Camino Frances

August 2022 - September 2032
El camino is calling and I must go Read more
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    Villamayor de Monjardin - Torres del Rio

    September 7, 2022 in Spain ⋅ ⛅ 24 °C

    19,84 km

    Sanfte Hügel

    Wieder liegt eine anstrengende Nacht hinter mir. Ich habe kaum geschlafen. Natürlich musste ich nachts mehrmals auf Klo. Ist ja klar! Wenn es unpassend ist, dann muss ich. Ich bin extra noch mal Pippi machen gegangen, als sich alle hingelegt haben. 30 min später musste ich wieder und dann noch mal. Es war nicht möglich, geräuschlos oder leise die Leiter runterzuklettern. Metall auf Metall macht furchtbare Geräusche. Zumindest waren meine Zimmergenossinnen dann auch immer wach. Um 5.30 Uhr ging der Wecker von 2 Frauen aus unserem Zimmer. Sie versuchten sich so leise wie möglich fertig zu machen und den Rucksack zu packen, aber natürlich klappt das nicht. Ich hatte den Abend vorher mit der älteren Frau, die am Fenster geschlafen hat, vereinbart, dass ich sie, falls sie noch nicht wach ist, um 6 Uhr wecken soll. Gesagt, getan. Um 6 Uhr gehe ich zu ihr und wecke sie. Sie bedankt sich und dann schlägt sie die Bettdecke zurück und zwei in die Jahre gekommene Brüste gucken mich an. Auf diesen Anblick war ich am frühen Morgen nicht vorbereitet.
    Ich mache mich fertig. Viele aus den anderen Zimmern sind schon weg, obwohl es noch dunkel ist. Das wird sich mir nie erschließen, wo die so früh schon hinwollen. Man sieht so doch gar nix von der schönen Natur.
    Ich gehe dann mit meinem gepackten Rucksack und dem Frühstücksbeutel, den wir gestern Abend nach dem Essen feierlich überreicht bekommen haben, nach unten. Da steht ein Wasserkocher und ich trinke einen Kaffee und esse eine Kleinigkeit. 2 Frauen, die auch deutsch sprechen, kommen dazu. Dann erscheint noch Benedikt. Ich dachte, er ist auch schon weg, aber er hat in einem anderen Trakt geschlafen. Auch Thomas ist noch da. Er war, als er erwacht ist, ganz alleine in seinem Zimmer. Alle anderen waren schon ausgeflogen. Ich frage ihn, ob er nichts davon mitbekommen hat. Nein! Scherzhaft sage ich zu ihm, dass er die anderen wohl vergrault hat.
    Wir verabschieden uns. Thomas geht heute einen Ort weiter als ich. Benedikt und ich schlafen im gleichen Ort. Gegen 7.30 Uhr verlasse auch ich die Herberge. Es wird hell. Die aufgehende Sonne zaubert auf der einen Seite ein wunderschönes rotes Licht und auf dem anderen Berg ein gelbes. Was für eine Begrüßung am frühen Morgen.
    Es geht bergab. Klar doch! Das, was ich mich gestern hier hoch gequält habe, geht's nun wieder runter. In mir kommt wieder das Gefühl hoch, dass es den Pilgern mit Absicht schwer gemacht wird. Man hätte den Weg ja auch anders legen können. Für Leute zB, die kein Bergauf mögen - also quasi mich.
    Ich merke relativ schnell, dass was mit meinem rechten Bein nicht stimmt. Das Knie fühlt sich komisch ab. Als wenn es nicht richtig belastbar ist. Ich nehme es zur Kenntnis, gleiche es mit meinen Wanderstöcken aus und denke mit nichts weiter dabei. Kurz vor mir hat der nicht sprechende, knurrig wirkende ältere Mann die Herberge verlassen. Ich versuche mich an seine Fersen zu heften. Es gibt keinen Pilgerstrom - außer ihm und mir kein weiterer Pilger in Sicht. Trotz des komischen Gefühls rechts komme ich gut voran. Mehrmals schlage ich mich in die Büsche zum Pippi machen. Beim hinhocken kommen Schmerzen im rechten Knie auf. Ich ignoriere den Umstand. Plötzlich kommen Hügel in Sicht, die eine ungewöhnliche Form haben. Sie sind rund und wirken irgendwie sanft. Sieht sehr schön und doch eigenartig aus. Bendikt überholt mich und informiert mich, dass laut Wettervorhersage es heute nur 28 Grad werden sollen und die Sonne soll sich hinter Wolken verstecken. Na hoffen wir mal, dass das auch stimmt. Heute fallen mir die Botschaften der anderen Pilger am Wegesrand besonders auf. "Keep going" und "Buen Camino" lese ich zb.
    Auch auf einen am Baum hängenden, einsamen und verlorenen BH komme ich vorbei. Dass seine Vorbesitzerin wegen ihm zurückkommt, wage ich zu bezweifeln.
    Dann passiere ich den Ortseingang von Los Arcos. Irgendwie ging das schnell. Schon 12 km geschafft. Dann kann ich es jetzt etwas ruhiger angehen.
    Ich komme zu einem Marktplatz mit einer schönen Kirche und einem Café. Hier werde ich mir eine Pause gönnen. Es gönne mir einen leckeren Kaffee. Mir gegenüber sitzt eine Deutsche. Wir kommen ins Gespräch. Linda ist aus Naumburg und hat ihr heutiges Etappenziel erreicht. Ich sage ihr, dass ich noch 8 km vor mir habe. Plötzlich überlegt sie, ob sie sich mir anschließen und auch bis Torres del Rei laufen soll. In mir zieht sich alles zusammen. Ich möchte alleine pilgern.
    Ich sage ihr, dass ich eine Unterkunft reserviert habe und es wahrscheinlich kein freies Bett mehr gibt. Sie sagt, sie bleibt in Los Arcos. Geht doch!
    Nach meiner wohl verdienten Pause ziehe ich weiter. Mein Knie bereitet immer mehr Probleme und ich setze die Stöcker als Unterstützung ein uns versuche das Gewicht des Rucksackes mehr nach links zu verlagern, um es zu entlasten. Die Wolken werden weniger und die Sonne brennt wieder unerbittlich von oben. Es sind kaum schattige Plätze auf dem Weg vorhanden. Dann führt der Weg auf einer normalen asphaltierten Landstraße bergauf. Es ist sehr anstrengend. Ich treffe unterwegs die beiden älteren Frauen, die deutsch sprechen und auch Bernadette aus London. Alle waren auch in der gleichen Herberge wie ich. Bernadette ist auch sehr kräftig und mir wird bewusst, dass die Langsamsten auf dem Weg, die Dicken sind. Bernadette, Leonie und ich. Man kann da keine allgemeingültige Formel von Ableiten, aber in der Regel sind die schnellen Pilger schlank und durchtrainiert.
    Mit diesen Gedanken erreiche ich Sansol. Ich übernachte einen Ort weiter, aber mir sticht sofort das Schild "Farmacia" ins Auge. Apotheke. Okay kann ja nicht schaden, hier mal vorbeizuschauen. Leider ist noch bis 14 Uhr Siesta und ich möchte nicht noch über 30 Minuten in der Hitze warten. Ich entscheide mich, weiter zu gehen. Es kommt noch mal ein schwieriger und steiler Abstieg und - wie immer kurz vor der Unterkunft - noch ein steiler Aufstieg. Ich kann kaum noch laufen, aber nach fast 20 km ist das normal. Ich stehe vor meiner Herberge in Torres del Rei. Sie hat einen kleinen Pool, aber leider gibt es Hinweise, dass man nur in Badesachen in den Pool darf. Wer schleppt denn für so einen Fall noch einen Badeanzug im Rucksack mit sich rum? Ich checke ein und betrete mein schönes Zimmer. Ich will mit meiner Routine beginnen und duschen, Wäsche waschen usw, aber nach dem ich meine Hose ausgezogen habe, trifft mich der Schlag. Mein Problemknie ist rechts richtig geschwollen. DAS kann ich nun nicht mehr ignorieren. Was nun? Das sieht gar nicht gut aus. In mir kommt ein wenig Panik hoch. Ich setze mich aufs Bett und google. Überanstregung, kühlen, Ruhe usw wird mir angezeigt. Ich mache mein Handtuch nass und lege es aufs Knie. In meinem Kopf sind Millionen Gedanken. Nicht das auch noch. Ich hatte so was nicht eingeplant und bin auch nicht vorbereitet. Es gibt wohl Bandagen, die helfen. Ich beschließe zu duschen und danach die Apotheke in Sansol aufzusuchen. Das bedeutet auf dem Hinweg einen steilen Ab- und Aufstieg und auf dem Rückweg das gleiche noch mal in umgekehrter Reihenfolge. Aber wat mutt, dat mutt. Also quäle ich mich zur Apotheke. Der junge Mann spricht nicht so gut Englisch, aber ich präsentiere ihm das Problem. Ich bekomme eine Bandage und Salbe. Ich frage ihn, ob ich morgen laufen kann. Das muss ich entscheiden. Wenn ich keine Schmerzen habe, spricht nichts dagegen. Ich soll kühlen. Nun gut. Zurück geht es nur noch ganz langsam.
    In der Herberge frage ich nach Eis zum Kühlen und bekomme das auch. Einen Kaffee nehme ich mir auch noch mit aufs Zimmer. Immer wieder in meinem Kopf die Frage, was nun werden soll. Ich bin mir sicher, dass ich morgen so nicht pilgern kann. Zuerst hatte ich im Kopf, meinen Rucksack voraus zu schicken und ohne Gepäck zu wandern, aber diese Überlegung verwerfe ich dann. Noch mal 20 km mit einem lädierten Knie. Ich soll auf meinen Körper hören. Ich rufe Jenny an und wir reden.
    Ich bin sauer auf mich und fühle mich hilflos. Ich schaue nach Möglichkeiten, wie ich nun weiter fortfahren kann und gucke auch nach Möglichkeiten heim zu fahren.
    Dann ziehe ich in Erwägung, meinen Camino abzubrechen. Am Freitag würde ein günstiger Flug von Vitoria aus nonstop nach Köln gehen. Dann müsste ich nur von hier nach Vitoria kommen. Ich gehe nach unten und benutze die Waschmaschine. Ich spreche mit dem Herbergsvater. Es gibt einen Bushaltestelle im Ort und von dort kommt man günstig nach Logroño.
    Ich gehe nach oben und entscheide, heim zu fliegen. Ich nehme alle Buchungen vor. Unterkunft in Vitoria und Flug. Mir fällt diese Entscheidung unendlich schwer. Ich habe so lange geplant, viel Geld ausgegeben und für ein Sabbatical Geld angespart und nach einer(!) Woche muss ich abbrechen. Was werde alle sagen? Am End' war es klar, dass die dicke Cindy es nicht schafft. Ich teile Jenny meine Entscheidung mit und bitte sie, erst einmal nichts zu sagen. Nur ihre Eltern vielleicht. Diese Entwicklung muss ich erst einmal verarbeiten. Ich humpel' zum Abendessen. Der Herbergsvater fragt, ob ich Lust auf Konversation habe oder alleine bleiben möchte. Ich möchte alleine bleiben. Dann gibt es ein sehr leckeres Abendessen. Ich trinke auch ein kleines Glas Wein auf das Ende meines Jakobsweges. Dann gehe ich schlafen. Vorher trete ich in Facebook aus allen Jakobsweggruppen aus und entferne meine Pilgermuschel vom Rucksack. Ich bin kein Pilger mehr - vielleicht bin ich nie einer gewesen.
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  • Day 7

    Lorca bis Villamayor de Monjardin 17,62k

    September 6, 2022 in Spain ⋅ 🌙 15 °C

    Die Landschaft hat es wieder rausgerissen

    Die Nacht war gut. Leonie und ich waren alleine in dem eigentlichen 4-Bett-Zimmer. Ich habe durchgeschlafen bis 6 Uhr.
    Ich mache mich fertig und esse dann noch ein Frühstück, was aus einem Schokocroissant und einem Kaffee besteht. Meine Mitpilgerinnen haben Probleme mit der Bezahlung des Frühstücks. Sie dachten, dass es kostenfrei ist. Leonie zahlt 3,50 Euro fürs Frühstück und macht sich auf die Socken. Ich zahle nur 2,70 Euro und folge ihr 10 Minuten später. Es gibt einen wunderschönen Sonnenaufgang. Im ersten Ort, den ich passiere, Villatuerta, treffe ich Leonie. Sie sitzt auf einer Bank und macht Pause. Ich rede kurz mit ihr und gehe dann weiter. Irgendwie ist der Camino heute nicht so gut ausgeschildert. Ich muss immer genau schauen, wo die Hinweisschilder sind. Es gibt eine schöne Kirche, bei der man Rast machen und wenn man noch zusätzliche Energie hat, Fahrradfahren kann. Ich verzichte darauf, denn immerhin habe ich noch einen weiten Weg vor mir. Der Weg führt aus die Stadt raus und ich vermisse die Pilger, die sonst in Vielzahl an mir vorbei ziehen. Kaum einen treffe ich. Meine App, Buen Camino, zeigt an, dass ich den Weg genießen soll. Die Landschaft und die Leute auch. Der Hinweis kam, als ich abseits des Weges eine kleine Kirche erblicke. Nun ja, nach dem Hinweis schaue ich sie mir natürlich an. Vor ihr sind Bänke und Tische, so dass man Rast machen kann. In der Kirche ist es dunkel. Auf dem Altar liegen Bittbriefe, Fotos und Kreuze. Unter dem Altar liegt ein Kondom - ausgepackt. Ich gehe.
    Ich komme heute gut voran und erreiche fast Estella. Auch hier vermisse ich die gute Ausschilderung. Ich treffe einen alten blöden Mann, der richtig unnett war. Mit schlechter Laune ziehe ich durch Estella. Ich mag momentan wohl keine Städte. Ich komme an der großen Kirche vorbei. Die Leute schauen mich an. Dann komme ich an einem Pilgerladen vorbei und kaufe mir dort eine Bauchtasche. Ich kann es nicht mehr ertragen, dass alles um meinen Hals hängt. Vom Handyband habe ich einen Ausschlag bekommen und mein Brustbeutel zeichnet sich immer unter meinem Shirt ab. Es sieht aus, als wenn ich einen künstlichen Darmausgang habe. Ich quäle mich durch die Stadt und suche immer wieder die Pfeile, Muscheln usw. Ich stehe an einer Ampel und ein spanisches Pärchen kreuzt meinen Weg. Er drückt auf einen Knopf, damit ich "grün" bekomme. Da hätte ich ja noch ewig gestanden. Langsam verlasse ich die Stadt und es kommt ein Hinweisschild für eine öffentliche Toilette. Oh ha. Das ist ja mal was. Sie kommt genau zur richtigen Zeit und ist auch eher eine Seltenheit.
    Dann taucht ein großes Schild auf. "Fuente del Vino". Ich weiß, was das ist. Hier kann man sich kostenlos Wein zapfen. Dafür trage ich extra einen Plastikbecher mit mir rum.
    Vorher kommt noch ein kleiner Laden, in dem ein Künstler aus Metall schöne Sachen, wie zb Muschelanhänger usw macht. Und er hat einen Stempel. Na da halte ich doch mal an. Freudig nehme ich den "Sello" entgegen. So langsam füllt sich mein Pass. Ich bin schon fast wieder draußen, da deutet er auf die Stöcke. Oh ja, DIE sollte ich mitnehmen! Ich merke immer richtig, wenn ich zu wenig getrunken habe. Dann wird man vergesslich und hört nicht richtig zu.
    Draußen sehe ich ein Schild, dass es nun nur noch 676 km bis Santiago sind. Dann habe ich schon 100 km geschafft. Stolz will sich nicht einstellen, denn es sind noch so viele und ich bin ein wenig zu langsam. 100 km in der Woche .... 900 km sind es ... das wären 9 Wochen. Die Berechnung habe ich erstellt, während mein Körper zu wenig Wasser hat. Oder stimmt sie? Dann erreiche ich endlich die Stelle an der man Wein und Wasser zapfen kann. Ich fülle zuerst mein Wasser auf und dann krame ich meinen Becher hervor und fülle etwas Wein hinein. Ein Pärchen kommt und ich bitte sie, ein Bild von mir zu machen. Dann trinke ich den Wein. Der erste Schluck schmeckt nicht. Der Wein ist seeehr trocken, aber mit jedem Schluck wird er besser. Dann suche ich mir ein Plätzchen zum Verweilen: Ich muss dringend meine Socken wechseln. Bei einer Kirche ist Schatten und ich mache Rast und ziehe die schwarzen Socken an. Die grauen hänge ich zum Trocknen an den Rucksack.
    Dann ziehe ich weiter. Mir kommen Pilger entgegen. Ich werde unruhig und unsicher - bin ich etwa in die falsche Richtung unterwegs? Immer wenn ich das denke, kommt dann doch noch ein Richtungsweiser. Dann wird der Weg immer schöner. Sattes Grün, die grauen, staubigen Wege und die Berge. Wirklich toll. Ich mache sooo viele Bilder. Keine Pilger weit und breit. Ein bisschen mulmig ist mir schon. Ich rufe: Pilger, wo seid ihr alle?
    Plötzlich kommt mir eine Feau entgegen und hinter mir erkenne ich drei Pilger. Geht doch!
    Es wird heißer und heißer. Die Sonne brennt. Ich sehe den Anstieg nach Azqueta und mache wieder im Schatten Rast. Dann quäle ich mich mit meinem tonnenschweren Rucksack den Berg rauf. Oben angekommen mache ich wieder Halt im Schatten. Ich will weitergehen und höre es rufen. Links sitzen 2 Männer auf einer Bank und rufen "Sello". Ich gehe zu ihnen und bekomme dort auf der Bank einen Stempel in meinem Pilgerpass. Der eine ältere Mann weißt den anderen ein. Dieser zittert und ist unsicher. Nachdem er den toll platziert hat, zeige ich mit dem Daumen nach oben. Ich gehe weiter und obwohl es nicht mehr weit ist, fülle ich mein Wasser auf. Dann verlasse ich den kleinen Ort. Nur noch 1,5 km bis Villamayor de Monjardin. Leider knallt die Sonne unerbittlich und es ist nirgendwo Schatten. Ich kriechen und bleibe alle paar Meter stehen. Es ist so anstrengend. Es geht steil bergauf. Dann kommt mir eine Frau entgegen. Sie fragt mich, ob ich müde bin. Ja, sehr. Sie zeigt auf Azqueta. Da wäre ein schönes Hostel. Okay, aber ich habe schon in Villamayor de Monjardin reserviert. Okay, das ist gut. Ich bin ja eh fast da. Ich quäle mich weiter und dann kommt endlich mein Endziel. Ich schleiche zu meiner Herberge, die leider auch auf einer Anhöhe liegen muss. Da stehen viele Leute und checken ein. Ich muss warten, bekomme aber ein leckeres Wasser mit Zitrone. Danach geht es aufs Zimmer. Es ist sehr eng und ich teile es mir mit 4 weiteren Frauen. Was für ein Chaos hier. Dann wieder die normale Routine: Duschen, Wäsche waschen und eine neue Unterkunft suchen. Dieses Mal aber für den übernächsten Tag. Ich gönne mir wieder ein Einzelzimmer. Ich erkunde den Ort und treffe in einer Bar Bendikt aus Saarlouis wieder. Ich trinke ein Auarius und esse einen Kuchen. Wir quatschen und ich helfe ihm beim Buchen seiner Unterkunft für morgen. Dann gesellt sich noch Thomas aus Berlin dazu. Er hat einen kleinen Sprachfehler und wirkt anfangs etwas dümmlich, aber das täuscht. Danach gehen wir drei gemeinsam zum kleinen Laden in dem Ort. Davor sitzt Leonie mit einem jungen Mann. Sie hat es auch geschafft. Es war sehr anstrengend für sie. Sie hatte aber Bescheid gegeben, dass sie es nicht bis 15 Uhr schafft.
    Bis zum Abendessen vertreiben wir uns noch die Zeit. Wir essen alle zusammen-mit den Hositeleros- draußen. Es ist gemütlich. Nach dem Essen gibt es eine Meditation. Sie dauert 30 Minuten. Da es sonst nichts zu tun gibt, nehme ich teil. Es ist entspannend, aber sehr auf Jesus ausgelegt. Danach gibt es noch einen Tee und ein Schlüssel wird rumgereicht. Wer ihn hat, kann was sagen, was vom Herzen kommt. Auch ich traue mich, was zu sagen. Danach komme ich mit einer Hospitaliero ins Gespräch. Warum gehe ich den Weg? Ich weiß nicht. Wir reden noch ein wenig. Sie ist sehr nett. Ich habe ein bisschen das Gefühl, sie will mir Jesus näher bringen, aber das blocke ich ein wenig ab. Dann mache ich mich bettfein und kletter noch oben ins Etagenbett. Ich bekomme jetzt schon Panik, wenn ich nachts auf Toilette muss und dann runterklettern muss. Schauen wir mal!
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  • Day 6

    Puente la Reina nach Lorca, 13,2 km

    September 5, 2022 in Spain ⋅ ⛅ 17 °C

    Ich hätte weitergehen sollen!

    Diese Nacht habe ich gut geschlafen. Kein Schnarcher in der Nähe und ich brauchte keine Ohrstöpsel. Beim Frühstück treffe ich wieder auf Conny. Sie hat kein Frühstück gebucht, trinkt aber 2 Tassen Kaffee. Ich esse mein Frühstück. Wir reden noch ein wenig. Dann verabschieden wir uns. Ich habe spontan beschlossen, einige Sachen in der Herberge zu lassen. Der Rucksack ist zu schwer. Der Buff, der Spiegel und die Schutzhülle für den Flug bleiben hier. Weiterhin nehme ich mir nur wenig Wasser mit. Ich kann ja unterwegs auffüllen. Den Rucksack stelle ich noch mal neu ein und dann mache ich mich auf den Weg.
    Es zeigt sich das gewohnte Bild. Pilger überall wohin das Auge reicht. Nach ca. 1 Stunde geht es steil bergauf. Ich trinke noch einen Schluck Wasser, binde mir die Haare zusammen und krempel mir die Hosenbeine hoch. Dann geht es los. Immer schön langsam Schritt für Schritt. Viele Pilger haben mit dem Anstieg zu kämpfen. Anhalten, durchatmen und weiter. Ein Spanier wartet immer wieder auf seine Frau. Er trägt ihren Tagesrucksack. Ich gehe an ihm vorbei und er macht mir mit Zeichensprache verständlich, dass es nach dem Berg nur noch bergab geht. Nachdem ich den Anstieg geschafft habe, reiße ich meine Arme hoch. Der Spanier ebenfalls. Danach passiere ich Mañeru. Ich fülle meine Wasserflasche auf. Es soll Trinkwasser sein, aber schmeckt trotzdem ganz leicht nach Chlor. Der Weg führt wieder wunderbar durch die schöne Landschaft. Es läuft heute gut und bisher habe ich noch nicht ans abbrechen gedacht. Das ist doch ein gutes Zeichen. Dann erreiche ich schon Quirauqui. Hier gibt es wieder ein Geschäft und ich kaufe 2 Bananen. Sie kosten pro Stück 0,90 Euro. Finde ich sehr teuer, aber eine Alternative habe ich nicht. Weiter geht es durch dieses hübsche kleine Städtchen. Dann führt der Jakobsweg durch ein Gebäude durch und dort kann man seinen Pass selbstständig abstempeln. Mache ich auch. Ich freue mich wie ein kleines Kind über den neuen Stempel. Ich verlasse das Dorf und ziehe weiter. Ich schaue zurück und kann am Horizont meinen Asiaten mit dem Sonnenschirm auf dem Kopf erblicken. Da es so gut läuft und ich gut voran komme, ziehe ich in Erwägung, nicht in Lorca zu bleiben, sondern noch die zusätzlichen 9 km nach Estella zu gehen. Wichtig ist nur, dass ich eine Unterkunft finde. Noch 6 km bis Lorca. Ich schaue mal, wenn ich da bin und entscheide spontan. Mein Körper gibt mir immer wieder Zeichen, wenn ich trinken oder essen soll. Ich trinke soooo viel und schwitze leider auch viel. Heute morgen sah es nach Regen aus, aber so langsam haben sich die Wolken verzogen und die Sonne scheint. Der Weg führt durch einen selbst angelegten Olivengarten. Hier kümmern sich Freiwillige um die Olivenbäume und haben liebevoll Stühle und Tische zum Verweilen hingestellt. Man kann sich auch was zu trinken oder zu essen nehmen. Ich tue eine Spende in das Sparschwein. Dann ziehe ich mit meinem Ananasdrink weiter. Es wird mit jeder Minute heißer und die Sonne fängt an zu brennen. Viele Pilger werden langsamer und suchen immer wieder Schutz im Schatten. Ich überhole eine Pilgerin, die sichtlich Probleme beim Laufen hat. Sie muss einen Schlaganfall gehabt haben. Es rührt mich, dass sie trotzdem Schritt für Schritt geht und kämpft.
    Dann weiche ich vom vorgeschriebenen Weg ab, weil ich Pippi muss. Hinter mir pfeift und ruft jemand. Ich drehe mich um. Ein Pilger zeigt mir den "richtigen" Weg. Ich deute ihm, dass ich das weiß und "richtig" bin. Nach einer Weile komme ich an einem Stand vorbei, den Einheimische für die Pilger gemacht haben. Es ist weit und breit keiner zu sehen, aber es gibt Süßes und Toast mit Olivenöl. Eine Spardose finde ich nicht. Ich nehme ein Gebäckstück mit und bedanke mich laut. Dann kommt wieder an steiler Anstieg. Es ist soooo heiß. Ich kämpfe um jeden Meter. Dann ist es endlich geschafft und ich stehe um 12 Uhr an meinem heutigen Etappenziel Lorca. Es ist verdammt früh, aber auch verdammt heiß. Schaffe ich das bis Estella? Ich schaue in meine App nach einer Unterkunft dort. Es gibt sogar noch ein freies Einzelzimmer. Das reizt mich, aber ich bin unsicher, was ich nun tun soll. Ich gehe zu meiner Herberge und entscheide spontan zu bleiben. Ich komme etwas ungelegen, da nun das Mittagsgeschäft ist, aber beide Hergebersleute geben sich Mühe. Ich werde zu meinem Bett geführt. Wie unterschiedlich die Herbergen doch sind. Diese wirkt älter und es gibt auf der Etage nur 1 Toilette und Dusche. Beides in einem Raum. Ich dusche und will dann Wäsche waschen. Ich habe so viel Zeit, dass ich mich nach der Waschmaschine umsehe. Ich finde sie ein Stockwerk tiefer in der Küche. Dort ist es unsauber und ich beschließe hier nicht zu Abend zu essen. Ich gehe runter und sage, dass ich die Waschmaschine benutzen will. Josè kümmert sich. Ich tue ALLE meine Klamotten in die Maschine. Trotz Handwäsche riechen sie irgendwie muffig. Dann versuche ich die Zeit rum zu bekommen, trinke einen Kaffee, telefoniere mit Jenny, buche meine Unterkunft für morgen. Dann kommt eine Pilgerin an. Leonie. Der Herbergsvater deutet auf mich und erklärt, dass ich auch Deutsche bin. Wir grüßen uns. Ich gehe dann irgendwann in das Zimmer und da ist sie auch. Wir kommen ins Gespräch. Sie ist viel jünger als ich und kommt aus der Nähe von Frankfurt. Sie redet viel und für mich stellt sich schnell raus, dass sie nicht so mein Fall ist. Sie redet und redet und redet. Ich antworte immer etwas ausweichenend und gebe nicht so viel von mir preis. Sie hat eine Urinella und erklärt, wie man sie nutzt. Sie hat auch ein Abwischtuch für nach dem Pippi machen, was man mehrmals nutzen kann und sie hat eine Menstruationstasse usw usw. Alles in allem Themen, die ich nicht mit jemanden nach dem ersten Kennenlernen besprechen möchte. Dann fragt sie mich, wie weit ich morgen gehe. Ich antworte wahrheitsgetreu - leider. Sie bucht die gleiche Unterkunft wie ich. Das auch noch. Ich will einfach nur weg und kann nicht. Wäre ich doch bloß die 9 km noch gegangen. Ich ärgere mich über mich selbst. Ich hänge hier rum und schlage Zeit tot. Ich buche dann schon für die übernächste Nacht ein Einzelzimmer in einer Pension. Ich brauche mal Zeit für mich ganz alleine. Heute beim pilgern war es sehr schön und ich habe gemerkt, dass auch die Mitpilger es teilweise so schön machen, weil es tolle Begegnungen gibt - auch wenn es nur ein Lächeln und ein "Holà" ist. Und dann kommt Leonie. Wir sitzen dann unten im Cafè, was zur Herberge gehört und sie redet und redet. Ihre Eltern haben ein Haus auf Mallorca, ihre Ausbildung, sie will sich selbstständig machen als Hebamme und hat schon 18 Frauen, die sie betreut usw Während sie wieder redet und redet, merke ich, wie das "Gespräch" mir Kraft raubt. Mir wird auch etwas übel. Ich muss aus der Situation raus und verabschiede mich, weil ich mir den Ort anschauen möchte. Der Laden öffnet um erst 18 Uhr nach der Siesta, aber ich schaue schon mal, wo er ist. Ich finde ihn auf Anhieb nicht. Dann gehe ich in die andere Richtung und sehe dann einen kleinen Hund ausgesperrt auf einem Balkon. Er hat kein Wasser, ist schwarz und der segenden Hitze schutzlos ausgeliefert. Er winselt zwischendurch und kratzt an der Balkontür. Ich weiß nicht, was ich tun soll. Armer Kerl. Ich kann doch nicht irgendwo klingeln und dem Besitzer die Leviten lesen. Ich gehe weiter, setze mich auf die Stufen, die zur Kirche führen und muss ein wenig weinen. Wäre ich bloß weitergegangen. Ich weiß nicht, warum ich mich hier so unwohl fühle und warum ich Leonie so furchtbar finde. Dann kommt eine kleine, dünne, miauende Katze und gesellt sich zu mir. In dem Augenblick hält ein Auto genau neben mir. Ich stehe auf und gehe zurück. Da kreuzt eine Frau mit einem Hund an der Leine meinen Weg. Sie geht auch in meine Richtung. Ich warte bis wir an dem Balkon sind, wo der kleine Hund noch draußen sitzt und sage: Holà Seniora. El perro! Und deute auf den Hund. Sie sagt was, was ich nicht verstehe und geht weiter. Ich finde sie richtig doof. Wenn sich eine Einheimische nicht kümmert, was soll ich dann tun. Zurück in der Herberge liegt Leonie in ihrem Bett und wälzt sich hin und her, weil sie mit "Schatzi" telefoniert. Sie säuselt ins Telefon und ich verlasse die Situation und gehe wieder nach unten. Da treffe ich auf eine andere Pilgerin. Wir kommen ins Gespräch. Wie lange ich schon hier bin usw. Ich habe sie die Tage schon mal gesehen. Sie hat sich gestern in Puente la Reina, wo ich einen Kaffee getrunken habe, Wein bestellt und dem Kellner gesagt, dass er das Glas richtig voll machen soll. Ich glaube, sie trinkt gerne mal einen. So sieht sie zumindest aus. Sie ist erst um 11 Uhr in Puente la Reina gestartet, weil sie Sachen nach Hause geschickt hat. Ihre Regenhose zB. Ich frage, was sie macht, wenn es mal regnen sollte. Das ist ihr egal. Hauptsache nicht tragen. Wir lachen zusammen. Ich kann das sooooo nachempfinden und erzähle ihr, was ich heute in der Herberge gelassen habe und von meinem 2. Paar Schuhe, was ich mit mir rumschleppe. Aaaaber WENN es mal regnen sollte, dann bin ich so was von gut mit meinen wasserdichten Schuhe ausgestattet! Wir lachen wieder. Sie hat wasserdichte Wanderschuhe und Blasen an den Füßen bekommen. Sie musste sich Sandalen kaufen. Ich glaube, ich habe mit meinen Trailrunners eine gute Entscheidung getroffen. Sie sagt, dass sie zum Marktplatz geht und sich dort hinsetzt bis es Abendessen gibt. Apropos: Ich mache mich auf den Weg zum Markt. Der muss ja bald öffnen. Es ist nicht so weit, aber es ist sooo heiß noch. Dort angekommen, warte ich bis 18.10 Uhr und drücke dann die Klingel. Nichts tut sich. Na toll! Wäre ich bloß weiter gegangen. Hungrig gehe ich zurück. An dem Automaten, wo es Wasser gab, habe ich auf Prinzip nun nichts gekauft. Ich gehe lieber noch mal zu dem anderen Automaten, der am Ortseingang war. So!
    Dafür muss ich an meiner Herberge vorbei und Josè fängt mich ab. Was ist los? Ich antworte, dass der Laden nicht aufmacht und ich Hunger habe und Wasser benötige. Er verspricht, dass der Laden um 18.30 Uhr bestimmt aufmacht. Nun gut! Ich gehe zu dem anderen Automaten und komme wieder an dem Balkon vorbei. Der Hund ist nicht mehr draußen. Gott sei Dank! Ich kaufe mir 2 kleine Wasser, eine Dose Aquarius und Salami. Ich versuche die Packung zu öffnen, aber ohne Schere wird das nichts. Ich bin genervt. So oft, wie ich in dem 10-Seelen-Dörfchen schon hin- und hergelaufen bin. Ich kenne jeden Stock und Stein hier inzwischen. Zurück zur Herberge. Auf dem Zimmer telefoniert Leonie noch mit "Schatzi". Ich öffne die Salami mit meiner Nagelschere. Leonie beendet ihr Telefonat und fragt mich, ob ich den Laden gefunden habe. Ich berichte, während ich eine Scheibe nach der anderen in meinen Mund schiebe und genüsslich kaue. Ich werde gleich noch mal zum Laden gehen und dann ein allerletztes Mal mein Glück versuchen. "Ich begleite dich, wenn das okay ist. Ich benötige auch noch was!" sagt sie. Das auch noch. Wäre ich bloß bis Estella weitergegangen. Wir gehen runter und Josè sagt, daß der Laden nun bestimmt geöffnet hat - wenn nicht, soll ich mit dem Fuß die Scheibe einschlagen. Er übernimmt auch dafür die Verantwortung. Nun gut. Ich gehe wieder durch dieses Dorf. Ich renne hier gefühlt seit Stunden hin und her. Dort angekommen, ist tatsächlich geöffnet. Jetzt plötzlich! Ich bin immer noch verärgert. Leonie betritt als erstes den Laden und spricht mit dem Besitzer in einem perfekten Spanisch. Ich schaue mich um. Wirklich groß ist die Auswahl nicht. Leonie und der Spanier quatschen und lachen. Sie bezahlt. Er lobt sie, weil sie so gut Spanisch spricht. Dann bin ich an der Reihe und rede in meinem üblichen Kauderwelsch aus Englisch und Spanisch. Der Mann ist plötzlich sehr reserviert und guckt verbissen. Okay - ja, ich spreche nicht so gut bis fast gar kein Spanisch, aber ich bin trotzdem nett. Ich bin erstaunt, wie ausgewechselt der Besitzer ist. Beim Rausgehen säuselt Leonie noch eine Abschiedsfloskel auf Spanisch und der Spanier antwortet ihr wieder ganz charmant und nett. Pffffffffff - das stört mich gar nicht - Blödmann. Obwohl es fast 19 Uhr ist, ist es immer noch heiß. Wir gehen zurück. Ich könnte inzwischen Dorfführerin hier sein: 'Und gleich links kommen wir an einem Haus vorbei, wo eine weiße französische Bulldogge wohnt, die vorbeilaufende Pilgerinnen gerne anbellt. Rechts kommt ein Olivenbaum und dann vorne gehen wir auf die Herberge zu.'
    Leonie bleibt unten, weil sie das Abendessen hier gebucht hat. Ich gehe aufs Zimmer und genieße die Zeit alleine.
    Ich werde wohl gleich schlafen und morgen dann endlich weiterziehen.
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  • Day 5

    Arre nach Puente la Reina, 15,8 km

    September 4, 2022 in Spain ⋅ ⛅ 17 °C

    Ein Tag mit Unterbrechungen

    Was für eine Nacht. Die Herberge ist in einem Kloster und sehr einfach gehalten. Sie hat ihren Charme - so und so. Die sanitären Einrichtungen sind zwar getrennt, aber nach oben hin offen. Das heißt, wenn Männlein oder Fräulein auf die Toilette gehen, dann hört jeder ALLES mit. ALLES! Sehr speziell und sehr gewöhnungsbedürftig. Aber man muss über seinen Schatten springen. Am End' sind wir alle nur Menschen und haben Verdauung. Ich bin übrigens auch überrascht, dass bei der Vielzahl der Frauen 2 Toiletten reichen.
    Mitten in der Nacht werde ich von Gepolter geweckt. Trotz Ohrstöpsel. Dann noch mal ein ohrenbetäubender Knall. Ich schaue, was passiert ist. Eine der beiden Frauen liebenden Frauen hat anscheinend ihr Handy oben auf eine Art Wandverkleidung gelegt. Es ist dahinter gefallen. Dann hat sie die Verkleidung aufgerissen und dann ist es noch weiter hinein gerutscht. Was für eine blöde Situation. Wenn mir das passiert wäre, hätte ich Panik bekommen. Beide Frauen leuchten mit ihrem anderen Handy und versuchen irgendwie da ran zu kommen. Keine Chance. Wie hell ein Handy in der Nacht sein kann. Es wirkt wie Diskolicht.
    Irgendwann geben die beiden auf und ich schlafe wieder ein. Kurz nach 6 klingelt das hinter die Verkleidung gefallene Handy. Der Wecker! Da niemand den Wecker ausstellen kann, spielt es eine Melodie gefühlt mehrere Minuten lang. Nun sind fast alle Pilger in dem Raum wach. Ich mache mich fertig. Verabschiede mich von den Deutschen und verlasse um ca. 7.45 Uhr die Herberge. Ich treffe vor der Tür einen jungen Mann, der mir einen guten Weg wünscht und mir sagt, dass die Sonne scheinen wird - aber nicht zu doll. Ich danke ihm. Ich habe gestern Abend schon geplant, dass ich den Weg unterbrechen werde. Ich weiß, dass es wieder sehr steil hinauf gehen wird. Außerdem ist das die Strecke, auf der der Abschnitt liegt, wo der Weg an einem steilen Abgeund vorbei führt. Das und der sehe heiße Tag (32 Grad) und der stärkste Tag meiner Periode haben mich dazu veranlasst, dass ich ab Pamplona mit dem Bus oder Taxi nach Uterga fahren werde. Ich habe dadurch den schlimmsten Teil übersprungen und es kommen trotzdem noch genügend Kilometer zusammen. Ich habe ihn Puente la Reina eine Herberge gebucht, aber ein Einzelzimmer. Ich brauche mal meine Ruhe und ein bisschen Privatsphäre. Es ist mit einem Gemeinschaftsbad.
    Der Weg führt an dem Sonntagmorgen mitten durch die Stadt. Arre ist ein Vorort von Pamplona. Nachdem ich die letzten Tage durch wunderschöne Landschaften gepilgert bin, ist dieser Weg absolut nicht reizvoll und schön für mich. Und wo sind die ganzen Pilger hin? Ich bin komplett alleine. Das bin ich von den letzten Tagen auch anders gewöhnt. Bin ich hier richtig? Was, wenn ich Pippi muss? Ich merke, wie meine Angst innerlich steigt. Ich schaue in meinen abfotographierten Wanderführer und erfahre so, dass das die nächsten Kilometer bis Pamplona-Zentrum so bleibt. Gar nicht schön. Ich fühle mich fehl am Platz und merke, wie mir die Tränen kommen. Ich kann die Stadt nicht genießen und finde sie einfach nur doof. Der Weg ist recht gut ausgeschildert. Nur ein Mal finde ich es schwierig und will falsch abbiegen. Ein Einheimischer ruft mir nach und zeigt in die richtige Richtung. Ich bedanke mich bei ihm. In der Regel grüße ich jeden, den ich auf der Straße treffe. Das habe ich die letzten Tage so gehandhabt. In kleinen Dörfer ist das umsetzbar, aber in einer Großstadt wird es dann irgendwann schwierig und nicht mehr praktikabel. Ich grüße nur noch die Leute, die mich anschauen. Ich wander die meiste Zeit mit den Stöckern in der Hand. Das heißt, ich benutze sie nicht, sondern trage sie. Irgendwie sitzt mein Rucksack heute auch nicht richtig und ich muss ständig den Sitz korrigieren. Das mit den Stöckern wird sich am Ende des Tages noch ein wenig auswirken.
    Plötzlich stehe ich dann mitten in Pamplona City und bin quasi beim ersten Etappenziel angekommen. Die Stadt erwacht so langsam und erste Kaffees und Bäckereien öffnen. Ich suche nach einer Toilette. Ohne Erfolg. Die Stadtreinigung spritzt die Straßen ab. Irgendwie gefällt mir Pamplona ganz und gar nicht. Was soll ich mir hier anschauen? Ich mache mich auf dem Weg zur Kathedrale. Sie hat geschlossen. Gegenüber des berühmten Bauwerks ist eine Pilgerherberge. Ich entschließe mich, dort nach einer Toilette zu fragen. Ich klopfe und eine Frau öffnet. Ich frage auf Englisch,.ob ich die Toilette benutzen kann. Sie weiß nicht und versteht nicht. Ich sage auf Spanisch "¿El baño?" Sie druckst rum. So viel dann zum Zusammenhalt zwischen Pilgeraleuten. Ich gehe. In Google Maps suche ich mir eine öffentliche Toilette und werde von der App erst einmal im Kreis rum geführt. Dafür habe ich keine Zeit und Kapazitäten. Eine Pilgerin hat es sich auf einer Bank gemütlich gemacht. Ich passiere sie dank google maps mehrmals und sie guckt sehr irritiert.
    Dann komme ich an einem Kaffee vorbei und gehe rein und frage einfach. Ja, die Toilette ist unten. Geschafft!
    Ich verlasse das Kaffee und gehe wieder zurück. Treffe wieder auf die Pilgerin auf der Bank. Ich entscheide mich, mir nichts mehr anzuschauen. Nichts reizt mich hier und halten schon mal gar nicht. Also suche ich in maps einen Taxistand. 500 Meter zu Fuß. Maps zeigt an, dass man 12 Minuten benötigt. Das ist aber sehr lang. Vielleicht hat maps meine durchschnittliche Geschwindigkeit in den letzten Tagen berücksichtigt. Aber es geht ja hoffentlich nicht bergauf! Maps schickt mich wieder im Kreis, aber ich merke es und passiere somit meine Bank-Pilgerin nur noch ein letztes Mal. Dann geht es den Weg an dem Cafe vorbei, in dem ich eben war. Ich gehe weiter und komme an einer Busstation vorbei. Ich schaue,.ob es eine günstigere Alternative zum Taxi gibt. Aber dieser fährt nur innerhalb Pamplonas. Plötzlich ruft mir ein Fahrradfahrer "Buen Camino" entgegen. Wenn der wüsste, dass ich ein Taxi suche. Ich bekomme ein schlechtes Gewissen. Dem Taxifahrer zeige ich, wo ich hin will. Was kostet es? 30 Euro ungefähr. Los geht's. Das Taxi bringt mich in etwas über 20 Minuten aus der Stadt raus nach Uterga. Es ist so unwirklich. Ich hätte für die Strecke Stunden, wenn nicht sogar Tage gebraucht. Ich steige aus und es ist kein Pilger zu sehen. Das Taxi fährt. Ich bin wieder auf dem Weg. Es ist wieder "mein" Weg der letzten Tage. Uterga ist wirklich schön und typisch Spanisch. Ich mache mich auf die Socken. Ich komme ca. 400 Meter weit und dann kommt ein Pilger-Cafe. Ich halte an und genehmige mir einen Kaffee. In dem Café gibt es einen Automaten, wo man alle wichtigen Pilgersachen kaufen kann. Pflaster gegen Blasen, Tampons, kleine Tuben mit Bodylotion usw. Ich benötige Zahncreme, aber diese soll in Kombination mit einem Täschchen 4,95 Euro kosten. Das bezahle ich auf keinen Fall! Ich pilgere weiter und es kommt ein Schild: 697 Kilometer bis Santiago. Oh man! Der Weg führt durch eine sehr schöne Landschaft nach Muruzàbal. Ich komme an einem Haus mit einer so wunderschönen Malerei vorbei. Toll! Ein Pilger wird dort dargestellt und die für diese spanische Region typische Landschaft. Wirklich richtig gut gemacht. Während ich weitergehe, versuche ich meine Taxifahrt zu entschuldigen. Es ist doch mein Weg und den gestalte ich so, wie ich es will. In den Pilgerhimmel komme ich sowieso nicht mehr. Gebe ich zu schnell auf? Mache ich es mir zu einfach? Was werden die anderen Pilger sagen? Während meiner Überlegungen habe ich Obanos erreicht. Ein süßes kleines Örtchen. Sie hat eine tolle Kirche. Diese ist achteckig. Es gibt eine Sage, laut der man barfuß 3 Mal um dir Kirche laufen soll. Dann spürt man die Magie des Ortes. Benedikt, ein Pilger, den ich heute Abend genauer kennenlernen werde, hat das tatsächlich gemacht. Weiterhin bietet der kleine Ort eine Statue für Pilger. Man kann und soll durch sie hindurchlaufen. Habe ich natürlich gemacht.
    Es folgt nun das typische Bild der letzten Tage. Alle Pilger überholen mich eilig und keiner scheint die Schönheit der Gegend wahrzunehmen.
    Völlig überraschend stehe ich dann am Ortseingang von Puente la Reina. Das ging ja doch recht schnell. Es kommt sofort links eine Herberge. Diese ist aber nicht meine. Ich schaue in meinem Handy, wo sich meine befindet. Da wird mir offenbart, dass ich den kompletten Ort noch durchlaufen muss. Okay, anscheinend habe ich mich zu früh gefreut. Ich falte meine Stöcker, die ich eh nicht wirklich benutzt habe, zusammen und befestige sie am Rucksack. Irgendwie sitzt der heute echt doof und mir tun die Schultern und der Nacken weh. Weiter geht's. Ich passiere eine kleine Kirche, die direkt am Eingang des historischen Stadtkerns liegt. Sie ist geöffnet. Ich gehe hinein und in der kleinen Kirche ist ein Mann. Er hat eine Art Gitarre und beginnt sie zu spielen. Was für eine tolle Akustik! Ich bin gefesselt. Ich hole mein Handy heraus und der Mann beginnt zu singen. So was habe ich noch nie gehört. Es klingt sooooo toll. Ich möchte weinen. Was für ein toller Moment. Mein absolutes Highlight bisher auf meinem Camino! Ich bin froh, dass ich es mir immer und immer wieder anhören und ansehen kann. Puente la Reina gefällt mir sehr. Ich nehme mir Zeit, mache viele Bilder und versuche so viel wie möglich auch mit meinen Sinnen zu erfassen. Einige Minuten später passiere ich die Kirche "Sankt Sebastian". Auch da gehe ich hinein. Und auch hier werde ich überrascht. So viel Prunk. Ich habe noch nie einen so hohen und prachtvollen Altar gesehen. Es ist aus, wie purer Gold. So monströs und schön.
    Dann führt mich das Wahrzeichen der Stadt, die typische Brücke, aus Puente la Reina hinaus. Moment, wo ist denn meine Herberge? Das Schild zeigt eine steile Anhöhe hinauf. Na toll! Das war klar. Zum Schluß muss noch mal so was kommen. Warum wird es auf den letzten Metern immer so doof und anstrengend. Ich quäle mich bei der segenden Hitze den Berg hoch. Die lästigen Fliegen kleben an mir. Dann endlich stehe ich in der sehr gepflegten Herberge und beziehe mein Einzelzimmer. Direkt beim Einchecken treffe ich auf den Asiaten aus den USA aus der Herberge in Zubiri. Er fragt, wie ich den Berg fand und weiß, dass er den Teil meint, den ich übersprungen habe. Ich sage was ausweichenendes und bekomme wieder ein schlechtes Gewissen. Jetzt wieder der gewohnte Ablauf. Duschen, Klamotten waschen, die Tour für morgen planen und eine Unterkunft suchen. Diese ist überraschend schnell telefonisch gebucht. Danach gehe ich noch mal in die Stadt. Aber dieses Mal fühlt es sich nicht mehr so gut an. Ich fühle mich alleine und frage mich wieder ein Mal, was ich zum Teufel ich hier mache.
    Nach einem Kaffee gehe ich zurück zur Herberge. Dort treffe ich auf eine Deutsche aus der Herberge in Arre. Sie ist überrascht, dass ich hier bin. "Bist ja doch weit gekommen!?" sagt sie. Ich will zu einer Erkältung ansetzen, aber winke dann ab und gehe in mein Zimmer. Zum Abendessen treffe ich sie wieder. Wir quatschen drauf los und ich erzähle ihr meinen Tag. Sie sagt, das der Abstieg heute sehr anstrengend war und es teilweise an einem sehr tiefen Abgrund lang ging. Dann gesellt sich noch ein weiterer Deutscher zu uns. Er kennt mich aus der Herberge in Zubiri. Er war derjenige, wegen dem mich Monika aus Eckernförde nicht mehr beachtet hat. Er heißt Benedikt, ist Rentner, verheiratet, 2 Töchter, 5 Enkelkinder und kommt aus der Nähe von Saarlouis. Das andere ist Conny und sie kommt aus der Nähe von Dresden. Sie ist verheiratet, hat Kinder und einen Hund. Sie geht den Camino, weil sie mal Abstand von zu Hause brauchte. Ihre Kinder sind nun alt genug und sie braucht 40 Tage für sich. Wir reden lange und es macht wieder Spaß. Der Austausch ist toll und tut gut. Das Gefühl, alleine zu sein, ist wieder weg. Benedikt geht morgen nur 10 Kilometer, weil er das Gefühl hat, dass er immer wieder die gleichen Leute trifft. Das will er nicht mehr. Conny entscheidet jeden Tag gegen 12 Uhr erst, wie weit sie geht. Je nachdem, wie sie sich fühlt. Dann erst sucht sie sich eine Herberge. Wir verabschieden uns.
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  • Day 4

    Zubiri nach Arre, 15 km, Schäfchenwolken

    September 3, 2022 in Spain ⋅ ⛅ 14 °C

    Schäfchenwölkchentag

    Was für eine Nacht. Nachdem ich gestern meine Aufzeichnungen 2 Mal schreiben musste, weil ich sie einmal ungespeichert gelöscht habe, bin ich dann ins Zimmer. Es war dunkel und die meisten haben schon geschlafen. Es wurde geschnarcht. Das störende Geräusch kam von unten schräg gegenüber, wo das junge Mädchen aus Russland liegt. Wie kann sie so schnarchen? Keinen scheint es zu stören. Der Asiate aus den USA über mir dreht sich und ich bekomme jede Bewegung mit. Das Etagenbett wackelt. Na super. Was mache ich eigentlich hier? Ich schlafe mit meinen Brustbeutel und Handy um den Hals. Das Handy nehme ich mit, wenn ich mich umdrehe. Das kann so nicht die ganze Nacht gehen. Ich entscheide mich, es unters Kissen zu legen. Beim Hochkommen habe ich es an den Strom getan. Die Sammelsteckdose ist 2 m neben mir. Argwöhnisch habe ich es da schon im Auge behalten. Man kann niemanden trauen. Irgendwann mache ich es dann ab. Ich werde es morgen früh laden, wenn ich meinen Rucksack packe.
    Die Schnarcherin schnarcht immer mehr und links gegenüber stimmt jemand mit ein. Jetzt ist es ein wunderschönes Schnarchkonzert. Ich möchte gehen! Irgendwann nehme ich dann die bereits zurechtgelegten Ohrstöpsel und sie helfen. Ich schlafe ein. Ich werde wach und schaue auf mein Handy. Kurz nach 6 Uhr. Mein Über-mir-Schläfer hat es eilig und packt zusammen. Unruhe kommt auf. Ich gehe zum Frühstück um 7 Uhr und könnte somit bis 6.30 Uhr schlafen. Aber jetzt bin ich eh wach. Ich nutze die Gelegenheit und gehe auf die Toilette. Überraschung: Ich habe meine Tage bekommen. Viiieeel zu früh. Na toll. Das auch noch. Ich mache mich pilgerfrühstücksfein und will gerade runter gehen, da sehe ich, dass die Russin mit ihrem Freund den Platz getauscht hat. Sie hat oben geschlafen und ER war somit DER Schnarcher. Das erklärt einiges. Ich entschuldige mich innerlich für die ihr vorm meinem versuchten Einschlafen entgegengebrachten Flüche. Das Frühstück ist nicht so toll. Wir sitzen wieder wie die Hühner auf der Stange. Es gibt keine Wurst. Nur eine (große) getoastete Scheibe Weißbrot und Marmelade für jeden. Der Kaffee ist so stark, dass ich ihn nicht trinken kann. Den Franzosen neben mir schmeckt er. So unterschiedlich sind die Geschmäcker. Mir schräg gegenüber sitzt die Frau von gestern aus Eckernförde. Sie beachtet mich nicht und spricht die ganze Zeit mit ihrem neuen deutschen Freund. So schnell wird man "ausgetauscht". Ich fühle mich irgendwie unwohl und fehl am Platz und will einfach nur weg. Ich gehe nachdem ich aufgegessen habe nach oben und werde Zeuge eines komischen Anblicks. Die korpulente Engländerin, die ganz hinten in dem Bett gelegen hat, wälzt sich auf dem Boden. Sie versucht wohl ihren Körper in eine Kompressionsstrumpfhose zu pressen. Ich weiß wie schwierig das ist und finde ihre Art, es zu versuchen, nicht sehr Erfolg versprechend. Nun ja ... Dann gehe ich nach unten, ziehe meine Schuhe an und verlasse die Herberge gegen 7.40 Uhr in Richtung Arre. Es ist ein richtiger Pilgerauflauf. Wahnsinn, wie viele Menschen schon unterwegs sind. Ich mache einen Abstecher und kaufe 2 Bananen und dann geht es los. Der Himmel ist blau und überall sind kleine Schäfchenwolken. Ein schöner Anblick. Ich werde wieder reichlich überholt. Nur ein älteres Ehepaar und ein alter Mann bewegen sich in meinem Tempo fort. Viele Gedanken gehen mir durch den Kopf. Ich kenne sie schon: Warum bin ich hier? Warum tue ich mir das an? Was soll das überhaupt? Antworten habe ich keine. Ich versuche, mehr zu trinken und genügend zu essen - insgesamt mehr auf meinen Körper zu hören. Nach doch schon 45 Minuten meldet sich meine Blase. Na toll, das kann ja toll werden. Kurz den Pilgerweg verlassen und Pippipause. Das Pilgern läuft recht gut. Ich werde ständig überholt. Der ältere Mann und ich überholen uns gegenseitig. Ganz so eilig wie gestern habe ich es nicht, denn meinen Schlafplatz habe ich sicher und die Herberge öffnet erst um 15 Uhr. Ich habe also genug Zeit. Ich mache viele Fotos. Auf jedem sind die Schäfchenwolken zu sehen. Bei jeder noch so kleinen Steigung bekomme ich Beklemmungen. Ich will nicht bergauf laufen. Das ist nichts für mich. Zu anstrengend. Ich glaube, da habe ich mir diesbezüglich auf dem Weg nach Orrison was eingefangen, was Berge und Steigungen betrifft. Zwischendurch immer wieder meine üblichen Fragen an mich.
    Kurz vor Akerreta treffe ich auf eine englischsprachige Frau. Sie möchte einen Kaffee in dem kleinen Örtchen ergattern. Ich sage ihr, dass ich auch einen nehme. Bei der Ankunft findet sich aber keine Kaffeestelle. Entschäuscht ziehe ich weiter. Meine Stimmung schwankt über die gepilgerte Strecke hinweg stark. Von: Ich breche ab bis hin zu: Das war jetzt schön.
    Kurz hinter Akerreta steht dort plötzlich ein gelber Transporter und stellt Kaffee zur Verfügung gegen eine kleine Spende. Ich mache Halt. Ich habe genug Zeit. Meine englischensprechende Kaffeepilgerin von eben kommt auch vorbei und hält an. Sie sieht sich um und sagt mir, dass sie dringend auf die Toilette muss. Ich schlage ihr vor, sie soll in den "Forrest" gehen. Das tut sie auch. Ich bekomme sogar einen neuen Stempel in meinen Pass. Kaffee und Stempel. Das tat gut. Nach gefühlt 5 gepilgerten Metern meldet sich meine Blase, da ich ja nun zusätzlich zum Wasser noch einen Kaffee getrunken habe. Okay - nächste Pippipause. Nun laufe ich an einem Fluss lang. Das sieht hier so aus, wie bei unseren Sonntagswanderungen. Ich vermisse Jenny und Caspar. Ein Stückchen weiter kann man in den Fluß gehen. Da treffe ich auf die singende Mutter mit ihrer Tochter von gestern, die mich fotografiert haben. Noch ein Stück weiter begegnet mir dann, wie bei uns an der Erft, in den höheren Ästen Treibholz. Hier muss auch Hochwasser gewesen sein. Ich denke an zuhause und die Flut. Gefühlt bin ich die Einzige, die Fotos macht. Alle anderen Pilgern rennen zielgerichtet, so schnell wie möglich, wohin auch immer. Ich schaue mich um und will auch was sehen. So entdecke ich auch eine schöne Stelle am Bach - nur 5 m neben de. Jakobsweg. Ich mache Bilder und wenn ich schon mal hier und auch so schön alleine bin, mache ich direkt noch mal ne Pippipause. Die "Hinterlassenschaften" der Pilger sind echt teilweise nicht schön. Überall, wo man vor Blicken geschützt ist, finden sich Taschentücher und leider auch Kackhaufen von Menschen.
    Ich erreiche gegen 11 Uhr Zuriain und da ist ein wunderschönes Pilgercafe. Auch wenn ich bereits einen Kaffee hatte, entscheide ich anzuhalten. Das Café liegt wunderschön an dem Fluss Arga. Wo ich gerade hier bin, gehe ich erstmal Pippi machen. War ja seit 10 Sekunden nicht mehr. Dan bestelle ich mir einen Kaffee und kaufe ein Sandwich. Dann erst einmal Schuhe und Strümpfe aus. So lässt es sich aushalten. Am Tisch gegenüber sitzt ein Asiate, der mir in der Herberge in Zubiri auch schon über den Weg gelaufen ist, gegenüber. Er hat lange und dunkle Nasenhaare - und anscheinend keine Freunde, Familie, die ihn mal darauf hinweisen. Ich rufe Jenny an und dann wechsle ich die Socken und gehe weiter. Die Temperatur steigt und der Weg führt nun an einem Abhang lang. Meine Höhenangst erscheint. Ich zwinge mich, auf den Weg nur nach vorne zu schauen. Das geht einigermaßen. Die Schäfchenwolken werde weniger und ich werde vom Weg wieder an einem Fluss lang geführt. Die Pilger werden weniger und wenn ich einen oder mehrere sehe, überholen sie mich hastig. Niemand achtet auf die Natur. Ich finde wieder ein tolles Plätzchen am Fluss und mache kurz im Schatten Rast, Fotos und natürlich Pippi. Ich kann gar nicht so viel oben reinschütten, wie es momentan unten rausläuft. Plötzlich komme ein Pilgerpärchen und sieht mich am Fluss. Die Frau scheint ihren Mann zu überreden und beide kommen ebenfalls an die Stelle und kühlen ihre Füße ab. Finde ich irgendwie schön, dass die beiden sich die Zeit nehmen anzuhalten. Ich fühle mich so, als wenn ich sie dazu angestiftet hätte. Ich gehe weiter und schaue kurz nach hinten und erblicke den Asiaten. Er macht viele Bilder, wie ich. Er sieht aus, wie aus einer anderen Zeit in das Jetzt gebeamt. Er trägt ein Langarm-Shirt, was auch über die Hände geht zum Schutz vor die Sonne. Dann noch eine Art Tuch, was den Kopf und Nacken schützen soll und zusätzlich einen Sonnenschirm auf dem Kopf. Was für ein Anblick. Die nächsten Kilometer treffen wir uns mehrmals und bleiben bei den schönsten Fotomotiven stehen. Dann kommt wieder eine meiner verhassten Anhöhen, dann geht es sofort wieder steil bergab. Das hätte man auch anders lösen können. Wurde der Pilgerweg extra schwer gemacht? Erst hoch, dann runter. Warum nicht direkt gerade?
    Die letzten Kilometer nach Arre ziehen sich endlos. Es ist furchtbar heiß. Ich hagel' mich vin Schatten zu Schatten. Bloß nicht überhitzen. Vor gefühlten 20 Kilometern stand doch schon dran, dass es nur noch 3 Kilometer sind. Wann sind die endlich zu Ende? Jetzt geht es den Berg runter und dann endlich bin ich in Arre angekommen. Ich kann nicht anders und reiße meine Arme hoch, als wenn ich bereits in Santiago angekommen wäre. Ich drehe mich um und hinter mir grinst mich ein Pilger an.
    Das Kloster ist noch nicht geöffnet, aber es gibt auch eine kleine Kirche und man kann seinen Pass selber abstempeln. Das mache ich. Dann setze ich mich auf eine Bank in den Schatten und warte darauf, dass es 15 Uhr wird. Ich bin vertieft in mein Handy, als plötzlich eine tiefe Stimme ertönt: Hello? The entry is here! Ich erschrecke mich und suche nach der Person zu der Stimme. Ich finde sie. Ein Mann grinst mich an. Ich folge ihm zu dem eigentlichen Eingang. Ein kleiner fuchsiger Hund kommt mir entgegen. Ich bekomme ein Bett direkt am Fenster und bin auch die erste, die da ist. Dann kommen noch 2 Frauen, die bestimmt ein Pärchen sind. Ich gehe duschen und wasche meine Wäsche. Die beiden meiden mich. Obwohl die Frauenwaschzimmer viel Platz bieten, kommen sie erst, wenn ich gegangen bin und anders herum. Ich setze mich mit dem in Zuriain gekauften Sandwich in den Garten und will es in Ruhe essen. Sofort bin ich von einem Hund und 5 bis 6 Katzen umringt. Jeder bekommt was. Danach gehe ich in die Stadt und kaufe ein für mein Abendessen und Frühstück. Auf dem Rückweg treffe ich Pilger aus der Herberge. Es sind Deutsche. Sie fragen mich nach dem Weg zum Supermarkt. Ich beschreibe ihnen diesen und der jüngere Mann sagt, dass sie noch essen gehen und fragt, ob ich mitkomme. Ich lehne ab, denn ich habe ja schon eingekauft. Bei der Rückkehr in die Herberge ist diese pilgerleer. Wo sind denn alle? Ist vielleicht eine Pilgermesse in der Kirche? Die will ich nicht verpassen. Ich frage den Herbergsvater und er sagt, dass alle zum Essen ausgeflogen sind. Ich mache mir ein Sandwich in der Küche und dort gesellen sich Howard und Michelle aus England zu mir. Wir kommen ins Gespräch. Er begleitet seine Frau noch 2 Tage und dann reist er ab. Sie soll dann alleine weiterpilgern und tut sich schwer damit. Wir verlagern unser Gespräch dann in den Garten. Plötzlich ist es so, wie ich es überall gelesen habe. Wir tauschen uns aus und lachen und quatschen. Es ist toll. Auch ihnen tut alles weh und wir reden über unsere Gedanken und Gefühle. Howard versucht mich und Michelle aufzubauen. Aber beide haben es nach Orrison geschafft. Wer das schafft, kann in meinen Augen auch den Rest. Später gesellt sich Yvonne aus Schweden dazu. Sie ist bestimmt schon 70 und etwas durcheinander, was die Tage und die Orte angeht. Dann kommen auch "meine" deutschen Pilger und wir quatschen noch ein wenig. Christian ist aus Bremen, seine Pilgerfreundin auch. Die andere jüngere Frau aus Dresden. Wir tauschen uns über Reservierungen und Nichtreservierungen aus. Es ist sooo schön. Die Zeit vergeht wie im Flug. Dann ist es Schlafenszeit. Ich bedanke mich bei Howard für seine aufbauenden Worte.
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  • Day 3

    Espinal nach Zubiri 15,7 km Es geht doch

    September 2, 2022 in Spain ⋅ ⛅ 21 °C

    Nach dem gestrigen Fiasko habe ich beschlossen, bei Sonnenaufgang loszugehen, da ich keine Herberge reservieren konnte. Ich stehe um 6.15 Uhr auf und um 7.30 Uhr geht die Sonne endlich auf. Ich starte mit sehr gemischten Gefühlen. Was wird werden? Werde ich es heute schaffen? Es sind schon einige Pilger unterwegs. Nach kurzer Zeit kommt schon die erste Anhöhe und ich bekomme Angst wegen gestern. Was, wenn ich es nicht schaffe? Ich quäle mich den Weg hoch und oben angekommen, kommen mir die Tränen. Warum tue ich das überhaupt? Aber ich gehe weiter und schnell lässt das Gefühl nach. Die Strecke führt durch teilweise sehr dunkle Wälder, aber immer ist ein Pilger vor oder hinter mir. Meist der gleiche Pilger erst hinter und dann vor mir.
    Ich will nicht sagen, dass ich häufig überholt werde, aber ich fühle mich, wie ein kleiner überladener Traktor auf der Pilgerautobahn. Alle gehen an mir vorbei und grüßen freundlich, aber sind viel schneller und auch, die die älter und gebrechlicher und dicker sind, überholen mich mühelos. Wie machen die das nur? Ich bin sehr blauäugig in dieses Abenteuer gestartet.
    Ich treffe den Pilger, dem ich gestern 5 Euro gegeben habe. Sein Hund knurrt mich freundlich an. Er scheint draußen übernachtet zu haben.
    Nach ca. 2,5 Stunden habe ich das Gefühl, dass etwas unter meinem linken Zeh scheuert und aufgrund der Recherche, die ich im Vorfeld betrieben habe, weiß ich, dass sich eine Blase ankündigt. Ich zwinge mich zum Anhalten und schaue, was los ist.
    Die Socken sind komplett durchgeschwitzt und ich tausche sie aus. Vorher verarzte ich meinen Zeh noch professionell mit dem Blasentape. Während ich mich um meinen Zeh kümmere, kommt ein Fahrrad-Pilger vorbei. Ich grüße ihn mit "Holà" und wünsche ihm einen "Buen Camino". Er hält an und fängt an auf Spanisch zu erzählen. Ich sage, dass ich ihn nicht verstehe und er fragt, ob ich Italienisch spreche. Nein, auch nicht. Er fährt weiter. Ich packe meinen Rucksack und mache mich auf die frisch gewechselten Socken. Sofort merke ich, dass das Tape an dem danebenliegenden Zeh scheuert. Das geht so natürlich nicht. Eine Blase vermeiden und damit eine andere verursachen - das ist nicht die Lösung. Ich entscheide, dass die teuren Socken ja extra doppellagig sind und sie ja Blasen vermeiden sollen. Ich halte an und entferne das Tape. Die ersten Meter meine ich noch zu spüren, wie was scheuert, aber dann vergesse ich es und komme mit heilen Füßen in der Herberge an.
    Nach ca. 3 Stunden wandern, merke ich, wie mir wieder übel wird. Es kommt direkt nach einem steilen Anstieg. Ich suche mir eine Rastmöglichkeit und mache Pause. Ich google die Symptome und es wird mir angezeigt, dass mein Körper überhitzt ist. Das kann natürlich sein. Ich schwitze soooo viel. Überall. Die Träger meines Rucksackes sind ebenfalls naß und ich habe nicht genug getrunken. Das kann das auch gestern gewesen sein. Auch da war es sehr warm und ich hatte wenig Wasser zu mir genommen. Ich ziehe mein Langarm-Shirt aus und krempel meine Hose hoch.
    Ich kann verstehen, dass Pilger nach ihrem Weg die Klamotten verbrennen. Was anderes kann man damit nicht machen. Verkaufen geht auf keinen Fall mehr.
    Nach meiner Pause schnappe ich mir meinen Rucksack und gehe weiter.
    Wenn ich einem Pilger begegne, grüße ich ihn mit "Holà" und "Buen Camino". Denn immerhin sind wir in Spanien. Irgendwie scheinen einige dann zu denken, dass ich Spanisch spreche. Früher am Tag habe ich angehalten und etwas getrunken und ein Pilger kam den Berg hoch. Wir haben uns gegrüßt und er hielt an, massierte seinen Fuß und sagte was auf Spanisch zu mir. Ich gab ihm zu verstehen, dass ich ihn nicht verstehe und plötzlich ging der Mann weiter. Der Fuß tat anscheinend nicht mehr weh. So schnell kann es heilen.
    Viele Pilger tragen ihre noch nicht komplett getrockneten Sachen an ihrem Rucksack, pinnen sie mit Sicherheitsnadeln fest, damit sie beim Wandern trocknen können.
    Meine Unterhose und mein Sportbustier waren noch nicht trocken, aber ich habe mich dagegen entschieden, beides zum Trocknen am Rucksack zu befestigen. Ich möchte nicht zu viele Einblicke gewähren und möchte auch keine Einladung aussprechen. Aber viele Pilger denken anders und stellen ihre Unterwäsche zur Schau. Ich habe es abgespeichert: Unterwäsche am Rucksack ist auf dem Jakobsweg in Spanien okay.
    Ich gehe weiter und plötzlich höre ich Gesang und Lachen hinter mir. Ich drehe mich um und sehe eine Mutter mit ihrer kleinen Tochter. Beide schön bunt gekleidet und fröhlich. Die beiden können erst vor 10 Minuten gestartet sein. Niemand ist nach 12 Kilometer wandern noch fit und definitiv nicht fröhlich. Ich frage die Mutter, ob sie ein Bild von mir machen kann. Außer Selfies habe ich nichts. Sie kommt meiner Bitte nach und geht dann fröhlich mit ihrer Tochter weiter. Sie hält sie am Arm, denn der Abstieg ist nicht ohne. Der Weg hat die Bezeichnung "Weg" auf diesen Abschnitt nicht verdient. Es sind viele große Steine auf dem Weg und loser Schutt. Teilweise sind durch die Steine Stufen entstanden. Meine Stöcke sind in den letzten beiden Tagen meine besten Freunde geworden. Sie sind wie 2 Stützräder ... Wanderstützräder. Plötzlich lichtet sich der Wald und ich gehe auf einen Foodtruck zu. Er erscheint wie eine Oase in der Wüste. Einige Pilger sitzen da und ich lese auf dem Schild, dass es hier auch Stempel gibt. Ich kaufe 2 Bananen und was zu trinken und bekomme meinen ersten Stempel. Den gestrigen in SJPDP zähle ich nicht, da ich diesen ja vor dem Pilgern erhalten habe. Doch dieser hier ist toll. Ich bin stolz und auch ein wenig gerührt. Nun kann es weitergehen. Und da passiert etwas unerwartetes. Ich überhole jemanden. Also genau genommen, hat er mich auch schon überholt. Dann musste er anhalten, weil seine Waden vom Abstieg so weh tun und er macht eine Pause. Aber überholt ist überholt. Dann endlich kommt Zubiri und ich habe meine heutige geplante Tour geschafft. Ich gehe weiter und weiß nicht genau, wie ich nun an eine Unterkunft kommen soll. An allen Herbergen steht, dass sie ausgebucht sind. Ich folge einem Mann, der in einer Herberge war, die aber kein Bett mehr hatte und die ihn wohl augenscheinlich in eine andere geschickt haben, die noch ein Bett frei haben. Er geht zu einer Herberge. Diese öffnet um 13 Uhr also in 8 Minuten. Ich frage ihn, ob er eine Reservierung hat. Natürlich! Oh oh ... Da habe ich wohl was falsch verstanden. Dann öffnet die Herberge und eine Frau fragt mich, ob ich reserviert habe. Nein! Aber es sind noch 2 freie Betten. Eins reicht mir. Ich bekomme eine Karte und eine Einweisung. Dann gehe ich zu meinem Bett. Es ist im 2. Stock und direkt das erste unten. Es sind 8 Betten insgesamt und wir teilen uns 2 Duschen und ein Bad. Ich bin die erste. Dann kommt ein junger Asiate. Wir reden kurz. Er ist aus den USA. Dann gehe ich duschen. Eine wunderbare Wohltat. Nach und nach trudeln die anderen ein. Bisher nur Männer. Ich wasche meine Sachen von heute per Hand und bringe sie runter in den Garten. Dort gibt es Wäscheständer. Ich setze mich dorthin und lasse alles erst einmal Revue passieren. Dann gehe ich in die Stadt und schaue sie mir an. Ich gehe Getränke kaufen. Es gibt ein kleines Flüßchen. Dieses hat mich eingeladen, meine Füße drin zu baden. Na gut. Ich setze mich an den Fluß, wo auch andere Pilger sitzen und genieße die Aussicht. Eine Frau kommt mit 2 Hunden. Diese spielen miteinander. Wirklich schön. Dann gehe ich und komme an einem Café vorbei. Ich genehmige mir una Cafè solo und gehe dann wieder in die Herberge. Ich setze mich nach draußen in den Garten zu meiner Wäsche. Dann kommt eine ältere Frau und fragt mich auf deutsch, ob ich die ganze Zeit dort gesessen habe. Nein, ich war auch im Städtchen. Wir kommen ins Gespräch. Sie ist aus Eckernförde. Sie reserviert ihre Unterkünfte immer vorher. Okay, ich bisher nicht. Sie geht dann zum Essen in die Stadt. Ich habe Abendessen in der Herberge gebucht. 19 Uhr geht es los. Das Essen ist sehr gut. Salat mit Brot, eine Suppe, die ich aber ausgelassen habe, Sparerips mit ein paar Kartoffeln und einen Nachtisch. Auch diesen lasse ich weg. An meinem Tisch sitzen hauptsächlich Engländer. Sehr nett, aber es ist sehr laut und ich verstehe auch sprachlich nicht alles. Zwischendurch kommt immer wieder das Gefühl, fehl am Platze zu sein. Was genau mache ich hier? Nun sitze ich hier im "Wohnzimmer" der Herberge und schreibe meinen Tag auf und oben wartet ein Bett mit 7 anderen Leuten. Ist das wirklich was für mich? Für morgen habe ich ein Bett in einem Kloster in Arres gebucht. Es soll ein Frauenzimmer haben. Bis dahin sind es ca. 15 Kilometer. Pamplona ist noch 5 km weiter. Das will ich mir morgen nicht unbedingt antun. Pamplona ist sehr teuer und nur die öffentlichen Herbergen gehen nach der Devise: Wer zuerst da ist, bekommt das Bett. Bei allen anderen muss man reservieren.

    Ich fühle mich, als wenn ich heute schon den kompletten Camino gegangen bin. 16 Kilometer sind lang, abwechslungsreich und ziehen sich ewig. Was man alles sehen kann. Außerdem ändert sich meine Gefühlslage sehr häufig von aufsteigende Tränen, über Wut, weil ich nicht weiß, warum ich mir das antue, dann wieder das Gefühl, dass es schön ist zu wandern bis hin zu Freude, weil ich was Schönes erlebt habe.
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  • Day 2

    Das war anders geplant

    September 1, 2022 in Spain ⋅ ⛅ 20 °C

    Start morgens in Bayonne nach einer sehr lauten Nacht und einem kleinen Frühstück. Auf dem Bahnhof viele Pilger. Dann kam der kleine Zug mit dem Ziel Saint-Jean Pied de Port. Alle schauen sich an, ob das der Zug ist. Jepp. Also rein. Nach einer Stunde Fahrt dann endlich Ankunft in SJPDP. Alle raus und ab ins Pilgerbüro. Dort habe ich meinen ersten Stempel erhalten. Schönes kleines Städtchen. Dann mache ich mich auf "meinen" Weg. Als ich das Pilgerbüro verlasse, kribbelt es in meinem Bauch. Die Straße runter, durch "das" Tor und dann über die Napoleon-Route nach Orrison. Das war der Plan. Der erste Anstieg verlangt mir schon viel ab und dann geht es aber leicht bergauf und vorbei an so wunderschönen Häusern. Die Sonne kommt raus. Alles ist perfekt. Manchmal ist der Anstieg etwas anstrengend, aber meine Stöcker und ich haben uns eingespielt. Alles passt. Die anderen Pilger sind vorgelaufen. Ich nehme mir die Zeit und mache viele Bilder und rufe sogar Jenny kurz an. Dann geht es plötzlich nur noch bergauf. Steil und unaufhaltsam. Meine Beine und Arme tun weh. Ich halte alle paar Meter an, um wieder Luft zu bekommen und vielleicht wieder zu Kräften. Vorbei an der Herberge in Huntto ... also langsam ... sehr langsam ... Ich glaube die Herberge hat sich schneller bewegt als ich. Dann ein Abzweig nach links und nichts geht mehr. Der Powerriegel will raus ... mir ist richtig, richtig schlecht. Zwangspause 2km vor Orrison. Das Sitzen tut auch nicht gut. Dann der Gedanke an morgen, denn die nächste Etappe ist auch so hart und geht noch weiter in die Pyrenäen rein. Wie soll ich das bloß schaffen? Dann der Gedanke an die ganzen Menschen um mich rum in der Herberge. NEIN! Das geht auf keinen Fall. Was mache ich hier? Ich quäle mich für was? Es soll Spaß machen und ich muss ja noch durchhalten. Ich breche die Etappe ab und entscheide mich die Pyrenäen zu überspringen. Ich habe mich und die Pyrenäen unterschätzt. Zurück zur Herberge Huntto. Sie ist geschlossen bis 15 Uhr. Siesta. Ich setze mich hin und wähle eine Nummer, die an einen Automaten gepinnt war. Personentransport ... man soll sich nicht schämen dort anzurufen. Nun ja. Ich erreiche niemanden. Ein Mann sagt was auf Französich, was ich nicht verstehe und dann soll man aufs Band sprechen. Ich lege auf und ziehe in Erwägung, zurück nach SJPDP zu gehen. Dann kommt eine ältere Frau in einem rosa Shirt und will in die Herberge gehen. Ich habe sie gesehen, als ich an der Herberge vorbeigekrochen bin. Sie saß vor dem Haus gegenüber. Sie merkt, dass die Herberge geschlossen ist und will wieder gehen. Ich spreche sie an. Sie spricht nur Französich. Mit Händen und Füßen und meiner Übersetzungsapp frage ich sie, ob sie eine Nummer hat, wo ich ein Taxi rufen kann. Sie geht in ihr Haus und kommt mit Unterlagen zurück. Sie telefoniert eine Nummer nach der anderen ab und organisiert mir eines. Sie fragt nach meinem Namen und ich nach ihrem. Christin. Sie erzählt mit Händen und Füßen, dass sie einen Sohn oder Neffen in München hat. Sie ist Rentnerin. Ich frage, wie ich mich bei ihr bedanken kann. Sie möchte nur ein Lächeln von mir. Wenn die Menschen sich mehr helfen würden, dann gebe es weniger Kriege. Damit hat sie recht! Ich zahle ihren Kaffee und dann kommt das "Taxi". Es ist eine Firma, die das Gepäck der Pilger günstig von A nach B fährt. Sie fährt mich durch steile Straßen nach Roncesvalles. Wir passieren Spanien. Sie hält an der berühmten Herberge in Roncesvalles. Ich erkläre ihr, dass dort alles belegt ist und ich eine Unterkunft in Espinal gebucht habe. Sie fährt mich widerwillig weiter. Ich bitte sie dann in Espinal am Ortseingang anzuhalten. Ich steige aus und frage, was es kostet. Die Frau sagt 80 Euro. Ich frage noch mal nach. Es sind knapp 35 km, die sie mich gefahren hat. 80 Euro! Ich zahle und fühle mich abgezockt. Da gab es eine Frau, die mir umsonst geholfen hat und dann ist da eine, die sofort den "Gesamteindruck" wieder kaputt macht. Ich ziehe die Hauptstraße entlang zu meiner Pension. Ich habe die Herberge in Orrison schon bezahlt, werde aber kein Geld zurück erhalten. Das wußte ich beim Buchen. Jetzt zusätzlich die Kosten für die neue Übernachtungsmöglichkeit und das super teure Abzocktaxi ... Übrigens ohne Taxameter. Ich stehe vor meiner Unterkunft und alles ist zu. Hinten ist die Terrassentür offen und ich gehe hinein. Eine schöne Unterkunft, wo man sich drinnen und draußen zusammensetzen kann. Aber weit und breit kein Mensch. Nur nebenan. Also rufe ich an und die nette Frau lost mich zum Nebengebäude. Da kann ich meine Schlüssel für mein Zimmer in Empfang nehmen. Ich schlafe direkt neben der Kirche. Ich habe Hunger und gehe nach dem Duschen und Klamotten waschen ins Örtchen und suche einen Supermarkt. Auf der Straße steht eine alte Frau. Ich frage sie auf Englisch nach einem Laden. Sie spricht kein Englisch und redet direkt auf Spanisch auf mich ein. Ich versuche ihr zu folgen, verstehe aber nur jedes 20. Wort. Ich erkläre mit Händen und Füßen, dass ich Wasser kaufen möchte. Sie will direkt losrennen und mir Wasser von sich geben. Nein, nein, das muss nicht sein. Sie versteht nicht, warum ich es nicht annehme. Sie schickt mich weiter zu einem kleinen Lädchen. Dort angekommen, ist noch Siesta bis 17 Uhr. Ich gehe zurück und komme an einem Getränke- und Kaffeeautomaten vorbei. Kaffee nur 1 Euro. Au ja! Ich ziehe mir einen und trinke ihn vor Ort. Es kommt ein Pilger mit Hund vorbei. Der Hund hat 2 unterschiedliche Augenfarben. Der Mann schaut sich den Automaten an und geht dann wieder. Dann dreht er sich um und fragt mich nach Geld. Er pilgert mit Hund und ist arm. Ich gebe ihm 5 Euro. Irgendwas läuft doch schief hier! Ich habe den Eindruck, man sieht, dass ich für meine Ausrüstung viel Geld bezahlt habe. In SJPDP hat mich ein Mann auf meinen Rucksack angesprochen, weil er sehr schön und meine Klamotten dazu stimmig sind. Dann ist es 17 Uhr und ich gehe noch mal ins Lädchen. Wieder keiner da, aber ich drücke auf die Klingel, die dann in einem ohrenbetäubenden Ton eine ältere Frau herbeiruft. Sie öffnet die Tür zum Lädchen und ich bin erstaunt und entzückt. Sie hat alles. Essen, Trinken, Waschmittel ... Alles. Ich nehme ein großes Baguette, eine kleine Butter, Salami und eine große Flasche Wasser. 4,40 Euro. Das ist günstig und muss fürs Abendessen und Frühstück reichen. Ich bitte sie, mir Geld zu wechseln. Einen Zehner in Kleingeld. Sie spricht nur Spanisch, aber irgendwie verständigen wir uns. Sie erklärt mir, dass Kleingeld oder Münzen monedas sind. Wir lachen beide. Danach gehe ich zurück in meine Unterkunft und lasse mir mein Essen schmecken. Ich glaube, ich bin noch nicht richtig angekommen. Habe ich heute zu schnell aufgegeben? Wie wird es morgen werden? Ich kann mir doch nicht immer ein Taxi rufen, wenn es nicht mehr geht? In Zubiri kann man keine Unterkünfte buchen. Ich werde morgen somit früh losgehen. Was genau mache ich eigentlich hier?Read more

  • Day 1

    Ankunft in Bayonne

    August 31, 2022 in Germany ⋅ ⛅ 23 °C

    Der Flug ging verspätet los, so dass ich im Dunkeln hier angekommen bin. Biarritz hat nur einen kleinen Flughafen. Das Gepäck war ruckzuck da. Mein Rucksack hat es unbeschädigt überstanden. Die anderen Rucksäcke ebenfalls. Ich war die einzige mit einer Rucksackhülle für den Flug. Nun ja.
    Beim Rauskommen aus dem Flughafen stand dort nicht ein einziges Taxi. Habe ich noch nie erlebt. Es klebte ein Schild an der Scheibe, dass man anrufen soll, wenn man eins benötigt. Okay. Gelesen, umgesetzt. Der Franzose am anderen Ende hat mein eingerostetes Englisch doch verstanden und es kamen einige Taxen. Mein Taxifahrer war nett und wir haben uns ein wenig unterhalten. Wie weit ich gehe? Bis ans Ende der Welt! Habe ich trainiert? Nein! Oh je meinte er. Die Etappe über die Pyrenäen hat es in sich. Ich schaffe das schon. Er selber ist sie noch nie gegangen, woher will er dann wissen, dass sie anstrengend ist?
    Ich habe ihm 5 Euro Trinkgeld gegeben.
    Bei der Ankunft am Hotel sah alles sehr nett aus und nur wenige Meter entfernt, ist eine tolle beleuchtete Brücke, die über die Adour führt. Beim Einchecken habe ich dann den typischen Franzosen nach Essen und Wasser gefragt. Ein Restaurant ist um die Ecke und Wasser kann er mir geben. Ich wollte drauf zurückkommen. Dann bin ich kurz hoch ins Zimmer und dann rüber zum Bahnhof. Kaum war ich auf der Straße kam mir eine verschmutzte Frau, die high war entgegen. Schnell rüber zum Bahnhof. Da wurde ich von einem jungen zugedröhnten Mann angesprochen. Ich habe nichts verstanden und bin einfach weiter gegangen. Er hat mir etwas- bestimmt nichts nettes- hinterhergerufen. In dem kleinen Bahnhof gab es zwei Automaten mit ein paar Getränke und Süßigkeiten. Habe mir 2 Flaschen gezogen und bin direkt wieder ins Hotel. Hier werde ich nicht in ein Restaurant gehen. Ein Powerriegel muss reichen. Morgen früh gibt es Frühstück im Hotel.

    Schöne Momente:
    Die Frau von der Security, die meine Brille toll fand und ich ihr auch den Tipp gegeben habe, wo sie gekauft werden kann. Habe ihr die klappbare Brille auch vorgeführt.
    Beim Warten in Biarritz wegen der Paßkontrolle, der kleine Junge hinter der Glasscheibe. Wir haben uns gegenseitig Grimassen "zugeworfen".
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  • Day 1

    Los geht's

    August 31, 2022 in Germany ⋅ ☁️ 21 °C

    Mit sehr gemischten Gefühlen, vor allem Traurigkeit, geht es los. Der Abschied fällt mir sehr schwer. So lange alleine in einem fremden Land. Momentan empfinde ich es als Schnapsidee den Camino gehen zu wollen.Read more