Living in: Olten, Schweiz Read more Olten, Schweiz
  • Day 126

    Der Preis von Bildung

    August 1, 2021 in Germany ⋅ ⛅ 11 °C

    Stell Dir vor eines Tages würde die Polizei vor deiner Türe stehen und deine Kinder mitnehmen. Sie würden Dir sagen, sie seien hier um ihnen Bildung ermöglichen. Du siehst sie fortan noch einmal im Jahr und jedes mal, haben mehr Mühe sich auszudrücken. Eines Tages, bei ihrer Rückkehr verstehst Du sie gar nicht mehr, den sprechen mit anderer Zunge. Ihnen sind nun auch deine Bräuche fremd und sie Verhalten sich auf ganz andere Weise. Es mag vielleicht sogar ein Jahr kommen, da kehren nicht mehr alle heim.
    Diese oder ähnlich Geschichten entstammen keinem Film. Es ist die Realität für jährlich mehr als zwei Millionen Kinder.
    Lange war ich naiv im Glauben, dass Bildung immer mit Respekt und Verständnis angeboten wird und zu Autonomie, Perspektiven und einem Ausstieg aus dem Kreislauf der Armut führt.
    Was ist aber mit all jenen, denen sie aufgezwungen wird? Deren Kultur seit langer Zeit intakt ist und ohne fremde Hilfe funktioniert?

    Die Bilder und Texte, die ich in den letzten Tagen gesehen und gelesen habe erzählen Geschichten aus der ganzen Welt. Peru, Indien, Botswana, Australien und Canda um nur einige zu nennen. Ich lese von offen gelebtem Rassismus und einem kulturellen Genozid, der auf erstaunlich wenig Wiederstand stösst.
    Von entwurzelten und entfremdeten Kindern, aussterbenden Kulturen und Sprachen, physischen und psychischen Gewalt, Misshandlung und sexueller und körperlichen Ausbeutung. Von einerbso hoher Sterblichkeitsraten, dass diese "Schulen" eigene Friedhöfe besitzen.

    Es klingt für mich wie Fabriken, die Kinder verschlingen, ihnen unsere westliche Kultur indoktrieren und sie orientierungslos und ohne Wurzeln wieder ausspucken. Mit einer absoluten Gleichgültigkeit, was mit ihnen nun geschehen mag. Fabriken, deren Idee es ist sie zu "nützlichen" Menschen und "braven Steuerzahlern" zu machen. In eine Form zu pressen, die unserer "modernen" Kultur entspricht. Paradoxerweise ziemlich erfolglos aber mit unglaublich traumatisierenden Folgen.
    Diese Kinder verlieren die Fähigkeiten und das Wissen, das sie zum überleben und zur Erhaltung ihrer Kultur brauchen. Weisheiten, Rituale und Handwerk gehen für immer verloren. Und auch auf ihre Lebensweise, vorallem dann, wenn sie nomadisch oder teilnomadisch aufgewachsen sind.

    Das alles geschieht nicht in der Vergangenheit sondern täglich. Nicht verdeckt die sondern offen. Mit klaren Ansagen und Zielen der jeweiligen Regierungen. Die Zahl in der Tendenz steigend. Überall auf der ganzen Welt, an Orten, an denen derzeit noch indigene Menschen leben.
    Es ist eine perfide, perverse und äusserst aggressive Form des westlichen Kolonialismus. Es lässt Kinder ihre Eltern und Eltern ihre Kinder verlieren. Es passiert still aber äusserst beständig.

    Mich hat das Thema dazu bewogen, dass ich mir nun viel mehr Gedanken mache, welche Art von Bildung ich überhaupt unterstützen möchte. Und auch, was Bildung für mich bedeutet. Dass sie enorme Macht hat und auch beeinflusst wie und mit wem wir Kommunizieren können. Sie beeinflusst auch die Art und Weise, wie und was wir Denken. Ihr liegt die Erhaltung unseres ganzen derzeitigen Systems zugrunde. Sowohl wirtschaftlich, sozialer wie auch politischer Natur. Ihr entspringt jede Freiheit und Autonomie, die wir besitzen und sie ist eine entsprechende Schlüsselposition für den globalen Wandel. Wir sollten deshalb sehr Achtsam sein, wem wir diesen Schlüssel anvertrauen...
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  • Day 89

    The Game (Das Spiel)

    June 25, 2021 in Bosnia and Herzegovina ⋅ ☀️ 25 °C

    Es ist heute unglaublich heiss in Bihac. Die Strasse flimmert und wir sind froh über den frischen Luftzug der die Una mit sich bringt, als wir die grosse Brücke überqueren. Der Ort hier stahlt eine Atmosphäre aus, die ich persönlichstark mit Urlaub verbinde. Es gibt hier fast rund um die Staat unglaublich schöne und sehr urtümliche Laubmischwälder. Die Stadt ist umgeben von sanften Hügel und und in der Ferne lässt sich ein grösserer Gebirgszug erahnen. Die Una, ein türkisblauer Fluss, der sich durch die gesamte Stadt zieht und deren Wasser sich vor Bihac trinken lässt, lädt zum Baden und ausruhen ein. Daneben ist die Stadt durchwachsen von kleinen Cafes, Restaurants, Herbergen und Bars, die zum Geniessen und Feiern einladen.

    An diesem Morgen zieht uns direkt gegenüber ein Schar von jungen Menschen auf der Brücke an uns vorbei. Sie besitzen eine merklich dunklere Hautfarbe und schwarze Haare, reden in einer Sprache, die ich nicht verstehe und tragen allesamt sowohl bequeme Sneaker wie auch einen grossen und merklich schweren Rucksack sowie einen kompakten Rucksack. Würden wir sie fragen, woher sie kommen, so würden sie hauptsächlich darauf Antworten aus Syrien, Afganistan oder Pakistan zu kommen.

    Wer hier schon etwas länger in Bihac lebt weiss, dass es sich hierbei nicht um eine Touristengruppe handelt, die einen Ausflug ins Grüne machen, sondern um Menschen auf der Flucht handelt (POM, People on the move) die in einem neuen Versuch aufs "Game" gehen.
    Ein ziemlich ironischer Name dafür, dass diese Menschen die nächsten zwei Wochen mit schlechtem Fusswerk zu Fuss durch unwegsames Gelände im Gebirge zwischen Bosnien, Kroatien und Italien unterwegs sein werden. Sie wandern in der Hoffnung, die Grenze zur europäischen Union unbemerkt überqueren zu können und irgendwann eine besser Zukunft in Frankreich, Deutschland oder der Schweiz zu haben.
    Der Weg dahin, ist nicht nur gezeichnet von vielen Strapazen und Entbehrungen sondern birgt grosse Gefahren für das eigene Leben und die Psyche. Entdeckt sie die Polizei, das Militär oder die Grenzschutzbehörde auf ihrem Weg nach Europa, werden sie mit grosser Wahrscheinlichkeit ohne einen Antrag auf Asyl stellen zu können, wieder zurück nach Bosnien abgeschoben. Davor werden sie verprügelt und gedemütigt) sowie ausgeraubt. Ihr gesamtes Hab und Gut wird vor ihren Augen angezündet und verbrannt und oftmals müssen sie nach ihrer "Rückführung" ohne Geld, Nahrung und Wasser, Kleider und Schuhe zur nächsten grösseren Ortschaft wandern, um sich dann Tage oder Wochen von Ihren Strapazen und Wunden erholen. Alsbald versuchen sich diese Menschen dann auf dieses gefährliche und teure Spiel einzulassen. Es ist ihre einzige Hoffnung, wenn sie nicht irgendwo in einem "Auffanglager" hängen zu bleiben. Dass die eine derartige Rückschaffung illegal sind und sowohl das Recht auf einen Asylantrag wie auch die Würde und das Recht auf Besitz und körperliche und psychische Unversehrtheit verletzen, ist den betreffenden Staaten scheinbar egal und bleibt ohne Konsequenzen. In sogenannten Pushback-Aktionen, werden POM sogar über mehrere Grenzen von Slowenien, Italien oder gar Österreich zurück nach Bosnien gebracht, nur um wieder in einem Sammellager zu landen, das ihnen weder eine Perspektive noch eine grundlegende Infrastrukur (Wasser, Strom, medizinische Versorgung) bietet. Die EU sieht ihre Aufgabe dagegen scheinbar eher im Ausbau von Grenzschutzorganisationen wie Frontex oder der Finanzierung von ebendiesen "Auffanglagern" in Staaten, die selber einen eher schlechten Ruf besitzen, was die Einhaltung von Menschenrechten angeht wie z.B. die Türkei. Sie trägt damit aktiv dazu bei, eine skurille und äusserst menschenfeindliche Maschinerie am Laufen zu halten, die zutiefst von Korruption und kriminellen Strukturen durchzogen ist und in der viele Hilfsgelder verloren gehen. Sie schafft damit eine Lösung, die diese Bezeichnung in keinster Weise verdient und viel eher einer Verdrängung leicht. Für Grenzländer wie Bosnien, Griechenland und Italien bedeutet dies, dass sie fast gänzlich alleine mit der Flüchtlingsthematik klar kommen müssen, was zur Überforderung führt und das ein perfekter Nährboden für faschistische Strömungen in der zunehmend frustrierten Bevölkerung bietet. Ein weiteres trauriges Kapitel in der europäischen Geschichte und ein Thema, dass sich auch dank dem Klimawandel und den destruktiven kapitalistischen und neoliberalen Strukturen weiter zuspitzen wird.
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  • Day 89

    Die Festung der Freiheit

    June 25, 2021 in Bosnia and Herzegovina ⋅ ☀️ 29 °C

    Es ist für mich schwierig zu akzeptieren, was hier in Bihac, nur ein paar hundert Kilometer von meinem Zuhause weg, Tag für Tag mit Menschen geschieht. Was der Alltag für die tausenden Menschen auf der Flucht bedeutet, die hier seit Monaten oder Jahren vor verschlossenen Toren stehen. Es ist schwierig zu akzeptieren, dass mein Bild von einem funktionierenden Demokratischen- und Rechtsstaatlichensystem, das ich noch vor wenigen Wochen für stark und Widerstandsfähig bezeichnet hätte, hier mehr und mehr von seinem glänzenden Lack verliert. Sich als eine Medaille entpuppt, von der ich bisweilen nur immer eine Seite betrachtet und vor allem erlebt habe. Und, dass sich, wenn ich eben diese Medaille umdrehe, auf andern Seite ganz offen Strukuren zeigen, von denen ich gehofft habe, dass sie sich nie mehr zeigen mögen. Es ist wie ein Apfel, eingefasst in glänzenden Wachs, der, wenn er angeschnitten wird, seinen fauligen und mit Maden durchsetzen Kern präsentiert.

    Wie ironisch ist es doch, dass ebendieser Länderbund, der sich einst gebildet hat um jeden weiteren globalen Krieg zu verhindern und Frieden zu schaffen, in der Vergangenheit auch noch mit dem Friedensnobelpreis ausgezeichnet wurde? Ein Bund der Menschen in Lager ohne jegliche Perspektive steckt und dies als wirksame Strategie bezeichnet. Ein Länderbund, der Menschen wissentlich im Meer ertrinken lässt, sie im Angesicht der Abschottung und Abweisung in die Hoffnungslosigkeit treibt und damit kriminelle Schlepperorganisationen und Korruption auf den Plan ruft, die das Leid und die Verzweiflung sogleich in pure Münzen umsetzen.

    Es ist für mich schwierig zu akzeptieren, das in jenem System, in das ich zufällig reingeboren wurde, in dem ich nun lebe und mich frei bewege, das mir unglaublich viel Freiheit und Sicherheit schenkt, staatlich organisierte Instanzen existieren, welche Menschen, die noch nicht zu eben diesem Kreis gehören, ohne Konsequenzen sowohl körperlich wie auch psychisch misshandeln können. Dass sich ebendieses Konstrukt vordergründig nur zu gerne als fortschrittlich präsentiert. Das es sich sich auf dem politischen Laufsteg als Wegbereiter und Vorbildmodel für ein modernes und gerechtes politisches Systeme bezeichnet aber abseits der grossen Scheinwerfer, brutale Auswüches von Rassismus und Faschismus zeigt.

    Wie kann es sein, dass Menschen mit voller Absicht ihrer Würde beraubt werden? Wie kann es sein, dass Menschen in aller Deutlichkeit gezeigt wird, dass sie an einem Ort komplett unerwünscht sind? Das Ihnen selbst Grundrechte wie Wasser, Nahrung und eine medizinische Grundvorsorgung verwehrt werden? Wie kann es sein, dass all dies längst bekannt und dokumentiert ist und dennoch nicht interveniert wird? Wie kann es sein, dass nicht nur unsere Politik sondern auch ein Rechtssystem komplett versagt? Wie kann es sein, dass die Freiheit und Privilegien, die Du und ich geniessen, nur dadurch möglich sind, dass wir eine Festung aus Stacheldraht und Mauern um uns errichten? Das es für mich als Mensch einen absoluten Unterschied bedeutet, auf welcher Seite dieser Mauern ich stehe? Wie kann es sein, dass wir uns in der Vorstellung halten können, wir würden im Paradies des Friedens leben? Dass wir die Peitschen der Sklaventreiber tragen und uns gleichzeitig als Aposteln und Propheten Gerechtigkeit fühlen, um die herum primitive Barbarei und Unterdrückung herrscht?
    Wie kann es sein, dass die Antwort auf ein globales Problem von einem ganzen System mit Gewalt und Abgrenzung beantwortet wird? Wie kann es sein, dass wir aus unserer blutigen Geschichte noch immer nicht gelernt haben? Wie kann es sein, dass Menschenrechte selbst in unseren eigenen Mauern nicht für alle in gleichem Masse gelten?
    Wer sind wir, die soviel Geld und Privilegien besitzen, dass wir uns dazu auch noch anmassen, dass das Leben anderer weniger Wert wäre als das Unsere? Das wir uns Rechte sichern und andere ihrer berauben dürfen? Wer sind wir, dass wir diesen dauerhaften Zustand der Gewalt und der Misshandlung, trotz seiner Offensichtlichkeit, stillschweigend akzeptieren? Wer sind wir, dass wir durch unser Wirken andere ihrer Lebensgrundlage und Existenz berauben, aber die die Folgen dieser Handlung ignorieren und ablehnen?

    Was hier in Bihac, aber auch in weiten Teilen der Welt Tag für Tag geschieht dürfte nicht existieren. Und es ist kein Akt der Barmherzigkeit, den Menschen hier Hilfe leisten. Es ist viel mehr unsere grundlegende Pflicht und Verantwortung als Mensch, ein solches lebensfeindliches System nicht zu tolerieren und existieren zu lassen.
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  • Day 68

    Frieden zwischen den Geschlechter

    June 4, 2021 in Germany ⋅ ☁️ 22 °C

    Unsere Villa verwandelt für einmal zu einem Ort der Kunst, Begegnung und Intimität, als Corinna, den Mut aufbringt ihre Erfahrungen des vergangenen Jahres in Form von Bildern aus ihrem Tagebuch in einer Vernissage zu teilen.
    Ein Jahr lang hat sich intensiv mit dem weiblichen Zyklus und ihrer Sexualität auseinandergesetzt, einem Thema, welches mit viel kollektivem Schmerz und Traumata verbunden ist.
    Corinna fühlt und erfährt immer wieder ganz deutlich, welche Gewalt und welchen Missbrauch viele Frauen in unserem heutigen System und durch unserer kulturellen Prägung erdulden müssen und wie sie gebrochen und entkräftet wurden. Wie auch ihr eigenes Selbstbild daran zerbrochen ist und eine Kluft von Zweifel und Selbstverleugnung freilegen hat.
    Es sind tiefe Kerben, die sie an diesem Abend offen vor uns ausgebreitet, unkaschiert und ehrlich. Aber ich spüre auch viel Kraft in Form von Wut und Selbstannahme, die sie durch diesen Prozess mobilisieren konnte.
    Ihre Bilder spiegeln die Verzweiflung, die Hilflosigkeit und Lähmung wieder. Aber auch die den Weg zur Sanftheit im Umgang mit sich selbst und ein tieferes Verstehen ihrer eigenen Natur. Die Reinigung und die damit verbundene Kraft, die aus diesem Prozess entstanden ist. Ganz deutlich zeigt sich in der Reaktion der Besucher auch, dass dieser kollektive Schmerz auch das andere Geschlecht geprägt hat. Scham, Schuld und Schmerz sind deutlich spürbar. Ebenso eine Wut, die sich gegen das eigene Männlichkeit richtet. Diese Form von Gewalt verletzt nicht nur ihr Opfer, sondern sonder hinterlässt auch tiefe Verletzungen in der kollektiven Täterrolle. Was hat dazu geführt, dass ein solches ungesundes Ungleichgewicht entstehen und sich halten konnte? Und noch wichtiger: Gibt es einen Weg auf dem sich sich beide Pole, Mann und Frau, ehrlich und offen begegnen können, ohne vom Schmerz überwältigt zu werden, aber auch ohne ihr Geschlecht dafür zu verleugnen zu müssen?

    Genau damit befasst sich ein Buch, dass mir David-Julian vor einigen Tagen in die Hände gelegt hatte. Bis vor kurzem, war mir nicht bewusst, dass das Thema auch mich, sehr bewegt, dass auch für mich diese Wunde spürbar ist und etwas mit mir und mit meinem Bild von Männern und Frauen auslöst.

    Das besondere an "Wilder Frieden" ist, dass dieses Buch für einmal beide Perspektiven aufzeigt und sich in keinem von beidem in dogmatischen Mass in Verurteilung oder in Verherrlichung verliert oder verbeisst. Das keine starren Opfer und Täterrollen verteilt wird, in der die einen Engel und die andern Dämonen sind. Es ist ein absolut ehrlicher Austausch über Wut, Schmerz, Vorurteile, Ängste, Schwächen und Stärken, Wünsche und die Rollenbilder und Projektionen, welche die beiden Seiten vor der jeweils anderen ausbreiten. Es geht um die Anerkennung und Annahme der Sicht des anderen und auch die Ehrlichkeit und Annahme über jene Seiten des eigenen Geschlechts, die nicht gerne in das Licht des Erkennens gezogen werden, weil sie die eigene Rolle schwächen.

    Für beide Geschlechter gilt es, die eigene Kräfte und Verbindungen zu erkennen und diese zum Wohle beider Seiten einzusetzen und damit keinen Missbrauch zu üben. Das die vorhandenen Unterschiede durch das "gleich machen" keine Erleichterung erfahren können, sondern dies im Gegenteil einen hohen Preis hat. Dass Frauen nicht länger die männlichen Attribute übernehmen müssen, um erfolgreich zu sein und sich als wirksam zu betrachten und dass Sensibilität und das Schützen, Hegen und Pflegen sehr männliche Attribute sein können.

    Tatsächlich ist es so, dass keine der beiden Gruppen nur Privilegien besitzt, sondern durch ihr Rollenbilder im der Gesellschaft auch Vernachlässigung und Schmerz erfahren. Dass ein eigene Haltung, die Wiederstand gegen das andere Geschlecht erzeugt und Unterstützung im eigenen sucht, die derzeitigen Muster reproduziert ohne das ein neues gesundes Gleichgewicht entstehen kann. Und das die Geschlechterbewegung sich für die Bedürfnisse beider Geschlechter einsetzten sollte und nicht ins andere Extrem kippen sollte, wenn wir damit wahrhaftig Frieden finden wollen.
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  • Day 46

    Der ewighungrige Moloch

    May 13, 2021 in Germany ⋅ 🌧 9 °C

    Wir leben in einer Welt, die sich gefühlt immer schnell dreht. Der Grad der (digitalen) Vernetzung, Verflechtung und die Geschwindigkeit nimmt, Jahr um Jahr merklich zu. Virtuelle Räume, die vor wenigen Jahren noch sehr rudimentär waren, gehören in moderneren Kreisen zum Alltag, bieten eine vielzahl von Tools und sind jederzeit und fast überall erzeugbar. Wir als Menschen haben unseren Lebensstil weitgehend daran angepasst. Nicht aber unser Köper und unsere Sinne, die sich in den wenigen Jahren nicht oder kaum merklich verändert haben. Unsere persönliche Ausstattung und unser "Betriebssystem" ist weitgehend dasselbe geblieben und hält dieser Entwicklung in keiner Weise stand, sodass sehr oft eine permanente Überforderung entsteht. Unsere Vorstellungskraft hat ihre Grenzen längst erreicht, weshalb wir in allen Lebensbereichen auf Zahlen und Diagramm, also Vereinfachungen und Abstraktionen zurückgreifen müssen. Viele Konstrukte, die unser Leben massgeblich beeinflussen, existieren längst nicht mehr auf der materiellen Ebene, sondern haben sich als starre Glaubenssätze und Vorstellungen manifestiert, die wir nur noch mit viel Mühe und Not abschütteln und gedanklich durchbrechen können. Der Ebenen der Intuition und des Fühlens, bleibt in diesen zumeist rein rationalen Modellen weitgehen auf der Strecke und führt zu einer Verarmung und Verhärtung unserer Wahrnehmung. Zu einem Kontakt, denn wir intuitiv als nicht vollständig und als weniger erfüllend wahrnehmen. Wir bleiben hilflos zurück und wissen dabei oft gar nicht wirklich, wo der verspürte diffuse Mangel herrührt.

    Die Ressourcen und Menschen die täglich global transportiert werden, die Menge an Daten und Informationen, die Produziert und Verarbeitet werden und auch die Geldflüsse, die im globalen Kontext täglich ihre Bahnen ziehen, liegen inzwischen ausserhalb unserer rationalen Vorstellungskraft. Unsere Märkte, die früher Vereinfachung und Freiheit schaffen wollten, haben sich verselbstständigt und ein eigenes Leben entwickelt. Inzwischen hängen wir an Ihnen, wie an einer Nabelschnur. Wir, ihre einstigen Erschaffer und Meister, sind über die Zeit ganz still und heimlich zu ihren Sklaven geworden. Wir wechseln in immer neu aufkeimender Panik, die mehr und mehr verklemmten Zahnräder dieser gigantischen Maschine, die wir ständig weiter ausbauen, aber deren Zweck wir längst vergessen haben. Eine Beziehung, die sich sich in eine ungesunde existenzielle Abhängigkeit verschoben hat. Wir haben ein gigantisches Monstrum erschaffen, dass ständige und unersättlich nach Nahrung schreit und dessen entfesselte Kraft wir so sehr fürchten, dass wir es auch im Angesicht aller drohenden Konsequenzen emsig und pflichtschuldige immer weiter füttern, in der Hoffnung dadurch zumindest eine kurze Periode der Ruhe zu gewinnen, eine Aufatmen, eine flackernde Illusion von Frieden. Dieser Moloch, den wir einstmals als haltendes Fundament kreiiert und auf dessen Boden wir unsere Lebensträume gebaut haben, knarrt längst unter seinem eigenen Gewicht, rostet und schwankt bei jedem Schritt. Es ist nicht die Frage ob er irgendwann auseinanderbrechen wird, die uns so sehr beschäftigt und antreibt. Es ist die Frage wann er brechen werden. Ein Wettlauf des ewigen Hinauszögerns, mit einem Blutzoll, der stetig steigt. Wir, die Gläubigen dieses grausamen Gottes, hoffen und beten nun einzigmehr darum, dass dieser Preis nicht mehr zu unseren Lebezeiten bezahlt werden muss. Eine Traum, aus welchem die jüngere Generation mehr und mehr erwacht. Wir haben bemerkt, dass wir in einem Bus sitzen, der mit voller Geschwindigkeit auf einen Abgrund zurast. Es wäre dringend notwendig, entweder die Bremse zu drücken, dem Rausch der Geschwindigkeit zu entsagen oder aber die Richtung zu wechseln und die bequeme Strasse gegen einen vielleicht sehr holprigen Feldweg einzutauschen. Doch regt sich Wiederstand bei uns selbst und vielen Mitfahrer/innen, die in ihrer Furcht vor dem drohenden Schmerz, den klaffenden Abgrund ganz einfach ausblenden. Die von der Geschwindigkeit längst Abhängig geworden sind, aber es sich nicht eingestehen wollen.
    Wieder andere sind gelämt von der Angst des Unbekannten, die eine Richtungsänderung mit sich bringen könnte. Sie fürchten sich davor, dass sie ihr Polarstern , dem sie ein ganzes Leben lang gefolgt sind, als Irrlicht entpuppen könnte. Dass sie in ihrem Wirken eine Ruine statt ein gemütliches Zuhause erschaffen haben.

    So lasst uns auf eine Reise gehen:
    Wie könnte ein System aussehen, dessen Grenzen und Innenleben sich gänzlich erfassen und erfühlen lässt? Das sich auch als sinnliche, ganzheitliche Erfahrung erleben lässt? Das nicht unserer Intuition wiederspricht und den Schein birgt, nur von einer Elite verstanden werden zu können, der wir bereitwillig unsere Verantwortung abgeben können? Das einen vollen und befriedigenden Kontakt zulässt, der nicht im Mangel mündet? Das aber auch Schmerz, Wut und Trauer mit sich bringt, neben der der Freude am Leben? Dass uns ermöglicht und ermutigt unseren ganz persönlichen Polarstern zu wählen, in dem wir auch Phasen der orientierungslosigkeit zulassen und uns der Leere hingeben? Was müsste sich verändern damit wir ebendieser Welt ein Stück näher kommen?
    Wir können uns eine vielzahl von Frage stellen um ins tun kommen:
    Wo sehe und spüre ich heute bereits (frei) Räume, in welchen ich dieser neue Welt ein Stück näher kommen kann? Welche Schritte in eine neue Richtung, vermag ich schon heute gehen? Wie sieht der Polarstern aus, dem ich zukünftig folgen möchte und wie kann ich mich nach ihm ausrichten?

    Mehr und mehr können wir dadurch unser Gefühl der Abhängikeit abschütteln und die nötige Distanz gewinnen. Wir lernen die Rolle von Erwachsenen zu übernehmen in dem wir die abgegebene Verantwortung wieder selber aufgreifen. Bis wir es irgendwann vielleicht auch Wagen werden, den ewighungrigen Moloch nicht mehr weiter zu füttern.
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  • Day 31

    Zu Besuch bei den Kogis

    April 28, 2021 in Germany ⋅ ☁️ 13 °C

    Was wäre, wenn wir jeden unserer Gedanken und jede Handlung der Lebendigkeit und der Mehrung von Vielfalt weihen würden? Was würde es für unser Zusammenleben, unsere Arbeit und alles was wir in unserem Leben als erstrebenswert erachten bedeuten? Was wäre, wenn Gedanken nicht mentale Konstrukte sind, die wir in unserem Kopf produzieren sondern elementare Wesenheiten, denen wir begegnen und die an uns haften bleiben können? Wenn wir nicht die Lösung für Probleme suchen würden sondern vielmehr uns von den Problemen selber lösen?

    Lukas Buchholz entführt uns heute Abend in die wundersame und exotisch anmutende Welt der Kogi. Einem der letzten indigenen Völker dieser Erde, deren Kultur bis heute annähernd unangetastet geblieben ist und die gleichwohl offen dafür sind, in den Austausch zu treten. Sein Besuch bei den bei diesem Naturvolk hat ihn grundlegend verändert. In ihm grosse Zweifel über die Werte und Ziele unserer eigenen Kultur ausgelöst und ihm zugleich eine völlig neue Perspektive eröffnet. Das Eintauchen in eine völlig fremde Welt hat ihm ermöglicht mehr Distanz zu seiner eigene Kultur zu gewinnen und sich von gewissen vorher unverrückbaren Gedankenkonstrukten zu lösen. Die Welt der Kogi ist in einem absoluten Masse integrativ und stufenlos, in ihr ist der keinerlei Fragmentierung oder Hierarchie existent. Jede Handlung und jeder Gedanke unterliegt einem absoluten Prinzip, einer Spur der wir folgen oder die wir verlieren können. In der Lebensweise dieses Volkes existieren keine Spiele, ökonomische Systeme oder gedankliche Theorien, die isoliert betrachtet und untersucht werden können. Sie lehnen die Vorstellung ab, dass Vorgänge auf ein getrenntes anschauliches Modell reduziert werden kann, dass nicht die gesamte Komplexität des Systems umfasst. All dies wären geschlossenes Systeme, kleine künstliche und abgeschnittene Welten, die entkoppelt von der Komplexität des Ganzen sofort ihre Lebendigkeit und damit auch ihren Zweck verlieren würden. Während wir unsere Welt in immer kleinere Stücke zerteilen, um die einzelnen Teile besser untersuchen zu können, nehmen die Kogi eine immer grössere, umfassendere Perspektive ein. Sie erkennen damit an, dass Systeme nicht nur aus kleinen isolierten Einzelteilen bestehen, sondern auch deren Wechselwirkung ein integraler und untrennbarer Bestandteil des Ganzen darstellt. Wie ein einzelnes Zahnrad in einer Maschine, die ihrem Zweck nur dann dienen kann, wenn sich alle Teile am richtigen Ort befinden. Spannenderweise sind zumindest Teile dieser Weltanschauungsweise in den letzten Jahrzehnten auch mehr und mehr in unserer modernen Wissenschaft gesickert. Immer mehr getrennte Richtungen werden verknüpft und es entsteht eine fast wundersames mehr an Verständnis. Die Vereinigung der einzelnen Teile ist mehr als ihre Summe.
    Diese andersartige Weltanschauung umfasst aber noch ein viel grösseres Feld, als wir zunächst vermuteten. Was wäre, wenn wir dieses Prinzip auf alles anwenden?
    Bei den Kogi existiert keinerlei Trennung von Arbeit, Freizeit und Sozialleben. Jedes Wort, jeder Kontakt, jede Handlung und gar jeder Gedanke ist auf die Speisung des Gesamtsystems, auf das Prinzip der Lebendigkeit und Vielfalt ausgerichtet. Sie sind eingebettet in einen einen ständigen Austausch von nehmen und geben. Dabei ist jeder Teil des Gesamtsystems heilig und absolut gleich viel Wert. Sei es Stein, Pflanze, Tier oder ihr eigenes Leben. Sie versuchen durch Bewusstheit eine Spaltung und damit Wiederstände zu verhindern. Denn innerer und äusserer Wiederstand erzeugt durch seine verbissene Fokusierung eine immer stärkere Gegenkraft, die wächst je mehr wir uns an ihr stören und irritieren lassen. Je weicher wir werden, je eher wir unsere Kraft auf jene Bereiche lenken, in denen wir Handlungs- und Bewegungsfähig sind, desto weniger kann sich dieser Wiederstand, die Sorge oder das besagte Problem an uns anhaften. Statt uns zu verhärten, werden wir weich.
    Lukas zeigt uns dieses Gesetz anhand einiger Körperübungen, die aufzeigen, welche Kräfte in uns zum Vorschein treten, wenn wir vom bewussten Wiederstand ablassen. Denn durch unseren Wiederstand, verlieren wir gleichwohl den Kontakt zu Leben und der Lebendigkeit.
    Lukas schildert in diesem Zusammenhang auch seine Bedenken, was die Ausrichtung der ökologischen Szene angeht. Das ein verbitterter Wiederstand gegen die vorherrschenden Strukturen eine starke Gegenkraft auslösen wird. Und das dabei sehr viel Energie in Reibung und Konflikten verloren geht. Dass unser momentanes Weltbild von Mangel, der durch ungleiche Ressourcenverteilung reproduziert wird, sich auch im Weltbild der ökologischen Gegenbewegung reproduziert statt sich der Sicht der Fülle zuzuwenden und damit den Mangel hinter uns zu lassen. Das die entstehenden Differenzen eine Spaltung und tatsächlich eine Verfeindung hervorbringen wird. Und dass hier das Prinzip der Lebendigkeit und Vielfalt in einem starken Mass verletzt wird.

    So ist auch unsere Ansicht von "Fortschritt" momentan genau auf dieses Ziel ausgerichtet. Wir verändern unsere Umwelt zunehmend in eine Richtung, die immer weniger Lebendigkeit und Vielfalt zulässt, hin zu einer Gesellschaft der Einheitlichkeit und der Reduktion und Abtrennung von allem "Lästigen".
    All dies ist nur ein äusserst grobes Bild, ein erster Kontakt zu einem Weltbild, dass sich mit Worten und Gedanken nur unzureichend verstehen lässt.
    Auch Lukas pflichtet dem bei. Selbst nach Monaten des verstehen wollen, des Austauschs, des Studierens und des Aufzeichnens, blieb ihm diese Welt bis zu einem gewissen Grad unverständlich und fremd.
    Dennoch öffnet sich uns dadurch ein Spalt in eine andere Welt, ein feiner Geruch der nun deutlich wahrnehmbar in der Luft liegt und in uns etwas auslöst, dass wir vielleicht nicht so gut erklären und fassen können aber dennoch ein Gefühl vermittelt. Ich begreife an diesem Abend, dass ein Teil der Essenz der Kogi Philosophie auch bei uns vorhanden ist und sich in diversen Strömungsrichtungen zeigt. Das zwar andere Namen und Bilder davon existieren und dennoch ein innerer Kern vorhanden ist, der dasselbe bezeugt.

    Auch die Gestalttherapie, die zugleich auch eine Lebensphilosophie darstellt, ist darauf ausgerichtet mehr Lebendigkeit und Vielfalt zu schaffen. Auch sie sieht uns als Mensch als nicht fragmentierbares Ganzes in dem Körper, Geist, Seele und Umwelt unweigerlich und untrennbar mit- statt nebeneinander existieren. Sie schafft Verbindung zu allen Vorgängen, die um und in uns stattfinden, schärft unsere Intuition und unsere Bewusstheit, erweitert unsere Wahrnehmung und wirken zutiefst integrativ. Sie führen letztlich dahin, alles als ein untrennbares Gesamtsystem zu verstehen. Mehr Lebendigkeit in unser Leben zu bringen indem wir jeden Augenblick und jede Handlung bewusst im Hier und Jetzt wahrnehmen und vollziehen ohne dabei in Gedanken schon beim nächsten Schritt in der Zukunft zu sein und damit die Gegenwart zu verlieren. Ferner lässt sie uns begreifen, dass unsere Gedanken nicht zwangsläufig das darstellen, was wir als unser "ich" begreifen können. Sie unterstützt dabei alte Muster, Konditionierung und Glaubenskonzepte aufzugeben, die uns nicht mehr dienlich sind und die uns in unserer Freiheit und Entfaltung einschränken. Sie bestärkt uns darin uns dem Fluss des Lebens hinzugeben, Wiederständen mit Weichheit, Sanftheit, Integration und Akzeptanz zu begegnen, statt mit Versteifung und Härte und uns damit von den eigenen Fesseln zu befreien, die uns handlungsunfähig machen und lähmen. Sie ermöglicht uns Zugang zu den Ressourcen und Energien die in Trauer, Wut, Angst aber auch Freude liegen und ermöglicht uns ein tieferes Erleben und Verstehen von diesen Prozessen und uns selbst. In unserer voll Authentizität besitzen wir eine Kraft und Energie, die jede verhärtete willentliche Anstrengung übertrifft.

    Es erinnert mich auch an mein Gespräch mit Anke am Nachmittag und meine eigenen bisherigen Erfahrungen. Sie befasst sich mit Wildnispädagogik und hat die Erfahrung gemacht, dass in Belehrungen keine Kraft liegt, ja dass diese sogar des öfteren zu Wiederstand führen. Das dass Erleben von Verbindung und Kontakt und die Inspiration des "Vorlebens" als viele weichere Methoden dagegen viel verändern können. Auch die Wildnisspädagogik dient der Lebendigkeit. Sie schafft es den Wert der Natur neu zu entdecken, sich selbst als Teil davon zu entdecken und damit auch in die Verantwortung zu kommen. Sie bringt uns in eine grössere, umfassendere Perspektive, in der wir uns nicht mehr als isoliertes Wesen, als Körper und Geist, sondern auch als Bestandteil unserer Umwelt verstehen können. Sie transformiert damit unsere Denkweise und letztlich auch unser Handeln, wenn wir erkennen, dass wir Verletzungen, die wir in der äusseren Welt verursachen, letztlich auch uns selbst zufügen.

    Ähnliche Gedanken erkenne ich auch in der Permakultur. Auch sie dient dem Leben und der Vielfalt. Sie versteht Systeme als Ganzes, ohne Fragmente und uns darin eingebettet als untrennbarer Bestandteil. Sie verbindet unsere Handlungen und unsere Denkweise mit einem System, das offen ist und alles integriert was vorhanden ist. Es sieht die Probleme als Chance, die bereits die Lösung in sich tragen.

    Das Bestreben nach Lebendigkeit und Vielfalt wohnt in uns allen und zeigt sich gerade in jüngster Zeit immer deutlicher. Sie treten in diversen Strömungsrichtungen erkennbar hervor. Wir müssen also nicht die Lebensweise und Philosophie der Kogi übernehmen oder kopieren. Ihre Konzepte wohnen uns bereits intuitiv inne und durchbricht die starre Schale unserer derzeitigen Kultur an zahlreichen Stellen immer wieder. Der Kern dieser Prinzipen ist bereits in uns angelegt und wird durch ein zunehmendes Mass an Bewusstheit immer deutlicher. Dabei ist es gänzlich egal, ob wir die nun Gestalttherapie, Wildnisspädagogik oder Permakultur nennen, denn all diese kleinen Flüsse des Lebens speisen zum Schluss den selben Fluss, den selben Gedanken und dasselbe Prinzip. Das Prinzip der Vielfalt und Lebendigkeit.
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  • Day 28

    Gedankengefängniss

    April 25, 2021 in Germany ⋅ ⛅ 13 °C

    Da ist etwas in mir, dass sich gross anfühlt, wie ein gefüllter und dennoch wolkig leichter Raum unter meiner Haut. Ich spüre eine sanfte Bewegung, ein sich umwälzen, ein wirblen und gleiten. Dieses Etwas in mir ist aufmerksam und wach, nimmt jede Schwingung, jede Veränderung im Raum und verwandelt sie in Empfindungen und Erleben, in Lebendigkeit. Mir ist fast so, als hätte ich einen Schieber entdeckt und hätte diesen in einem Moment der bewussten Wahrnehmung und Neugier nach oben geschoben. Was mag nun geschehen?

    Alles fühlt sich intensiver an. Ich spüre kontaktlose Berührung, ein wohliger Schauer der mich weckend, fast elektrisierend durchfährt. Ich fühle mich frei und wirklich. Als hätte ich ein Stück Realität entdeckt, dessen fehlen mir nur im Fühlen bewusst war. Als hätte sich mein Leben um eine Farbpalette erweitert, als wäre ich zu ungeahnten Tiefen hinabgetaucht, in der sich nun ganz neues Universum für mich erschliesst. Ein Gefühl der Sanftheit ist in mir spürbar und ganz deutlich, als hätte sich ein Nebelschleier gelegt, als hätte sich der Kontakt zu mir verfestigt und würde nun klarer und stärker fliessen. Wieviel deutlicher liegen meine Bedürfnisse nun vor mir. Ich nehme wahr, wenn ich etwas bewusst intensivierte oder unterdrücke aber auch wenn etwas mich überfordert oder überstimmuliert. Ich spüre die Freude und Herzlichkeit, welche andere Menschen umgibt, die Liebe und das Mitgefühl, das sie ausstrahlen. Es lässt mir Tränen in die Augen steigen. Nicht der Trauer, sondern der Berührtheit und der Schönheit, die ich in diesen Gaben und Geschenken verspüre.

    Auch der Weg, der noch vor mir liegt, ist für mich deutlicher zu erkennen, leuchtet fast wie ein Weg aus hellem Kieselstein in einer klaren Vollmondnacht. Es schwingt ein Ja in mir dafür, wie ich hier gerade bin.
    Ein Ja, wie ich es mein Kopf nicht erschaffen könnte, ein Ja ohne Zweifel, ein Ja das sich ganz und vollkommen anfühlt, bedingungslos ist und aus tiefstem Herzen an die Oberfäche dringt. Ich bin hier an diesem Ort, zur richtigen Zeit, mit den Themen die genau jetzt anstehen und den Menschen, die mich darin unterstützen können. Auch fühlen sich die Themen, die oft so verschüttet und schwer erscheinen, etwas leichter an. Als hätte sich der Raum gestreckt und es mir nun möglich macht, sie ausgraben und anschauen zu können. Ich fühle mich wie ein Heisslauftbalon, der noch am Boden ist, aber dessen Gewichte glockert und teilweise abgeworfen wurden, der ein Bedürfniss verspürt zu fliegen.
    Ich sehe deutlicher als sonst, dass auf meinem Weg noch einiges an Balast vorhanden ist, entdecke immer wieder neue Fragmente davon, die angeschaut, integriert, akzeptiert oder abgeworfen werden wollen, die sich bisweilen vor mir versteckt und doch belastet haben. Dass noch einiges an Trauer, Wut, Angst aber auch Freude auf meinem Weg liegt, der mich von den Teilen meiner Vergangenheit befreit, die mich fesselt und hemmt. Dass all diese Teile dazu beitragen, mich selber besser zu spüren und zu verstehen und mich darin bestärken weiter zu wachsen und zu suchen. Sie sind wie ein dunkler Spiegel, in dem ich mich, sofern ich den Mut aufbringe in anzusehen, selbst erkennen kann. Sie sind Schloss und Schlüssel zugleich.

    Mein Kopf ist die Tage ganz still und leer. Er wird für das, was ich hier tue nicht gebraucht. Wie oft war ich in seinem Bann gefangen, war seiner ununterbrochenen Strom hilflos ausgesetzt, wurde überschwemmt von Gedanken, die mir eigentlich nicht dienlich sind und Kreise drehen. Er sollte Werkzeug sein. Wie lange habe ich mich als Sklave gefühlt und nicht erkannt, dass er eigentlich Diener ist. Ich bin mir sicher, dass diese Stimme bald wieder da sein wird, sich aufschwingt und ich mich wieder mit Mühe schwimmend über einen Ozean der Gedanken bewegen werde, dass dieser Zustand der Klarheit und Leichtigkeit verblassen wird. Ich werde diese Fesseln noch oft sprengen, meine neue Rolle noch oft wiedererkennen und wieder verlieren müssen, um am Ende wirklich bei mir sein zu können. Doch nun kenne ich seinen Duft, die Farbe der Tür, die diesen Zugang ermöglicht, kenne das Gefühl und die Möglichkeit einer Welt, in der es anders ist. Ich werde mich daran erinnern. Und es immer und immer wieder versuchen. Ich bin zur Freiheit geboren. Und die Frage ist nicht ob, sondern viel eher wann ich sie mir gänzlich nehmen und erlauben werde.
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  • Day 25

    Gestaltausbildung

    April 22, 2021 in Germany ⋅ ⛅ 10 °C

    Ein Vibrieren liegt in der Luft, durchtränkt den ganzen Raum und jede Pore in mir. Meine Sinne sind gebannt auf das rote. Quadrat in unserer Mitte gerichtet, dem Zentrum der Blicke, dem magischen Stuhl der Transformation. Schon sehr bald wird jemand von uns auf diesem Kissen sitzen und von neuem wird sich ein inneres Universum vor uns entfalten. Eine Welt voller Wünsche, Hoffnungen aber auch beseelt mit Geistern der Vergangenheit und Strudeln aus Schmerz. Hier finden sich glitzernde Schätze, seidene bunte Flügel, die Freiheit und Leichtigkeit versprechen, aber auch beängstigende Schatten und Abgründe des Ekels und Schams. Pulsierende Wunden, die nie verheilt sind und immer noch eitern, die uns Stück für Stück vergiften und unserer Kräfte berauben. An diesem magischen Ort liegt alles was in uns verborgen ist offen und ehrlich vor. Ohne Schmuck und Tand. Aus Schatten wird Licht und so manches Licht wirft im Angesicht der Bewusstheit auch Schatten. Illusionen fallen ab, lösen sich wie Morgennebel auf, wenn wir danach greifen, bersten und legen frei, was wir so lange vor uns selbst versteckt haben. Nur wenn wir hinschauen, wenn wir wachsen, wenn wir zu verstehen beginnen, dann kann Heilung beginnen.
    Wir blicken in Dämonenfratzen und erkennen uns eigenes Gesicht. Wir schneiden ab und würgen aus, was wir dachten, es wäre unser eigens. Wie oft haben wir in der Vergangenheit Dinge geschluckt und integriert die uns schaden, die nicht uns selbst entsprechen, konnten nicht anders, in blindem Vertrauen? Wie oft haben Diener beschworen, die uns alsbald zu Plagegeistern geworden sind? Wie oft stehen wir vor scheinbar massiven Wänden und entdecken dann, dass sie nur aus Nebel bestehen? Fühlen wir uns klein und hilflos und sehen nicht, dass wir es selbst sind, die dem Wachstum entsagen?

    Ich entdecke an diesem Ort, dass das Ich und das Du sich gegenseitig bedingen und dass wir uns so oft und in so vielem ähneln. Das unsere Wunden, Ängste und Sorgen aus dem selben Stoff geschneidert und unsere Geschichten ähnliche Lieder sind. Im erkennen, dass wir damit nicht alleine sind, liegt eine grosse Kraft. Ich sehe Menschen über Schatten steigen, die mir selbst zu gross und zu hoch erschienen. Es erfüllt mich mit Mut und Kraft. Und mehr und mehr fühle ich mich bereit, sie ebenfalls zu erklimmen.
    So viele Fesseln haben wir uns selber angelegt oder breitwillig anlegen lassen. So vielen Ideen und Vision entsagt, weil uns andere klein machen wollten, weil sich andere selber klein sehen und sich verboten zu träumen. Wir haben Regeln aufgesaugt, was sich gehört und Anleitungen gelesen, nach was wir streben sollen, was ein gutes Leben ausmacht und Glück bringt.
    Wie schmerzlich muss ich jetzt erkennen, dass alles nur Kulisse war. Trugbilder, deren Goldschicht schon bei näherer Betrachtung abblättert, wenn wir nur hinsehen und hinfühlen. Das Licht der Ehrlichkeit macht mir Angst, lässt meine Welt in seinem Fundament erbeben und zerbröseln. Wo kann ich mich noch festhalten, wenn meine Welt zergeht, weich wird wie Wachs? Ich entschwebe in einen leeren Raum, wirble umher, weiss weder oben noch unten. Alles ist schwarz im Raum des Todes (oder der Geburt?). Dann endet der Tunnel und Licht bricht durch die Dunkelheit. Ich habe mich durch einen Trichter gequetscht, der immer enger geworden ist, bis ich dachte, ich müsste stecken bleiben. Nun wird alles weit und gross. Eine neue Welt entfaltet sich vor meinen Augen. Sie ist erfüllt von Düften, Farben und Gerüchen, von Leben und von Freiheit. Die Welt in mir ist weiter und grösser geworden, ist ein Stück in Richtung Unendlichkeit gerückt. Diesmal fühlt sich echt an, blättert nicht ab. Und ich erkenne: Es gibt sie, die Welt hinter den Illusionen der Gesellschaft und Kultur. Sie liegt in uns. In jedem von uns. Und sie war schon immer und wartet geduldig darauf von uns entdeckt zu werden. Doch dafür müssen wir uns verpuppen und der Dunkelheit und den Scherzen stellen. Es gibt kein Weg, der daran vorbei führt, wenn wir in diese neue Welt gelangen wollen.
    Sei mutig Wanderer und nimm die Fackel der Erkenntnis auf. Denke daran: Du kannst diesen Weg Schritt für Schritt gehen. Pausen machen, so oft und so lange Du willst. Du musst ihn nicht gehen, es steht Dir frei. Aber Du kannst, wenn Du willst. Und ich verspreche Dir aus tiefstem Herzen, dass die Welt dahinter, die Du findest, jedes Leiden und jeden Schmerz wert ist. Das sich der Preis lohnt, ja sich oft sogar als Geschenk entpuppt. Und wenn Du im Morast zu versinken drohst, wenn Du im Angesicht der Angst fast vergehst, dann bist nahe am Ende des Tunnels. Dann rufe laut, denn da werden Gefährten sein, die Dich stützen, die Dich ermutigen, die Dir Kraft und Trost spenden. Wir müssen unseren Weg zwar auf unseren eigenen Füssen gehen, Schritt um Schritt, aber wir sind dabei nicht alleine. Und wenn wir den Weg einmal gegangen sind, so können wir Beleiterinnen werden, für unsere Gefährten. Dann werden wir die Ängste und Schatten als das erkennen, was sie sind und können in ihrem Angesicht aufrecht stehen und Kraft und Mut spenden. Bis irgendwann alle den Weg in die neue Welt gefunden haben.
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  • Day 22

    Unsere Ressourcen nutzen

    April 19, 2021 in Germany ⋅ ☁️ 5 °C

    Es ist erstaunlich und berührend, wie wenige Worte einen Raum und die Menschen, die sich darin befinde verändern können. Wie Verstocktes ins Fliessen kommen kann, wenn der angestaute Druck an einer Stelle entweichen kann. Wie ein Aufatmen stattfindet und Platz schafft für Kreativität und Träume.

    Sich den eigenen Ressourcen bewusst zu werden bemächtigt und verlangt manchmal auch viel Vertrauen. Seine Ressourcen anzubieten, sei es Wissen, Zeit oder Geld ist auch mit einem loslassen der derzeitigen eigenen Machtposition, des Ungleichgewicht, verbunden. Jedes Mal wenn wir diesen Schritt hin zum Vertrauen gehen, wird es einfacher. Wieviel von dem was ich an eigenen Ressourcen besitze ist wirklich mein? Hat uns nicht im umfassenderen Sinne die Gesellschaft und unser Umfeld zu diesem Ressourcen verholfen? Sind sie also nicht ein Stück Allgemeingut zu verstehen? Auf alle Fälle können wir, wenn wir ein Bewusstsein dafür entwickeln und lernen unsere Ressourcen in einem grösseren Kontext zu sehen, Menschen befähigen ihre Lebenstäume zu leben und ihnen ermöglichen eigene Ressourcen aufzubauen. Es der Anstoss um die Hügelkuppe zu erreichen, die dann die Energie einer Talfahrt freisetzt.

    Gleichwohl ist es in unserer Welt immer ein Wagnis und nicht frei von Risiko, die eigene vorteilversprechende Position aufzugeben. Es braucht Vertrauen und einen etwas anderen Blick auf die Welt, der auf Verbindung statt Konkurrenz baut. Wer einem schmalen Bergpfad wandert um diese neuen Perspektiven zu finden, kann im unbekannten Gelände leicht abrutschen und ist vor Verletzungen nicht sicher.
    Doch was ist Erfolg und Misserfolg überhaupt? Wir lernen auf unserem Bildungsweg und in unserem Alltag oft das Sieger erfolgreich sind und Verlierer scheitern. Wie oft wird heute damit geworben eine freie "Fehlerkultur" zu leben? Und wie oft wird diese tatsächlich gelebt?
    Damit wirklich ein stabiler Baum einer neuen Kultur, ein tiefes Verstehen daraus erwachsen kann, bedarf es einer tiefen Wurzelbehandlung und nicht nur dem übermalen des Stamms und der Blätter mit neuen Farben. Eine solch tiefgreifende Veränderung braucht Zeit, viele kleine positive Erfahrungen und viel Reflektionsarbeit.

    Scheitern ist schlecht. Scheitern heisst versagen. Versagen heisst ein Verlierer zu sein. Scheitern bedeutet eine Verschwendung von Energie und Ressourcen. Bedeutet stagnieren. Das jedenfalls habe ich all die Jahre durch Bildung und die kulturelle Prägung tief verinnerlicht. Es oberflächlich zu behandeln und mit schnörkligen Worten zu überdecken ändert nichts an den tiefen Wurzeln dieses Glaubenssatzes. Und es fällt mir ernstlich schwer, mich von diesem tief eingekerbten Denkmuster zu befreien.
    Es stellt sich in diesem Prozess die grundlegende Frage, ob unsere bisherigen Definitionen von Erfolg und Scheitern dafür nicht komplett ausgetauscht werden müssten, da sie unweigerlich mit diesem alten Glaubenssätzen verwoben sind.

    Etwas zu neues wagen, also flüssig zu werden, bedeutet immer die eigene Konfortzone zu verlassen, mich meinen Ängsten und meiner Geschichte zu stellen. Das kann schmerzvoll oder zumindest sehr unangenehm sein, aber ich kann daraus auch einiges Neues über sich selbst erfahren. Hat etwas Altes aufzugeben nicht immer auch eine sehr befreiende und lösende Komponente?
    Wer aus Intention der Angst handelt, etwas verlieren zu können, hat aus meiner Erfahrung nicht die selbe Energie und Ausstrahlung wie eine Mensch, der in der Fülle und im Vertrauen handelt. Angst blockiert und schafft einen sehr engen Blickwinkel, der keine Kreativität und Leichtigkeit zulässt. Handlungen, die aus Angst entstehen fühlen sich oft eng an und berauben uns unserer Lebendigkeit und Freude. In wievielen meiner täglichen Handlungen werde ich von Angst geleitet oder getrieben? Wie oft fühle ich mich zu etwas gezwungen, dass mir eigentlich wiederstrebt aber fühle mich zugleich ohne Alternative? Wie oft bin ich wirklich im Vertrauen?

    Ich freue mich auf alle zukünftigen Chancen mit meinen Ressourcen Räume der Möglichkeit zu schaffen, eigene Erfahrungen des Vertrauens zu sammeln und andere auf ihrem Weg zu unterstützen. Damit lasse ich zugleich meine Wurzeln für meine neue Art des Denken wachsen. Ich möchte mein Bewusstsein darauf schärfen, die Intention meiner Handlungen besser zu verstehen und mehr und mehr auf Vertrauen statt Angst zu bauen. Ganz ohne dabei die Weitsicht zu verlieren und kritische Gedanken ausszuschliessen, sondern auch ihnen einen ehrlichen Platz im Prozess zuzuweisen.

    Auf diese Weise können wir unsere Rolle als aktive/r Spieler/in erfahren und uns aus der passiven Rolle des Spielballs befreien, in der wir uns so oft im globalen Kontext überwältigt und entmutigt fühlen.
    Ein Schritt, der die Basis bilden kann für all die Veränderungen, die auf dieser Welt gerade unweigerlich anstehen, sofern wir uns selbst als Menschheit eine zukünftige Existenz ermöglichen wollen.
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  • Day 21

    Der Wanderer im Kokon

    April 18, 2021 in Germany ⋅ ☁️ 7 °C

    Gestern Abend habe ich durch Inga einen Abschnitt in einem Buch entdeckt. Das dazugehörige Werk zieht hier im Haus grosse Kreise, ist viel unterwegs und zumeist nicht auffindbar. Ich muss auch zugeben, dass es eigentlich sehr wenig mit den Büchern gemeint hat, die ich sonst den Weg in meine Hände finden. Meine Neugier wird aber durch zwei spannend Verknüpfungen geweckt.
    Ich habe mich vor einigen Tagen mit Juli, über das Schreiben unterhalten. Darüber, welche Bedeutung Worte für mich haben und wie wichtig und befreiend die Fähigkeit ist, mich ausdrücken zu können.
    Er hat mir daraufhin die Geschichte von Pierre Lischke erzählt, der mit einer Schreibblockade in die Wanderschaft aufgebrochen ist und nach langer Zeit hier in der Villa seinen Abschluss gefunden hat. In diesem Haus hat sich seine Blockade nur ein Tag nach Mary Olivers Tod aufgelöst und er hat viele Tage damit verbracht alles aufgestaute und gesammelte, das sich in ihm wie Wasser in einem Damm angesammelt hatte, aus auf Papier fliessen zu lassen. In dieser Zeit sind drei Bände entstanden. Einer davon heisst "Wandern im Kokon". Ein Zufall?

    Das Buch welches vor einigen Tagen, den Weg in meine Hände gefunden hat, trägt den schönen Titel "Natur und Menschenseele".
    Ich bin ziemlich sicher, dass Pierre einst ebenso darin geblättert und gelesen hat, heisst doch das Kapitel, dass auf die Lebensphase der meisten Menschen hier zutrifft "Der Wanderer im Kokon"
    So begegnet mir sowohl bei Pierre wie auch in diesem Buch abermals Die Geschichte über die Entwicklung des Schmetterlinges.

    Es ist spannend was hier steht, trifft es doch tatsächlich einen wahren Kern. Das zurücklassen einer scheinbar gefestigten Struktur. Das bewusste aufgaben seines Platzes in der Gesellschaft, den wir uns vielen Jahren mühselig aufgebaut habe. Der Wunsch einen anderen, authentischeren Weg zu finden und den bisherigen Pfad zu überprüfen oder zu überwinden. In unserer westlichen Kultur löst ebendies manchmal ein heftiges Kopfschütteln aus. Vorallem dann, wenn diese Phase erst sehr spät eintritt. Wieso einen Platz aufgeben der Sicherheit und Status geboten hat? Der ein ruhiges, von Existenzängsten überschattetes Leben ferngehalten und eine materielle Fülle ermöglicht kann? Wieso buchstäblich wieder auf Feld 1 zurückzukehren?

    Das Buch äussert dazu etwas, dass ich auch schon in mit gespürt habe. Dieser alte Weg, den ich nun verlassen möchte ist ein Konstrukt aus gesellschaftlichen Glaubenssätzen und Erwartungen. Es entspricht dem, was ich "vernünftig" genannt hätte und hat seine Wurzeln im Verstand, der Ratio und nicht in Herz.

    Mein bisheriges Leben ist vergleichbar mit einem Nest. Es war warm, es bot einiges Unterstützt von aussen. Ich war nie allein war dadurch aber es war auch vielen Einflüssen und Prägungen ausgesetzt. Es war begleitet und ich hatte einen klaren Platz, eine klare Struktur, die durch die Gesellschaft bereits gegeben war.

    Eines Tages spüren wir den starken Drang, dieses Nest zu verlassen. Und damit taucht die Frage auf: Wer bin ich eigentlich? Und wo ist mein Platz? Uns wird mehr und mehr bewusst, dass wir uns im Nest nicht selber erkennen können. So spinnen wir uns ein und lösen uns Stück für Stück von unserer alten Form. Wir spüren Angst vor dieser Auflösung. Was ist es, dass wirklich bleibt? Wir werden flüssig und erkennen erschreckt, wie wenig wir von dem kennen, was wir tatsächlich sind. Wir spüren aber auch, dass eine solch verflüssigte Form eine grosse Chance ist. Dass sie die Möglichkeit bietet fast alles zu werden. Wir entdecken dabei unser eigenes kleines Universum.

    Die Frage die uns dabei immer wieder durch den Kopf geht lautet: Werden wir den Weg finden?
    Wir, in unserem Kokon alleine auf uns gestellt, entdecken Welten und Wunder, aber auch Schrecken und Schatten. Wir können uns für dieser Reise auch neue Gefährt*innen suchen, die am selben Punkt stehen. Aber manchmal sind wir gar ganz alleine.

    Diese Suche macht mag so manche Angst, Trauer und Verzweiflung mit sich bringen, aber auch Freiheit, Kreativität und Selbstvertrauen.
    Wir ergründen die Andeutung verschiedener Wege, die uns einmal ganz diffus, mal klarer erscheinen. Ein wispern im Wind, ein leuchtender Kiesel im dunklen Wald. Unsere innere Reise birgt viele Wunder und ein tieferes Verstehen von uns selbst. Wir entdecken Neugier noch einmal neu, spüren eine Fülle an Lebendigkeit und möglichen Abenteuern in uns. Bis wir eines Tages jene Spur finden, jenen Funken erkennen, bei dem wir bis in unserer tiefstes inneres spüren, dass es jener sein wird, der uns in unsere Form führt. Dann packen wir unseren Wanderstock fest mit unseren Händen und durchbrechen die Seidenhülle, die uns umgibt, in der Gewissheit und im absoluten Vertrauen, nun zumindest die Richtung zu kennen, in die es uns zieht.
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