Von Flensburg zur Zugspitze

April - June 2022
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    Tag 4: Von Blank-Eck nach Burg / Fehmarn

    April 13, 2022 in Germany ⋅ ☁️ 13 °C

    Was für eine Nacht! Was für eine bescheuerte Idee bei diesen Temperaturen im Zelt zu schlafen! Und dabei waren wir beim Schlafengehen noch so optimistisch und lachend in unsere Schlafsäcke gekrochen. Mein angeblich bis 5 Grad warmer Schlafsack würde mir ja eine kuschelige Nacht bescheren (und zur Sicherheit habe ich ja auch noch die Thermounterwäsche und mein Merino-Longsleeve an) .
    Haben wir überhaupt geschlafen? Schon nach ner halben Stunde die erste, kurz danach die zweite warme Jacke. Dann die warme Radhose, alle Socken, die ich dabei habe, und gegen Morgen auch noch die Handschuhe....Katja geht es trotz Ganzkörperwollanzug, den sie beim Moped-Fahren nutzt, nicht wirklich anders. Immer wieder schnattern wir uns vor Kälte gegenseitig wach, dabei uns manchmal auch ob unserer Naivität angrinsend. Als dann endlich die Sonne aufgeht und voller Güte tatsächlich auf unser Zelt strahlt, genießen wir erstmal die aufkommende Wärme. So schnell bekommt uns keiner aus dem Zelt! So quatschen wir uns fest und unser Plan, früh in den Tag zu starten, wird gerne vergessen. Ist aber auch kein Problem, denn noch so eine Nacht..., ne, auf keinen Fall. Ein Hotel wird es sein! So wird es dann richitg spät mit unserer Abfahrt (auch das mit dem Zeltabbau muss noch geübt werden...).
    Schnell noch eine Unterkunft auf Fehmarn gebucht und dann kann es losgehen- denkste! Osterferien! Alles ist ausgebucht oder unbezahlbar. So verrinnt die Zeit, aber dann sind wir doch noch Glückskinder. In der Nähe von Burg/Fehmarn finden wir ein schnuckeliges kleines Hotel. Gebucht und los geht's.
    High-Noon! Wir kommen in Heiligenhafen an und das Glockenspiel am Rathaus begrüßt uns herzlich mit einem Seemanslied. Schnell noch die Fahrräder abgestellt, um beim nächsten Bäcker endlich zu frühstücken. Unser Bärenhunger lässt uns schnell etwas finden und so wird bereits um 12:08 Uhr unsere Bestellung aufgegeben. - Aber - "Es ist nach 12, es gibt kein Frühstück mehr!!.... ach, und Brötchen haben wir auch nicht mehr....und eine Steckdose fürs Aufladen der Powerbank haben wir nicht." Ziemlich sprachlos machen wir uns daraufhin auf die Suche nach netten Menschen in Heiligenhafen. Und die gibt es! Mit viel Liebe wird uns von "PUCK- meinem Ostseebäcker" ein herrliches Frühstück kredenzt. Erst gegen halb zwei kommen wir dann endlich in die Puschen und starten die heutige Tour.
    Und sofort kommen Kindheitserinnerungen hoch. Immer wenn meine Eltern mit uns in Richtung Fehmarn fuhren, bekam derjenige das erste Eis, der zuerst "die Brücke" sah. Tja, was soll ich sagen, Katja bekommt das Eis.
    Die Fehmarnsundbrücke (sie hat eine Länge von 963 Metern) mit dem Fahrrad zu überqueren ist schon ein besonderes Erlebnis. Wir haben einen fantastischen Ausblick über die Ostsee, den man so mit dem Auto niemals haben würde. Ein purer Genuss, und der Wind meint es auch gut mit uns....
    Auf der Insel angekommen, wissen wir nicht so recht weiter. Ein bissl hilflos stehen wir rum, als wir von einer Fahrradfahrerin angesprochen werden. Sie erzählt uns, dass sie letzten Sommer mit ihrer Freundin mit dem Fahrrad von Fehmarn zu den Alpen gefahren ist. 14 Tage hatten sie Zeit..., jeden Tag 100 km... Gibt es Zufälle???
    Von ihr bekommen wir dann den Tipp, "links um die Ecke" auf den Deich zu fahren. Fortan wird die Inselrundfahrt perfekt. Drei Stunden lang links die Ostsee, rechts Wiesen und Felder, phänomenal! Und was werden wir mit einer reichen Vogelwelt belohnt. Überall piept, zirpt, kreischt und schreit es. Die Brutzeit ist in vollem Gange und auch schon etliche Zugvögel sind zu sehen.
    Plötzlich zwischen den Dünen ein Grabstein??? Nein, ein Gedenkstein! Jimi Hendrix war hier! Wir stehen auf dem Gelände des "Love-and-Peace-Festivals" vom 4. - 6. September 1970. Es sollte Jimis letzter Auftritt werden. Nur wenige Tage später, am 18. September 1970, starb er in London auf dem Weg ins Krankenhaus an einer Überdosis Schlaftabletten...
    Von Puttgarden, wo eine Fähre nach der anderen den Hafen verlässt, geht es dann wieder in den Süden, nach Burg. Unser Hotel begrüßt uns mit einer wunderbar heißen Dusche und herrlichen Betten! Gerade genieße ich es darin zu liegen und draußen den Regen zu hören....
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  • Day 7

    Tag 5: Von Burg nach Rosenfelder Strand

    April 14, 2022 in Germany ⋅ ⛅ 12 °C

    Nach einem wunderbaren Frühstück geht unser Weg nochmals zurück an die Ostküste Fehmarns. Warme 15 Grad und Rückenwind lassen die Räder fast von alleine rollen. Die Ostküste zeigt sich rau und touristisch kaum erschlossen, auf mich wirkt sie sehr ursprünglich, natürlich. Wir genießen und radeln, jeder seinen Gedanken nachhängend, längere Zeit einfach so dahin. Es fällt echt schwer, diese besondere Stimmung mit Photos festzuhalten, was vielleicht auch gar nicht so wichtig ist. Das Gefühl bzw. die Erinnerung bleibt bestimmt auch so erhalten.
    Recht ruppig werden wir aus dieser Stimmung herausgerissen, als wir im Bereich des Südstrands mit Betonhochburgen, einem riesigen Ferienzentrum und den vielen anreisenden Ostertouristen konfrontiert werden. So fällt es uns dann auch nicht schwer, diese wunderschöne Insel, auf der angeblich 2200 Stunden im Jahr die Sonne scheinen soll, wieder über die Fehmarnsundbrücke zu verlassen und unser heutiges Ziel, den Rosenfelder Strand, anzusteuern.
    Während wir so dahinradeln wird mir plötzlich bewusst, dass Ängste, die ich unterbewusst wohl doch hinsichtlich meines Vorhabens hatte, regelrecht von mir abfallen. Wie gut ist es, so wird mir klar, dass ich die ersten Tage nicht alleine verbracht habe. Ich konnte so manches, was mich unsicher machte, teilen bzw. mitteilen. Das tat unendlich gut, das hat mir große Sicherheit gegeben. Jetzt kann es auch alleine weitergehen, was morgen zum ersten Mal so sein wird.
    Allerdings werde ich Katja sehr vermissen, die heute von ihrem Ulf wieder abgeholt wurde. Es waren superschöne drei Tage mit ihr.
    Wie schön ist es aber auch, dass ich heute bei Helmut im Womo schlafen kann. Wir wollen die Ostertage in Travemünde verbringen...er ist einfach schon einen Tag früher gekommen...Also auf nach Travemünde!
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  • Day 8

    Tag 6: Von Dahme nach Travemünde

    April 15, 2022 in Germany ⋅ ☁️ 10 °C

    Irgendwie ist es schon seltsam. Niemals käme ich zuhause auf die Idee bei 6 Grad und Nieselregen eine Radtour zu machen. Und heute? Ich denk überhaupt nicht darüber nach, ich mach es einfach. Und als es in Strömen anfängt zu regnen, bin ich nicht sauer oder frustriert oder denke schlimmstenfalls an Abbruch sondern freue ich mich über die super Funktion meiner Regenklamotten. Es ist schon faszinierend, was ein Vorhaben, auf das man sich schon soooo lange gefreut hat, für positive Energien freisetzt.
    Und ich stelle fest, dass auch ein solches Wetter (zumindest an der Küste) eine ganz besondere Stimmung hervorbringt. Das undeutliche sich im Regen brechende Licht, das der Wind scheinbar vor sich hertreibt, die eng zusammenstehende Schafherde mit den vielen gerade geborenen Osterlämmern, die über dir kreisenden kreischenden Möven.... ich kann mich total darauf einlassen und mich daran erfreuen.
    Es erfreut mich allerdings auch, dass ich heute völlig ohne Gepäck (es ist im Womo geblieben) reisen kann. Der heftige Rückenwind treibt mich regelrecht voran und so passiere ich fast im Eiltempo die Seebäder Kellenhusen, Grömitz, Neustadt in Holstein und Sierksdorf. Und je weiter ich mich Travemünde nähere, werden die Bäder mondäner und gleichzeitig überfüllter. In Scharbeutz treffe ich mich mit Helmut, der mir von Travemünde entgegengefahren ist, und wir müssen uns durch die Touristenmassen schieben und schlängeln. In Timmendorf ist fast überhaupt kein Vorankommen mehr möglich. So sind wir total froh, als uns der Radweg auf die Brodtener Steilküste unmittelbar vor Travemünde führt. Den meisten ist der Weg wohl zu steil und vielleicht auch zu gefährlich (etliche neu hinzugekommene Steilküstenabbrüche sind nur provisorisch gesichert, teilweise ist der Weg zur Hälfte weggebrochen), so dass wir nur noch wenigen Spaziergängern begegnen.
    Von dort ist es dann auch nicht mehr weit bis zu unserem Campingplatz, wo wir bis Ostermontag bleiben werden.
    Ich spüre auch, dass ich ein bissl Zeit zur Regeneration brauche. Die Pause wird mir nach 6 Tagen Fahrt bestimmt gut tun.
    Es ist so schön, so viele Liebe Nachrichten und gute Wünsche von euch zu erhalten! Dankeschön!!!
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  • Day 10

    Tag 7/8 Pause in Travemünde

    April 17, 2022 in Germany ⋅ ☀️ 10 °C

    Nur Faulenzen, von der Sonne in einer windgeschützten Ecke verwöhnt werden und die Seele baumeln lassen, herrlich!!!
    Und viel mehr machen wir die beiden Ostertage auch nicht. So bummeln wir durch Travemünde und besuchen Helmuts Schwester Babsi und ihren Hans auf deren Segelboot. Es liegt direkt am Priwall vor der Seniorenresidenz Rosenhof.... ob das wohl was zu bedeuten hat? 🙈😉
    Standesgemäß schlürfen wir den "Bordsekt", während wir den beiden beim Arbeiten (das Boot ist gerade aus dem Winterlager gekommen) zugucken. So sanft schaukelnd auf das Wasser blickend, die frische Meerluft um die Nase wehend und die ein-und abfahrenden Segler bei ihren Manöver beobachtend bekomme ich Fernweh.
    So ist es auch gut, dass es morgen Richtung Hamburg zu meiner Tante Antje weitergehen wird - und das, so wird es versprochen - bei herrlichstem Wetter 😄
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  • Day 11

    Tag 9: Von Travemünde nach Reinbek

    April 18, 2022 in Germany ⋅ ☀️ 12 °C

    Der Frühling kommt! Das sagt zumindest unser Campingnachbar. Der Vollmond sei vorüber, somit gebe es keine kalten Nächte mehr und alles werde jetzt erblühen.
    Als ich heute morgen um 09:00 Uhr starte, glaube ich ihm nur bedingt, denn trotz strahlenden Sonnenscheins ist es noch ziemlich kalt. Das ändert sich im Laufe des Tages allerdings schlagartig. Nach und nach ziehe ich die wärmenden Sachen aus, bis ich tatsächlich nur noch im T-Shirt und kurzer Radhose fahre. Was für ein Genuss!
    Am kühlen frühen Morgen geht es erstmal in Richtung Lübeck. Über der Trave liegt noch der feuchte Nachtnebel, ein paar Angler haben bereits ihre Angeln ausgeworfen und ein doch etwas genervter Vater von Drillingen versucht gerade, allen gleichzeitig ihr Fläschchen zu geben. An so einem Ostermontag-Morgen ist es ansonsten aber menschenleer und ich beobachte die Enten und Gänse auf dem Wasser, bemerke große Schwärme von laut schimpfenden Spatzen und kämpfe mit den ersten Mückenschwärmen (Mücke schmeckt immer noch nicht....).
    Was ist Lübeck für eine wunderbare Stadt! Die vielen alten wunderbar erhaltenen Gebäude (das Rathaus stammt aus dem Jahr 1230), die gotischen Backsteinkirchen, die fast vollständig erhaltenen ebenfalls aus Backstein erbauten Kaufmannshäuser in den Seitenstraßen (hier Gruben genannt) und natürlich das Holstentor geben Lübeck den besonderen Charme einer alten Hansestadt. Ich denke, sie hat mit Recht den Titell "Unesco Welterbe".
    Und ich habe in ihr meine ersten polizeilichen Schritte im Rahmen meiner BKA-Ausbildung gemacht! Ein Jahr durfte ich hier verbringen, im heutigen "Haus der Kulturen". Aber im Jahr 1980 war in dem aus dem 17. Jahrhundert stammenden Bau (es wurde ehemals als Waffenlager und später als Wollmagazin genutzt) noch die Kriminalpolizei untergebracht. Ich erinnere noch den Geruch der feuchten Wände und die herrlichen alten Holzdielen, die bei jedem Schritt knartschten.
    Noch ein kurzer Abstecher zu Niederegger (Marzipan schmeckt immer...) und dann radel ich durch die ostholsteinische Hügel- und Seenlandschaft weiter in Richtung Hamburg.
    In dem kleinen Ort Labenz sehe ich dann einen Hinweis auf eine alte Wassermühle, dem ich gerne nachfahre. Ich gelange zu einem liebevoll gestalteteten alten Hof mit alten mit Blumen verzierten Gerätschaften, einem Teich mit kleinem Wasserfall und einem alten Backhaus. Und kurze Zeit später lerne ich dann auch die Besitzerin kennen. Ich habe mir gerade ein wunderschönes sonniges Plätzchen gesucht, als sie mir "einfach so" ein Stück Marzipantorte und einen Kaffee vorbeibringt. Sie erzählt mir, dass sie zusammen mit einer Freundin erst vor wenigen Jahren die alte Mühle gekauft und wieder in Betrieb genommen hat. Jeden Sonnabend gebe es aus dem Mehl der Mühle gegen eine kleine Spende frisch gebackenes Brot. Wer nichts habe, bekomme das Brot auch schon mal geschenkt...
    Ach ja, und Männer brauche sie nicht auf dem Hof. Sie sei seit 11 Jahren Witwe und das sei auch gut so, Vor einiger Zeit habe sie es noch mal mit "einem" probiert, aber der habe ihr auch immer nur sagen wollen, was sie zu tun und zu lassen habe....
    Nach dieser so netten und interessanten Begegnung, geht es für mich weiter durch die immer grüner und blühender werdende Landschaft bis ich auf einen alten Bahndamm gelange. Auf ihm radel ich die letzten 20 km bis nach Reinbek, einer kleinen Stadt am östlichen Rand von Hamburg. Dort bleibe ich bei meiner Tante Antje. Morgen geht`s dann in Richtung Elbe, dann erstmals ohne festes Ziel....
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  • Day 12

    Tag 10: Von Reinbek nach Lauenburg

    April 19, 2022 in Germany ⋅ ☀️ 12 °C

    Die kommende Nacht werde ich doch tatsächlich auf dem Wasser verbringen! Ich hab mir einfach ein Boot gemietet und das Heck mit seinem schönen Sitzplatz erst verlassen, als die letzten Sonnenstrahlen verschwunden waren. Dabei merke ich, wie ich immer mehr loslasse und nicht ständig über irgend etwas nachdenke. Es tut so gut, einfach mal wirklich nichts zu tun.
    Das Boot ist wohl schon älter, aber es ist sehr urig und supergemütlich hier an Bord und dank Dieselheizung ist es auch kuschelig warm.

    Und ich hatte wieder einen superschönen Tag. Gestern abend ist es bei Sekt und viel Spaß verdammt spät mit meiner Tante Antje geworden und so komm ich heute morgen nur trödelig in die Puschen.
    Von Reinbek ist es durch die Marschlande nicht allzu weit bis an die Elbe, die ich bei dem kleinen Ort Howe erreiche. Dort erreiche ich auch die Vierlande, deren Obst und Gemüse schon seit Jahrhunderten auf den Hamburger Märkten verkauft werden. Auch soll der Blutegelhandel im 19. Jahrhundert ein wichtiger Erwerbszweig gewesen sein....Als ich beim Zollenspieker Fährhaus auf die Elbfähre warte, komme ich mit einem älteren Ehepaar ins Gespräch. Ist schon irre, was es für nette und spontane Menschen gibt. Als ich ihnen erzähle, dass ich keine festen Etappen geplant und keine Unterkünfte gebucht habe, laden sie mich gleich zu sich nach Hause in die Lüneburger Heide ein. Leider führt mein Weg dann dort doch nicht entlang....
    Auf dem Westufer der Elbe fahre ich kilometerlang am Deich entlang und habe wunderschöne Ausblicke auf den hier schon sehr breiten Strom. Auch die ersten Elbstrände sind zu sehen und die Gezeiten sind bis hier sichtbar. So gibt es tatsächlich Bereiche mit Watt! Dann entdecke ich auf den Dächern der alten aus Backstein erbauten und mit Reet gedeckten Gehöfte gefühlt Unmengen an Storchennestern. Und was ist da los! Immer wieder kann ich an- und abfliegende Störche beobachten, die ganz sanft und ohne Geräusche durch die Luft gleiten. Und im Vorbeifahren erfährt man sogar, wieviele Jungvögel in den letzten Jahren in dem Horst großgezogen wurden, so 2 bis 3 waren es demnach immer.
    Aber nicht nur über die Störche und die vielen anderen Vögel der Elbmarsch wird man informiert sondern auch über die Besonderheiten der Landschaft, so auch über die Auwälder. Das sind spezielle Überschwemmungsgebiete, die, wie leider so vieles, zu den besonders bedrohten Lebensräumen gehören. Während ich so vor einem Hartholzauwald stehe und die urwaldähnliche Landschaft entdecke, werde ich von einer alten Frau angesprochen, genauer gesagt von hinten beschallt: Der Wald gehe sowieso kaputt, von dem sei beim nächsten Sturm nichts mehr da. Und wer weiß, wann sie noch da sei, immerhin sei sie schon 88. Kurz bevor die Grenze geschlossen worden sei, sei sie in die Elbmarsch gekommen. Mit 14 habe dann ihre Mutter zu ihr gesagt: "Nix mehr Schule, jetzt wird gearbeitet". 1958 habe sie dann geheiratet und sei schwanger geworden. Ihr Mann habe aber keine Kinder gewollt, "aber was steckt er dann sein Ding auch bei mir rein..". Tot sei er seit vielen Jahren auch schon, "war wohl die Strafe Gottes".... Mir gelingt es nur bedingt, charmant weiterzukommen, irgendwie tut mir die alte Frau auch Leid. Was muss sie für ein Leben gehabt haben!
    In einem Waldgebiet kurz vor Lauenburg, in Tesperhude, fahre ich einem Hinweis zu einem "Totenhaus" nach. Tatsächlich ist es eine 3200 Jahre alte Grabanlage einer Frau mit einem Kleinkind. Spannend ist, dass es zu dem Grab eine mündliche Überlieferung gibt, die als älteste zuverlässig bewiesene Sage in Mitteleuropa gilt: "In disen Barg liggt een Scheiterhupen. Door hebbt in olen Tiden grote Füer brennt." Als Beleg gelten entsprechende archäologische Funde.
    Bevor ich dann mein Boot aufsuche, schlendere ich noch durch die wunderschöne mittalterliche Altstadt Lauenburgs und bewundere die Skulptur des Rufers - am Ufer der Elbe.
    Jetzt freue ich mich auf eine sanft schaukelnde, vom leisen Elbplätschern begleitete Nacht...
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  • Day 13

    Tag 11: Von Lauenburg nach Dannenberg

    April 20, 2022 in Germany ⋅ ☁️ 15 °C

    Heute war nicht so ganz mein Tag. Es fing schon damit an, dass ich keinen Strom mehr auf dem Schiff hatte und meine Handys sowie die Powerbank nicht geladen waren. Tja, es hätte mir ja auch jemand erzählen können, dass es eine Stromsäule im Hafen gibt, in die man Münzen werfen muss. Ohne Strom auch keine Heizung...
    Egal, Problem gelöst, noch kurz gefrühstückt und dann los.
    Das Wetter ist heute trübe und kühl, lange Abschnitte des Radweges führen mich weg von der Elbe ins sehr eintönige Hinterland, auch hatte ich in den Tagen zuvor schon fast vergessen, dass es auch Gegenwind gibt....Bei ner kurzen Rast stelle ich dann fest, dass ich mein Fahrradschloss entweder verloren, oder am Schiff vergessen habe....meine Klingel geht kaputt...und ich bin zu blöd, ne Unterkunft zu mieten.
    Vom Boot ins Wohnmobil, super, dachte ich mir, als ich meine nächste Unterkunft im Hafen von Dannenberg buchte. Aber nur so lange, bis ich per Mail vom Hafenmeister bestätigt bekam, dass noch etliche Stellplätze frei seien. Ein kurzer Anruf und es war klar, dass ich einen Stellplatz gebucht hatte... ohne Wohnmobil...Also, alles storniert und zum Glück in Dannenberg ein kleines Hotel gefunden.
    Zu diesem Tag passt auch, dass ich an vielen schicksalsträchtigen Orten vorbeikomme. Schon seltsam, dass ausgerechnet heute der 20. April ist... Nach dem Hinweis auf ein Außenlager des ehemaligen KZ Neuengamme radel ich durch die Göhrde (das größte zusammenhängende Mischwaldgebiet Norddeutschlands), in der 1989 zwei Doppelmorde verübt wurden und die Schwester des damaligen Hamburger Polizeipräsidenten Wolfgang Sielaff spurlos verschwand. Der Stoff der Göhrde-Morde und deren 30 Jahre spätere Aufklärung wurde übrigens absolut sehenswert in der NDR-Dokumentation "Das Geheimnis des Totenwaldes" verfilmt.
    Nach meinem Wechsel auf das Ostufer der Elbe (wieder mal mit einer Fähre) komme ich an den Überresten alter Grenzanlagen und in Vockfey vorbei. Das Bauerndorf aus dem 13. Jahrhundert wurde mit Errichtung des Grenzgebiets zur Sperrzone erklärt und, nachdem die Einwohner vertrieben worden waren, restlos abgerissen. Heute zeugt nur noch ein Steinhaufen von dem früheren Ort... So ging es wohl vielen Elbdörfern, die dort lagen, wo die innerdeutsche Grenze direkt durch die Elbe verlief.
    So schlimm diese Grenzzonen auch waren, so haben sie heute aber auch etwas Wunderbares! So erlebe ich eine fast unberührte Pflanzen- und Tierwelt, die kaum Scheu zeigt. Echsen, Schlangen, Störche, Rehe..., ich selbst fühle mich plötzlich ganz klein in etwas ganz Großem. Und so versöhne ich mich mit dem Tag und freue mich auf morgen.
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  • Day 14

    Tag 12: Von Dannenberg nach Wittenberge

    April 21, 2022 in Germany ⋅ ☁️ 15 °C

    Schon früh verlasse ich heute Dannenberg und damit auch das westlich der Elbe gelegene Wendland. Dort formierte sich in den siebziger Jahren eine Protestbewegung gegen ein Atommüllendlager, was so manchem noch in Erinnerung sein dürfte. Aus ganz Deutschland kamen Umweltaktivisten - manche gewaltbereit, viele friedlich.
    Sie brachten neben ihrem Protest aber auch neue - ökologische - Ideen mit ("Müslifresser und Spinner in Sandalen"), die bis heute nachwirken. So gilt das Wendland wohl als Ursprung des großflächigen ökologischen Landbaus und viele bäuerliche Betriebe können sich keine andere Bewirtschaftung mehr vorstellen. Auch der Bund für Umwelt- und Naturschutz hat hier seine Wurzeln.
    Auf der östlichen Seite der Elbe ändert sich die Natur schlagartig. Was im Wendland noch große Flächen mit Äckern und Wiesen waren (so weit das Auge reicht...) sind nun kleine Auen, Flussniederungen, kleine uralte Bauernhöfe und unberührte Landschaft. Große Bereiche sind als Naturschutzgebiet ausgewiesen. Kilometerlang fahre ich auf dem Elbdeich, ohne jemandem zu begegnen. Es herrscht eine wunderbare Stille, die nur vom Zwitschen der Vögeln, Klappern der Störche und dem Knirschen des Schotters meiner zwei Räder unterbrochen wird. Ich genieße es gerade sehr allein zu sein, nicht zu reden oder Gedanken teilen zu müssen.
    In diesem Naturerlebnis stört es mich seltsamerweise auch nicht, dass es zu regnen anfängt und der Wind mal wieder ganz schön von vorne bläst. Immer wieder halte ich an, um diese besondere Art der Stille zu genießen. Nur ganz zum Ende der Tour schummel ich ein wenig. Kurz vor Wittenberge hab ich dann doch die Schnauze vom Gegenwind voll und lass eine Landzunge links liegen.... aber nur ne ganz kleine...
    Ansonsten ist der Tag von Festungen (die mittelalterliche fünfeckige Burganlage in Domitz, die die einzige vollständige Anlage dieser Art sein soll), Herrenhäusern (das Gutshaus derer von Wenckstern) und alten Kirchen (Grabstätte des Niederländers Arnold Gijsels van Lier, der als Amtmannn mit "Zucht und Ordnung" das verwahrloste Leben nach dem 30-jährigen Krieg wieder hergestellt haben soll) geprägt. Ach ja, den Turnvater Jahn darf ich natürlich auch nicht vergessen, der in dem kleinen Örtchen Lanz geboren wurde und dort mit seinen damals revolutionären Sportideen gewirkt haben soll.
    So geht ein sehr ruhiger und besinnlicher Tag zu Ende.
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  • Day 15

    Tag 13: Von Wittenberge nach Tangermünde

    April 22, 2022 in Germany ⋅ ⛅ 13 °C

    10 Stunden Schlaf!! Während ich so langsam wach werde, gehen mir die letzten Tage durch den Kopf. Nun bin ich schon rund 700 km durch vier unserer Bundesländer (Schleswig-Holstein, Hamburg, Niedersachsen und Brandenburg) gefahren, ohne dass ich es richtig mitbekommen habe. Auf der anderen Seite der Elbe, so wird mir klar, ist bereits Sachsen-Anhalt und damit habe ich die Elbe als ehemals innerdeutsche Grenzregion endgültig verlassen. Und damit auch ein sehr trauriges Stück deutscher Geschichte. Wie viele Menschen ihr Leben - bei dem Versuch aus der DDR durch die Elbe zu fliehen - ließen, ist nicht bekannt. Laut neuester Forschungen gab es zwischen 1949 und 1989 an der einstigen deutsch-deutschen Grenze 327 Fluchtopfer (ohne die Mauer-Opfer und ohne die Fluchtversuche über die Ostsee). Grausam.
    Beim Frühstück lerne ich zwei Rennradfahrer kennen. Sie seien gestern in Hamburg gestartet. "150 km auf der Uhr, ein 28er Schnitt" erzählen sie stolz, was sie auch sei können. Aber im stillen denke ich, ob die beiden wohl die zauberhafte Landschaft in ihrer Besonderheit aufnehmen und genießen können....
    So verlasse ich in meinem Tempo die mittelalterliche Stadt Wittenberge, die immer noch in einem ruhigen Schlaf zu sein scheint.
    Bei Sonnenschein wirken die Elbtalauen ganz anders als gestern. Das Licht spiegelt sich in den vielen kleineren und größeren Gewässern neben der Elbe. Kopfweiden prägen das Bild, vielen sind in der Mitte zerbrochen. Bis zur Wende waren sie in der Region wohl noch ein wichtiger Wirtschaftsfaktor, so wurden die Zweige für Körbe, Wäschebehälter, "Stubenwagen" etc. benötigt. Da die Bäume heutzutage nicht mehr regelmäßig beschnitten werden, verwildern und zerbrechen sie. Und was für ein Gewinn! Sie sind nunmehr Lebensraum für viele seltene Vögel und Pflanzen geworden.
    Immer wieder halte ich ein und höre der Vogelwelt zu. Leider bin ich weder beim Erkennen von Vogelstimmen noch von Vögeln eine Heldin, aber ich genieße es trotzdem sehr. Es soll hier neben Schwarzstörchen u.a. auch die Eule, den Wiedehopf, Kraniche und Adler geben. Auch bemerke ich nun Pflanzen, die ich noch nie gesehen habe. Wie schön wäre es doch, wenn ich wenigstens ein bisschen mehr Ahnung davon hätte.
    Kurz nach der Mündung der Havel in die Elbe erreiche ich die über 1000jährige Stadt Havelberg. Von hier soll Otto I. in der Mitte des 10. Jahrhunderts die Christianisierung der Gebiete östlich der Elbe begonnen haben. Im Laufe der Zeit wurde aber etwas anderes wichtig. Die Stadt war insbesondere durch seinen Heirats- und Pferdemarkt, den es immer noch gibt, weit über die Region hinaus bekannt. Bis heute sollen die Tiere per Handschlag den Besitzer wechseln - bei den Frauen weiß ich es nicht so genau....
    Und was hier echt lecker schmeckt ist die Erbsensuppe aus der Gulaschkanone.
    Und noch ein wichtiges geschichtliches Ereignis zeugt von der ehemaligen Bedeutung der Stadt. 1716 trafen sich dort die Monarchen und strebten eine Wende des 30jährigen Krieges an (da stimmt doch zeitlich was nicht... 1618 - 1648 hab ich irgendwann mal gelernt.., egal). Ihre gegenseitigen Abschiedsgeschenke gingen in die europäische Geschichte ein: Zar Peter der Große beglückte Friedrich Wilhelm I. mit 248 "Langen Kerls", der preußische Soldatenkönig vermachte dem Zar das berühmte Bernsteinzimmer.
    Kurze Zeit später wechsel ich mal wieder die Elbseite. Mit herrlichem Rückenwind gehts an wunderbar blühenden Hecken und Büschen durch den kleinen Ort Arneburg mit seinen schönen Brunnen nach Tangermünde.
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  • Day 16

    Tag 14: Von Tangermünde nach Burg

    April 23, 2022 in Germany ⋅ ☀️ 17 °C

    Ein Trödeltag mit viel Sonne, den unter Naturschutz stehenden weitreichenden Auenwiesen, viel, viel Kultur und interessanten und netten Menschen.
    Als ich meine Unterkunft heute morgen verlasse, werde ich von einem auf dem Boden sitzenden, rauchenden (es riecht irgendwie so süßlich..), total zauseligen Typen angesprochen. Wo es denn hingehe, will er wissen. "Ah, zur Zuchspitze, det is doch och so'n Berch bei euch da dreben"....
    Und dann die Kaiser- und HansestadtTangermünde! Die so malerische Altstadt, die noch vollständig von einer Stadtmauer umschlossen ist, ist geprägt von alten Fachwerkhäusern, einem sehr schönen Rathaus, hochaufragenden Kirchen und insbesondere der Kaiserburg Kaiser Karls IV, der hier wohl regelmäßig residierte.
    Ich kann gar nicht aufhören Fotos zu schießen und mir die vielen Infotafeln durchzulesen, so auch die über die Putinnen. Keiner weiß, warum die beiden Türme auf der Stadtmauer so heißen,.. er wird doch wohl nicht??
    Ich verlasse die Stadt und damit vorerst auch die Elbe durch eine kilometerlange imposante Eichenallee mit uralten Bäumen und gelange in das für die hiesige Landschaft so prägende Biosphärenreservat der Auwiesen. Hier soll neben vielen anderen "Wirbellosen", wie der Mittlere Weinschwärmer und der Große Eichkarmin, sogar der als verschollen geglaubte Zweifleck leben...
    Leider radel ich noch ein bissl zu früh im Jahr durch das so gewässerreiche Gebiet, so dass ich die wohl so fantastisch blühenden Wiesen verpasse....und auch den Zweifleck...
    Na ja, dafür verpasse ich aber nicht den Heimatverein zum Erhalt der Bockwindmühle in Grieben. Heute ist Arbeitseinsatz und der 1. Vorsitzende lässt es sich nicht nehmen, mir die alte Mühle zu zeigen und ihre Funktion zu erklären. Schon toll, was ein Verein mit 40 Mitgliedern da geleistet hat. EU-Gelder beantragt, die Überreste der alten Mühle von der einen auf die andere Straßenseite verbracht ,sie nach alten Bildern wieder aufgebaut und für ihren weiteren Erhalt sorgend. Gern hinterlasse ich eine kleine Spende.
    Ebenfalls in Grieben werde ich dann mal wieder mit einer Fähre (die erste gab es hier wohl schon 1722) auf die andere Seite der Elbe gebracht. Es ist kaum zu glauben, aber bis in die zwanziger Jahre wurden solche Fähren mit Menschenkraft mit "Bundstaken und Riemen" über die Elbe geschoben.
    Und auch das mit der "Kettenschiffahrt" ist ne echte Bildungslücke bei mir. So zogen sich ab 1866 Dampfschiffe an einer im Fluss verankerten Kette stromaufwärts von Hamburg bis nach Dresden. Begegneten sich zwei Schiffe, mussten die Ketten mit einem komplizierten Manöver geöffnet und dann wieder geschlossen werden. Und auch das ist unvorstellbar, bis 1943 waren diese Kettenschiffe noch auf der Elbe unterwegs.
    Weiter geht es durch die Einsamkeit der Auwiesen, bis ich nicht mehr weiterkomme. Ich stehe an einer Schleuse und einer Fußgängerbrücke. Kein Fahrradweg. Also heißt es alles runter vom Fahrrad und dann....ja, und dann kommen zwei nette Männer und tragen mir alles, was ich so dabei hab, über die Brücke. Als Dankeschön ein kleiner Schnack und ich kann mein heutiges Ziel Burg bei Magdeburg ansteuern.
    Ein kleiner Schwenk noch zum Schloss Zerben, dem Originalschauplatz von Theodor Fontanes Romans "Effi Briest" und dann erreiche ich die Villa Wittstock, mein heutiges Zuhause. Sie gehörte Fritz Guichard, der mit "Unkrauttod ist des Unkrauts Tod" erfolgreich handelte...
    Auf morgen freu ich mich ganz besonders. Mein Freunde aus Dresden, Claudi und der Franzl, kommen nach Magdeburg und werden mich die nächsten Tage begleiten.
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