im Kanu, zu Fuß, per Auto – eine Ostsee-Reise mit Herz und Humor Okumaya devam et

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  • Almanya
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  • Butterkuchen im Gespensterwald

    8 Haziran, Almanya ⋅ 🌧 15 °C

    Sonntagmorgen, kurz vor halb acht. Margriet war früh wach, wie ich es mir gedacht hatte. Ich bin immer ein früher Vogel – und bekanntlich fressen die ja die fettesten Würmer. Oder war’s andersrum? Egal. Margriet war da, ausgeschlafen, aufgeregt. Wir hatten am Abend zuvor noch durch die Wahner Heide gestriffen, gegessen wie Königstöchter und über die bevorstehende Reise gesprochen. Ich sagte ihr, dass es für mich auch eine Zeitreise wird – zurück in die Ferienlager meiner Kindheit, an Orte, wo die Zeit stehengeblieben ist. Ein Satz, der kitschiger klingt, als er gemeint war.

    Der Osten. Die Ostsee. Meine Ostsee. Ich fahre seit Jahren immer wieder hin. Es ist die Luft. Das Licht. Die Mischung aus melancholischer Schönheit und rostigem Charme.

    Wir fuhren los, das Auto vollgepackt. Margriet erzählte von einer Rundfahrt mit ihrem Mann Bert, über zwanzig Jahre her, verschwommene Bilder aus Rügen und Wismar. Sie sprach ruhig und nachdenkend darüber. Hiddensee stand auf ihrer Wunschliste, wegen eines Romans, den sie in ihrem Buchclub gelesen hatte – "Kruso" von Lutz Seiler. Ich grinste, sagte ihr, dass ich Hiddensee längst eingeplant hatte. Überraschung gelungen.

    „Was lest ihr eigentlich gerade aktuell im Buchclub?“, fragte ich.
    „Alle meine Geister, von Uwe Timm“, antwortete sie.
    Ich lud es bei Audible herunter. Der Vorleser Gert Heidenreich klang wie jemand, der schon alles erlebt hat – perfekt für eine Reise durch die Geister der Vergangenheit.

    Um kurz vor 13 Uhr erreichten wir den Gespensterwald bei Nienhagen. Es hatte gerade aufgehört zu regnen. Wir sprangen über Pfützen, durch das tropfnasse, sattgrüne Dickicht. Der Mai hatte die Welt zum Explodieren gebracht, und der Juni war der Kater danach – alles grün, alles wach, alles lebendig. Nach wenigen Metern öffnete sich das Panorama: windschiefe Bäume, Küstenkante, ein Hauch von Ewigkeit. Es war still.

    „Warum heißt der eigentlich Gespensterwald?“, fragte Margriet.
    Ich zuckte mit den Schultern. „Vielleicht wegen des Nebels. Oder weil hier mal was passiert ist, was niemand erzählen will.“
    Sie grinste. „Geisterwald. Klingt schöner.“
    „Passt auch.“ ;0)...

    Sie entschied, dass wir ab sofort nur noch Deutsch sprechen würden. Keine Ausnahmen. Ihr Ehrgeiz war beeindruckend, und ich versprach, keine ironischen Kommentare zu machen. Jedenfalls fast keine.

    Am Ausgang des Waldes lag ein kleines Hotel mit Terrasse. Die Möbel waren noch feucht, aber der Strandkorb war trocken. Blau-weiß gestreift, wie es sich gehört. Margriet setzte sich, wir bestellten Kaffee und fragten nach Kuchen.

    „Der ist noch im Ofen“, sagte die Kellnerin mit norddeutschem Tonfall. Kein Lächeln. „Kuchen gibt's erst ab vierzehn Uhr.“ Es war 13:34.
    Unsere Parkuhr lief um 13:58 ab.

    Ich versuchte es mit Charme. Margriet mit holländischer Herzlichkeit. Keine Chance. Service, wie er im Buche steht – allerdings in einem Buch, das man nicht nochmal lesen will. Wir diskutierten gerade über diese Form der Unverbindlichkeit, als dieselbe Kellnerin mit zwei dampfenden Tassen zurückkam und wie aus heiterem Himmel sagte:

    „Na gut. Frischer Butter-Zuckerkuchen wäre jetzt da.“
    Ich war versöhnt. Schlagartig.
    Warmer Hefeteig, geschmolzene Butter, Zuckerkruste – Kindheit pur.
    Margriet war entzückt. „So etwas habe ich noch nie gegessen.“
    Ich nickte. „Dafür leben wir. Für genau sowas.“

    Der Kuchen war noch warm, die Luft klar, die Bäume leuchteten grün. Es war unser erster Halt, und er fühlte sich an wie ein Versprechen.
    Der Bungalow lag noch eine Autostunde entfernt. Wir mussten weiter.

    Aber in unseren Köpfen saßen wir noch immer in dem Strandkorb und leckten Butterzucker von unseren Fingern...
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  • Monte Gristow - ein Dorf wie damals

    8 Haziran, Almanya ⋅ 🌩️ 17 °C

    Gristow. Ein Ort, der klingt wie das Gegenteil von Aufbruch. Ein Name, als würde man beim Aussprechen schon langsamer werden. Ich hatte für die ganze Woche dort gebucht – im Landidyll Monte Gristow, einem Wortspiel, das versucht, mediterranen Schwung in mecklenburgische Weite zu bringen. Vergeblich, aber liebenswert.

    Ich kannte die Anlage schon, hatte mit meiner Mutter hier Ostern verbracht. Zehn Bungalows, ein kleines Hostel, irgendwo zwischen Experiment und Abenteuer. Die Betreiber – ein Ehepaar, beide in Gristow geboren – waren früher die Seele des Dorfladens, der an der sogenannten "Hauptstraße" lag, einem Feldweg mit Straßenlaterne. Jetzt hatten sie das Gelände auf 15 Jahre gepachtet. Ohne jede Erfahrung in Gastronomie oder Hotellerie. Man merkte das. Keine Struktur, keine Abläufe. Aber Herz. Irgendwo dazwischen jedenfalls.

    Er, der Mann, führte jetzt den neuen Dorfladen und das Café. Sie, die Frau, kümmerte sich allein um die Bungalows und das Hostel. Als ich ihn bei meinem ersten Besuch fragte, wie das alles zu schaffen sei, hielt er mir einen halbstündigen Monolog über den Zustand der Nation. Von Inflation über Energiepolitik bis hin zu dunklen Andeutungen, dass sich alles wiederhole. 1933 sei gar nicht so weit weg, sagte er. Ich fragte ihn, halb im Spaß, ob wir dann in fünf Jahren wieder Krieg hätten.

    Er legte den Kopf schräg, Hand ans Kinn, Denkerpose. „So genau kann man das nicht sagen. Aber ja… so ungefähr.“
    Ich nickte nur noch ungläubig und schaute, dass ich den Bungalow finde.

    Wir zahlten den Restbetrag für die Unterkunft. Wir wurden vom "Grafen von Monte Gristow" - so nannten wir ab sofort den Mann, darauf hingewiesen, dass es jetzt eine neue DDR-Ausstellung im Keller des Hostels gibt. „Ist ganz frisch aufgebaut“, sagte er. Ich nickte. Innerlich machte ich mir eine Notiz: Das schauen wir uns genauer an.

    Später. Erstmal ankommen.

    Der WLAN-Router und der Fernseher sollten später gebracht werden – sie hätten nur zwei Geräte für zehn Bungalows. Man müsse eben teilen, sagte er. Sozialismus 2.0.

    Zuerst wollten wir aber ins Dorfzentrum. Am Hafen essen. Auf dem Weg kamen wir an der Kirche vorbei, wo gerade eine kleine Kunstausstellung stattfand. Die Kirche selbst sah aus wie aus einem Film über das Jahr 1905. Fachwerk, Reetdach, rissige Fensterrahmen. Daneben: ein Kuchenbuffet auf Tischen mit karierten Decken. Gegen Spende. Margriet war begeistert, aber ich hatte einen Tisch bei „De Fischer un sin Fru“ reserviert.

    Die Gaststätte liegt direkt am Bodden, betrieben von einem Fischerpaar, das jeden Morgen rausfährt, bevor das Dorf überhaupt die Augen aufmacht. Der Fisch kam frisch aus dem Wasser in die Räucherkammer, auf den Teller oder zum Verkauf am Stand nebenan. So einfach kann Gastronomie sein.

    Drinnen war es urig und wir wurden herzlich empfangen - klein, aber fein. Es gab nur 5 Tische. Wir bestellten Matjes mit Apfel-Sahnesoße und Kartoffeln – ein Klassiker aus meiner Kindheit. Margriet war erstaunt.
    „In Holland essen wir Matjes nur mit Zwiebeln. Keine Soße, kein Apfel. Nichts.“

    Ich war überrascht. „Aber das hier ist doch das Beste! Das ist… Heimat auf dem Teller.“
    Ich schwärmte ihr vom Rote-Bete-Heringssalat meiner Oma vor, ein ostdeutsches Kunstwerk in Rosa. Margriet hörte zu, mit echtem Interesse. Margriet hörte zu und lachte. „Ihr Deutschen habt so viele Arten, Fisch zu essen, wie wir Namen für Regen haben.“

    Sie hatte recht.

    Nach dem Essen gingen wir noch einmal kurz zum Wasser. Der Bodden lag still, ein paar Möwen kreischten. Der Wind war weich. Der Regen verzogen. Es war ein Ort, der nichts wollte. Kein Fortschritt, kein Tempo. Einfach nur sein.

    Wir entschieden noch spontan nach Lubmin an den Strand zu fahren. Ich hatte Lust auf Weite. Aber der Wind war gnadenlos. Binnen zehn Minuten waren wir komplett durchgepustet. Sand in den Haaren, Gischt im Gesicht, Möwen quer im Flug. Nach einer halben Stunde kapitulierten wir. Der Strand gehörte dem Sturm - Bilder folgen...

    Zurück in Gristow gingen wir früh ins Bett. Am nächsten Morgen wollten wir früh los – Frühstück in Milow, dann aufs Wasser. Aber in meinem Kopf begann sich etwas zu regen: Eine Neugier auf den Keller des Hotels. Auf die kleine DDR, die dort wieder auferstanden war...
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  • Im Keller der Erinnerung

    8 Haziran, Almanya ⋅ 🌧 16 °C

    Ein Pappschild, ausgeschnitten mit der Nagelschere, beschriftet mit Edding: "DDR-Museum →". Der Pfeil zeigte nach unten – in den Keller. Drei Euro Eintritt, bar. Kein QR-Code, keine App, kein Vorverkauf. So beginnt Geschichte manchmal: ganz unspektakulär.

    „Mal sehen, was da kommt“, sagte ich zu Margriet.
    Sie nickte und lächelte mich neugierig und verschmitzt an. Wie immer, wenn es ernst wurde.

    Wir wurden von Franzi begrüßt, Anfang zwanzig, freundliches Lächeln, offen und selbstbewusst. Sie war die inoffizielle Museumsführerin. Wahrscheinlich auch Kassenwartin, Kuratorin und Reinigungsdienst. Multitasking ist gelebte DDR-Tradition, dachte ich.

    Der erste Eindruck war zurückhaltend, aber was dann kam, überraschte uns beide: Die Ausstellung war liebevoll, dicht, detailreich. Kein staatlich gefördertes Erinnerungszentrum, sondern ein Keller voll Geschichte, gebaut aus Privatspenden, Dachbodenfunden und Erinnerungen.

    Ein vollständig eingerichtetes DDR-Wohnzimmer, komplett mit Schrankwand, Röhrenfernseher, Spitzendeckchen und – natürlich – einem gerahmten Bild von Erich Honecker.

    „War der in jedem Wohnzimmer?“, fragte Margriet, während sie sich in den Ohrensessel darunter sinken ließ.
    Ich musste lachen. „Nein, eher in jedem Klassenzimmer. Wohnzimmer waren eher mit Ölgemälden, Drucken oder nichts. Honecker war eher… Unterrichtsstoff.“

    Ich deutete auf ein Regal mit Originalwaren: Sandmännchen-Spielzeug, Meißner Porzellan (Margriet erkannte dies sofort und war in Versuchung, um es ;0)...), die Schrankwand mit eingebautem Schnapsdepot. Viele Dinge kannte ich. Einige hatte ich selbst lange Zeit. Margriet staunte. Franzi hörte zu. Ich erzählte von der Schule, vom Altpapier-Sammeln, das belohnt wurde wie ein kleiner Raubzug. Von Matheunterricht mit Zirkelkasten und vom Fahnenappell mit Pionierhalstuch. Jung- und Thälmannpionier-Uniformen hingen dort, fein säuberlich gebügelt. Mit Ausweisen. Ich erkannte das Blau, das Rot. Es war, als ob jemand in meiner Erinnerung gekramt hätte.

    „Ich fand meine Kindheit gut“, sagte ich irgendwann. Nicht verteidigend. Einfach nur so.

    Dann stießen wir auf den Konsum oder den HO, eine kleine Ladenkulisse.„Konsum oder HO?“, fragte Margriet, als wir vor dem kleinen Miniaturladen standen.
    Ich überlegte kurz. „Beides. Aber nicht das Gleiche.“
    Dann erklärte ich ihr, dass der Konsum die günstige Schwester war – Brot, Milch, Kartoffeln. HO war für den besonderen Tag: Apfelsinen, Schokolade aus Bulgarien, Seife mit Duft.
    Ohne es abzusprechen, spielten Margriet und ich „Kaufladen“.
    Sie hinterm Tresen, ich davor. Ich fragte nach Bananen.
    Sie: „Heute nicht.“
    Ich: „Kaffee?“
    Sie: „Auch nicht.“
    Ich: „Was haben Sie denn?“
    Sie: „Marmelade. Apfel. Ohne Apfel.“

    Wir lachten beide Tränen. Franzi beobachtete uns dabei, sie lachte herzlich mit.

    Im Nebenraum hingen NVA- und Polizeiuniformen. Margriet zögerte keine Sekunde. Sie griff sich die grüne Uniformjacke, setzte sich an den originalen Schreibtisch, griff zum grauen DDR-Telefon und sah mich mit strenger Miene an.
    „Papier, bitte. Und zwar sortiert.“
    Die Uniform stand ihr verdächtig gut.

    Ich zückte sofort mein Handy für ein Foto – dieser Moment war zu gut. Und beim Auslösen konnte ich mir den Spruch nicht verkneifen:

    „Weißt du, Margriet – man könnte glatt meinen, du hast die Uniform mit deinen 85 Jahren einfach nie abgelegt. Weil du sie nicht vermissen wolltest.“

    Sie lachte, ihre Augen blitzten.
    „Du bist ein Teufel - das wäre dann aber eine sehr lange Schicht.“
    Ich speicherte das Foto unter dem Namen „Margriet, Abschnittsbevollmächtigte a.D.“ (a.D. - außer Dienst ;0)...)

    Die Ausstellung war keine Abrechnung, kein erhobener Zeigefinger. Sie war Erinnerung zum Anfassen – ohne Pathos, aber mit Herz. Man spürte den Willen, nichts zu vergessen, aber auch nichts zu beschönigen.

    Wir verabschiedeten uns von Franzi und ihrem Freund, der zum Schluß dazu kam. Wir wünschten ihnen viel Erfolg mit der Erweiterung – vielleicht ein Schulraum mit Wandkarte. Sie notierte es sich ernsthaft.

    Draußen erschien die Sonne kurz. Margriet streifte die Jacke ab.
    „Weißt du, ich war nie in der DDR. Und doch hatte ich heute das Gefühl, ich wäre ein bisschen dort gewesen.“
    Ich nickte. „Warst du auch."
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  • Windstärke 8: Unser Kurzbesuch am Strand

    8 Haziran, Almanya ⋅ 🌧 14 °C

    Wir hatten es uns so schön vorgestellt: ein kleiner Abstecher an den Strand von Lubmin, Meeresrauschen, barfuß durch den Sand, vielleicht ein Eis mit Blick aufs Wasser. Stattdessen bekamen wir: eine Live-Demonstration norddeutscher Wetterverhältnisse in ihrer rohesten Form.

    Schon auf dem Parkplatz zogen dunkle Wolken auf, als hätten sie sich nur für uns verabredet. Trotzdem liefen wir tapfer los – was man angefangen hat, das zieht man auch durch. Zumindest bis zur Seebrücke, die sich wie ein Finger trotzig ins Meer reckte. Wir schafften es bis zur Hälfte.

    Dann kam der Regen. Seitlich. Von vorn. Unten, oben – man wusste es nicht mehr genau. Margriet klammerte sich an ihre Kapuze wie an ein Segel – ganz Seefrau, ganz sie. „Willkommen am Meer“, sagte ich, und wir drehten um, als wäre die Brücke eine Sackgasse des guten Wetters.

    Es war, als hätte Lubmin sich selbst schützen wollen: Keine Touristen heute, bitte weitergehen.
    Und so gingen wir. Sand im Gesicht, Lächeln im Gepäck. Denn genau solche Momente sind es, über die man später am meisten lacht ;0)...
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  • Das Alaska des Ostens

    9 Haziran, Almanya ⋅ ⛅ 12 °C

    Abfahrt 6:30 Uhr. Während sich halb Deutschland noch am Kopf kratzt und fragt, ob Montag überhaupt erlaubt sein sollte, sitzen Margriet und ich schon im Auto. Ziel: Milow.
    Mission: Frühstück, Kajak, Abenteuer.

    Die Mecklenburgische Seenplatte ist wie ein stilles Versprechen – ein Landstrich, der atmet. Über 1.000 Seen, durchzogen von Flüssen und Kanälen, verstreut zwischen Buchenwäldern, Schilfgürteln und sanften Hügeln. Hier scheint das Wasser fast genauso viel Raum einzunehmen wie das Land – ein glitzerndes Labyrinth, in dem sich die Natur ihre eigene Ordnung schafft.

    Entlang der Ufer wachsen mächtige Erlen und knorrige Weiden, die sich tief über das Wasser beugen, als wollten sie in ihr eigenes Spiegelbild eintauchen. Zwischen den Schilfrohren schwirren Libellen wie kleine, schillernde Hubschrauber. Graureiher stehen reglos am Rand, als hätten sie die Zeit angehalten. Und wenn man ganz still ist, hört man das leise Tropfen von Wasser, das von Paddeln fällt – oder das ferne Trommeln eines Spechts im Wald.

    Was diese Gegend so besonders macht, ist ihre Stille – eine Stille, die nicht leer, sondern lebendig ist. Kein Lärm, keine Eile, kein Verkehr. Nur das leise Gurgeln des Wassers, das Rauschen der Blätter, das Quaken der Frösche. Und darüber ein weiter Himmel, der abends in allen Farben glüht.

    Kein Wunder, dass man hier auch von einer „Wildnis aus Wasser“ spricht – ungezähmt, aber sanft. Ein Ort, an dem die Gedanken langsamer werden und der Blick weiter.

    „Pack und Paddel“ heißt der Ort unserer heutigen Taten – ein Kanuverleih, geführt von Hendrik van Strik, der laut Namen entweder ein niederländischer Krimiheld oder wirklich Holländer ist. Ich spreche ihn darauf an.
    Er lacht: „Bin ich immer noch.“
    Margriet ebenfalls. Holländischer Gleichklang in Mecklenburg – plötzlich war alles Käse und Königshaus ;0)...

    Vor dem Paddeln gibt’s Frühstück: Croissant, Rührei mit Speck, Filterkaffee. Die Portionen sind großzügig, der Dialekt eindeutig: Berliner. Neben uns ein Zeltmeer – aus jedem Reißverschluss krabbelt langsam ein Mensch. Eine Kolonie Zipfelmützen in freier Entfaltung. Der Tag beginnt.

    Wir steigen ins Kajak. Margriet vorne, Kapitänin. Ich hinten, Steuerfrau.
    „Schwimmwesten?“
    „Brauchen wir nicht“, sagt Margriet. Ich nicke. „Wir sind schwimmfähig und würdevoll.“

    Die Tour geht über fünf Seen – insgesamt 16 Kilometer. Hendrik sagt, der Wind könne unangenehm werden. Ich winke ab. Noch bin ich tapfer. Noch.

    Schon der erste Verbindungskanal ist ein Traum. Stille. Seerosen. Froschgequake. Es ist, als ob uns die Landschaft sagen will: „Nicht stören, ihr seid hier nur zu Gast.“

    Wir gleiten durch das sogenannte „Alaska des Ostens“. Die Weite, die Ruhe, die Schilfhütten am Ufer – ich kann Hendrik verstehen, dass er hier geblieben ist. Seit über 30 Jahren.
    „Es gibt schlechtere Entscheidungen im Leben“, sagt er.
    „Zum Beispiel die, bei Wind zu paddeln“, denke ich – noch leise.

    Wir begegnen Tobi, 45, aus dem Schwabenländle. Er ist mit Zelt und Kajak unterwegs, wir fragten ihn, ob er uns beim Vorbeifahren filmen kann. Als ich ihm erzähle, dass Margriet 85 ist, bleibt ihm fast das Paddel stehen.
    „Mein Ziel: so alt will ich auch mal werden. Mit dieser Kondition.“
    Margriet strahlt wie ein Kirchturm im Abendlicht.

    Nach dem vierten See machen wir eine längere Pause an einem Fischereihof (dazu mehr in der Fotostrecke). Der Rückweg aber... wird zum Drachenritt.
    Der Wind kommt von vorn. Die Wellen klatschen gegen den Bug. Wir arbeiten uns Meter für Meter zurück – Arme, Schultern, Wille. Kapitulieren ist keine Option.

    In einer Schleuse wird es fast literarisch. Zwei Berliner Pärchen in Motorbooten diskutieren eine Beinahe-Katastrophe aus der vorherigen Schleuse:
    „Die ham da dit Tau festgemacht, ja? Und dann ham se die nich losjekriegt. Und die eine – du glaubst es nich – zückt einfach so 'ne Machete!“
    „’Ne Machete?!“
    „Jenauso! Zack! Durchs Tau! Ich sach dir, wie im Kino. Das Boot hing schon schief, Bärbel! Schief! Wie ’n Kahn inner Badewanne!“

    Wir warteten still im Kajak – Margriet schaute mich an, ich schaute zurück. Es war wie eine Live-Lesung aus einem Roman von Juli Zeh´s "Übermenschen".

    Dann wieder die Frau aus dem Boot, diesmal lauter:
    „Und ick hab mir nur jedacht: Wo hat die die Machete her?! Wat hat die, dit Ding im BH jehabt?!“ Zwischendurch kratzt sie sich am Kopf und richtet ihre pinkfarbenen Crogs.

    Das zweite Boot, bislang ruhig, meldete sich auch zu Wort.
    „Naja, Hauptsache, se hat dit Tau jekappt und nich den Kopp von jemandem, wa?!
    Es ist alles so absurd konkret, dass es nur wahr sein kann.
    Wir ließen sie ziehen. Wirklich – das war ihre Bühne.

    Als wir allein und als letztes durch die Schleuse glitten, sagte ich zu Margriet:
    „Das ist Berlinerisch. Das kannste du dir nicht ausdenken.“

    Sie grinste.
    „Ich glaube, ich habe nichts verstanden.“

    Kurz nach der Schleuse, stehen auf einer Brücke Schaulustige. Ich rufe nach oben:
    „Applaus wäre jetzt angemessen!“
    Und siehe da: sie klatschen. Rufen. Jubeln.
    Margriet lacht herzhaft. Die letzten Kilometer trotzen wir dem Wind wie echte Seebären – grimmig, entschlossen, mit leicht brennenden Schultern.

    Als wir wieder ankommen, sagt Hendrik nur:
    „Chapeau. Das haben nicht viele in diesem Alter durchgezogen.“

    Ich sehe zu Margriet.
    „Du warst der Hammer.“
    Sie blinzelt gegen die Sonne.
    „Ich weiß.“
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  • Frisch vom Haken – Soljanka mit Aussicht

    9 Haziran, Almanya ⋅ ⛅ 17 °C

    Nach unserer Kajaktour legten wir eine ausgiebige Mittagspause am Seefischereihof Mirow ein. Dort genossen wir frisch gezapftes Lübzer Bier und ließen uns die regionalen Fischspezialitäten schmecken. Margriet entschied sich für die traditionelle Fisch-Soljanka – ein würziges, leicht säuerliches Eintopfgericht aus der osteuropäischen Küche, das ursprünglich aus Russland stammt. In der deutschen Variante wird die Suppe mit verschiedenen Fischarten, Paprika, Tomaten und Gewürzgurken zubereitet und oft mit einem Klecks saurer Sahne serviert.

    Ich probierte eine Auswahl an geräucherten und frisch zubereiteten Fischspezialitäten: geräucherter Karpfen, Brat-Seibling und eine Fischfrikadelle. Alle Gerichte stammen aus eigener Produktion der Seenfischerei Obere Havel e.G., die den Fischereihof betreibt. Die angebotenen Fischarten umfassen unter anderem:

    Süßwasserfische:
    Aal
    Barsch
    Brassen
    Hecht
    Karpfen
    Schleie
    Wels
    Zander
    Lachsforelle
    Saibling
    Forelle

    Meeresfische:
    Hering
    Heilbutt
    Rotbarsch
    Dorsch

    Diese Vielfalt an Fischarten ermöglicht es uns als Gast, eine breite Palette an Spezialitäten zu probieren, von frisch zubereiteten Gerichten bis hin zu geräucherten Köstlichkeiten.

    Während wir im Außenbereich des Fischereihofs saßen, genossen wir nicht nur das Essen und Trinken, sondern auch die Aussicht auf den Mirower See. Es war faszinierend, den Kajakfahrern und Kanuten zuzusehen, wie sie ihre Touren fortsetzten oder beendeten. Der Fischereihof ist ein beliebter Anlaufpunkt für Wassersportler und Naturliebhaber gleichermaßen.
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  • Biberhof im Abendlicht

    9 Haziran, Almanya ⋅ ☀️ 18 °C

    Nachdem wir unser Kajak wieder heil an Land und über die Straße gebracht hatten, verspürten wir eine Mischung aus Stolz – und Hunger. Kein Wunder: 16 Kilometer auf dem Wasser, Wind von vorn, Applaus von der Brücke – das schreit geradezu nach einer Belohnung.

    Wir kehrten also noch einmal zur Diemitzer Schleuse zurück, diesmal nicht im Boot, sondern zu Fuß. Auf der kleinen Brücke, wo vorhin noch unser spontanes Schleusenpublikum stand, blickten wir hinab und betrachteten das Schauspiel nun aus der Vogelperspektive. Es war still geworden – kein Boot, keine Berliner Dialekte, keine pinkfarbenen Crocs. Nur wir und das leise Rauschen des Wassers.

    Direkt nebenan liegt der Biberhof, ein Dreiseitenhof wie aus dem Bilderbuch, mit Schäferwagenburg, Campingplatz, Floßverleih, Biohof und einem Restaurant, das schlicht „Scheune“ heißt, aber kulinarisch alles andere als schlicht ist.

    Da es Pfingstmontag war, trugen draußen alle Tische selbstbewusst ein kleines „Reserviert“-Schildchen. Ich fragte trotzdem freundlich, ob wir bis 18 Uhr etwas essen und trinken dürften – und siehe da, das Personal war nicht nur aufmerksam, sondern auch erstaunlich entspannt:
    „Na klar – kommt, setzt euch. Essen kriegt ihr allemal.“

    Margriet bestellte sich einen wohlverdienten Flammkuchen mit hausgemachtem Bio-Mozzarella und frischen Kirschtomaten, dazu eine Bio Himbeer-Cassis-Limonade, deren Farbe so leuchtete, dass sie fast mit dem Sonnenuntergang konkurrierte.

    Ich wurde neugierig auf die etwas andere Variante von Bruschetta: mit Zucchini und einer Prise Zimt – eine Kombi, die unter „ungewöhnlich, aber überraschend lecker“ verbucht werden darf.

    Die Sonne stand tief, der Tag klang warm aus, die Gespräche wurden langsamer. Wir ließen unsere Kajaktour Revue passieren, sprachen über Seerosen, Schleusenszenen und Margriets Kapitänsmütze, die sie gedanklich trug, mit Stolz.

    Mit vollem Bauch, müden Armen und einem leichten Lächeln fuhren wir am Abend zurück nach Monte Gristow – und schliefen dort seelig ein. Margriet träumte vermutlich von Wasserlilien. Ich von Macheten in Schleusen ;0)...
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  • Putbus: Kein Schloss, kein Kaffee...

    10 Haziran, Almanya ⋅ ☁️ 14 °C

    Der Dienstag begann mit einem Blick aus dem Fenster und einem Seufzer: Regen. Den ganzen Tag. Eigentlich stand heute das Wandern am Kap Arkona auf dem Plan, aber die Vorstellung, dass uns der Wind den Regen ins Gesicht peitscht, während wir mit nassen Hosen durch die Steilküste stapfen, ließ mich schon im Bett umdisponieren.

    Plan B kam mir zwischen Kopfkissen und Kaffeedurst: die historische Schulstunde in Middelhagen am Vormittag – und danach nach Stralsund ins frisch wiedereröffnete Meereskundemuseum, Margriets großer Wunsch. Wandern kann warten. Haie und Historie nicht.

    Margriet war erstaunlich gut drauf – ein bisschen hölzern beim Aufstehen, aber mit einem Lächeln:
    „Ich habe Schlimmeres erwartet, ehrlich. Ich fühl mich gut.“
    Womit sie eindeutig fitter war als so manche 60-Jährige nach einem Spa-Tag.

    Also los, auf die größte Insel Deutschlands. Rügen. Erste Station: Putbus, wo wir frühstücken wollten und ich Margriet danach den wunderschönen Schlosspark zeigen wollte.
    Wir steuerten das vertraute Café an – doch eine Angestellte mit scharfem, polnischen Akzent ließ uns wissen:
    „Wir öffnen neun Uhr. Kaffeemaschine noch nicht an.“
    Ich fragte höflich, ob man nicht wenigstens schon mal einen Kaffee bekommen könne.
    „Das dauert 15 Minuten.“
    Wir setzten uns und warteten. Nach etwa 20 Minuten kam sie zurück.
    „Sie geht nicht. Chef sagt, sie geht. Ich krieg sie aber nicht an. Vielleicht doch morgen kommen. Oder auch nicht – ist nicht schlimm.“
    Mit dieser professionellen Unverbindlichkeit wurden wir verabschiedet – oder entlassen.
    Putbus fiel damit – wie sein einstiges Schloss – dem Rückbau zum Opfer.

    Stattdessen entdeckte ich ein kleines Radlercafé, nur zehn Minuten von Middelhagen entfernt. Wir bekamen dort doch noch unser Frühstück – umgeben von einer etwas schrägen Geräuschkulisse:
    Eine Türklingel, schrill wie ein Feuermelder.
    Jedes Mal, wenn jemand die Bäckerei betrat oder verließ, riss es uns aus dem Brötchen und leckeren selbstgemachten Kuchen. Erst schreckten wir auf, dann verdrehten wir die Augen – und irgendwann fingen wir an, die Klingel zu imitieren.
    "TRRRRRING-DING!!!"
    Wir lachten. Vielleicht war es der beste Moment des Morgens.

    Ich erzähle Margriet beim Frühstück von Putbus’ bewegter Geschichte. Dass hier einst ein prachtvolles Schloss stand – und dass es heute nicht mehr existiert.
    „Ein richtiges Märchenschloss, weiß und klassizistisch - wurde 1964 abgerissen – zu teuer, zu adelig, zu prunkvoll für die DDR. Man hatte kein Geld übrig für den Erhalt, und noch weniger Sympathie für Fürstenarchitektur.
    Putbus wurde im frühen 19. Jahrhundert vom Fürsten Wilhelm Malte zu Putbus als Residenzstadt gegründet – geplant im klassizistischen Stil, mit weiß getünchten Gebäuden und strenger Symmetrie. Das Schloss war ihr Herzstück.

    Nach dem Zweiten Weltkrieg enteignet, wurde es in der DDR aus ideologischen und praktischen Gründen dem Verfall überlassen. Der Abriss 1964 gilt heute als einer der schmerzlichsten Kulturverluste Ostdeutschlands.)

    Aber wir hatten keine Zeit für Nostalgie – zumindest nicht im barocken Stil.
    Ab in die Vergangenheit – aber auf ganz andere Art. Die Schulglocke in Middelhagen wartet...
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  • Zurück auf die Schulbank...

    10 Haziran, Almanya ⋅ ☁️ 14 °C

    Punktlandung. Zwei Minuten vor zehn betreten wir die historische Dorfschule von Middelhagen – und werden sofort in eine andere Zeit gesogen. Der Klassenraum ist voll, die Luft ein bisschen staubig, die Blicke neugierig. Wir pressen uns in eine hölzerne Schulbank, Baujahr vermutlich 1900, mit Klapp-Pult vorne dran und unnachgiebiger Rückenlehne. Margriet strahlt. Sie findet das Möbel „sehr charmant“ – was übersetzt heißt: unbequem wie Hölle, aber voller Erinnerungen.

    Das Schulmuseum Middelhagen liegt idyllisch mitten im Dorfzentrum. Die Dorfschule wurde um 1825 erbaut und beherbergt heute neben dem alten Klassenraum auch die authentisch eingerichtete Lehrerwohnung. Mehrmals in der Woche kann man hier historische Schulstunden selbst erleben. Wie war der Schulalltag vor hundert Jahren auf Mönchgut? Was wurde gelernt, wie gelebt? Hier ging es auf eine Zeitreise ins Jahr 1825.

    Wir schauten uns um. Es gab viel zu entdecken: ausgestopfte Tiere, einen riesigen Holzrechenschieber – wie hieß der nochmal? „Abakus“? Gerade, als wir noch grübelten, betrat die Lehrerin den Raum. Haare streng hochgesteckt, nordisch kühl. Ein Blick, der jede Diskussion im Keim erstickt. Wir stehen auf, wollen höflich sein und antworten brav: „Guten Morgen!“ – und fangen uns direkt die erste Rüge ein: „Es heißt Guten Morgen, Fräulein Lehrerin! – und zwar im Chor. Nochmal!“ Wir wiederholen es wie geprügelte Lämmer. Das Eis ist gebrochen ;0)...

    Dann sollten wir alle unsere Hände zeigen, ob sie sauber und frisch gewaschen waren – schließlich kämen wir gerade vom Feld oder hatten Hausarbeit gemacht. Sie war ganz in ihrer Rolle. Etwa 30 „Schüler“ zeigten brav ihre Hände. Zwei kamen zu spät. Die Frau entschuldigte sich und nannte die Gründe – der Mann nickte nur. Das hat garantiert noch ein Nachspiel, murmelt jemand hinter mir. Ich nicke innerlich.

    Jetzt wird’s ernst: Taschentuchkontrolle. Stofftaschentücher, bitte. Kein Zellstoff, kein Papierschnupfer. Margriet wedelt eifrig mit ihrem, sie hat’s sich ja gemerkt. Aber insgesamt? Maximal fünf im Raum sind vorbereitet. Und wehe, man zeigt das falsche: Jungs brauchen ein weißes Tuch zum Vorzeigen, ein farbiges zum Benutzen. Mädchen ein feines, besticktes mit Häkelbordüre zum Präsentieren, und ein einfaches ohne Spitze zum tatsächlichen Gebrauch. Wer das verwechselt oder gar ein benutztes zeigt, hat den Rohrstock verdient – den präsentiert die Fräulein Lehrerin dann auch gleich mal. Mädchen: Handrücken. Jungs: Hintern. Willkommen in der guten alten Zeit.

    „Nun“, sagte sie, „fangen wir erstmal mit einem Lied an: ‘Jetzt fahr’n wir übern See’. Mal sehen, wer alles drüber fährt.“

    Jetzt fahr’n wir übern See ist ein deutsches Scherzlied aus dem 19. Jahrhundert. Es handelt sich um ein Volkslied, da nicht überliefert ist, wer für Melodie und Text verantwortlich war. Hier der Text:

    Jetzt fahren wir übern See, übern See,
    Jetzt fahren wir übern ________ See.
    Mit einer hölzern' Wurzel, Wurzel, Wurzel, Wurzel,
    mit einer hölzern' Wurzel, kein Ruder war nicht _______ dran.

    Beim ersten Versuch sangen einige einfach weiter und stoppten nicht rechtzeitig - sie fuhren quasi über den See ;0)... Also nochmal von vorn – diesmal klappte es besser. Wir lachten herzlich und genossen die Atmosphäre.

    Anschließend: Naturkunde mit ausgestopften Tieren. Sie zeigte mit ihrem Rohrstock auf das jeweilige Tier. Immer wenn sie fragte, was das für ein Vogel oder Tier sei, mussten wir uns im ganzen Satz melden und hinten dran „Fräulein Lehrerin“ sagen. Sie erzählte viel aus dem ländlichen Leben Rügens, vom Schulleben und von den Lehrern. Interessant war, dass Rügen lange zu Schweden gehörte (Rügen war von 1648 bis 1815 schwedisch, nachdem es im Westfälischen Frieden von Brandenburg an Schweden abgetreten wurde – bis es im Wiener Kongress an Preußen fiel). Plattdeutsch-Lesung inklusive. Ich verstehe nichts. Margriet auch nicht. Aber es ist unterhaltsam. Und immerhin übersetzt sie ab und zu – norddeutsche Höflichkeit.

    Nun bekamen wir Schiefertafeln mit Griffeln, um Schönschrift zu üben. Früher schrieb man in Sütterlin (eine deutsche Schreibschrift, die von 1915 bis etwa 1941 offiziell verwendet wurde, bevor sie durch lateinische Handschriften abgelöst wurde). Auf einer Tafel stand ein Satz in Sütterlin, den wir laut vorlesen sollten. Es war gar nicht so einfach, diese elegante Schrift zu entziffern. Gemeinsam schafften wir es.

    Dann hieß es, unsere Namen auf die Tafel zu schreiben – einmal mit rechts, einmal mit links, natürlich innerhalb der Linien. In Schönschrift. Margriet lacht – wann schreibt man schon mal mit links? Die Lehrerin kontrollierte und lobte: „Gut gemacht!“

    Zum Finale der Strafblock: Der Zuspätkommer muss nach vorn, bückt sich über den Pultdeckel. Der Rohrstock kommt zum Einsatz – zehnmal. Wir zählen laut mit. Zehnmal. Wir lachten herzlich – Der Geschlagene bleibt stumm - komisch ;0)...

    Zum Schluss erhielt jeder von uns ein Zeugnis, geschrieben in Altdeutsch mit dem Namen handgeschrieben in wunderschöner Kalligrafie. Wir bedankten uns höflich mit „Danke, Fräulein Lehrerin“. Die Stunde verging wie im Flug, alle klatschten.

    Anschließend durften wir den Schulhof, die angrenzende Lehrerwohnung und die Ausstellung mit Schulsachen besichtigen – eine wirklich tolle Schulstunde.
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  • Breedehus, Bier und Bastelspaß...

    10 Haziran, Almanya ⋅ 🌧 15 °C

    Wegen des feinen Nieselregens – so einem, der sich unsichtbar in Jackenfasern mogelt und sich dann stundenlang nicht mehr aus dem Stoff bequemt – beschlossen wir, unsere frisch erworbenen Schulzeugnisse nicht unnötig diesem Schicksal auszusetzen. Also erstmal: Sicherheitsverwahrung im Auto. Trockene Tinte, trockene Schülerseelen.

    Dann ging’s los durch Middelhagen, dieses Bilderbuchdorf mit Kopfsteinpflaster und Ostsee-Postkartenästhetik. Direkt neben dem Schulmuseum entdeckten wir ein kleines Schmuckstück: das Breedehus, ein ehemaliges Gemeindehaus, das nun eine Galerie beherbergt. Draußen ein Schild, das nach Sonne und Farbe klang. Innen: ein echter Knetkosmos.

    Die Ausstellung „Sonne, Knete, Farbe – KI Laden Middelhagen“ klingt wie ein Kindergeburtstag mit Bildungsauftrag – war aber ein ziemlich durchdachter und doch verspielter KunstGemischtWarenLaden. Präsentiert wurden Knetarbeiten von Frank Käubler und Aquarelle von Birgit Walter. Und mittendrin: eine KI-generierte Visualisierung eines Wikingerfunds mit dem klingenden Namen Lobber Hort – ein „Gravitationsobjekt“ (fragt nicht) – das zum allerersten Mal in Deutschland ausgestellt wurde. Ja, auch wir mussten zweimal lesen. Dann kneten.

    Frank, der selbst mit Knete mehr erzählen konnte als manch Politiker mit Mikrofon, gab uns eine exklusive Führung. Mit einem Herz für Kunst, Humor und der Geduld eines Physiklehrers kurz vor den Ferien erklärte er Margriet das Konzept. Während sie noch überlegte, ob man mit 85 Jahren überhaupt noch mal kneten sollte, drückte er ihr ein Stück Knetmasse in die Hand. Sie wurde kreativ.

    Margriet erzählte währenddessen von ihrer Heimat in Holland, Birgit von Frankfurt (der an der Oder) und der Wirtschaft, und ich – wie so oft – vom Süßkram. Denn als kleines Dankeschön bekam Margriet eine echte Halloren-Kugel überreicht.
    (Anmerkung: Die Halloren-Kugel stammt aus Halle an der Saale - 1952 erstmals produziert, ist eine traditionsreiche Praline mit Schokoladenüberzug und einer charakteristischen zweifarbigen Füllung – man beißt sie idealerweise einmal ab, um das Innere – eine helle und eine dunkle Cremehälfte – zu entdecken. Die Süßigkeit ist ein Klassiker der ostdeutschen Naschkultur. Der Name "Halloren" leitet sich von den Salzarbeitern ab, die in der Region tätig waren.)

    Ich klärte Margriet augenzwinkernd auf: „Nicht ganz Haute Cuisine, aber definitiv Kultur – und zwar aus meiner Heimat!“ Sie biss vorsichtig ab, nickte zustimmend und meinte, dass man noch dazu lernen könne – auch über Pralinen.

    Dann verabschiedeten wir uns aus dem Knetkosmos und liefen zur St.-Katharinen-Kirche, ein gotisches Bauwerk aus dem Jahr 1455. Der hölzerne Kirchturm und die historische Ausstattung, darunter der Katharinenaltar aus dem 15. Jahrhundert, beeindruckten uns. Die Orgel von 1862, auf der auch Albert Schweitzer gespielt haben soll, rundete das historische Ambiente ab. (Die St.-Katharinen-Kirche in Middelhagen gehörte damals zum Kloster Eldena bei Greifswald. Der hölzerne Kirchturm und das Gewölbe des Kirchenschiffs stammen aus späterer Zeit. Der Katharinenaltar wurde um 1480 gefertigt und kam nach dem Dreißigjährigen Krieg nach Middelhagen. Die Orgel wurde 1862 von Barnim Grüneberg gebaut.)

    Und danach? Nun ja – nach der Kirche kommt, wie früher bei den Mönchgut-Männern: das Bier.
    Gegenüber lag das älteste Gasthaus mit eigener Brauerei auf Rügen, ein urgemütlicher Ort mit Holzbalken, Dielen und dem leicht melancholischen Geruch von Geschichte und Hopfen.

    Margriet und ich verkosteten jeweils das dunkle und das helle Hausbier, beide zufrieden mit uns, dem Tag und der trockenen Tinte im Auto.

    Nur die Jacke… ja, die Jacke...

    Die blieb wohl sitzen – brav über der Stuhllehne. Wir merkten’s erst am Abend. Aber das ist dann schon wieder eine andere Geschichte…
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