Kleid

    24. januar 2021, Tyskland ⋅ ❄️ -1 °C

    Das schöne Wetter verleitet natürlich kreuz und quer zu wandern. Und immer einen Schritt weiter als zuvor. Zu Fuß, mit Ski, ok und doch ab und an mit dem Rad. Der Winterwald zeigt sich in weißem Kleid. Der Schnee hängt Knüppeldick an den Bäumen. Es wirkt als sei die Landschaft dahinter nur auf eine Leinwand gezeichnet. Ein Fenster in eine doch so unbekannte Welt. Auf den Feldern verweht der Wind die geringsten Spuren. Und wenn am Abend die Sonne untergeht streckt der Frost so einen richtig eisigen Nebel aus. Da kommt die Abwechslung quer durch den tiefen Winterwald gerade recht. Es ist schon sehr lang her dass bis ins Tiefland so ein schöner Winter herschte. Die Bäume tragen ihre scheinbar schwerse Last und verneigen sich tief. Auf den umliegenden Bergen klemmt sich der Nebel an die Gipfel. Die Mystik wirkt als wäre ich an einem vollkommen fremden Ort - gleich nebenan - so lange man auf seinen Corona-Sperrradius beschränkt ist. Und siehe da, das mit dem Verreisen scheint perfekt als tibetische Gebetsflaggen in den Bäumen wehen. Ich packe meine Thermoskanne aus, setze mich auf eine Bank. Lange kann ich das nicht genießen bevor die wohlige Wärme nachlässt. Der Tee kühlt ziemlich schnell ab. Zu Hause wartet neuer Glühwein! - denke ich und mache mich müde auf den eisigen, beschwerlichen Heimweg. Ich war wohl doch wieder ziemlich lang draußen.Les mer

  • Russenpeitsche

    10. februar 2021, Tyskland ⋅ ⛅ -16 °C

    Der Kampf der Wetterfronten ist für mich immer ein klein wenig spektakulär und zieht mich magisch an. Manchmal mittendrin, manchmal durch dass was darauf folgt. Etwas tolles kommt schließlich immer dabei raus.
    Wenn die Temperaturen von Leipzig bis Moskau weitaus kälter sind als in Noreuropa nennen die Meteorologen dieses Wetter "Russenpeitsche". Über Nacht folgen Temperaturstürze, Schneeverwehung mit Verkehrschaos und dann langanhaltend kalte Tage. *grins* Ich finde es Klasse wenn der Winter so eine Verlängerung erhält. Kommt ja auch nur alle 6-8 Jahre vor.
    Jetzt immer noch mit dem Rad unterwegs zu sein braucht eine weitaus bessere Vorbereitung. Glücklicherweise erinnere ich mich nur zu gut an meine kanadischen Tugenden und bin dankbar für die Erfahrungen der Kanadier vor Ort. Viele dünne Lagen anziehen, Schnee-Gamaschen über die Schuhe. Für die Hände eine Extraschicht neufundländischer Baumwoll-Handschuhe und im Gesicht eine zweite Maske unter die Mütze. Auch ohne Hightech lässt sich nunmehr eine erprobte und sehr belastbare Winterausrüstung zusammenstellen und ich kann dem Winter problemlos in allen Lagen trotzen. Da jubelt sogar der Mann aus Schnee auf seiner Bank. "High-five" soweit die Handschuhe das zulassen. Fürs Radfahren fehlt nur das Tagelange Training in der Kälte zurecht zu kommen. Nichts leichter also, als nur mit T-shirt und Windjacke immer mal spazieren zu gehen oder Ski zu fahren. Solange man in Bewegung bleibt ist jeder Augenblick nur Kopfsache und jede Strapaze ist es definitiv wert unterwegs zu sein. Abenteuer tönen vorher und nachher immer besser als mittendrin.
    Unweit der Dörfer warten kleine Hütten für eine Pause mit Keksen und Thermoskanne. Nebenan haben sie einen Rodelhang aufgemacht. Hals und Beinbruch wer nun nicht nur Langlauf Ski hat. Einer hat sogar sein Fahrrad umgebaut, statt Rädern müsst ihr euch zwei Kufen von einem Motor-Ski hintereinander vorstellen. Das geht ab wie eine Rakete. Allerdings sind Bremsen Fehlanzeige und ich gehe dem ganzen lieber aus dem Weg.
    Wie seit dem Studium eh und je zieht es mich hinaus. Weiter und weiter, viel weiter vor die Stadt. Der See am Wegesrand wirkt wie ein einziges Stillleben. Ich will unterdessen einmal mehr hoch hinaus. Unser lieber Goethe meinte schon vor 200 Jahren: "Sieh dir die Welt von oben an, sie bietet dir das Beste." Und er hatte natürlich Recht! Egal ob man den Rauhreif an den Bäumen gegen den blauen Himmel anschaut oder ob ich über den Bäumen stehe. Winterwetter hat etwas Erhabenes. Man muss eben nur raus vor die Tür!
    Unterdessen sind die Temperaturen bei Minus 15 Grad und weniger eingefroren. Dann kanns ja losgehen. Mit dem Rad auf die Berge, der Sonne entgegen wo der 'leuchtende Winter' wohnt und die Sonne immer zuerst scheint. Eine 'Russenpeitsche' fängt also am Besten ein, wer sich mit dem Lasso hinaus über den Nebel wagt und alles einfängt was nicht bei Drei im Schnee versunken ist. Der Plan ist ein guter! Am Ende stehe ich im gleisenden Sonnenuntergang und denke mir 'für heute hast du alles richtig gemacht!'
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  • Zeitsprung

    8. mai 2021, Tyskland ⋅ ☁️ 14 °C

    Der Frühling hat die Flüsse und Felder vom Eis befreit. Während der der April meteorologisch der kälteste seit Jahrzehnten war kann ich jetzt im Mai förmlich dem Graß beim wachsen zuschauen. Getreu dem Motto 'Es sei falsch zu glauben wir lebten nur einmal! Voraussichtlich sterben wir einmal - doch bis dahin leben wir jeden Tag!' nutze ich das Wochenende für eine längere Ausfahrt die Erhohlung und Training zugleich sein soll. Raus! Hauptsache grün! Die vielen Einschränkungen der letzten Wochen nehme ich ernst und doch hinterlassen Sie Spuren die es aufzuarbeiten gilt. Ich kann damit gut leben auf mich allein gestellt zu sein solange ich mein Fahrrad und Lastenesel als treuen Begleiter habe. :-) Und so kommt es dass ich am späten Samstag Nachmittag auf gut Glück einfach losfahre.

    Vor einiger Zeit habe ich bereits einen Artikel gelesen warum es in Deutschland Fernradwege gibt die jeden Tag überfüllt sind und wieder andere die kein Mensch kennt oder nutzt. Einer davon ist der Mulderadweg in Sachsen. Die Mulde hat sich über viele tausend Jahre tief in die Landschaft eingeschnitten und bietet viele sehenswerte alte Mühlen, Schlösser, Hügel, Wälder, Feld und Land. Weites Land. Gleich neben dem Fluss beginnt nach Norden das Sächsische Tiefland, ein weißer Fleck auf fast jeder Straßenkarte.
    Es dauert nicht Lang und ich gelange bei Wernsdorf zu einem ehemaligen Außenposten des Konzentrationslager Buchenwald im letzten Weltkrieg. Die Geschichte vieler hier inhaftierten Frauen blieb nach dem Krieg ungewiss. Viele wurden 1945 noch bis Kriegsende weiter nach Böhmen und bis nach Ungarn verschleppt. Doch dieses Unrecht in einem Lager so nah vor der Haustür war mir bis heute weitgehend unbewusst. Ein kleines unscheinbares Denkmal erinnert noch daran. Die Baracken wurden durch mehrere Reit- und Turnierplätze ersetzt. Doch in Zeiten Corona steht auch hier alles mahnend still.
    Hier beginnt auch das 'Kohrener Land'. Die Landschaft ist sehr stark geprägt durch den Hochadel zu Altenburg. Wenn ich ein was gut finde dann, dass die deutsche Kleinstaaterei unzählige Burgen, Schlösser, Rittergüter und Landhöfe entstehen ließ die sich malerisch in die Landschaft einpflegen. An einer alten Pferdetränke gibt es eine zünftige Brotmahlzeit. Ich könnte noch lange bei den Pferden bleiben. Die sind hier in Sachsen genau so neugierig auf Fahrräder wie seinerzeit in Kanada. Doch mein spätes starten bringt es mit sich dass es jetzt schon dunkel wird. Und irgendwie habe ich mir in den Kopf gesetzt heute will ich noch 20km fahren bis dorthin wo ich in Ruhe die Nacht verbringen kann. Doch mit der Ruhe hat es sich ziemlich schnell, denn jetzt in der Dämmerung ist Jagdzeit und gefühlt alle Jäger ringsumher scheinen zu einem Dienstausflug in den umgebenden Wäldern zu lauern. Ständig knallt es und donnert es. Erst nach über einer Stunde ist dann Ruhe. Solange bis - zwei Stunden später eine Eule und ein Habicht sich in der Wolle haben. Hier draußen auf dem Land ist abends action! Hier kannst du was erleben! Jäh ist die Nacht zu Ende als es um fünf wieder hell wird und die Jäger machen fleißig weiter. Bald verabschiede ich mich von den Jägern und den Vogelscheuchen und trete beschwingt in die Pedale. Bereits kurz darauf finde ich mich wieder in einer anderen Zeit. Einer Zeit als die Postkutsche noch durchs Königreich pflügte und der König in Auftrag gab sein Land zu vermessen. Zunächst funkionierte das so, dass die Postkutsche für den Personen- und Nachrichtentransport zwischen festen Stationen, den Postmeilen-Säulen fuhr. Darauf war die Entfernung zu Nah und Fern in Stunden und Tagen angegeben die es brauchte über die gefühlt schon immer mit Schlaglöchern übersähten Straßen des Königreiches dorthin zu gelangen. Zugegeben war das ziemlich ungenau. Mit der Blüte der Mathematik in Sachsen bediente man sich der Triangulation um das Land zu vermessen und Entfernungen genauer einschätzen zu können. Die sächsische Landvermessung galt dabei als Vorreiter im ehemaligen deutschen Raum. Heute erinnern diese Triangulationspunkte in ganz Sachsen immer noch daran welche Pionierarbeit hier oft geleistet wurde. Mit einem scharfen Schnitt in der Landschaft verlasse ich bald das Kohrener Land. Nach den Königen und Adeligen steht der nächste Zeitsprung an.
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  • sächsischer 'Berg'-bau

    9. mai 2021, Tyskland ⋅ ⛅ 17 °C

    Viel, viel früher kam man in der sächsischen Tiefebene mit dem Fahrrad nur voran wenn man auch einen Schnorchel dabei hatte. Das Land lag in der Urzeit unter dem Meeresspiegel. Und so kam es dass über Millionen Jahre dicke Kohleflöze entstanden sind. Die Kohle ließ sich leicht abbauen und der sächsische Bergbau erlebte in der Neuzeit eine Renaisance. Nachdem in den letzten Jahrtausenden zuerst das Erzgebirge durchlöchert wurde hatte man es nun im Tagebau auf die Kohle im sächsischen Tiefland abgesehen. Ganze Dörfer mussten weichen. Aus den Landkarten hat man sie einfach ausradiert. Das führte zu den besagten weißen Flecken. Übrig blieb nach der Wiedervereinigung nur eine Mondlandschaft mit tiefen Kratern und neu gebauten Bergen. Der Abraum aus dem Tagebau türmt sich hier auf riesigen Halden zum Teil hundert Meter hoch.
    Doch heute sieht man von all dem - nichts - wenn man es nicht weiß. Stattdessen sieht man den noch jungen Wald vor lauter Birken nicht mehr und mittendrin begrüßt mich 'Klaus' der neue Waldgeist. Ein Weg führt direkt auf die Hochhalde. Auf dem höchsten Punkt in der Umgebung steht ein Aussichtsturm. Der junge Frühling regt sein Blätterdach. Dort oben steht man weit über den Bäumen. Wer jetzt die Mondkrater sucht ist jedoch weit gefehlt. Stattdessen, Wasser. Riesige Kraterseen schmücken das Land. Schwäne und Segelbote teilen sich das Blau und auf den asphaltierten Wegen rundherum tummeln sich mehr Leipziger auf dem Fahrrad wie Autos auf der naheliegenden Autobahn. Wer es nicht weiß, den erinnert nichts mehr an die Zeit des Bergbaus. Ein Denkmal an die alte Zeit thront noch über allem. Viel größer und komplett aus Stahl. Die Bagger sind die wahren Giganten der Kohle und heute sind sie wie einst die Dinosaurier - vom Aussterben bedroht. Was bleibt sind weite Felder und die Idylle des Leipziger Neuseenlandes.
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  • Napoleon sein Streifzug in Sachsen

    9. mai 2021, Tyskland ⋅ ⛅ 24 °C

    Wenn in Sachsen über große Feldherren der Geschichte gesprochen wird geht kaum ein Weg an August dem Starken vorbei. Jedoch eine der wenigen Möglichkeiten bietet sich gleich unweit des ehemaligen Tagebaurevier. Im Südosten Leipzigs liegt ein unscheinbares Feld auf dem eine der blutigsten Kapitel der königlich sächsischen Geschichte stattfand. Die Völkerschlacht bei Leipzig in 1813. Von Italien, Neapel und von einigen Rheinbundstaaten unterstützt durchstreifte der Franzose Napoleon Bonaparte voller Drang gen Osten zunächst das angrenzende Thüringen (Die Schlacht bei Jena-Auerstett am 14.Oktober 1813 ist ebenso berühmt). Mit dem Feldzug auf Leipzig regte sich aller Ort Wiederstand gegen die französische Vorherrschaft. Insbesondere die Königshäuser von Russland, Preußen, Österreich und Schweden zogen ihre Truppen zusammen. Am 16. Oktober 1813 lief hier auf diesem Feld das Fass sprichwörtlich über. Drei Tage dauerte der blutige Kampf allein bei Leipzig und über 126.000 Verluste gab es beiderseits zu beklagen. An dem kleinen Dorf Wachau erinnert heute nur ein Gedenkschild an die südlichen Kämpfe dieser 'Viel-Völker-Schlacht' und eine Kirchruine erinnert an das was nach dem Beschuss zwischen mehr als 1.500 Kanonen noch übrig blieb.
    Im Sonnenschein ist das fast schon ein richtiges Kleinod. Die Rosenfenster werfen ihr stilles Licht auf den Boden. Während ich am Altar stehe schaue ich aus den Fenstern heraus direkt auf das Schlachtfeld. Das ist für mich einer der schönsten Gedenkorte. Alle vollen 10 Jahre glaube ich wird an die Schlacht erinnert indem alles mit tausenden Schaustellern originalgetreu nachgestellt wird. Dem ist heut nicht so. Doch dieser Tage gedenken wir dem 200. Todestag Napoleons. Er brachte schließlich nicht nur leid über Europa und trug seinerzeit maßgeblich zur Entwicklung Europas bei wie wir es heute kennen. Ein Rückzug aus dieser Verantwortung war bereits zu Napoleon - nie geplant. Dessen, alle gemeinsam an einem Strang zu ziehen sollten wir uns bewusst sein wenn wir weiter in der bislang längsten Friedensphase in Europa leben wollen.

    Durch die angrenzenden Auwälder mache ich den nächsten Zeitsprung zu Hexen und Fabelwesen und weiter zu den Adelshäusern am Fluss der 'vereinigten Mulde'. Im Zentrum von Grimma ist allseits der Prunk sächsischer Fürsten wieder zu finden. Die Bewohner trotzen der ständigen Gefahr von Hochwasser und putzen ihre Stadt nachher noch schöner heraus als je zuvor. Neugierig stöbere ich durch die Gassen. Die Warteschlange mit angrenzender Eisdiele lasse ich an diesem Tag jedoch links liegen. Alle Menschen sind ut gelaunt und fröhnen dem Sonnenschein nach monatelanger Covid-Entbehrungen. Die Gefahr ist aber noch nicht vorüber und so entschließe ich mich nicht all zu leichtsinnig zu werden. Zumal der lange Heimweg wartet. Ca. 80km Flussradweg wollen noch entdeckt werden. Und wieder lehrt mich das Schicksal eines Besseren. Wenn schon Trainingsrunde dann nichts da mit 'Fluss'-radweg. Viel mehr soll ich einer Umleitung nach der nächsten folgen. Alle führen sie die Berghänge hoch und runter. Aus zwei Kilometern Fluss werden schnell sechs Kilometer Berg. Immerhin belohnt mich dadurch ein wunderschön restauriertes barockes Jagdhaus zu Kössern. Schnaufend gelange ich nach Sermuth wo sich Freiberger Mulde und Zwickauer Mulde vereinen. Im Deutschen kommt die Mulde nicht von ungefähr. Ein Tal das links und rechts steil ansteigt, bei dem es aber nicht zum Canyon gereicht hat. Das ist eine Mulde. Und irgendwo da durch muss ja auch noch der Radweg bzw. die Straße, die hier einige idyllische Dörfer und Städte verbindet. So geht es fortan raus aus dem Tal, und wieder runter, und raus aus dem Tal und wieder runter. Ich kann nur all zu gut verstehen wiso der Muldentalradweg zwar gut ausgeschildert und auch attraktiv anzuschauen ist. Aber Radfaher meiden diesen Fernradweg gern. Ich finde für die Region ist das sehr schade und ich hoffe es finden auch wieder mehr Interessierte hier her.
    Unterdessen sitze ich zu meinem letzten Zwischenstop auf einem Spielplatz. Ich denke wenig über die letzten zwei Tage nach. Eigentlich will ich nur noch nach Hause. Es geht seit Kilometern nur Bergauf - und das zum Schluss der Tour. Die volle Distanz spüre ich mittlerweile sehr wohl in meinen Beinen. Ich denke darüber nach was ich in diesem Sommer gern sehen möchte, wo ich quer durchs Land weiter reisen möchte. Bis zum Sonnenuntergang ist es nicht mehr lang. Dann will ich gern zu Hause sein. Die Sehnsucht, draußen sein und Geschichte er'leben'. Das bringt diese kleinen Streifzug zum Abschluss sehr schön auf den Punkt während ich die Sonne an diesem Abend verabschiede.
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  • Raus aus allem!

    9. juni 2021, Tyskland ⋅ ☁️ 19 °C

    Gestern habe ich mir eine sehr schöne Dokumentation über Afrika angeschaut. Das erinnert mich glatt an eine Szene in "König der Löwen" bei welcher der Hofmeister Zazu unter den vorherrschenden Bedingungen laut denkt: "Raus aus allem, raus aus Afrika, ich wandere lieber aus!". Wie wir schon von damals wissen kommt alles immer anders und zweitens schneller als man denkt. Darum ist es so ungemein wichtig die Zeit die wir haben nicht immer nur effizient zu gestalten, sondern vor allem schön. Das heißt - reich an Erfahrungen die uns keiner mehr nehmen kann. Mein nächster Teil quer durchs Land treibt mich daher an die Ostsee. Bereits zu Beginn nimmt das Schicksal seinen Lauf.
    Die Taschen sind gepackt, das Rad wird ein letztes Mal auf Herz und Nieren geprüft - und fällt durch. Krack - nach fest kommt ab - fehlt mir plötzlich eine wichtige Schraube die das Gewicht vom Gepäckträger am Rahmen aufnimmt. Kaputt! Einfach so an einem Sonntagmittag. Dennoch bin ich sehr froh dass mir das nicht auf der Reise passiert sondern soweit ich zu Hause noch größeres Werkzeug verfügbar habe. Bis das repariert ist vergehen zwei Tage und die Gedanken gehen schnell die Pläne B, C und D durch. Ich kann mich für den Moment gelassen geben. Heute nun der große Tag - der zweite Versuch bis an die Ostsee zu gelangen. Ich fahre nicht mal einen Kilometer bis ich merke dass ich beim Einstellen der Bremsen mehr verstellt als repariert habe. Und so bin ich schon wieder zu Hause bevor es losgegangen ist. Zwei Stunden und eine Kanne Tee später ist auch dieses Problem behoben und ich freue mich immer noch wenn es denn nun endlich losgehen kann. Hauptsache raus aus Sachsen! Dann würde der Urlaub beginnen!

    Da ich von zu Hause starte kommen mir die ersten Kilometer mehr als bekannt vor und ich bin gut in der Lage ein wenig von der eingebüßten Zeit am Morgen wieder gut zu machen. Nach gut zwei Stunden beginnt das Neuland. Hier in Sachsen sprechen wir jedoch auch gern vom Niemandsland. Bereits zu DDR-Zeiten baute man riesige Richtfunktürme und bis dahin spielte das Leben seit dem Mittelalter ausschließlich entlang der Flüsse ab. Die Stadt Leißnig und die Burg Mildenstein sind allemal ein Besuch wert. Und mit ihr das Stiefelmuseum wenn es denn nach Corona je wieder öffnet. Ich fühle mich wohl in diesen kleinen Städten. Hier ein gut erhaltener Springbrunnen, da ein Trödelladen. Immer wieder die reich verzierten Postsäulen. Man kann meinen die Zeit sei stehen geblieben. Für mich ist das ein besonders guter Einstieg auf die Reise. Es ist der Anreiz zu verweilen, zur Ruhe zu kommen und nicht panisch Kilometer zu strampeln. Zeitnah wird es also schon Mittag Zeit für das erste Eis. Oh je, ich glaube für Eis gebe ich immer das meiste Geld aus aber vier Kugeln am Tag dürfen es schon sein. Es ist ja schließlich warm und der Körper braucht die Kalorien.

    Unweit zieht der kleine Ort Mügeln jeden Eisenbahn-Freund in seinen Bann. Bis heute betreibt man hier die längste sächsische Schmalspurstrecke und früher war Mügeln einmal der größte Schmalspurbahnhof Europas. Für die kurzen Wege nach Leipzig und Dresden kam dem Schienennetz schnell sehr viel Bedeutung zu. Heute fährt der Schulbus zum Beispiel immer noch auf Schienen quer durchs Land. Dieser Bahnhof hat nichts von seinem Glanz verloren, jedoch ist es sonst sehr still geworden. Nicht umsonst heißt es Niemandsland. Auf den Fernstraßen regieren die LKW. Wer die deutschen Fernstraßen kennt weiß jedoch auch dass es hier keine Schulter gibt und Radfahrer unter diesen Umständen sehr schnell gefährdetes Freiwild sind wenn ein Truck nach dem Nächsten mit 80 km/h eng vorbeirollt. Hauptsache raus aus Sachsen - einmal mehr! Am Abend erreiche ich zum Abendbrot das Schloss Zabelitz. Den Park finde ich sehr beeindruckend. Es ist glaube ich heute das erste Mal dass Kinder im Graß sitzen und den Sonnenuntergang anschauen anstatt ihr Smartphone. Bringt ja auch mehr! Egal ob wegen fehlendem Empfang oder dem Bewusstsein für die Zukunft. Zabelitz selbst besitzt eine riesige Parkanlage mit Spiegelseen, barocken Gärten, idyllischen Wegen und demgegenüber eigentlich einem sehr kleinen Schloss. In der Zeit des Barock wurde diese Anlage zum Vergnügen angelegt. Man sollte sich wohlfühlen und oft wurden Spiele ähnlich dem heutigen Kegeln oder dem Boule-Spiel veranstaltet. Leider verbietet Covid auch das heute. Bis auf die großen Höfe nach Meißen und Moritzburg sind es nur etwa 30km. Doch die Idylle des Ortes am Rand von Sachsen nimmt einem heute keiner!
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  • Ein paar Stiefel & zwei gußeiserne Witze

    10. juni 2021, Tyskland ⋅ ☀️ 25 °C

    Die Provinz Brandenburg hat ihren eigenen speziellen Ruf mit völliger Abgeschiedenheit und als wirtschaftliches Schlusslicht in Deutschland. Unter vielen Freizeit-Enthusiasten ist es gleichwohl ein Eldorado voller Erholungsmöglichkeiten fernab der See oder der Berge, denn Brandenburg ist flaches Land. Keine Berge? Fast! Auf dem Weg von der Elbe zur Sächsisch-Preußischen Grenze geht es nur Bergauf. Im Wald beobachten mich dabei so viele Rehe dass ich gefühlt nur die Hand ausstrecken brauche um eines mitzunehmen. Oben auf dem Heideberg angelangt befindet sich fünf Meter neben dem Weg der Vermessungspunkt Strauch der Sächsischen Triangulation mitten im Wald. Wie die von hier die nächsten Vermessungspunkte ausfindig gemacht haben ohne in die Bäume zu klettern ist mir heute ein Rätsel. Auf der anderen Seite des Weges befinde ich mich bereits in Brandenburg. Dort wo ich unbedingt am Vortag noch hin wollte. Hauptsache raus! Und dort befindet sich auf dem Heideberg ein Aussichtsturm auf 201,4m Es ist der höchste natürliche Punkt Brandenburgs - und weil über 200m gelegen zählt er offiziell zum Mittelgebirge. Eine knappe Sache!
    Ich habe nur kurz geschlafen. In diesen Sommertagen ist es noch nicht richtig finster wenn die Sonne früh schon wieder aufgeht. Ich habe Kopfschmerzen. Mir ist schlecht. Scheinbar habe ich am Tag zuvor so wenig getrunken dass ich eine Stunde lang nicht einmal mein Müsli essen möchte. Der Kreislauf ist nach der kurzen Nacht am Boden ich würde am liebsten weiter schlafen. Aber irgendwie meint mein Kopf 'wenn es hell ist schläft man nicht, dann gibt es viel zu viel zu entdecken'. Vom Turm blicke ich hinaus in das weite, unendliche Brandenburg. Unter mir wächst der Kiefernwald wie Spargelstangen. Der Weg führt bis zum Fluss Elster immer über Felder und Alleen. Es ist durchaus viel Schatten und glücklicherweise eine gute Eingewöhnung auf die erbarmungslose Sonne die nun folgt. Weder die Lausitz noch der Braunkohletagebau kennen hier grenzen. Von Leipzig bis an die polnische Grenze erstrecken sich über 200km fast durchgängig Braunkohlefelder die seit über hundert Jahren besonders intensiv bewirtschaftet wurden. Die Kohle liegt hier sehr flach unter Tage und so hat man im Laufe der Zeit den gesamten Landstrich einmal umgegraben. Alle 20km führt eine Straße durch das Gräberfeld und Dörfer wurden im Umfeld über Kilometer weit einfach weg gebaggert. Existenzen ausgelöscht für den Profit. Und das in einer Zeit als man meinen könnte die Marktwirtschaft wurde noch nicht einmal definiert.
    Mit der hohen Leistungsfähigkeit des Tagebaus Plessa konnte der Tagebaudirektor Fritz von Delius weitere Abnehmer für seine Kohle immer gut gebrauchen. Als fortschrittlicher Ingenieur errichtete er die erste Förderbrücke der Welt und nun musste die geförderte Kohle auch verarbeitet werden trotz dass nach dem Ersten Weltkrieg der Umsatz wegbrach und die Leute zum Teil in Kurzarbeit gehen mussten. Wer kennt das heute nicht? Im April 1927 wurden darum auch das erste Elektrizitätskraftwerk der Region und eine Brikettfabrik in Betrieb genommen. Im Vergleich zu den modernen Kraftwerken wie Lippendorf und Schwarze Pumpe war es ein Zwerg. Spätestens mit der Wende wurden Zwerge wie dieser jedoch stillgelegt. Im Gespräch erfahre ich dass der stillgelegte Tagebau und die Kraftwerke heute dennoch bedeutende Arbeitgeber in der Region sind. So stark der Verfall äußerlich vielleicht zehrt, so viel geben die Menschen für den Erhalt ihrer eigenen Vergangenheit und Geschichte. Das merke ich immer wieder. Besonders beeindruckt hat mich heute dabei die Förderbrücke F60 in Lichterfeld. Da wird man selbst zum Zwerg sobald man unter dem Koloss mit seinen 500m Länge und 74m Höhe steht. Was heute zum Anfassen ist mag man sich gar nicht vorstellen dass Menschen vereint daran mehr geschweißt und genietet haben als denn am Eifelturm. 29.000m³ Erde pro Stunde. Da kommt man im Umgraben gut voran. Auf der Anlage sind 2,5km Förderbänder, 72 Häuser und Kabinen und noch vieles mehr verbaut. Eine Stadt auf dem Koloss sozusagen. Er verbraucht ja auch Strom für 3.600 Haushalte. Insofern...einmalig. Also, dreimalig, denn drei Förderbrücken gibt es von dieser Größe und zwei sind heute noch in Betrieb. Die dritte arbeitete gerade einmal zwei Monate. Dann kam die Wende. Als wäre das nicht Satire genug wollte man den Koloss danach einfach wieder abbauen und verschrotten. Nach zwei Monaten! Glücklicherweise kam es anders und wir können hautnah miterleben wie die Kohle uns prägt. Humor und Satire sind zuweilen das zweite Standbein geworden denn nicht jeder findet in der Braunkohle heute immer noch Arbeit. Auf dem Weg aus dem Kohlerevier gelange ich nach Calau. Der Name der Stadt wurde durch die 'Kalauer' über das ganze deutsche Sprachgebiet verbreitet. Das bezeichnet eine genau bestimmte Art Witze oder Wortspiele die stets doppelsinnig waren. Regelmäßig erschien die politische Satire in der Zeitschrift 'Kladderadatsch'. Wohlbekannt und z.B. bereits auf der internationalen Londoner Industrieausstellung 1851 als wirtschaftlicher Erfolg in der Region bekannt. Je weiter ich in den Dunstkreis von Berlin gelange umso mehr prägen große Philosophen und Schreiber das Landschaftsbild. Das unscheinbare Calau ist dabei der gelungene Übergang von der Arbeiterschaft im Tagebau zu den preußischen Aristokraten. Und natürlich darf die extra große Portion Eis am Nachmittag nicht fehlen.
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  • Das Moor im Spreewald

    11. juni 2021, Tyskland ⋅ ⛅ 18 °C

    Wenige Kilometer nach dem letzten Baggerloch teilt sich die Spree in tausend Wasserläufe. Auf kleinstem Raum lassen sich ca. 270km Wasserwege und Kanäle erkunden. Ein Eldorado also für Naturliebhaber wie mich. Mein erster Eindruck vom Spreewald? Der Radweg nach Lübbenau ist aus nicht erkennbarem Grund gesperrt. Sobald ich irgendwo stehen bleibe kommen von überall Mücken! Außerdem wird es bald finster und in absehbarer Nähe gibt es keinen geeigneten Zeltplatz. So recht weiß ich noch nicht was ich hier soll.
    Doch der Spreewald ist nicht umsonst ein besonderer Ort in Brandenburg. Tausende Vögel, Lurche, Insekten und das ein oder andere Wild gibt es nirgendwo sonst im Umkreis als hier in diesem eiszeitlichen Urstromtal. Und noch etwas macht es so einzigartig hier. Von April bis Oktober ist es die einzige Region in Deutschland in der selbst die Post besser mit dem Kahn transportiert wird als mit dem Auto. Das ist es allemal wert lauf meiner Tour zu erleben. Die Suche nach dem Nachtlager gestaltet sich schwierig. Bis in den Abend habe ich Schloss, Stadt und Park Lübbenau erkundet. Es ist das kürzeste Tor zum Spreewald und das wohl vielfältigste. An meinem Abendbrottisch führt der Spreeradweg entlang. Und noch bis nach halb elf kommen immer wieder Radfahrer und Wanderer entlang. Man muss bedenken dass hier alles auf Grundwasser und mitten ins Moor gebaut ist. Das Zelt also irgendwo auf die Wiese daneben zu stellen ist keine gute Idee. Zumal der Spreewald auch ein geschütztes Gebiet ist. Da will ich ungern stören. Kommt Zeit, kommt Rat, kommt Heldentat - ist die Nacht irgendwann gerettet. Der neue Tag beginnt sehr früh und über Stunden bin ich in dem Naturschutzgebiet allein unterwegs. Wenn auch auf dem Rad anstatt dem Kahn starte ich meine Erkundungstour. So früh am Morgen will noch kein Bootsverleih öffnen. Selbst Schuld. Dafür packe ich nicht nur mein Frühstück aus, sondern auch mein Fernglas und ich spitze die Ohren. Goldammer, Buchfink und Drosselrohrsänger sind unüberhörbar. Selbst der Pirol, ein putziger gelber Vogel ist jetzt schon wach. Es ist noch nicht einmal Sechs Uhr. Ich lausche über eine Stunde bevor ich mich entschließe weiter zu fahren. Gefühlt habe ich den ganzen Spreewald immer noch für mich allein. Ich bin eindeutig wieder einmal fernab der Hauptwege unterwegs. Nach sehr langer Fahrt durchs Moor erreiche ich die Gastwirtschaft Wotschofska. Die haben aber vor zehn noch nicht einmal für ein zweites Frühstück oder ein Stück Kuchen geöffnet. Und so genieße ich es auf der Brücke zu stehen und zu den wenigen Kajakfahrern zu schauen die heute im Spreewald schon unterwegs sind. Apropos diese Spreewaldbrücken. Zu Fuß sind sie ja ein Genuss, jedoch nicht mit dem Rad! Sie sind immer so gebaut, dass ein Kanal an der engsten Stelle passiert wird. Da geht es dann steil soweit rauf, dass problemlos ein Kahn samt Fracht und Mann hindurchpasst und dahinter geht es wieder genau so steil hinunter. Für mich heißt das Gepäck abschnüren, alles rüber tragen, Gepäck wieder aufschnüren. 300m fahren und dann beginnt alles wieder von neuem. Das ganze bis zu fünf Mal in der Stunde ist keine Seltenheit. Jetzt zur Mittagsstunde zehrt das stark an mir. Die Laune lässt bald zu wünschen übrig da bin ich endlich wieder von meinem kleinen Abstecher in Lübbenau auf der Straße angekommen. Die nächste Ortschaft Lehde liegt jedoch fast noch tiefer im Sumpf mittendrin. Der Postbote war leider schon durch. Mir bleiben aber die Gurken. Hier im Oberspreewald bekam die Spreewaldgurke ihren Namen, denn Wasser kann sie nie genug bekommen und sie gedeiht hier angeblich prächtig inmitten vom Sumpf angelegten Inseln. Ein kleines unscheinbares Gurkenmuseum zeigt die Vielfalt auf, die diese Kürbispflanzen mit sich bringen. Nur leider finde ich das jetzt alles sehr touristisch und für die Gurken bin ich scheinbar zu früh. Um 'schneller' unterwegs zu sein schließe ich mein Rad an einem Baum an anstatt es über alle Brücken zu tragen und gehe zu Fuß durch das historische Dorf. Sorbische Häuser werden entweder als Umgebinde gebaut, oder wie hier, auf Stelzen. Man hat neben dem Haus auch keine Garage für sein Auto, sondern für seinen Kahn auf dem nächstgelegenen Kanal. Es ist eindrucksvoll zu sehen wie die Bootsführer ihren Kahn staken. Mancher Bauer hat sich mittlerweile jedoch auch einen Außenborder zugelegt. Tag ein, Tag aus erzählen Sie den Besuchern dabei viel über die Kulturlandschaft Spreewald. Ich finde jedoch die Natur selbst geht vor den vielen Touristen im Sommer sehr schnell unter.
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  • Brandenburger Landpartie

    12. juni 2021, Tyskland ⋅ ☁️ 20 °C

    Je näher ich an den Berliner Stadtrand gelange desto mehr nimmt die Kultur Oberhand über die Natur. Außerdem ist Wochenende. Die halbe Strecke nach Rügen ist fast geschafft. Wenn möglich schalte ich gern auch mal einen Gang zurück. Am Scharmützel See überrasche ich einen Freund. Anfangs war nicht klar ob er überhaupt da sein würde. Die Überraschung klappt perfekt. Der Badesee lädt mit echt milden Wassertemperaturen ein und ist zudem Glasklar. Zwar haben wir uns zum Frühstück verabredet do der Drang ins Wasser weckt die müden Lebensgeister am Morgen mehr wie jeder Kaffee. Und so dehnt sich das Treffen mehr zum Brunch. Er hätte nie gedacht dass er als Dauercamper jemals sesshaft werden könnte bis er hier voriges Jahr seine Sportbootführerschein machte und sich hals über Kopf verliebt hat. Mit dem Auto wäre es ja wirklich nur ein Katzensprung. Und jetzt bei dem Sommer brummt der Softeisverkauf hier am See weitaus mehr wie in der Heimat. Das ist zu seinem kleinen Hobby geworden. Doch leider hat er gerade heute andere Sorgen rein bekommen. Bitte wer klaut denn einen Softeisanhänger in Bad Saarow? Traurig aber wahr. Ich nehme es mit Humor - da fahre ich hunderte Kilometer und freu mich auf mein Eis und am Ende gibt es nicht mal irgendeins, geschweige denn meine Lieblingssorte. Wir wollten gern noch eine Runde mit dem Sportboot drehen, doch der Anhänger ist jetzt wichtiger. Ich bin bald kaum eine große Hilfe und entschließe mich noch heute wieder weiter zu fahren. Mein Bauchgefühl sagt mir das lohnt sich.
    In Groß Rietz gelange ich zu einer der schönsten preußischen Schlossanlagen. Der Park ist mit Obelisken verziert, die Fassade wie neu gestrichen. Nur das Wetter spielt nicht mit und überrascht mich beim Mittagessen. Frisch gebadet entscheide ich mich die nahe gelegene Jagdanlage und heute Wildaufzucht nicht zu besuchen. Gen Norden zeigt das Wetterradar besseres Wetter. Nichts wie hin! In Fürstenwalde erledige ich meine letzten Einkäufe vor dem Wochenende. Die Stadt ist ein markantes Beispiel dass im Krieg zerbombte Städte hier auf dem Land zu 80% ausschließlich aus hässlichen Neubaublöcken wieder aufgebaut wurden. Moderne Architektur nannte sich das vor vierzig Jahren. Während eine Hochzeitsgesellschaft zusieht, dass sie vor dem nächsten Regenschauer schnell alle in die Kirche gelangen hat alles andere bereits zum Wochenende geschlossen. Daher führt mein Weg nach Steinhöfel in der Hoffnung dass sie zum Kaffee dann ein Eis für mich haben. Das Schloss Steinhöfel ist ebenfalls sehr schön wieder her gerichtet. Heute beherbergt es ein teures Schlossrestaurant. Der Sinn steht mir jedoch plötzlich weniger nach Essen als nach Neugier als eine Konzertaufführung aus dem Schlosshof klingt. Nebenan im Amtshaus spielen sie Blues. Verdammt, jetzt muss ich mich auch noch entscheiden. Die Akustik im Schloss ist derweil so gut, dass ich der Arie sogar im Schlosspark beim Spaziergang lauschen kann. Diese Szenerie von alten knorrigen Bäumen, sauber angelegten Wegen und verwunschenen Brücken könnte schöner nicht untermalt sein als mit Live-Musik. Die Aufführung ist Teil eines Aktionswochenendes zum Leben und Arbeiten auf dem Land. Alle haben sich dazu heraus geputzt. Sie stellen ein Schloss, ein altes Gut oder ein Handwerk wie mit einem Tag der offenen Tür vor. Wegen dem Wetter oder vielleicht auch wegen dem Dresscode haben sich leider nur 10 Zuhörer eingefunden. Leider fühle auch ich mich ein wenig unwohl sobald mich die Portiers mit meinen Radsachen ständig mustern als ich mich nach meinem Spaziergang gern dazu geselle. Zum Glück gibt es ja nebenan im Amtshaus noch deftige Livemusik. Ein alter US-Thunderbird, eine zweiköpfige Band mit kräftiger Stimme und leckerer selbstgebackener Kuchen von den Frauen aus dem Dorf. Der Kaffee ist auch ohne Eis gerettet. Ringsum stehen alte Kutschen und Kinder spielen im Hof so ganz ohne Plastik und Elektronik. Für einen kurzen Moment scheint die Zeit still zu stehen.
    Übrigens genauso wie in den Wäldern ringsum. Die Buchenwälder in Bandenburg stehen für ihre Verknüpfung von Land und Kultur, sowie dem Artenschutz sogar unter UNESCO-Welterbe. Und sie bergen noch ganz andere Geheimnisse. Dazu später mehr.
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  • Die Spur der Steine

    13. juni 2021, Tyskland ⋅ ⛅ 16 °C

    Die deutsche Literatur ist sehr oft von Autoren geprägt die in Berlin veröffentlicht haben jedoch hier im Umland gelebt und gearbeitet haben. Theodor Fontane, Berthold Brecht, Hans Fallada sind nur einige große Namen der Literatur die hier an irgendeinem See ihr Haus hatten, Freunde einluden und in der ein oder anderen philosophisch anmutenden Diskussion ihre Kraft schöpften. Wenn nicht ein Schicksalsschlag in der Kindheit, dann der Krieg oder die Vertreibung. Sie alle haben hiernach gemein einen Ort aufgesucht der dem damaligen Schönheitsidyll von Landschaft entsprach. Hiernach nannte man die Region kurzum Schweiz da die Vorstellung der Schweiz jeher der Vollkommenheit entsprach. Somit entstand die Sächsische Schweiz, die Märkische Schweiz oder die Mecklenburger Schweiz um nur einige zu nennen.
    Im sonst so windumtosten Osten tauchen bei Bukow plötzlich steile Berge mit hundert Metern auf. Die Gletscher-Endmoräne hat hier sehr schöne Zungenseen in Berg und Tal eingebettet. In der Nacht bot mir eine Schutzhütte zur Vogelbeobachtung Zuflucht vor der Mückeninvasion. Gefühlt bin ich aber schon lange vor dem letzten Hahn wach. In der Morgenluft sind nur die Mücken noch zeitiger aktiv - immer noch, oder schon wieder. Die Morgensonne scheint gleisend durch die Baumstämme. Ich entdecke einen Ameisenhügel gleich neben meiner Schutzhütte. Bevor die fleißigen Arbeiter womöglich mein Müsli finden mache ich mich lieber auf den Weg. Regel Nummer eins - Iss niemals dort wo du schläfst sonst lockst du Tiere an. Das beherzige ich seit Kanada vortrefflich. Während ich auch einiges andere mittlerweile an Erfahrung rund ums draußen sein gesammelt habe treffe ich einen Kilometer weiter auf einen blutigen Anfänger. Er erzählt wie er aus Berlin kommt und nur für das Wochenende endlich mal ausprobieren will wie es sich draußen schläft und wie es ist in der Natur zu sein. Mit über Fünfzig das Erste Mal. Besser spät als nie versuche ich ihn zu ermuntern und erzähle ein wenig beim Frühstück. Währenddessen hat er ohne Zelt in einer Schutzhütte am See geschlafen. Der Schlafsack ist patsch nass vom Morgennebel, der Kopf und alles was raus guckte von Mücken zerstochen und der Rücken tut weh. Ich hoffe einfach dass er aus meiner Erfahrung lernt und nicht alles ins Korn schmeißt worüber ich mich heute amüsieren kann. Für heute will er jedoch erstmal wieder nach Hause nach Berlin - ihm reicht es. Während in Buckow wieder noch nicht einmal der Bäcker auf hat treffe ich einige weitere Berliner die die Morgenstille nutzen. Oft sprechen sie über den Stress den die Großstadt mit sich bringt und das sie gleich hier vor den Toren eine wahre Kur für sich finden. Das finde ich toll. Die Menschen suchen nicht nur Erholung sondern versuchen die gleiche Kraft zu schöpfen wie einst die großen Schriftsteller.
    Im Märkisch-Oderland und je weiter man davon nach Norden fährt umso mehr dominiert der Feldstein als Baumaterial. Straßen die schon hundert Jahre nicht mehr repariert werden mussten, Häuser die auch in zweihundert Jahren maximal ein neues Dach brauchen doch die Fassade wird immer so Farbenfroh bleiben. Gefühlt hat man hier alles aus Feldstein gebaut und heute weitgehend unter Denkmalschutz gestellt. Das kam da die eiszeitlichen Gletscher aus Norwegen, Schweden, Aland bis nach St. Petersburg ihr Eis bis in die Uckermark vortrieben und verschiedenstes Geröll mit sich führten. Hauptsächlich prägen Glimmer und Quarz die Fassaden in allen Farben von grau, rosé bis rot über orange. Die Landstraßen lassen kaum ein vorankommen zu. Ein anderer Radwanderer schaut gerade krampfhaft aus seiner Karte wann denn mal wieder die nächste vernünftige Straße kommt. Da wo ich her komme mache ich ihm wenig Hoffnung doch das war gerade das was er nicht hören wollte.
    Unterdessen erreiche ich die nächste asphaltierte Landstraße. Als wöllte ich alles aufholen geht es frisch erholt im Sausewind voran. Am nächsten Anstieg fährt sogar eine Gruppe Rennradfahrer mit mir um die Wette den Berg hoch. Ein Transporter überholte mich auf gerader Strecke und zeigt mir 'Daumen hoch' aus dem Fenster. Ich freu mich. Keine 500m weiter an einem Parkplatzhält er an und stellt sich an die Straße. Ich denke mir nichts dabei bis ich seine Beifahrerin an der gegenüberliegenden Straßenseite ausmache und sie mich mit dem Handy filmt während er mir in die Hände klatscht. "Klasse! Die nächsten Kilometer werden ein bisschen anstrengender, aber du machst das super!" *welch Lorbeeren...womit ich das wohl bezweckt habe?* "Danke, so schlimm wird es nicht werden" erwidere ich und fahre weiter meinen Tritt mit 20-22 Km/h bergauf. Na jedenfalls kann man jetzt meinen dass die schneller oben waren aber denkst du! Rennräder! Mit der Zeit überholt mich eins nach dem anderen in kleinen Grüppchen. Mal mehr Mal weniger schnaufend. Und zum Schluss kommt der Transporter wieder. jetzt weiß ich auch warum die unten gewartet haben. 'Daumen hoch' das heißt so viel wie, alles in Ordnung, mir geht es gut. Und dann fährt die Gruppe lange Zeit auf Kaffeefahrt wie auf dem letzten Loch pfeifend gemütlich vor mir her. 20 km/h vielleicht jedoch immer in Sichtweite bergauf. Ich denke mir 'dann hättet ihr mich auch mitnehmen können!' Ich verliere sie kurz aus den Augen doch nach zwei Kurven am Ende des Anstiegs treffe ich das Auto am Seitenrand wieder. Einer hat eine Rad Panne und die Gruppe macht eine Pinkelpause zehn Meter vor einem Stoppschild was das imaginäre Ende des Anstieges war. Jetzt aber! Sozusagen habe ich meinem Fahrrad die Sporen gegeben und als grünen Sprinter die Ehre erwiesen gegen die Rennradfahrer als Erster über die Stopp- bzw. Ziellinie zu fahren. ;)
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  • Brandenburger Landpartie (2)

    13. juni 2021, Tyskland ⋅ ⛅ 17 °C

    Einmal mehr ist auf dem Land hier fernab jeglicher Stadt die Zeit stehen geblieben. Die aktuelle Situation erlaubt es jedoch schon wieder dieses zur Schau zu stellen und tief in unsere Vergangenheit einzutauchen. Mein Plan bestand ursprünglich darin möglichst schnell an den Oder-Havel-Kanal zu gelangen und ein wenig vorwärts zu kommen. Eine Museumseisenbahn in Sternebeck macht diesen Plan jäh zu Nichte. Wenn ich zwischen allerlei alten Wagons wandeln kann und diese Stück für Stück in sehr gut restauriertem Zustand sind kommt bei mir der kleine Eisenbahnfreund zum Vorschein. Es ist nicht allein die Eisenbahn, die den Leuten hier ein schönes Hobby beschert. Selbst die Kinder sind begeistert mit dabei und versuchen mir zu erklären was ein jeder einzelner Wagon gemacht hat. Auf den ersten Blick erscheint es anders jedoch hat man diesen Landbahnhof fernab jeder Haupttrasse sehr gut gepflegt. Die Kinder sagen mir 'hier von den Feuerwehrautos dort drüben waren auch immer schon zwei oder mehr stationiert. Wegen der Soldaten.' Ich schaue ungläubig. Auf dem Weg hier her hatte ich gar nicht mitbekommen dass in der Gegend ein aktiver Truppenübungsplatz oder sonst irgendein Sperrgebiet lag. Seit dem ich in Kanada meine Erfahrung damit gemacht habe bin ich eigentlich von der Neugierde in solchen Gebieten geheilt. Ich hole mein Navi raus und schaue auf die Karte. Nichts. reinzoomen. Immer noch nichts. Irgendwo nebenan im Wald taucht die Bezeichnung NVA-Museum auf. Zu Corona-Zeiten ist ein Museum nie ein Grund für ein paar Extra Kilometer. Noch weiter reinzoomen. Plötzlich tauchen versteckt mehrere Bezeichnungen um einen mysteriösen Ort auf. Hornekamp. Autopark. Atombunker. Ähh, dass hier in der Umgebung ein Kernkraftwerk steht kann ich ausschließen. Damit ist die Neugier bei mir dann doch wieder geweckt. In Hornekamp finde ich abseits der Hauptstraße sogar zwei kleine Wegweiser und folge dann mehrere Kilometer einem Kolonnenweg tief in den Wald. Links und rechts möchte ich mich nicht einmal als Reh in dieses Dickicht verirren. links folgt ein eingewachsener Zaun, darauf der Hinweis auf militärisches Sperrgebiet. Aber die Straße ist in meinen Augen frei zugänglich. Nach einem weiteren Stacheldrahttor folgt das besagte NVA-Museum. Eine zweistöckige ziemlich verfallene Baracke, einige Kameras aus vorsintflutlicher Zeit. Hier macht heute kein Museum auf. Ein zweites Tor und ein verlassenes Pförtnerhäuschen führen mich auf das Gelände einer ehemaligen DDR-Kaserne. Die Hallen scheinen restauriert und heute für Paintball-Schießen genutzt zu werden. Das steht zumindest am Eingang der Anlage. Der Weg führt weiter noch tiefer hinein. Bis ich irgendwann vor einem zweiten Pförtnerhäuschen und einem verschlossenen Tor stehe. Im Fenster werden einige alte Fotos gezeigt und der umliegende Zaun mit Starkstrom geschützt. Ich versuche gar nicht erst weiter zu kommen. Es ist alles so schon interessant. Fernab jeglicher neugieriger Blicke, fernab von Eisenbahn und Funkmasten hat die DDR-Führung hier ihre Hauptleitstelle für den Ernstfall eingerichtet. Unter die Erde hat man hier eine riesige 3-Etagige Wohn-und Arbeitskapsel gebaut und mit 3m dickem Stahlbeton ummantelt. Darüber wurden noch einmal 15 Meter Kies, Beton und Stahl aufgeschichtet um ein 'sicheres Haus' zu gestalten. Auf der oberen Etage befinden sich Kommando- und Arbeitsräume, Medizinischer Punkt und die Räume des ehemaligen Ministers. Darunter befinden sich Küche, Lagerräume, Speise- und Schlafräume und ganz unten die Technik, Wasser und die Stromversorgung. Die Kampfbesatzung (450 Personen) hätte hier ohne Versorgung von außen knapp einen Monat überleben können. Wenn ich vergleiche welchen Aufwand man bereits damals in den 70er Jahren betrieben hat will ich mir gar nicht denken was heute dem Stand der Technik einer solchen Anlage entspricht. Das ist schon gut dass da draußen immer Sperrgebiet dran steht.
    In Finow komme ich gerade noch rechtzeitig über die Kanalbrücke bevor die für den Schiffsverkehr hochgezogen wird. Der Ort liegt am Oder-Havel-Kanal und unweit steht Ostdeutschland größtes Schiffshebewerk. Ein 36 Meter Höhenunterschied wird hier seit 90 Jahren in gigantischen Dimensionen für Schiffe überbrückt. Als ich mir das Bauwerk aus der Nähe betrachte wird auch gerade ein Schiff abgesenkt. Für die 36 Meter benötigt es schlappe 20 Minuten. Da könnte man glatt einen Kaffee trinken gehen. Mein Magen knurrt eh. In der Gründerzeit wurde bekanntlich alles aus Stahl genietet. Somit fehlt zum Eifelturm also nicht so viel. In der Zwischenzeit baut man nebenan ein modernes Hebewerk und will in typisch deutscher Bauzeit seit 2014 fertig sein. Leider stehen die Bauzäune heute immer noch. Und als hätte es ein findiger Unternehmer geahnt: Für alle die sich jetzt an den Kopf greifen gibt es unweit davon seit zwei Jahren eine brandneue Destille um sich von dieser Ungnade abzulenken. Stefan und Jana haben hier einen alten Bauernhof restauriert. Aus der Scheune wurde ein Hochlager und im Stall befinden sich heute die Brennblase und das Labor. Über das Jahr werden je nach Saison mittlerweile 30-40 verschiedene Feinbrände, Geiste und Liköre vorwiegend aus heimischem Obst gebrannt. Aus Anlass der Brandenburger Landpartie ist heute so etwas wie Tag der offenen Tür inklusive Verkostung. Nachdem ich heute nun schon wieder die eine oder andere Verzögerung in Kauf genommen habe kommt es bestimmt nicht mehr darauf an wenn der ein oder andere Geist mich hier nun weiter aufhält. Morgen ist notfalls auch noch ein Tag und mein nächstes Ziel scheint ein Kloster zu werden. In früherer Zeit hieß das man soll erst Recht trinkfest sein. Traditionell abgefüllt wird im Übrigen in Apothekerflaschen. Auch von Standes wegen ist eine Qualitätskontrolle somit sehr zu empfehlen. :)
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  • Ein Mönchsleben hat viele Gesichter

    13. juni 2021, Tyskland ⋅ ⛅ 17 °C

    Nun bin ich aber wirklich schon spät dran und auf dem Weg ins Kloster Chorin. Die Kostproben verlangen ihren Tribut dennoch und meine Wasserreserven neigen sich an diesem Sonntag dem Ende. Wie so üblich fließt das Wasser im Kanal unten und die Klostermauern stehen auf dem Berg darüber. Auf mich wartet ein schweißtreibender Anstieg. Das bin ich gar nicht mehr gewohnt erst recht nicht nach der spritzigen Einlage. An einem der schönsten Mohnfelder entlang der Tour lege ich erneut eine Rast ein. Wie haben sich wohl die Menschen im Mittelalter gefühlt? Ihnen hat an solchen heißen Tagen auch niemand die Arbeit abgenommen. Dennoch wollten sie sicher die Schönheit des Lebens genießen. Besonders die Mönche - Tagein Tagaus in ihrer Kutte. Egal ob bei der Gartenarbeit oder beim Aufbau ihres Klosters. Egal ob beim Beten oder beim einkellern des Weines. Ein Stück weit hatte ich erwartet diesen Zeitgeist im Kloster Choirin wieder zu finden. Das Kloster ist für seine Anlage und die damaligen Leistungen der Mönche noch heute im weiten Umkreis bekannt. Ein kleiner Wallfahrtsort. Leider entpuppt es sich als ein Tourismusmagnet an dem man selbst erst ins Café kommt nachdem man Eintritt bezahlt hat. Weiter ist es heute eine Ruine. Selbst das Kirchenschiff, nach außen noch intakt wird nach innen nur als Konzert- und Veranstaltungssaal genutzt. Der Weinkeller ist zugemauert und abgesperrt. Hier leben heute Fledermäuse. Von den Mühlen für deren Wassergraben man ganze Berge geteilt hat steht nur noch die Grundmauer. Zugegeben für einen Spaziergang ist alles idyllisch schön konserviert wenn ich schon einmal hier bin, mehr aber nicht. Den Zeitgeist muss ich wo anders suchen.
    Was natürlich um die Jahreszeit in ganz Brandenburg sehr markant ist sind die Störche. Kaum ein Schornstein oder ein Dorf in dem der Storch nicht heimisch wäre und sein Nest gebaut hat. Die Jungen sind mittlerweile geschlüpft oder kurz davor. Ein Elter wacht somit immer über das Nest während der andere unterwegs ist. Es beruhigt mich zu wissen dass sich daran trotz unserer schnelllebigen Zeit über Jahre nichts geändert hat. Störche sind extrem wählerisch und mit Hingabe einander ein Leben lang treu. In diesem Punkt haben sie mit dem Zeitgeist der Mönche sehr viel gemeinsam.
    Unweit finde ich eine weitere versteckte Schlossruine. Nichts Besonderes denke ich mir und packe dennoch lieber dort mein Abendessen aus als zwischen den vielen Touristen. Die Küche bleibt heute kalt. Anstatt einer ruhigen Vesper holt mich bald die Geschichte ein. Ein schnaufender Gaul kommt um die Ecke und zieht einen Planwagen auf den Platz hinter dem Schloss. Eine junge Familie mit ihren drei Töchtern vereinnahmt sofort den Rasen. Das Pferd kümmert das wenig. Es frisst. Sie haben für die Schlossruine einen Schlüssel erhalten. Wie ein Sesam öffnen sich die Türen zum Schlossinneren mit einer kleinen Küche, Toilette und einem Lagerraum mit allerlei altem Rüstzeug. Bevor ich weiter fahre darf ich meine Wasservorräte ebenfalls auffüllen. Derweil wird das Pferd gestriegelt. Scheinbar durfte es den heißen Mittag in einem Schlammloch verbringen. Zugegeben ist das aber ja nicht der schlechteste Sonnen- und Mückenschutz. Und es frisst immer noch. Die Kinder wollen natürlich alle zuerst die eine Bürste und das Pferd striegeln. Die Eltern erzählen mir über ihre Reise und ich bin von der Idee sehr angetan. Pferd und Wagen stammen von einem lokalen Planwagenvermieter. Er hat hier in der Region etwa 30 solcher grünen Stellplätze eingerichtet. Je nachdem was die Familie z.B. auf ihrer Reise anzustellen plant erstellt er eine individuelle Route zu Schlössern, Seen, Wäldern und koordiniert die Stellplätze. Ich glaube so eine Reise wie im Mittelalter auf Zeit könnte mir auch gefallen. Zumal es das Leben von damals facettenreicher wiedergibt als es ein Schausteller je könnte.
    Ein Punkt den ich dieser Tage auf jeden Fall mit dem Klosterleben gemeinsam habe ist das früh aufstehen und den Morgen ganz für mich allein zu haben. Mein Zelt steht an einem See inmitten der Uckermark. Der Teichrohrsänger gibt seit dem ersten Morgenlicht keine Ruhe mehr. Noch bevor die Sonne wirklich aufgeht stehe ich schon wieder auf. Über dem See bilden sich mystische Nebelschleier. Die Mönche wussten scheinbar am besten dass ‚Morgenstunde Gold im Mund‘ hat und seit jeher die meiste Energie besitzt kraftvoll in den Tag zu starten. Doch von der Geschichte erzähle ich das nächste Mal. Ich bleibe noch einige Zeit am See und genieße den Augenblick.
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  • Unterwegs mit Humboldt im ewigen Eis

    14. juni 2021, Tyskland ⋅ ☀️ 15 °C

    Der Tag verheißt viel Hitze. Anstrengend wird er allemal und er soll mich wieder einmal Demut lehren.
    'So schön Brandenburg auch sein mag, die Mecklenburger Seenplatte ist bestimmt auch schön.' denke ich mir. Über Schloss Boitzenburg steuere ich geradewegs an die Mecklenburgische Grenze. Neben dem Schloss gibt es im Marstall eine Eismanufaktur, eine Schaubäckerei und einen Chocolatier. Wer soll sich da denn entscheiden? Jetzt vor Mittag werden noch die Torten angerichtet und der Kaffee frisch geröstet. Hmmm. Das duftet! Oh und ich hätte mich so gern ein bisschen durch die Schokolade probiert. Aber ich muss mit erschrecken feststellen dass die bei den Temperaturen auf dem Rad keine 10 Minuten durchhalten würde. Das Eis tropft auch schneller aus der Waffel auf den Fußboden als ich schlecken kann. Zugegeben will ich mir den fürstlichen Kaffee und Kuchen als dritte Option dann lieber nicht leisten. Die Preise stehen dem herrschaftlichen Schloss, das wirklich gleich nach den Königsschlössern eines der schönsten in Brandenburg ist, in nichts nach. Kein guter Start in den Tag!
    Ich hatte in den Tagen zuvor einen Motorradfahrer gefragt welche Route er mir in Richtung Norden vorschlagen würde. Ich solle doch in die Seenlandschaft nach Feldberg fahren. Das sei sehr schön. Weiter sei er aber auch noch nie gewesen. Gut, das trifft sich nicht so schlecht. In der Nähe ist ein See den ich ohnehin besuchen will. Vorbei an einem kilometerlangen schön in den Wald eingebetteten Zeltplatz gelange ich nach Carwitz. Das wäre ein kleines unbedeutendes Dorf inmitten einer grandiosen Hügel und Seenlandschaft wenn Hans Fallada nicht für seine Werke inspiriert worden sei. Heute ist es sein Wallfahrtsort. Glücklicherweise nicht gar zu sehr in Corona-Zeiten. Die Carwitzer Seen sind zudem alle eiszeitliche Zungenbecken-Seen. Alles was der Gletscher einst abschürfte und nebenan aufhäufte schuf diese wunderschöne Landschaft. Das türkisblaue Wasser lädt gleich dazu ein hinein zu springen. Gefühlt ist alles auf den Beinen was schon schwimmen kann. Gleichermaßen verteilen sich die Leute zu Boot und mit dem Kajak. Jeder findet sein Plätzchen und seinen Rückzugsort. Nur ungern ziehe ich weiter. Erst lasse ich wehmütig die Schokolade zurück, jetzt den Badesee.
    Unweit davon bin ich jedoch erneut vollends in meinem Element. Der Sprockfitzer See hat eine geologische Besonderheit. Inmitten dieser ganzen eiszeitlichen Seen erstreckt sich entlang der Straße ein unscheinbarer Karst See, dessen Wasserpegel Über wenige Stunden von Tag zu Tag unabhängig von der Witterung mehrere Meter schwankt. Als ich vorbei fahre stehen die Schwäne gerade einen Meter auf dem Trockenen. Woher diese Wasserblase im Untergrund kommt kann mir niemand sagen. Für den Augenblick hat es für mich wieder so etwas Magisches an diesem Ort, nicht zu wissen woher es kommt und wohin es geht. Nur dass es einfach so schön daliegt.
    Unterdessen drückt die Sonne vollends am Nachmittag. Ich suche mir auf der Karte die nächste Badestelle. Komme was wolle, eine Abkühlung tut gut. Ich fahre hin und kann einfach den Eingang von der Straße zu dem Weg zum See nicht finden. Hmm. Als ich einen netten Herrn frage will ich vor Neugier was er da macht eigentlich bald gar nicht mehr baden. Der Antikwurm zeigt mir wie er herrlich alte Möbel wieder aufbereitet. Das sind alles Auftragsarbeiten. Vier fünf Projekte hat er schon gleichzeitig. So gegen Acht hört er aber immer auf. Familie hat er ja auch noch. Er erzählt viel von der Suche nach geeigneten Möbeln und wie er es schafft gegen die Holländische Konkurrenz zu bestehen. Vor Neugier und Respekt lasse ich die Kamera in der Tasche. Schlussendlich gesteht der Herr mir dass er in der Brühe liebe nicht baden ginge wenn ringsum alles eingeleitet wird. Warum bin ich nicht in Carwitz geblieben? Das sei seine Heimat und die kann er getrost jedem empfehlen wenn er die Wahl hätte. Demütig ist das für mich ist das das Stichwort nach Neubrandenburg zum Tollensee. Niemals zurück, immer voraus! Rügen wartet!
    Neubrandenburg ist zugegeben eine ziemlich hässliche Stadt. Neue Neubauten laden einzig dazu ein schnell weiter zu fahren. Erst die Seepromenade lädt zum Verweilen ein. Plötzlich ist mir der Ort gar nicht mehr so fremd. Die ganze Stadt ist auf den Beinen und hat sich hier im Park, beim Spiel oder auf der Seepromenade zum Spaziergang eingefunden. Glücklicherweise ist der Campingplatz an diesem Abend nicht mehr weit. Warum ich dennoch hier herkam wo das eigentlich nur ein Ort zur Durchfahrt scheint liegt etwas weiter in der Vergangenheit. Vor einigen Jahren kam ich bereits mit Alexander von Humboldt in Kontakt als ich quer durch Ecuador gestiefelt bin. Zu dieser Zeit noch ohne mein Fahrrad. Nichts desto trotz hat mich sein Forscherdrang fasziniert. Ihn hat immer interessiert wie alles zusammenhing das zu jener Zeit bekannt war. Auch wenn er sonst in Berlin lebte so mochte er die Seen um Neubrandenburg gar sehr. Wie ich nun beim Abendbrot sitze kommt noch ein zweiter Radfahrer daher. Er kehrt gerade von der Ostsee zurück. Gemeinsam essen wir und sprechen über unsere Reisen. In der Zwischenzeit habe ich den Platzwart gefragt wo denn der Chimborazo liege. Es ist der höchste Berg von Ecuador und hier am Tollensee zu Humboldts Ehren der höchste Berg der Umgebung. Da werden Erinnerungen wach! Der Platzwart kennt ihn leider nicht. Genauso wenig wie ich bislang wusste dass nicht weit von hier 'Afrika' liegt. Ich dachte immer ich habe den Berg schon mal in den Anden bestiegen. Auch sonst stört es ihn eher dass wir seinen Feierabend nicht gönnen. Also nehme ich mich zurück. Ich stelle noch schnell die Getränke für morgen im See kalt und lege mich mit vielen tollen Erinnerungen zur Ruhe.
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  • Die Heiden von Kummerow

    15. juni 2021, Tyskland ⋅ ☁️ 19 °C

    Am Morgen packe ich gut erholt und gemütlich mein Zelt zusammen während der Andere Radfahrer hastig am liebsten schon die ersten 20km weg hätte bevor der Platzwart überhaupt wach ist. Den Chimborasso habe ich dann doch nicht bestiegen. Bis ich auf Rügen ankommen sollte ist ein extra Tag hinzukommen. Ich entscheide mich kurzfristig auf einen Abstecher über die Müritz zu fahren. So kleine Umwege von gut 60km sind doch nicht der Rede wert. Hier bin ich auch endgültig in Vorpommern angelangt. Hier sind alle Häuser mit Ried gedeckt. Kunst wird groß geschrieben. Der Humor wird, sagen wir mal 'anders'. Bis zur See kann es nicht mehr weit sein.
    Mit einem Mal ist Schloss Hohenzieritz in aller Munde: Denn hier im Sommerschloss ihres Vaters, starb völlig überraschend Königin Luise von Preußen. Sie war ihrer Zeit so etwas wie das Pendant zur britischen Prinzessin Diana. Eine beliebte Wohltäterin im Volk und eigentlich viel zu jung um zu gehen. Ihr Sterbezimmer wurde bald zur Pilgerstätte für Bürgertum und Hochadel. Seither hat sich das Schloss heraus geputzt und besitzt einen der ältesten englischen Landschaftsgärten auf europäischem Festland mit alten knorrigen Bäumen und ringsum flachgehaltenen Feldsteinmauern. Ich denke mir wieder "wer das nicht weiß fährt garantiert daran vorbei, und doch hat dieser Ort mehr verdient".
    Die Müritz ist Deutschlands größter Binnensee. Entsprechend viel habe ich mir auch von dem angrenzenden Nationalpark versprochen. Hier brüten zahlreiche Adler mit denen ich mich näher auseinander setzen will. Und hier liegt die Quelle des bekannten Flusses 'Havel'. Alles erscheint mir wie der Naturschutz in der Postmoderne. Wie ich im Besucherzentrum erfahre brüten die Adler nicht mehr irgendwo nahe dem See sondern fast ausschließlich auf Strommasten. Tiere, die als Kind selbst auf einem Strommast angesiedelt waren suchen erneut einen vergleichbaren Strommast für den eigenen Nestbau. Die Idylle ist also weit her geholt. Immerhin haben die Tiere sich angepasst und sind so wohl auch ihrer Vertreibung vor Ort entgangen. Bis auf eine Live-Kamera eines Jungtieres in seinem Nest und drei Fotos an der Wand fühlt sich aber gerade jeder überfordert und wenig bereit mehr zu sagen und zu tun als am Verkaufstisch zu kassieren. Und diese Havelquelle ist gefühlt auch immer nur weg! Umleitungen mitten im Wald, dazwischen große LKW und schweres Gerät: Denen fällt gerade nichts Besseres ein als am Rand des Nationalparks unterirdisch eine Glaßfaserleitung quer durch das Schutzgebiet zu verlegen. Ansonsten ist die Müritz endlich mal eine Region in der immer noch mehr Fahrräder anstatt E-bikes unterwegs sind. Um die Müritz in wenigen Worten zu umschreiben kann ich auch sagen: ganz viel Wald und Wasser. Da hat mir die Feldberger Seenplatte besser gefallen.
    Auf nach Kummerow, wo die Heiden zu Hause sind. Das traditionelle Leben hat sich gegenüber dem aufstrebenden wilhelminischen Geist und der Marktwirtschaft sehr stark behauptet. Nach 35km im Eiltempo durch das 'Nichts' erreiche ich den nächsten Konsum noch bevor er schließt. Check! Dann werden die Bürgersteige hochgeklappt. Und die alten Stadttore bilden scheinbar eine zentrale Rolle als Grenze zwischen dem bekannten Diesseits und dem entfernten Jenseits. Bei einem Ausblick treffe ich auf einen Radfahrer der sein Lager unmittelbar auf dem Ausblick direkt an der Straße aufgebaut hat. Ich begrüße ihn einmal - 'hallo!'. ... Ich begrüße ihn zweimal... bis ich merke er ist zu sehr in sein Smartphone vertieft um Fußball zu schauen. Es läuft gerade ein Deutschlandspiel bei der Europameisterschaft. Viel reden ist jedoch auch nicht als er aufschreckt weil ich vor seiner Nase Fotos von der Landschaft mache und versuche die grandiose Abendstimmung einzufangen. Ich lasse ihn mit dem Fußballspiel in seiner Einsamkeit zurück. Dann fahre ich entlang der Mecklenburger Schweiz einen Aussichtspunkt nach dem nächsten ab bis mir einer für das Abendessen gefällt. Es gibt Nudeln mit Sardinen in Apfel-Zitronensoße. Hier oben an der See kann Gourmetküche eigentlich nicht besser ausfallen.
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