• WildeHilde
Jul – Aug 2025

Kurs auf Nord

A 44-day adventure by WildeHilde Read more
  • 1. August

    August 1 in Norway ⋅ 🌙 19 °C

    Freitag, der 1. August. Den Weckdienst übernimmt gegen halb acht die Sonne und da mir heute Morgen irgendwie nicht nach Frühstück ist, packe ich einfach zusammen, während ein neugieriges Rentier aus gut 150 m Entfernung extra durch den Fluss rüber zu mir geschwommen kommt, um dann doch in gebührendem Abstand weiterzuziehen. Ich wasche an dem Fluss, der hier in den Langfjord fließt, noch mein Handtuch aus und sehe dabei wie schon etliche Male eine dieser Fischschleusen. Thomas hatte mir schon erzählt, dass sie teils mit Hightech ausgerüstet die Fische vollautomatisch selektieren und passieren lassen, diese hier sieht mir noch recht einfach aus und wird wahrscheinlich eher manuell bedient. Alle zwei Jahre, wenn die Lachse die Flüsse hochziehen und dann sterben, hinterlassen sie natürlich in den Flüssen Unmengen von Rückständen ihrer Verrottung. Das hat, wie ich erfahre, in den letzten Jahren so massiv zugenommen, dass man die Flüsse mehr oder weniger ganz gegen den Lachszug sperrt, um das Ökosystem nicht zu gefährden. Zurück in Sandnes an der Hauptstraße hole ich mir im Supermarkt noch schnell ein Brot und fahre gegen halb zehn dort ab. Nur 2 km weiter biege ich links nach Björnvatnet ab, hier möchte ich Ernst Leif Sneve besuchen, ein Mann, der hier aufgewachsen ist und als Kind den Krieg miterlebt hat. Seit einigen Jahren ist er als Guide tätig und engagiert sich, Fremden die Geschichte hier näher zu bringen. Da ich keinerlei Kontaktdaten habe, fahre ich aufs Geratewohl hin, stehe aber leider vor verschlossener Tür. Das hatte ich allerdings auch wohlwollend mit einkalkuliert. Auf dem Weg raus aus dem Dorf treffe ich einen anderen Bewohner, als ich gerade mein Fahrrad in der wohl sichersten Bushaltestelle der Welt abstelle. Es ist ein riesengroßer Baggerlöffel von einem Minenbagger. Wir unterhalten halten uns ein wenig und auch von ihm bekomme ich deutlich seine Abneigung gegenüber den russischen Nachbarn zu spüren. Zurück auf der Hauptstraße zieht es sich am Rand des Minengebietes entlang, hier ist eine kilometerlange Steinhalde aufgeschüttet, die nicht benötigten Überreste der Erzgewinnung. Nach einem weiteren Kilometer an einem Haus, wo ein junger Mann gerade am Rasenmäher repariert, stoppe ich, da mein Sattel seit Ewigkeiten quietscht, frage ich ihn nach Kriechöl und bei der Gelegenheit auch gleich nach dem Flugzeug, von dem mir die Frage nach den verbliebenen Teilen wie Flügeln, Cockpit und dergleichen nicht aus dem Kopf geht. Und siehe da, man muss nur den richtigen fragen, dann gibt’s auch Antworten. Da die Deutschen auf ihrem Rückzug alles niedergebrannt haben, was nur irgendwie möglich war, haben die Bewohner sich aus den zurückgelassenen Sachen der Besatzer und natürlich auch aus den abgestürzten Flugzeugen alles geholt, was in irgendeiner Form in den ersten Jahren für notdürftige Behausungen und dergleichen verwenden konnten. Souvenirjäger haben über Jahrzehnte ebenso mitgeholfen, die vorhandenen Überreste Stück für Stück zu dezimieren. Das ergibt Sinn und das Nagen in meinem Oberstübchen ist erstmal etwas gebremst. Die Straße zieht sich elegant sanft auf und ab, erst am Langfjorden entlang, der kurz darauf vom See Langevattnet das Süßwasser aus dem ganzen Tal zugespielt bekommt. Es gibt in diesem Tal etliche Kraftwerke auf russischer, finnischer als auch norwegischer Seite und durch diese Aufstauungen ist aus dem Fluss sowas wie ein langer See geworden. Die Karte verrät mir, dass es rundherum überall unzählig viele kleine Seen gibt, es fühlt sich recht finnisch an. Es ist circa halb zwölf und ich sitze weit oberhalb des Fjords auf einem kleinen Rastplatz in der Sonne, schreibe mein Tagebuch und genieße die Aussicht. Da gesellt sich ein älteres norwegisches Paar zu mir an den Tisch, das gerade mit dem Wohnmobil gehalten hat. Sie laden mich zu Kaffee und Kuchen ein und als kleines Entgegenkommen bemühe ich meine spärlichen Schwedisch-Kenntnisse, da sie mit Englisch nicht helfen können. Und siehe da, wenn es denn nur erforderlich ist, kommt da doch das eine oder andere zusammen. Ich habe fast 2 Stunden jetzt hier gesessen und mache mich beschwingt weiter auf den Weg durch diese angenehm zu fahrende Landschaft. Gegen zwei weist ein Schild rechts ab der Straße auf ein Museum in gut 4 km im Örtchen Sand hin. Nichts leichter als das, hier treffe ich auf einen Ableger des Museums, dass ich schon in Kirkenes besucht habe. Ein junger Schüler macht die Kasse, ich bin laut dem Gästebucheintrag der erste und wahrscheinlich auch einzige Gast heute. Dementsprechend können wir uns etwas unterhalten und ich sehe mir in Ruhe die Ausstellung an, während ich ein Schokoeis vernasche. Es wird hier hauptsächlich der Schulalltag in den alten Zeiten präsentiert und wie in fast allen anderen Museen auch der Alltag der Menschen im Allgemeinen. Wieder zurück auf dem Weg komme ich an den letzten richtigen Ort, ich definiere das meistens an einem vorhandenen Supermarkt. Hier ins Svanvik ist der letzte, den ich zwar nicht aufsuche, dafür aber das Nationalparkzentrum Svanhovd, das über die lokale Umgebung und natürlich den Pasvikdalen-Nationalpark informiert. Eine junge Österreicherin am Empfang erklärt mir, dass das Kassensystem aufgrund eines außergewöhnlich heftigen Gewitters in der Nacht ausgefallen ist und dementsprechend der Eintritt frei ist. Gewitter? Letzte Nacht? Da war doch was… Ich beschwere mich nicht drüber und durchforste auch diese Ausstellung, während sie mich teilweise dabei begleitet und wir uns unterhalten. Da das Haus auch gleichzeitig ein Hotel mit Restaurant ist und sie für einen überschaubaren Preis ein Buffet anbieten, nehme ich das Angebot gegen fünf wahr, um mich ganz im Sinne meiner Frau Mutter mal wirklich lang und breit satt zu essen und die Niederschrift des Erlebten voranzutreiben. Ich glaube, kein Gast hat jemals so lange hier zum Buffet gesessen und so viel gegessen. Lecker Kotelett mit Rosmarinkartoffeln und Sauerkraut, als Salat dazu gehäckselte Möhren mit Rosinen. Ein Stück Kuchen zum Abschluss und der eine oder andere Kaffee runden das Mahl ebenso ab wie meinen Leib. Dem Essen nach müsste ich heute noch mindestens zweihundert Kilometer fahren. Auf dem Hinterrad! Mein Telefon bucht sich jetzt immer wieder ins russische Mobilfunknetz ein und da ich auf deren Roaminggebühren oder merkwürdig bösartige Überraschungen keine Lust habe, nutze ich hier nochmal das WLAN und bleibe ab jetzt erstmal offline. Da laufen viele fragwürdige Sachen im Bereich Hacking, selbst wenn man hier in Norwegen eingebucht ist, haben mir die Militärs aus eigener Erfahrung erzählt. Um acht ist dann aber auch wirklich Zeit zu gehen und so gut gestärkt rolle ich voller Tatendrang los, um schon eine halbe Stunde später an einem kleinen See, dem Russevatn (Russensee), kurz zu stoppen und mir die tief darüber stehende Sonne anzusehen. Ich treffe einen Norweger an, der sich gerade mithilfe seines Mückensprays darauf vorbereitet, Heidelbeeren zu pflücken und wir unterhalten uns gute 10 Minuten über Dies und Das. Er erzählt mir aus der Zeit, als er hier aufgewachsen ist und wie sie als Jungs im Wald ihren Spielplatz hatten, ums Feuer saßen und auf einmal Blindgänger in der Erde von ihrem Feuer aufgeheizt begannen zu explodieren. Da hieß es nur noch: Rette sich, wer kann! Glücklicherweise ist die Situation für alle Beteiligten gut ausgegangen. Diese Patronen und Granaten, also nicht explodiertes Material aus dem Krieg, gibt es übrigens bis heute in rauhen Mengen und das Militär versucht, sie Jahr für Jahr weiter ausfindig zu machen und zu entschärfen. Aber in der Ausdehnung und Weite der Berge und Wälder ist das eher im theoretischen Bereich. Das haben mir auch die jungen Militärs an der Grenze so erklärt. Lösch ein Feuer immer anschließend ab, kühle alles runter, damit es kein böses Erwachen gibt! Von dieser Stelle aus schaffe ich es sage und schreibe anderthalb Kilometer weiter zu fahren und sehe rechts der Straße einen Hof und Kühe, bin mir ganz sicher, das muss der Øverli Hof sein, wo der Käse gemacht wird. Da der Chef mir am Stand gesagt hatte, er wird am Sonntag wieder zurück sein, mache ich nur ein Foto und will gerade weiterfahren, als 100 m hinter mir jemand aus dem Wald gesprungen kommt und mir hinterherruft Heja, ich solle doch warten. Ich rolle ihm ein Stück weit entgegen und kann es kaum glauben, es ist Ivar selbst. Gerade in den Birken nach einer Kuh und ihrem Kalb unterwegs, die sich in der Nacht im Gewitter verängstigt verzogen hatten, ist er total happy und erzählt mir, dass er mich heute im Laufe des Tages auf der Straße schon mal irgendwo gesehen hat. Als einziges Rad und in der auffälligen Ausführung kann ich mich hier auch kaum verstecken. Er lädt mich direkt ein, erst mal Platz zu nehmen und zusammen ein Bier zu trinken. Daraus werden fast 2 Stunden zusammen draußen vorm Stall, wir unterhalten uns, lachen und witzeln rum. Er ist so ein lebensfroher Mensch, es ist eine große Freude, ihm zuzuhören und hier zu sein. Da er heute Abend noch nicht gemolken hat und seine 27 Ladies warten, beginnt er zu dieser späten Stunde und ich kann ihm dabei zusehen und wir unterhalten uns. Angesichts der Uhrzeit schlage ich seine Einladung, über Nacht hier zu bleiben, nicht aus, er zeigt mir so gegen Mitternacht stolz sein wunderschönes Holzhaus, ich habe inzwischen viel über seine Geschichte und diesen Hof gehört. Nachdem er weit nach Mitternacht noch etwas gekocht hat, schließlich kam er aus Kirkenes vom Markt und brauchte etwas im Bauch, ist es schon zwei durch, als wir uns dann hinlegen und für morgen früh vereinbaren. Eine Kleinigkeit könne ich ihm am Morgen helfen, die zu zweit in 1 Minute, alleine aber manchmal in 1 Stunde zu erledigen ist. Na, das ist ja das mindeste, was ich tun kann nach diesem wirklich herzlichen und außergewöhnlich freundschaftlichen Empfang.Read more

  • 2. August

    August 2 in Norway ⋅ ⛅ 20 °C

    Aufgewacht, die Sonne lacht. Es ist gegen acht und ich schäle mich langsam aus dem Bett. Zu meinem Erstaunen hat Ivar mir ganz liebevoll ein delikates Frühstück mit Marmelade und Käse angerichtet, während er jetzt gerade raus in den Stall verschwindet und die Kühe milkt. Eine gute Stunde braucht er ohnehin, die ich Zeit habe, all das hier zu genießen und in einem Magazin einen Bericht über ihn zu lesen, der seine recht einzigartige Käserei und den Hof hier so weit im Nordosten beschreibt. Gegen neun trete ich draußen an, schließlich habe ich ja meine Hilfe versprochen. Bevor es losgeht, kann ich mich noch eine Zeit lang mit der Auswanderin Janine unterhalten, sie ist schwer dabei, Käse zu portionieren und vakuumieren, damit nachher auf dem Marktstand in Kirkenes auch ausreichend zum Verkauf verfügbar ist. Die Sonne steht blendend am Himmel und als Ivar mit dem Melken fertig ist, drückt er mir schon mal den dicken Wasserschlauch in die Hand, so dass ich im Stall den Boden an einigen Stellen reinigen kann. Derweil merke ich recht schnell, wie ich hier vom Wander- zum Stallburschen werde, der ich irgendwie ja auch schon als Kind und Jugendlicher zu Hause auf unserem Hof war. Wir schaffen gemeinsam ein paar Kälber von einer Box in die andere, zu zweit ist das ruckfix in 2 Minuten erledigt. Als später eins aus dem Stall entwischt und draußen auf dem Hof rumläuft, ist auch dies zu zweit sehr schnell wieder eingefangen und zurück am rechten Platz. Ich merke, unter welchen Zeitdruck er steht, da will die Tierärztin noch vorbeikommen, es gibt noch einige Kühe auf eine andere Weide zu bringen und natürlich muss er irgendwann aufbrechen nach Kirkenes zum Stadtfest. Gestern am Abend hatte er schon erwähnt, dass heute der erste Tag wäre, an dem er pünktlich da ist. Es wird wohl eher bei der Theorie bleiben. Der Kuh mit dem Kälbchen draußen auf der Wiese Kraftfutter und Wasser bringen, dann noch Heu vom Boden runter für alle im Stall verteilen, Strom am Elektrozaun aus- und wieder einschalten, mir ist das alles tatsächlich nicht sehr fremd, auch wenn ich natürlich die Abläufe hier auf diesem Hof bis dahin nicht im Detail kenne. Umso angenehmer ist es, mit ihm zu arbeiten. Denn trotz eines gewissen Stresses lacht er immer wieder und ist in seiner guten Laune nicht zu verbiegen. Gegen elf verlassen die zwei das Gehöft, wir verabschieden uns und ich kann noch schnell eine Dusche nehmen, schließlich ist hier in dieser Gegend eh Tür und Tor geöffnet, niemand muss ich um so etwas kümmern. Das erinnert mich sehr an meine Kindheit in der DDR. Um halb zwölf starte auch ich durch. Es zieht sich wieder auf dieser ewig langen Straße, die die besten Zeiten hinter sich hat und mit ihren vielen kurzen Wellen ein ziemlich rappeliges Fahren verursacht, insbesondere durch die Querrillen, die sich immer wieder ein paar Zentimeter breit über die gesamte Straße ziehen. Sie machen mir manchmal das Gefühl, als würde ich im Waggon der Deutschen Reichsbahn sitzen, wo es ziemlich ähnlich ewig dieses Dadatt, Dadatt…….Dadatt, Dadatt gemacht hat. Auf dieser Straße ist glücklicherweise so wenig Verkehr, dass ich sie immer auf voller Breite nutzen kann, also zumindest versuche, den ärgsten Widersachern auszuweichen. Zu sehen gibt es leider nicht sehr viel mehr als immer wieder die lange, lange Straße, die sich durch den Mischwald zieht. Wie oft kann ich 2-3 km im Voraus die Strecke erkennen, nur manchmal zieht es sich dichter an den Fluss heran oder an einem der vielen kleinen Seen vorbei. Immer mal wieder zwischendurch sehe ich Kühe auf der Weide und dazu kleine Farmen, gerade dann geht mir das Wort Paradiesvogel durch den Kopf. Aber Paradieskühe, von denen habe ich noch nie gehört, hier wäre der Titel wirklich passend. Ivar hatte mir erzählt, es hat früher hier im Pasvikdalen bis zu neunzig solcher Kleinbauern gegeben, wie er heute einer ist. Der übrigens 23-jährig den Hof der Eltern übernommen und erst vor einigen Jahren mit der Käseproduktion begonnen hat. Den Großteil der Milch holt der hier in Norwegen größte Molkereibetrieb Tine regelmäßig ab, damit auch im Supermarkt in der Meieri für alle ausreichend im Angebot ist. Gegen halb eins komme ich an einem der sechs Staudämme am Pasvikelva vorbei, an dem in einem doch recht großen Wasserkraftwerk Strom erzeugt wird. Ein norwegisches Paar versucht sich hier am Anglerglück, ich unterhalte mich mit der Frau eine ganze Weile, die hier aufgewachsen und jetzt gerade zu Besuch ist, während weiter draußen auf der riesigen Wasserfläche die Militärs in Schnellbooten patrouillieren. Der Fluss hat übrigens meistens eine Ausdehnung, die ihn wie einen großen See erscheinen lässt. Angesichts der Temperaturen habe ich mein Shirt schon lange ausgezogen, brauche es nur bei Pausen zwischendurch, wenn Fliegen und Mücken mir zu sehr auf die Pelle rücken. Gegen zwei zieht sich die Straße für eine längere Zeit mal in der Nähe des Flusses entlang, von hier aus habe ich wunderbare Aussichten rüber in die russischen Berge und Wälder. Die Landschaft hier ist eine völlig andere, als sie noch in Kirkenes war, es ist eher sumpfig flaches Land, wie ich es auch zeitweise beim Wandern im letzten Jahr erlebt habe. So gegen vier erweckt ein Hinweisschild mit einer Kaffeetasse darauf mein Interesse, ich biege von der Straße ab auf einen ziemlich kleinen Campingplatz. Auf dem ich mir aber gar nicht sicher bin, ob ihm dieses Schild galt. Denn Kaffee gibt es hier weit und breit nicht, stattdessen treffe ich aber die nette Schweizerin Salomé, die mich vorhin zusammen mit ihrem Mann Konrad im Wohnmobil überholt hat. Sie bieten mir einen Kaffee und ein Stück Kuchen an, ich sitze eine gute Stunde bei Ihnen, wir unterhalten uns über unsere Reisen. Insbesondere wachsen meine Ohren auf Salatblattgröße an, als sie davon erzählen, dass sie erst kürzlich in Kaliningrad für eine Zeit zu Besuch waren, also ganz normal ein Visum bestellt und erhalten haben und als einzige Umstände das Wechseln des Geldes ansehen. Kurzum sagt mir das wieder einmal, Russland ist gar nicht so weit entfernt, wie es immer wieder scheint. Ein anderer Punkt, an dem ich innerlich schmunzle und den Daumen hebe ist, als Konrad mir erzählt, dass er Bankkaufmann gelernt und dann sein Leben lang als Maler gearbeitet hat. In meinem Geiste ist es dann so etwas, dass er Farbe nie auf eine Wand gerollt, sondern sie immer hinkalkuliert hat. Da die Straße von Wäldern gesäumt ist, geht mein Blick natürlich umso öfter nach oben an den blauen Himmel, der im Laufe des Nachmittags mehr und mehr Quellwolken und ein buntes Gemisch zeigt, dass mir gewitterig und irgendwie nach späterem Regen aussieht. Gegen halb sechs passiere ich etwas abseits der Straße ein kleines Outdoor Museum, hier werden diverse Fotos und Beschreibungen aus der alten Zeit bis heute präsentiert. Auch hier ist bei den schwarz-weiß Abzügen deutlich der damalige Einfluss von Ellisif Wessel zu merken, dieser besonderen Frau, die ihrer Zeit scheinbar vorausgeeilt ist. Sie hat in den Jahren ab 1890 in der Region einerseits mit ihrer Fotoausrüstung und Liebe zur Fotografie unzählige einzigartige Dokumentationen geschaffen, aber sich auch mit ihrer Art, für Sami, Arbeiter und das Volk zu kämpfen, selbst ein Denkmal gesetzt. Schön, dass eine ganze Region über 100 Jahre später auf so einen wertvollen Schatz zurückgreifen kann. Es dreht sich in dieser Ausstellung um das Leben hier im Pasvikdalen und um die Zeit, als viel Holz benötigt wurde und bis runter in die Fjorde nach Kirkenes geflößt wurde. Eine Stunde später erreiche ich nun den Punkt, an dem die Teerstraße endet und sich auf zwei Schotterwege aufteilt. Von hier aus sind es noch gute 20 km Autofahrt gefolgt von 5 km Fußmarsch bis zum Dreiländereck, wie ein paar Holzschilder ankündigen. Diese Gravelroad ist in ihrer Art recht unterschiedlich, teils kann ich mit 30 KMH darüberfegen, dann ist sie mal zerspült, wird wieder kurz sandig, um mir beide Räder einfach wegzureißen, sodass ich mich nur mit Glück und dank niedriger Geschwindigkeit wieder fangen kann. Dann kurze steile Steigungen mit rund gewaschenen Steinen, das grobe Profil wirft einfach nur alles nach hinten raus, während ich auf der Stelle stehe. Aber der meiste Teil dieses Weges ist dann doch ziemlich glattgefahren und es macht mir große Freude, auf diesem Untergrund zu rollen. Und immer mehr wird der Wald jetzt zu reinem Kiefernwald, die Straße fast nur noch sandig und es liegt ein intensiver Geruch nach diesen Kiefernnadeln in der Luft. Der Øvre Pasvik Nasjonalpark, der der nordwestlichste Ausläufer der sibirischen Taiga ist, fährt sich jetzt wie der Rheinradweg durch Brandenburg. Für mich eine wunderbare Abwechslung, wohlwissend um die letzten Kilometer und um halb acht ist es dann auch getan. Ich erreiche einen kleinen Parkplatz mit einem recht großen, modernen Shelter, an dem eine Norwegerin sitzt und auf ihren Lebensgefährten wartet, der sich alleine auf den Fußweg zum Dreiländereck gemacht hatte. Was sich über den Nachmittag mehr und mehr angekündigt hatte, wird hier Wirklichkeit, nämlich ungeduldige Mücken und Bremsen in Vollendung. Sie zeigen mir erbarmungslos, wer hier Master of Disaster ist. Trotz der warmen schwülen Temperaturen ziehe ich mir lange Hose und Jacke über, während ich nebenbei realisiere, dass ich keinerlei Wasser mehr bei mir habe. Auch versuche ich erstmal, mich innerlich etwas zu orientieren, da ich nicht genau weiß, wohin mit mir. Unter diesem großen Shelter könnte ich trocken übernachten, schließlich steht der Regen am Himmel, aber ohne Zelt werden sie mich auffressen. Also hänge ich alles vom Fahrrad ab und mache mich auf den Weg gut 1 km zurück, wo es einen guten Zugang zum Fluss gibt, an dem ich alles Frischwasser auffüllen kann. Wieder vor Ort trage ich mir angesichts der Umstände doch Antimückencreme auf und esse erst mal zu Abend. Nebenbei beginnt es schon leicht zu regnen, aber innerlich sortiert sich ganz langsam, was mir vorhin noch gefehlt hat. Es ist um neun und ich baue im Shelter das Zelt auf, lasse all meine Sachen hier und versuche um halb zehn, die 5 km nach Treriksrøysa mit dem Rad zu bewältigen. Niemand konnte es mir bisher so genau beschreiben, ich erwarte eine Art Wanderweg, aber auch mit Holzplanken ausgelegte Stücken und wie ich hier auf einem Infoschild lese, ist es ein Pfad, den das Militär mit den Sixwheelern nutzt. Da rechne ich mir doch auch Chancen für mich aus, bin ich doch schließlich ganz ohne Gepäck unterwegs. Und tatsächlich komme ich ganze 200 m weit auf einem sandigen Pfad voran, bevor es auf Holzplanken durch teils recht tiefes Wasser geht, wo ich Mühe hab, die Räder auf der rechten Seite der Planken zu führen und selbst auf der linken zu laufen. Immer wieder springen die Räder runter und finden auf dem nassen, glatten Holz nicht wieder hoch. Nach diesem ersten Sumpfland geht es wieder in den Wald, hier sind dicke wüst verteilte Steine im Weg, die man mit entsprechenden Geländefahrzeugen wohl befahren kann, nicht aber mit einem Fahrrad meiner Art. Also parke ich den Muli am Wegesrand an einen Baum und mache mich im Regen auf den weiteren Fußweg. Dass ich in meinen Sachen schwitze und angesichts des Regens auch in Kürze komplett durch sein werde, nehme ich billigend in Kauf, denn was nass wird, trocknet bekanntlich auch wieder. Damit ich nicht ständig um mich schlagen muss, habe ich mir den großen Hut mit Krempe und das Mückennetz auf-, als auch Handschuhe angezogen und bin damit komplett mumifiziert. Beim Laufen bleibe ich manchmal für 2 Sekunden kurz stehen, um rund um meinen Kopf das laute Surren der Suchtis wahrzunehmen. Ja, die Kapelle spielt aus Leibeskräften, während ich im Hintergrund immer wieder Wortfetzen ihrer Partisanenlieder höre: „….wir kämpfen bis aufs Blut, es ist für unsre Brut...“ Fünf Kilometer ist wahrlich kein langer Marsch, zumal es immer wieder wechselnd durch nasses Sumpfland über die Holzplanken, aber auch durch den Wald über Stock und Stein geht. Es zieht sich hier recht nah an der russischen Grenze auf dem Landweg entlang, entsprechend sehe ich die Beobachtungstürme und auch immer wieder deutlich große, gelbe Hinweisschilder, die diesseits auf all das Regularium hinweisen wie auch die an einem Rentierzaun, die mitteilen, dass jegliche Gatter und Tore wieder zu schließen sind. Auch den Rentieren ist es also formell betrachtet nicht erlaubt, zum Feind überzulaufen. Ja nee, is klar. Jetzt mag dieser Weg dank der Klamotten, die ich trage, des inzwischen beendeten Regens, des trüben Lichts und des gesiebten Gesamtbilds vor meinen Augen nicht so sehr aufregend sein, aber in einem Punkt besticht er doch außergewöhnlich. Es stehen nämlich reife Moltebeeren an verschiedenen Stellen und niemand hat eine Vorstellung davon, was es für ein Geschmack und ein Glücksgefühl ist, nach über einem Jahr der Enthaltsamkeit mit dicken Handschuhen eine der Beeren zu pflücken und sie mir unter dem Mückennetz durch in den Mund zu stecken. Dann ist es auch schon geschafft, ich sehe im Wald durch die Bäume hindurch in einiger Entfernung ein Feuer brennen und meine auch Stimmen zu hören. Ja richtig, da sind zwei junge norwegische Soldaten, die mich schon aus einiger Entfernung wissen lassen, ich sei richtig und solle zu ihnen hochkommen. Sie haben sich hier ein Tarp eingerichtet, sind die einzigen vor Ort und werden hier übernachten. Es ist wieder wie schon am Jakobselv ein freundlicher Empfang und nach einer kurzen formellen Instruktion, die mir im wahrsten Sinne meine Grenzen aufzeigen soll, ist es ein längeres, nettes Gespräch über die Umstände und ihre Zeit hier, wo sie ihren Militärdienst ableisten. Merkwürdigerweise ist selbst der Zugang nach Finnland nicht erlaubt, die haben eine Art Sperrzone Richtung ihrer Grenze, wo weder fremde noch Finnen Zutritt haben. Ich habe die Tage von einem Zaun gehört, der wohl videoüberwacht ist, aber niemand weiß genau, wie lang der inzwischen ist und ob er sich tatsächlich an der gesamten Grenze zu Russland entlang zieht. Das wären immerhin gut 2000 km, ich kann mir diesen Wahnsinn selbst mit gutem Willen kaum vorstellen. Während wir uns unterhalten habe ich Helm und Netz abgenommen, um zu merken, der wahre Feind lauert für mich nicht hinter diesem Grenzstein, sondern rund um meinen Kopf in der Luft. Und so mache ich mich, nachdem wir zusammen ein paar Fotos gemacht und die Zeit abgeglichen haben, nach einer Viertelstunde wieder auf. Ich war jetzt also eine Stunde vor, genau um und eine Stunde nach Mitternacht am südlichen Ende der 198 km langen norwegisch-russischen Grenze. Denn hier treffen drei Zeitzonen aufeinander, Finnland ist uns eine, Russland zwei Stunden voraus. Gut, dass die Burschen eine echte Uhr am Arm haben, sonst wäre ich schon jetzt per Handy auf die finnische Zeit hereingefallen. Auf dem Rückweg gebe ich mich noch ausgiebiger dem Hjortron hin und kann mich dann nach einer guten Stunde direkt in meinen vernetzten Schutzraum begeben.Read more

  • 3. August

    August 3 in Norway ⋅ ☁️ 16 °C

    Wenn schon Isegrim nicht in echt bei mir vorstellig wird, dann akzeptiere ich auch den olivgrünen allradgetriebenen Wolf, den die jungen Rekruten schon am Morgen hier durchs Gelände jagen. Sonst passiert nix. Am Sonntag zieht mich so ganz früh nichts aus den Federn, es ist wohl lange neun durch, bis ich die Lage jenseits der gelben Trennwand als gut und günstig einschätze. Einen weiteren Tag werde ich wohl nicht bleiben, da die Gegend ja doch ziemlich „begrenzt“ ist und man die Welt vor lauter Bäumen eh nicht sieht oder wie das heißt. Aber vor all diese Gedankenspiele drängelt sich doch massiv das Frühstück in meinem Geist. Es ist in der Sonne schon ziemlich heiß und ich bringe alles in den Schatten, was irgendwie Sinn macht. Während ich frühstücke, joggen vom unweiten Wachturm nacheinander zwei junge hübsche Soldatinnen vorbei. Das Auge ißt ja bekanntlich auch mit. Sonst passiert nix. Hier raus an dieses Dreiländereck verirrt sich an manchen Tagen niemand, Radfahrer habe ich im ganzen Pasvikdalen noch keinen einzigen gesehen. Da habe ich Treriksröset nahe Kilpisjärvi vom letzten Jahr doch ganz anders eher wie eine Pilgerstätte in Erinnerung. Angesichts dieser Ruhe und einigermaßen Freiheit von Mücken will ich dem Muli heute sein Leckerli zukommen lassen und die Bremsbeläge hinten erneuern, die inzwischen schon an die fünftausend Kilometer gemacht haben. Nach jetzt knapp anderthalbtausend Kilometern treuem und anstandslosem Dienst auf dieser Reise freut er sich schon, schlägt ein halbes Rad und steht geradezu Kopf. Kettenschutz runter, Kette ab, Getriebeansteuerung weg, Achse lösen, Rad raus, Bremsklötze raus, neue rein….. Äääääh halt, zurück! Neue, wo sind….? Ist das jetzt wahr? In der Pappschachtel ist lediglich die Feder und der Sicherungsstift, aber keine neuen Beläge. Warte, ich komm’ noch mal rein… Aber es bleibt dabei. Hm, da hat wohl schon mal jemand vor mir zugegriffen. Für den Moment müssen es also die alten wieder tun und ich kann uns beide nicht mehr trösten als die Kette zu reinigen und zu ölen. Gegen eins geht es wieder auf die sandige Piste, auf die ich mich sehr freue. Diese Gravelroads lassen mich beim Fahren so knirschig viel mehr spüren, dass und wie ich in Bewegung bin. Auf der Straße kommt dieses Gefühl meistens nur auf, wenn es schnell wird, der Wind ins Gesicht drückt und die Patten des Profils auf dem Asphalt immer lauter das Geräusch eines anfliegenden Stuka-Bombers machen. Ich erwarte heute keine riesengroßen Neuerungen, 80 Kilometer von hier zurück werde ich bei Ivar noch mal einkehren. Angesichts der brennenden Sonne steht hier und da mal eine kurze Pause zum Trinken auf dem Programm, gegen drei komme ich wieder an dem Campingplatz vorbei, der gestern den angekündigten Kaffee erst in zweiter Instanz von den Schweizern ergab. Kurz danach sehe ich einen Weg runter zum Fluss gehen, es ist nicht allzu weit und wirkt mir tauglich für eine Pause. Neben einer Scheune und diversen abgestellten Materialien finde ich hier grüne Wiese und einen guten Zugang an einer Stelle, wo ein Fluss den circa 2 km entfernt liegenden See Ellilompola nach hier entwässert. Das Fahrrad ist noch gar nicht richtig abgestellt, da habe ich schon Herzchen in den Augen, reiße mir die spärliche Bekleidung vom Leib und finde mich frohlockend im Wasser wieder. Diese „arktische Adria“ ist faszinierend und ich bin wieder einmal von der Wärme, in diesem Fall des Pasvikelva entzückt. Was bleibt mir als Genießer an dieser Stelle anders als den restlichen Tag hier zu verbringen? Es ist beste Kaffeezeit und der Sonntag hatte sich ja schon letztes Jahr bei mir gern als Ruhetag einsortiert. So ist es ein Wechsel zwischen Baden im Wasser und diversem Zeitvertreib an Land. Ein paar Kleinigkeiten gibt es ja immer zu tun und sei es nur das Sortieren bestimmter Sachen, die ich im täglichen Betrieb oftmals nur an der nächstbesten Stelle unterbringe. Wie ich die Lenkertasche einmal komplett entleere, sie ist bei mir sowas wie die Handtasche jeder handelsüblichen Frau, finden sich neben Muscheln und derlei Sammelsurium doch tatsächlich auf einmal zwei silbrig glänzende Bremsbeläge. Haben die doch tatsächlich aus der Verpackung den Weg in diese Untiefen gefunden. Nun denn, da kann ich ja heute noch im wahrsten Sinne dicke Backen machen. Vom Süden her bauen sich im Laufe des Nachmittags immer mehr dicke Quellwolken auf und es donnert heftig laut in einiger Entfernung. Um für alle Fälle gerüstet zu sein, stelle ich schon mal das Zelt auf und beschließe einen wunderschönen Tag weit weg von einem Plan oder einer Kilometerzahl.Read more

  • 4. August

    August 4 in Norway ⋅ 🌙 17 °C

    Nach ein bisschen Regen in der Nacht erwache ich an einem Morgen, wie er kaum schöner sein kann. Die Sonne scheint und mein erster Gang ist ins Wasser. Eine längere Runde schwimmen und dann hier allein neben dieser Scheune direkt am Wasser im warmen Wind in Ruhe zu frühstücken, während mir Gianna Nannini ihre Hymnen ins Ohr reibt. Mit jedem Tag in dieser Gegend rund um Kirkenes wird mein Wunsch am Morgen stärker, doch zu bleiben statt aufzubrechen. Ich habe heute vor, Ivar auf dem Rückweg noch mal zu besuchen und vielleicht auch dort zu übernachten. Das sind nur gute 50 km und da ich den Weg herwärts ja schon kenne, lasse ich mir also bis um halb zwölf Zeit, bevor ich aufbreche. Mit der Sonne und dem Wind im Rücken rollt es sich fantastisch dahin, auf dieser Straße ist wieder mal kaum Verkehr, lediglich eine Gruppe von drei jungen Soldaten patrouilliert an der Straße zu Fuß entlang. Nach einer guten Stunde lockt mich schon wieder ein See unweit der Straße. Es ist nur kurz eintauchen, schwimmen und wieder im Sattel sitzen. Das selbe Fahrrad, die selbe Straße wie herwärts und trotzdem fährt es sich in dieser Richtung so sehr anders. Weil es talabwärts geht? Weil ich etwas Rückenwind habe? Diese Fakten spielen schon eine Rolle, entscheidender ist aber mein innerer Antrieb, der dank dieser paradiesischen Umstände immens ist. Gegen halb zwei verlasse ich heute in Melkefoss die Hauptstraße, um für 8-10 km auf einer Nebenstraße zu fahren. Ich treffe auf einer Huskyfarm den Betreiber, der eigentlich im Wasserkraftwerk arbeitet, aber jetzt gerade kurz zu Hause ist, um etwas zu holen. Die Farm betreibt er nicht mehr, stattdessen nur noch Unterkünfte und bietet mir direkt an, mich doch mal rumzuführen. Angesichts der Tatsache, dass er wieder zurück zur Arbeit muss, schlage ich das aus, betrachte mir aber auf seiner Wiese den Weltwegweiser und folge dann einer wunderbar befahrbaren Gravelroad, die sich von Zeit zu Zeit mehr oder weniger dicht Richtung Fluss bewegt. So nur noch unglaublich kurze 2000 Kilometer der Nordpol von hier entfernt ist, so unglaublich ist auch das Wetter, wenn ich da die eine oder andere Stimme aus der Heimat höre. Der Pasvikelva ist auch hier durch die Aufstauung für die Kraftwerke in ganz unterschiedlichen Ausdehnungen von mehreren Kilometern bis hin zu ganzen 100 Metern. Und genau an einer solchen schmalen Stelle sehe ich in dem Schilfgras auf der anderen Seite irgendetwas Großes stehen. Selbst für einen Elch kommt es mir zu groß vor, sollte da jemand eine Schrankwand aufgebaut haben? Einen guten halben Kilometer weiter kann ich über eine abgemähte Wiese dann doch was erkennen. Es ist eine laufende Schrankwand, wie ich sie in der Größe noch nicht vor Augen hatte. Ich kämpfe mich im kleinsten Gang über diesen feuchten Untergrund, mit dem Gewicht sinke ich stark ein und komme nur langsam Richtung Fluss. Ich überlege, das Rad stehen zu lassen und mich zu Fuß weiter anzupirschen, aber noch bevor ich diese Gedanken zu Ende gebracht habe, setzt er sich schon in Bewegung und ich freue mich, dass ich grad noch eine kurze Aufnahme machen kann. Na das war doch mal was, von wegen auf diesem Rückweg gibt’s nichts zu sehen. Einen guten Kilometer weiter steht am Straßenrand der Hinweis auf einen Fugletårn, also einen Vögelturm. Einen solchen hatte ich die Tage schon mal aufgesucht, um mich aber ausschließlich den Mücken zu widmen und so hadere ich für 1 Sekunde, diesen hier zu besuchen. Vielleicht sind es die zwei Autos am Straßenrand, die mir doch das Gefühl geben, es könnte sich lohnen. Entlang der paar hundert Meter Fußweg über Holzplanken finde ich schon mal rechts und links des Weges etliche Moltebeeren und wie ich auf den Turm hochkomme, sind dort fünf oder sechs Norweger mit Ferngläsern und Spektiven dabei, einerseits eine Gruppe von Kranichen im Fluss, aber ein Stück weiter auch zwei weitere recht große Elche zu beobachten. Das ist meine Stunde, denn auch ich darf einige Blicke riskieren und ergattere ein paar Aufnahmen durch die Vergrößerung. Nachdem die alle abgerückt sind, bleibe ich noch eine Weile sitzen und genieße in dieser Höhe und bei dem Wind die Mückenfreiheit. Auf dem Weg zurück zur Straße grase ich noch mal weitflächig das Gelände nach Moltebeeren ab, welch eine Freude. Stück für Stück arbeite ich mich weiter auf dieser Nebenstraße entlang, um gegen vier wieder auf der Hauptstraße zu landen. Erst hier nehme ich wahr, dass Ivar quasi hinter dieser Abzweigung lebt, ich also ein paar Kilometer entgegen der Richtung fahren muss. Tut mir das weh? Nöö. Auf dem Weg zu ihm komme ich wieder an 96-høyden vorbei. Schon beim letzten Durchfahren hier habe ich mich gefragt, ob es angesichts der geringen Bevölkerungsdichte niemanden gab, der sich einen gescheiteren Namen als die „sechsundneunziger Höhe“ ausdenken konnte. Der Punkt soll aber dank eines Aussichtsturms recht interessant sein, wie mir die Anglerin die Tage erzählt hat. Also klettere ich auf dem ausgewaschenen Waldweg im kleinsten Gang da hoch und verstehe anhand der Erklärungen auf den Tafeln, warum dieser Ort so heißt. Der Turm wurde in den 1930er Jahren als Aussichtspunkt gebaut und da es sonst keinerlei Ortschaft gab, hat man ihm diesen eher technischen Namen gegeben. Während des Kriegs wurde er natürlich von den Besatzern als Ausguck verwendet und ist in dieser Zeit durch einen Unfall abgebrannt. Nach dem Krieg wieder aufgebaut, diente er dann der norwegischen Armee als Beobachtungsposten rüber auf die russische Seite und vor einigen Jahren wurde er dann wieder als touristischer Turm eingerichtet. Ich habe einen wunderbaren Blick dank der ausliegenden Ferngläser auf die Stadt Nickel drüben in Russland. Ihren Namen hat sie durch die Nickelgrube, die aber laut diverser Aussagen vor circa fünf Jahren geschlossen wurde. So ist von dieser recht großen Stadt wohl nur noch eine Geisterstadt geblieben, die gesamte Umgebung ist völlig tot, da steht kein Baum und kein Strauch vor lauter Gift. Einen Kaffee und eine Waffel später bin ich kurz darauf gegen halb sechs bei Ivar auf dem Hof. Ich treffe ihn nicht an und da ich am Fahrrad einige Wartungen zu erledigen habe, überbrücke ich die Zeit in der Annahme, ihn demnächst hier zu treffen. Tatsächlich kommt aber seine Schwiegertochter samt Enkeln daher und nachdem sie mit ihm telefoniert hat, erzählt sie mir, dass er mit dem Traktor weiter rausgefahren ist und es wohl noch länger dauert. Nachdem ich gegen halb acht alle meine Tätigkeiten abgeschlossen habe und er immer noch nicht da ist, mache ich mich doch Richtung Kirkenes auf den Weg. Genau um 19:55 Uhr bin ich in Svanvik am Supermarkt, der in 5 Minuten schließt. Der Mitarbeiter bestätigt mir ohne jegliche Mine, dass er definitiv um acht schließt. Also auf die Schnelle ein kühles Bier, einen Joghurt und aus der Gruschkiste noch ein paar Nüsse. Während ich das alles zusammenraffe, kommt Ivar herein und ruft laut nach mir. Es ist 19:58 Uhr, auch er nimmt sich zwei Bier und ein paar Kleinteile und wir fangen an zu erzählen. Er drängt mich dann aber doch zur Kasse, da ab 20:00 Uhr der Alkoholverkauf verboten ist und die Kasse es auch nur bis 19:59 Uhr akzeptiert. Also ist es jetzt ein hastiges Drüberziehen und direkt danach kehrt uns der Mitarbeiter auch raus, um Feierabend zu machen. Den einen oder anderen Schwank werden wir draußen noch los, er muss noch Heu machen bis weit in die Nacht, helfen kann ich ihm dabei nicht. Also verabschieden wir uns und angesichts der angenehmen Temperaturen und meines Flows über den ganzen Tag denke ich mehr und mehr daran, noch am Abend die 45 km bis Kirkenes zu machen. Was für eine grandiose Idee! Unterwegs telefoniere ich am Straßenrand noch eine gute Stunde mit meinem Eichsfelder Nordkapradlerfreund Simon Raabe, danach lasse ich mich entgegen meiner sonstigen Gewohnheiten mit Kopfhörern in den Ohren von meiner Lieblingsmusik durch die Nacht tragen. Bei einer längeren Pause zwischendurch sitze ich wieder auf dem selben Parkplatz wie schon mal hoch über dem Fjord und genieße die Farbspiele am Himmel bei schwülen 16° im arktischen Sommer. Der Himmel wird mit jedem Kilometer schöner, da spielt es keine Rolle, wie lange diese Fahrt jetzt dauert. Im Handumdrehen bin ich aber dann doch schon wieder back in Town und gegen eins throne ich nach einem Bad im Lieblingssee wieder hoch über der Stadt in einem Farbtaumel, der mich noch lange danach nicht schlafen lässt.Read more

  • 5. August

    August 5 in Norway ⋅ ⛅ 18 °C

    Mein Zelt war bis auf das Mückennetz über Nacht soweit offen, wie nur irgend möglich. Entsprechend brennt mir ab um 5:30 Uhr am Morgen die Sonne dermaßen rein, dass an Schlaf kaum weiter zu denken ist. 2 Stunden räkele ich mich noch umher, um dann direkt erst mal ins Wasser zum Schwimmen zu gehen. Eine recht lange Runde, in der Zwischenzeit kommt eine Norwegerin mit ihrer Tochter, mit der ich mich eine ganze Weile unterhalte. Sie stammt aus einem der Häuser nur 100 m von hier entfernt und ist gerade zu Besuch. Es ist so surreal, hier in dieser Gegend bei diesen Temperaturen, das wirkt so unreal. Das heißt, ich fühle mich tatsächlich jenseits jeder Realität und lasse mich hier auf dem hölzernen Badesteg bei einer Tasse Kaffee einfach nur treiben und möchte diesen Platz überhaupt nicht verlassen. Wie viele Male bin ich heute früh schon geschwommen, habe nebenbei gefrühstückt und das eine oder andere Schwätzchen gehalten. Mich um neun ganz unerschrocken dem Horn des Postschiffs hingegeben und kriege den Allerwertesten einfach nicht hoch. Gegen elf mache ich mich dann auf den Weg und rolle runter in die Stadt, besorge für meinen quietschenden Sattel in einem Baumarkt ein hoffentlich geeignetes Schmiermittel und treffe mich danach im Terminal B mit Ira und ihren russischen Kollegen. Das ist eine kleine Kunstausstellung, die aktuell dem Thema Möwen gewidmet ist. Die stehen hier überall im Norden unter starkem Schutz, zumindest einige bestimmte Arten. Es ist nicht erlaubt, die Nester einfach so zu entfernen, auch wenn rundherum alles besudelt wird. Und da die Bestände in den letzten zwei Jahren auf unerklärliche Art und Weise extrem zurückgegangen sind, wird es hier dem Laien, also mir, nähergebracht. Da mache ich mich mit der Pappmaske auch gerne mal statt zum Affen zur Möwe. Einen Kaffee und ein paar Sweets aus Riga später wäre jetzt eigentlich Zeit, loszufahren, aber es zieht mich noch mal auf den Marktplatz in die sengende Hitze, in der ich meiner demontierten Sattelstütze das neue teure Elixier einflöße. Dabei das Leben und Treiben in diesem Städtchen beobachte. So viele schöne Menschen. Um halb vier zieht es mich grad ums Eck ins Centrum Kafe, wo ich bei Kaffee und Kanelbullar mit Björn und zwei weiteren Locals in Kontakt komme. Er spricht ziemlich gut Deutsch, kennt die Bundesländer und weiß sogar, was Thüringen ist. Es ist sehr angenehm, sich mit ihm auszutauschen. Die Uhr zeigt inzwischen auf fast fünf und das Kafe hat längst geschlossen, als ich mich tatsächlich auf den Weg mache. Da schwingt auf jeden Fall eine ganze Menge Wehmut mit, habe ich doch jetzt festgehalten, solange es möglich war. Was ist es, was mich hier so gefesselt hat und nur so unwillig freigibt? Vielleicht ist es besser, dass ich es nicht so genau definieren und formulieren kann, dann wäre es nämlich entzaubert. Die Stadt und diese ganze Gegend, die ich in der Hauptsache aus historischer Sicht in Bezug auf den zweiten Weltkrieg als Ziel hatte, hat mir eben so sehr viel mehr gegeben als nur das. Es ist inzwischen sicher das zehnte Mal, dass ich aus der Stadt südlich heraus Richtung Hesseng fahre, dabei die ganzen Nebenstraßen schon kenne, als würde ich hier jeden Tag beim Bäcker Brötchen holen. Nur biege ich heute nicht links weg wie bisher immer, sondern bleibe auf der E6, die hier Richtung Narvik und Tana Bru ausgeschildert ist. Das Wetter ist immer noch hervorragend, ich habe jetzt im wahrsten Sinne des Wortes eine Arschruhe. Der Muli galoppiert fröhlich durchs Auf und Ab des Berglands sowie mitten durch ein militärisches Schießgebiet, in dem auch während meiner gesamten achtkilometrigen Durchfahrt heftig von der Schusswaffe Gebrauch gemacht wird. Nicht umsonst ist das Fotografieren und sogar das Anhalten in diesem Bereich verboten. Der Flughafen von Kirkenes, erbaut im zweiten Weltkrieg, liegt ebenso in dieser Zone, den kleinen Abstecher von der Straße und ein paar neugierige Blicke genehmige ich mir aber doch. Wirklich viel zu sehen bekomme ich nicht, denn die paar Flieger hier am Tag sind jetzt gerade nicht aktiv. Von hier aus beginnt eine längere Abfahrt, die ich mit gut fünfzig Stundenkilometern entlang des Korsfjorden genießen kann. An einem kleinen Rastplatz halte ich für eine Trinkpause an und geselle mich, nachdem er mich freundlich herangebeten hat, zu Lothar. Der kleine bärtig-kauzige Franke hat die Wege seines bürgerlichen Augenoptiker-Lebens schon in jungen Jahren verlassen und ist auf der ganzen Welt unterwegs gewesen. Hat dabei alles mögliche gemacht, um sich über Wasser zu halten und dementsprechend die eine oder andere Story bei einem Bier zu erzählen. Dabei sind anderthalb Stunden ganz schnell rum und die Straße führt jetzt jetzt zum Kjøfjorden hin. Hier herrscht ein recht konstanter Wind Richtung Südwest, weit hinter mir ziehen sich über ihm die Wolken zusammen. Gerade steht auf meiner Seite der Straße ein entgegenkommender Radler, um ein Foto davon zu schießen. Da komme ich natürlich nicht vorbei, ohne ein paar Worte zu wechseln. Es ist Gilbert aus Graz, mit dem ich mich am Ende circa 10 Minuten sehr gut unterhalte, bevor ich wenige hundert Meter weiter eine etwas in diese Förde hineinragende Landzunge für mich ausmache, die mir zum Beenden des Tages tauglich erscheint. Dieser Fjord ist der letzte an meiner Strecke, die jetzt straff Richtung Finnland zeigt und deshalb möchte ich unbedingt an ihm übernachten. Sozusagen Abschied nehmen von der Barentsee, den Fjorden und der rauhen, hügelig-bergigen Welt hier oben. Auf einem schmalen Pfad kann ich sogar mit dem Rad bis an einen ausgezeichneten Platz herunterfahren, wo der Lärm von der Straße nicht mehr wahrnehmbar ist und in Nullkommanix ist das Gemach hergerichtet. Auch wenn es noch gar nicht so spät ist, wird es doch bis eins in der Nacht dauern, bis ich noch einen Spaziergang entlang des Salzwassers und meinen Frieden hier gemacht habe. Heute fällt mir dabei wie schon die letzten Tage wieder etwas mehr auf, dass es nicht mehr diese akute Helligkeit durch die Nacht ist, sondern die Himmelskörper unaufhaltsam ihre Runden drehen.Read more

  • 6. August

    August 6 in Finland ⋅ ☀️ 16 °C

    Ist doch schon ein Ding, wie sich so manches zuträgt. Mir klingelt von gestern noch von irgendwem in den Ohren, wir täten wohl Regen kriegen. Meine Windows-App, sprich der Blick aus dem Fenster und ein Schauer in den frühesten Morgenstunden bestätigt mir das im Großen und Ganzen. Und da sich Klärchen mit dem Weckdienst für mich in den letzten Tagen ja dermaßen verausgabt hat, hält sie sich heute zurück. Damit ich Langschläfer aber nicht komplett den ganzen Tag hier am Fjord rumliege, schicken Sie mir um Punkt acht einen aus der Rentierarmee. Schön mit Glocke um den Hals pimmelt der mich raus und der Tag nimmt seinen Lauf. Schöne volle dunkelgraue Wolken ziehen da über die Berge hinterm Bach her, trotzdem ist es angenehm warm und so ist das Frühstück eine schnelle Sache draußen vor dem Zelt. Schon anderthalb Stunden später schiebe ich das voll bepackte Rad den kleinen Rentierpfad wieder die Böschung hoch Richtung Straße, um die letzten 10 km am Fjord entlang zu radeln und nach nochmal so vielen werde ich die finnische Grenze erreichen. So dunkel und vielfältig kaschiert diese Wolken auch aussehen, leuchtet doch zu meiner linken einiges Blau oben am Himmel. Gute 20 Minuten später meine ich, das Ende des Fjords schon so gut wie erreicht zu haben, angesichts der Ebbe sind große Sandbänke freiliegend. Ich steige extra auf einen Hügel neben der Straße, um das von hier oben aus zu betrachten, ja ein letztes Mal aufs Meer zu schauen. Als ich weiterfahre, überholt mich kurz darauf hupend der Althippie Lothar von gestern. Es braucht von hier aus aber noch weitere zehn Minuten, bis ich tatsächlich das Ende des Munkefjord erreicht habe. Das Wasser hat sich über mehr als einen halben Kilometer zurückgezogen, da dieser letzte Ausläufer relativ flach ist. Zur Zeit der Ebbe sind diese Bereiche wenig ansehnlich und locken schon gar nicht zum Baden. Mich aber springt diese letzte Chance so sehr an, dass ich mit dem Fahrrad augenblicklich in den gut 1,50 m tiefen Graben brettere, es dort abstelle und ohne lange zu überlegen über krautigen Grund in die Richtung laufe. Ich muss in dieses Wasser! Der Fjord ist hier einen guten Kilometer breit und es passiert jetzt in einer merkwürdigen Art etwas, das ich nicht gut beschreiben kann. Ich marschiere stracks durch den Schlick Richtung Wasser, würde mir am liebsten alles runterreissen. Erreiche das flache Wasser und laufe und laufe immer weiter hinein. Bin wie geflasht und merke, dass irgendwas ganz außer der Reihe mit mir passiert. Mir laufen die Tränen übers Gesicht, ich erinnere mich nicht, wann ich das mal hatte. Das Wasser ist und wird mir überhaupt nicht kalt, es geht immer weiter, lediglich das Telefon nehme ich irgendwann aus der Hosentasche in die Hand, weil das Wasser inzwischen bis zum Bund reicht. Es fühlt sich an, als könnte ich komplett einmal bis zur anderen Seite durchlaufen. Was ist das…? Ich glaube, ich habe mich verliebt in all das schöne hier oben und muss jetzt loslassen. Ein unfasslich aufwühlendes Gefühl für mich. Nach weit über der Hälfte wird das Wasser irgendwann zu tief, als dass ich das alles noch kontrollieren könnte und angesichts von drei Metern Tidenhub und keiner richtigen Ahnung von den Zeiten der Gezeiten kehre ich wieder um. Beruhige mich auch langsam wieder und komme klar, aber es braucht auch eine Weile, sich laufend durch das Wasser zu schieben. Puh……. Was war das denn? Die letzten Tage habe ich schon an bestimmten Stellen sehr emotional empfunden und sie haben mich positiv mitgenommen, das war wohl jetzt der große Ausbruch. Aber jetzt fühle ich mich auch gut, diese wunderschöne Gegend zu verlassen, die mich so gebannt hat. Eine Stunde ist jetzt locker rum, ich mache mich aus dem Graben raus wieder auf die Straße. Es rollt sich sehr gut und so sehe ich schon bald von der E6 aus den Neidenelva beim gleichnamigen Ort Neiden. Hier gibt es das dörfliche Ä´vv Skolt Sami Museum, das diverse Gebäude und die St. George’s Kapelle aus 1565 ausstellt. Von da aus gehe ich gleich zu Fuß noch ein paar Meter weiter zum Fluss und sehe schon aufwärts hinter der Brücke eine Stromschnelle, die ich kurz darauf am Weg aufsuche, als ich auf den Finlandsveien 92 abgebogen bin. Auf dem kurzen Fußweg dahin habe ich plötzlich ein heftiges Stechen am Zeh, statt hier unzählig erwarteter Mückenstiche hat sich ausgerechnet eine Biene des „Allemannsretten“ in meinen Crocs bedient und zumindest aus ihrer Sicht alles gegeben. Ich patsche eh durch diverse Wasserlöcher und so ist dieser Stich schnell vergessen. Gegen halb eins fahre ich nach einer Steigung weg vom Fluss immer dichter auf ein Regengebiet zu, die Schlieren voraus sind unübersehbar, ich hoffe auf einen Unterstand oder vielleicht den Grenzübergang. Immerhin die Zollkontrollstelle gute 5 km vor der eigentlichen Grenze erreiche ich noch „pünktlich“, nachdem ich jetzt schon seit 10 Minuten in strömendem Regen gefahren bin. Ein finnischer Zöllner winkt mich schon herein, als ich draußen die wichtigsten Sachen noch wegpacke. Drinnen soll ich mich erst mal trocknen und komme dann mit ihm und auch seinen norwegischen Kollegen ins Gespräch, während ich darauf warte, dass der Regen aufhört. Da nicht viel los ist, setzt er mir erst mal einen Kaffee an und nach einer knappen Stunde breche ich nach wohlwollend interessanten Gesprächen von hier wieder auf. Um kurz vor halb zwei habe ich dann die tatsächliche Grenze von Norwegen nach Finnland erreicht, Kontrollen gibt es hier eh nicht und so rolle ich nach Lappi Sápmi, dem „Land der Samen“ in der Region Inari ein. Der Regen hat schon kurz vor der Einreise wieder begonnen, dieses Mal habe ich mir zumindest die Regenjacke übergezogen. Es kommt jetzt alles runter, was nicht oben angenäht ist, ich bin dabei völlig selig und genieße die Fahrt. Schon wenige Kilometer nach dem Grenzübergang kommt der Ort Näätämö, ja bitte richtig und am Stück aussprechen! Hier gibt es einen kleinen gemütlichen Supermarkt, in dem auch verschiedene Gerichte von einem Fleischer zum Direktverzehr angeboten werden. Mich reizt eine Hähnchenkeule mit überbackenen Kartoffeln, es ist sehr angenehm zu sehen, dass die Preise in diesem Land doch verträglicher erscheinen als noch im letzten. Während ich hier eine gute Stunde zubringe, hat der Regen Zeit, über einen Nachlass zu sinnieren. Erfolgreich, wie sich dann zeigt. Geradezu klischeehaft bestätigt sich mir ab jetzt all das, was ich von Finnland gehört habe und wie es in meinem Kopf auch ungefähr existiert: Die Berge werden zu gerade noch leicht rundlichen, bewaldeten Hügeln und wenn eins am Straßenrand nicht fehlen darf, dann ist es hier und da mal ein Rentier, viel wichtiger aber ein See. Es ist tatsächlich exakt das, was ich für den Rest des Tages sehr angenehm wahrnehme. Das ewige Auf und Ab in Norwegen legt sich jetzt in ein fast ebenes Profil, auf dem ich die meiste Zeit kaum unter 25 KMH bin. Und tatsächlich immer und immer wieder zieht sich die Straße in leichten Bögen um Seen, gleichermaßen rechter und linker Hand. Gegen fünf kündigt mir ein Schild in Sevettijärvi ein weiteres Museum an, dass aber um diese Zeit schon geschlossen ist. Ein paar Holzhütten und ein hölzernes Boot im Außenbereich sehe ich mir noch an, um dann aber auch dank immer mehr werdender Moskitos zurück zum Parkplatz zu gehen. Hier treffe ich auf Martin, einen fliegenden Holländer auf dem Motorrad, mit dem ich ins Gespräch komme und mich recht lange sehr gut unterhalte. Nebenbei kommen drei Rentiere aus der Nähe, wo sie ein Sami zwischendurch mit etwas Futter angelockt hatte, immer wieder zu uns und sind am Ende ganz ohne Scheu direkt bei uns. Nach einer knappen Stunde mache ich noch den kurzen Abstecher auf der anderen Seite der Straße zum See, wo das Wassertaxi geparkt ist. Aufgrund der unzähligen Seen macht ein solches Flugzeug hier natürlich Sinn. Für heute ist es aber laut Martins Aussage schon zu spät, sonst hätte er selbst auch noch eine Runde drehen wollen. Ich ziehe inzwischen weiter und orientiere mich ganz langsam nach einer Stelle zum Übernachten. Der Himmel baut vor mir massivste und wirklich imposante Quellwolken auf, aus denen immer wieder Donner zu hören ist, während der Rest des Himmels komplett blau macht. Einen Platz, an dem eine Reihe Wohnmobile stehen, schlage ich zwecks eleganter Zeltmöglichkeiten aus und fahre damit direkt in die Front hinein. Schnell noch die Regenjacke drüber und rechts wirkt ein Grundstück so, als wäre es für mich geeignet. Da ein Wohnhaus darauf steht, an dem sämtliche Vorhänge zugezogen sind und es irgendwie tot wirkt, klopfe ich pro forma an der Tür, um mir ein Okay zu holen. Just in diesem Moment setzt heftiger Regen ein und ich hole das Fahrrad noch zwei Stufen hoch direkt vor die Haustür unter ein Vordach. In diesem Moment ist hinter einem der Vorhänge auf einmal kurz ein Gesicht zu sehen und die Tür geht auf. Ein irgendwie für mich sehr seltsam aussehender Mann guckt mich groß an, kann aber kein Wort Englisch und im Finnischen habe ich noch so meine Defizite, kann also gar nichts. Ich gebe ihm zu verstehen, dass ich nur den Schauer abwarte und dann weiterfahre. Da er aber so spooky auf mich wirkte, helfe ich dem Muli die zwei Stufen wieder runter und gebe ihm die Sporen. Da der Regen nun eh voll im Gange ist, spielt es auch keine Rolle mehr, wie weit ich da durch fahre. Aber allzu lange dauert es nicht mehr und ich biege noch einmal nach rechts von der Straße zum Välijärvi ab. Das Zelt ist in wenigen Minuten in strömenden Regen aufgestellt, als alles angerichtet ist, ist der Regen vorbei und ich kann mich gegen acht im Zelt vor den Blutsaugern abducken. Die Zeit ist natürlich seit dem Grenzübertritt um 1 Stunde voraus gestellt, das bringt mich völlig aus dem Konzept. Das Telefon macht diese Umstellung allein, mein Fahrradcomputer bleibt, wie er ist und wenn es nach mir geht, möchte ich auch für die paar Tage in diesem Land diese Umstellung ignorieren. Spätestens am Supermarkt werde ich da aber im Zweifelsfalle in der Bredouille sein.Read more

  • 7. August

    August 7 in Finland ⋅ ⛅ 15 °C

    Wie erwacht man in Finnland? Man macht die Augen auf. Ich halte mich am Morgen an diese Anleitung und schon geht’s los. Vereinfacht wurde das Ganze durch einen Schauer und mächtig auflebenden Wind aus Süd, der mir vom See her ins Gebäude bläst. Ich setze extra für die Frühstückszeit noch ein paar Sturmleinen, weil es doch feste zerrt. Danach gehe ich aber erst mal ganz gepflegt schwimmen und bis nach dem Kaffee ist auch alles wieder trocken. Jetzt heißt es alles hurtig einzupacken, denn dicke Wolken in wirklich allen, allen Schattierungen stehen am Himmel bereit. Welcher davon kann ich trauen, welche kann was für sich behalten? Also straffer Wind aus Süd, ist doch genau in Richtung… meines Gesichts. Bravo, so habe ich den gesamten Tag Zeit, mich daran zu ergötzen und meine Geschwindigkeit im gedrosselten Bereich zu halten. Auf der Straße ist alles weiter so, wie es gestern aufgehört hat. Wald, Wald, meistens Kiefern und teilweise Birken auf sandigem Boden und noch etwas Wald. Hier und da ziehen sich die unendlich vielen Seen und Tümpel auch bis an die Straße ran, aber schon ein Waldstreifen von 20 m dazwischen lässt kaum noch was davon erkennen. Und so schön die Seen dann und wann auch anzusehen sind, ist das Fahren durch diese stundenlang einheitliche Baumtapete eintönig. Selten mal stehen einzelne Häuser an der Straße, Menschen bekomme ich überhaupt nicht zu Gesicht. Immerhin treffe ich nach 10 km Martin von gestern noch mal an, er ist auch gerade am Zusammenpacken und offensichtlich ja nicht viel weitergekommen als ich. Die Wolkenberge verändern sich den ganzen Tag über, der Wind bleibt ziemlich unverändert heftig von vorn. Das eine oder andere Mal ziehe ich mir die Regenjacke über, um bei den vorüberziehenden Schauern nicht komplett durchzuweichen. Ich ziele heute auf das knapp 100 km entfernte Inari ab, der Weg zieht sich in mehr oder weniger dichtem Abstand am Inarijärvi (Inarisee) entlang, Finnlands drittgrößtem mit über 1000 km². Er besteht aus Unmengen von kleinen Inseln und Verzweigungen, also nicht ein großes zusammenhängendes Stück Wasser, wie man sich einen See normalerweise vorstellt. Der Wind nimmt im Laufe des Tages noch mehr zu, meine Sattelstütze fängt nach gut zwei Tagen langsam wieder an zu quietschen, ein Bad in diesem See lasse ich dann doch bleiben, da der Grund mit großen, runden, rutschigen Steinen gepflastert ist. Sobald ich mich nicht ausreichend bewege, sitzen die kleinen Moskitos an mir. Selbst Telefonate halte ich während der Fahrt, dann jucken sie nicht so. Irgendwie ist das hier nicht meins. Keinerlei Inspiration, kein Gespräch, nur stupides Verfolgen des Strassenlaufs. Gegen halb sechs komme ich an die Kreuzung der E75, die von Utsjoki hierunter kommt. An sich würde ich ihr von hier aus weiter in den Süden folgen, habe mich aber zu einem Kurswechsel entschieden und schwenke rechts, um nordwestlich in Norwegen über Karasjok und Kautokeino Richtung Schweden zu fahren. Ob das besser ist, werde ich sehen. Aber es ist ja für mich auch kein Wettrennen, bei dem es um die Spitzenzeit von A nach B geht. Der EuroVelo13, der so genannte Iron-Curtain-Trail (Eiserner Vorhang), von Kirkenes bis zum Schwarzen Meer ist im Großen und Ganzen der, den ich komplett verfolgen will. Bis eben habe ich das auch getan, aber da die Grenze der Finnen zu den Russen ohnehin komplett geschlossen ist und eben diese Landschaft mich nicht anspricht, habe ich schon ziemlich lange geplant, alternativ dazu in Norwegen und Schweden bis in den Süden zu fahren, um dann von Stockholm über Helsinki aus wieder aufzugleisen. Für einen Umweg bin ich doch gerne zu haben. Das alles mache ich aber nicht mehr in diesem Jahr. Kaum bin ich also heute Richtung Norden abgebogen, habe ich den Wind im Rücken und fliege für die nächsten vier Kilometer in Richtung eines kleinen Campingplatzes in Kaamanen, auf dem ich für meine Verhältnisse ja sehr feudal eine kleine Holzhütte für die Nacht nehme und am Abend in dem kleinen Restaurant einen großen Salat. Die A nach B-Sprinter treffe ich draußen vor der Hütte an: Es läuft gerade ein Radrennen von Italien bis zum Nordkap. 4000 km sind in gut 13 Tagen zu bewältigen, es hat sich ein Feld von 350 Startern aufgemacht, in Berlin kamen noch mal 150 dazu. Um so etwas mache ich gerne einen großen Bogen, zolle den Kämpfern für ihre täglichen circa 300 Kilometer aber größten Respekt. Und soeben erfahre ich, dass das seit Jahren geplante und vorbereitete Versetzen der hölzernen Kirche in Kiruna um einige Kilometer just in anderthalb Wochen passieren soll. Dass dieses weltweit aufsehenerregende Spektakel jetzt im Sommer stattfinden soll, weiß ich schon lange, nur der Termin stand im Winter, als ich vor Ort war, noch nicht fest. Dieses Highlight möchte ich besuchen und werde das in der mir verbleibenden Zeit wohl auch gut schaffen. Wenn ich jetzt schlafe.Read more

  • 8. August

    August 8 in Finland ⋅ ☀️ 20 °C

    Frühstück! Heute Morgen backe und koche ich mal nicht selbst, habe mich hier zum Frühstück eingeschrieben. Ab um acht kann ich da vorsprechen und nachdem ich schon gegen sieben aufgestanden bin, beräume ich die kleine Stube. Beim Rausgehen, um am Fahrrad die Sattelstütze wieder zu montieren, passiert der Klassiker: Mann raus, Schlüssel drin, Wind rein, Tür zu. Beim Zelt ist mir das noch nie passiert. Gut, dass ich nicht ganz nackt da rumstehe. Die junge Dame mit der sexy Zahnlücke von der Rezeption hilft mir aus der Misere und so sitze ich dann um kurz nach acht und bediene mich am Frühstücksbuffet. Nur erst mal ohne Kaffee, da ich den rundherum nicht finde. Aber ja, vorn an der Rezeption wird scheinbar mehr davon konsumiert, also kann ich mich dort bedienen. Während ich das hier drin genieße, draußen ist blauer Himmel und bester Sonnenschein, kommt eine Frau herein mit exakt den selben Absichten wie den meinen, auch sie scheitert derweil am schwarzen Gold. Ich kann es ihr ansehen und deute freundlich die Richtung, wo sie fündig wird. Darüber kommen wir ins Gespräch, es ist Minna aus dem Süden von Finnland, die so wie ich auch gerne wandert und Rad fährt. Und bei jeder sich bietenden Gelegenheit hier hoch in den Norden kommt, die Region kennt und Verständnis dafür hat, als ich ihr von meinem gestrigen Tag erzähle. Gleichzeitig aber ausdrücklich die Strecke zwischen Inari und Ivalo empfiehlt, die wäre ganz anders als das bisher gesehene. Gestern war ich nicht mal mehr bereit, die 20 km nach Inari zu machen, das wären jetzt gute 70. Da ich bei dem, was sie sagt, ein sehr gutes Gefühl habe und mir ja gern Flausen in den Kopf setzen lasse, werde ich das heute machen. Es ist insgesamt ein langes und sehr angenehmes Erzählen mit ihr, ich fühle mich schon jetzt völlig anders und meine Laune ist wieder da, wo sie normalerweise in dieser schönen Welt ist. Irgendwann eisen wir uns los und ich packe noch fertig, wir laufen uns noch einmal über den Weg und brauchen wieder eine ganze Zeit, bis ganz vieles gesagt und erzählt ist. Nachdem ich geduscht habe, treffe ich in einem kleinen Gemeinschaftsraum Elina, die mich fragt, ob ich denn auch wegen des Blues Festivals hier wäre. Das Schild habe ich wohl wahrgenommen, ihm aber weiter keine Beachtung geschenkt. Sie erzählt mir davon, dass es eine schöne, heimelig finnische Atmosphäre ist, macht mir also wirklich den Mund wässrig. Und da es heute und morgen Abend ist, könnte ich, ohnehin wieder auf dem Rückweg hier entlang, dabei sein. Das ist so schön, das Puzzle setzt sich langsam aus Teilen zusammen, die ich durch Kontakt mit Leuten erhalten habe. Ich freue mich auf den Tag, bei all dem Quatschen ist es inzwischen halb zwölf geworden. Nun aber los. Yes, das fühlt sich gut an. Ich bin mal wieder begeistert, wie einfach ein paar so guter Gespräche und Inspirationen die Laune und den ganzen Tag verändern können. Schon das erste, was mir beim Fahren auffällt, ist die andere Sicht. Diese Straße ist eine Europastraße, sowas wie ein Highway durchs Land, an dem beidseitig die Bäume auf 10-12 m Breite entfernt sind, um die vielen Rentiere und Elche frühzeitig wahrnehmen zu können. Und genau das macht ein ganz anderes Bild, ein so breiter Ausschnitt, der nicht wie gestern diese Art Tunnelweg macht. Der Wind ist nur noch schwach von vorn und so habe ich nach gut anderthalb Stunden schon fast Inari erreicht. Kurz vor dem Ort sehe ich auf der anderen Straßenseite auch Richtung Süden jemanden gehen mit einem langen Wanderstab, da muss ich doch kurz mal Hallo sagen und nach dem Weg fragen. Es ist Ignaz, ein polnischer Priester, der vom nördlichen Ende Finnlands nach Helsinki pilgert. Da er gerade telefoniert, ist es nur ein kurzer Talk und ich erreiche kurz darauf schon Inari, was mich mit einem großen Sami-Museum erwartet. Gerade das Fahrrad abgestellt auf dem Weg Richtung Eingang kommt mir Minna entgegen. Sie war ja um die selbe Zeit wie ich, aber mit dem Auto in diese Richtung aufgebrochen. Also haben wir noch einmal Zeit, ein wenig zu erzählen. Der Besuch im Museum dauert gut und gerne 3 Stunden, es ist das schönste, informativste und umfangreichste Museum, dass ich in den ganzen Wochen besucht habe. Ich finde mich beim Rundgang an so vielen Stellen wieder in der Zeit, die ich im Winter im Norden gelebt habe. Gegen halb fünf mache ich mich wieder auf aus der Stadt raus, es reizt mich aber bei diesem tollen Wetter ein Bad im Inarijärvi, das mir gestern ja verwehrt blieb. Ich biege einfach links von der Straße in eine der vielen Schotterwege ab, folge ihm aufs Geratewohl. Immer wieder Häuser und Grundstücke, an denen ich keinen Zugang zum Wasser habe. Bis zum Ende hoffe ich, eine freie Stelle zu finden, aber das Ende des Weges selbst ist wieder ein bewohntes Grundstück, unschwer an drei Autos und Unmengen von Hausrat rundherum wahrzunehmen. Einige Meter entfernt sehe ich aber einen hölzernen Steg ins Wasser. Da lass ich mir doch nix im Halse kratzen, die Mühe soll nicht umsonst gewesen sein und ich bin in 1 Minute nackt dabei. Erst ganz nach Vorschrift eine Zeit lang richtig geschwommen liege ich jetzt auf dem Rücken im Wasser und lasse mich einfach treiben, kann dabei natürlich dank der Ohren unter Wasser höchstens die Fische husten hören. Meine Vermutung ist, dass der Grundstücksbesitzer schon eine ganze Weile vorn am Steg gestanden, vielleicht auch gerufen hat, bis ich ihn irgendwann wahrnehme. Auf die Frage, ob das Baden hier okay ist, kriege ich ein deutliches „No! It’s private property.“ Gut, gut, meine Hände sind eh schon fast schrumpelig, da schleiche ich mich doch gern. Im Laufe des Tages halte ich heute etliche Male an, um zu fotografieren oder einfach zu genießen. Die Landschaft ist etwas hügeliger geworden, auch das ändert das Bild ungemein gegenüber flach in flach. Schon wieder ein Fußgänger entlang der Straße, der gerade hier an mir vorbeikommt, als ich ein Foto gemacht habe. Wir kommen ins Gespräch, es ist Pavel, er ist ein Freund des Priesters von vorhin. Er erzählt mir, sie seien eine Gruppe von fünf Polen, die jetzt gerade Finnland, vorher aber auch schon viele andere Länder weltweit bekreuzigt haben. Also vom Norden Richtung Süden eine lange Strecke machen und eine kürzere entsprechend eines Kruzifix von Westen nach Osten. Haben ein Auto dabei, dass immer abwechselnd einer für eine Strecke fährt, abstellt und weiterwandert, bis es einer der anderen erreicht und das Spiel fortführt. Was ist nicht alles so gibt! Als ich gerade den Helm wieder aufhabe und meine Kupplung fast am Schleifpunkt ist, ruft Pavel noch einmal und kommt zu mir gelaufen. Drückt mir ein Armband in die Hand mit all seinen guten Wünschen und dass er für mich betet. Ich bin total perplex, das ist für mich kaum zu glauben. Habe ich doch tatsächlich gestern ein Armband verloren, dass mir extrem wichtig ist und dadurch ein Teil des traurigen Tages war. Er muss weiter, ich stehe eine ganze Zeit lang da und versuche es zu begreifen, fühle mich wirklich gesegnet. Im Laufe des Tages werde ich die beiden jeweils noch mal antreffen und schenke ihnen eine meiner Muscheln, die ich ganz oben im Norden am Eismeer gefunden habe. Ich möchte ihnen irgendetwas zurückgeben. Gegen halb sieben erreiche ich Karhunpesäkivi, das mir Minna empfohlen hatte. Es ist der Bärenhöhlenstein. Der Name leitet sich von einer alten Geschichte ab, wonach ein Mann, der im Schnee verloren ging, in der Höhle Schutz suchte und dort mit einem Bären aufwachte. Unten am Parkplatz sitze ich erst mal mit einem Fernradler aus Tschechien zusammen, er kocht sich etwas. Ich mache mir auch einen Kaffee und esse ein wenig dazu. Wir beide kratzen alle vorhandenen Sprachreste aus Deutsch, Englisch, Russisch und Tschechisch zusammen, um einen zwar merkwürdigen, aber ebenso bemerkenswerten Konversationseintopf zu kochen. Dann geht es für mich ein paar hundert Holzstufen im Wald hoch entlang etlicher Findlinge auf den Aussichtspunkt. Von hier habe ich einen weiten Blick über die Hügel auf einen kleinen Teil des Inarisees. War der Tag gestern nur karger Lohn für harte Frohn, hat es sich heute komplett gewendet und ich werde beschenkt in jeder Hinsicht. Gegen halb neun habe ich dann Ivalo erreicht, besorge aus dem Supermarkt noch ein paar Sachen und mache mich auf den Weg wieder rauswärts, um am Fluss Ivalojoki einen Platz für die Nacht zu finden. Dabei treffe ich noch ein paar Locals an, auch hier ist eine halbe Stunde zu quatschen gar nichts. Und so habe ich um elf direkt am Fluss und mitten auf dem Schneemobil-Winterweg ein feines Plätzchen gefunden. Es ist einfach schön hier.Read more

  • 9. August

    August 9 in Finland ⋅ ☀️ 20 °C

    Der Endless Summer nimmt kein Ende. Strahlender Sonnenschein auch an diesem Morgen hier am Ivalojoki, der mich direkt zum Baden einladet. Etwas über die Hälfte rüber auf die andere Seite geschwommen fühle ich, dass die Strömung doch ziemlich stark ist und ich nicht dagegen halten kann. Also geht es wieder zurück, ich lande aber an einer etwas anderen Stelle, als ich gestartet bin. Während des Frühstücks kommen ein paar Leute im Kajak vorbei, sie leben hier in Ivalo und wir unterhalten uns ein bisschen. Gleichzeitig höre ich immer wieder in einige Entfernung aus der Stadt einen Sprecher, der natürlich auf Finnisch irgendwelche Sachen kommentiert. Das wird wohl die Vereidigungszeremonie sein, von der ich gestern gehört habe. Dass ich da heute mal vorbeigucke, versteht sich. Also rolle ich die paar Kilometer in die Stadt zurück, es sind schon viele Leute zu Fuß unterwegs in Richtung des großen Sportgeländes, auf dem ich gerade während der Zeremonie dazustoße. Es sind gut 1000 junge Soldatinnen und Soldaten, die für ihren Wehrdienst vereidigt werden. Dazu Familien, Angehörige und schaulustiges Volk, insgesamt circa 5000 Menschen, wie mir eine Polizistin erzählt. Ein beeindruckendes Szenario. Dabei ist es inzwischen halb zwölf geworden, ich bin noch ohne Frühstück und da das Militär für die Menschenmenge die Feldküche angeworfen hat, bediene ich mich hier eines Tellers vorzüglicher Erbsensuppe und etwas zum Trinken. Gegen zwölf ist der große Akt beendet und ich breche auf, die siebzig Kilometer wieder zurück nach Kaamanen anzutreten. Das Wetter ist prächtig und rückwärts auf einer schon mal gefahrenen Strecke fährt es sich gefühlt immer schneller als hinwärts. Gegen eins am Ukonjärvi halte ich zu einer Pause an und wie ich mit den Füßen im Wasser sitze, sehe ich ein Wassertaxi nicht sehr weit entfernt gerade seinen Liegeplatz verlassen. In der folgenden Stunde sehe oder höre ich es über dem See immer wieder aufsteigen und hoffe, dass es doch bald zurückkommt, um mal nach einem Mitflug fragen zu können. Als das tatsächlich nach einer guten Stunde der Fall ist, erklärt mir der Fluglehrer, dass sein Schüler gerade Übungsflüge mit den Wasserkufen gemacht hat, um eine bestehende Lizenz zu erweitern. Bezüglich meines Wunsches fragt er nach, ob es heute Nachmittag noch weitere Flüge geben wird, muss das aber leider verneinen. Da war ich also nur etwas zu spät, sonst wäre der Ausblick von oben aus seiner Sicht kein Problem gewesen. Gemütlich und mit der einen oder anderen weiteren Pause schnüre ich über den ganzen Nachmittag zurück. Gegen halb sieben erreiche ich wieder den kleinen Campingplatz, auf dem ich mich ab um acht auf den Blues-Abend freue. Draußen auf dem Parkplatz fällt mir schon aus einiger Entfernung ein alter Lada auf, wie ich sie hier hin und wieder mal sehe. Es ist ein estnisches Paar, das hier mit einigen Freunden unterwegs ist, wie sie mir erzählen. Ich richte mich jetzt erst mal häuslich ein, dieses Mal im Zelt direkt unten am Fluss Kaamasjoki. Eine Dusche und ein kleines Mützchen voll Schlaf später bin ich dann in den Räumlichkeiten, wo schon etliches Publikum da ist, während die Band „Dr. Wessel“ spielt. Ich finde mich bei Elina und ihren Freunden ein, so liebenswerte und verrückte Leute aus Nokia. Dass viel von der Musik in finnisch gesungen wird, natürlich auch hier rundherum nur diese für mich völlig unverständliche Sprache gesprochen wird, ändert nichts daran, Stück für Stück ein Teil dieser lustigen Gemeinschaft zu werden. Was ich als erstes lerne: „Kippis!“, das verbindet doch unheimlich schnell. Im Laufe des Abends lerne ich noch eine ganze Reihe von Leuten kennen, Locals und Finnen im Allgemeinen, für die diese Veranstaltung einmal im Jahr ein Highlight ist. Aber auch einen jungen Geistlichen aus Serbien, den ich dank seiner Kippa erst aus Israel wähnte. Ein ziemlich durchgeknallter, der auf einer merkwürdigen Reise ist und jetzt aktuell Richtung Svalbard zielt, dem einzigen Ort der Welt, wo er ohne Visum arbeiten und leben kann, wie er sagt. Eine derjenigen von hier ist Nora, eine junge Künstlerin, mit der ich mich sehr lange und gut unterhalte. Sie ist eine sehr interessante Persönlichkeit, die mir auf angenehme Art so viel von hier vermitteln kann. Also insgesamt ein wirklich gelungener Abend, der mir bei Rock’n’Roll und Bier die Finnen so viel näher bringt und irgendwann zwischen zwei und drei ein Ende findet, als der Ausschank schließt und sich die wilde Meute auflöst.Read more

  • 10. August

    August 10 in Finland ⋅ ⛅ 17 °C

    Ein Sonntag nach so einer Nacht startet mit einem Hangover. Zumindest für den einen oder anderen, wie ich am Morgen höre. Ich habe zwar auch etwas länger ausgeschlafen, bin aber frei von jeglicher Pein und kann nach einem gemütlichen Frühstück und dem einen oder anderen Schwätzchen gegen zwölf losmachen. Mein Ziel ist heute Karigasniemi, dieser für mich so russisch klingende Ort an der Grenze zu Norwegen. Gute 70 km sind zu fahren, meine Tour nimmt mehr und mehr die Form eines Rundkurses an, geht es doch jetzt straff Richtung Westen und als ich kurz nach dem Aufbrechen die E75 auf die Inlandsstraße 92 verlasse, wird mir auch schon wieder das Nordkapp in gut 350 km ausgewiesen. Wenig Verkehr auf der Straße, dafür schon nach kurzer Zeit wieder mehr und mehr hügeliges Land. Auch wenn das schwerer zu beackern ist, habe ich doch mehr Freude an den weiteren Blicken und Aussichten über die grünen und in dieser Gegend noch immer bewaldeten Hügel. Diese Ruhe am Sonntag nutzen auch einige Bauarbeiter, um auf dieser Straße auf mehreren Kilometern Länge zu arbeiten. Ich dagegen arbeite mich in kleinen Gängen immer wieder die Hügel hoch, um dann für mehrere hundert oder noch mehr Meter auf der anderen Seite abzufahren und das Spiel von neuem zu beginnen. Dabei überholt mich auch heute wieder der eine oder andere Rennradler, es sind weiterhin viele Teilnehmer des Nordkapp-4000-Rennens unterwegs. Einer davon ist ein Malaysier, der auf einem gar nicht so sportlichen Rad unterwegs ist, ein offensichtlich recht altes Modell mit einem Stahlrahmen, das also eher die Tauglichkeit zum gemütlichen Reiserad hat. Er begleitet mich eine Zeit lang und ist scheinbar auf der Suche nach seinen Freunden, wohl nicht ganz sicher darüber, ob sie schon vor oder noch irgendwo hinter ihm sind. Lost in the Middle of Nowhere. Gegen halb zwei versuche ich mich in einem See in praktischer Erfrischung, scheitere aber an seiner Flachheit und lasse es damit bei ein paar abgekühlten Stelzen. Tolles Wetter, weite Sicht, hier und da ein paar Rentiere, ich bin völlig zufrieden und brauche bis auf ein paar kleinere Naschereien zwischendurch nicht mehr. Bei einer weiteren Pause treffe ich den Belgier Fred, an seiner Startnummer unschwer auch den Rennern zuzuordnen. Der mich aber deutlich darauf hinweist, dass das gar kein Rennen oder Wettkampf ist, sondern nur ein Event. Es gibt keinen Gewinner und die Veranstalter möchten ausdrücklich nicht, dass auf Teufel komm raus da hoch gerast wird. Von daher zieht sich das Feld der Fahrer auch soweit auf, dass zwischen zwei und drei Wochen vergehen, bis die letzten ankommen werden. Und da es in Italien gestartet ist, verstehe ich heute auch, warum ich in den letzten Tagen Unmengen von italienischen Wohnmobilen hier fahren sehe, teilweise im Tross mit 10-15 Fahrzeugen. Es sind wohl Angehörige und Freunde, die die Radlertour und das Abholen ihrer Liebsten in dieser Art kombinieren. Je länger sich der Tag zieht, desto bergiger wird es, auch wenn wir noch lange nicht von Bergen wie an der Westküste sprechen, aber immerhin werden die Blicke immer weiter und die Steigungen vor dem nächsten Gefälle kündigen Gutes an. Ab acht Prozent wird per Schild darauf hingewiesen, sonst würde ich es wohl manchmal gar nicht so merken. Gegen sechs habe ich dann den Grenzort mit der Zollstelle erreicht, orientiere mich erst mal nach dem für mich unerwartet geöffneten Supermarkt und wo ich vielleicht etwas zum Schlafen finde. Und dann ist da auch noch die kleine Kunstausstellung, von der mir Nora gestern erzählt hat und wo sie selbst einige ihrer Werke ausstellt. Wenn ich schon mal hier bin, will ich das natürlich sehen, auch wenn es vielleicht erst morgen möglich ist. Aus ihrer Nachricht sehe ich dann, dass es gute 15 km außerhalb ist und so mache ich mich auf, diesen schönen Umweg zumindest schon mal in einer Richtung zu befahren. Es zieht sich nämlich die ganze Zeit am Fluss Tana entlang, der kurz nach dem Städtchen aus dem Zusammenfluss von Kárášjohka und dem Inarijoki entsteht und in gut 150 Kilometern Entfernung in den Tanafjorden fließt. Breit und ruhig fließt er in weiten Bögen dahin, seine Ufer sind häufig mit hunderten Meter breiten Sandstränden gesäumt. Gegen acht erreiche ich dieses ziemlich weit außerhalb gelegene Grundstück, es ist ein Bed and Breakfast Hostel, in dem hauptsächlich in einem separaten Nebengebäude diese kleine Kunstausstellung ist. Der Servicemitarbeiter erklärt mir, dass die Räume ohnehin offen sind, ich mich in Ruhe dort umsehen kann. Und bin insbesondere bei Nora‘s Werken von dem mit dem Titel „Lauma“ (Herde) beeindruckt, das ihre Liebe zu den Pferden zeigt, von der sie mir gestern Abend schon erzählt hat. Während ich das tue, kommen nach einiger Zeit zwei Herren dazu, sie scheinen mit alldem vertraut zu sein und als wir ins Gespräch kommen, lerne ich Arto und Mika kennen. Einer ist sowas wie der Manager hier, der andere Komponist und während mir Arto das eine oder andere von hier und auch zur Ausstellung erzählt, spielt Mika auf dem Klavier zu meiner großen Freude. Ich kann wieder mal nicht anders, als daran zu denken, dass das Leben ein großes, niemals fertiggestelltes Puzzle ist, zu dem jeden Tag irgendjemand oder irgendetwas ein oder mehrere Teile dazu bringt. Ich bin noch eine ganze Weile in dieser gemütlichen Atmosphäre und interpretiere ganz für mich selbst, was Leute von hier, aber auch aus dem Irak, dem Oman oder von sonst wo auf der Welt gemalt und hier ausgestellt haben. In einer Gegend, die die Finnen gestern so oft als the Middle of Nowhere bezeichnet haben. Kommt also immer drauf an, von wo aus man es sieht. So gegen halb zehn mache ich mich dann wieder auf den Weg, fahre nur wenige Kilometer zurück und finde dann am Fluss nach etwas Suchen einen schönen Platz direkt neben dem Sandstrand. Auf der anderen Seite des Flusses ist ein Gehöft mit Pferden, die es hier in der Gegend gar nicht so oft gibt. Das soll sicher nochmal ein liebes Zeichen sein.Read more

  • 11. August

    August 11 in Norway ⋅ 🌧 11 °C

    Nach so’ner schönen Sommernacht ist etwas Schlaf noch angebracht. Irgendwie bin ich ja auch ein Künstler. Da ich mir die Rolle im Theaterstück an fast jedem Tag aussuchen kann, habe ich heute das Gefieder des frühen Vogels in der Garderobe gelassen. Schließlich brauchen auch die Würmer als ewige Komparsen mal ihre Ruhe. Mein Innenzelt ist von der Außenseite quasi starbesetzt, ich tue mich schwer, den ersten Schritt raus auf die Bühne zu tun, wo die hungrige Meute geduldig auf mich wartet. Es ist so ein schöner und sonniger Morgen, die Pferde drüben auf der Weide, ein paar Rentiere unweit von mir am Strand liegend und dieser breite Strom, der ohne eine Welle oder ein einziges Geräusch endlos langsam an mir vorbeizieht. Mit den langen Klamotten am Leib wird es schon gehen und ich setze mich einige Meter vom Zelt entfernt auf eine schon ziemlich durchgefaulte Holzpalette, um dort das Frühstück mit Aussicht zu genießen. Auch wenn ich mir ungefähr ausgemalt habe, wo ich jeweils am Ende des Tages hin will, ist es doch eine große Freiheit, das bei Bedarf noch vor dem Mittag zu verwerfen oder zumindest nicht darauf zu beharren. Heute scheint es genau darauf hinauszulaufen, immerhin schmeckt mir der Kaffee hier gerade um zwölf. Na gut, die kleinen Blutrünstlinge helfen mir dann aber doch auf, alles zu packen und zu verstauen. Heute Morgen ein Teil mehr als üblich, am Straßenrand lag gestern Abend eine Isomatte im Packsack, die wohl ein Rad- oder Motorradfahrer verloren hat. Ich will sie bis zum Ort zurück mitnehmen und da sie eine selbstaufblasende ist, habe ich heute Nacht mal getestet, was an diesem Versprechen dran ist. Der Erfolg war überschaubar und ich sehe zu, dass ich sie notdürftig für die paar Kilometer befestigt kriege. Wie ich nach kurzer Fahrt schon feststelle, mag sie wohl gerne allein sein, denn sie hat sich ganz unbemerkt auch bei mir gelöst und liegt jetzt also wieder irgendwo an der Straße und wartet auf den nächsten oder ihren eigentlichen Besitzer. War es den ganzen Vormittag richtig sonnig mit schönen Wolken, fahre ich jetzt doch auf ein Regengebiet zu, wenn ich den Himmel richtig deute. Und tatsächlich schaffe ich es exakt mit den ersten dicken Tropfen wieder am Supermarkt zu sein und dort vor dem Schauer unterzukommen. Ein bisschen frisches Obst und Joghurt sowie ein Kaffee sind da als Zeitvertreib gar nicht schlecht. Von oben wieder trocken setze ich mich raus auf die Holzbank, frage mich, wie weit ich heute überhaupt komme. Und dann beginnt das Spiel, dass ich vor diesen Pilgerstätten schon etliche Male gespielt habe. Da kommt der Italiener Marcello, unterwegs in der selben Art wie ich, mit dem ich mich lange unterhalte, zwischendurch geben sich jetzt immer wieder andere Gesprächspartner die Klinke in die Hand. Ein paar weitere derer, die von Italien da hochkommen, zwei deutsche Bengel auf eigene Faust im Auto unterwegs hier im Norden und siehe da, Arto und Mika von gestern Abend. An Gesprächsstoff fehlt es mir also ebenso wie Muße nicht, den Tag als großen geografischen Distanzsprung habe ich eh längst abgeschrieben. Inzwischen ist es halb drei geworden, wir haben einige Schauer hinter uns und ich entschließe mich zusammen mit Marcello, jetzt Richtung Karasjok loszumachen. Haben wir es bis jetzt geschafft, uns immer beim Schauer im Trockenen aufzuhalten, starte ich mit ihm in strömendem Regen in die nächsten gemeinsamen 2 skandinavischen Meilen entlang des Kárášjohka. Aus dem Ort raus überqueren wir mit dem Inarijoki die Grenze nach Norwegen, beim Fahren zu zweit ist das Tempo eher gemütlich. Obwohl ich das sonst nie mache, schließlich reise ich allein, bin ich die meiste Zeit neben ihm auf der Straße und wir unterhalten uns wunderbar über alles mögliche. Bei diesen Witterungsbedingungen lobe ich mir eine gut funktionierende Lichtanlage sowie einen Spiegel, mit dem ich das Geschehen auch hinter mir im Blick habe. Gegen halb fünf erreichen wir Karasjok, wir freuen uns beide darüber, gerade 1 Stunde geschenkt bekommen und jetzt wieder unsere normale Uhrzeit zu haben, nicht mehr ständig umdenken zu müssen. Schließlich hat keiner von uns den Fahrradtacho oder irgendwelche andere Uhren umgestellt, es lohnt für die kurze Zeit einfach nicht. Ein letztes Foto und dann trennen sich unsere Wege, seiner in Richtung Lakselv und Nordkapp, meiner zielt ab hier Richtung Kautokeino. Das ich aber heute ohnehin nicht erreicht hätte, sondern eher einen Punkt mittendrin. Der Regen hat inzwischen aufgehört, ich versuche nebenbei ein wenig zu trocknen, während ich bei wolkenverhangenem Himmel durch diese sanfthügelige Landschaft reite, die in dieser Art ebenso auch irgendwo in Deutschland sein könnte. Bin also völlig zufrieden mit dem, wie es ist und nun heißt es etwas reinzutreten, diese Landschaft zu genießen und dabei noch ein paar Meter zu schaffen. Eine knappe Stunde später an einem Parkplatz abseits der Straße halte ich an, es gehen hier diverse Wanderwege ins Land und eine kleine Schutzhütte lockt mit einem qualmenden Schornstein. Noch bevor ich soweit bin, kommt schon ein junger Finne auf mich zu und lädt mich ein, doch hereinzukommen. Es sind drei Brüder auf Angeltour, die sich hier ein Feuer gemacht hatten und jetzt gleich aufbrechen wollen. So kann ich mich nach einem sehr netten Gespräch noch ein wenig aufwärmen oder besser gesagt die durchnässten Sachen weiter trocknen. Eine Stunde ist da auch wieder schnell rum, bekomme ich doch nach einiger Zeit Gesellschaft von einem deutschen Paar mit einem Wohnmobil, das schon vor 40 Jahren hier im Norden auch auf dem Radl unterwegs war. Die Landschaft hier ist auffällig sandig, Hügel und kleine Berge sehen tatsächlich aus wie Spielplätze mit Bäumen obendrauf. Wie die über die Zeit so bestehen können ohne einfach mit dem nächsten Regen fortgespült zu werden, erschließt sich mir nicht. Es dürfte so gegen acht sein, die Wolken sehen in der Entfernung extrem dunkel aus, trotzdem ist es trocken und mir geht immer mal wieder durch den Kopf, heute doch einfach durchzufahren. Nicht in 20 oder 30 km anzuhalten und das Zelt aufzustellen, sondern erst in Kautokeino in gut 100 Kilometern. Dieser Ort ist für mich schon ein besonderer, in ihm habe ich letztes Jahr Ende September meine Wanderung beendet. Aber dazwischen liegt ja auch noch etwas Zeit, in der ich mich mehr und mehr der Müdigkeit hingebe und selbst nach dem Sinn frage, warum ich das machen sollte. Auch wenn die Landschaft hier in ihrer Weite so reizvoll ist, mich die Nacht geradezu einlädt, wird all das morgen ebenso da sein. Und so fahre ich, obwohl es gegen Mittag noch völlig anders schien, sogar einige Kilometer mehr als überhaupt für den heutigen Tag angedacht, finde aber nach einem ersten fehlgeschlagenen Versuch gegen halb elf am Vuottašjávri ein feines Plätzchen für die Herberge.Read more

  • 12. August

    August 12 in Norway ⋅ 🌧 11 °C

    Freundlicherweise erst lange nachdem ich mich am Abend im Zelt eingenistet hatte, fing es in der Nacht an, heftig zu regnen. Ohne jegliche Unterbrechung hat es sich bis heute Morgen durchgezogen und macht nicht den Anschein, dass es aufhören will. Da fällt mir die Entscheidung, erst mal abzuwarten und eventuell am Nachmittag irgendwann weiterzufahren, gar nicht schwer. Der Simplon-Fahrer hat also einen simplen Tag. Noch mal die Augen zumachen, irgendwann um die Mittagsstunde rum frühstücken und all die schönen Erlebnisse und Gedanken der letzten Tage mal wieder zusammenfassen, das wird heute alles sein. Ich erinnere mich kaum an einen Tag, an dem es mal so zusammenhängend starken Regen gab. Da ich in einem wasserdichten Zelt liege und mir der Regen nichts tut, ist es fast meditativ, das feine Prickeln selbst der kleinsten Tröpfchen auf der sandfarbenen Außenhaut zu hören und dabei tausenden von Tropfen zuzusehen, wie sie erst zögerlich und dann irgendwann mit großem Schwung den Weg vom Dom herab finden. Fast wie Sternschnuppen schießen sie im Augenwinkel vorbei, noch bevor ich sie wirklich sehen kann. In einiger Entfernung kann ich immer mal etwas helles am Himmel sehen, aber das gilt heute jemand anderem. Und dabei ist es einfach nur ein Regentag. So schön.Read more

  • Wenn's so schön losgeht...
    Sie arbeiten sich Tag für Tag weiter durchs Land...Alle auf Speed heute früh.Heute keine Kartenzahlung!Ein Wegweiser samischer Bauart.Pure Faszination.Der Kautokeinoelva.Rentierpferch.Wie aus dem Bilderbuch.Einer fällt immer aus dem Rahmen.Blick über Kautokeino......und aus der Sauna.Es ist nur noch ein Schritt zu dir selbst...Wirklich schönes Sami-Symbol.

    13. August

    August 13 in Norway ⋅ ☁️ 13 °C

    Ooooh Petrus, das ist nicht gut für deine Blase, wenn du es so lange einhältst. Hat der alte Mann doch wirklich die ganze Nacht durch Besuch von seiner alten Freundin Inkontinenzia gehabt. Mehr als 24 Stunden hat es bis auf eine halbe Stunde durchgehend geregnet, in der Nacht sogar noch deutlich stärker. Respekt. Das Geprassel auf dem Zelt hat mich erst spät schlafen lassen und so ist es schon halb neun durch, als ich heute aufwache. Immerhin, es regnet. Einen Moment die Augen gerollt, dann ein Blick raus. Da hinten ist Azur dabei, sehr beruhigend. Tatsächlich hört der Regen während des Frühstücks mehr und mehr auf, ich bin guter Dinge und würde jetzt eh weiterfahren, egal welcher Segen da niederkommt. Nachdem ich alles vorbereitet habe, schaffe ich es ausgerechnet heute unter diesen Umständen, die straffe Haut des Dachstuhls mit einem Mal trockenzuwischen ohne noch einmal dranzumüssen. Jetzt nichts wie einpacken und los geht’s gegen elf bei 13 Grad. Was ich vor mir so rumschweben sehe, ist durchaus für weitere Wolkenbrüche brauchbar, aber die paar hellen blauen Stellen sagen mir, es wird gut. Und tatsächlich schieben sich unglaublich tolle Formationen von tief dunkelgrauen Wolken durch, die aber immer wieder durchschnitten oder zerrissen sind und das Sonnenlicht dazwischen nicht verbergen können, so sehr sie sich auch mühen. Ich merke, das wird ein echter Panoramatag. Würde mir wünschen, einen Schwanenhals zu haben, weil meiner für die unglaubliche Szenerie nicht ausreichend ist oder ich ständig im Kreis fahren würde. Diese Landschaft Richtung Südwesten mit ihren weichen Formen, so unheimlich weit überschaubar, gesäumt von Birkenwald, auf einigen der Höhen ist es auch nur noch am Boden grün, da die Baumgrenze schon überschritten ist. Immer mal wieder Seen oder ein Fluss, der sie miteinander verbindet. Nun ist mir diese Gegend nicht völlig unbekannt, denn in Kautokeino, dem Ziel des heutigen Ausritts, habe ich letztes Jahr am 25. September meine Wanderung beendet, nachdem der Winter mich einige Tage vorher eingeholt hatte. Aber in diesem Licht und aus dieser Richtung habe ich es natürlich nicht gesehen, umso schöner. Gegen halb zwölf sehe ich schon vom weiten auf dem Vuottašjávri ein Wassertaxi stehen, natürlich biege ich pro forma von der Straße ab, um mal zu sehen, ob hier was los ist. Aber rund ums „Mosquito Air Taxi“ ist Totenstille und extra jemanden anrufen will ich nicht. Es rollt sich heute Morgen übrigens unglaublich toll, die Aufs und Abs der Straße nehme ich nicht als schwierig war, sondern fühle mental enormen Rückenwind. Immer wieder bremse ich aber auch schnell runter und steige ab, um ein Foto zu machen. Versuche, diese Wolkengebilde und -gebäude irgendwie festzuhalten, aber wenn schon meine Augen kaum in der Lage dazu sind, wie kann es dann die schnöde Linse dieses kleinen Telefons sein? Je nachdem, in welche Richtung ich blicke, ist es schon heller und blauer, vor mir haben die Wolkenkontraste alles von weiß bis fast schwarz angenommen. In weiterer Entfernung sehe ich schon höhere Erhebungen, schließlich sind in 50-60 Kilometern auch schon die wunderschönen Berge, durch die ich im letzten Herbst Richtung Norden gewandert kam. Das Gebiet hier ist typisches Samiland, recht deutlich an den einzelnen Häusern und Gehöften mit all den ebenso typischen Sachen wie Schneemobilen, Sixwheelern und einer Menge „Hausrat“ außenrum zu erkennen. Aber auch immer mal wieder an den seitlich der Straße gelegenen Rentierpferchen zu sehen, die meistens eine Verladerampe haben. Um kurz nach eins komme ich an und dann auch über den Fluss Kautokeinoelva, es ist inzwischen Zeit, bei gut 18° alles an Klamotten von mir zu werfen, was nicht zwingend benötigt wird.. Nachdem ich ihn überquert habe, endet hier die Inlandsstraße 92, ich biege links südlich auf die Europastraße 45 ab, die gleichzeitig als EuroVelo 7 die Sunroute nach Malta ist. Ein paar Kilometer darauf habe ich ja weiter nördlich schon gefahren, als ich auf dem Weg zum Kap war. Gegen halb drei reizt mich linkerhand die Zufahrt zum Skuvlajávri, ich will gerne bis an diesen See heran fahren. Ein ziemlich sandiger Weg führt von der Straße ab und nachdem ich ein Stück weit gefahren bin, sehe ich von weitem erst einen Hund und etwas später auch das Herrchen dazu. Die beiden allerdings recht weit auseinander, der Hund deutlich näher bei mir. Es ist eine Husky-Hündin, die mit aufgestellten Ohren dort steht, mich schon von weitem anbellt und dann stracks auf mich zukommt. Inzwischen angehalten konzentriere ich mich darauf, was wohl jetzt passiert. Der Hund bleibt immer noch mal stehen, bellt und knurrt. Ich bekomme langsam ein Gefühl dafür, dass er es doch nicht gar so ernst meint. Irgendwann schleicht er in den seitlichen Büschen eher um mich herum und als sein Herrchen dann in meiner Nähe ist, gibt der mir zu verstehen, dass sie eine sehr liebe ist, er aber trotzdem versteht, dass ich jetzt unsicher war. Der kleine Ausflug lohnt sich am Ende nicht wirklich, da dieser Weg gar nicht bis an den See rangeht und so habe ich diesen Kilometer hin und zurück für Volk und Vaterland gefahren. Gegen halb vier erkenne ich schon aus einiger Entfernung ein paar Häuser von Kautokeino, unter anderem die Kirche. Direkt am Ortseingang neben einem Schnellimbiss sitze ich noch mal kurz auf einer Bank, unterhalte mich mit ein paar Leuten hier aus dem Ort und bin dann gegen vier tatsächlich am Ziel. Die 3 km durch das kleine Städtchen geht es nur bergab und schon spreche ich bei Ole, dem Betreiber des Duottar(Tundra)-Camping vor, checke für diese Reise mit dem Zelt ein. Ein kurzes Schwätzchen zum Auffrischen unserer letztjährigen Bekanntschaft, ein kleiner Einkauf im nahen Supermarkt und noch das Zelt aufgebaut, schon bin ich fertig für die Sauna um 18 Uhr. Darauf habe ich mich den ganzen Tag gefreut und genieße diese halbe Stunde in vollen Zügen. Anschließend schwimme ich noch durch den direkt angrenzenden See und mache mir dann in der Gemeinschaftsküche mein Abendessen. In der Hütte, in der wir letztes Jahr gemeinsam in so internationaler Runde ums Feuer saßen, ist heute außer mir niemand anwesend und so schleiche ich mich gegen neun zurück in meine Behausung. Da der Himmel heute Abend klar ist, der Mond abnehmend, aber noch gut dreiviertel voll, fällt mir wieder einmal sehr stark auf, wie dunkel es doch gefühlt jetzt an den Abenden schon wird. Und obwohl ich bis vorgestern im heißesten Sommer rumgetanzt bin, kann es in vier Wochen hier schon den ersten Schnee geben. Die Jahreszeiten sind so deutlich anders als in Mitteleuropa, das beeindruckt mich wie auch letztes Jahr immer wieder ziemlich.Read more

  • 14. August

    August 14 in Finland ⋅ ☁️ 16 °C

    Ich liege ja hier unweit der Straße, bin nur gute 20 m von der E45 entfernt, da lässt jeder LKW den Boden bei der Durchfahrt leicht beben. Der Mensch gewöhnt sich an alles und da es insbesondere in den Nachtstunden deutlich weniger Verkehr gibt, ruhe ich doch ganz friedlich. Es dürfte ungefähr fünf in der Früh sein, da zerreißt einer dieser schweren Vielachser jäh das dünne Gewand meines Schlafs. Ich sage dem frühen Vogel, er soll sich seine Federn doch an den Hut stecken und drehe mich wieder um. Aber der tiefe Schlaf ist durch, leichter Regen auf dem dünnen Gewand meines Schlafsaals lässt ein wirklich tiefes Schlummern nicht mehr zu. Also kann ich dann auch um halb acht aufstehen und ausgiebig die Küche im Gemeinschaftsgebäude nutzen, um mir heute mal Brötchen aufzubacken und die mit Erdnussbutter zu genießen. Während einer Dusche und eines Schwätzchens am Wegesrand ist mit der Sonne und dem Wind auch alles schon wieder abgetrocknet, so dass ich packen kann. Beim Verabschieden lerne ich noch Nastassja kennen, eine junge Deutsche, die auch in irgendeiner Art ausgetreten ist, jetzt im Sommer hier bei Ole hilft und mich vielleicht auf dem Weltwegweiser hier auf dem Campingplatz verewigen will. Und schon bin ich für meine Verhältnisse recht früh um zehn auf der Straße Richtung Süden. Wie ich Kautokeino verlasse, ist es wie ein Dejavu: Vor fast einem Jahr habe ich an dieser Straße gestanden und eine gute halbe Stunde meinen rechten Daumen bemüht, um innerhalb kürzester Zeit von einem Jäger aus Oslo fast bis nach Kiruna mitgenommen zu werden. Heute rolle ich selbst hier entlang, fühle mich dabei aber relativ schwach. Ob das wohl an mir liegt? Die äußeren Umstände können es eigentlich nicht sein, denn die Sonne scheint durch die Wolken hindurch. Zwar eine andere Art von Wolken, aber sie lacht. Es ist mehr eine flache, fast zusammenhängende Decke, die aber trotzdem höchst interessante Farben und ganz weit in der Entfernung irgendwie orange beinhaltet. Ich kurbele so langsam vor mich hin und akzeptiere, dass die circa 80 km bis nach Enontekiö dann heute wohl doch etwas länger brauchen. Dank der grandiosen Wolkenspiele wird es mir aber mit Sicherheit nicht langweilig werden dabei. Gute anderthalb Stunden später, ich habe vielleicht 20 km gemacht, fällt es mir wie Schuppen aus den Haaren! Ich habe einiges an Vorräten im Kühlschrank vergessen. Wäre es nur die Dose Bier gewesen, hätte ich darauf verzichtet, aber dieser spezielle Schinken, von dem ich gestern auch gleich zwei Packungen gekauft habe und den ich auf dem weiteren Weg definitiv nicht mehr bekomme, der muss mit. Da beißt die Maus kein’ Faden ab! Jetzt mag ich aber nicht anderthalb Stunden wieder zurück und dann noch mal anderthalb Stunden zurück zurück bis hierher fahren, also parke ich den Hobel kurzerhand einige Meter von der Straße entfernt und versuche mich mal wieder in Hitchhiking. Naja, so viel Verkehr ist auf dieser Straße dann doch nicht, wenn ich es jetzt hier aus dieser Sicht so betrachte. Eine gute halbe Stunde braucht es schon, bis ein Auto hält und eine Frau aus der Umgebung mich das Stück mit zurücknimmt. Ole ist schon kräftig am Aufräumen und hat den Kühlschrank inzwischen geräumt, holt mir aber flott die Sachen her und im Handumdrehen habe ich ein zweites, aber noch deutlich kräftigeres Dejavu. Jetzt stehe ich wirklich wieder hier am Straßenrand und versuche, Richtung Süden zu kommen. Es dauert heute ein ganzes Stück länger, bis mich ein Holländer in seinem kleinen und ziemlich schwachbrüstigen Auto mitnimmt. Er erzählt mir, während er selbst bei minimalen Hügeln ständig rechtshändig am Rühren ist, dass er diese Schlurre vor kurzem für‘n Tausender gekauft hat, um damit zum Nordkap zu fahren, von wo er jetzt gerade zurückkommt. Scheint also zu funktionieren, mein Schaden soll’s nicht sein und so bin ich gegen eins wieder mit den Futtervorräten an meinem Fahrzeug. Den geretteten Salat reiße ich mir gleich erst mal auf und fühle mich insgesamt nach dieser, nennen wir es Pause, doch kräftiger als zuvor. Damit ich aber vor lauter Kraft nicht außer Kontrolle gerate, steht mir der Wind jetzt ins Gesicht. Es zieht sich heute flacher, durch unendlich weite Ebenen und große Sumpfgebiete, in denen der Wind immer wieder diesen besonderen für mich bis heute undefinierbaren Duft mitbringt. Die Landschaft ist durchsetzt mit unzähligen kleinen Seen, Verbindungskanälen und Flussarmen, die kaum einzeln konkret zu definieren sind. Wenn ich manchmal für ein Foto ein Stück weit in diese Landschaft hineingehe, ist das nie ohne nasse Füße möglich. Dank der Crocs macht das aber sogar Spaß, ein wenig durch diesen nassen Untergrund zu stapfen. Hier auf der Sunroute sind im Vergleich zu den letzten Tagen recht viele Fernradler unterwegs, es ist immer wieder eine Freude, sich gegenseitig mit einer gewissen Überschwänglichkeit zu grüßen. Auf einem heimischen Radweg ist das ja ob der Menge an Leuten eher nicht so geläufig. Grüßen tun aber auch viele Wohnmobillisten, nicht nur heute sehe ich schon von weitem die Lichthupe oder näher ihre Gesten. Sie nehmen mir mit ihrem Winken gefühlt den einen oder anderen Meter ab. Am Palojärvi, das ist einer dieser vielen unscheinbaren Punkte entlang der Straße, gibt es ein Restaurant mit Kaffee und kleinem Laden. Bei dieser schwülen Wärme draußen lasse ich mir einen Kaffee und ein Lakritzeis gefallen. Während ich hier das WLAN nutzen kann, um meine Bilder unabhängig vom limitierten Datenvolumen zu synchronisieren, erzählen sie mir, das es 20 km weiter in meiner Richtung gerade heftig schüttet. Da lob ich mir doch meine morgendliche Vergesslichkeit und dass ich um genau diese Zeit versetzt jetzt erst hier bin statt schon inmitten der Schlechtwetterfront. Gegen sieben habe ich dann auch als Tagesziel dieses Dorf mit Flughafen am See Ounasjärvi erreicht. Die Straßen sind noch nass und ich schlage etwas unschlüssig mal kurz den Kilometer bis zur Kirche ein. Sie wurde über die Jahrhunderte hinweg an verschiedenen Plätzen gebaut, abgebrannt, neu gebaut, auseinandergenommen, wieder zusammengebaut, erneuert… Okay, die hatte bis um vier geöffnet, aber wie spät ist es jetzt? Auf jeden Fall zu spät. Ich bin ja wieder in Finnland und muss mir für dieses kurze Stück durchs Land schon wieder die vorausgeeilte Stunde merken. Ich mache mich auf den Weg Richtung See, muss aber wieder zurück, da alles Privatgrund ist und selbst wenn nicht, mir zu dicht an den Häusern. Gute 4 km aus dem Ort raus biegt ein sandiger Weg gute 500 m Richtung See weg und ich habe genau an seinem Ende am ebenso sandigen Ufer meinen Platz für die Nacht gefunden. Die Wolken haben sich inzwischen zwar dunkel zusammengezogen, aber es ist trocken und was jetzt passiert, wo das Zelt schon aufgebaut ist, ist mir ziemlich gleich.Read more

  • Was für ein schöner Morgen.
    Tagesziel erreicht: Glücklich.Mir geht's nicht so gut. 😕Arctic Summer Cycling.Finish für Finnisch, gleich geht's nach Schweden.Vorher aber noch dieser Leckerbissen. 😍Jenseits des Muoniojoki: Geliebtes Schweden.

    15. August

    August 15 in Sweden ⋅ ☁️ 20 °C

    Wieder hat es in der Nacht geregnet, also immer dann, wenn es mich so gar nicht stört. Recht früh am Morgen, es könnte wohl gegen sieben rum sein, höre ich Schritte draußen. In der Hoffnung auf einen kapitalen Elch blinzle ich durchs Turmluk und gebe mich mit einem vorbeiziehenden Ren zufrieden. Es ist noch leicht am Regnen, während mein Blick mir mindestens zur Hälfte am Firmament schon blauen Himmel verrät. Das lässt sich doch gut an, also raus aus dem Federwerk und ran ans schwarze Gold zur Morgenstunde. Hoffentlich hält der kräftige Wind noch ein wenig an, so habe ich gute Chancen, ohne die Knots klarzukommen, die sonst schon ziemlich penetrant sind. Die Mücken dagegen sind im gut überschaubaren Rahmen. Noch während ich frühstücke, hört es auf zu regnen, die Sonne kommt raus und so habe ich ein leichtes Spiel, am Ende kurz drüberzuwischen und bin fertig. Der Berg Pyhäkero, der sich weit dahinten über dem See bis auf 713 moh erhebt, liegt in leichtem Dunst, es ist ein wunderschöner heller Morgen. Als ich das Rad auf dem sandigen Weg zum Aufsteigen bereit mache, fällt mein Blick unweigerlich auf den Tacho und ich bin erschrocken, wie früh es doch ist. Noch’ne Stunde abgezogen, ist es jetzt wirklich erst Dreiviertel sieben? Halt, diese Uhr ist ja nicht finnisch, also ist es in Wirklichkeit Dreiviertel acht, eigentlich wache ich um diese Zeit so oft erst auf, aber heute radel ich los. Folge für die nächsten 25 km noch der Sunroute, ich würde sie aber eher als die GirlsRoute bezeichnen. Es sind unheimlich viele Frauen unterwegs, oder fallen mir die einfach mehr auf als die Kerle? Ein Schelm, wer Böses dabei denkt. Also ist auch ein junges hübsches Mädel mit langem geflochtenen Zopf, das mir in der Morgensonne entgegenkommt und mit ihr um die Wette strahlt. An einer kleinen Ausfahrt rechts der Straße, hier ist sowas wie Café und Parkplatz ausgeschildert, treffe ich auf eher verlassen wirkende Gebäude, die irgendwie nach Veranstaltungen im Winter aussehen. Mein Ziel war eigentlich, einen Mülleimer zu finden, stattdessen steht dort aber ein großes Siegertreppchen, auf das ich mich heute früh doch einfach selbst hochschwinge und eine kleine Pause halte. Warum denn nicht? Gratuliere mir gleich noch zum schönsten Freitag in dieser Woche. Auf dem weiteren Weg überholt mich etwas später ein französisches Paar. Wir werden uns noch einmal eine gute halbe Stunde später begegnen und ein wenig quatschen, als ich am Straßenrand stehe und einer Libelle erste Hilfe leiste, die gerade eben von einem Auto getroffen wurde. Ob sie es schafft, bleibt am Ende ungewiss. Die zwei halten aber an, weil sie eher ein Problem bei mir vermuten. Verständlich, guck mich doch mal an! Und so haben wir etwas Zeit, uns ein wenig über das Von und Nach auszutauschen. Sie werden in Kürze in Palojoensuu auf die E8 Richtung Süden nach Helsinki abbiegen, während ich gegen halb elf an dieser Stelle rechts nach Nordwesten abdrehe. Der blaue Himmel ist bis dahin in recht kurzer Zeit doch einer dunklen Wolkenwand gewichen, die sich freundlicherweise mit meinem Richtungswechsel auch aus meinem Sichtfeld entfernt. Für mich bleibt es schließlich der EV7, der sich jetzt am Muoniojoki entlang zieht, welcher hier die Grenze zu Schweden darstellt. Ich gebe heute wieder den ganzen Tag den Grüßaugust, insbesondere bei Motorradfahrern, die ja üblicherweise nur ihresgleichen Gruß erwidern. Vielleicht sind die Leute von dem Mann inspiriert, der oben ohne reist statt in Jacken, Mützen und Handschuhen eingehüllt zu sein, wie ich auch so manchen Radler hier sehe. Die müssen doch kaputt gehen da drin! Irgendwann Richtung halb zwölf sind am Straßenrand immer mal wieder kleine selbstgemachte Schilder aufgestellt, die vermutlich auf irgendwas essbares, vielleicht einen Imbiss hindeuten. Aus dem finnischen kann man sich wirklich nix, aber auch gar nix ableiten, wie es in der schwedischen oder norwegischen Sprache so simpel möglich ist. Also kehre ich gegen elf an diesem Parkplatz ein, es riecht schon von draußen gut und in der großen runden hölzernen Hütte verkaufen sie geräucherten Lachs, Seesaibling und diverse andere Leckereien, die einen auf langen Reisen auf den Geschmack und wieder zu Kräften bringen. Ich nehme mir ein Stück geräucherten Lachs, der mit Blauschimmel gefüllt ist. Was für eine Leckerei und dabei ist es noch nicht mal richtig Mittagszeit. Mit der Betreiberin unterhalte ich mich recht lange, interessant wenn die Leute von hier aus diesem Leben erzählen, von dem ich gar nicht so weit entfernt im letzten Winter ja schon so einiges mitbekommen habe. Lannavaara ist von hier nur noch 50 km Luftlinie entfernt, entlang der Straßen aber ist es für mich heute nicht mehr erreichbar. Nach dieser Köstlichkeit fröne ich weiter durch die arktische Tundra bei 23°. Ein Knacken oder besser gesagt Klicken, was ich seit drei oder vier Tagen bei jeder Umdrehung der Pedale höre konnte ich bisher nicht genau ausmachen, werde es aber auch vorerst ignorieren. Es hört sich nicht akut an und ist ein wenig wie ein Taktgeber. Sumpf, Wald, weites Land mit sanften Hügeln, wunderbar koloriert und gut beleuchtet, das ist mein Weg. Je länger sich der Nachmittag hinzieht, desto dunkler zieht sich das Gebräu am Himmel zusammen und der Wind frischt auf. Noch bevor irgendwas himmlisches losgeht, erreiche ich Karesuando und wechsle auf die schwedische Seite, wo ich seit ach wie langer Zeit tatsächlich mal eine unverschlossene und für meine Begriffe auch wirklich schöne Kirche vorfinde. Ich genehmige mir ein halbes Stündchen und sehe noch zu, dass ich in der Nähe des Muoniojoki niederkomme. Es windet heftig, auffällig viele Schwalben fliegen hier, als würden sie sich schon sammeln. Der schwere Regen, den ich angesichts der dunklen Wolken erwartet habe, bleibt aus. Also alle Dramaturgie nur für mich zur Faszination inszeniert.Read more

  • 16. August

    August 16 in Sweden ⋅ ☁️ 11 °C

    Da kam ja doch so einiges mit den dunklen Wolkenpaketen dahergezogen. Es hat sich zwar nicht so unwetterartig entladen, wie es erst wirkte, aber heftiger Wind und Regen war schon die ganze Nacht drin. Der Wind ist jetzt lange schon wieder verweht, das nasse Gut hat sich erhalten. Da ich heute früh keine Eile habe, warte ich, versuche mal wieder auszusitzen. Noch‘n Kaffee und einmal rumgedreht, aber es hält sich nass von oben, egal wie rum ich es drehe oder wende. Von hier aus wäre es ein guter Tagesritt bis nach Lannavaara, wo ich sieben Monate lang den Winter zugebracht habe und natürlich noch ein Besuch ansteht. Ich fühle mich schon hier wie in meiner Hood, kenne in der Gegend so viele verschiedene Leute, zum Beispiel den Busfahrer hier aus Karesuando, der mich im Winter einige Male von und nach Kiruna mitgenommen hat. Freundlicherweise hat er mich immer durchgewunken, als wäre ich einer der Locals von hier. Sie sind halt entspannt und so war es für mich nicht verwunderlich, eine Geschichte von ihm gehört haben, wie er mehr als zehn Rentiere in dem großen Transportkoffer hinten auf dem Bus transportiert haben soll, natürlich lebendig. Inzwischen habe ich eine Info von Verena: Nach etlichen Wochen an der norwegischen Westküste ist sie auch auf dem Weg nach hier, wir werden uns im Laufe des Tages treffen. Ich hege seit Tagen den Plan, auf den Kuormakka, sozusagen den Hausberg meines Winteraufenthalts hochzusteigen, da es im Winter des tiefen Schnees wegen bei einem Versuch blieb. Es gibt auf halbem Wege nach Lannavaara einen Abzweig in die Esrange-Zone, von dem aus wir gemeinsam auf die gut 700 m hochwandern wollen. Ich habe also nur 40 km vor mir, es schüttet ordentlich und ich breche gegen halb zwölf auf. Geht doch nichts über einen echten Regentag mit den richtigen Klamotten und Rückenwind dazu. Und es fühlt sich wirklich gut an, hier in meiner zweiten Heimat unterwegs zu sein, wo ich mich recht gut auskenne. Habe ich doch schon im März, also während des hier sogenannten Frühlingswinters, schon auf dem Rad meine Kreise bis hier raus gezogen. Auch in Idivuoma, dem einzigen Dorf, durch das ich heute komme und wo ich eine Pause mache, kenne ich ein, zwei Leute. Es macht Spaß, richtig reinzuhauen, weil ich weiß, es steht das Wiedersehen und noch die Wanderung heute Nachmittag an. Und was für eine Freude, als mir auf dem Weg auf einmal meine Homies, wie ich die Gastfamilie immer liebevoll nenne, entgegenkommen und wir für einen kurzen Schwatz am Straßenrand stoppen. So brauche ich schließlich kaum mehr als zweieinhalb Stunden, bis ich auch Fräulein Wundermich wiedersehe, nachdem wir vor anderthalb Monaten seit dem Gryllefjord getrennte Wege gefahren sind. Der Abzweig hier von der E45 führt noch über 50 km nach Järämä, einem der wenigen Sami-Dörfer, die überhaupt Zivilisation in der Esrange darstellen. Dort war ich im Dezember, um mit meiner Gastgeber-Familie zusammen den Sami-Familien bei der Rentierscheide zu helfen. Eine einmalige Erfahrung, stundenlang in Scheinwerferlicht und pulverigem Schnee bei 15° unter Null zwischen Tausenden und Abertausenden von Rentieren dieselben bei den Hörnern zu packen und in die entsprechenden Verschläge der Familien zu schaffen, wenn die Sami sie aus der großen rennenden Menge heraus an den Ohrmarkierungen erkannt und mit dem Lasso gefangen hatten. Alle vom Kleinkind bis zu den Ältesten waren dort und haben ihre Erfahrungen und Traditionen weitergegeben. Im Laufe des späten Nachmittags lichtet sich der Himmel heute und der Regen hört auf. Da nicht mehr so unendlich viel Zeit am Tag dran ist, entscheiden wir uns, nicht mit dem Zelt über Nacht dort oben zu bleiben, sondern heute stattdessen hier im Camper einen Kuchen zu backen und morgen recht früh die Wanderung als Tagesmarsch zu machen. Immerhin wird in den kommenden Tagen etwas mehr Programm sein, so dass wir uns die Zeiten etwas einteilen müssen. In der schönen Sonnenuntergangsstimmung ist aber alle Male noch so viel Zeit, die Räder auszupacken und einige Kilometer auf der Gravelroad Richtung Westen in diese unglaublich große, unbewohnte Raketentestzone zu fahren und die Ruhe und Abgeschiedenheit zu genießen.Read more

  • 17. August

    August 17 in Sweden ⋅ ☀️ 13 °C

    Für um vier ist der Wecker gestellt. Das wird aber auch seine Sache bleiben. Um diese Zeit existiert ja noch keine Realität und so rappeln wir uns erst gegen sieben auf, um nach dem Frühstück um neun aufzubrechen. Gut, dass wir das heute machen. Das Wetter ist toll, wunderschöne Wolken am Himmel und von Regenwetter weit und breit keine Spur mehr. Da es zumindest laut unserer Karte keinen Pfad gibt, gehen wir auf Richtung durch das hier unten noch vorhandene Strauchwerk und den Wald, in dem teils moosig sumpfig nassen Untergrund ist das schon etwas aufwändiger. All die feinen Details, die das Wandern aber offenbart, machen das Zickzacklaufen um die Bäume herum ganz angenehm. Auf der Tour auf zwei Rädern habe ich all diese Sachen wie Pilze, Beeren und Pflanzen nicht so wahrnehmen können, wie ich es heute wieder tue. Dazu die deutliche Erkenntnis, dass es Herbst wird. Hier und da gelbe, orange oder rote Verfärbungen an den Blättern, reife Beeren und Pilze und auch der Geruch an verschiedenen Stellen sind deutliche Zeichen. Nach einiger Zeit kommen wir auf einen ATV-Track, dem können wir folgen bis ganz hoch auf den Berg. Waren die Mücken unten im Wald noch recht unangenehm, sind sie auf der Höhe ab der Baumgrenze durch den heftigen Wind kein Thema mehr. Stück für Stück öffnet sich der Blick rundherum weit übers Land, die sanften Hügel und Seen bis hin in die schneebedeckten Berge in Norwegen in über hundert Kilometern Entfernung. Das ist angesichts dieser eher flachen Tundra-Landschaft hier absolut beeindruckend. Gegen elf erreichen wir die nördlichste Spitze dieser nord-südlich verlaufenden kleinen Bergkette. Gerade mit dem Fernglas sind die Orte im näheren Umkreis bis zu 50 km auszumachen, mein Interesse gilt natürlich besonders Lannavaara und den Seen rundherum, die ich im Winter alle in gefrorenem Zustand erwandert habe. Eine Alubox auf der Bergspitze, deren Deckel mit etlichen Steinen gegen den Wind beschwert ist, enthält ein paar Bücher über Glaube und Hoffnung, hier ist der laestadianische Einfluss in dieser Gegend deutlich zu spüren. Das in schwedisch geschriebene Buch über Hoffnung nehme ich mit und werde es mir bei passender Gelegenheit zu Gemüte führen. Von dieser Spitze auf etwas über 700 m zieht es sich zu den anderen zweien in südlicher Richtung noch einmal durch eine Senke, in der wir uns Blaubeeren und auch einer ganzen Menge Moltebeeren bedienen können. Was für ein grandioser Abschluss dieser ganzen Tour hier oben auf diesem Berg. Das ist das Gefühl, das ich angesichts der endlos weiten Sicht, des tollen Wetters, der mystischen Licht- und Wolkenkonstellationen und der gesamten Umstände habe. Von meinem Dorf kann ich zumindest einen Teil von hier oben erkennen, auch den Hügel, auf dem ich die ach so dunkle Winterzeit ach wie bunt und schön durchlebt habe. Gegen zwölf haben wir den für uns südlichsten Punkt erreicht und lassen uns hinter einem Steinhaufen etwas windgeschützt zur Mittagspause nieder, während einige Raben und Falken neben uns auf der selben Höhe den starken Wind nutzen, um völlig mühelos einfach ausgebreitet zu segeln. Gegen eins heißt es dann den Rückweg anzutreten, wir haben uns für um vier bei Nina und Francisco zum Kaffee angemeldet. Es bleibt die ganze Zeit die Faszination über die weite Sicht zurück bis Karesuando und vor allem die schneebedeckten Berge soweit im Westen. Bergab folgen wir dem Pfad bis zur Straße, auch wenn der einen guten Kilometer vom Auto entfernt ankommt. Dafür ist er schneller zu laufen und wir treffen auch noch einen deutschen Radler, der auf dem Weg zum Nordkap hier gerade pausiert. Gegen drei sind wir am Auto zurück und nun heißt es flinke Füße. Ich möchte unbedingt das restliche Stück mit dem Rad fahren und habe nur noch eine Stunde Zeit. Dass es statt der gedachten 20 doch knappe 30 km sind, erhöht den Druck einerseits, die abgehängten Packtaschen beschleunigen allerdings die Fahrt andererseits. Und so trete ich rein, was das Zeug hält, um tatsächlich pünktlich um vier vor Ort zu sein, wo in diesen Tagen Franciscos Vater aus Argentinien zu Gast ist, der gerade heute seinen 80. Geburtstag feiert. Für uns eine besondere Freude, dem beizuwohnen. In wunderbar sonniger, spätsommerlicher Atmosphäre sitzen wir draußen zusammen, es ist etwas von allem, Wiedersehensfreude und Abschied in so vertrauter Umgebung zugleich, schließlich heißt es morgen für uns weiterzuziehen. Dank der Einladung der beiden können wir in den Räumlichkeiten übernachten, die ich über die ganzen Monate genutzt habe. An dieser Stelle sage ich euch Dreien, inzwischen korrekter gesagt Vieren mit dem Rentierkälbchen Greta, meinen ganz herzlichen Dank, dass ihr mich wie einen Sohn aufgenommen habt und wir zusammen eine so unglaublich tolle Zeit miteinander hatten.

    https://www.instagram.com/ailu_lapland
    Read more

  • 18. August

    August 18 in Sweden ⋅ ☁️ 10 °C

    Es ist Tag des Abschieds und meines persönlichen Ehrgeizes. Ich will heute die gut 130 km nach Kiruna auf dem Rad machen, um selbst aus eigener Kraft bis zu dem Ort zurückzukehren und die Tour dort zu beenden, von wo aus im letzten Oktober eine so schöne Zeit begonnen hat. Vorher stehen aber noch ein paar Punkte rund ums Dorf auf meinem Plan, die ich noch einmal aufsuchen möchte. Also breche ich nach dem Frühstück gegen zehn in leichtem Regen auf, im Kaufmannsladen noch ein paar Sachen zu besorgen und dann noch einmal runter an den Fluss und die paar Kilometer rüber bis zum See Ylinen Ahvenjärvi zu fahren. In der Zwischenzeit hat mir Carina, eine ganz liebe Bekannte einer Sami-Familie geschrieben, dass ich sie doch gern noch mal besuchen kommen soll. Das mache ich mit Verena zusammen um die Mittagszeit, gleichwohl ich gegen elf, spätestens aber um zwölf eigentlich mit dem Rad starten wollte. Es ist ein herzliches Wiedersehen auch mit ihrer Mutter und zwei ihrer Kinder. Als Dank für die Mithilfe im Winter bei den Rentieren gibt sie uns noch ein gutes Stück getrocknetes Rentierfleisch und das traditionelle Gáhkku-Brot sowie ein paar gefrorene Fische mit. Ich bin ziemlich sprachlos und angesichts der Tatsache, dass wir die Fische nicht lange aufbewahren und wohl im Camper zubereiten müssen, entscheiden wir uns stattdessen für das Anbraten in Lannavaara in der Küche. Diese ordentliche Portion Seesaibling ist wie der Paukenschlag am Ende des Konzerts hier. Gegen halb vier breche ich dann tatsächlich auf, heute wieder ohne Packtaschen, nur mit dem nötigsten Proviant ausgerüstet, um innert fünf, sechs oder sieben Stunden dem morgigen Spektakel entgegenzufahren. Der Regen hatte schon vor dem Mittag aufgehört, es sind also gute Voraussetzungen zum Fahren, wenn ich von dem recht böigen Gegenwind mal absehe. Aber ich habe es ja selbst gewollt. Aus dem Dorf heraus halte ich noch mal kurz am Fluss, wo die kleine Autofähre übersetzt und auf dem ich zuletzt Ende April bei -13° in der Frühe zu Fuß einige Kilometer unterwegs war. Nach guten 10 km erreiche ich in Nedre Soppero die E 45, die mich jetzt Richtung Süden als nächstes nach Vittangi führt. Ich begegne im Gegenverkehr zum vorerst letzten Mal dem Bus, der täglich einmal die Strecke Karesuando-Kiruna und zurück fährt. Wolken und Lichtverhältnisse sind wunderschön, wenn nur nicht der Wind so gegen mich wäre. Aber immerhin fährt es sich mit dem nackten zappeligen Fahrrad trotzdem viel schneller, als wäre ich jetzt in der Art rollende Schrankwand unterwegs wie sonst üblich. Gegen sechs habe ich Vittangi durchfahren und es ist wohl Zufall, dass mich ziemlich genau auf halbem Weg Verena überholt und an einer kleinen Parkbucht einen Boxenstop mit Kaffee und Kuchen anbietet. Dann geht es weiter Richtung Svappavaara, ein Ort ebenfalls mit einer Mine, den ich gegen acht erreiche. Auf der Straße hier begegnen mir sehr viele der 90-Tonnen-LKWs, die für diese Grube fahren. Bei einer Pause vor dem inzwischen verschlossenen Supermarkt regnet es ein paar Tropfen, für mich kein Grund zur Panik, denn der Himmel insgesamt sieht weiterhin wunderbar aus, vom Wind möchte ich nicht weiter sprechen. Da ich hier von der E45 Richtung Nordwesten auf die E10 abbiege, habe ich seit um halb neun den Sonnenuntergang mit seinen unglaublichen Farben die ganze Zeit vor mir. Ablenken davon tut mich lediglich über einige Kilometer, dass die Straße mit Leitplanken beziehungsweise den hier oft gebräuchlichen Stahlseilen zu beiden Seiten sehr eng begrenzt ist und ich kaum Möglichkeiten habe, den fließenden Verkehr an mir vorbei rollen zu lassen. Teils nur mit 15-20 KMH bin ich damit natürlich auf einer Europastraße ein gewisses Hindernis für den fließenden Verkehr. Aber Experimente mit LKW und Fahrrad nebeneinander auf Haaresbreite lasse ich nicht zu. Nachdem diese herausfordernden Kilometer geschafft sind, fährt es sich wieder deutlich entspannter und ich kann mich voll und ganz dem Licht und etwas klassischer Musik im Ohr hingeben. Dabei wird es mit fortschreitendem Abend auch immer kälter, die Temperaturen sind inzwischen auf 7° runter und ich denke zumindest darüber nach, die Hände in ein paar Handschuhe zu verstecken, was ich aber dank einer späteren Erwärmung auf 8° kurz vor Jukkasjärvi dann doch lasse. Angesichts einer wahrscheinlich überfüllten Stadt Kiruna zwecks des anstehenden Kirchenumzugs morgen früh habe ich mit Verena einen Platz etwas außerhalb vereinbart, wo ich irgendwann nach um zehn ankomme und ziemlich erschöpft bin. Aber auch gleichzeitig froh darüber, jetzt nicht mehr das Zelt aufstellen zu müssen, sondern mich direkt ins Bett zu legen.Read more

  • 19. August - Tourende

    August 19 in Sweden ⋅ ☁️ 7 °C

    Dies ist der letzte Tag meiner Tour. Heute geht es noch einmal nach Kiruna, das sich von mir und ich von ihm mit diesem besonderen Ereignis des seit Jahren vorbereiteten Kirchenumzugs verabschiedet. Bei bestem sonnigen, aber ziemlich windigen Wetter fahren wir gegen zehn noch dichter an die Stadt heran, ich kenne an der alten geschlossenen Mine einen Punkt, von dem aus wir mit den Fahrrädern gegen halb zwölf in die Stadt reinfahren. Die Hauptstraße in die neue Stadt hinein ist erwartungsgemäß gesperrt und die Menge an Fahrzeugen und Wohnmobilen, die sich hier rumquält, lässt erahnen, wie groß das Interesse an diesem weltweit einzigartigen Ereignis ist. Auf dem Stadshustorget (Vorplatz am Stadthaus) ist eine große Bühne aufgebaut, in diesen Tagen sind viele Veranstaltungen und Konzerte, Kiruna bietet insgesamt ein sehr reichhaltiges kulturelles Programm das ganze Jahr über. Unser Ziel soll als nächstes die Altstadt sein, konkret der Platz, an dem die Kirche bis vor wenigen Stunden gestanden hat. Je nach Zeit und Umständen wollen wir noch den einen oder anderen Ort besuchen, den ich aus dem Winter schon kenne. Massen an Leuten sind zu Fuß oder mit Fahrrädern unterwegs, Auto und Busverkehr sind ziemlich stockig, die Stadt insgesamt ist aber keineswegs gesperrt oder abgeriegelt. Habe ich mich am Morgen noch gefragt, welchem von den vielen mir bekannten Gesichtern ich denn wohl heute begegnen werde, macht schon gleich nach der Neustadt das von Ilnur den Anfang. Ein Tatar, der nicht in seine Heimat nach Russland zurück kann und hier im Museum arbeitet. Wir werden uns nach einer kurzen Begrüßung später noch mal wiedersehen und ziehen jetzt erst mal weiter. Dann kommen wir schon vorbei an dem großen neu geschaffenen Platz, an dem morgen am Nachmittag die Kirche ankommen soll. Breite geteerte oder aufgeschüttete Flächen sind geschaffen worden, um den riesigen Tieflader bis hierher zu lotsen. Auf dem Weg durch die alte Stadt müssen wir ein kurzes Stück die Räder schieben und wer sitzt da ganz vorn links als Chauffeur im Stadtbus und kommt genauso wenig voran wie alle anderen Fahrzeuge? Es ist Charlie, der mir über den Winter ein guter Freund geworden ist und der sich im Frühjahr von hier Richtung Norwegen verabschiedet hatte. Wir haben nur eine halbe Minute Zeit, uns über die Straße kurz auszutauschen, er ist von mir hier genauso überrascht wie ich von ihm. Um zwölf haben wir dann den Platz erreicht, der jetzt groß wie leer gähnt und an dem lediglich noch der Glockenturm bis nächste Woche daran erinnert, dass hier bis vorhin auf 40×40 m das 670 Tonnen schwere hölzerne Gotteshaus stand. Dem Umzug von hier aus zu folgen ist natürlich nicht schwer, die teils extra verbreiterte oder gebaute Straße ist leer, wir kommen an einigen Punkten vorbei, an denen ich letztes Jahr ein- oder mehrmals übernachtet habe. Einige der schönen großen, alten schwedischen Häuser stehen noch hier in dem Gebiet, wo alles andere schon Stück für Stück abgerissen wurde. Es lässt vermuten, dass sie wie schon viele andere auch noch angehoben und in die neue Stadt umgesetzt werden. Gut 20 Minuten später haben wir den rollenden Tempel erreicht, es geht gerade relativ steil bergab und ist für uns völlig überwältigend, das zu sehen. Durch die langsame Fortbewegung wirkt es so, als würde die Kirche einfach an einem falschen Platz rumstehen. Ein immenser Tross Schaulustiger ebenso wie an technischem und Begleitpersonal sowie Sicherheitskräften begleitet den Schwertransporter, der auf zwei mal 28 Achsen eine große Stahlträgerkonstruktion und darauf das Gebäude trägt. Fenster, Heiligenbilder, Altar und sämtliche Inneneinrichtung sind trotz anfänglicher Überlegungen nicht entfernt worden, sondern werden original mitgeführt. Das ist wirklich imposant anzusehen. Wie sie langsam, aber stetig auf ihren neuen Platz zu- und um einen Teil der Stadt rumsteuert. Nach einiger Beobachtung setzen wir unseren Weg durch die Altstadt fort und kommen Richtung Supermarkt, wo wir uns einiges zum Essen zusammenkaufen und lang und breit Vesper halten. Auf dem Weg begegnen uns Linda und Markus aus Lannavaara, sie haben wir vor Wochen zuletzt schon mal in Norwegen am Fjord getroffen. Ich sag nur Welt, Dorf, Scheibe… Aus dem Laden wieder raus ist der Transport gegen halb drei direkt neben uns und kurz davor, einen Kreisverkehr zu durchqueren. Da stellen wir uns direkt vorn an und haben einen wirklich guten Platz. Noch im laufenden Betrieb werden große Stahlplatten von zwei Radladern verlegt und erst kurz vor der tatsächlichen Passage wird der Verkehr vorübergehend umgeleitet. Diese Organisation ist wirklich sehenswert, keine Hektik, kein Gehupe, jeder hat seine Aufgabe in dieser einmaligen Aktion. Viele Mitarbeiter, die normalerweise irgendwas untechnisches bei der Minengesellschaft LKAB arbeiten, sind in grellen Anzügen zum Absperren und Ordnen dabei. Und dann zieht sie direkt vor uns vorbei, Zentimeter für Zentimeter auf zweihundertvierundzwanzig Rädern. Ich bin sooo happy, dass ich meine Nord-Tour genau hier und heute nach gut zweieinhalb Tausend Kilometern beenden kann. Alles hat sich so toll gefügt und verdammt gut funktioniert. Keine Stürze, keine Pannen, alles wie in einem aufwendig kolorierten Bilderbuch. Gut, aber noch bin ich ja hier. Das falunrote 1912 eröffnete Fachwerkgebäude ist an uns vorbeigezogen und so ziehen auch wir weiter Richtung Stadthaus, wollen dort einen Kaffee trinken und sehen, welche Ausstellungen es gibt. In dem heute natürlich ziemlich vollen Café deute ich Verena auf einen Tisch, an dem gerade noch zwei Plätze frei sind, während ich den Kaffee einlasse. Als ich zurückkomme, ist sie mit den Leuten am Platz schon kräftig am Erzählen und wie ich mich hinsetze, denke ich so: „Nanu, du denkst doch sonst nicht Nanu. Die Gesichter kennst du doch?!“ Und ja, wir kennen uns. Es sind die zwei Hamburger Detlef und Gabi, wir haben uns vor einigen Tagen in Finnland an der Straße getroffen und sehr angenehm unterhalten. Ein schönes Kaffeekränzchen ist das jetzt mit den beiden. Wenige Meter entfernt treffe ich dann auch Kristina wieder, eine Russin, die hier arbeitet und jetzt gerade eine Führung durch die Ausstellung zum Altarbild der Kirche startet. Da schließen wir uns doch direkt an, können am Ende zusammen mit ihr und Ilnur noch ein bisschen erzählen, wie es jedem so im Laufe der Monate ergangen ist. Aus dem Gebäude heraus ist der Platz brechend voll, auf der Bühne spielt eine schwedische Band, die wohl hier sehr beliebt zu sein scheint. Es ist schon zu Fuß kaum ein Durchkommen, die Fahrräder lassen wir konsequenterweise direkt angebunden stehen, es wäre jetzt unmöglich, sie hier durch zu schieben. Zumal ich nach einem kurzen Anruf bei Charlie erfahre, dass er in 5 Minuten genau so weit von hier entfernt vorbeikommt und wir auf die Linie „Röd“ aufspringen können. Gesagt, getan. Als meistens einzige Gäste im Stadtbus sind wir natürlich ganz vorne bei ihm und haben uns gut was zu erzählen. Auf genau diese Weise habe ich ihn im Winter kennengelernt, als ich zwei komplette Runden mit ihm durch die Stadt gefahren bin. Jetzt wird es nur eine, da er dann vorübergehend ins Depot fährt. Aber die Situation, daß er vor lauter Erzählerei auch heute verpasst, einigen Passagieren die Türen zu öffnen, ist mir nicht neu. „Sorry, I‘m dreaming, my friends are here, we have a party! ;)“ Mit diesen vor Freude strotzenden und lachenden Worten hat er sie alle auf seiner Seite… Es ist inzwischen halb acht und nachdem wir uns herzlich verabschiedet haben, kaufen wir etwas für den Abend ein, es gibt noch ein paar Leute, die wir treffen wollen. Die Räder wieder im Fahrzeug verzurrt geht es jetzt raus durch den dank des Eishotels recht bekannten Ort Jukkasjärvi bis an den südlichen Rand der Esrange-Zone. Ein gutes Stück abseits der Asphaltstraße kommen wir nach einem sandigen Weg an den Tolppajärvet. Hier treffen wir die Münchnerin Kim und den Österreicher Gerhard, zwei liebenswerte Individualisten, die Verena vor einiger Zeit drüben in Norwegen kennengelernt hatte. Gemeinsam sitzen wir bis spät in die Nacht ums Feuer und genießen die Zeit miteinander bei Friedenspfeife, Gerhard‘s selbstgemachtem Zirbellikör und unseren selbsterlebten Geschichten. Das ist so was von ein Geschenk zum Abschluss. Ab morgen heißt es für uns ein paar Tage lang nach Deutschland zurück zu fahren. Was demnächst dann genau kommt, das weiß ich noch nicht. Gleichwohl etwas in meinem Kopf rumschwebt, das mich ziemlich lockt: Den Winter weit im Norden an Norwegens Küste zu arbeiten und zu erleben. Mal schauen… Für heute aber schließe ich dieses Buch, bin allem und jedem unendlich dankbar für Inspirationen, Unterstützung und jedes Lachen. Ebenso dankbar aber auch dafür, wenn ich irgendwas davon geben konnte.Read more

    Trip end
    August 19, 2025