E1-Schweiz

August - September 2017
Der E1 führt auf Schwabenweg, Weg der Schweiz und Trans Swiss Trail längs durch die ganze Schweiz. 284 km, 12 Etappen Read more
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    September 8, 2017 in Switzerland ⋅ ☁️ 20 °C

    Am nächsten Morgen fahre ich nach einem eiligen Frühstück mit dem Bus nach Lugano. Eine Regionalbahn bringt mich nach Bellinzona, ein IC nach Zürich, eine Regionalbahn nach Schaffhausen. Über Ulm und Wiesbaden geht es zurück nach Hamburg. Die große Baustelle der Bahn in Rastatt besteht immer noch und muss wieder umständlich umfahren werden, was viel Zeit kostet. Fünfzehn Stunden dauert die Rückfahrt. Das ist einerseits lang und andererseits schnell, wenn man bedenkt, wie lange es zu Fuß dauerte.
    Der Zug ist voller fröhlicher Menschen, die morgen auf dem Rolling Stones Konzert in Hamburg sein wollen. Mir ist das Stimmengewirr nach den vielen Tagen voller Ruhe und Muße zu viel. Während der Zug seinem Reiseziel entgegen eilt, gleiten meine Gedanken in die entgegengesetzte Richtung, zurück in die Vergangenheit.
    Ein Spruch, den ich vor einigen Tagen am Vierwaldstätter See gelesen habe, kommt mir in den Sinn.
    "Das Glück deines Lebens hängt von der Beschaffenheit deiner Gedanken ab".
    Tief in mir transformiert sich das Gefühl zum Gedanken:
    "Ja, ich bin glücklich".
    Doch das Glück ist ein flüchtiger Begleiter und bedarf stetiger Erneuerung.
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  • E1-99-CH Morcote (22km)

    September 8, 2017 in Switzerland ⋅ ☁️ 20 °C

    Trans Swiss Trail (4) - am Ziel

    Morgens um sieben Uhr holt mich die Glocke von San Stefano endgültig aus dem Schlaf. Nach dem vierzehnten Schlag bin ich hellwach. Frühstück gibt es auf der Terrasse. Das Auf und Ab der letzten drei Tage war anstrengend und steckt mir noch in den Knochen. Ich verspüre wenig Lust aufs Weiterwandern, Ich bräuchte vielleicht einen Tag Pause vom Wandern. Der Gedanke lockt, noch eine Nacht in diesem netten Hotel zu bleiben. Dann könnte ich gemütlich mit dem Bus nach Lugano fahren, um einen geruhsamen Stadtbummel zu machen. Morgen könnte es dann ja weiter gehen.
    Kaum satt, verwerfe ich die Gedanken jedoch wieder. Heute soll es weiter gehen auf meinem Weg, der ja nicht mehr weit ist.
    Etwas widerwillig breche ich auf. Ein paar hundert Meter liegen bereits hinter mir, als ich meine Trekkingstöcke vermisse. Sie müssen noch in der Hotellobby stehen. "Brauche ich sie überhaupt noch?", frage ich mich, "schaffe ich die letzten Kilometer nicht auch ohne sie?" Eigentlich brauche ich die Gehhilfen nicht mehr. Schon will ich weiter gehen und sie zurück lassen, doch ich fühle meine innere Stimme sagen: "Sie haben dich über den halben E1 getragen, durch den ganzen Odenwald und den langen Schwarzwald, durch ganz Dänemark und jetzt durch die Schweiz bis hierher. Haben sie es verdient, stehen gelassen werden?". Die Spitzen sind vor Tagen schon abgefallen und damit sind die Stöcke eigentlich nutzlos geworden. Doch das ist egal. Ihretwegen bin ich schon einmal in Dänemark umgekehrt. Nun werde ich es wieder tun. Ein Wanderer geht eigentlich niemals zurück. Doch gelegentlich kommt es vor. Der Hotelbesitzer hält bereits nach mir Ausschau und reicht mir die Stöcke mit einem breiten Grinsen. Nun halte ich meine Stöcke ganz fest in den Händen.
    Der Pfad führt durch die hügelige Landschaft der Capriasca in Richtung Lugano. Von der Kirche San Bernardo sind die Ausblicke hinunter zur Stadt und über den Lago di Lugano überaus eindrucksvoll. Auf der anderen Seeseite liegt der San Salvatore, der heute noch von mir bezwungen werden soll. Der Himmel über dem See ist von makellosem Blau. Es ist ein perfekter Wandertag. Breite Stufen geht es den Kreuzgang hinab in einen der Vororte Luganos. Die Häuser werden zahlreicher, die Hitze drückender. Ich nehme den Bus in die Stadt, denn ich mag nicht mehr laufen.
    Rasch bin ich am Luganer Bahnhof. Hier meldet sich mein innerer Schweinehund mal wieder: "Schau, der Zug blinzelt dir zu, nimm ihn und fahre nach Hause". Tatsächlich! Der Zug lächelt sogar. Doch so einfach gebe ich nicht auf, sondern will meinen Weg schon noch bis zum Ende gehen. Die schönen Geschäfte der Innenstadt lenken mich ab und im Cafee Nassa gönne ich mir einen Kaffee. Nun kann es hoffentlich weiter gehen.
    Kurz darauf sitze ich im Bus, um die Promenda Riva Antonia Caccia entlang zu fahren. Herrliche Ausblicke über den See bieten sich auch vom Bus aus, zu Fuß wäre es jedoch authentischer gewesen. Egal! An der Haltestelle Paradiso steige ich aus. Hier liegt die Talstation der Zahnradbahn, die mich den Monte San Salvadore hinauf bringen soll. "Lieber fünfzehn Minuten mit der Bahn die achthundert Höhenmeter rauf als stundenlang zu Fuß", sind meine Gedanken, während ich das Ticket löse. Heute scheint mein lazy day zu werden. Rasch erklimmt die Zahnradbahn den Berg, bald ist die Bergstation erreicht. Von dort ist der Weg zum Restaurant nicht weit, den viele Touristen auch einschlagen. Doch ich folge lieber dem Trampelpfad zur nahen Kapelle, dort gibt es ebenfalls einen schönen 360° Blick über den Lago.
    Dann geht es den bewaldeten Bergrücken des Monte San Salvadore entlang. Noch einmal zeigt der Trail seine Zähne. Und am Ende treffe ich auf Stufen, die zum See hinab führen. "Um nach Morcote zu gelangen, müssen Sie tausend Stufen steigen", mahnte gestern der Hotelbesitzer in Tesserete, nun erinnere ich mich seiner Worte. Er scheint nicht untertrieben zu haben.
    Ein eckiger Turm mit runder Spitze gerät ins Sichtfeld. Weit unten am See liegt die Pfarrkirche Santa Maria del Sasso. Ein Paar kommt von dort herauf. Als sie mich sehen, fragen sie schnaufend: "How far is it to the top?". "Thousend steps", antworte ich und schaue in entgleisende Gesichtszüge. Ohne weitere Worten drehen die beiden sich um. Schade, denn sie verpassen wunderschöne Ausblicke.
    Doch ich muss gestehen, auch mich machen die Tausend Stufen allmählich fertig.
    Dann - endlich - mündet der stufenreiche Weg auf einen Platz oberhalb der Pfarrkirche, der von einer Statue überragt wird. Das Abbild der heiligen Jungfrau Maria empfängt mich mit sanftem Lächeln und ausgebreiteten Armen. Der Stufen müde verweile ich still und andächtig in ihrem Schatten. Ich fühle, angekommen zu sein. Und allmählich weicht die Erschöpfung.
    Ein kleines Stück Weg liegt noch vor mir. Ein Friedhof am See, an ihm geht es entlang bis zur Stadtgrenze, wo sich die Häuser immer enger aneinander schmiegen. Ein letztes Mal weitere Stufen hinab, dann verjüngt sich der Weg zu einem dunklen Tunnel, an dessen Ende es smaragdgrün funkelt. Da ist der See. Am Ende des Tunnels endet mein Weg an der Uferstraße. Gegenüber liegt eine Brücke.
    Lange stehe ich auf dieser Brücke und blicke über den Lago. Ein Schiff könnte mich auf die andere Seeseite bringen, wo Italien liegt und der E1 durch die Lombardei verläuft. Immer weiter Richtung Süden, bis schließlich der südliche Endpunkt des E1 nach weiteren zweitausend Kilometern in Sizilien erreicht sein wird.
    Aber das ist werden andere Geschichten erzählen.

    Für die letzte Nacht dieser Tour finde ich ein kleines, feines Hotel am Ufer des Lago. Den lauen Abend verbringe ich auf der Terrasse mit schweifendem Blick über den großen, stillen See. Während ich mein Abschiedsessen genieße, verschwindet die Sonne glutrot hinter den Bergen, durch die es irgendwann auf dem E1 weiter gehen wird.
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  • E1-98-CH Tesserete (20km)

    September 6, 2017 in Switzerland ⋅ 🌧 23 °C

    Trans Swiss Trail (4) - allerlei Kraxelei

    Das Auswahl am Frühstücksbuffet des Hostels ist zwar klein, aber ausreichend. Müsli, Kaffee, Brötchen, Butter und Nutella sind aber da, mehr brauche ich nicht. Die lauten Gespräche anderer Gäste ignoriere ich einfach. Bald bin ich wieder unterwegs, es geht die breite Via Camillo Olgiata südwärts. Ich suche nach einer Einkaufsmöglichkeit, um meine Lebensmittelvorräte aufzufüllen. Bei Lidl werde ich fündig. Dann treffe ich wieder auf den Trail, der um Bellinzone herum geführt wurde.
    Der Monte Camoghè, einer der bedeutendsten Berge des Tessins, ragt vor mir auf. Da muss ich heute rüber. Puh! Der Trail steigt steil an, bald komme ich aus der Puste. Glücklicherweise laufe ich im Schatten, in der Sonne ist es bereits unerträglich heiß. Immer mal wieder gewähren lichte Stellen wundervolle Ausblicke ins Tal, wo Bellinzona in der gleißenden Sonne liegt. Keine Wolke ist am Himmel zu sehen. Heute herrscht Kaiserwetter.
    Innerhalb von nur vier Kilometern geht es 700 Höhenmeter hinauf, und gleich danach wieder 250 Höhenmeter hinab. Puh!
    In dem kleinen Ort Isone stoße ich auf eine Hinweistafel, dass ich noch auf dem E1 unterwegs bin. Es soll die einzige E1-Markierung in der gesamten Schweiz bleiben, die ich entdecke.
    Bald geht es wieder steil bergan. 250 harte Höhenmeter später bin ich oben auf einer Wiese und schaue zurück ins Tal.
    Ab jetzt soll der Weg eine Zeit lang auf diesem Niveau bleiben. Es wird eine Wohltat sein!
    Vor mir liegt eine kleine Siedlung. Vor einem verwahrlosten Haus steht ein verrostetes Auto. Ein streunender Hund knurrt mich böse an. Eine alte Frau ruft ihn in einer Sprache zurück, deren Laute ich noch nie vernommen habe. Möglich, dass es rätoromanisch ist, was ich höre. Das ist, neben deutsch, französisch und italienisch die vierte Landessprache der Schweiz. Es soll in dieser Region gesprochen werden. Ich frage mich, wie ein so kleines Land wie die Schweiz bei nur acht Millionen Einwohnern mit diesem babylonischem Sprachengewirr zurecht kommt. Unweit der Behausungen wird ein Stall in ein schickes Wohnhaus umgebaut. Es mag einem wohlhabenden Luganer gehören, der hier sein Wochenenddomizil errichten lässt. Eine neue Straße, die direkt hinter dem neuen Wohnhaus beginnt, ist schon da. Der Trail wählt glücklicherweise den alten Pfad und ich kann mir kaum vorstellen, wie man hier früher mit einem Wagen hoch gekommen ist.
    Bevor es wieder bergab geht, gibt es einen sensationellen Blick hinunter zum Luganer See, der aber noch in weiter Ferne liegt. Heute werde ich ihn nicht mehr erreichen, aber morgen dann.
    Viele Stufen sind es, die einen Kreuzgang hinunter nach Tesserete führen. An der alten romanischen Kirche San Stefano, die hier seit 1444 steht, gehe ich vorbei, denn heute habe ich keine Lust mehr auf Besichtigungen. Der Trail war hart und hat mich mit seinem ständigen Auf und Ab geschafft.
    Eine Unterkunft wäre jetzt fein. Ich versuche es im ehrwürdigen Hotel Tesserete, werde freundlich auf deutsch empfangen. Das Hotel gefällt mir auf Anhieb und so checke ich ein. Schnell den Rucksack im Zimmer deponiert, der Hunger treibt mich in die nahe gelegene Pizzeria. Eine große Pizza und lokales Luganer Bier genieße ich auf der Terrasse mit weitem Blick über die Berge. Einfach nur himmlisch!
    In der Nacht schlafe ich tief und fest. Nur einmal werde ich durch die Glocken von San Stefano geweckt. Aus mir nicht bekannten Gründen werden die Stunden doppelt geschlagen. Statt fünf Schläge gibt es zehn, dazwischen eine kurze Pause.
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  • E1-97-CH Bellinzona (39km)

    September 5, 2017 in Switzerland ⋅ ☁️ 24 °C

    Trans Swiss Trail (3) - knorrige Wege

    Der nächste Morgen beginnt mit einem Blick aus dem Fenster. Eben geht die Sonne auf und färbt die gegenüber liegenden Felsen glutrot ein. Welch ein Naturschauspiel.
    Bald bin ich zurück auf dem Trail, der weiterhin über Stock und Stein führt, durch duftende Wälder und an tiefen Schluchten entlang, steinerne Brücken überquert und plätschernde Bäche sowie tosende Wasserfälle passiert. Es geht steile Hänge hinauf und wieder hinab. Im Gegensatz zu gestern ist das Wandern heute wieder ein Genuss, denn es geschieht in Muße und ohne Eile.
    Nach dem letzten, sehr steilen Abstieg hinunter ins Tal endet die Strada Alta auf einer viel befahrenen Landstraße, die nach Biasca führt. Ein Bus verlässt gerade die Haltestelle in Richtung Bellinzona. Eine Stunde später wird der Nächste abfahren. Ich beschließe spontan, darin ein Zeichen zu sehen und ein Stück mit dem Bus zu fahren. So werde ich die Tour um eine ganze Tagesetappe abkürzen. Denn der Weg würde jetzt für viele Kilometer dicht an der viel befahren Straße entlang führen und darauf habe ich gar keine Lust.

    Eine Stunde bleibt also, den Ort zu erkunden. Für die Rundkirche Rotonda di San Carlo bleibt genügend Zeit, für die aus dem 12. Jahrhundert stammende Chiesa dei Santi Pietro e Paolo dagegen nicht. Pünktlich um 15:44 Uhr fährt mich der Bus nach Bellinzona, der Hauptstadt des Tessin. Zügig geht es durch die Orte Osogna, Cresciano, Claro, Castione und Arbedo. Der Bus braucht dreißig Minuten, wofür zu Fuß sechs Stunden nötig gewesen wären. Aus dem Busfenster sehe ich in der Ferne den Trail, der sich am am schattigen Ufer des Ticino entlang schlängelt. So übel wie gedacht wäre es gar nicht geworden.
    Bald bin ich in der Hauptstadt des Tessins. In Bellinzona gibt es nicht nur Kirchen, sondern auch zwei Burgen nebst Festungswällen, deren Kernbebauung in die Zeit des römischen Reiches (um 200 n.Chr) zurück reichen und zum UNESCO-Weltkulturerbe erklärt wurde. Mich interessiert aber mehr, wo ich heute schlafen kann. Am Fuße der Burg Montebello finde ich in einem ehemaligen Schulgebäude das Hostel, in dem ich nach einem Einzelzimmer frage. Es ist sogar eines mit Dusche im Zimmer frei. Habe ich ein Glück! Nach Natur pur ist ein Stadtbummel auch einmal etwas Schönes. Ich besichtige das Castello di Montebello, genieße den Blick über die Stadt, schlendere gemächlich durch die Einkaufsstraßen. Irgendwo lasse ich mich in einer Pizzeria nieder, bei Pizza und Bier genieße ich den lauen Abend.
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  • E1-96-CH Cavagnago (32km)

    September 4, 2017 in Switzerland ⋅ ☁️ 15 °C

    Trans Swiss Trail (2) - Strada Alta

    Der Wecker reißt mich aus tiefsten Schlaf. Es ist sieben Uhr, wie ein Stein habe ich bis eben geschlafen. Am Frühstückstisch schaue ich, was heute dran ist. Der Trans Swiss Trail folgt nun bis Biasca für fünfundvierzig Kilometer dem Panoramaweg "Strada Alta" auf der sonnigen Seite des Valle Leventina. Es ist ein alter Verbindungsweg zwischen Bergdörfern. Es scheint ein ständiges auf und ab zwischen 1.000 bis 1.500 Höhenmetern zu werden. Die heutige Etappe soll eigentlich in Osca enden, doch erst ein paar Kilometer weiter finde ich in Cavagnago eine Übernachtungsmöglichkeit. Ein kurzer Mailverkehr sichert mir dort ein Zimmer. Für 18 Uhr melde ich mich in dem Privatquartier an.
    Auf, der Trail ruft! Die Strada Alta führt gleich bergauf zum ersten von vielen Bergdörfern, die sich wie Perlen auf der Schnur aneinander reihen. Ich komme heute durch Madrano, Brugnasco, Altanca, Ronco, Deggio, San Martino, Lurengo, Freggio, Osco, Calpiogna, Rossura, Tengia, Calonico, Anzonico und Cavagnago. Die Dörfer sind kaum voneinander zu unterscheiden, jedes besteht aus kleinen Häusern im Walser-Baustil. Bemerkenswert sind die alten Steindächer. Eine kleine Kirche steht in jedem Dorf, ein Brunnen davor. Hier scheint die Zeit still zu stehen, nur ein paar Autos zeugen hier und da von der Neuzeit.
    Die Strada Alta ist asphaltiert oder aus Schotter und einfach zu gehen. Das ändert sich aber nach fünfzehn Kilometern, als der Trail die Strada verlässt. Nun geht es auf einem Trampelpfad durch den Wald. Knorrige Wurzeln und rutschige Steine verlangen jetzt volle Aufmerksamkeit. Ein Stolpern könnte den Sturz in eine tiefe Schlucht bedeuten, der Pfad ist nur selten gesichert. Was für ein Glück, dass ich mich im letzten Moment doch noch für meine Bergstiefel entschieden hatte, die hier ihre Kompetenz unter Beweis stellen können.
    Osco hätte nach siebzehn Kilometern das Ziel dieser Etappe sein sollen, doch hier gibt es ja keine Unterkunft. Im Schatten der kleinen Kirche mache ich Kartenarbeit. Fünfzehn Kilometer liegen noch vor mir, fünf Stunden Fußmarsch sind es noch mindestens nach Plan. Mir ist heute morgen gar nicht bewusst geworden, wie weit es noch ist von Osco nach Cavagnago.
    Fünfzehn Uhr ist schon durch und für achtzehn Uhr bin ich in der privaten Herberge angemeldet. Bleiben also nicht fünf, sondern weniger als drei Stunden. Folglich muss ich jetzt mächtig auf die Tube drücken und das Wandern ausnahmsweise einmal nicht lustvoll, sondern effizient angehen. Stellt sich die nur Frage, wie? Die Antwort liegt nahe: schneller gehen, keine Pausen.
    Dafür braucht es jetzt eine Extraportion Kohlehydrate, eine Banane wird mich bis zum nächsten Bergdorf Rossura befeuern. Ich gebe Gummi und fliege über den Trail, Bäche und Wasserfälle huschen vorbei, ohne dass ich sie richtig wahrnehmen kann. Nach einer Weile beginne ich zu torkeln, der Glykogenspeicher scheint leer zu sein. Ich muss rasten und Atem schöpfen. Bei der Gelegenheit gibt es einen Apfel, dazu ein trockenes Brötchen. Damit ist der Speicher wieder gefüllt und es kann weiter gehen. So sehr ich eile, die Zeit verrinnt schneller. Auf dem Trail komme ich nicht schnell genug voran. Als der Waldpfad das nächste Mal die Straße kreuzt, bleibe ich auf der Strada. Tatsächlich komme ich hier schneller voran, aber dafür brennen mir bald die Füße. Asphalt ist halt eine arge Belastung für Gelenke und Sehnen. Bald ist die Energie wieder dahin, ohne Pausen geht es einfach nicht. Nun hole ich aus dem Rucksack als letzte Reserve eine große Rolle "Original Chocoly" von Wernli, die seit dem Einkauf am Zürichsee im Gepäck schlummert. Im Nu verdrücke ich Keks um Keks, jeder mit leckerer Schokolade gefüllt. Nur den allerletzten Keks bringe ich nicht mehr herunter. Nun bin ich mit neuer Energie für den Endspurt versorgt. Noch drei Kilometer! Ich eile weiter auf der so unendlich lang erscheinenden Straße, die jetzt auch noch ansteigt. Ich mobilisiere die letzten Kräfte. Ein Bus stoppt neben mir, ich hatte ihn gar nicht beachtet. Die Bustüren öffnen sich, der Fahrer beugt sich vor, macht Zeichen. Und endlich verstehe ich: ich soll einsteigen. Wie nett von ihm. Ich mache es nur zu gerne! Es sind nur wenige Augenblicke, da hält der Bus schon in Cavagnago. Als Dank für das Mitnehmen bekommt der Busfahrer den letzten Chocoly-Keks. Er freut sich und meint lächelnd: "ein Wernli teilt me gernli".
    Es ist 18:30 Uhr, ich habe es trotz höchster Eile nicht pünktlich geschafft. Doch das macht nichts, wie sich heraus stellt. Ich hätte auch langsamer machen können. Die Unterkunft ist ein Glücksgriff, denn ich darf in einem dieser uralten Walser-Haus übernachten, das nun ein möbliertes Appartement ist. Der Pferdefuß: heute muss ich mich mal selbst versorgen, das Restaurant im Dorf hat Ruhetag. Kein Problem, im Rucksack habe ich für den Fall der Fälle eine Portion Trek'n Eat dabei.
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  • E1-95-CH Airolo [Gotthardpass] (22km)

    September 3, 2017 in Switzerland ⋅ ☁️ 15 °C

    Trans Swiss Trail (1)

    Dicke Regentropfen klopfen ans Fenster, doch sie sind es nicht, die mich wecken. Eher ist es ein wirrer Traum, der mir den Schlaf raubt, weit bevor es hell ist. Kaum bin ich wach, drehen sich sorgenvolle Gedanken um die Besteigung des Gotthardpasses. Sie bescheren mir ein zunehmendes Unwohlsein. Ziemlich bescheuert! Ich spüre genau, wie ich das Frühstück in die Länge ziehe, denn ich will einfach nicht los, der Berg flößt mir immer mehr Respekt ein, je intensiver ich an ihn denke. Noch nie bin ich alleine so hoch auf einen Berg gestiegen, wie ich es heute tun werde. Ich fühle, ich fürchte mich sogar ein wenig vor der heutigen Etappe. Doch es hilft nichts, ich muss jetzt los. Der Berg ruft!
    Vor der Tür des Hotels stelle ich fest, dass nach drei langen Tagen endlich der Dauerregen aufgehört hat. Dafür ist es jetzt bitterkalt hier oben. Doch da muss ich jetzt durch. Gut, dass ich Handschuhe und Buff dabei habe. Schon liegt die schmucke Einkaufsmeile des kleinen Wintersportorts hinter mir, da verläuft der Trail einem hohen Bergmassiv zu. Zweihundert Meter höher beginnt die Schneegrenze. Ist das schon der Gotthard, der vor mir liegt? Angesichts der hohen Felsen werde ich noch ein bisschen nachdenklicher. Ich fühle mich klein vor dem großen Massiv. Kurz vor dem Fuß des Berges biegt der Trail nach links, folgt der Reuss, die sich durch die Wiesen Richtung Hospental schlängelt.
    In Hospental wird an der Barockkirche Maria Himmelfahrt dem Wanderer die Entscheidung abverlangt, wohin er sich ab hier wenden soll. Für mich ist es klar: ich nehme den Weg Richtung Rom und der führt gleich über den Gotthard-Pass.
    Der uralte Pfad windet sich gemächlich über die Wiesen, immer höher geht es durch das grüne Tal hinauf, das von hohen Felsen begrenzt wird. In weiter Ferne ist ein sonderbares Gebäude zu sehen. Es ist noch ganz klein und ich kann nicht erkennen, was es sein könnte. Eine Kapelle vielleicht oder ein Mahnmal? Alles falsch! Als ich nah genug bin, erkenne ich es: ein riesiger Entlüftungsschacht ist es, genau unter mir verläuft nämlich der Gotthardtunnel.
    Ich gehe auf dem ersten Weg, der je über den Gotthard gebaut wurde. Auf groben Steinen konnte man fortan den Gotthard im Sommer zu Fuß überqueren, im Winter blieb der Pass weiterhin unpassierbar. Erst der Bau einer Straße in unmittelbarer Nähe des Trampelpfades machte die ganzjährige Überquerung mit Fahrzeugen möglich. Der Transitverkehr nahm zu und man brauchte eine größere Straße, die auf der Ersten gebaut wurde. Nun ging es viel schneller über den Pass. Doch bald reichte die Strasse nicht mehr. Zwei Tunnel wurden durch den Gotthard getrieben, seitdem haben die über den Pass führenden Straßen ihre ursprüngliche Bedeutung verloren.
    Touristen nutzen die beiden Straßen noch immer gerne, um zum Pass zu kommen und durch die Kurven zu brausen. Heute ist viel los auf den Straßen, denn es ist Sonntag und schönes Wetter. Glücklicherweise liegt der Trail ein Stück abseits der Straßen.
    Nach drei Stunden bin ich oben. Der Aufstieg war leichter als vermutet, das mulmige Gefühl unbegründet. Am Pass ist viel los. Überall parken Autos, Menschen laufen herum, besuchen das Museum, schießen Fotos, kaufen Bratwurst oder Souvenirs. Den Pass hatte ich mir anders vorgestellt - ruhiger und idyllischer. Ich bleibe nicht lange.
    Auf der Südrampe des St- Gotthard-Passes geht es nun die Tremola hinab. Die alte Passstraße mit ihren vierundzwanzig gemauerten Serpentinen gilt als der interessanteste Abschnitt der Etappe und ist das längste Baudenkmal der Schweiz. Der Trail verläuft quer zu den Serpentinen steil den Hang hinab. Ein Muskelkater ist nach diesem Abschnitt nicht auszuschließen.
    Irgendwann bin ich unten, jedenfalls fast. Vier Kilometer vor dem Etappenziel ist die Wegmarke weg und Else von Komoot quittiert mit tonloser Stimme: "Du hast die Tour verlassen, wirf einen Blick auf die Karte!". Was soll der Quatsch? Wo sie meint, das ein Weg sein sollte, ist nur Gebüsch. Hier gibt es keinen Weg. Mir bleibt nichts anderes übrig, als die Straße entlang zu laufen, wo Autos und Motorräder mir fast die Hacken abfahren und ich mich dicht an die Leitplanke drücken muss. Lebensgefahr für Fußgänger! Ich erreiche Airolo glücklicherweise ohne Schaden und finde sofort die Albergo Motto, die ich gestern so vergeblich in Andermatt suchte. Man begrüßt mich mit einem freundlichen "Buonasera". Richtig, im Tessin wird ja italienisch gesprochen. Ein Bärenhunger treibt mich ohne Verzug in die nahe Pizzeria, wo man draußen sitzt und den Sonntagabend genießt. Ich mache es ebenso und bald fühle ich mich inmitten des italienischen Stimmengewirrs wohl. Bei Pizza und Bier feiere ich meine Gotthardüberquerung.
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  • E1-94-CH Andermatt (20km + Zugfahrt)

    September 2, 2017 in Switzerland ⋅ 🌧 5 °C

    Weg der Schweiz

    Der Schwabenweg liegt hinter mir - weiter geht es für eine Etappe auf dem "Weg der Schweiz".

    Auch am nächsten Tag regnet es in Strömen, es ist der dritte Tag in Folge. Doch die Wettervorhersage verspricht endlich Besserung. Also geht es wieder in voller Regenmontur los. Ich bin noch nicht recht warm gelaufen, da liegt in Unterschönenbuch die nächste Kirche am Wegesrand. Doch alle Kirchen kann ich gar nicht besuchen, wenn ich voran kommen möchte. Diese will ich links liegen lassen und bin auch schon fast vorbei, als ich aus dem Augenwinkel zwei riesige Rucksäcke an der Kirchwand lehnen sehe.
    "Zwei Fernwanderer in der Kirche", denke ich erfreut, denn bisher bin ich in der Schweiz keinem Wanderer mit schwerem Rucksack begegnet. Es sind überhaupt nur wenige Wanderer unterwegs. Um so mehr bin ich gespannt, wen ich gleich in der Kirche treffen werde. Ich stelle meinen kleinen Rucksack neben das monströse Gepäck - der Größenunterschied zu meinem Rucksack ist wirklich gewaltig - und öffne die schwere Kirchenpforte. Am Ende des Kirchenschiffs sind ein Mann und eine Frau, braun gebrannt und drahtig, mit der Betrachtung des Altars beschäftigt. Als ich eintrete, wenden Sie sich zu mir um. "Ah, ein Wanderer", entfährt es dem Mann und er kommt erfreut auf mich zu. Wanderer haben sich immer etwas zu erzählen und auch jetzt plaudern wir bald wie alte Bekannte. Ich erfahre, dass die beiden durch die Schweiz wandern wie ich, sie sind auf dem TransSwissTrail unterwegs, der ab morgen auch meinen Weg bestimmen wird, nur in umgekehrter Richtung. Der Mann ist Schweizer, seine Frau stammt aus Australierin, wo sie seit vielen Jahren leben. Nun sind sie auf Wandertour durch seine alte Heimat. Das Wetter ist ihnen mehr hold gewesen als mir, dafür habe ich mit meinem Gepäck mehr Glück. Die beiden schleppen schwer an ihrem großes Gepäck.
    "17 kg sind einfach zu viel", verrät er mir.
    Das kann ich nur bestätigen und bin froh über meinen 8 kg leichten Rucksack. Uns gemeinsam ist, dass wir nur wenige andere Fernwanderer getroffen haben und froh sind, endlich mal einem Gleichgesinnten zu begegnen. Es gäbe noch vieles zu sagen, doch wir müssen ja weiter. Ein Winken zum Abschied und wir gehen unserer Wege, jeder in seine Richtung.
    Kurze Zeit später steht mir eine kleine Prüfung bevor. Durch den überfluteter Bohlenweg vor mir muss ich durch, da gibt es kein Drumherum. Vermutlich wird jetzt meinen Lederstiefeln einiges abverlangt werden. Ich wate einfach drauf los, denn ich vertraue auf die Wasserdichtigkeit meiner gut gefetteten Wanderstiefel. Ein paar Meter geht alles gut, doch das Wasser steigt immer höher, die Stiefel drohen voll zu laufen. Was tun? Das Holzgeländer scheint stabil, wird es mich aushalten? Ich steige drauf und hangele mich mühsam voran. Meter für Meter, wie ein Affe auf dem Seil. Nur nicht so elegant und schnell. Das Ende des Bohlenweges ist auch das Ende für das Geländer, nicht aber für das Wasser. Einige Meter sind es noch, die der Weg unter Wasser steht. Der geneigte Leser will mich jetzt sicher baden sehen. Doch nein, ich schaffe es. Ein kecker Sprung ins Wasser, zwei Hopser und ich bin im Trocknen. Das Wasser war gar nicht mehr so tief. Kein Wasser ist in die Stiefel gelaufen. Gut gemacht! Erst jetzt kommt mir die Idee, dass ich die Stiefel auch hätte ausziehen können. Das nennt man wohl steigende Lernkurve!
    Vierwaldstätter See voraus! Da liegt der ersehnte See endlich vor mir. Klar und grün das Wasser, die hohen Berge schneebedeckt, tief hängende Wolken, regenschwer. Doch aus ihnen regnet es nicht mehr. Endlich tritt ein, was vorhergesagt war. Aus der Ferne dampft ein breites Schiff heran, die Aufbauten niedrig. Es kommt näher, steuert den Anleger an. Zwei Schaufelräder treiben es an, der Schornstein dampft. Es handelt sich um die Uri, eines von fünf alten Schaufelraddampfern, die auf diesem See seit 100 Jahren verkehren. Bald macht es am Anleger fest. Breitbeinig steht der bärtige Kapitän auf der Brücke, beobachtet das Anlegemanöver ruhig und konzentriert. Er sagt nichts und doch läuft alles wie am Schnürchen. Die Leinen werden von den bereit stehenden vier Matrosen vorschiffs und achtern über den Poller geschmissen und vertäut. Eine aufwändige, aber routinierte Prozedur, die schön anzuschauen ist. Passagiere verlassen das Schiff, andere steigen zu. Bald heißt es wieder: Leinen los, die Uri dampft über den Vierwaldstätter See zurück nach Luzern. Ich hoffe, ein ähnlicher Dampfer wird auch nach Flüelen fahren, denn ich habe soeben beschlossen, ein Stück mitzufahren. Spontan kaufe ich eine Fahrkarte und warte im Café auf die baldige Abfahrt. Drei Wanderstunden werde ich auf diesem Wege einsparen und auch einige hundert Höhenmeter. Schlau, oder?
    Bald kommt ein weiterer Schaufelraddamper angedampft, diesmal aus der anderen Richtung. Die "Stadt Luzern" sieht ihrem Schwesterschiff zum Verwechseln ähnlich. Voller Vorfreude gehe ich an Bord. Während die meisten Passagiere die Restaurants an Bord entern, erkunde ich das Schiff. Viel gibt es zu entdecken. die Dampfmaschine, die drei rote Kolben, die ruhig stampfend die Kurbelwelle antreiben, die zwei Schaufelräder, die sich im Seewasser drehen. Alles an Bord scheint noch Original zu sein. Der bald hundert Jahre alte Dampfer ist für mich die reinste Augenweide. Nur das 1. Klasse Deck bleibt mir verborgen, dort darf ich mit dem 2.Klasse Ticket nicht hin. Die Schifffahrt ist viel zu schnell vorbei. Als einziger Gast gehe ich in Sisikon von Bord, natürlich fängt es just in diesem Moment an zu regnen.
    Habe ich das jetzt richtig gemacht? Ich hadere ein bisschen mit meiner Entscheidung. Ich hätte auch bis nach Flüelen weiter fahren können? Los jetzt, Junge! Das ist nur Regen, du kennst das schon. Ich ziehe die Regenkleidung über und ab geht's. Um mich zu motivieren, hole ich mir ins Gedächnis, was ich zuvor gelesen habe: der Weg soll sich lohnen. Doch das sieht gerade nicht so aus. Rauf und runter geht es, erst ein Stück am Seeufer entlang, dort ist es schön, dann aber an der Eisenbahn entlang, das ist nicht so schön und dann geht es hinauf zur Straße, das nervt gewaltig, denn dort herrscht reger Verkehr. Nach ein paar Kilometern erreiche ich die Anlegestelle Tellsplatte, dort gibt es ein Ausflugslokal. Ich gönne mir ein Eis der Marke "Ovomaltine", denn das habe ich nach dem Auf und Ab jetzt verdient, finde ich.
    Ab hier wandert man auf den Spuren von Wilhelm Tell, dem legendären Schweizer Freiheitskämpfer.
    << Die Legende lässt den habsburgische Landvogt Gessler zu Altdorf einen Hut auf eine Stange stecken und befiehlt den einheimischen Untertanen, diesen jedes Mal zu grüssen, wenn sie an ihm vorübergehen. Wilhelm Tell, ein weithin bekannter Armbrustschütze, verweigert den Gruß, und der Vogt befiehlt ihm daraufhin, einen Apfel vom Kopf seines Sohnes Walter zu schießen. Sein Kind müsse andernfalls mit ihm sterben. Tell tut widerstrebend, wie ihm geheißen, und trifft den Apfel. Er wird gefragt, wozu er sich einen zweiten Pfeil genommen hat und antwortet, wenn er sein Kind getroffen hätte, wäre dieser für den Vogt bestimmt gewesen. Daher lässt der Vogt ihn gefesselt auf seine Burg nach Küssnacht überführen. Auf dem Vierwaldstättersee aber bringt ein Sturm das Schiff in Gefahr und Tell wird seiner Fesseln entledigt, um das Boot zu lenken. Geschickt steuert er es gegen das Ufer, wo die Steilwand Axen sich erhebt, und springt dort auf eine hervorstehende Felsplatte, die noch heute Tellsplatte heisst. Er eilt über die Berge nach Küssnacht, erwartet den Vogt in einem Hohlweg, der Hohlen Gasse, und erschießt ihn aus sicherem Versteck mit der Armbrust und wird so zum Tyrannenmörder. >> (Quelle: Wikipedia)
    Auf der Tellsplatte ist heute die Tells-Kapelle errichtet, in der mit vier Bildern die Geschichte erzählt wird.
    Etwas höher befindet sich das Glockenspiel, gespendet von Schweizer Schokoladenfabrikanten. Siebenunddreizig bronzene Glocken stehen für ein Konzert bereit, immer zur vollen Stunde kann man an einem Steuerpult ein Stück auswählen. Ich wähle die Ouvertüre von Wilhelm Tell und gleich darauf bricht ein gewaltiger, doch wohlklingender Lärm los.
    Eine Weile lausche ich, doch die Ouvertüre will gar nicht mehr aufhören. Schließlich wende ich mich um und gehe weiter. Lange begleiten mich die Glockenklänge, bis der Verkehrslärm schließlich doch wieder die Oberhand gewinnt. Dann geht es einen Tunnel hindurch, auf der anderen Seite ist schon Flüelen zu sehen. Viele Stufen führen nun hinab zum See. Zwei Ausflügler begegnen mir, vermutlich kommen sie aus Flüelen. "Ist es noch weit?", fragen sie außer Atem. Ich bin nicht sicher, ob sie die Treppen, das Glockenspiel oder die Tellsplatte meinen. "Ich weiß es nicht, es geht halt immer auf und ab", erwidere ich.
    In Flüelen ist der Weg der Schweiz für mich zu Ende. Für andere führt er weiter um den See herum, ich aber wechsle jetzt auf den Trans Swiss Trail, um dem schroffen Tal der Reuss zu folgen. Nun wird es bald alpin werden und darauf freue ich mich schon so sehr, dass ich es gar nicht mehr abwarten kann. Weil Straße und Schiene für eine Weile dicht neben dem Wanderweg verlaufen und ich mir den Verkehrslärm nicht antun möchte, nehme ich jetzt den Zug. Eine Tagesetappe spare ich ein und komme so dem Gotthard schnell näher. Ich kann es doch kaum noch erwarten, endlich über den Gotthardpass zu steigen.
    Während der Zug parallel zum Wanderweg zuckelt, ist Zeit, ein paar Mails zu checken. Ein unbekannter Kilian hat mich über meine Site informiert, dass er demnächst in Dänemark wandern will und noch ein paar Fragen zur Route habe. Sonderbar, dass ich gerade jetzt so etwas gefragt werde, wollte ich doch eigentlich selbst gerade in Dänemark wandern. Mich hat nur das permanent schlechte norddeutsche Wetter abgehalten und anders disponieren lassen. Nun wandere ich hier in der Schweiz im Regen, welch eine Ironie! Ich will ihm gerade eine Route empfehlen, da halte ich inne, denn das kann ich wirklich auf heute Abend verschieben! Draußen zieht das Reusstal vorbei und das Hier und Jetzt ist doch wirklich wichtiger als eine E-Mail. So genieße ich die vorbeiziehende Landschaft wieder in vollen Zügen. In Göschenen muss ich in den roten Triebwagen der berühmten Matterhorn-Gotthard Bahn umsteigen, der sich kurz darauf steile Berge emporschraubt. Vorbei geht es an der sagenumwobenen Teufelsbrücke, die in der Schöllenenschlucht über die hier sehr wilde Reuss gespannt wurde. Erst diese Brücke ermöglichte ab dem 13.Jhrd. den Weg über den Gotthardpass, bis dahin stellte die wilde Reuss ein unüberwindliches Hindernis dar und niemand kam über diese Schlucht. "Das hätte ich mir auch gerne zu Fuß angesehen". Ich ärgere mich, dass ich nicht in Göschenen ausgestiegen bin. Doch man kann bekanntlich nie alles haben und stattdessen erlebe ich, wie sich der alte Triebwagen immer neue Steigungen empor schraubt und mir das Gefühl vermittelt, in einem startenden Flugzeug zu sitzen. Das ist auch nicht übel.
    Außerdem bin ich viel schneller am Etappenziel und das ist es ja, was ich wollte.
    In Andermatt bin ich für heute am Ziel. Aussteigen. Der Ort liegt auf 1.600m Höhe und nicht weit vom Gotthard entfernt. Es ist empfindlich kalt hier oben, die umliegenden Berge sind zuckerig weiß mit Schnee bedeckt. "Vielleicht muss ich da morgen rüber, wenn es über den Gotthardpass geht", denke ich und während ich zu den Massiven hinüber blicke, spüre ich die Eingeweide zusammen krampfen. Doch das ist morgen, jetzt ist es wichtig, die Unterkunft zu finden, die ich am Frühstückstisch in Schwyz reserviert habe. Aber irgendetwas passt an dem Plan, der auf dem Handy angezeigt wird, nicht mit den Straßen von Andermatt überein. Alles sieht auf der Zeichnung anders aus als in der Wirklichkeit. Ich laufe hin und her, suche Straßennamen und finde sie nicht. Ich beginne zu frieren. Auf die hier herrschende Kälte bin ich nicht vorbereitet. Ich frage eine Passantin nach dem Weg zur Unterkunft und halte ihr den Plan auf dem Display entgegen. Sie schaut auf den Plan, dann kräuselt sich ihre Stirn, schaut mich schließlich etwas mitleidig an. Auf Schwyzerdütsch, das ich hier unmöglich schriftlich wiederholen kann, gibt sie mir zu verstehen: "Das liegt doch auf der anderen Seite vom Gotthard. In Airolo, auf der italienischen Seite." "Oh je, da habe ich wohl etwas durcheinander gebracht". Ich muss lachen. Ob sie mir etwas im Ort empfehlen könne. Sie legt den Kopf schief, taxiert mich von Kopf bis Fuß, sagt endlich: "Der Schweizerhof müsste was für Sie sein." Ein Einzelzimmer mit Vollbad unterm Dach ist noch frei. Es ist klein, aber nicht übel. Ein heißes Wannenbad macht mich wieder warm und für das leibliche Wohl sorgt im hoteleigenen Restaurant ein großes Steak mit Pommes Frites, dazu Bier. Für morgen braucht es eine extra Kraft, denn es geht ja über den Pass. Die ordentliche Portion Kohlehydrate schaufel ich genüsslich in mich hinein, keine Krümel bleibt übrig. Für einen anschließenden Verdauungsspaziergang durch den kleinen Skiort ist es mir zu kalt. Die Temperatur hat sich, kaum das es dunkel ist, dem Gefrierpunkt genähert. Ich stecke nur schnell die Nase raus. Und nur, um es erwähnt zu haben: es regnet wieder. Ich verschwinde lieber unter warmen Daunen und träume von morgen.
    Gute Nacht.
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  • E1-93-CH Schwyz (21km)

    September 1, 2017 in Switzerland ⋅ 🌧 14 °C

    Schwabenweg (5) - die Mythen hinauf

    Es regnet die ganze Nacht. Das weiß ich, weil lautes Geläute meinen eigentlich tiefen Wandererschlaf mehrfach unterbricht. Zu jeder vollen Stunde schlägt eine Glocke. Einmal um 1 Uhr, zweimal um 2 Uhr usw. Und dazwischen alle Viertelstunde. Das kann einen schon wahnsinnig machen. Trotzdem erwache ich frisch am frühen Morgen. Zwischen den Wachzeiten muss ich anscheinend ausreichend geschlafen haben. Draußen schüttet es immer noch. Das Frühstück liegt hinter mir und die Sachen sind gepackt. Es könnte also los gehen, doch ich habe überhaupt keine Lust auf das Sauwetter. So streife ich noch durch das große Pilgerhotel und finde einen Ort der Stille, genau das Richtige für diesen Moment. Es ist ein nur kleiner Raum, darin eine Jesusfigur, ein Kreuz, eine brennende Kerze. Das genügt, um mich innerhalb kürzester Zeit aus stiller Besinnung in eine spirituelle Stimmung zu versetzen. Ich schließe die Augen und meditiere. Ich danke - ja, wem auch immer, sagen wir, die mich umgebende und schützende Energie, dafür, dass mein Handy heute morgen wieder ging, nachdem es gestern im Regen nass geworden seinen Dienst quittierte. Bitte dafür, dass meine Wanderschuhe, deren Sohlen doch schon sehr abgelaufen sind, bis zum Ende durchhalten mögen und fühle tatsächlich, dass das Pilgern eine besondere Erfahrung ist. Hat hier gerade etwas auf mich gewirkt? Eigentlich pilgere ich ja nicht, ich wandere nur auf einem Pilgerweg. Aber eine Veränderung an mir konnte ich in dem Raum der Stille schon feststellen. Aber die Stimmung verfliegt.
    Beim Bezahlen funktioniert die EC Karte nicht. Ich zahle bar und bin froh, dass ich ausreichend sFr an einem Bankautomaten gezogen hatte. Während ich mich auf den Weg mache, frage ich mich, wie es wohl weiter gehen würde, würde die Karte jetzt dauerhaft den Dienst versagen. Mit den verbliebenen 200 sFr würde ich nicht sehr weit kommen. Wäre die Wanderung dann zu Ende? Ist das nach dem defekten Handy, das mir gestern große Sorgen bereitete, nun die nächste Prüfung?
    Um es vorweg zu nehmen, am Abend funktionierte die Karte wieder. Die Prüfung blieb mir erspart.
    Der Weg vor mir ist eben, es geht kilometerlang den Fluss Alp entlang, der eine Menge Wasser führt. Nach 10km kommt mir in Alpthal die Pfarrkirche St. Apollonia für eine ausgedehnte Pause gerade Recht. Zeit für eine Kirchenbesichtigung. Das Kircheninnere ist farbenprächtig.
    Gut, dass ich diese Pause gemacht habe, denn kurz darauf geht es rechts ab und hinauf, der nächste Berg ist zu bezwingen. Nun geht es zu den Mythen hinauf, die fast 1.900m hoch in den Himmel ragen. Doch zu sehen sind sie nicht, denn es ist talgig vor Nebel. Immerhin hat es aufgehört zu regnen. Der Weg vor mir ist steinig und steil, ich bin bald völlig erschöpft. Vor einer kleine Kapelle finde ich einen trockenen Platz für eine Rast. Zum ersten Mal hole ich den Hobo heraus und mache mit zwei Esbit-Würfeln einen heißen Kaffee. Die Wärme tut gut. Dazu gibt es zwei Würsten (Fett) und eine Banane (Kohlehydrate).
    Weiter, immer weiter bergan. Und dann noch ein Stück bergauf. Und noch ein bisschen. Schließlich taucht ein Schutzhütte auf, baugleich mit der, in der ich gestern Schutz fand. Für einen Moment ruhe ich aus, schaue in Richtung der Mythen, auf die es von hier einen wunderbaren Blick gibt. Doch die sehe ich nur auf dem Schild vor der Hütte.
    Ich muss weiter, auch wenn es gerade wieder anfängt zu regnen. Zum Vierwaldstätter See ist es noch weit, nun geht es um die Mythen herum. Der Weg bleibt schwierig, teils steil und steinig, dann geht es über glitschige Wiesen. Das Gehen ist anstrengend, es regnet in Strömen, Wege werden zu Sturzbächen und ich bin froh, in Haggenegg eine kleine Kapelle zu finden, die mir ein trockenes Plätzchen und Rast bietet. Die schwere Holztür ist mit einer geschnitzten Jacobsmuschel schön verziert, das schlichte Innere wird von einem Sandsteinkreuz dominiert. Dankbar lasse ich mich auf die eine Bank nieder, die sich in dem weißen Raum befindet. Die Regensachen breite ich zum Trocknen aus und atme erst einmal tief durch. Dieser Ort wirkt beruhigend und kraftgebend auf mich ein. Ich entzünde eine Kerze und versinke in ihr. Mein Herz wird groß und Frieden breitet sich aus. Ins Pilgerbuch schreibe ich: "Ich bin glücklich. Ich brauche nichts." Ja, so fühle ich mich in diesem Moment. Glücklich.
    Lange verharre ich hier. Etwas unwillig öffne ich lange Zeit später die schwere Holztür und trete hinaus in die reale Welt, in der es immer noch regnet und nebelig ist. Hinter mir schließt sich die Tür und der sakrale Zauber vergeht. Die Unbill der Natur verlangt jetzt wieder meine ganze Aufmerksamkeit. Ich will jetzt nur noch den Berg hinab nach Schwyz. Ich möchte ins Trockene, habe genug von der Nässe von oben und den Sturzbächen von unten. Meine Schuhe sind durch und quietschen bei jedem Schritt. Doch ich muss noch einige Kilometer über Stock und Stein durch nasskaltes Wetter waten. Irgendwann erhasche ich durch den Nebel einen ersten Blick auf den Vierwaldstädter See, kurz darauf liegt Schwyz vor mir. Damit ist es nicht mehr weit zum BackPacker Hotel "Zum Hirschen", das an diesem Abend ein kleines Zimmer für mich bereit hält. Tropfnass trete ich ein und werde herzlich willkommen. Hier versteht man den nassen Wanderer, mir wird beim Einchecken gleich Zeitungspapier für die nassen Wanderschuhe angeboten. Das finde ich prima. Bald klingt der Abend bei einer Kalbswurst, Pommes Frittes und einem Original Schwyzer Dunkelbier aus. Oder waren es zwei??
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  • E1-92-CH Einsiedeln (20km)

    August 31, 2017 in Switzerland ⋅ 🌧 12 °C

    Schwabenweg (4)
    Die Nacht ist heiß, richtig tropisch. Doch am Morgen regnet es und es ist so neblig, dass die Berge auf der anderen Seite des Zürichsees hinter tiefhängenden Wolken verschwinden. Das Jugendherbergsfrühstück ist gut, nur gibt es kein Nutella, und das ist bitter für mich. Um neun Uhr bin ich abmarschbereit, stehe in voller Regenmontur am Ausgang. Es gießt und ich denke: "da hättest du ja auch in Dänemark wandern können". Dort wollte ich ja eigentlich jetzt sein, lediglich das schlechte Wetter ließ mich umdisponieren. Doch zwei Unterschiede gibt es: der Regen hier ist wärmer und die Berge sind höher. Doch von denen ist nichts zu sehen.
    Etwas widerwillig breche ich auf, gehe einen matschigen Uferweg am Zürichsee entlang. Gleichzeitig bin ich voller Vorfreude, denn voraus lässt mich das erste Streckenhighlight das Schietwetter fast vergessen. Die hölzerne Fußgängerbrücke, die quer durch den Zürichsee verläuft und Rapperswil mit Hurden verbindet, liegt vor mir. Schon vor Urzeiten wurde sie gebaut, später abgerissen, wieder aufgebaut, wieder abgerissen und wieder aufgebaut. Die heutige Brücke ist von 2001 und mehr als 800m lang. Sehr langsam gehe ich auf den Planken entlang, nicht aus Angst, sondern genießend. Das Wasser ist glasklar, ich kann Blesshühner beim Tauchen beobachten.
    Dann bin ich drüben und der Zauber bricht schnell zusammen, als die Brücke auf dem Damm mündet, den sich Wanderweg, Bahnschiene und Straße teilen müssen. Hier ist es wieder: der Lärm der Schweiz, der nie weit entfernt ist.
    Hurden hat einen Bahnhof und der Jacobiusweg geht direkt daran vorbei. Ein Blick auf die Verbindungstafel zeigt, dass eine Zugverbindung nach Einsiedeln, dem heutigen Etappenziel, besteht. Sofort ist mein innerer Schweinehund hellwach und bellt mir zu: "Nimm den Zug!". Ich muss ihn energisch in die Ecke weisen, denn ich will jetzt den Etzel hochlaufen und nicht faul mit der Bahn fahren. Beim Coop wird noch schnell der Proviant aufgestockt, dann geht es in den Wald und bald auch in die Höhe. Ziemlich steil ist der Weg, ein kurzer Blick zurück zum See und dann weiter. Bleischwer und regenschwanger hängen die Wolken noch immer an den gegenüberliegenden Bergen fest. Bisher halten meine Regensachen dicht, ich fühle mich trocken. Auch die Lederstiefel halten sich.
    Wasser rinnt den Weg hinab, während es immer höher geht. Von meiner Stirn rinnt es auch, schmeckt aber salzig. Das ist kein Regen, der von der Kapuze tropft, sondern Schweiß von der Stirn. Ich schwitze, es ist echt anstrengend. Schritt für Schritt schraube ich mich weiter in die Höhe, 600m insgesamt. Die Plackerei findet in einer Schutzhütte am Etzel eine Unterbrechung. Was für ein Segen, ein paar Minuten im Trockenen zu sitzen.
    Doch es geht noch weiter bergauf. Die Kapelle St. Meinrad steht auf dem Etzelpass und erst damit ist der höchste Punkt erreicht. Jetzt sind es nur noch ein paar steile Meter und ich bin oben. Wird auch Zeit, ich kann nicht mehr! Das Wirtshaus hat natürlich Ruhetag. Doch die Kapelle ist offen, auf einer Kirchenbank finde ich ein paar Minuten der Ruhe. Mein Blick richtet sich zur Decke, wo die Geschichte des Mönchs und Eremiten Meinrad aufgemalt ist, der sich um 800nChr. hierher in damalige Einöde zurückzog. Da er eine Wunder vollbringende Nonnenfigur besaß, suchten ihn immer mehr Menschen auf und so sah er sich veranlasst, sich noch weiter zurück zu ziehen. Einen neuen Rückzugsort fand er in heutigen Einsiedeln. Der Sage nach wurde er dort von zwei Landstreichern erschlagen, die seinen Schatz stehlen wollten, der aus Gaben vorbeikommender Pilger bestand. Ein Rabe überführte die Diebe und Mörder, sie wurden gehängt und am Tatort wurde in Einsiedeln ein Kloster errichtet, aus dem im Laufe der Zeit ein wichtiger Marienwallfahrtsort mit Abtei, Kloster und Gymnasium wurde. Für viele Pilger ist diese Stätte heute eine wichtige Station oder Endpunkt ihrer Pilgerreise. Natürlich will auch ich dort hin. Doch es dauert noch eine Weile, bis ich den endlos erscheinenden Weg nach Einsiedeln im Dauerregen geschafft habe.
    Doch irgendwann erreiche ich tropfnass meine heutige Pilgerherberge, das Allegro Hotel. Es liegt nahe des Siehlsees, von dem ich wegen Nebel allerdings nichts zu sehen bekomme. Ich lege nur schnell meine Sachen ab, dann mache ich mich auf den kurzen Weg zur Wallfahrtsstätte, die mitten im Ort liegt und nicht vermutete Ausmaße hat. Ich bin überwältigt, als ich die Abtei betrete. Das Kirchenschiff ist gewaltig und überreich bunt dekoriert. Es findet gerade ein Gottesdienst statt, deshalb kann ich nicht im Kirchenschiff wandeln. Doch ich habe Gelegenheit, die Gnadenkapelle zu besuchen, wo Pilger knien und beten. Das erste Mal bekomme ich eine Ahnung, was Pilgern bedeutet. Ich beschränke mich aufs Staunen, denn zu der Energie, an die ich glaube, muss ich nicht in einer Kirche beten.
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  • E1-91-CH Rapperswil (40km)

    August 30, 2017 in Switzerland ⋅ ☁️ 29 °C

    Schwabenweg (3)
    Heute soll es über den Hörnli gehen. Das sind ein paar hundert Höhenmeter hinauf und auch wieder herunter, manche davon werden ziemlich steil. Also mache ich mich zeitig auf, um in der kühlen Morgenfrische einen Teil des Aufstieg zu schaffen. Zunächst bleibt es flach, die Stecke ist einfach und auch schön, es geht Wiesen entlang und durch schattigen Wald. Die Wanderstiefel haben allerdings weiterhin Schotter und Asphalt unterm Profil, nur gelegentlich trete ich auf weichen Waldboden.
    Dann geht es an den Aufstieg. Die Temperaturen haben wieder hochsommerliches Niveau erreicht und ich komme ins Schwitzen. Ein Bauer treibt seine Kühe auf einer Wiese unterhalb des Hörnli Gipfels zusammen. Ich muss mitten durch seine Herde, vorbei an dicken braunen Leibern, die ihre Köpfe nach mir richten und mich aus gutmütigen blauen Augen anstarren. Dabei vergessen sie weiter zu trotten. Der Bauer kommt mit seinem klapperigen Auto heran und treibt die Braunen auf moderne Cowboyart an. Da beginnen die Viecher zu rennen, streben nun ihrem Stall im Tal zu. Vermutlich ist für sie der sommerliche Almurlaub zu Ende.
    Warum besteigt man Berge? Was macht nur den Reiz aus, sich in die Höhe zu schleppen? Ist es wegen der Aussicht? Ja, genau, wegen der Aussicht! Auch, weil es schön ist, oben anzukommen. Und wenn es einen Gasthof gibt, ist es noch schöner. Leider sind die Pommes auf dem Gasthof Hörnli so teuer, dass ich verzichte und stattdessen zwei mitgebrachte Würstchen verdrücke. Immerhin bei zauberhafter Weitsicht.
    Der Abstieg vom Hörnli ist steil, aber leicht. Zurück im Tal ist wieder das Brummen vorbeifahrender Autos zu vernehmen. Das nervt. Und nun soll der Jacobiusweg auch noch eine Weile entlang der lärmigen Straße verlaufen. Nichts für mich, ich nehme jetzt den Zug. Drei Stationen weiter und zwanzig Minuten später steige ich in Wald wieder aus. Der Ort heißt wirklich Wald. Hier wäre ich zu Fuß erst in zwei Stunden gewesen. Weiter geht es: Rauf, runter, rauf, runter.
    Dann ist es so weit: in der Ferne kann ich die Vorboten der Alpen ausmachen. Was für ein Anblick die hohen, kahlen Berge sind! Was für ein Hochgefühl in meinem Herzen entsteht! In drei Tagen werde ich dort sein und dann über die Alpen marschieren. Ach, ich kann es kaum erwarten.
    Aber heute geht es nur noch bis Rapperswiel. Gebucht ist noch nichts. Ich rufe die Jugendherberge an. Ja, ein Einzelzimmer ist noch frei. Und Abendessen bekomme ich auch. Dann wird ja alles gut.
    Eineinhalb Stunden später bin ich da. Ein schlichter Bau von außen, doch toll mein Zimmer. Es hat sogar einen Balkon mit Blick auf den Zürichsee. Das Abendessen wird mir vom Jugendherbergswart persönlich gereicht, während ich genüßlich den Blick auf die gegenüberliegenden Berge richte. Über einen von ihnen werde ich morgen rüber müssen. Links von ihnen, die glücklicherweise nicht arg so hoch sind, liegen die großen Kavenzmänner, die so hoch sind, dass es oben nur noch nackten Fels gibt, weil sie höher sind als die Baumgrenze. Was für ein Anblick für einen Flachländer! Doch es gibt auch einen Schatten im Paradies: während im Westen die Sonne die Berge in ein glutrotes Licht taucht, kommen von Osten dunkle Wolken heran. Morgen soll es regnen. Aber noch genieße ich den lauen Sommerabend und gönne mir ein weiteres Bier.
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