Eyecatcher // Lego
December 2, 2023 in India ⋅ ☀️ 30 °C
// Eyecatcher
Auf der Weiterfahrt lege ich einen Zwischenstopp ein und besichtige ein Höhlensystem. Es ist wahnsinnig interessant aber ich bin unentspannt. Von überall folgen mir neugierige Augen. Eine Schulklasse geht an mir vorbei, 100 Augen die sich auf mich richten wie Suchscheinwerfer, und an mir kleben bleiben bis ich außer Sichtweite bin. Es fühlt sich fast bedrohlich an. Danach bin ich so erschöpft, dass ich bei einem sketchy Hotel am highway halte und die Fahrt abbreche. Ich bin enttäuscht und fühle mich unwohl. Eine halbe Stunde schließe ich die Augen und übe das meditieren, das rückt mir den Kopf wieder gerade und ich genieße schlussendlich die Me-Time in meinem eigenen Zimmer.
// Lego
Ich erreiche Hampi!
Das Schicksal meint es gut mit mir, nach dem Einchecken im Hostel treffe ich Kai, Tristan und Eli wieder, die mit dem Nachtbus angereist sind. Wir fahren gemeinsam in die Altstadt und erkunden die Ruinen. Ich bin begeistert von der Architektur und Geschichte. So viele Details, Handwerk, Geschichte und Atmosphäre auf geballtem Raum überfordert mich beinahe. Die riesigen Felsbrocken die aufgetürmt im Umland liegen werfen die Frage auf, wie so eine Umgebung entsteht. Jemand erzählt mir von der Theorie, dass Gott bei der Erschaffung der Erde Bausteine übrig hatte und sie in Hampi wie Legosteine zurückgelassen hat. Ich mag diese Theorie.
Abgesehen davon dreht sich die Zeit im Hampi für mich nur um die Gesellschaft. Es fühlt sich wie vertraute, behagliche Freundschaft an und ich entspanne mich darin. Die drei Eierköpfe wachsen mir ans Herz. Wir erleben tausend kleine Abenteuer...
Wir gehen gemeinsam Essen, Klettern und springen von hohen Klippen in den Stausee. Zum Abend geht's auf einen Hügel und wir beobachten den Sonnenuntergang und den "Vogelbaum" (siehe Video).
Bei einem nächtlichen Ausflug beobachten wir Krokodile im Tümpel nebenan. Auf dem Heimfahrt verbeisst sich ein wütender Straßenhunde bei voller Fahrt in mein Hosenbein und jagd mich über den schmalen Pfad zwischen den Reisfeldern. Bei einer späten Exposition auf den Hügel zum Sternegucken verliere ich unbemerkt meinen Motorradschlüssel in der Dunkelheit und finde ihn unglaublicherweise (!!!) wieder. Ein "fliegender Ohrenputzer" reinigt uns die Ohren am Straßenrand und WOW kann ich gut hören auf ein Mal. Eine Gruppe Trommler besucht das Hostel und es wird stundenlang gesungen und getanzt. Tristan hilft mir, mein erstes Freundschaftsarmband zu knüpfen.
Good times!
🥇 Klippenspringen, Ohrenputzen, Armband knüpfen
👨 Tristan, Kai, Eli
🎵 Alex Serra - So freeRead more
Badami
December 3, 2023 in India ⋅ ☁️ 29 °C
Wieder ein Wiedersehen!
In Badami treffe in Tejas und wir erkunden gemeinsam die Höhlen. Auch hier überwältigt die Detaillierung der Einkerbungen. Es wurden keine einzelnen Bauteile verwendet, der ganze Raum wurde aus dem massiven Fels geschlagen. Heutzutage nicht vorstellbar, wenn auch technisch so viel einfacher.
Freche Affen hüpfen um uns herum, ich werde um viele, viele, viele Selfies gebeten. Mir gefällt die städteplanerische Zonierung des Areals gut: ein ruhiger, großer See am Fuße des Berges, davor erstreckt sich das Chaos der Stadt.Read more
Hochzeit // Worst case
December 4, 2023 in India ⋅ ☁️ 25 °C
// Hochzeit
Ich werde zu einer indischen Hochzeit eingeladen! Besser gesagt, ich lade mich selbst ein, haha!
Ich begleite Tejas zu seinem Heimatort Belgaum, seine Familie lebt in einer ca 70 qm großen Wohnung im vierten Stock. So viel Andersartigkeit nehme ich nicht wahr... Die Rituale und Bräuche sind mir fremd aber abgesehen davon fühlt es sich beinahe vertraut an. Tejas Vater hat Geburtstag und mir wird erlaubt das Puja (Segnung) durchzuführen (siehe Video). Dann gibt es ganz nach westlichem Brauch Kuchen, der mir aber nach indischen Brauch von Mutti händisch in den Mund geschaufelt wird. Tejas zeigt mir sein Viertel und erzählt mir verschiedene Anekdoten seines Lebens. Ich begreife immer besser wie unterschiedlich wir sind aber auch wie groß unsere Überschneidungen und Gemeinsamkeiten sind. Nicht nur zwischen uns zwei unbedeutenden Lichtern, auch im größeren Kontext. Ich denke an Luisas Tattoo: "Wir leben alle unter dem selben Himmel" ich habe diesen Spruch noch nie nicht verstanden aber erst jetzt begreife ich die Bedeutung wirklich. Alle Menschen ähneln sich in ihren Motivationen und Beweggründen, das macht uns gleich. Dazu später mehr...
Zur Hochzeit trage ein indisches Kleid von Sarita's Schwiegertochter und habe sogar einen Glitzer-Sticker zwischen den Augenbrauen kleben. Ich bin maximal angepasst! Nur Haut- und Haarfarbe passen nicht ins Bild. Auf der Fahrt sitze ich ladylike seitlich auf dem Roller und kann mir vorstellen, ich wäre Jasmin aus Aladdin und sitze auf einem fliegenden Teppich. Ja, ich fühle mich zum ersten Mal wie eine kleine Prinzessin, das Kleid glitzert, der Schleier flattert. Ein Tag zuvor war mein Gesicht noch dreckverschmiert von der langen Motorradfahrt, und auf ein Mal bin ich mitten im Bollywood-movie. Tejas Freunde sind aufgeregt mich zu treffen, ich verbiete ihnen streng das überhöfliche "ma'am". Die sogenannte 'reception' ist eine riesen Feier und ich erschrecke vor dem Maßstab. Allein schon der Fußweg ist prunkvolle geschmückt mit leuchtenden Torbögen und Blumengestecken im Überfluss. Es ist eine Bühne aufgebaut, auf der das Brautpaar platziert ist. Eine lange Schlange bildet sich dorthin, ein Fotograf schießt Fotos der Gäste mit dem Paar. Ich habe Mitleid, den ganzen Abend müssen die Beiden Hände schütteln und ins Scheinwerferlicht lächeln. 700-800 Gäste sind gekommen und sitzen in Grüppchen auf dem offenen Platz. Jeder Kopf dreht sich nach mir um, die Blicke haben eine Wertung.. Was hat die Ausländerin hier zu suchen, mit wem ist sie verheiratet? hat das Brautpaar etwa einflussreiche Kontakte nach Europa?
Wir sitzen als junge Gruppe zusammen, unterhalten uns und schießen ein paar Fotos. Das riesige Buffet hat alles zu bieten, aber nach dem ersten Happen startet ein Gewitter in meinem Bauch und die Krämpfe verderben mir den Spaß. Beim Abschied laden mich die weiblichen Bekannten zu sich ein, sie überschlagen sich fast damit mir die Vorzüge ihrer Gesellschaft aufzuzählen... bei der einen gibt es besonders gutes veganes Essen, die andere hat einen süßen Hund im Angebot, wie soll man sich da entscheiden. Ich verstehe, dass es dabei nicht um mich als Person geht, sondern darum die Freundschaft zu einer Europäerin als coole insta storie in Szene zu setzen.
// Worst case
Ich überrede Tejas, dass ich seine Familie am nächsten Tag ins Restaurant einladen darf, als kleines Dankeschön für ihre Gastfreundschaft. Doch mein Magen protestiert, schon auf der Fahrt in die Stadt kann ich kaum aufrecht auf dem Roller sitzen. Und als wir beisammen sitzen und das Essen kommt, geben mir die Essensgerüche den Rest und ich verbarrikadiere mich auf der Toilette.
Das Übergeben bringt keine Erleichterung, die Kämpfe halten an. Zurück am Tisch bricht eine hitzige Diskussion über mich (nicht mit mir) aus, die drei sind sehr besorgt. Ich verstehe kein Wort, und bin viel zu erschöpft um mich daran zu stören.
Tejas beendet das Abendessen vorzeitig, baut sich vor mir auf, plötzlich ganz streng. Meine Widerrede wird nicht zugelassen, seine Eltern lassen wir einfach sitzen. Ein heulendes Häufchen Elend, wird auf den Roller gesetzt und Nachhause gefahren. Er dreht sich immer wieder nach mir um, checkt mein Gesicht mit großen, ängstlichen Augen. Zuhause angekommen tigert er wie ein kopfloses Hühnchen um mich herum. Ich verstehe die Hilflosigkeit der er ausgesetzt ist. Er kann mir nicht helfen, ich kann mir auch nicht helfen. Wir warten und bangen also in welche Richtung sich die Situation entwickelt. Nach einiger Zeit fühle ich mich besser, kein Krankenhausbesuch mehr nötig.
Der nächste Tag ist der Genesung gewidmet. Ich liege gerade gelangweilt auf dem Sofa, da erhalte ich eine Push-Nachricht meiner Bank. Es wurde Geld überwiesen. Hm? 4 Abbuchungen von je 100€ innerhalb 5 Minuten? Die Panik bricht wie eine Welle über mir zusammen, am Tag zuvor hatte ich Geld am ATM abgehoben, meine Kartendetails und der Pin wurden wohl abgegriffen. Ich sperre alles was geht, schreibe Mails, recherchiere... Dann bin ich von der einzigen Geldquelle abgeschnitten... verdammte Scheiße.
Mir wird klar, dass das einer meiner worst case scenarios ist: Der Verlust der Bankkarte oder des Handys, meine wichtigsten Gegenstände.
Max ist auf Geschäftsreise, daher bitte ich die Vermieter, Tobi in unsere Wohnung zu lassen und er sendet meine zweite Bankkarte als Expresssendung nach Indien. Eine herausfordernde und lehrreiche Situation im Rückblick.
In der Zwischenzeit werde ich weiteren Familienmitgliedern von Tejas vorgestellt und merke wie genervt ich von der äußeren Definition bin. Immer wieder "Germany" und "architect", als wäre das alles was es zu sagen gibt. Natürlich weiß jeder durch die stille Post von meiner misslichen Situation, die ganze Familie, jeder Nachbar...
Alle fragen Tejas besorgt nach meinem Befinden (mehrmals täglich). Meine Geduld ist aufgebraucht, ich bedanke mich aufrichtig für die Gastfreundschaft und verabschiede mich. Weiter geht's, mit dem restlichen Bargeld das ich noch habe.
🥇 Indische Hochzeit
👨 Tejas, Sarita // Tobi, MaxRead more

Traveleroha, Bankkarte weg... das ist hart. Alles Gute. Wenn alle Stricke reißen musst du dir Wesern Union oder so etwas suchen und dir Bargeld von Max schicken lassen.
Om
December 11, 2023 in India ⋅ ⛅ 32 °C
Ich fahre das Motorrad zurück nach Gokarna zum Verleih. Tschüss Schlampi, danke für dein Durchhaltevermögen aber ich freu mich übers Nimmerwiedersehen. Ich bin erschöpft und stehe unter Zeitdruck, denn geplant ist die Weiterfahrt mit dem Zug. Doch als ich mich ins tuktuk setze, gerade die Fahrtrichtung Bahnhof angeben will, sage ich stattdessen "Om beach". Keine Ahnung wo das her kam. Mir wurde vor Wochen erzählt, dass es dort sehr schön sein soll. Ich stapfe durch den kleinen Mangrovenwald am Strand und bin plötzlich in einem schönen, dschungelartigen Resort. Nicht fancy, nicht Mal besonders sauber oder neu, aber die Atmosphäre überzeugt trotzdem. Der Eigentümer hat tatsächlich eine günstige Option im Angebot und ich darf in einem winzigen Häuschen, nahe an Strand einchecken. Eine Ameisenstraße verläuft quer durchs Bett, durch meine offene Tasche zum Fenster unddie Sauberkeit lässt zu wünschen übrig, aber ich störe mich kein bisschen daran.
Ich setze mich ins Café und versuche mir ein digitales Zahlungsmittel einzurichten. Auf dem Höhepunkt meiner Frustration,
höre ich jemanden meinen Namen sagen. Vor mir steht Tomer aus Israel, dem ich hiermit zum dritten Mal begegne und der mir die Empfehlung für Om beach ausgesprochen hat. Wie klein ist die Welt?! Ich erzähle von meinem Schlamassel und er wiederholt mehrfach, dass ich nun am richtigen Ort bin zum Klarkommen. Ein dejavu nur andersrum: dem verzweifelten Mädchen in Munnar hab ich genau das selbe immer wieder gesagt. Karma comes back to me.
Wir erzählen bis zu seiner Abreise in derselben Nacht. Seine Gelassenheit steckt mich an und ich beschließe dem Ort eine Chance zu geben.
Und wirklich: dieser Ort ist pure Zufriedenheit und Entspannung. Es fühlt sich an wie Aloe Vera auf Sonnenbrand. Ich schwimme im Meer, lese Shantaram im Restaurant, futter mir ein Speckpolster an, faulenze in der Hängematte und meditiere draußen auf dem Klippen. Abends telefoniere ich mit Max und seine Stimme deckt mich zu wie eine Kuscheldecke. So ruhig war es in meinem Kopf schon lange nicht mehr.Read more
Cash // Karte // Kuchen
December 13, 2023 in India ⋅ ☀️ 27 °C
Und so renkt sich alles wieder ein:
// Cash
Die Sorge um die Finanzen nagt tagelang an mir wie eine brütende Erkältung. Solange noch etwas Bargeld da ist, geht es einem nicht wirklich schlecht, aber die Frage "was wenn" vergiftet jeden Tag ein bisschen mehr. Als ich endlich von Western Union ein dickes Bündel Geldscheine überreicht bekomme, kann ich mein Glück fast nicht begreifen... So viel Pech und Fehlversuche und auf ein Mal ist es doch so einfach? Später sitze ich auf dem Bett und würde mich am liebsten in den Scheinchen wälzen, sie durchs Zimmer werfen und Gangsterrapp hören.
// Karte
Zurück in Belgaum, wartet der weit gereiste Umschlag schon auf mich. Ehrfürchtig halte ich die neue Bankkarte in Händen, drehe und wende sie, schau sie mir ganz genau an. Einige Tage zuvor wurde ich darüber informiert, dass die Zustellung nicht möglich sei und es hat viele Stunden und sich wiederholende Gespräche benötigt, eine Rücksendung zu verhindern. Welche Bedeutung alltägliche Dinge bekommen, wenn man so hart dafür kämpfen muss!
// Kuchen
Max hat Geburtstag! In meinem Lieblingscafé bestelle ich Kuchen, eine Kerze hab ich auch besorgt, die ich stellvertretend auspuste. Max blinzelte verschlafen und glücklich durchs Handy.
Ich freue mich, dass wir trotz aller Umstände so nah sein können.
🎵 Playlist: Kala Bahia evening set
📝 [...]the only people for me are the mad ones, the ones who are mad to live, mad to talk, mad to be saved, desirous of everything at the same time, the ones who never yawn or say a commonplace thing, but burn, burn, burn like fabulous yellow roman candles exploding like spiders across the stars and in the middle you see the blue centerlight pop and everybody goes “Awww!"
- Jack Kerouac, On the RoadRead more
Delhi
December 16, 2023 in India ⋅ ⛅ 21 °C
Ich bin startklar, habe neuen Reisemut gefasst und buche ein Flugticket nach Delhi. Ab geht's, los geht's, whoop whoop!!
... Wenn da das Verabschieden nicht wäre. Tejas ist mir ans Herz gewachsen. Ich habe durch ihn einen einzigartigen Einblick in die Kultur erhalten, er hat mir viel beigebracht und war in der schwersten Zeit an meiner Seite. Wir sind in kürzester Zeit zu besten Freunden geworden und der Abschied fetzt. But the show must go one!
Delhi ist der Wahnsinn. Nicht im positiven Sinne, sondern im aller schlimmsten. Schon auf dem Weg in die Stadt werde ich permanent angerempelt oder beim Schlangestehen weggedrängelt.
Ein Schlepper, der sich als besorgter Bürger tarnt, nimmt mich in Empfang und ich gerate in einen fiesen Scam: er erzählt mir, dass die Innenstadt abgeriegelt sei.. Ausbruch von Malaria.. völliger lockdown.. und dass ich sicherheitshalber zu einer Touristeninformation fahren soll. Der Tuktukfahrer den ich um Rat frage, spielt das Theater brav mit. Ich spaße im punkto Sicherheit nicht, also folge ich der Anweisung. In der "offizielles Touristen Information" werden mir ganz großartige, teure Lösungen für mein "Problem" präsentiert, die ich sofort bezahlen soll. Jaaa... Nee... ich bin misstrauisch, aber auch stark verunsichert. Ich ziehe Leine und gerate in exakt den selben Scam erneut, mit dem Unterschied, dass diesmal ein Terrorangriff der Grund für die Abriegelung sei. Erst jetzt steige ich entgültig dahinter, dass alles erstunken und erlogen ist... Wow.
Als naiver Mensch schockiert es mich zutiefst, wie man jemanden von Angesicht zu Angesicht so ins Gesicht lügen kann. Ein bisschen Respekt kann ich den Burschen im Nachhinein doch abringen, es war smart mein Sicherheitsgefühl anzugreifen.
Der nächste Tuktukfahrer erhält eine ruppige Behandlung, ich scheiße auf Manieren, dafür komm ich aber auch endlich am Ziel an. Die ersten beiden Unterkünfte die ich ansteuer sind ausgebucht, erst bei Nummer drei endlich ein freies Bett im Dorm. Der Host begrüßt mich grinsend mit den Worten: "und, zu wie vielen Touri Infos haben sie dich gebracht?" Aha, eine bekannte und erfolgreiche Masche also. Das Pärchen im Foyer, hat den heutigen Rekord von 4 Exkursionen geknackt.
Über der Stadt hängt der weiße, dichte Smog wie Nebel. Der Hals kratzt, als hätte man den ganzen Abend in der Raucherkneipe abgehangen. Ich leide Todesangst auf der Straße. Niemand nimmt Rücksicht, alles geht drunter und drüber, viel zu eng, zu knapp, laut laut laut, Müllberge, Menschen und Tiere, alle sind sich permanent im Weg.
Eine merkwürdige Atmosphäre herrscht auf der Straße: die Kurzlebigkeit und Dickhäutigkeit der Gesellschaft tritt deutlich hervor, im Kontrast zu meiner Verletzlichkeit und Hilflosigkeit. So viel Elend und Geringschätzung für das Leben. Die Menschen haben keine Reserven, sie sind verzweifelt und kämpfen um den Selbsterhalt. Von der Hand in den Mund. Der primitive Überlebenskampf, jeder kämpft an seiner eigenen Front.
Die Menschen haben im Norden hellere Haut, gucken unfreundlich und starren ausdruckslos. Schlimmer noch: zum Starren bleiben sie direkt vor einem stehen. Und laut sind sie! Die Worte prasseln wie Hagelkörner auf mich nieder, schnell und unnötig laut. Zudem ist es unerwartet kalt, ich bin froh über meine Fleecejacke und Strumpfhosen die ich bisher nie ausgepackt habe.
Obwohl ich über einen Monat Erfahrung gesammelt habe mit 'crazy India', ist der Kulturschock extrem. Meine Kraftreserven sind schnell aufgebraucht. Diesen Blogeintrag zu schreiben fiel mir ungewohnt schwer. Wie soll man die Situation beschreiben? Oder das Gefühl, dass sie auslöst? ich würde am liebsten direkt wieder verschwinden.
Ich finde eine Kompromisslösung: tagsüber Sightseeing, nachts Abreise.
Zufällig treffe ich den Australier Arlo und wir schließen uns für den Tag zusammen. Ein riesen Zufall und Segen zugleich, alleine hätte ich die Sache nicht genießen können. In einer Fahrrad- Rikscha geht's quer durch die Stadt: in den Schlaglöchern kippen wir beinahe seitlich über, einige Passagen sind so eng, ich warte schon auf ein krachendes Geräusch, aber unser junger Fahrer kennt die Abmessung seines Gefährts ganz genau und wirft nicht Mal einen prüfenden Blick zurück. Auf der Schnellstraße strampelt er schwer, ich habe Mitleid und zum Glück ein motorisierter Fahrer ebenso, der uns kurzerhand einen Powerboost gibt. Wir drei jubeln begeistert, für eine Sekunde in der Freude vereint, strahlt der Fahrer uns an. Wir besichtigen die Jama Majid Moschee und das Red Fort, verlaufen und verfahren uns und besuchen zum Abschluss noch das Akshardam. Und ich freu mich riesig davon zu berichten: der Hindu Tempel wurde erst 2005 errichtet, in einem Prunk und Protz, sowas hast du noch nicht gesehen. Prinzipiell genau nach den antiquen Vorbildern konstruiert und ausgeschmückt. Ich habe schon so viele Tempel besucht, jedesmal begeistert von der Vorstellung wie prunkvolle der Ort 'damals' gewesen sein muss. Und endlich erlebe ich diese Phantasie, alle Ornamente sind scharf, deutlich, farbenfroh. Es braucht kein Vorstellungsvermögen, es fühlt sich an wie eine Zeitreise. Der Traum eines Architekten! Leider waren keine Fotos gestattet, immer wieder taste ich unwillkürlich nach der Kamera und mein Vokabular ist stundenlang auf "wooow" beschränkt. Wir sind zur perfekten Zeit da, eine Schar Tauben zieht seine letzten Kreise über der Kuppel, die Sonne geht orange unter, das Gebäude wird im Scheinwerferlicht neu inszeniert. Wir trinken Chai, gucken uns in Ruhe satt und sagen immer wieder "damn, we are so lucky"
Für den Weg zum Nachtbus hab ich mir zu wenig Zeit eingeplant, das tuktuk steht im Stau und ich bange... Die unscheinbare Bushaltestelle hätte ich ohne 5x fragen nie und nimmer gefunden. Als der Bus kommt und ich endlich in meinem kleinen Bettchen liege, fühlt es sich an als hätte ich im Lotto gewonnen, die Wahrscheinlichkeit dass alles klappt schien mir verschwindend gering. Der Bus erinnert mich stark an den
'Knight Bus' aus Harry Potter, die Atmosphäre ist faszinierend.
Die Nacht ist jedoch bitter kalt. Ich ziehe aaaalle Klamotten übereinander an, aber friere trotzdem viel zu doll um zu schlafen.
🥇 Fahrrad Rikscha
👨 ArloRead more
Bikaner
December 19, 2023 in India ⋅ ☀️ 16 °C
Der Nachtbus erreicht Bikaner. Ich tapse müde und durchgefroren zur Tür heraus und werfe mich erschrocken zurück in den Bus, als mir 10 aufgeregte Tuktukfahrer ihr bestes Angebot entgegen brüllen. Ich bin völlig überfordern mit dem plötzlichen Überfall. Ein Mitreisender schreitet ein, erkundigt sich nach meinem Ziel und empfiehlt mir noch einen Stopp abzuwarten. Ich stehe während der Weiterfahrt mit Herzrasen in der offenen Tür, eine Schar Tuktukfahrer folgt dem Bus wie wütende Schmeißfliegen, gierig, die Reisenden an der nächsten Haltestelle zu belästigen. Der freundliche Local baut sich beim nächsten Ausstieg schützen vor mir auf, kurze Hektik, eigentlich will ich ja tatsächlich mit einem tuktuk weiter, aber die Situation ist zu chaotisch und laut. Der junge Mann bietet mir kurzerhand an, mich zum Hotel zu fahren... Ja, nein, ja, nein, ja... Was ist das geringere Übel gerade? Nach den Sicherheitsvorkehrungen steige ich also in sein schützendes Auto, die Augen und Ohren wachsam aufgesperrt. Die Sorge ist unberechtigt, wir haben eine großartige Unterhaltung und umarmen uns sogar zum Abschied, noch immer bibbernd vor Kälte.
Das Hotel ist eine ehemalige "Haveli", ein ehemals palastartig ausgestaltetes Wohnhaus wohlhabender Fernhändler. Die Architektur des Gebäudes fesselt mich. Viel Stein, feine Details, völlig unproportional führen schmale Treppen in unrhytmischer Abfolge auf Splittlevel und unterschiedliche Etagen. Ein wirrer und verwinkelter Grundriss, jeder Raum hat andere Höhen und Abmessungen. Der Innenhof verbindet die Ebenen miteinander, das erzeugt eine tolle Atmosphäre! Ich kann von meinem Zimmerchen auf der Dachterrasse in den Tee eines Gastes im Erdgeschoss spucken.
Ein älterer Herr, ein Aussteiger aus den Niederlanden, erzählt mir kette-rauchend von seinem außergewöhnlichen Leben. Ein italienischer Gast schließt sich meinem Ausflug zum Fort an. Der Hotelbesitzer liest mir jeden Wunsch von den Augen ab. Alles fügt sich wieder wie von selbst. Ich bin froh darüber, nach der entmutigenden Erfahrung in Delhi hier zu sein.
Ich besuche den Rattentempel. Im Gebäude hausen tausende Nager, barfuß bahne ich mir vorsichtig einen Weg, jeder Schritt knirscht auf der Mäusekacke. Überall flitzt und wuselt es. Es ist ein faszinierendes Erlebnis, ein bisschen eklig und abstoßend, aber hauptsächlich sehr interessant.Read more

TravelerLiebe Julia danke dass ich mit dir abends immer in eine mir ganz ferne Welt mitreisen darf die ich real höchstwahrscheinlich nicht erleben würde es ist gut zu lesen dass du in solchen schwierigen Situation Schutz erfährst. Alles ist mit allem und jeder mit jedem verbunden in unserem Kosmos was für ein großes Glück dass du das erleben darfst ich wünsche dir einen gesunden sicheren glücklichen Rutsch ins neue Jahr mit lieben Menschen um dich herum alles Gute für dich liebe Julia ich freue mich auf ein Wiedersehen mit dir namaste Doro
Fortune Favours the Bold
December 20, 2023 in India ⋅ ☀️ 21 °C
Am Nachmittag treffe ich den jungen Retter vom Bus wieder, der mir spontan eine Insider Sightseeing-Tour gibt. Ich werde zu jedem kulinarischen Highlight der Stadt gebracht: Saft, Süßkram, gebrannte Nüsse, scharfes Knabberzeug, gefüllte Minzblätter... Ich esse, bis mir schlecht wird. Wir besuchen den Tempel, seine Familie und die berühmten Havelis. Heimlich schleichen wir uns in ein fancy Hotel, erforschen das Gebäude kichernd wie Zwölfjährige. Zur richtigen Zeit am richtigen Ort: wir erleben ein kleines, atemberaubendes Konzert, mir kommen fast die Tränen. Am späten Abend spazieren wir noch am See, alles ist wunderschön beleuchtet, Abhay erzählt von seinem Leben, ich lausche neugierig. Als Deutsche halte ich mir die Leute ja lieber auf Armeslänge vom Laib, aber in diesem Fall klicken wir sofort miteinander. Er respektiert meine Grenzen, wir sind fast wie vertraute Freunde. Seine Aufrichtigkeit und Intelligenz macht mich sprachlos, sein Ehrgeiz stellt alles in den Schatten. Es stimmt mich nachdenklich... So ein enormes, junges Potenzial, das verkümmert, wenn es keinen Boden zum Wachsen findet.
Als er mich am Hotel absetzt, tun mir die Backen vom Lachen weh. Der Tag war so schön und unbekümmert! Tschüss und danke du gute Seele! Ich stelle mir wie so oft schon die Frage: bin ich der glücklichste Mensch auf der Welt?
🥇 Kulinarische Tour
👨 Abhay
🎵 Get lost - Jules Ahoi & the deepsea OrchestraRead more
Jaisalmer
December 21, 2023 in India ⋅ ☀️ 23 °C
Jaisalmer ist ein ehemaliges mittelalterliches Handelszentrum und ein Fürstenstaat im westindischen Bundesstaat Rajasthan, im Herzen der Thar-Wüste. Sie ist als „Goldene Stadt“ berühmt und zeichnet sich durch ihre Architektur aus gelbem Sandstein aus. Die Skyline wird von der riesigen Festung auf dem Hügel dominiert.
Ein beeindruckender Anblick, wenn man sich aus der Ferne näher und die beeindruckende Festung sieht, die wie ein Fels in der Brandung in der umliegenden, abgesetzten Wohnbebauung steht.
Um 5 Uhr morgens erreiche ich das Hotel. Die Stadt schläft noch, alles ist still und dunkel (ein extremer Kontrast zur Atmosphäre bei Tageslicht). Was tun um diese Uhrzeit in einer fremden Stadt, bei Eiseskälte? Auf leisen Sohlen schleiche ich mich ins Hotel und finde ein gemütliches Plätzchen auf einem Sofa. Was solls, wo soll ich auch sonst hin. Ich wache am Morgen erschrocken davon, dass mich ein Gast mit seiner vorgewärmten Decke zudecken.. Der Herr faltet entschuldigend die Hände, grinst breit und wackelt den Kopf. Ich flüstere "thanjavahd" (danke) und schlafe glücklich weiter.
Später spaziere ich zum Fort und erkunde die alten, engen Gassen. Ein Labyrinth aus goldenem Sandstein! Ich gehe ganz langsam, nach jeder Biegung gibt es wieder etwas neues Interessantes zu fotografiere. Es fühlt sich ungewohnt an, dass in den uralten Gemäuern noch so viel alltägliches Treiben steckt. Leute leben und arbeiten hier, obwohl es ein historisches Bauwerk ist. In Europa wäre das undenkbar.Read more
True Image
December 21, 2023 in India ⋅ ☀️ 24 °C
"Wie ist Indien wirklich?"
Schwer zu beschreiben! Wunderschön und abstoßend zugleich. Ein Auge weint, ein Auge lacht. Immer. Pure Herzlichkeit und absolute Abgebrühtheit. Chaos im Außen, Frieden im Inneren. Leben und Tod, Liebe und Hass so nahe beieinander.Read more
Gesellschaftliche Analyse
December 22, 2023 in India ⋅ ⛅ 24 °C
Ein bisschen was Tiefsinniges zwischendurch, für den, den's interessiert:
Tejas erzählt von dem sozialen Druck der auf den Heranwachsenden lastet. Die Familie ist auf den Erfolg der Kinder angewiesen, Bildung ist die einzige Möglichkeit, Armut abzuwenden. Aber da ist so viel Wettbewerb, so viele Mitstreiter, die nicht zögern deinen Platz einzunehmen wenn du stolperst. Das erzeugt ein interessantes Zusammenspiel von Ellenbogengesellschaft und der brüderlichen Gemeinschaft Gleichgesinnter. Er erzählt, wie er zwei versuchte Morde auf offener Straße beobachtet hat. Wie er als Kind von seiner Mutter geschlagen und verbrannt wurde. Alles in beiläufigen Tonfall, nach dem Motto: das ist ja ganz normal. Wie ausschlaggebend und ernst die Partnerwahl in Indien noch immer ist, war mir auch nicht klar: selbst wenn sich das Paar eigenständig zusammen findet (in Nordindien sehr selten), hat der Vater das letzte Wort wenn es zur Heirat kommt. Dabei werden besonders die finanziellen Mittel und die Kaste in Betracht gezogen.
Tejas erzählt von seiner schwierigen Zeit in Bangalore: er teilte sich ein Zimmer mit Freunden, sein Arbeitsweg durch die verstopfte Stadt dauerte mehr als eine Stunde, bis 11 Uhr abends, 14 Stunden, dauerte die Schicht. Heute hat er einen guten IT Job, der Verdienst kann sich für indische Verhältnisse sehen lassen, umgerechnet 400€ Monatsgehalt.
Aber auch er hat eigentlich andere Träume, denen er erst nachgehen kann (wenn überhaupt jemals), wenn er sich ein gutes Polster angespart hat.
Er erzählt von seiner Wohnsituation mit seinen Eltern. Der Vermieter weigert sich, seinen Pflichten nachzukommen, einer der Nachbarn hat ihm bereits bei einer der vielen Auseinandersetzung zu dem Thema ein Stück der Nase abgeschnitten. Auch Tejas plant, dem Vermieter in nächster Zeit Gewalt anzutun. "Der Zweck heilige die Mittel" sagt er. Wenn reden nicht hilft, ist Selbstjustiz gesellschaftlich respektiert.
Für seine Familie bringt er sich in Lebensgefahr, Eltern werden hier wie Götter verwehrt.
Im Gespräch mit einem jungen Geschwisterpaar in Bikaner wird auch die weibliche Perspektive beleuchtet. Das Mädchen ist 19 Jahre alt und "immer noch unverheiratet", völlig untypisch in ihrem Alter, in der Gesellschaft in der sie lebt. Eine Familie die mit vielen Töchtern gesegnet ist, hat es hierzulande schwer: schon die Mitgift einer einzigen Tochter kann die finanzielle Stabilität einer Familie ins Wanken bringen. Sie hat keine Hoffnung auf eine freie Partnerwahl, ihre Eltern werden in Kürze einen passenden Ehemann für sie arrangieren. Ganz normal. Sie fällt fast aus allen Wolken als ich ihr von meinem Leben erzähle: eigene Berufs- und Partnerwahl, Beziehungen, Gleichberechtigung, Chancengleichheit, Familienkonstellationen... Mein Leben ist unvorstellbar für sie. Ich werde mir meiner fast grenzenlosen Freiheit bewusst, mein hilfsloses Mitleid für sie schmerzt. Ich will heimlich unserer beiden Rechnungen begleichen aber die beiden wehren sich und schlussendlich werde ich von ihnen eingeladen, was mein schlechtes Gewissen noch verschlimmert. Die zwei strahlen wie Honigkuchenpferdchen, glücklich mit mir das Mittagessen geteilt zu haben.
Auch Abhay, ein 24-jähriger aus Bikaner berichtet vom sozialen Druck. Er zeigt mir seine Notizbücher.. er lernt von Sonnenauf- bis Sonnenuntergang, im verzweifelten Bestreben besser als die Konkurrenz zu sein. Er hat Glück, sein Vater ist Beamter! Jeder strebt nach einem Job im Amt. Korruption ist am Arbeitsplatz seines Vaters ganz normal. Vor wenigen Jahren hat der Vater sich geweigert Bestechungsgeld anzunehmen, drei Tage später wurde er deswegen überfallen und fast tot geschlagen. "If you can't beat the system, you join it." Sagt Abhay treffend. Anfänglich habe ich mich so sehr gegen diese verbreitete Haltung gesträubt, die Akzeptanz der Korruption... aber umso mehr Einzelschicksale mir begegnen, desto besser verstehe ich, dass unter diesen Umständen, in dieser Gesellschaft, Ethik keine Priorität mehr haben kann.
Hier herrscht das Gesetz des Stärkeren, fressen oder gefressen werden. Auch sehr wichtig: Nur wer Kontakte hat, bringt es zu etwas.Read more
Kamele
December 23, 2023 in India ⋅ ☀️ 11 °C
Unglaublich aber wahr: ich treffe Kai wieder! Seine Motorradtour in Rajasthan führt ihn durch Jaisalmer, gerade als ich auch da bin. Das ist ungeplantes Treffen Nr 4! Gemeinsam geht's zur Safari. Weit draußen in der Wüste, am Straßenrand, warten die Kamele auf uns. Wir sind skeptisch... Sollen wir auf den armen Kerlen reiten oder nicht? Sie sehen gut gepflegt, gefüttert und fit aus. Da ist sie wieder, die Frage nach dem Tierwohl. Ich streichel "Michael Jacksons" strupigen Kopf, er zwinkert träge und gleichgültig. Schlussendlich steigen wir auf. 1-2 Stunden geht's durch die Wüste, immer der Sonne entgegen. Die Kamele stapfen gemächlich, ich werde schläfrig bei dem gleichmäßigen Schwanken. Man hört nur das leise Schnaufen der Tiere und das Gluckern der Wasserflaschen. Jeder ist in seine Gedanken vertieft. Wir erreichen einen mit Plastikplane zugedeckt Haufen: unser Camp für die Nacht. Im Nu haben die beiden Guides eine Kochstelle vorbereitet, Betten aufgebaut und die Kamele sind auch versorgt und dürfen frei herum stromern.
Wir haben viele Fragen an die beiden jungen Männer, die langsam auftauen und uns von ihrem Leben erzählen. Cam träumt davon irgendwann seine eigenen Kamele zu besitzen, er ist tief verwurzelt in seine Umgebung. Fast jede Nacht verbringt er draußen in der Wüste mit dem Touristen und den Kamelen. Er bereitet koordiniert das Abendessen vor, ich bin beeindruckt davon, wie wenig es braucht für ein Festessen. Die Stille der Wüste drückt unnatürlich auf den Ohren, es fühlt sich an wie ein Vacuum. Kein Geräusch, kein Schall, nur absorbierende Ruhe. Die Sonne geht spektakulär hinter den Sanddünen unter, ich matsche glücklich schmatzend im meinem randvollen Teller. Satt und glücklich sitzen wir Vier um die kleine Feuerstelle und halten Hände und Füße an die wärmenden Flammen. Sobald Dunkelheit herrscht, erwacht die Umgebung zum Leben: ein kleiner Fuchs besucht unser Camp, wilde Hunde holen sich die Reste vom Abendessen und dicke Mistkäfer stapfen auf dem Sand und kitzeln unsere Füße mit ihren Fühlerchen. Ich bin dankbar für die besondere Erfahrung. Sie ist unaufgeregt, unspektakulär aber sehr intensiv auf ihre Art. "Wir leben alle unter dem selben Himmel" denke ich mir wieder.
Ich schlüpfe in den aufgetürmten Deckenberg, nur mein Gesicht guckt aus dem Haufen hinaus in das Sternenmeer. Der Mond strahlt so hell, dass es fast blendet. Als später in der Nacht der Mond untergegangen ist, strahlen die Sterne um die Wette, man ist fast erschlagen von dem Anblick.Read more
Versuchter Raub // Weihnachten
December 24, 2023 in India ⋅ ☀️ 22 °C
// Versuchter Raub
Das Buchen des Transportmittels gestaltet sich Mal wieder schwierig. Die Verzweiflung treibt mich in ein willkürliches Hotel am Strassenrand, ich frage nach: was ist der beste Weg, als Ausländer ein Ticket im Voraus zu buchen? Der Herr an der Rezeption ist ratlos aber macht es sich zur persönlichen Aufgabe mir aus der Patsche zu helfen: 15 Minuten später hat er für mich online ein Ticket gekauft. Einfach so, aus Nächstenliebe. Unglaublich.
Dieser Zaubertrick funktioniert jedes Mal: einen unbeteiligten Passanten um Rat oder Hilfe bitten. Das gibt mir automatisch den Status eines Gastes. Der Gast ist Gott in Indien. Die Freundlichkeit und Aufopferung die mir entgegen gebracht wird ist unvergleichlich.
Mit dem Nachtzug geht es von Jaisalmer nach Pushkar, eine Strecke von 500 km. "Is it safe?" frage ich in der Unterkunft. Die indische Antwort auf die Frage lautet (grundsätzlich immer) "no! Never go alone!", der Europäer antwortet "yeah. Why not!". Um drei Uhr nachts steige ich also in den Wagon. Die guten Plätze waren ausverkauft, ich reise Mal wieder kalte Holzklasse. Außer mir nur ein weiterer Fahrgast, der laut schnarcht. Meine innere Alarmanlage stellt sich scharf, hier muss ich vorsichtig sein. Ich mache es mir auf der harten Pritsche so bequem wie möglich und döse bei dem rhythmischen Gewackel schnell ein.
Ein leises Geräusch weckt mich. Ich blinzel durch die Bettdecke mit der ich mich Verhülle: ein Mann ist zugestiegen und nähert sich auf leisen Sohlen aber mit lautem Schnaufen meiner Position. Sucht er nach seinem Sitzplatz, frage ich mich. Naiv wie immer. Erst als er direkt neben mir steht, auf den Rucksack unter meinem Kopf fixiert, wird mir schlagartig klar, dass er mich ausrauben will. Ich schrecke hoch, er auch, und schon ist er weg. Alles passiert blitzschnell.
Hellwach. Aufgewühlt. Verunsichert. Aggressiv. Von den 10 Stunden Zugfahrt sind noch fast 9 übrig, die ich mit "Was wäre wenn..." verbringe. Wow. Mal wieder Glück im Unglück!
Ich finde am Morgen, als sich das Abteil langsam füllt, noch ein wenig Schlaf. Doch wieder ein ungewohntes Geräusch das mich weckt: die zwei kleinen Kids im Bett unter mir werden von ihrer Mutter verdroschen. Ich setze mich wütend auf, starre böse, weiß aber nichts zu sagen. Wie kritisiert man als Ausländer vorherrschende Normalität?! Ihre Bewegung friert noch in der Luft ein, keiner sagt etwas, beide Seiten warten die Reaktion des anderen ab. Sie setzt sich, hat auch ohne Erklärung verstanden. Die restliche Fahrt ist friedlich, ich habe mich auf die oberste Pritsche zurückgezogen, ein Auge behält die Zustände unten im Blick. Beim Ausstieg wird mir von ungeduldigen Fahrgästen der Weg versperrt, ich brülle und schupse in einem Ausbruch der Frustration. Völlig untypisch für mich. Meine Energie ist aufgebraucht.
// Weihnachten
Ich erreiche Pushkar, checke im Hotel ein und verbringe den Heiligabend alleine, müde und schlecht gelaunt im Zimmer. Nur die Videocalls mit Max und Papa helfen gegen die lähmende Einsamkeit. Ich ärgere mich über meine miese Planung... Wieso an Weihnachten an einen neuen Ort, ohne Kontakte? Musste das echt sein?! Schlechte Entscheidungen.
🎵 Oh No! - Josiah and the BonnevillesRead more
Holy Pushkar
December 25, 2023 in India ⋅ ☀️ 23 °C
Mein persönliches Weihnachtsgeschenk: Kai und Tejas reisen nach Pushkar. Glück und Zufall meinen es wieder gut mit mir. Es kommt nun doch noch Feiertagsstimmung auf und ich lade die beiden zum Weihnachtsessen in eine italienische Pizzeria ein. Endlich ordentliche Pizza, ich hätte am liebsten den Kellner umarmt, so glücklich war ich.
Ich treffe einen Yogi, der mich als Schüler unter seine Fittiche nimmt. Viele Stunden bringt er mir alles zum Thema Meditation, Chakren und Energiefluss bei. Er überzeugt ohne Intention zu überzeugen, einfach durch die Ausstrahlung und das tiefe Vertrauen in die Richtigkeit seines Tuns. Eine faszinierende Persönlichkeit. Ich erweise mich als eifrige, aber ungeduldige Schülerin... ich kann es nicht erwarten, dass endlich eines der "Wunder" passiert, von denen mir allseits berichtet wird. Ja wo bleibt sie denn, die Spiritualität? Ich fühle mich wie Karate Kid, gespannt wie ein Flitzebogen mich zu beweisen. Aber mein Mr Miyagi pocht auf seine theoretische Ausbildung und ich komme in der angewandten Praxis nicht vorwärts. Nach einigen Tagen verliere ich die Hoffnung auf ein spirituelles Erwachen und breche die Unterrichtsstunden ab. Das Meditieren übe ich trotzdem fleißig weiter, die tiefe Ruhe die ich damit erzeugen kann, tut mir gut.
Pushkar ist ein heiliger Ort, tausende Tempel sind um den See errichtet, Menschen pilgern zum Beten aus dem Umland herbei. Viele "Brahmin", spirituelle Leader aus der Priester Kaste, treiben am Ufer ihr Unwesen. Sie drücken unwissenden Touristen ungefragt Blumen in die Hand, die in den See geworfen werden müssen, es folgt eine Segnung und eine wohlwollende "Spende". Eine miese Abzocke. So ein scharfer Kontrast: man spürt die starke religiöse Energie im Ort, die Atmosphäre ist aufgeladen mit Hoffnung, Vorfreude und Vertrauen. Und gleichzeitig wird akzeptiert, dass diese selbsternannten Priester den Hinduismus so schamlos ausnutzen um sich zu bereichern.
Ich sitze mit Tejas an einer ruhigen Stelle am Ufer des Sees, wir meditieren wie jeden Tag für eine halbe Stunde. Perfektes Wetter, perfekter Spot, super Meditation! Aber eine Stimme reißt mich bald aus der Konzentration. Jemand spricht laut in Hindi mit Tejas, er antwortet leise, versucht abzuwimmeln um meine Meditation nicht zu stören. Aber der Störenfried will nicht aufgeben und rückt näher. Ich warte einige Minuten ab, versuche vergeblich auszublenden. Resigniert und verärgert öffne ich die Augen und checke die Situation: ein Priester hat sich auf den 50 cm zwischen uns platziert und rückt Tejas unangenehm auf die Pelle. Er soll auf der Stelle sich und seine Familie segnen. Ich weiß, dass Tejas als Hindu die Bestimmtheit und Unhöflichkeit gegenüber eines Brahmin nicht aufbringen wird, die es benötigt ihn wieder los zu werden. Es ist eine unterschriebene Regel, ganz besonders in Indien und speziell in einer heiligen Stätte: man stört niemals die Meditation einer Person. Punkt. Priester hin oder her, seine Aktion ist massiv unhöflich und übergriffig. Ok time to be rude I guess... "You are disturbing me!" Sage ich laut. Er dreht sich erschrocken um, als würde er sich darüber wundern woher ich denn so plötzlich komme. Durch die Meditation furchtlos und ruhig geworden, sage ich es noch Mal, bestimmt und streng.
Er verliert fast die Fassung, wie kann ich es wagen so respektlos mit ihm, einem heiligen Brahmin, zu sprechen? Seine Körperhaltung ist angriffslustig, ich fürchte für einen Moment er würde mich ins Wasser schubsen. Tejas Hand legt sich beruhigend und drohend aufs Knie des Mannes. Es folgt kurzes Schweigen, Starren und Abwägen... Dann zieht er schimpfend von Dannen. Das war mutig, sich mit einem Priester am heiligen See anzulegen.
🥇 Spirituelle Ausbildung
👨 Tejas, Kai
🎵 Passage - MikelRead more
Neujahr
January 1, 2024 in India ⋅ ☀️ 19 °C
Immer noch in Pushkar. Der Ort fesselt durch seine Atmosphäre. Die Zeit scheint hier anders zu funktionieren, die Tage sind langsam und unaufgeregt und fliegen gleichzeitig blitzschnell vorbei. Jeder Tag ist ein Sonntag. Ich fühle mich so wohl wie nirgendwo sonst in Rajasthan. Das liegt zum Großteil aber auch an der ausgezeichneten Gesellschaft.
Die Unterkunft hat ein Atrium in der Mitte des Gebäudes, ich sitze stundenlang auf der Schaukel im ersten Stock und höre mir den Soundtrack zum Alltag der übrigen Bewohner an. Von einen auf den anderen Tag ändert sich die Atmosphäre, es schallt ein Husten-Chor aus allen Richtungen durchs Gebäude. In der selben Nacht habe ich Fieber und Schüttelfrost. Corona hält Einzug.
Da wir alle in den Seilen hängen, wird Neujahr ruhig und im kleinen Kreis begangen.
Der Hostelbesitzer lädt uns am ersten Tag des frischen Jahres zum gemeinsamen Familienessen ein. Ich darf in der Küche helfen, schnippel Salat, forme Baati, koche Linsen. Ich lerne viel und gleichzeitig überhaupt nichts, weil alles so schnell geht und ich mit so vielen Dingen gleichzeitig beschäftigt bin. Es herrscht eine ausgelassene, dankbare Atmosphäre. Wir beten gemeinsam vor dem Essen, nie habe ich es für so angemessen empfunden mich ausgiebig für die Gesellschaft und die großartige Mahlzeit zu bedanken.
Stimmen locken mich auf die Dachterrasse. Höre ich da Deutsch? Ich begrüße die drei Reisenden freudig. Der junge Mann zur Linken grüßt mich locker mit "hi", ich zucke zusammen und komme näher. Dieser Akzent! ... Es hat nur diese eine Silbe gebraucht. "Woher kommst du?" "Frankfurt und du?" "Aus der Nähe von Stuttgart" "ah jaa cool, ich hab lange Zeit in Karlsruhe gelebt" "awa hör mir auf, ich komme auch von da" "hehe woher genau?" "Kennsch Ettlingen?" "Ajo, mein Bruder wohnt da! Aber die meiste Zeit haben wir in einem Dorf von Karlsbad gewohnt. Kennsch?" "Ey, wie witzig! Ich komm aus Langensteinbach!" "ICH KOMM AUCH AUS LANGENSTEINBACH!" "AAAAAHHH!!!" "AAAAHHH!!"
Wie klein ist die Welt. Der junge Mann, Flo, kommt einfach aus dem selben Dorf, in dem ich aufgewachsen bin. Langensteinbach hat gerade Mal 6000 Einwohner. Ich bin jeden Tag auf dem Weg zur Schule an seinem Haus vorbei gelaufen, wir sind auf die selben Partys gegangen, haben sogar einige gemeinsame Bekanntschaften. Sein Onkel war unser Tischtennistrainer.
Ich kann gar nicht glauben wie so eine Begegnung möglich ist. Wir sind beide völlig überrumpelt und ungläubig.
Der zweite Deutsche hat ebenfalls eine Überraschung für mich im petto: er finanziert sich das Reisen durchs gelegentliche Schreiben von Blogs. Als motivierte Neueinsteigerin werde ich hellhörig. Könnte ich mich auch durchs Schreiben von Reiseblogs finanzieren? Wie komme ich in das Business? Ich bin einige Tage völlig gefesselt von der Idee, es scheint die perfekte Lösung zu sein! Aber dann denke ich an mein schönes Zuhause, die Familie, Max, meine lieben Freunde und Kollegen. Und natürlich die Architektur. Könnte ich so eine Lebensumstellung wirklich durchziehen?
🥇 indisch kochen
👨 Pragyan, Vinod, Chotu, Tejas
🎵 Oh Namah Shivaya - Krishna DasRead more
Tschüss Pushkar
January 3, 2024 in India ⋅ ☀️ 17 °C
Noch einige Schnappschüsse aus Pushkar.
Blue City
January 4, 2024 in India ⋅ ☀️ 18 °C
Ab geht's nach Jodhpur! Tejas hat Zeit und Reiselaune und begleitet mich für die nächste Etappe. Die Zugfahrt ist entspannt, aber am Bahnhof wird es schlagartig chaotisch: Fahrer die uns belagern, ungeduldiges Hupen, gehetzte Menschen. Ein Tuktuk soll uns zur Unterkunft bringen, aber der Fahrer setzt uns schon nach Zweidrittel der Strecke aus. Den vollen Preis will er trotzdem kassieren. Na na na Freundchen, so nicht. Eine hitzige Diskussion beginnt zwischen uns Dreien auf Englisch, die schnell in einen ausgiebigen Streit in Hindi zwischen dem Fahrer und Tejas ausartet. Die beiden stehen sich auf der dunklen Gasse gegenüber, wildes gestikulieren, es fehlt nicht mehr viel zur Schlägerei. Der gutmütige, höfliche Tejas ist plötzlich in blinder Wut. Zum Glück verstehe ich kein Wort. Mittlerweile hat sich eine Schar Anwohner um uns geschart, die Action will keiner verpassen. Aus dem Kontext verstehe ich, dass mittlerweile Drohungen ausgetauscht werden und gehe dazwischen. Schluss jetzt. Geschützt durch meinen Status als "White foreigner girl", wagt es keiner der beiden mich zur Seite zu schieben. Ziemlich lahme Superpower, aber whatever works...
Ich kann Tejas Wut gut nachvollziehen, es geht ums Prinzip: das ständige Scammen von Touristen nervt. Ich finde wenig Schlaf in dieser Nacht... der Typ weiß in welcher Unterkunft wir sind, ich fürchte einen Überfall. Aber nichts passiert, seine Drohungen bleiben unerfüllt. "Don't stress about it, this is normal in India" sagt Tejas, der wieder die Ruhe selbst ist. Ich bin trotzdem aufgekratzt, selten gerate ich in so lautstarke und bedrohliche Auseinandersetzungen.
Am nächsten Morgen steuern wir eine gut besuchte Fressbude am Strassenrand an. Gerade tauschen wir uns darüber aus, dass die Stadt irgendwie einen unterschwelligen, ungemütlichen Vibe ausstrahlt, da wird Tejas von einem Mann um seinen Ausweis gebeten. Kurze Verwirrung darüber, was das soll.. Ist das ein Polizist? Vorsichtshalber kommt er der Bitte nach und schwupps ist der Ausweis einkassiert. Handgemenge, hitzige Diskussion, ein weiterer Polizist kommt zur Unterstützung. Ich verstehe überhaupt nicht was passiert, was wollen die beiden denn von Tejas? Ich setze wieder meine Superpower ein, stelle mich provokativ mitten ins Geschehen und fordere sofortige Erklärung. "You come to station now!", ist alles was ich erhalte. Ein Polizist platziert sich links, der andere rechts von Tejas. Kein Davonkommen für ihn. Ich wende mich hilfesuchend an die umstehenden Männer: ist das wirklich Polizei, und was wollen die? Sie sagen, es ginge um meine Sicherheit, ich soll mit auf die Wache kommen. Hä was? Wir haben keine Wahl. Ein fünfminütiger Fußmarsch und auf der Station wird Tejas ins Kreuzverhör genommen. Ich werde derweil unbeherrscht und finde endlich Beachtung vom Ober-Häuptling, der mir erklärt, dass er fürchtet, Tejas sei ein Scammer und sie sicher gehen wollen, dass ich gut aufgehoben bin. Ich flippe fast aus! Wieso fragt man mich nicht direkt?! was soll diese respektlose Umgang!? Nun muss/ darf auch ich Rede und Antwort stehen. Schlussendlich zwingen sie uns beide zu einer schriftlichen Aussage: "Tejas is my friend" schreibe ich, "Julia is my friend" schreibt Tejas in das scheiß Polizistenbuch. Damit ist die Sache erledigt. "Satisfied?" fragt mich der Polizist zum Schluss. Als hätte er mir irgendeinen Gefallen getan. Ich starre bitterböse, der Stinkefinger zuckt schon ungeduldig, und gehe ohne Antwort davon. Was für Arschlöcher. Bestimmt hat die Maßnahme einen Hintergrund und Berechtigung und grundsätzlich bin ich froh, dass auf mich, als Tourist, aufgepasst wird, aber heeeey... Jemanden auf blinden Verdacht abzuführen, ohne das vermeintliche Opfer zu befragen?
Nordindien ist ein hartes Pflaster!
Auf dem Rückweg klärt mich Tejas über den Teil des Gesprächs auf, der auf Hindi geführt wurde: Für die Zeit die ich in Indien bin, ist er von nun an offiziell für meine Sicherheit verantwortlich. Mein persönlicher Schutzbefohlener. Seine Daten sind erfasst, sollte mein Name, aus welchem Grund auch immer im System auftauchen, wird er zur Rechenschaft gezogen.
What. the. fuck.
Beide Konflikte sind auf die Tatsache zurückzuführen, dass ich als Whitey mit einem Inder reise. Wir bringen uns gegenseitig in Schwierigkeiten. Im Süden Indiens war die Synthese vorteilhaft für beide Seiten: Er wurde dafür bewundert mit einer Ausländerin unterwegs zu sein, und ich war sicher vor Scams. Im Norden werden ihm hingegen prompt böse Absichten unterstellt und seine Begleitung hat für mich den Nachteil, dass sie Neugierigen Tür und Tor öffnet: meine Haut- und Haarfarbe erweckt Aufmerksamkeit, Menschen (besonders halbstarke Männer) die es sonst nicht wagen würden mich anzusprechen, finden den Zugang zu mir über Tejas. Ständig wird er angehalten.. und sobald einer sich vor traut, kommen gleich 5 weitere Neugierige angelaufen die nichts verpassen wollen. Das artet oft in unangenehme und sogar beängstigende Situationen aus, manchmal gehe ich einfach schnell weg und lasse Tejas mit den Leuten stehen. Als wir uns am Tag danach in Jodhpur am step well unterhalten, platziert sich ein Paar vor uns auf den Stufen und ich bemerke, dass sie versuchen mich heimlich auf ihr Selfie zu bekommen. Ich stehe prompt auf und setze mich woanders hin. Kein Grund für große Diskussionen, aber genervt bin ich trotzdem. Wir werden von den restlichen Besuchern die sich am Well aufhalten beobachtet. Eine Gruppe junger Inder nähert sich zögerlich und setzt sich einige Meter neben uns. Die Augen sind minutenlang auf mich fixiert. Ich kann mich nicht mehr aufs Gespräch konzentrieren und schnappe genervt: "what are you staring at?" Der adressierte Junge, überhaupt nicht verunsichern von meiner Unhöflichkeit, steht flink auf, setzt sich nah an Tejas und bombardiert ihn mit Fragen. Die übrigen Jungen kommen wie Flummis angehüpft und hängen gebannt an Tejas Lippen. Auch das blöde Selfie-Paar horcht interessiert. Ich distanziere mich, das ist zu viel für mich. Nach einigen Minuten kommt Tejas zu mir rüber "they want to say hi to you. Are you okay with that?" ... Nee!?.. Hm. Nagut. Die Traube wandert zu mir rüber, die Kerlchen sitzen sich beinahe gegenseitig auf dem Schoß um näher am Geschehen zu sein. Nach einigen persönlichen Fragen verabschieden wir uns. Ich lasse Tejas wissen, wie unwohl ich mich mit solchen Situationen fühle. Er hat viel Mitgefühl für die Wissbegierigen, die so wenige Chancen im Leben haben. Ich weiche ein bisschen auf, Recht hat er ja... Sie sind nur neugierig und es ist eine große Chance für sie etwas neues, andersartiges zu lernen.
Wir sind uns beide einig, die Stadt schnellstmöglich wieder zu verlassen, hier herrscht eine miese Briese für uns.
🥇 Ärger mit der Polizei
🎵 Tattad Tattad - Aditya NarayanRead more
Stadt der Seen
January 6, 2024 in India ⋅ ☀️ 18 °C
Udaipur begrüßt uns mit einer bösen Überraschung: gerade aus dem Bus ausgestiegen, wir sind auf der Suche nach einem Cafe, bleibt Tejas unvermittelt vor mir stehen. "ah shit" sagt er leise. Ich folge seinem Blick. Auf der breiten, viel befahrenen Straße huscht ein abgefetzter Hund zu uns herüber. Das Maul ist fest um die Hüfte des Welpen geschlossen der leblos herunterhängt. Das Schnäuzchen schleift über den Asphalt. Sie versucht ihr Baby vor dem erbarmungslosen Verkehr zu retten. Wir stehen wie angewurzelt da. Gar nichts können wir tun. Das Bild brennt sich in die Netzhaut, tief ins Gehirn. Noch stundenlang verfolgt es mich. Wieder ein Souvenir aus Indien das ich nicht haben will.
Die Stadt hat Charm und es ist mal wieder ganz einfach seine Zeit sinnlos zu vertrödeln. Wir meditieren fast jeden Tag am See, futtern uns ein Speckpolster an und spazieren durch die engen Gassen. Besonders der sportliche Aufstieg zum Gipfel und der Sonnenuntergang den wir dort erleben, beeindruckt mich. Die steilen Gipfel und die tiefen Seen dazwischen, erzeugen eine harmonische Stimmung. Ich schmiede Pläne für die Weiterreise: Rajasthan ist anstrengend und ich bin erschöpft. Fünf Stationen noch, dann ist das Kapitel Indien abgeschlossen, nehme ich mir vor.
🎵 Get Lost - Jules AhoiRead more
Nighttime in Udaipur
January 7, 2024 in India ⋅ 🌙 17 °C
Survivor
January 9, 2024 in India ⋅ ☀️ 18 °C
Triggerwarnung: Es wird dramatisch.
Wie beschreibt man das Schlimmste, das man bisher erlebt hat? Spricht man überhaupt darüber? Veröffentlicht man es im Blog? Ich teile es mit euch, in der Hoffnung, dass es eure Dankbarkeit und Wertschätzung für das Leben genauso bestärkt wie meine.
Ich tue mir schwer mit diesem Blogeintrag.
Die Sätze sprudeln von selbst, wollen unbedingt vom Kopf aufs Papier, aber die Worte selbst stolpern zäh. Keine Beschreibung will so richtig passen, das Ausmaß erfassen, dem Ereignis gerecht werden. Es gibt Schrecken, den Worte nicht erreichen können.
Kurz vor 10 Uhr am Morgen und wir sind mal wieder spät dran für den Check-out. Immer dieses Rumgeeier am Morgen, ich bin genervt. Tejas, die alte Trödeltante! Auf auf auf! Er flitzt schuldbewusst zur Tür raus, um unsere Wäsche aus dem Atrium abzuhängen, ich wusel derweil durch den Raum und sammel den Krimskrams zusammen.
Ein lautes Krachen.
Ein Mädchen schreit.
Stille.
Ich stehe für drei Sekunde bewegungslos, horche, verstehe. Das Adrenalin kickt, ich sprinte instinktiv los. Der Moment, in dem ich um die Ecke biege, erscheint rückblickend wie eine Ewigkeit: ein Fuß zerrt vorwärts: schnell helfen! Der andere Fuß drängt rückwärts: verstecken! Die Entscheidung wird mir vom Schwung der Bewegung abgenommen und ich schieße um die Biegung.
Der schmale Durchgang zum Atrium liegt vor mir. Ein Bild, das sich für immer ins Gehirn eingebrannt hat. Ich sehe braune Beine auf dem Boden unkontrolliert zucken. Vicky, der Hotelbesitzer, mit weit aufgerissenen Augen auf dem Boden kniend, zwei Hotelgäste umschlingen sich verängstigt zur Linken.
Ich höre mich selbst in Endlosschleife: "No. No. No. No..." sagen, als ich näher komme. Tejas liegt inmitten von Schutt, auf der Seite, das Gesicht ausdruckslos, eine rote Pfütze breitet sich rasend schnell unter seinem Kopf aus. Ich knie nieder, meine Hände wandern über seinen Körper, wissen nicht wohin. Ich halte den Kopf, seine Augen sind geöffnet, streifen mich unfokussiert. Er ist vom Dach gefallen, begreife ich. Plötzlich ein Aufbäumen, er schlägt um sich, windet sich in Schmerzen. Die Hände krallen sich fest in meine Arme. "I can't take it" presst er leise heraus. Seine weißen Zähne sind blutverschmiert, die Pfütze hat schon meine Knie erreicht. Es fühlt sich an als würde meine Seele zerbrechen, die innere Qual ist unermesslich. Meine Hände wandern minutenlang suchend durch sein dichtes Haar, aber ich kann die Wunde nicht finden. Das Blut scheint von überall gleichzeitig aus ihm zu sickern. Ich weiß nicht wo ich drücken soll. Ich rufe dem Paar, das noch immer festgewachsen am Flur steht zu, sie sollen einen Krankenwagen rufen.
Wir sind alleine im Atrium. Bodenlose Verzweiflung verschluckt mich. Tejas beruhigt sich schlagartig. Ich mich auch. Wir haben aufgegeben. Ich halte sein Gesicht fest, sein Name ist mein unendliches Mantra. Endlich hält er Blickkontakt.
Er stirbt, er stirbt hier und jetzt, denke ich mit einer ruhigen Gewissheit.
Ich bin taub für die Umgebung, der Geruch von Gips und Blut liegt schwer in der Luft. Völlige Gedankenfreiheit in meinem Kopf.
Die Zeit bleibt stehen. Ein grauenvolles Stillleben.
Die Seifenblasen in der Tejas und ich gefangen sind platzt, als Vicky und sein Cousin heranstürmen. Die zwei dürren Männer wuchten Tejas zwischen sich hoch "Ambulance!" rufe ich, "Tuktuk!" erwidert Vicky, schon auf halbem Weg die schmale Treppe runter. "Hospital! Challo!", die Anweisung an den Fahrer. Wir brausen in den dichten Verkehr. Ich halte Tejas in aufrechter Position, er hängt schwer in meinen Armen. Sein Kopf baumelt schlapp, Blut tropft von seinen Haarspitzen. Meine Armbeuge wird warm und nass, er blutet immer noch. Ich erschrecke als er unerwartet den Kopf hebt "Julia. What happened actually?"... "you fell off the roof and got injured, I'm taking you to a doctor", "...ooooh. shit! ... Do you have my cellphone?", "yeah I have all your things, don't worry." Tejas Kurzzeitgedächtnis beschränkt sich auf 10 Sekunden, dieses Gespräch führen wir unverändert wieder und wieder bis wir nach 20 Minuten endlich das Krankenhaus erreichen.
Der Tuktukfahrer und ich wuchten Tejas in die Notaufnahme. Im düsteren Eingangsbereich stehen und liegen arme Menschen im Dreck, es riecht sauer nach Körpern. Alle Köpfe, die noch dazu fähig sind, drehen sich zu uns um. Im Behandlungszimmer angekommen schiebt mich eine Krankenschwester zum Waschbecken, ich soll mich erst mal waschen. Ich schaue verdattert auf meine verschmierten Hände. Ein Moment des Begreifens: Tejas Überleben hängt nicht mehr von mir ab, die Profis übernehmen jetzt. Ein Zittern fährt mir durch den Körper und ich fange nun doch noch zu Weinen an. So jemand kann man hier nicht gebrauchen, ich werde unter Protest aus dem Zimmer geworfen. Hinsetzen und Klappe halten lautet die Anweisung. Ich platziere mich vor der offenen Tür, 6 Ärzte plus Tuktukfahrer stehen um Tejas Kopf. Mit einer Trägheit die mich zur Weißglut treibt, behandeln sie seine Verletzungen. Ab und an kommen schaulustige Patienten hinzu und erkundigen sich nach der Ursache für die flennende Ausländerin auf dem Flur. Tejas Hand baumelt bewegungslos über die Pritsche, ich bin völlig darauf fokussiert und leide fürchterlich. Mehrfach werde ich zurechtgewiesen, ich soll das Heulen endlich sein lassen. Sobald ich aufstehe, werde ich zurück auf den Hocker befohlen. So viele Ärzte und keiner spricht mehr als 2 Sätze Englisch, keine Möglichkeit mich zu erkundigen. Tejas wird aufgesetzt, er ist bei Bewusstsein. Die linke Seite seines Kopfes ist kahl geschoren, zwei fingerlange Platzwunden wurden mit dicken Fäden zusammengenäht. Drei Doktorinos versuchen ihm gemeinsam einen Verband anzulegen und scheitern. Ich rase innerlich... Ihr Vollpfosten habt das doch studiert, das ist doch nun wirklich nicht schwierig... wo sind wir hier gelandet?!
Der engagierte Tuktukfahrer hilft den überforderten Ärzten mit dem Verband. Was zum Geier.
Vicky taucht auf, endlich jemand der versteht und sich kümmert. Wie hätte ich das alles nur ohne ihn geschafft? Wir stützen Tejas zwischen uns und befördern ihn zum Röntgen. Weder Rollstuhl noch Liege wird bereitgestellt, es wurden nicht mal die Vitalwerte überprüft. Das Röntgengerät wird von drei Halbstarken bedient, die nicht älter als 20 sein können und so gelangweilt und desinteressiert drein schauen, wie es nur Teenager können. No-one gives a shit.
Tejas muss frei stehen für die Aufnahmen. Vicky und ich positionieren uns viel zu nah am Röntgengerät als dass es harmlos für uns wäre... angespannt, bereit ihn aufzufangen, falls er kollabiert. Tejas Blick ist trübe, aber konzentriert. Keinen Schmerzenslaut hat er in der gesamten Zeit im Krankenhaus von sich gegeben.
In meinem Bauch tobt Wut und Verzweiflung, ich möchte am liebsten einen Arzt am Schlawittchen packen, schütteln, zwingen die Behandlung ordentlich und ernsthaft durchzuführen.
Später sitzen Tejas und ich im Flur, Vicky läuft den Röntgenaufnahmen hinterher, die versehentlich einem anderen Patienten mitgegeben wurden. Endlich scheint er wieder klar bei Sinnen zu sein, er trägt sein typisches, unzerstörbares Lächeln. Ein Stein fällt mir vom Herzen.
Im nächsten winzigen Behandlungszimmer liegen 4 Patienten kreuz und quer auf Pritschen, der Boden ist verdreckt, überall Blutkleckse und andere eklige Anblicke. die Ärzte, die kaum von Patienten zu unterscheiden sind, wirken übernächtigt und genervt. Der Po einer ausgehungerten Dame liegt entblößt, einem jungen Mann werden die Schrauben aus dem Schienbein gedreht, mittendrin ich, die hier überhaupt nichts zu suchen hat, aber nicht von Tejas Seite weichen will. Ein Doktor unterbricht seine blutige Behandlung, klebt mit ungewaschenen Händen unsanft große fixierende Pflaster auf den Zacken (verborgenes Schlüsselbein), der aus Tejas Schulter steht. Eine Unterschrift auf den Schmierzettel und damit ist er offiziell entlassen, die Behandlung beendet. Ich hake nach: muss er nicht überwacht werden? Was ist mit MRT und CT scan? Infusionen? Nicht in India.
Zurück im Hotel wage ich es nicht aus dem Zimmer zu gehen, als mein Patient (der sich nun wieder in meiner alleinigen Obhut befindet), eingeschlafen ist. Ich horche aufmerksam auf seine Atmung und komme selbst überhaupt nicht zur Ruhe. Ist die Gefahr nun wirklich gebannt? Was, wenn er innere Blutungen hat? Ich beratschlage mit Vicky, Max und Nora...
Am selben Abend geht's zum CT Scan, Tejas wird nicht nach seiner Zustimmung gefragt. Ich zahle die Untersuchung bereitwillig, es ist eine Investition in mein eigenes Seelenwohl. Beinahe fange ich wieder zu weinen an, als der Arzt Entwarnung gibt.
Ich kann es noch immer nicht fassen... Er ist aus unerfindlichen Gründen durch die Brüstung, drei Metern auf den harten Steinboden im Atrium gestürzt. Keiner seiner Knochen ist gebrochen, nur der ein oder andere angeknackst, das Schlüsselbein verrutscht und ein paar Muskeln gerissen. Die Platzwunden sind tief, aber der Schädel intakt. Ich kenne Leute, die sich beim Treppelaufen den Fuß verdreht und drei Knochen gebrochen haben. Wie kann er so einen Sturz leicht verletzt überstehen?
Schon zwei Tage später ist er wieder munter, seine größte Sorge ist der wilde Haarschnitt der ihm in der Notaufnahme verpasst wurde. Eitel und albern wie eh und je. Er hat eine Gedächtnislücke und ist sich nicht bewusst, wie knapp er dem Tod von der Schippe gesprungen ist. Ich hingegen bin traumatisiert, immer wieder fange ich davon an: "I'm so glad, you survived"Read more
Regeneration
January 13, 2024 in India ⋅ ☀️ 25 °C
Noch einige, lange Tage verbringen wir "am Ort des Geschehens", der billigen Absteige, die eigentlich nur für eine Nacht herhalten sollte. Obwohl es etwas schäbig ist, fühlt es sich nun überraschenderweise heimelig an. Die Eigentümer-Familie betüdelt uns tagein, tagaus. Alle Stunde klopft es an der Tür und Vicky bringt Mahlzeiten, Kokosnüsse, Säfte und Früchte. Ich koordiniere Medikation, Besorgungen und Mittagsschläfchen... Tejas ist ein braver Patient: kein Klagen, kein Widerspruch.
Schon nach wenigen Tagen geht es ihm gut genug für kleine Spaziergänge und seine Wunden heilen wunderbar. Ich bin Mal wieder überrascht, zu welchen Wundern der menschliche Körper fähig ist. Auch psychisch hält er sich erstaunlich tapfer. Ich bewundere insgeheim sein Krisenmanagement: der Blick ist immer nach vorne gerichtet, in völliger Akzeptanz für die Umstände. Da kann ich mir was von abschauen.
Gewissensbisse plagen die Gastgeber und mich. Jeder von uns gibt sich selbst die Schuld am Unfall. Ich ertappe mich dabei, immer wieder am Flur zum Atrium stehen zu bleiben, die Augen starren minutenlang ins Leere, das Gehirn verarbeitet.
Ungläubigkeit. Verstörung. Dankbarkeit.
Tejas hat nur einen Wunsch: er will zurück in die Heimat. Er hält den Unfall vor seiner Familie geheim, will sich von nun an wochenlang vor ihnen verstecken. Trotzdem braucht er zumindest ein bisschen räumliche Nähe. Ich kann seine Einstellung nicht nachvollziehen, wir diskutieren stundenlang darüber, aber letztendlich einigen wir uns darauf, uns in der Hinsicht uneinig zu sein.
Ich ringe mit einer Entscheidung:
Selbstlos widme und verpflichte ich mich voll und ganz seinem Wohlergehen. Kein Zweifel und kein Zögern. Er ist auf meine Unterstützung angewiesen. Ich bin seine große Schwester.
Aber da ist Widerstand in mir. Insgeheim will ich mich befreien, nur im Alleinsein kann ich verdauen was passiert ist. Ich will die Verantwortung für ihn nicht mehr tragen.
Egal wie ich mich entscheide, ich mache mich unglücklich. Entweder opfere ich meinen Seelenfrieden, indem ich ihn im Stich lasse, oder gebe meine Reisepläne auf.
Schlagartige Resignation und Akzeptanz:
Ich buche zwei Tickets nach Goa und packe die Koffer. Volle Kraft voraus für den schweren Weg.
🥇 Krankenpflege
👨 Vicky und Tejas
🎵 The other side - MikelRead more
Comfort zone
January 20, 2024 in India ⋅ ☀️ 30 °C
Ich bin angespannt als wir den ersten Flug von Udaipur nach Mumbai antreten. Tejas hingegen ist unbekümmert: "was soll schon passieren?!". Mir fallen tausend Szenarien ein! Was, wenn er nicht durchhält? Wenn er ohnmächtig wird? Er Schmerzen hat?...
Ich lade mir so viele Gepäckstücke auf wie möglich, um ihn zu entlasten: mein 40l Rucksack auf dem Rücken, vorne Tejas Backpack, mein kleinr Rucksack baumelt in der Armbeuge und hinter mir ziehe ich den Rollkoffer. Absurder, kleiner Packesel. Zudem benehme ich mich wie eine Glucke und mache doppelt und dreifach sicher, dass es ihm gut geht. Er lässt es über sich ergehen, ist aber sichtlich genervt. Zu Recht, ich nerve mich selbst auch... Aber kann halt auch nicht anders.
Der Anschlussflug in Mumbai verspätet sich um 3 Stunden, am Flughafen rasten Mitreisende in blinder Wut aus und gehen auf die Airline Crew los. Eine wütende, brüllende Menschentraube belagert die armen Kerlchen, die überhaupt nichts für die Verspätung können, aber blöderweise die Info kundtun müssen. Beinahe wird es handgreiflich. Als im Flieger endlich alle Passagiere Platz genommen haben, wieder ein Aufruhr. Security knöpft sich den Typen auf dem Sitzplatz vor mir vor, auch mein linker Nachbar brüllt ungehalten. Vor ein paar Wochen noch, hätte mir die Situation Angst eingejagt. Mittlerweile bin ich abgestumpft.
Inder lieben ihre Auseinandersetzungen...
Es ist nach Mitternacht als wir Goa erreichen. In der Not "übernachten" wir unbequem im Sitzen am Flughafen. Kopfweh, Hunger und Müdigkeit. Der erste Bus um halb 7 in der Früh ist rappelvoll und wir quetschen uns in die offene Tür. Mein umgeschnallter backpack hängt als Ganzes zur Tür raus. Ich kann den wunderschönen Sonnenaufgang über den Palmen überhaupt nicht genießen, weil ich zu sehr damit beschäftigt bin, Tejas an den Haltestangen festzuklemmen. Er ist erschöpft und ich habe schreckliche Angst, dass er einfach zur offenen Tür hinaus kippt.
Zwei Mal Umsteigen in krachend volle Busse und ein langer Fußmarsch bei sengender Hitze, dann sind wir endlich da. Tejas gibt keinen Mucks mehr von sich, er ist völlig fertig. Mir ist nach Weinen zumute, denn ich mache mir Selbstvorwürfe: wie konnte ich ihm so eine harte Reise zumuten?
Und die Quittung kommt prompt, sein Zustand wird wieder etwas schlechter in den nächsten Tagen. Ich ziehe Konsequenzen und buche uns in ein anständiges Hotel ein, in der Hoffnung, dass er sich dort besser erholen kann. Nachts bekomme dann ich unerwartet Fieber und werde krank. Toll, zwei Kranke die sich umeinander kümmern müssen, das kann ja was werden.
Wir gehen uns mit der Zeit wahnsinnig auf den Keks. Vermutlich sind wir beide nur von der Situation genervt, wissen nicht wohin mit dem Frust und lassen es aneinander aus.
Seine Unentschlossenheit und gleichzeitige Uneinsichtigkeit bringen mich auf die Palme. Watschen möchte ich ihn manchmal.
Die nächsten Tage gehen fast ineinander über, so ähnlich sind sie sich: Ausschlafen, Joggen am Strand, Müsli im Hotel, Zeug erledigen, Mittagessen, Meditation und Sonnenuntergang am Meer, Snack, Party oder Chillen im Restaurant.
Goa hat einen einzigartigen Charm. Ich verstehe, wieso viele Leute nichts daran finden, denn tatsächlich sind Drogenkonsum und Tourismus auch eine der negativen Seiten. Prima Wetter, Palmen, entspannte und interessante Persönlichkeiten, ungewöhnliche Partys, Strandkultur, tolles Essen... Das ist es für mich. Vor allem nach dem kalten und stressigen Norden, entfaltet Goa seinen einzigartigen Charm: Entschleunigung.
Goa ist nicht Indien, Goa ist Goa.
Eines Abends werden wir von Technomusik und Scheinwerfern wie die Motten ins Licht, zu einer Party gelockt. Nach dem Eintritt hechtet Tejas wie von der Tarantel gestochen los und springt einem jungen Lockenkopf in die Arme. Sein bester Goa -Buddy, ein Engländer der mit dem Fahrrad von Großbritannien bis Indien geradelt ist. Die beiden wussten nichts über den Verbleib des anderen und die Freude der beiden über das unverhoffte Wiedersehen ist so ansteckend, dass ich Robert auch überschwänglich umarme. Seine Erlebnisse fesseln mich, ich habe tausend Fragen an ihn. Wir tanzen gemeinsam im Sand und ich bin zum ersten Mal seit einiger Zeit wieder richtig entspannt und glücklich.
Der nächtliche, lange Heimweg führt uns am menschenleeren Strand entlang. Der liegende Halbmond strahlt uns an und die lauwarmen Wellen, die um die Füße sprudeln, glitzern. Sie übertönen mit jedem weiteren Schritt stärker die Musik aus der Ferne. Die Szene ist so schön, dass man sie am liebsten in einer Glaskugel einfangen möchte um sie später wieder zu erleben. Plötzlich eine Sackgasse: ein Kanal aus dem Inland ist durch die Flut so angeschwollen, dass er uns vom Land abschneidet. Gehen wir nun den ganzen Weg zurück und nehmen ein Taxi? Zwei Einheimische auf der anderen Seite machen uns Mut: noch können wir hindurchwaten. Unser gesamtes elektronisches Equipment haben wir im Rucksack, ich will kein Risiko eingehen, aber Tejas setzt sich durch und wir tasten uns vorsichtig in den Strom. No risk, no fun. In der Mitte des Kanals ist der sandige Boden ausgewaschen, meine Füße treten plötzlich ins Leere und ich schwimme hektisch gegen die Strömung an. Die zwei Einheimischen ziehen uns aus dem Wasser. Wow, das war gefährlicher und nasser als gedacht. Das Lachen über das Abenteuer vergeht uns schnell als wir Tejas nasses Handy aus der ungeschützten Seitentasche holen. Pfutsch.
Ich überrede Tejas noch Mal zum Arzt zu gehen, der grünes Licht für seinen Zustand gibt. Alles heilt wunderbar, es werden sogar schon die Fäden gezogen. Wir feiern mit Kuchen und Kerzen seine "First week of survival". Ich könnte Tejas nun reinen Gewissens alleine lassen und meine Reise fortsetzen. Theoretisch. Aber:
Meine Abenteuerlust ist tot, mir wird ganz anders wenn ich daran denke, alleine weiter zu reisen.
Ich kann tagelang keine Kraft für die Planung aufbringen, alles sträubt sich dagegen. Es scheint undenkbar die Goa-comfort-zone zu verlassen.
So kenne ich mich ja gar nicht.
Vermutlich ein Überbleibsel vom Unfalltrauma. Ich beschließe radikal gegen zu halten. Jetzt erst Recht und volle Pulle.
Ich fühle mich überhaupt nicht danach aber glaube fest daran, dass es der einzige Ausweg aus der Schockstarre ist.
In einem Schwung Energie recherchiere ich die Ausreise, fast egal wohin, Hauptsache ostwärts. Eine schwer erkämpfte Entscheidung fällt, ich buche die Flüge. "Treffe ich die richtige Entscheidung?" frage ich Max am Telefon. "Ja. Kontrolliere die Daten bevor du buchst, ok?" ...und ja, was soll ich sagen, ich hatte einen Denkfehler und hab den falschen Flug gebucht.
Shit happens. Wer's nicht im Kopf hat, hat's im Geldbeutel, gell? Egal. Teuer umbuchen und akzeptieren.
Der Abschied von Tejas ist still und schmerzhaft.
Aus wenigen Tagen gemeinsamer Reise, sind unverhofft 4 Wochen geworden. Es ist viel passiert und ich bin hin und hergerissen zwischen der Freude wieder alleine zu sein, und dem Kummer, ihn nicht mehr bei mir zu haben.
Wir versprechen uns ein Wiedersehen, mehr sagen wir nicht. Der Anblick seine kleiner werdende Gestalt auf der Strasse, als ich mit dem Taxi davon fahre ist kaum zu ertragen.
Auch am Flughafen quält mich die Frage wieso ich unbedingt weiter muss. Wieso nicht hier bequem 2 Wochen eine ruhige Kugel schieben?
Treffe ich wirklich die richtige Entscheidung?
🥇 bester Käsekuchen der Welt
👨 Tejas, Robert
🎵 Goodnight Moon - Boogie BelgiqueRead more
Jetzt erst recht und volle Pulle
January 27, 2024 in India ⋅ ☀️ 29 °C
Ich sitze am Flughafen in Goa und mein Gehirn hyperventiliert. "Umdrehen. Verstecken." fordert es. Ich hatte erst ein Mal im Leben eine Panikattacke, in diesem Moment bin ich ganz nah dran an der zweiten. Ein Tornado aus Angst, Panik und Trauer zerreißt jeden klaren Gedanken. Scheiß Unfalltrauma!
Ein gedanklicher Rettungsring erreicht mich in Form eines Sprichworts: "Don't try to calm the storm. Calm yourself. The storm will pass"
...Ach stimmt, ich bin ja für diese Situation vorbereitet. Also Augen und Ohren zu und ab in die Meditation. Als ich kurz darauf ins Flugzeug steige, bin ich ruhig wie ein Bergsee. Radikale Akzeptanz hat sich breit gemacht. Jetzt bin ich bereit.
Der Flug nach Mumbai verläuft reibungslos.
Ab geht's in die Metropole! Gleich der erste Tuktukfahrer scammed mich, aber ich lasse ihn nach kurzer Diskussion damit durchkommen. Meinen Frieden für 20 Cent aufs Spiel setzen, ist es mir nicht wert. Ich muss mit meiner Energie haushalten, nicht jeder Kampf ist es wert ausgefochten zu werden. Gute Lektion. Am Bahnhof fährt der Zug ein und die Szene ist wie im Film: Menschen hängen aus der offenen Tür und springen noch während der Fahrt auf und ab. Mittendrin in Slumdog Millionär! Ich quetsche mich ins Abteil und stehe die nächste halbe Stunde als eine von hunderten Sardinen im ruckeligen Zug. Aufregend irgendwie. Ich steuere ein Hostel an. Das Viertel wirkt bedrohlich, das Gebäude steht fast komplett leer und macht einen zwielichtigen Eindruck. Ich werde abgewiesen und bin froh drüber. Auch das nächste Hostel, in einem besseren Viertel, hat keinen Platz für mich. Der Host ist ein guter Kerl und organisiert mir ein Plätzchen in einer anderen Unterkunft, die sich allerdings als billige, unattraktive Absteige entpuppt. Durchatmen, Meditieren. "Was soll's, ist nur eine Nacht" sag ich mir. Am Abend bahne ich mir einen Weg zum Restaurant um die Ecke. Der Fußmarsch fordert mich heraus: Scheinwerfer blenden, lautes Hupen und Rufen von allen Seiten, Menschen drängeln und rempeln gehetzt, Verkäufer und Tuktukfahrer belästigen mich, ich weiche Müllbergen, Straßenhunden und Fäkalien auf der Straße aus. Alle Sinne werden gleichzeitig überfordert, Chaos pur!
Aber ich bin ganz ruhig, sauge das alles noch Mal in mich auf und lasse mich darin treiben. Ich wunder mich über meine Abgebrühtheit... Wer hätte es gedacht!
Ich gönne mir eine letzte Dosa Masala. Das werde ich vermissen. Mein liebstes, indisches Gericht.
Am nächsten Tag erkunde ich die Stadt zu Fuß. Beeindruckende gothische Bauwerke, eine Hinterlassenschaft der Engländer, erwarten mich. Ich besuche das Café "Leopold" das im Buch Shantaram eine Rolle spielt. Wie cool, die Schauplätze der Fantasie zu besuchen. Bis hier hin, alles wunderbar! Doch meine SIM-Karte verweigert unerwartet den Dienst und ich bin aufgeschmissen. Wie navigieren ich mich eigenständig durch Mumbai, die Stadt mit der höchsten Einwohnerzahl und Dichte in Indien!? Kein WLAN weit und breit, nur die offline-Karte steht mir zur Verfügung.
Challenge excepted!
Es ist Nationalfeiertag und Männergruppen ziehen grölend durch die Straßen. Ständig will man mich Scammen, es wird wieder viel Gestarrt. Der Süden Mumbai's ist unerwartet grün und hat viel interessante Architektur zu bieten. Aber der Kontrast zwischen Arm und Reich ist scharf. Unglaublich, dass diese Welten so dicht beieinander existieren!!
20 km lege ich quer durch die Stadt fußläufig zurück und finde meinen Weg sogar mit dem Zug zurück zum Hostel.
Mein letzter Tag in Indien war wirklich noch Mal "volle Pulle"!
🥇 Stadttour ohne Internet
🎵 Naacho Naacho (From "Rrr") - Mishra, Rahul Sipligunj, ...Read more
Abschied Indien
January 28, 2024 in India ⋅ 🌙 23 °C
Das Land der Neugier und der Kontraste
🎵 Into The Unknown - Mikel
Tapetenwechsel
January 29, 2024 in Vietnam ⋅ ⛅ 33 °C
Ich erreiche Ho Chi Minh City am frühen Morgen.
Und was soll ich sagen... Endlich läuft alles mal wie am Schnürchen! Keine endlose Suche nach dem Bus oder ATM, keine Scams, keine aufdringlichen Leute, kein Starren. Die Straßen sind sauber, der Verkehr geordnet, jeder Mensch, dem ich begegne ist freundlich und zuvorkommend. Wow.
Die Anspannung fällt von mir ab und ich fühle mich ungewohnt sicher. Stundenlang sitze ich im Cafe und schlürfe "Eier-Kaffee", schlendere gutgelaunt und völlig orientierungslos durch die Stadt und freunde mich mit anderen Backpackern an. Die City selbst haut mich nicht vom Hocker, aber ich bin trotzdem begeistert von der neuen und ungewohnten Umgebung.
Auf dem Rückweg zum Hostel am Abend erwartet mich eine Überraschung: die Straße, die am Morgen noch wie ausgestorben wirkte, ist zur Partymeile mutiert. Von beiden Seiten wummert der Bass in ohrenbetäubender Lautstärke, leichtbekleidete Ladys tanzen auf Podesten, Männergruppen grölen besoffen. Überhaupt nicht meine Szene, aber ich staune und lache trotzdem. Wann bin ich zuletzt so vielen Touristen begegnet? Wann war die Stimmung das letzte Mal so ausgelassen?Read more





























































































































































































































































TravelerBei einem Ohrenputzer war ich auch einmal in Chengdu. He he, eine spannende Erfahrung ... ob das wirklich gesund ist, wage ich zu bezweifeln ... so wie er bei mir mit seinen Geräten rumgewerkelt hat.
TravelerIch war sehr erschrocken was er da aus dem Ohr gepopelt hat 😅
TravelerJa. In der Tat ...