Un petit pèlerinage

September - October 2020
A 31-day adventure by Michael Read more
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  • Day 27

    Pavia

    October 3, 2020 in Italy ⋅ ☁️ 17 °C

    Pavia heißt unser heutiges Ziel und somit auch das letzte Ziel auf meiner Reise. Nach 27 Tagen steige ich heute abend, um 21:50 Uhr, zusammen mit meiner Mama, die mich die letzte Woche fleißig begleitet hat, in den Bus nach Frankfurt.
    Bis dahin haben wir aber noch ein bisschen was vor uns.
    Zunächst einmal müssen wir nach Pavia kommen und dieses liegt 23 Google Maps Kilometer von unserer Unterkunft entfernt.
    Wir stehen also klassisch um 7 Uhr auf, frühstücken um 8 und laufen um kurz vor 9 los.

    Das Wetter meint es gut mit uns, denn während es die komplette Nacht bis morgens durchgeregnet hat, hört der Regen gegen 8 Uhr auf. Als wir uns ab 9 Uhr einen Weg durch die Landschaft bahnen, kriegen wir nur noch einzelne Tropfen ab und gegen Mittag kommt sogar die Sonne raus. Das gute Wetter hat aber zwei Nachteile:
    Zum einen sind Pfützen, die gestern noch wie eine Spielwiese für mich waren, heute strengstens zu meidende Erzfeinde meiner inzwischen nahezu trockenen Schuhe. Und Pfützen gibt es nach 24 Stunden Regen viele.
    Zum anderen bedeutet Sonne, dass die Fliegen rauskommen. Egal, ob bei unserem Pause"versuch" in "Canarazzo", den wir wegen dem Fliegenbefall abbrechen mussten, oder auf der Wiese in Pavia, die Biester sind überall und machen ein entspanntes Verschnaufen unmöglich. Bild 6 wurde während dem Laufen auf der Landstraße geschossen und gibt einen Vorgeschmack, wie es stillliegend auf der Wiese war. Es muss an dem Wechsel von Regen zu Sonne liegen, denn ich kann mich nicht entsinnen, wann ich das letzte mal, binnen so kurzer Zeit, so viele Fliegen im Ohr (!) gehabt habe.

    Motiviert sind wir auf jeden Fall trotzdem, denn um kurz vor 12 haben wir bereits 15 Kilometer hinter uns.
    Ein Highlight, das ich auf dem Hinweg noch erwähnen möchte, ist ein Mann, der wegen uns anhielt und auf Englisch (!) fragte, ob bei uns alles in Ordnung sei und ob wir etwas bräuchten. Wir lehnten zwar dankbar ab, sind aber über diese Freundlichkeit sehr erstaunt und vor allem sehr dankbar. Lieber einmal zu oft fragen, als einmal zu wenig.
    Um 14 Uhr sind wir in Pavia. Hier legen wir uns erstmal zur Feier auf eine Wiese am "Ticino" (Bild 8) und genießen die Sonne. Das Vergnügen hält für eine halbe Stunde, bis ich schließlich abbrechen muss, wegen dem andauernden Fliegenbefall. Schwerfällig stehen wir auf und laufen in die Innenstadt Pavias. Auf dem Weg zum Touristenbüro flanieren wir durch eine gut gefüllte Einkaufsstraße und bewundern die vielen gut gekleideten Menschen. Selbst mir, der ich gewöhnlich nicht sehr auf Mode und die Kleidung andere achte, fällt auf, dass, egal welches Alter, die Menschen sich einfach stilvoller und experimentierfreudiger anziehen als in Deutschland. Pavia ist eine Universitätsstadt mit ca. 70000 Einwohnern und damit demographisch vergleichbar mit Marburg. Die Menschen in Marburg sehen definitiv nicht so aus. Normalerweise wäre es mir unangenehm so "underdressed" durch die Stadt zu laufen, doch der Pilgerlook ist ein ziemlich guter Joker, um nicht am stillen Wettstreit um das schönste Outfit teilnehmen zu müssen.
    Im Touristenbüro holen wir uns den letzten Stempel für unsere Reise ab. Unsere beiden Pilgerpässe nebeneinander sehen damit schon ziemlich beeindruckend aus (Bild 1) (rein objektiv betrachtet).
    Die Studentin, die im Touristenbüro arbeitet, empfiehlt uns zu der Einkaufsstraße, durch die wir gekommen sind, zurückzukehren, dort wären nämlich die einzigen Restaurants, die um 16 Uhr offen hätten. Wir stillen unseren Hunger mit einer Quiche und einem Stück Pizza und machen danach, was Pilger immer tun: Wir besichtigen Kirchen. Die erste ist ziemlich unspektakulär, aber die zweite ist nicht ohne. Dabei handelt es sich um den Dom Pavias, welcher, wie meine Mama fleißig recherchiert, die drittgrößte Kuppel in Italien beherbergt. Auch sonst ist er beeindruckend, aber langsam haben wir uns an Kirchen satt gesehen und verlassen den Dom baldig, um uns ein Eis zu holen.
    Im Eiscafe werden wir wieder von einer süßen Studentin bedient, die uns mit leckerem Pistazieneis und Eiskaffee verwöhnt. Hier füllen wir auch nochmal unsere Wasserflaschen auf und machen uns anschließend auf den Weg zum Bahnhof. Den Zug um 18 Uhr verpassen wir knapp und müssen auf den 19 Uhr Zug warten. Meine Mama fürchtet, dass wir zu spät kommen, weshalb wir in einen anderen, früheren Zug steigen, der uns an ein anderes Ende von Mailand befördert. Das ist kein Problem, denn aus einem Gespräch mit wiederum zwei anderen Studentinnen im Zug erfahre ich, wo wir rauskommen, mit welcher Metro wir wo hinfahren müssen und wie lange das dauert. Nicht lange danach sind wir am Busbahnhof Lampugnano. Die beiden Fahrten über eine Strecke von über 40 Kilometern haben uns übrigens jeweils 6 Euro (!!!) gekostet. Liebe Deutsche Bahn, bitte mitschreiben.

    Lampugnano ist wie die Südseite des Frankfurter Hauptbahnhofs vor 10 Jahren, im used look. Wir sind 1,5 Stunden vor unserem Bus da und wollen diese 1,5 Stunden nur sehr sehr ungerne hier verbringen. Deshalb benutzen wir unsere Metrotrickets nochmal, um runter an die Station zu kommen und dort am Gleis auf einer Bank zu warten (Bild 10). Ein heftiges Upgrade verglichen zu dem, was uns oben erwartet.
    Um 22:10 Uhr steigen wir schließlich in den leicht verspäteten Bus. Bin ich traurig, dass die Reise vorbei ist? Ein wenig. Wurde es langsam Zeit? Definitiv.
    Ich bin zu müde, um meine Gefühlswelten heute näher zu erörtern. Was ich aus meiner Reise mitnehme und ein generelles Follow-up plane ich morgen oder in den nächsten Tagen in einem separaten Footprint hochzuladen. Ob ich das wirklich in die Tat umsetze, erfahrt ihr dann. Gute Nacht 😴
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  • Day 26

    Madonne delle Bozzole

    October 2, 2020 in Italy ⋅ 🌧 15 °C

    Der heutige Footprint dreht sich um ein Thema: Regen.
    Dieser war für heute ab 12-13 Uhr vorhergesagt und ist etwas nach dem man seine Tagesplanung beim Pilgern richten sollte. Denn beim Pilgern gibt es einen entscheidenden Unterschied im Gegensatz zum Alltag oder zum normalen Wandern: Morgen geht's weiter, also seh besser zu, dass deine Kleidung und deine Schuhe, für welche du keinen Ersatz hast, trocken bleiben.
    Das funktioniert natürlich nicht immer, aber dann macht man im Zweifelsfall einen Tag Pause, wie ich vor einer Woche in Pontarlier. Diese Möglichkeit haben wir jedoch nicht, da wir am Samstag in Pavia sein müssen, um Samstag Abend unseren Bus in Mailand zu erwischen (Spoiler: Morgen geht's nach Hause).
    Das bedeutet für uns im Klartext: 7 Uhr aufstehen, 7:30 Uhr Frühstück, 8 Uhr von Frau Hoffmann verabschieden und ins Gästebuch schreiben und um 8:20 Uhr loswandern. Madonna delle Bozzole, unser heutiges Ziel, liegt 19 Google Maps Kilometer oder 25 via francigena Kilometer entfernt. Wir entscheiden uns für die Google Maps Variante.

    Am Anfang sieht noch alles gut aus. Es ist bewölkt und windig (zum Teil sehr) (Bild 4), aber bei 15 Grad und einem flotten Lauftempo ist das solides Wanderwetter. Die Kilometer purzeln geradezu einer nach dem anderen von der Anzeige runter. Um 9:30 Uhr kommen die ersten Tropfen. Zu diesem Zeitpunkt sind wir nicht mehr weit von Gambolò entfernt, ein Dorf mit Supermarkt, in welchem wir gerne Pause machen würden. Meine Mama möchte noch nicht herausfinden, was es bedeutet, bei Regen zu pilgern und gibt daher für ein paar Kilometer die Geschwindigkeit vor. Zu Beginn ärgere ich mich innerlich über ihren asymmetrisch bepackten Rucksack (Bild 6), der bestimmt eine Schulter mehr belastet als die andere. Nach kurzer Zeit muss ich mich jedoch mit meinen 1,94 m darauf konzentrieren, mit meiner einen Kopf kleineren Mama Schritt zu halten, sodass keine Zeit bleibt, Gedanken an ihr Wandergepäck zu verschwenden. Mir kommen Erinnerungen an meine Kindheit hoch, als mit meiner Mama durch die Stadt zu gehen, für mich bedeutete, dass ich meine Laufschuhe anziehen muss.
    Dank diesem flotten Tempo kommen wir um 10:30 Uhr am Supermarkt an. Zu diesem Zeitpunkt haben wir über 11 Kilometer hinter uns, was eine Durchschnittsgeschwindigkeit von über 5 km/h bedeutet. So schnell bin ich auf meiner Reise noch nie gelaufen und selbst Pilgerführer raten, von einer Höchstgeschwindigkeit von 4 km/h bei der Routenplanung auszugehen.
    All diese Zahlen nützen uns relativ wenig, denn was um 9:30 Uhr als tröpfeln angefangen hat, ist gegen 10 Uhr zu einem richtigen Regen geworden. Als wir im Supermarkt ankommen, sind wir nass.

    Dort ist Wärme wegen der vielen Kühlprodukte Fehlanzeige. Wir holen uns etwas Obst und jeweils einen Kefir, die wir unter einem Dachvorsprung, der Schutz vor dem strömenden Regen bietet, verspeisen. Uns ist kalt, sogar sehr kalt. Auch wenn 15 Grad sich erstmal nicht schlimm anhören, so ist die Mischung zusammen mit Regen einfach nur eklig. Wir ziehen uns alles an, was wir haben und damit meine ich wirklich alles. Ich stehe am Ende mit einer Konstruktion aus T-Shirt, Fleecejacke, Sportjacke, Regenjacke und Regenponcho da. Meine Kappe baue ich in die Mitte der vier Kapuzen ein, damit mein Gesicht, wenn ich konsequent auf den Boden schaue, ebenfalls keinen Regen abbekommt.

    Wir machen uns auf den Weg. Maximal 10 Minuten später stehe ich mit meinem Unterkörper komplett unter Wasser. Während meine Oberkörperkonstruktion noch für etwa eine Stunde hält (gewiss nicht bis zum Schluss), sind meine Schuhe kurz nach dem Loslaufen komplett mit Wasser gefüllt. Und hier setzt der Kopf ein.
    Wir haben etwa 1,5 Stunden Marsch vor uns und damit auch 1,5 Stunden Regen. Ich fange also an, mich damit abzufinden, dass zum Beispiel mit jedem Schritt, Wasser aus meinem Schuh, an der Innenseite meiner Hose hinauf, an meine Kniekehle hochspritzt. Ich stelle mir vor, dass ich gerade an der Nordsee bin. Dort laufe ich gerade den Strand entlang, genau auf der Höhe, auf der das Wasser nur einige Zentimeter hoch steht. Mit jedem Schritt durchbreche ich die von der Sonne aufgewärmte Wasseroberfläche und trete danach auf den Sand, der unter meinem Gewicht nachgibt und damit ein kleines Wasserbecken für meinen Fuß formt. Fernab der Realität, aber mit solchen Gedanken entfliehe ich der nasskalten Umgebung und wache nur gelegentlich auf, um unter großen Anstregungen mein Handy zu entsperren und auf die Karte zu schauen. So vergeht Kilometer für Kilometer und .. es ist gar nicht übel. Irgendwann, wenn mir die Nordsee zu langweilig wird, achte ich auf das Geräusch wie der Regen auf die äußerte meiner Kapuzen prasselt und stelle mir vor, wie ich nach einem langen Tag nach Hause komme, den Kamin anwerfe und zu dem Klang von Regen, der gegen die Scheibe peitscht, eine heiße Tasse Tee genieße, während ich mich vom Feuer wärmen lasse. Als ich zudem realisiere, dass kein Grund besteht, den teilweise sehr tiefen und großen Pfützen auszuweichen, sondern ich mit meinen klitschnassen Schuhen einfach durchlaufen kann, eröffnet sich mir eine ganz neue Beschäftigung und die Zeit verfliegt.

    Meine Mama hingegen geht etwas anders mit der Situation um. Zunächst ist etwas Zuspruch notwendig, um sie davon zu überzeugen, dass wir uns kein Taxi holen und auch nicht per Anhalter fahren. Während wir dann schließlich laufen, erfahre ich im Nachhinein, dass sie sich vor allem damit auseinander gesetzt hat, wie wir aus dieser Situation herauskommen. Ob wir doch ein Auto anhalten sollten, warum aber niemand uns klitschnasse, fremde Pilger im Auto haben wollen würde, wie viel wohl ein Taxi kosten würde und wie lange wir denn jetzt noch vor uns hätten, wenn wir jetzt dort und dort sind. Später habe sie einfach nur den Kopf ausgeschaltet und still vor sich hingebetet.
    Als wir ankommen, lächelt einer von uns mit den Worten "War doch gar nicht so schlimm." während der andere sagt, dass er/sie morgen nirgendwo hinläuft. Ihr dürft raten, wer wer ist.

    Lange Rede, kurzer Sinn: Auf dieser Reise habe ich gelernt, wie mächtig unsere Gedanken sind. Egal, ob es zu kalt, zu weit oder du zu schüchtern bist, jemanden anzusprechen, das alles ist deinem Körper egal und bloß eine Sache des Kopfes. Ich bin der festen Überzeugung, dass der Mensch zu allem fähig ist, solange er es nur doll genug will. Auch wenn, durch etwas Regen zu laufen, nicht nach einer genügenden Qualifikation klingt, um Aussagen wie diese zu treffen, so bin ich mir sicher, dass ich nach dieser Reise, meine Ziele, egal wie hart sie erscheinen mögen, mit anderen, motivierteren und selbstüberzeugteren Augen sehen werde. Alles, was sich uns in den Weg stellt, lässt sich überwinden.

    So viel dazu.

    Um kurz nach 1 kommen wir in Madonna delle Bozzole an. Hier übernachten wir im "Albergo Restaurante Margherita". Auch wenn wir ursprünglich vereinbart hatten erst um 16 Uhr da zu sein, wird uns in unserem Zustand Zutritt gewährt. Die Frau vom Telefon hat seit dem letzten Gespräch wundersamer Weise nicht fließend Englisch gelernt, weshalb wir uns auch mit ihr nur auf italienisch verständigen. Sie zeigt uns unser Zimmer (Bild 7) und meine Mama erfragt, wo wir Wäsche waschen und vor allem trocknen können. Die Dame verweißt uns auf eine Wäscherei, 1,8 Kilometer entfernt.

    An dieser Stelle spreche ich mein tiefstes Dankeschön und Lob an meine Mama aus. Nachdem wir uns beide geduscht und etwas aufgewärmt haben, beschließt sie sich auf den Weg zu der Wäscherei zu machen. Ich sehe ihr an, dass es ihr wichtig ist, saubere und vor allem trockene Wäsche für morgen zu haben und bestehe darauf, dass ich gehe. Unter dem Vorwand, dass sie ja aber besser wisse, welches Programm und wie lange die Wäsche bräuchte, setzt sie ihren Mutterinstinkt durch, nicht ihren Sohn raus in die Kälte zu schicken. Auch wenn ich gerade groß darüber philosophiert habe, wie gut ich mit dem Wetter draußen klar gekommen bin, habe ich durchaus nichts dagegen, nicht nochmal nach draußen in den Regen zu müssen.
    Als meine Mama 2 Stunden später mit wohlriechender und trockener Wäsche zurückkommt, platze ich fast vor Stolz vor meiner starken Mama.

    Um unsere Schuhe kümmern wir uns mit dem kleinen Fön in unserem Bad. Damit dieser nicht durchbrennt (gerechtfertigte Befürchtung) trocknen wir unsere Schuhe alle 10 Minuten für 2-3 Minuten. Nicht sehr effektiv, aber trocken sind unsere Schuhe morgen trotzdem. Der war gut.
    Um 18 Uhr gibt es Abendessen in unserem Albergo Restaurante. Die Spaghetti mit pollo, die wir uns gewünscht hatten, werden uns wider Erwarten nicht zusammengemischt serviert, sondern in zwei Gängen: Zuerst Spaghetti mit Tomatensauce, danach quasi als zweiter Gang Hähnchenfilets mit jeweils einer Scheibe Zitrone. Schmecken tut's und satt macht es auch, und mehr könnten wir uns nach einem solchen Tag nicht wünschen.
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  • Day 25

    Mortara

    October 1, 2020 in Italy ⋅ ☁️ 16 °C

    Heute stellen wir nicht einmal einen Wecker. So entspannt kann pilgern sein. Wir wachen zwar gegen halb 8 auf, aber eine angenehme Abwechslung ist es trotzdem. Wir frühstücken in Ruhe (Rührei und Käsebrot 🇩🇪) und machen uns pünktlich zum Glockenkonzert vor unserem Fenster um 10 Uhr auf den Weg. Besagtes Glockenkonzert stammt von einem Kirchenturm circa 20 Meter Luftlinie von unserem Fenster entfernt, welcher uns heute Nacht auf keinen Fall einige Male erschreckt hat.

    Der Weg lässt sich ziemlich gut gefolgt zusammenfassen: Landstraße, Feld, Feld, kurze Pause in "Nicorvo", Landstraße, Feld, Feld, Mortara. Es passieren jedoch zwei interessante Sachen, die mich etwas stolz machen.
    Kurz nach dem Loslaufen rufe ich in einigen Unterkünften für den morgigen Tag an. Viele gehen nicht dran, aber eine Frau nimmt den Hörer ab, das einzige Problem: Sie spricht nur italienisch. Trotzdem kriege ich es hin, für morgen, für zwei Personen, eine Unterkunft zu buchen, zu vereinbaren, dass wir um 16 Uhr ankommen, und den Preis herauszufinden. Dafür, dass ich vor vier Tagen nur "Buongiorno" und "Ciao, bella" kannte, ein ziemlicher Fortschritt.
    Nummer 2 ist nur möglich, weil die Wegweiser nach unserer Pause in Nicorvo quasi verschwinden. Wir werden noch aus dem Dorf geleitet und irgendwann von der Landstraße aufs Feld geführt. Kurz darauf stehen wir schon vor der ersten unausgeschilderten Weggabelung (Bild 6). Nur eine Richtung macht Sinn, aber danach gibt es für mehrere Kilometer keine Zeichen der via francigena mehr. Google Maps kennt keinen einzigen Feldweg in der Gegend und das einzige Hilfsmittel, das bleibt, ist mein Orientierungssinn. Dieser ist inzwischen jedoch ausgeprägt genug, dass wir ein paar Kilometer weiter und einige Abbiegungen später wieder auf einer beschrifteten Straße herauskommen und das Ganze schneller als eigentlich vorgesehen. Nimm das Google! Nimm das viafrancigena.org!

    Ansonsten verläuft der Weg sehr unspektakulär und um 13:30 Uhr kommen wir in Mortara an. Hier übernachten wir im "B&B Brigitte". Dabei handelt es sich um Brigitte Hoffmanns Wohnung, in welcher sie ein Zimmer als B&B vermietet und die Gäste ihr Bad mitbenutzen lässt. Brigitte Hoffmann klingt nicht nur Deutsch, sondern ist sie auch. Im Alter von 6 Jahren ist sie mit ihren Eltern nach Italien ausgewandert und hat seitdem an ihrem Deutsch gearbeitet, weshalb wir uns auch heute, Jahre später, problemlos auf Deutsch mit ihr unterhalten und uns von ihr erneut Pizzerias empfehlen lassen können.

    Ja, Pizza steht immer noch auf dem Programm. Aus diesem Grund gehen wir um 16 Uhr aus dem Haus, schauen uns zwei Kirchen an, kaufen etwas Gänsesalami, welche Frau Hoffmann uns ebenfalls empfohlen hat. Anschließend beobachten am Hauptplatz Mortaras die italienische Jugend, was ziemlich unterhaltsam ist und sehr gut die Zeit vertreibt, bis wir um kurz vor 7 Pizza essen gehen können. Um diese Uhrzeit sind wir die ersten im Restaurant, was sehr typisch für Italien ist. Zur Feier, dass es endlich Pizza gibt, bestellen wir als Vorspeise eine Meeresfrüchteplatte und danach jeweils naja, eine Pizza. Für mich ist das Luxus, den ich mir auf dieser Reise bisher nicht gegönnt habe. Als uns Prosecco als Aperitif und nach dem Essen jeweils ein Absacker angeboten werden, erkenne aber selbst ich an, dass es eine gute Idee war. Der Preis für das Essen ist am Ende erstaunlich niedrig. Da kriegt die süße Kellnerin, die mir ständig zugelächelt hat, sogar deutsche 10 % Trinkgeld.

    Nach dem Essen laufen wir wieder zu Frau Hoffmann, mit welcher sich meine Mama für eine Weile unterhält, während ich den Blog schreibe. So geht auch dieser Tag zu Ende und wir bereiten uns auf den nächsten vor, auf dass dieser ebenso gut verläuft wie der heutige.
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  • Day 24

    Robbio

    September 30, 2020 in Italy ⋅ ☀️ 17 °C

    Das 19 Kilometer entfernte Robbio ist unser heutiges Ziel. Um dieses zu erreichen, stehen wir um 7:30 Uhr auf, frühstücken um 8 Uhr und laufen um 8:45 Uhr los. Das Frühstück ist heute sehr übersichtlich. Wir kriegen jeweils ein gefülltes Croissant und auf dem Tisch stehen noch 6 Cracker, die wir mir etwas Butter und Marmelade zu uns nehmen. Semi gestärkt und semi begeistert von der Unterkunft machen wir uns auf den Weg.

    Heute folgen wir wieder ganz offiziell der via francigena. Das bedeutet wir überqueren Flüsse, laufen durch die Reisfelder (sie sind wirklich überall) und kommen an dem ein oder anderen süßen Schild vorbei (Bild 2).

    In "Palestro" machen wir um 11:20 Uhr Halt und haben zu diesem Zeitpunkt schon circa 12 Kilometer hinter uns. Pause bedeutet essen, entspannen und ganz wichtig: Blut aus den Füßen holen (Bild 3). Wegen des sparsamen Frühstücks entschließen wir uns bis 12 Uhr zu warten, um dann in einer Pizzeria essen zu gehen. Ich Vielfraß gehe in der Zwischenzeit zum Supermarkt, um mir schon mal etwas als "Vorspeise" zu holen und entscheide mich für drei Packungen Skyr. (Wenn man 3 kauft, kriegt man eine umsonst!) In der Schlange vor dem Supermarkt spricht mich eine italienische Fahrradpilgerin an, mit der ich nach besten Kräften einige Worte auf Italienisch austausche. Als ich 15 Minuten später mit meiner Mama auf einer Bank nicht weit vom Supermarkt sitze und meinen Skyr esse, kommt besagte Dame vorbei, schenkt uns eine Packung Kinder Bueno, erklärt uns auf ital-engli-deutsch, wo man hier Toiletten findet und wünscht uns einen guten Weg. Bei uns bestand zwar weder Bedarf nach Toiletten, noch nach Kinder Bueno (wir beide sind keine Süßigkeitenfans), aber allein diese unglaublich freundliche Geste lässt uns erstaunen.
    Um 12 Uhr stellt sich heraus, dass die Pizzeria seit neustem andere Öffnungszeiten hat und erst um 18 Uhr öffnet. Da wir beide in der Zwischenzeit ein bisschen was gegessen haben und es nach Robbio nicht mehr weit ist, entschließen wir uns, den Rest des Weges hinter uns zu bringen und dort dann etwas essen zu gehen.

    Die letzten 7 Kilometer sind vom Wanderweg her schon etwas aufregender und erinnern mich an meine Wanderung durch die Reisfelder der Philippinen. Über kleine Holzbrücken, in die Erde gehauene Stufen und einen engen Pfad direkt neben dem Bewässerungskanal bewegen wir uns weiter Richtung Süden (Bild 6).
    Um kurz vor 2 kommen wir an unserer Unterkunft in Robbio an. Diese hat folgende Vorgeschichte: Robbio ist zwar der offizielle Zwischenstopp auf der via francigena, aber die Unterkunfslage sei hier schon immer dürftig gewesen. Zu Zeiten von Corona hätten nun quasi alle Unterkünfte hier geschlossen, berichteten der Mann im Touristenbüro und der Mann, bei dem wir letzte Nacht übernachtet haben. Es gäbe in ganz Robbio (gar nicht so klein) nur noch ein einziges Zimmer. Die Zuständigen sprächen jedoch nur Italienisch, weshalb wir den Mann von unserer letzten Unterkunft gebeten haben, dort für uns anzurufen und nachzufragen, ob heute für uns Platz wäre. Er wechselt also heute morgen ein paar Worte mit einer Frau am Telefon und sagt zu uns: "Ja, ich glaube, es ist frei. Ruft diese Nummer an, wenn ihr auf dem Platz vor der Unterkunft seid." Das genügt mir inzwischen als Gewissheit und meine Mama sieht es auch gelassen, es gäbe ja ansonsten einen Bahnhof.

    Als wir bei der Adresse der Unterkunft ankommen, stehen wir vor dem "Municipio", quasi einem Verwaltungshaus, in dem die Polizei und Stadtverwaltung sitzt. Als ich bei der Nummer anrufe, meldet sich eine Frau und ich erkläre mit den Brocken Italienisch, die ich in den paar Tagen aufgeschnappt habe stichwortartig, was ich will: "Buongiorno. Mi chiama Michael. Filio e mama pellegrini. Arrivato." Die Frau sagt sehr viel auf italienisch, aber ich höre ein "venire" raus und kann beruhigt nach ihrem "Ciao" auflegen. Wir warten kurz (Bild 7) und 10 Minuten später kommt tatsächlich eine ältere Frau auf einem Fahrrad auf uns zu und begrüßt uns lächelnd. Sie zögert nicht lange und geht mit uns durch das Tor des "Municipio" hindurch. Auf dem Weg in die Pilgerunterkunft, die im Hinterhof gelegen ist, erklärt sie uns alles auf italienisch und irgendwie verstehen wir alles Wichtige. Am Ende lassen wir uns von ihr sogar eine Pizzeria empfehlen. Die Unterkunft ist ein richtiges "Ostello" und erinnert mich an meine Nacht im "presbytère" in Langres. Wir kriegen Einwegbettwäsche, Stempel in unseren Pass und den Schlüssel. Die Bezahlung ist "donativo" und falls wir Probleme haben, sollten wir einfach anrufen. Herrlich unkompliziert. Natürlich ist der Komfort begrenzt, aber es gibt alles, was man braucht (außer einen Duschvorhang (Bild 9) --> ich bin gezwungen, das erste mal in meinem Erwachsenenleben im Sitzen zu duschen) und wir sind froh, dass wir mit niemandem in einem Zimmer schlafen müssen. Nach einer kurzen Verschnaufpause machen wir uns auf den Weg in den Supermarkt, um uns etwas zu holen, das wir in unserer eigenen kleinen Küche zubereiten können.

    Abends gehen wir dann endlich auf Pizzasuche. Nicht erfolgreich. Die empfohlene Pizzeria hat wie fast alles in der Stadt zu. Wir finden zwar letztendlich ein süßes Restaurant, aber die Speisekarte ist nicht unbedingt italienisch... naja seht selbst (Bild 10).
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  • Day 23

    Vercelli

    September 29, 2020 in Italy ⋅ ⛅ 16 °C

    7 Uhr klingelt der Wecker, um 8 Uhr gibt's Frühstück und um 8:45 Uhr geht's wieder los.
    Das Frühstück ist ähnlich wie das gestrige, unterscheidet sich aber auf zwei Weisen. Zum einen gibt es heute etwas deftiges: zwei Weichkäsesorten, die selbst mir erstaunlich gut schmecken; zum anderen frühstücken wir heute aus einem fein verzierten Porzellanservice und auch sonst hat Enrica beim Anrichten viel Auge aufs Detail gelegt. Das Frühstück ist einem alten Landschloss würdig.

    Gestärkt machen wir uns auf den 20 Kilometer weiten Weg nach Vercelli. Da wir außerhalb Santhìas geschlafen haben, sind wir abseits der via francigena und lassen uns heute mal wieder von Google Maps leiten. Wir laufen durch die gelben Reisfelder auf einem Weg, der noch ganz nass ist vom Morgentau, die Sonne im Rücken und vor uns eine Aussicht über das Flachland Piemonts. Kurz darauf fühle ich mich schlauer als Google und entschließe, dass wir einem Weg folgen, der nicht auf Maps verzeichnet ist, aber wahrscheinlich eine Abkürzung darstellt. 10 Minuten später stehen wir mitten auf dem Feld vor einer Sackgasse und müssen den gesamten Weg zurücklaufen. Da es morgens ist und wir noch voller Kräfte sind, ist dieser kleine Umweg schnell vergessen und wir laufen motiviert weiter.

    An dieser Stelle ist es Zeit für ein kleines Suchbild. In Bild 4 hat sich ein kleiner Kollege versteckt, der auf die "tot stellen"-Taktik gesetzt hat. Seine vielen Artgenossen, an denen wir täglich vorbeilaufen, setzen eher auf die "Flucht in den Bach"-Taktik und sind damit schwieriger vor die Linse zu kriegen. Wer findet das Tier in Bild 4, das übrigens auch in einigen Regionen Italiens eine Delikatesse darstellt und nicht nur in Frankreich?

    Zurück zum Wesentlichen: Den Weg teilen wir mit einer Mittagspause in "Olcenengo" in zwei. Es gibt Tortelloni von gestern, eine Salatgurke (ich merke, dass ich nicht mehr allein über das Essen entscheide) und einen Proteinriegel. Nach der Pause auf einer schattigen Steinbank werden die restlichen 10 Kilometer in Angriff genommen. Diese bestehen aus genau 10 Kilometern kerzengerader Landstraße, auf welcher wir uns mit Diskussionen über interessante Themen (Politik) ziemlich effektiv die Zeit vertreiben.

    Um 13:30 Uhr kommen wir in Vercelli an, wo wir uns kurz ausruhen und um 14 Uhr ins Touristenbüro gehen. Dort holen wir uns Stempel ab und lassen uns erklären, was es in Vercelli zu sehen gibt und wo man etwas essen kann. Letzteres setzen wir zuerst in die Tat um und genießen ein Bier und eine Piadina am Hauptplatz Vercellis. Danach machen wir uns an die Besichtigung der drei Kirchen, die uns empfohlen wurden. An dieser Stelle sei erwähnt, dass Vercelli 46.000 Einwohner hat und es deutlich mehr Kirchen gibt, als die drei besichtigten.
    Kirche Nummer 1 ist die "Chiesa di San Cristoforo" (Bild 6+7). Diese könnten wir nur zwischen 15:30-16:30 Uhr besichtigen, es würde sich aber wegen den beeindruckenden Wandmalereien lohnen. Um 16:25 Uhr sind wir dann auch wirklich dort und erstaunen. Jede freie Wand ist bemalt oder auf eine andere Art verziert. Die Deckenbemalung könnte man sich stundenlang ansehen und würde immer noch neue Besonderheiten bemerken. Zusammen mit der spärlichen Beleuchtung ergibt sich ein leicht geheimnisvolles Ambiente, ganz anders als man sonst von Kirchen gewöhnt ist.
    Die zweite Kirche ist die Kathedrale von Vercelli (Bild 8+9). Hier muss man die Einwohnerzahl im Hinterkopf behalten, denn während die Kathedrale fast so groß ist wie der Frankfurter Dom(!), ist sie deutlich, deutlich schöner und majestätischer. Als Laie kommt sie mir von der Architektur mit ihren marmorbesetzten Säulen und hohen weißen Decken schon fast altgriechisch vor. Zudem wurde hier auch nicht an goldenen Verzierungen und sonstigen Zurschaustellungen des Reichtums der katholischen Kirche gespart. Der goldende über dem Alter hängende Jesus alleine ist mehr als lebensgroß (Mann im Bild zum Vergleich).
    Last but not least kommt die "Basilica di Sant'Andrea" (Bild 1 +10). Diese gehört zu einem größeren Gebäudekomplex und bietet daher von außen den besten Fotohintergrund von den dreien dar. Die Türme und Wände aus roten Backsteinen, abgewechselt mit weißen Elementen und die spitzen Turmspitzen geben ihr den begehrten "Hogwarts-Look". Im Inneren ist sie dafür sehr schlicht gehalten und lässt erkennen, dass es hier mehr um die Funktionalität als Glaubensstätte und nicht zur Darstellung von Reichtum geht. Außerdem hat die Fertigstellung der Basilika damals nur 8 Jahre gedauert. Für die Größe und das Alter eine sehr kurze Zeit.

    Nach diesem Tribut an das Pilgerdasein gehen wir zum "B&B la Rosa Bianca". Hier wollten wir uns um 18 Uhr mit dem Besitzer treffen. Als wir ankommen und den Besitzer anrufen, gesteht er uns aber, dass er im Stau steht und erst um 19 Uhr kommt. Das bedeutet eine Stunde warten, obwohl es sowieso schon spät ist. Der Gedanke, stattdessen in ein nur geringfügig teureres Hotel zu gehen, steht auf jeden Fall sehr präsent im Raum, wir entscheiden uns aber dagegen. Unsere Geduld macht sich schließlich zumindest teilweise bezahlt, denn das B&B ist klein, aber gepflegt und der Besitzer entschuldigt sich mit einer Portion Spaghetti und Wein bei uns. Beides lassen wir uns munden und bereiten uns anschließend auf den nächsten Tag vor.
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  • Day 22

    Santhìa

    September 28, 2020 in Italy ⋅ ☀️ 15 °C

    Heute gibt es keinen Grund, uns sonderlich zu beeilen. Um 7:15 Uhr klingelt der Wecker, was für mich schon quasi ausschlafen bedeutet. Um 8 Uhr serviert Loretta uns ein typisch italienisches Frühstück, welches aus verschiedenen Kuchen, Keksen, Plätzchen, Joghurt und Obstsalat besteht. Das einzige, das nicht süß ist, ist eine selbstgemachte Zitronenmarmelade. Die ist nämlich vor allem sauer. Für mich ist das keine besondere Umstellung, denn das französische Frühstück bestand meistens auch nur aus Baguette, Marmelade und manchmal Honig. Meine Mama probiert hingegen hier und da, entscheidet sich aber schließlich für eine kleine Schüssel Fruchtmüsli mit Joghurt. Anschließend verabschieden wir uns von Loretta und Farouk (so heißt ihr cleverer Hund) und machen uns um 8:45 Uhr auf den Weg.

    Dabei erlebe ich heute eine Premiere, denn wir laufen den gesamten (13 Kilometer langen) Weg nach Santhìa nur anhand der Wegweiser der via francigena, ohne Handy. Das ist hier ziemlich gut möglich, denn überall sind Aufkleber, Schilder, Pfeile, Zeichnungen und Sprays angebracht, die keine Zweifel bezüglich der Wegfindung übrig lassen.

    Der Weg führt uns durch den Wald, die Felder und sogar an einer Kiwiplantage vorbei. Das ist das erste Mal, dass ich sehe, wie Kiwis wachsen. Nach circa 9-10 Kilometern machen wir eine Pause und essen ein paar von den Snacks, die meine Mama noch von zuhause mitgenommen hat und die ihr jetzt schwer im Rucksack liegen. Kurz vor Santhìa kommen wir an einem kleinen Hof vorbei, auf dem zwei Esel, ein Ziegenbock und ein Schaf leben. Sie sind Pilger anscheinend gewöhnt und kommen erwartungsvoll zum Zaun, wo wir sie (wahrscheinlich nicht als erste) mit Mais und Äpfeln füttern, die genau auf der anderen Seite des Weges wachsen.

    In Santhìa machen wir Mittagspause in einem kleinen Park. Meine Mama macht ein Nickerchen auf einer sonnigen Bank und ich lege mich zum Lesen und Blog schreiben auf die Wiese. Die Ruhe und Entspannung bleibt jedoch aus, denn die Wiese lebt. Am helllichten Tag werde ich von mehreren Mücken attackiert, Fliegen und Ameisen sind sowieso überall und als mir dann eine Raupe aufs Handtuch krabbelt, reicht's mir auch wieder. Das war in Frankreich anders. Dort war es kälter und oder trockener und die Insekten waren schon im Wintermodus oder vertrocknet. An sich nichts gutes, aber Mittagspausen wie am Tag in "Champlitte" gehören zu meinen Highlights der Reise.

    Nach dem großen Krabbeln gehen wir in den Supermarkt, wo wir uns mit Lebensmitteln für heute Abend und ein paar Snacks für morgen eindecken. Von dort aus haben wir nämlich noch etwas über 6 Kilometer bis zu unserer Unterkunft, die zwar zu Santhìa gehört, aber über eine Stunde Fußmarsch von der eigentlichen Stadt entfernt liegt. Der Weg dahin führt entlang einer komplett geraden, kaum befahrenen Landstraße durch die Reis(!?)felder Italiens. Auf diese Art und Weise sehen wir schon zu Anfang, wo unsere Unterkunft ist, brauchen aber über eine Stunde dahin. Ein wenig makaber. Jedenfalls haben wir auf dem Feld wieder eine, welches Wort hatte ich noch nicht... grandiose Aussicht auf die Gipfel der Alpen und um kurz vor 4 kommen wir dann auch endlich an.

    Das "B&B il Passatempo di Enrica" ist eine kleine Wundertüte. Als wir auf den Standort auf der Karte zu laufen, sehen wir Ruinen einer alten, verlassenen, wie wir glauben, Stadt (Bild 7). Es gibt einen Turm aus rotem Backstein, bei welchem das Dach eingefallen ist und Löcher in den Wänden sind. Darunter sind mehrere Gebäude, aus denen Pflanzen wuchern und Bäume quer hindurch wachsen, und eine Stadtmauer, die inzwischen zur Hälfte nur noch aus Gebüsch zu bestehen scheint. Ich finde es aufregend und bin fasziniert von diesem Anblick, meine Mama hingegen, im Herzen einfach noch keine richtige Pilgerin, hat Angst, dass dort unsere Unterkunft liegt.

    Als wir diese "Stadt" umlaufen, finden wir eine Auffahrt, in der ein Auto steht. Fast verzweifelt klingeln wir dort und fragen, wo das B&B Passatempo liegt. Die Frau, die zwar kein Englisch spricht, versteht, was wir suchen, und führt uns zu einem Tor, das direkt zu den Ruinen führt und welches wir gerade beim Vorbeilaufen bewusst ignoriert hatten (Bild 8). Neben dem Tor hängt dann wirklich ein kleines Schild mit dem Namen des B&Bs. Meine Mama ist immer noch "skeptisch" (milde Formulierung), aber alleine durch den Umstand, dass es Nachbarn gibt, auch ein wenig beruhigt.
    Mir der Besitzerin Enrica hatte ich zuletzt gestern Abend Kontakt, weshalb es nicht unbedingt der Beruhigung zuträglich ist, dass sich weder nach mehrmaligem Klingeln, noch nach mehreren Anrufen jemand meldet. Erst als ich ihr auf Whatsapp schreibe, gibt es ein Lebenszeichen und sie kommt nach vorne zum Tor spaziert.

    In kürzester Zeit kippt bei meiner Mama die Stimmung von Skepsis hin zu Begeisterung. Enrica führt uns über das riesige Grundstück, hin zu einem Gästehaus, das neben den Ruinen steht. Hier zeigt sie uns unsere großen und altertümlich eingerichteten Zimmer, das Bad und den Saal, in dem wir morgen frühstücken. Alles ist sehr majestätisch und nur ein bisschen gruselig. Während wir kochen (es gibt Tortelloni mit Käsesauce) unterhalten wir uns mit Enrica und sie erzählt uns von ihrem Mann, ihrem Sohn und ein wenig über das Anwesen. Dieses war früher eine kleine Landburg, die über die Jahre immer wieder zerfallen ist und wieder aufgebaut wurde. Was wir heute sehen, sei größtenteils im 18. Jahrhundert gebaut, ein-zwei mal renoviert und seit vielen Jahren wieder ignoriert worden. Sie wolle das Ganze wieder aufbauen und seie dafür zur Zeit auf der Suche nach Geldgebern. Auf die Frage, ob wir uns die Ruinen mal etwas genauer anschauen könnten, reagiert sie gelassen. Wir dürften so viel schauen, wie wir wollen, es sei aber alles auf eigene Gefahr.

    Das lassen wir uns nicht zweimal sagen und stehen bald im Innenhof des "Castello". Das ist zwar aufregend, reicht uns aber nicht ganz. Wir gehen durch eine Tür in das Gebäude hinein und klettern vorsichtig über die Turmtreppe in die oberen Stockwerke. Ich bin ganz verblüfft, dass meine Mama nicht interveniert, sondern in einem Fall sogar vorgeht und noch neugieriger ist als ich. Nach ganz oben auf den Turm lässt sie mich dann aber nicht klettern (zugegebener Maßen sehr vernünftig), was jedoch nicht schlimm ist, denn wir haben bereits genug gesehen. Es ist ein absolut faszinierender und leicht gruseliger Ort, der es auf jeden Fall in eine Sendung von Galileo "Lost Places" schaffen würde.

    Nach der Erkundungstour reden wir nochmal kurz mit Erica und gehen anschließend auf unser Zimmer. Morgen wartet wieder ein großer Tag auf uns.
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  • Day 21

    Roppolo

    September 27, 2020 in Italy ⋅ ☀️ 7 °C

    Um 6:30 Uhr heißt es aufstehen. Für meine Mama, sonst eine Frühaufsteherin, ist das am Sonntagmorgen eine kleine Herausforderung, aber nach ein paar Minuten überwindet sie sich auch. Das Frühstück ist üppig. Es gibt 6 verschiedene Arten von Croissants, unterschiedliche Kuchen, Joghurt, Rührei, Speck und vieles mehr. So gut gestärkt, wie sonst selten, machen wir uns um 7:45 Uhr auf zum Milano Centrale und nehmen dort den Zug nach Ivrea. Um 10:30 Uhr sind wir da.

    Ivrea liegt am Fuße der Alpen, unweit der Schweizer Grenze. Das merkt man, denn die Stadt ist lebendig und wohlhabend. Durch Ivrea hindurch fließt ein Fluss aus sauberem blaumatten Bergwasser, es gibt Parks mit Brunnen und gut besuchte Cafés. Auf dem Weg durch die Stadt kommen wir bei einem Infopoint speziell für Pilger der via francigena vorbei. Noch bevor wir da sind, kommt uns schon Paolo entgegen und fragt uns auf Französisch, ob wir Stempel für unseren Pass haben möchten. Das möchten wir tatsächlich und kommen mit ihm in das kleine Gebäude rein. Dort fragt er mich auf energetisch-italienische Weise aus, woher wir kommen, wohin wir gehen und was unser Tagesziel ist. Als wir sagen, dass wir nach Viverone wollen, empfiehlt er uns stattdessen einen Ort weiter zu gehen nach Roppolo, denn hier gebe es bessere Unterkünfte. Er geht sogar noch einen Schritt weiter und ruft bei einer Bekannten von ihm an und fragt, ob sie für heute Abend noch Plätze hat und erklärt ihr, dass zwei Pilger, Mutter und Sohn, noch eine Unterkunft suchen. Als er auflegt, haben wir eine Unterkunft für heute abend, die günstiger ist als, die die wir ausgesucht hatten, und zudem ein Frühstück beinhaltet. Nach dem Telefonat gibt er uns beiden noch eine Karte, zwei via francigena Broschen und fotografiert uns mit einem lebensgroßen Pilgeraufsteller.

    Nach diesem sehr glücklichen Zusammentreffen machen wir uns weiter die via francigena entlang. Da meine Mama sich heute noch keinen 22 Kilometern gewachsen fühlt, kürze ich mithilfe von Google Maps den Weg ein wenig ab und serviere ihr das "Landstraße-Special" für 7 Kilometer. Immer, wenn uns das Laufen entlang der Landstraße jedoch entmutigt, konnten wir uns umdrehen und die beeindruckende Aussicht auf die Alpen genießen.

    Der Rest des Weges führt uns entlang eines Kanals, der die selbe Farbe hat wie der Fluss in Ivrea, durch Maisfelder und schöne, wirklich schöne italienische Dörfer. In Viverone machen wir kurz Halt am Lago Viverone, welcher besser besucht ist als der Chiemsee in der Hauptsaison.

    Um 16:30 Uhr kommen wir bei unserem B&B "Emilia" in Roppolo an. Die Besitzerin Loretta kommt 20 Minuten später mit 2 Freundinnen an und wundert sich, wo wir denn lang gelaufen seien. Sie seien uns entgegengelaufen und hätten uns nicht finden können. Dieser Umstand ist mit unserem kurzen Abstecher zum See schnell erklärt und Loretta führt uns mit erstaunlich gutem Englisch durch das gemütliche und charmante B&B. Sie fragt uns, ob wir Wäsche haben, die gewaschen werden soll, und erklärt meiner Mama (nicht mir) wann die Waschmaschine fertig ist und wo man die Wäsche aufhängen kann. Wir wechseln ein paar Worte über unsere Reise, sie empfiehlt uns wiederum einen anderen Ort als geplant und nach einer kurzen Ruhepause gehen wir um 19:30 Uhr in ein Restaurant im Ort, das offenbar spezielle Preise für Pilger hat.

    Im Restaurant kriegen wir das "Pilgermenü". Das bedeutet Vorspeise (Gemüsesuppe oder Käsecrèpe), Hauptspeise (wir haben beide Fisch mit Polenta genommen) und jeweils Bier oder Wein für insgesamt 24 €(!!!). Nach so einer Mahlzeit kann man ja nur gut schlafen.
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  • Day 20

    Mailand

    September 26, 2020 in Italy ⋅ ☀️ 17 °C

    Der Titel dieses Footprints überrascht vielleicht den ein oder anderen Leser. Auch wenn ich im Laufe dieser Reise immer längere Strecken zurückgelegt habe und jeden Tag über mich hinausgewachsen bin, so ist die Strecke Pontarlier-Mailand weder auf der via francigena vorgesehen, noch mit insgesamt 398 Kilometern im Rahmen des für mich möglichen.

    Was heute stattdessen auf dem Programm steht, ist es, mich mit meiner Mama in Bern zu treffen und anschließend zusammen nach Mailand zu fahren. Von dort aus planen wir nach Ivrea zu fahren, damit wieder auf die via francigena zu stoßen und dieser dann gemeinsam für eine Woche zu folgen.

    Das Stück Pontarlier-Ivrea zu überspringen macht mir aus mehreren Gründen nichts aus.
    1. Die letzten zwei Tage in Pontarlier haben mir einen Vorgeschmack dafür gegeben, was mich für ein Wetter in der Schweiz erwartet. Es ist durchaus möglich, bei 3 Grad und Regen zu wandern, mit Spaß hat es nach meinem Geschmack jedoch nichts zu tun.
    2. Ab Pontarlier gibt es keine vernünftige Strecke, die man in 6-7 Tagen laufen könnte. Wie Naomi und ich bereits vor 2 Wochen erfahren durften, liegen nicht alle Ziele entlang der via francigena in der Nähe von Bahnhöfen. Da meine Mama aber mit der Abbreise am 3.10. wegen ihrer Arbeit nicht sehr flexibel ist, müssen wir nächsten Samstag an einem Bahnhof sein. Das ist in Italien besser möglich als in den Bergen der Schweiz.
    3. Ich werde dieses Stück nachhholen. Mir hat das Pilgern sehr viel Spaß gemacht und die via francigena in ihrer Gesamtheit zu vollenden, habe ich mir schon mehr oder weniger fest vorgenommen. Dazu gehört das Stück, Canterbury-Reims, Pontarlier-Ivrea und was uns nach den 7 Tagen noch Richtung Rom übrig bleibt. Alle diese Strecken eignen sich gut für 2-3 wöchige Reisen und lassen sich bequem in die Ferien eines Studenten einbauen.

    Auf der Zugfahrt von Pontarlier nach Bern bin ich alleine im Zug. Das ist mir ganz recht, denn so kann ich ganz schamlos von einem Fenster zum anderen laufen, um die malerischen Voralpen zu bewundern und zu fotografieren. Als der Zug auf halber Strecke am Genfer See und den vielen schönen modernen Häuser vorbeifährt, die alle den riesigen See überblicken, frage ich mich, wie die Jobaussichten für Psychologen in der Schweiz aussehen, denn hier lässt es sich definitiv leben.

    In Bern treffe ich dann meine Mama, die praktisch gleichzeitig mit mir ankommt und 30 Minuten später sitzen wir gemeinsam im Zug nach Mailand. Dieser ist erstaunlich voll und zum ersten mal kommt mir die Maskenpflicht im öffentlichen Verkehr sinnvoll vor.
    Die gelegentliche Aussicht auf die Alpen während der Zugfahrt ist zwar überwältigend, aber die Hälfte der Zeit sind wir im Tunnel, weshalb ich die Zeit lieber mit dösen und Blog schreiben verbringe.

    Um 16:40 Uhr kommen wir in Mailand an und begeben uns direkt zu unserem (4-Sterne) Hotel (Danke Mama). Mir fällt sofort auf, dass ich seit langem in keiner so großen Stadt war. Mit 1,3 Millionen Einwohnern ist Mailand mehr als 10 mal so groß wie Besançon, welches ich vor einigen Tagen noch als anonyme Großstadt betitelt hatte. Davon die Leute zu grüßen, kann hier überhaupt nicht die Rede sein. Trotzdem muss ich zugeben, dass es eine wunderschöne, moderne und saubere Stadt ist, in welcher viele sehr gut angezogene Leute herumlaufen.

    Als wir abends in Chinatown essen gehen, ist in der Stadt ordentlich was los. Klar, Mailand hat 1,3 Millionen Einwohner und es ist Samstag Abend. Selbstverständlich ist das zu Zeiten von Corona trotzdem nicht. Beim Chinesen tippe ich einfach nur zufällig auf die Karte und kriege eine sehr leckere Nudelsuppe, die ich mit meiner ersten Kokosmilch aus der Dose abrunde. Um halb 9 sind wir wieder im Hotel, denn morgen geht's wieder früh los.
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  • Day 19

    Pontarlier 2

    September 25, 2020 in France ⋅ ☁️ 8 °C

    Die Nacht ist sehr erholsam und ich wache um 7:30 Uhr auf, genau rechtzeitig für das Frühstück, welches um 7:45 Uhr beginnt. Außer mir sind noch 2-3 Leute beim Frühstück, was ziemlich sicher auch der Anzahl der besetzten Zimmer in der Herberge entspricht. Nach dem Frühstück lege ich mich in den gemütlichen Gemeinschaftsbereich. Hier gibt es Wlan und ich schaue, was ich heute machen kann.

    Die Recherche ist ernüchternd, denn Pontarlier hat mit seinen 17.000 Einwohnern nicht soo viel zu bieten. Außerdem hat es heute kuschelige 5-6 Grad und nieselt den ganzen Tag. Mein wärmstes Kleidungsstück, ein Thermopulli, trocknet zudem noch, nachdem ich ihn gestern gewaschen habe. Meine Motivation, die warme Herbege zu verlassen, hält sich in Grenzen.

    Um 11 Uhr überringe ich mich dann doch und mache mich zunächst auf den Weg ins Touristenbüro. Dort hole ich mir einen Stempel für meinen Pilgerpass ab und frage, was man hier in Pontarlier so machen kann. Die junge Dame zögert nicht lange und gibt mir einen Flyer mit einer Karte, auf welcher eine Route abgebildet ist, die alle Sehenswürdigkeiten enthält. Das passt mir sehr gut, denn so habe ich ein konkretes Programm und kann mich besser motivieren, dem kalten Wetter zu trotzen.

    Um 12 Uhr bin ich mit der Tour fertig. Pontarlier ist wirklich nicht sehr groß. Die Highlights umfassen die Kirche, in welcher zu meinem Glück gerade Orgel gespielt wurde, eine alte Kapelle, welche heute als Galerie für Kunstausstellungen fungiert, und die interessante Geschichte von Philippe Grenier, einem Arzt, der Anfang des 20. Jahrhunderts eine lokale Berühmtheit war und maßgeblich die ausgeprägte muslimische Gemeinde in Pontarlier mitgestaltete.

    Nach der Tour mache ich mich auf den Weg zum Supermarkt. Mir ist inzwischen so kalt, dass ich sogar meine Maske anziehe, damit meine warme Atemluft mein Gesicht wärmt. Im Supermarché hole ich mir zwei Tiefkühlpizzen, eine Paprika, Skyr und etwas Obst. Als ich wieder in der Herberge ankomme und mir die Pizzen machen möchte, wird es lustig. Es gibt gar keinen Ofen und die Mikrowelle hat auch keine Backfunktion. Nach kurzem googlen finde ich heraus, dass es möglich ist, Tk-Pizza in der Mikrowelle zu machen und danach in der Pfanne anzubraten, um sie zumindest ein bisschen knusprig zu machen. Nicht empfehlenswert, aber möglich. Gesagt, getan, 10 Minuten später "genieße" ich meine Pizza, die tatsächlich essbar geworden ist.

    Auch nachmittags regnet es durch und das einzige, das es noch zu sehen gebe in Pontarlier, ist eine Absinthbrauerei am anderen Ende der Stadt. Die reizt mich nicht genug, um die Wärme zu verlassen, weshalb ich den restlichen Tag auf der Couch im Gemeinschaftsraum in der Jugendherberge verbringe. Auch solche Tage gibt es. Meine Füße haben jedenfalls nichts dagegen.
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