Norge på langs 2023

mei - oktober 2023
Am 01.06. starte ich mit meinem ersten Wandertag in meine 2700 km lange Reise. Von Lindesnes im Süden bis hoch zum Nordkap - zu Fuß. Meer informatie
  • 123Footprints
  • 4landen
  • 124dagen
  • 1,8kfoto’s
  • 18video’s
  • 3,8kkilometer
  • 328kilometer
  • Dag 24

    Trockene & schmerzfreie Füße

    23 juni 2023, Noorwegen ⋅ ☀️ 12 °C

    Um 6:30 Uhr werde ich wach. Ich versuche es gar nicht, mich noch einmal umzudrehen, obwohl ich noch recht müde bin. Heute geht es endlich weiter. Auch, wenn ich ehrlich gesagt nur ungern meine Komfortzone hier verlasse. Insbesondere mit dem vor mir liegenden Versuch, Jotunheimen zu durchqueren. Ich gönne mir noch eine heiße Dusche und beginne dann direkt, mein Zelt auszuräumen. Auf Frühstück habe ich irgendwie keine Lust. Als das Zelt halb ausgeräumt ist, nehme ich mir doch noch die Zeit für einen Kaffee und eine Portion Porridge. Das Porridge ist mit Zimt und riecht beim Aufgießen mit dem heißen Wasser richtig gut. Schmecken tut es allerdings so lala.

    Um 8:40 Uhr bin ich abmarschbereit. Ich melde mich noch bei Simon, dass aus unserem Kaffee leider nichts wird, da ich mich nun für Jotunheimen entschieden habe und Geilo direkt vom Campingplatz nördlich ins Gelände verlasse. Die ersten Meter geht es über Straße. Aus der Straße wird irgendwann eine Schotterstraße, aus der Schotterstraße irgendwann ein Feldweg, welcher irgendwann nur noch als Pfad weiterführt. So mache ich meine ersten Höhenmeter aus Geilo heraus, vorbei an unzähligen, wunderschönen kleinen Hütten. Ich frage mich, ob das alles Ferienhütten sind oder auch Leute hier wohnen. Wie so oft sieht hier aber vieles unbewohnt aus.

    Nach einer Dreiviertelstunde bin ich oben im Fjell. Es weht ein frischer Wind, aber die Sonne scheint und es ist unfassbar schön hier. In der Ferne sehe ich den ersten höheren Berg, der noch mit vielen größeren Schneefeldern bedeckt ist. Der Pfad ist die meiste Zeit trocken und in meinen neuen Schuhen komme ich zügig voran. Zu Beginn fühlen sie sich noch ein wenig fremd an, mit jedem Meter laufe ich sie aber weiter ein. Mein linker Fuß macht aktuell keine Probleme. Ich merke, dass die angepasste Sohle mein Fuß auch über das Fußgewölbe stützt und somit Druck von der Problemstellen nimmt. Außerdem ist der Schuh merklich gedämpfter.

    Ich genieße das Wetter, die Landschaft und das zügige Gehen. Nach 2 Stunden komme ich an eine Hütte. Der Wind weht stark aber auf der Leeseite der Hütte ist eine kleine Bank in absoluter windstille. Fast 9 km hab ich schon geschafft. Hier genieße ich die Ruhe und die Wärme der Sonne. Obwohl die Schuhe nicht drücken, ziehe ich sie aus und lasse etwas Luft an die Füße. Außerdem mache ich ein paar Dehnübungen. Dann geht es weiter. Den Pfad, der von hier aus weiterführen soll, kann ich auf Anhieb nicht finden. Ich finde immer etwas „pfadähnliches“, aber immer wieder verlieren sich die Wege. Mit der App und GPS versuche ich jedes Mal, zurück auf den Pfad zu kommen. Nach einer halben Stunde bin ich leicht angenervt, weil ich hauptsächlich querfeldein gehe und überhaupt nicht das Gefühl habe, dass es hier einen durchgehenden Pfad gibt. Ich schau noch mal auf meine digitale Karte. Im Tal auf der anderen Seite des Flusses, ein paar 100 m weiter, ist ebenfalls ein Weg eingezeichnet, welcher ebenfalls von der Hütte kommt, wo ich Pause gemacht habe. Ich suche ein wenig, kann den Pfad dann aber eindeutig erkennen, obwohl er mehrere 100 m entfernt ist.

    Ich entschließe mich, querfeldein runter zum Fluss zu gehen, zu furten und meinen Weg auf diesem eindeutigen Pfad fortzuführen. Ich bin gleich deutlich schneller unterwegs. Ich finde eine Stelle, an der der Fluss zwar breit ist, dafür aber nicht tief und wenig Strömung hat. Auf der anderen Seite trockne ich die Füße und wechsel zurück in die neuen Wanderschuhe. Von hier an komme ich wieder deutlich schneller voran. Der Weg führt leicht bergauf und die Gegend wird immer schöner. Unzählige Bäche kreuzen alle paar Meter meinen Weg, ohne aber echte Hindernisse darzustellen. Trinkwasser alle paar Meter. Ich bin richtig zufrieden. Egal, was die kommenden Tage bringen mögen, diesen Tag kann mir keiner mehr nehmen. Ich entschließe mich, noch etwas weiter zu gehen, bis laut Karte ein größerer Fluss kommen soll. Ich bin gespannt, ob ich hier wieder furten muss oder ob es eine Brücke gibt.

    Irgendwann, vermutlich, als ich gerade über einige Steinplatten gelaufen bin, bin ich nicht mehr meinem Pfad gefolgt. Versehentlich bin ich etwas zu weit abgestiegen. Ich überlege, ob ich alles wieder aufsteigen soll oder ob ich querfeldein eine bessere Lösung finde. In dieser Gegend lässt sich sehr gut lesen, was sumpfig ist und wo ein gutes Vorankommen möglich ist. Sowohl Vegetation, als auch Geländeformation verraten viel über den Untergrund. So entscheide ich mich, querfeldein zu gehen und kann sogar ein paar Meter abkürzen. Schon aus der Ferne sehe ich, dass hier eine kleine Brücke über den Fluss geht. Hervorragend! Hier auf der anderen Seite des Flusses mache ich meine zweite Pause. Es ist 14:00 Uhr und ich habe schon fast 20 km geschafft.

    Es ist wieder recht windig. Aber ich lehne mich an einen Fels, ziehe die Schuhe aus und genieße das Nichtstun. Weit und breit kein anderer Mensch. Lediglich ein Transporthubschrauber, der zweimal an mir vorbei fliegt. Immer noch habe ich keine Probleme mit meinem linken Fuß. Dafür habe ich festgestellt, dass der Mann bei Intersport bei meiner rechten Sohle tatsächlich zu viel abgeschnitten hat. Das nervt mich doppelt. Zum einen, weil die Sohle dadurch nicht ganz genau sitzt und ich mit dem großen Zeh immer eine kleine Lücke spüre. Zum anderen ärgere ich mich über mich selbst. Im Laden habe ich mit den Händen schon gespürt, dass da bestimmt 1/2 cm Platz ist. Ich hätte einfach sagen sollen: Sorry, aber das geht nicht. Das müssen wir noch mal machen. Aber ich hasse es, Dinge zu reklamieren. Und außerdem stand hier auch noch im Raum, dass ich eh zwei Tage später da bin, und wir dann nachbessern können. Da ich jetzt die andere Route gewählt habe, ist das natürlich nicht möglich. Aber jetzt ist es, wie es ist. Und lieber habe ich diese Störgefühl am rechten Zeh, als die Schmerzen im linken Fuß.

    Nach der Pause gehe ich weiter und schaue nach 100 m noch einmal auf die Karte. Ich stelle fest, dass ich nicht auf meiner eigentlichen Route bin. Da wo ich Pause gemacht habe, hätte noch ein Pfad abgeben sollen. Da ich aber keinen Pfad gesehen habe und keine Lust habe erneut alle paar Meter den Weg zu verlieren, folge ich dem eindeutigen Pfad. Er bringt mich zwar um einiges früher aus dem Fjell raus, ist dafür aber auch 2 km kürzer. Aber das wichtigste, er ist eindeutig. Nach einiger Zeit komme ich an einen See mit Sandstrand. Zwei Wanderer kommen mir entgegen und weitere sehe ich hinten am Ufer. Ganz schön was los hier, dafür, dass ich bis jetzt niemanden getroffen habe. Der Pfad führt vom See weg, immer weiter herunter aus dem Fjell raus. Ich laufe durch einen Birkenwald. Ein Blick auf die Karte verrät mir, dass ich hier ganz schön Höhe vernichten werde. Außerdem führt der Pfad später durch ein Skigebiet und eine Feriensiedlung. Meine Euphorie von Beginn schwindet etwas. Ich habe bei der Planung zwar gesehen, dass ich noch hier und da ein paar Straßenkilometer habe, aber ich war davon ausgegangen, dass es trotzdem menschenleere Gegend ist.

    Richtig ins Gelände geht es erst morgen. Und den ersten höheren Berg habe ich sogar erst übermorgen auf der Route. Ich komme an eine Hauptstraße. In diesem Moment habe ich 25 km geschafft. Mit meinem linken Fuß bin ich wirklich zufrieden. Natürlich zwickt hier und da mal etwas, aber die Probleme, die ich in den vergangenen Tagen hatte, habe ich heute gar nicht. Ich folge der Straße für zwei Kilometer und biege dann links ab. Hier habe ich die Chance, alternativ zur Straße einen Wanderweg zu laufen, ohne zusätzliche Kilometer machen zu müssen.

    Einen richtigen Plan habe ich nicht. Ich will noch ein paar Kilometer machen, aber es ist schwierig, hier unten einen Schlafplatz zu finden. Mein Wanderweg führt entlang an einem wunderschönen Fluss. Allerdings sind immer wieder Hütten da und Hinweise, das es Privatgelände sei. Hier kann ich mein Zelt nirgends aufstellen. Auch Wasser brauche ich noch. Ich gehe weiter, aber die Situation wird nicht wirklich besser. Auf der Karte habe ich mir einen kleinen Berg ausgesucht, den ich eigentlich auf der Straße umgehen würde, um die Höhenmeter zu sparen. Aber hier oben könnte eine Schlafgelegenheit sein. Als ich den kleinen Pfad erreiche, der von der Straße abgeht, habe ich immer noch kein Wasser fürs Lager. Und weder auf der Karte noch beim Blick um mich herum sehe ich Möglichkeiten, meine Wasserreserve zu füllen. Ich bin etwas planlos und mittlerweile ganz schön platt.

    Wenn ich die Straße entlang gehe, komme ich irgendwann an einen Stausee. Da würde ich aber auch hinkommen, wenn ich über diesen Berg gehe. Es sind nur 250 Höhenmeter aber so richtig Lust habe ich darauf jetzt nicht. Zumal ist nicht ein Bach auf der Karte eingezeichnet. Wenn ich jetzt wirklich in Not wär, könnte ich ein Auto anhalten oder weiter die Straße entlang zu Häusern laufen und anklingeln. Ein Notfall ist es hier nicht. Aber deswegen ist die Wasserfrage trotzdem nicht geklärt.

    Ich entscheide mich, über den Berg zu gehen und hoffe, dass ich trotzdem einen kleinen Rinnsal finde, der nicht auf der Karte vermerkt ist. Zunächst geht es wieder durch Birkenwald. Mücken schwirren um mich herum und versuchen, mich zu stechen. Weiter oben liegt links und rechts vom Weg jeweils ein Schneefeld, nicht besonders groß. Ab einer gewissen Größe der Schneefelder fließt unten eigentlich immer etwas Schmelzwasser heraus. Ich inspiziere das linke Schneefeld. Unterhalb davon ist es sumpfig. Aber nichts, wo ich irgendwo Wasser abschöpfen würde. Ich könnte auch Schnee schmelzen, diesen Aufwand will ich aber nur im Notfall machen. Beim rechten Schneefeld sieht es auch nicht viel besser aus. Immerhin sind hier einige größere sehr klare Pfützen. Dann entdecke ich unterhalb dieser Pfützen einen kleinen Rinnsal. Es fließt gar nicht mal so wenig und immerhin so schnell, dass ich glaube, dass sich das Wasser nicht allzu lang in den Pfützen aufhält. Die Chance nutze ich und fülle meine Flaschen.

    Ich gehe weiter hoch und finde eine wunderschöne Aussicht. Gleichzeitig stelle ich fest, dass ich gar nicht auf dem Gipfel dieses kleinen Berges bin. Es ist eine Art Vorgipfel. Der Weg geht noch weiter den Grad entlang und es geht noch mindestens 100 Höhenmeter weiter hoch. Das hebe ich mir aber für morgen auf und finde relativ schnell eine Stelle, wo ich mein Zelt gut aufbauen kann. Der Wind bläst recht stark und ich muss alle Leinen abspannen. Ich räume das Zelt ein, und bevor ich es mir gemütlich machen, schnappe ich mir Waschlappen und Handtuch. Nicht weit vom Zelt, ein paar Meter abwärts, sehe ich weitere Schneefelder. Unter einem dieser finde ich eine große, klare Pfütze, die ich zum waschen nutze. Dann lege ich mich ins Zelt und esse zu Abend. Heute waren es 32,5 Kilometer ohne Fußprobleme! :-)

    Ich habe meine Entscheidung für Jotunheimen immer noch nicht bereut. Leise Zweifel melden sich dann doch immer wieder mal. Aber was soll’s. Ich muss alle Situationen vor Ort einschätzen. Zweifel hin oder her.
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  • Dag 25

    Wunderschöner Tag und Wasser im Schuh

    24 juni 2023, Noorwegen ⋅ ☀️ 14 °C

    Für heute habe ich mir vorgenommen, früher loszugehen. Das hat gestern richtig gut funktioniert, dass ich am Vormittag schon so viele Kilometer geschafft habe. Der Nachmittag ist einfach immer etwas zäher und morgens habe ich scheinbar mehr Energie. Um 6:15 Uhr werde ich wach, drehe mich trotzdem noch einmal um. Um kurz vor sieben mache ich mir dann meinen „Kaffee“. Seit bestimmt neun oder zehn Tagen trage ich noch den Rest dieses Früchtemüslis mit mir herum. Heute ist es fällig.

    Nach dem Kaffee räume ich mein Zelt auf und fange an zu packen. Draußen ist es noch bedeckt, aber die hohe Schichtbewölkung zieht langsam ab, dass es nicht lange dauern wird bis die Sonne scheint. Der starke Wind ist noch gestern am späten Abend eingeschlafen.

    Heute höre ich doch mal wieder etwas Musik aus dem Handy. Niklas war vor ein paar Tagen auf einem Bruce Springsteen Konzert und hat „The River“ mitgefilmt und mir geschickt. Vor 20 Jahren sind wir mit dem Auto seiner Mutter durch Norwegen gefahren. Nicht weit vom Eidfjord, am Ende eines engen Tals namens Simadalen, hatten wir damals an einem Wanderparkplatz unser Lager aufgeschlagen. Damals gab es die App „Park4Night“ noch nicht. Wenn ich genauer drüber nachdenke, glaube ich gab es noch nicht einmal Apps. Die ganzen schönen Orte, die wir damals mithilfe unserer Papierkarte ausgekundschaftet haben, sind heute teilweise überlaufen, weil diese blöde App sie der ganzen Welt verraten hat. Es war teilweise ziemliches Scheißwetter und wir wussten nichts mit uns anzufangen. Die Stimmung war eher bedrückt und wir saßen einfach nur im Auto und wollten warten, bis der Regen aufhört. Im Auto lief eine CD von Niklas. Bruce Springsteen and The E Street - live 1975 - 1985. Wir hören „The River“. Das Lied startet mit sanften, melancholischen Gitarrenklängen. Die ersten Minuten dieses Livestücks erzählt Springsteen emotional aus seiner Zeit als junger Mann. Deine Erzählungen wird von der Gitarre begleitet. Während wir gespannt zuhörten, sahen wir dem Regen zu, wir er die Windschutzscheibe hinunter lief. Vor uns tut sich das steile, felsige Ende des Tals auf. Die dunklen Felswände ragen sicher mehrere 100 Meter empor. Die Stimmung dieses Liedes passt eins zu eins zu unserer Kulisse.

    Springsteens emotionaler Rückblick dauert 5 Minuten 30, bevor dann das Lied richtig startet. Ich bin eigentlich kein Mundharmonikafan. Aber wenn Springsteen bei 5 Minuten und 31 Sekunden die Mundharmonika ansetzt, stellen sich damals wie heute meine Armhaare auf. Gänsehaut pur. Auch heute Morgen höre ich dieses Lied und erinnere mich an damals. Dieser Roadtripp vor 20 Jahren war irgendwie der Grundstein für das, was ich heute hier mache.

    Während ich noch ein paar weitere Lieder höre, baue ich das Zelt weiter ab und packe meinen Rucksack. Als ich fast fertig bin kommt eine ältere Frau mit einem Hund. Wir kommen ins Gespräch und reden eine halbe Stunde. Sie ist eigentlich Holländerin, aber schon vor vielen Jahren ausgewandert. Auch sie liebt die Gegend hier und die Einsamkeit beim Wandern. Sie wundert sich über die vielen Camper, die von einem Stellplatz zum nächsten fahren aber nicht einmal wandern gehen, um Norwegen wirklich zu erleben. Seit Corona seien die Camperzahlen in Norwegen richtig explodiert. Und überall seien Holländer. Sie wäre doch ausgewandert, um keine Holländer mehr sehen zu müssen, sagt sie lachend.

    Sie geht irgendwann weiter Richtung Gipfel und ich mache mich weiter fertig. Zum Gipfel laufe ich eine halbe Stunde und die Frau mit dem Hund ist auch noch da. Wieder reden wir eine halbe Stunde und sind schnell bei Themen, wie was im Leben wichtig ist und was nicht. Sie sei Krankenschwester, arbeitet aber nur 70%. Das sei für viele Norweger unverständlich. Hier meinen alle, 100% arbeiten zu müssen, um ein richtiges Leben zu haben. Wir sind auf einer Wellenlänge und reden über dies und das. Um halb zehn mache ich mich dann aber doch auf den Weg. Über eine Stunde habe ich mich insgesamt verquatscht. Aber die Zeit war es wert!

    Schnell bin ich den Berg abgestiegen und muss nun noch vier Kilometer Straße laufen. Die Straße führt entlang an einem Stausee, der nur halb voll zu sein scheint. Dann endlich ist rechts ein Wanderschild und ein schmaler Pfad führt von hier den Berg hoch. Die Wegmarkierungen scheinen von diesem Jahr zu sein. Viele Markierungen wurden mit roter Farbe auf Birken gemalt. Da gerade die Rinde schnell wachsender Birken schnell aufbricht oder abblättert, bin ich mir sicher, dass die Markierungen neu sind. Das macht Hoffnung, dass die Wege auch begehbar sind. Ich habe immer noch großen Respekt vor nicht passierbaren Flüssen oder aufgrund der Schneelage gefährlichen Wegabschnitten.

    Der Weg führt relativ steil nach oben. Die Sonne knallt ganz schön und meine für oben angedachte Pause ziehe ich vor. An einem kleinen Bach trinke ich einen Liter Wasser und gehe dann weiter. Dann bin ich oben. Es ist ähnlich wie die Ankunft in der Hardangervidda, nur noch etwas beeindruckender. Eine wunderschöne Hochebene, flankiert von teils schneebedeckten Felsmassiven. Es sind doch einige grössere Schneefelder hier aber alles sieht wanderbar aus. Und wunderbar. Die grösseren Höhen kommen auch erst später und morgen. Diese Weite hier ist wieder unbegreiflich. Und ich bin weit und breit der einzige hier. Pure Glücksgefühle, die ich hier gerade erlebe. Ich hole meine Kopfhörer aus dem Rucksack und starte meine Norge på langs Playliste. Hier sind hauptsächlich melancholische Lieder drauf, mal Klavier, mal klassisch, alles irgendwie Filmmusik. Und während ich hier entlang wandere, läuft mein Film. Nur, dass ich allein ihn sehen kann und das auch nur jetzt in diesem Moment. Es ist fast surreal, mit dieser wunderschönen Musik in den Ohren durch diese Landschaft zu laufen. Und wieder mal sehr emotional.

    Nach einiger Zeit komme ich an einen ersten grösseren Fluss, den ich problemlos furten kann. Der Wanderweg quert den Fluss an einer sehr breiten Stelle, wo das Wasser nicht tief ist und nur mäßige Strömung. Das Wasser ist eiskalt, dass die Füße schmerzen. Um so schöner, wenn der Schmerz dann wieder nachlässt. Ich mache noch eine kurze Pause und gehe dann weiter.

    Es geht wieder etwas bergauf und hier und da auch durch sumpfige Stellen. Nach einiger Zeit habe ich ein seltsames Gefühl. Es fühlt sich an, als ob mein linker Socke an der Sohle klebt. Ist da Wasser reingekommen? Das kann doch nicht sein. Die Schuhe sind nagelneu. Ich bin aber unsicher. Auch letztes Jahr bei meiner Lysefjordrunde war ein neuer Schuh undicht. Ich gehe noch einige Kilometer, um nicht direkt wieder Pause zu machen. Ich ziehe den Schuh aus und sehe, dass die Sohle und der linke Socken nass sind. Nur hinten an der Hacke. Aber das darf nicht sein. Ich könnte kotzen! Im Strahl! Ich habe 220 EUR für die Schuhe hingelegt und jetzt das. Ich kann auch nicht einfach zurückgehen und die umtauschen. In der Größe hatten die eh nur ein Paar.

    Noch während der Pause formuliere ich eine Mail an den Laden, wie wir dieses Problem lösen können. Idealerweise rufe ich da eh an aber so habe ich mir schon mal ein paar Worte zurecht gelegt. Hier habe ich sogar noch Empfang. Aber ich schicke dir mal noch nicht ab. Ich hätte direkt dort anrufen sollen. Denn mit Empfang war es später komplett vorbei. Aber auch hier: Reklamationen schiebe ich wieder mal.

    Ich ärgere mich. Dabei ist das so ein schöner Tag. Bestes Wetter, unfassbare Landschaft und ich komme gut voran, ohne irgendwelche Hindernisse. Aber ich frage mich, was ist, wenn ich mal wieder richtig Regentage habe. Dann sind die Schuhe spätestens nach einen Tag durch. Und ich frage mich, ob es überhaupt eine Lösung geben kann, wenn ich nicht zurück in den Laden komme. Aber all das lässt dich jetzt nicht regeln und ich versuche so gut es geht, mich nicht aufzuregen. Gleichzeitig sage ich mir, dass ich trotzdem froh um diese Schuhe bin. Denn lieber habe ich nasse Füße als die Schmerzen im linken Fuß. Allmählich beruhige ich mich wieder und konzentriere mich auf die Landschaft. Ich glaube, so viele Fotos wie heute hab ich auf der ganzen Reise noch nicht gemacht. Und auch wenn die Fotos schön aussehen, das Gefühl wie es ist, hier zu sein, lässt sich auch mit den Bildern nicht vermitteln.

    Ich komme an einen weiteren Fluss, den ich furten muss. Hier ist schon deutlich mehr Strömung und ich muss mich konzentrieren, wo ich Füße und Stöcke im Fluss positioniere. Ich muss richtig gegen die Strömung arbeiten. Das Wasser geht mir bis zu den Knien. Ich bin froh, das ich Knie auf der Höhe habe, wo andere ihren Bauchnabel haben. Meine langen Beine kommen mit hier wirklich zugute.

    Dann geht es weiter. Schon aus der Ferne habe ich mich gefragt, wo der Weg hier weiter geht. Von hier aus soll es hoch bis auf 1.500m Meter gehen. Das ist etwas mehr als die Kampenwand hat, allerdings erinnern die Berge hier mehr ans Stubai als an den Chiemgau. Ein riesiges, steiles Schneefeld zieht sich zwischen den Felswänden in einer immer schmaler werdenden Scharte hoch. Ich muss erstmal analysieren, ob und wo unter dem Schnee Wasser verlaufen könnte, wegen der möglichen Gefahr einzubrechen. Ab einer gewissen Höhe gibt es auch schneefreie Bereiche. So suche ich mir schon von unten eine Linie, die ich für vertretbar halte. Auf halber Höhe muss doch noch eine drei Meter breite und sehr steile Schneepassage queren. Hier will ich keinen Fehler machen. Aber konzentriert und ohne Hektik überwinde ich auch diese Stelle. Ich kann mir gut vorstellen, dass hier vor einer Woche noch Leute umgedreht sind. Wenn hier mehr Schnee gelegen hätte, wäre ich hier nicht weiter gegangen. Weiter oben kommt noch ein großes Schneefeld, das aber nicht so steil ist und gut passierbar. Dann bin ich endlich oben, am höchsten Punkt des heutigen Tages. Der Ausblick von hier ist nicht zu beschreiben.

    Es ist recht windig und ich gehe weiter. Auf der anderen Seite des Sattels führt der Weg wieder runter. Teils durch schweres Geröll, teils als Pfad, teils über grössere Schneefelder. Insbesondere letztere sind bergab ein Genuss. Kontrolliert und ohne viel Aufwand rutsche ich entspannt nach unten. Nach 20 km erreiche ich einen weiteren Fluss. Hier ist zum Glück eine Brücke aufgebaut. Nicht weit von hier ist die Lungsdalshytta, die ich von oben schon sehen konnte.

    Kurz nach der Brücke mache ich eine Pause. Ich merke, dass die 20 km hier mehr Kraft gekostet haben als 20 km auf vergangenen Etappen. Aber mein Pensum werde ich heute noch schaffen. Während meiner Pause kommt eine junge Frau auch über die Brücke. Sie arbeitet auf der Hütte und hat nur eine kleine Wanderung am See entlang gemacht, in dem der Fluss mündet. Es ist ihre erste Saison auf einer DNT-Hütte. Seit drei Tagen ist die hier, seit gestern erst hat die Hütte geöffnet. Im Moment haben sie eh nur 5 Gäste. Sie wünscht mir eine gute Tour und geht weiter. 15 Minuten später mache ich mich auch wieder auf den Weg. Nach einem Kilometer komme ich auch an der Hütte vorbei. Fünf Mädels sitzen draußen am Tisch und unterhalten sich. Kurz überlege ich, ob Nicole doch eine Norwegentour in ihr Ladiestouren-Programm aufgenommen hat und mich hier überrascht.

    Ich gehe an der Hütte vorbei und quere einen weiteren Fluss. Wieder ein beeindruckender Wasserfall mit ordentlicher Gischt. Von hier an geht es in ein weiteres Tal. Wieder unfassbar schön. Nach 2 Kilometern führt der Pfad stetig rechts bergauf und ich verlasse das Tal seitlich über einen langen Sattel. Hier ist ein großer See, den ich halb umrunde. Mittlerweile bin ich echt platt. Am See selbst ist es uneben oder sumpfig. Auch unzählige Mücken schwirren hier herum. An einem Bach entlang gehe ich querfeld ein nach oben. Mittlerweile habe ich ein ganz gutes Näschen für potenzielle Stellen für ein Zelt. Und tatsächlich finde ich schnell eine geeignete Stelle. Heute gehe ich aber erst zum Bach und wasche mich. Denn noch ist mir warm vom Aufstieg. Dann baue ich mein Zelt auf und esse zu Abend.

    Morgen geht es gleich weiter hoch auf über 1.700m. Wenn die Bedingungen halbwegs so sind wie heute, mache ich mir da keine Sorgen.
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  • Dag 26

    Hochtourenfeeling

    25 juni 2023, Noorwegen ⋅ ⛅ 15 °C

    Für heute habe ich mir den Wecker auf 6:00 Uhr gestellt. Ich möchte wieder früh los, besonders, weil ich heute nicht weiß, was mich erwartet. Das weiß ich zwar nie, aber heute geht es hoch bis auf 1700 m. Die Nacht über schlaf ich aber total schlecht. Ich kann gar nicht genau sagen, warum. Ein Faktor ist aber sicherlich die Helligkeit im Zelt. Um 5:00 Uhr werde ich wach, schau auf die Uhr und stelle erst mal den Wecker aus. Ich bin total gerädert. Und wenn ich die Chance haben möchte, noch mal einzuschlafen, hilft es mir nicht zu wissen, dass schon in 60 Minuten der Wecker klingelt. Mir ist gar nicht mal so warm und so richtig wohl fühle ich mich auch nicht. Aber ich schaffe es, noch einmal einzuschlafen. Als ich das nächste Mal wach werde, ist es 6:15 Uhr. Im Zelt wird es jetzt deutlich wärmer, weil die Sonne schon Vollgas auf das Zelt strahlt. Ich fühle mich immer noch gerädert, entscheide mich aber aufzustehen. Es gibt Kaffee und Knusper Müsli mit heißem Wasser, was gar nicht mal so schlecht schmeckt, wahrscheinlich wegen des Zimts und einer ganzen Menge Zucker.

    Um Punkt 8:00 Uhr mache ich mich auf den Weg. Da ich gestern etwas querfeldein den Berg hoch gelaufen bin, gehe ich nicht wieder runter zum Weg, sondern etwas weiter hoch, wo ich auf den markierten Weg stoße. Zu Beginn des Tages stehen einige Höhenmeter auf dem Plan. Die Schneefelder werden mehr und die Aussicht wird immer beeindruckender. Bei anstehenden steilen Anstiegen versuche ich schon aus der Ferne, mir eine Linie durch diesen Anstieg zu denken. Die Pfade liegen oft unter steilen Schneefeldern. Dann muss man selbst schauen, was die sicherste Variante ist. Nach den ersten beiden Anstiegen geht es jeweils wieder ein Stück bergab in eine Senke, danach aber jedes Mal höher als zuvor. Einige Seen sind noch teilweise mit Eis und Schnee bedeckt.

    Nach 7 km sollte ich eigentlich den höchsten Punkt erreicht haben. Übrigens nicht nur den höchsten Punkt des Tages, sondern auch einer der höchsten Punkte der gesamten Tour. In einigen Tagen geht es noch mal auf die gleiche Höhe, direkt im Nationalpark Jotunheimen. Eigentlich will ich dort meine erste Pause machen, also am höchsten Punkt, nicht im Nationalpark. Aber es geht nur mühsam voran. Mehr als eineinhalb Stunden brauche ich für die ersten 4 km. Mittlerweile sind die Seen hier komplett mit Eis und Schnee bedeckt. Je weiter ich komme, desto mehr laufe ich durch Schnee. Einen Fluss muss ich furten, wo ich erst von einem dicken Schneebrett ins Flussbett steige und auf der anderen Seite wieder auf das Schneebrett herauf klettere. Ich hätte nicht gedacht, dass sich die Kälte des letzten Flusses noch einmal toppen lässt. Das ganze hier hat echtes Hochtourenfeeling. Es ist deutlich mehr Schnee als Fels. Aber in regelmäßigen Abständen stehen die Steinmännchen mit dem roten T, dass ich mit der Orientierung hier keine Probleme habe. Es ist nicht nur das Gelände, was mich langsam vorankommen lässt. Immer wieder muss ich auch stehen bleiben, mich umschauen und Fotos machen. Es ist einfach unfassbar schön, hier oben allein unterwegs zu sein.

    Als ich weiter gehe, sehe ich in der Ferne zwei Menschen mit zwei Hunden. Sie kommen mir entgegen. Ich hätte nicht gedacht, dass ich hier andere Menschen treffe. Aber da sie mir entgegenkommen, kann ich davon ausgehen, dass der Rest meines Weges auch zu schaffen ist. Es sind zwei Frauen mit zwei Huskies. Sie erzählen mir, dass ich die erste Mensch bin, den sie seit acht Tagen treffen. Sie gehen den „Signatur-Massiv-Wanderweg“, welchen ich heute und morgen auch laufe, später aber dann abbiege. Ein Wanderweg, den ich mir für zukünftige Urlaube vormerken werde. Es sind Mutter und Tochter. 17 Tage sind Sie unterwegs, heute ist Tag Nummer acht. Ich erzähle von meinem Plan, zum Nordkap zu laufen. Sie sind sichtbar begeistert und fragen mich, ob sie ein Foto von mir machen dürfen. Selbstverständlich, aber dann möchte ich auch ein Selfie mit uns allen für diesen Blog. Auch die beiden Huskies müssen mit drauf. Wir unterhalten uns noch kurz und dann geht es weiter.

    20 Minuten später bin ich auf 1700 m. Es bläst ein frischer Wind hier oben, dennoch entscheide ich mich, hier eine Pause zu machen. Ich bin ganz schön platt. Heute auf mein Pensum von 25 km zu kommen, wird eine echte Herausforderung. Genau genommen möchte ich sogar 27 km machen, da ich es dann morgen in einem Tag nach Tyinkrysset schaffen kann, wo es einen kleinen Supermarkt und sogar einen Intersport gibt. Von hier aus wird es dann weiter nach Jotunheimen gehen.

    Ich gehe weiter. Von nun an geht es fast ausschließlich bergab. Die Schneefelder weichen in der Sonne immer weiter auf und das Laufen durch den Schnee wird zunehmend anstrengender. Gegen 13:00 Uhr erreiche ich die DNT-Hütte Bjordalsbu. Mit kleinen Pausen bin ich nun 5 Stunden unterwegs. Geschafft habe ich 10 km. Aber ich bin mir sicher, dass das Gelände von nun an Stück für Stück leichter zu gehen wird, da es tendenziell bergab geht. Ich setze mich auf die kleine hölzerne Terrasse der Hütte. Dann lege ich mich hin. Es dauert nicht lange, und ich schlafe ein, werde aber immer durch mein eigenes Anschnarchen wieder wach. Das ganze passiert mir drei oder vier mal und tut richtig gut.

    Um 13:40 Uhr gehe ich weiter. Es sind noch einige Schneefelder, aber es werden zunehmend weniger. Dafür werden die schneefreien Passagen von sehr grobem Geröll bestimmt. Diese Geröllpassagen sind zwar anspruchsvoll, dafür aber sehr kurzweilig, weil ich hoch konzentriert, immer zwei Schritte im Voraus geplant, mir meinen Weg durch das Geröll suche. Alle paar Meter muss ich aber anhalten, um nach Wegweisern Ausschau zu halten. Gehen über Geröll und gleichzeitig umschauen, funktioniert einfach nicht.

    Irgendwann wird auch das Geröll weniger und das Tal wird flacher. Die schwierigsten Passagen habe ich für heute wohl hinter mir gelassen. Jetzt laufe ich einen eindeutigen Pfad entlang, der stetig ins Tal führt. Dort unten verläuft eine Straße, die ich nur queren muss, um auf der anderen Seite direkt wieder in den Wanderweg einzusteigen. Fast 25 km habe ich heute geschafft. Ich mache noch eine Pause, um meine letzten Kräfte zu bündeln, um nun noch einmal 300 Höhenmeter nach oben zu bewältigen. Der Tag heute hat richtig Kraft gekostet. Gleichzeitig war es vielleicht sogar eine der schönsten bislang. Die Gegend dort oben war eine ganz eigene Welt und ich bin wirklich glücklich, dass ich mich für diese Route entschieden habe. In den nächsten Tagen dürften mich ähnliche Verhältnisse erwarten. Nach heute bin ich zuversichtlich, dass ich auch gut durch Jotunheimen kommen werde.

    Die letzten 2 km und 300 Höhenmeter muss ich mich echt pushen. Aber dann ist es irgendwann geschafft. Ich finde einen schönen Platz mit richtig schöner Aussicht unweit von einem kleinen Bach. Zwei Quadratmeter halbwegs flacher Boden und Wasser in der Nähe. Mehr brauche ich nicht. Beim Zelt aufbauen merke ich erst mal, wie platt ich bin. Jeder Handgriff ist unfassbar anstrengend. Als ich fertig bin und das Zelt eingeräumt habe, geht es noch zum Waschen. Das eiskalte Wasser fährt meinen Kreislauf noch einmal nach oben. Dann mache ich noch Fotos vom Zelt. Er sieht einfach aus wie im Katalog hier. Dann gibt es Abendessen: Spaghetti Bolognese aus dem Beutel.
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  • Dag 27

    Energielos nach Tyinkrysset

    26 juni 2023, Noorwegen ⋅ 🌬 18 °C

    Schlaf wird so langsam ein echtes Problem. Normalerweise bin ich ein guter Zeltschläfer. Aber in den letzten Tagen schlafe ich schlecht und wenig. Auch in der vergangenen Nacht hab ich mich viel hin und her gedreht. Heute morgen werde ich mit zusätzlichen Verspannungskopfschmerzen wach. Es ist kurz nach 6:00 Uhr und während ich aufstehe, gehen mit Gedanken durch den Kopf, ob ich das ganze hier nicht auf zwei Jahre hätte aufteilen sollen. Dann hätte ich bald wenigstens die Hälfte geschafft. Kurz danach wird mir aber auch klar, dass die aktuelle Situation, körperlich platt, Kopfschmerzen und unausgeschlafen, vielleicht nicht die beste ist, um sich über die weitere Reise Gedanken zu machen. Ich beschließe, in Tyinkrysset einen weiteren Ruhetag zu machen, wenn der Campingplatz nicht zu schrecklich ist. Im Internet finde ich keine Webseite und keine aussagekräftigen Bilder. Nur eine Telefonnummer.

    Der Wind hat in den Morgenstunden voll zugelegt und am Zelt gerüttelt. Ich bin froh, dass ich am Abend noch die Zeltleinen abgespannt hatte. Als ich diese heute morgen löse, biegt sich das Zelt schon ganz ordentlich. Beim Abbau muss ich echt aufpassen, dass mir das Zelt nicht einfach davon fliegt.

    Um 08.00 Uhr mache ich mich auf den Weg. Die ersten Schneefelder, die ich kreuze, sind noch fest und ich sinke gar nicht ein. Der Weg zieht sich durch ein weitgehend grünes, jedoch baum- und strauchfreies Hochtal. Ein Bach, den ich queren muss, ist grenzwertig breit. Ich finde eine Stelle, an der ich mir einen Sprung zutraue. Von Stein zu Stein. Das ist wichtig für den Grip beim Absprung und beim Aufkommen. Ich kann meine Sprungweite eigentlich gut einschätzen, möchte an dieser Stelle hier aber keinen Fehler machen. Außerdem habe ich zu viele Katzenvideos auf YouTube gesehen, wo diese eleganten, sportlichen Tiere ihr Sprungziel anvisieren, ausrutschen und gestreckt wie ein Basejumper mit Jumpsuite schon nach einigen Zentimetern Richtung Boden fallen. Bestes Beispiel hier: https://youtube.com/shorts/b0eF2xCKPZg?feature=… (ganz anschauen). Aber der Sprung gelingt mir und ich setze meine Wanderung trocken fort.

    Nach deutlich mehr als einer Stunde mache ich eine Pause. Ich bin total platt. Der Blick auf die Karte zeigt, dass ich erst knapp 4,5 Kilometer geschafft habe. Der Tag heute wird zäh. Ich spüre den fehlenden Schlaf, den gestrigen anstrengenden Tag und die leichten Kopfschmerzen. Beim Weitergehen entschließe ich mich, die Kopfhörer aus dem Rucksack zu holen. Bruce muss es heute richten. Ich höre wieder „The River“ und es dauert nicht lange, bis ich heulend durch dieses Hochtal laufe. Aber diesmal sind es nicht diese Tränen vor Freude und Überwältigung, dass alles so schön ist. Diesmal bin ich einfach komplett durch. Ich bin mental und körperlich richtig platt! Ich muss immer wieder mal kurz anhalten, weil der Weg vor meinen Augen verschwimmt. Nach ein paar Minuten geht es aber wieder und ich fühle mich doch etwas besser. In der Ferne an den steilen Hängen entdecke ich ein paar Rentiere. Viel weiter weg als beim letzten Mal, aber ich freue mich trotzdem und es lenkt mich eine Zeit ab.

    Als ich gerade meinen Tritt gefunden habe und das Gefühl habe, etwas schneller voranzukommen, komme ich an einen Fluss. Ich muss furten und schon ist der Rhythmus dahin. Das Wasser ist wieder schmerzend kalt. Auf der anderen Seite wieder Schuhwechsel und weiter geht’s an dem See entlang, aus dem der soeben gefurtete Fluss fließt. Nach ein paar hundert Metern komme ich an eine Stelle, wo ein Fluss in den See hineinfließt. Ich muss schon wieder furten. Das kostet jedes Mal Zeit und Energie, von der ich heute reichlich wenig habe.

    Der Weg wird von nun an wieder anspruchsvoller. Es geht bergauf und ich quere immer mehr Geröllabschnitte. An einem Bach mache ich Pause. 9,5 Kilometer. Ich lehne mich an einen Fels und versuche etwas zu schlafen. Leider erfolglos. Also gehe ich weiter bis ich bald den höchsten Punkt des Tages erreiche. Die nächsten zwei Kilometer geht es durch viel Geröll, dafür weitestgehend bergab in eine andere Hochebene mit grossem See. Energielos und unmotiviert arbeite ich mich runter in diese Ebene. Und wieder komme ich an einen Fluss, den ich furten muss. Auf der anderen Seite angekommen mache ich wieder eine Pause. 14,5 Kilometer. 27 Kilometer stehen auf dem Programm heute. Aber ich habe große Hoffnung, dass der Weg ab jetzt etwas einfacher wird. Während ich an einen Stein gelehnt dort sitze, verschwindet plötzlich der Sonnenschein. Große, dunkelgraue Wolken haben sich vor die Sonne geschoben. Das angekündigte schlechte Wetter schiebt nun aus Süden herein. Ich beende meine Pause umgehend.

    Die nächsten sechs Kilometer geht es noch teilweise bergauf, in Summe aber allmählich weiter bergab. Bei jedem kleinen Anstieg fühle ich mich wie bei einer Everestbesteigung. Ich bilde mir sogar ein, dass die Luft hier oben in den letzten Tagen wirklich dünner ist. Vermutlich ist es nur meine Erschöpfung. Als der Pfad zunehmend bergab führt, kommt mir eine Frau mit zwei Hunden entgegen. Sie ist der erste Mensch, der mir heute begegnet. Sonst ist es immer nett, kurz stehen zu bleiben und sich auszutauschen. Wo man herkommt, wo es hingeht und so weiter. Das ist mir heute aber alles sowas von scheiß egal. Ein kurzes „Hi“ und ich gehe weiter.

    Dann komme ich an die Geländekante und sehe unten im Tal einen See. Nach einer weiteren Pause, noch kommt die Sonne immer wieder mal vereinzelt durch, geht es an die letzten 7 Kilometer. Ich steige den Pfad ab, der irgendwann an einer Schotterstrasse herauskommt. Diese führt um den See herum. Nicht weit von mir sehe ich schon die ersten Regenschauer und es dauert nicht lange, bis mir kalter Wind und Regengeruch entgegenschlagen. Ich halte an und mache meinen Rucksack regensicher. Bis das Solarpanel abgebaut ist, dauert es doch immer ein wenig. Das will ich nicht erst in einem kräftigen Schauer machen. Als ich weitergehe, spüre ich die ersten Tropfen. Schnell wird es mehr und ich stelle mich am Vordach einer Hütte unter. Ich möchte aber weiter und ziehe auch die Regenhose an. Der Supermarkt schliesst um 18.00 Uhr, da möchte ich vorher unbedingt noch einkaufen.

    So geht es in voller Regenmontur weiter und es dauert nicht lange, da kommt die Sonne wieder raus. Also wieder raus aus der warmen Regenhose. Der restliche Weg zieht sich und zum allerersten mal höre ich einen Podcast, damit die Zeit schneller vergeht. Lustigerweise erzählt hier Tommi Schmitt von seinem Moment als er weinen musste, weil er emotional überwältigt war. „Watt bis denn Du für‘n Mann? Grill doch mal!“, ist Felix Lobrechts ironische Antwort darauf. Herrlich!

    Es geht irgendwann auf die Hauptstraße und dann noch ein paar hundert Meter Wanderweg entlang. Dann ist es endlich geschafft. Ich gehe an dem Gebäude vorbei, in dem Supermarkt und Intersport untergebracht sind. Dahinter soll der Campingplatz sein.

    Als ich den „Campingplatz“ erreiche, sehe ich einen grossen Schotterparkplatz direkt neben der Strasse. Zwei Wohnmobile stehen hier und am Rand des Platzes stehen Pfeiler mit Steckdosen. Alles sieht irgendwie verwahrlost aus. Ich schaue mich um, ob ich eine Rezeption finde oder einen Eingang, der ggf. zu dem eigentlichen Campingplatz führt. Ich finde nichts. Ich rufe die Nummer an, die bei Google hingelegt ist. Niemand geht dran. Im Intersport erklärt mir der Mann, dass da mal ein Campingplatz war aber der Grund verkauft worden wäre und niemand weiss, was aktuell dort geplant sei.

    Zum Glück kann man neben dem Intersport Zimmer und Ferienwohnungen mieten. Der nette Inhaber vom Intersport ist auch hier der Inhaber. Eine Nacht kostet 60 EUR. Das ist wieder 5 x soviel wie geplant. Aber es hilft nichts. Ich frage, ob es ok ist, wenn ich morgen entscheiden kann, ob ich eine weitere Nacht bleiben kann. Das sei kein Problem. Es haut zwar wieder richtig ins Budget aber ich muss einen Tag Pause machen. Opplev File Fjell heisst die Unterkunft hier. Alles ist liebevoll eingerichtet, es gibt einen grossen Gemeinschaftsraum mit Küche und Wohnzimmerfeeling. Das Zimmer ist nicht groß, aber sauber und stilvoll. Ich lege mein Zeug hier ab und gehe dann einkaufen. Dann telefoniere ich noch ein Stündchen mit Nicole.
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  • Dag 28

    Ruhetag

    27 juni 2023, Noorwegen ⋅ ☀️ 13 °C

    Heute mal nur kurz. Es ist heute ein richtiger Ruhetag. Tyinkrysset besteht aus einer Tankstelle, der Zimmervermietung, wo ich untergekommen bin, einem Supermarkt und einem Intersport. Bis auf die Tankstelle versorge ich hier alle mit meinem Geld. Im Intersport gibt‘s 100g Backupgas, ein neues paar Wandersocken und zusätzliche Trekkingnahrung. Im Supermarkt kaufe ich für die kommenden 6 Tage ein. Müsliriegel, Müsli, Nussmischung, „Kaffee“.

    Mein Fuß macht mir heute wieder Sorge. Das Problem ist nicht weg, es ist mit den neuen Schuhen einfach besser gebettet. Aber am Morgen schmerzt der Fuß bei jedem Auftreten. Mit etwas Bewegung wird es besser aber ich habe große Sorge, dass dieses Problem meine Reise frühzeitig beenden könnte. Am Abend massiere ich die Fußsohle ausgiebig und es fühlt sich gleich besser an. Aber bei allem, was ich zu Metatarsalgie finde, ist die Hauptlösung, dass man die Belastung maximal zurückfährt, auf maximal weichen Sohlen läuft und einen Podologen aufsucht. Mit meinem Schuhwechsel und den Einlagen habe ich schon viel richtig gemacht. Die Lösung wird es aber wahrscheinlich nicht sein. So lange ich so wie in dem vergangenen vier Tagen unterwegs sein kann, gehe ich weiter. Aber ich bin skeptisch, da etwas mehr als 3/4 meiner Reise noch vor mir liegen. Das drückt die Stimmung etwas.

    Bis zum frühen Nachmittag hat es hier geregnet. Die Auszeit war gut getimed. Morgen geht es erst ein paar Kilometer über Asphalt und dann 20 Kilometer über eine Schotterstrasse. Das wird ein weiterer Fußtest. Morgen abend oder übermorgen früh geht es dann ins richtige Jotunheimen. Hier gibt es wieder einige potenzielle Schlüsselstellen.

    Geschlafen habe ich die letzte Nacht schon besser. Aber der Mittagsschlaf heute war einfach sensationell! In diesem Sinne, gute Nacht!
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  • Dag 29

    Tyinkrysset - Fondsbu

    28 juni 2023, Noorwegen ⋅ ☁️ 13 °C

    Wieder habe ich am Abend meine Probleme, einzuschlafen. Aber gegen Mitternacht kommt die schwere Müdigkeit und ich schlafe tief und fest. Ich werde zur einmal um kurz nach vier und einmal um kurz nach sechs wach, drehe mich aber um und schlafe direkt weiter. Das ist etwas, was ich normalerweise nicht so gut kann.

    Um 7:30 Uhr werde ich wach. Am liebsten würde ich noch Stunden im Bett liegen bleiben. Ich habe mir zwar vorgenommen, mich heute Morgen nicht zu Stressen, aber zu spät möchte ich auch nicht los. Ich mache mir einen Cappuccino, hole meine Wäsche von der Wäscheleine im Waschraum und packe meinen Rucksack. Auch für eine heiße Dusche ist noch Zeit. Mental spüre ich einen seltsamen Mix aus Skepsis, ob mein Fuß das alles mitmachen wird und Vorfreude auf einen sonnigen Tag. Der Fuß fühlt sich heute Morgen wieder nicht gut an, aber ich denke, wenn es nicht schlimmer wird als in den letzten Tagen, kann ich meine Route gut fortsetzen.

    Pessimismus und Zweifel werden mir nicht weiterhelfen. Das ist immer leicht gesagt. Aber heute entscheide ich mich ganz bewusst, optimistisch zu sein und positiv auf die kommenden Tage zu schauen. Beim zweiten Cappuccino ist daher etwas Zeit für eine musikalische mentale Stärkung. „Why worry? There should be laughter after pain,
    There should be sunshine after rain,
    These things have always been the same. Why worry now?“, Dire Straits.

    Ich rufe bei den Inhabern der Unterkunft an, um Bescheid zu geben, dass ich bezahlen möchte. Der Mann vom Intersport kommt rüber und wir unterhalten uns noch eine halbe Stunde übers Wandern, unter anderem körperliche Probleme, wie meine Fußschmerzen, über das Leben in den Bergen und was es bedeutet, dort wirklich im Moment zu sein. Der Mann vom Intersport heißt übrigens Sven. Er selbst hat zwei Jahre nur hier in den Bergen gelebt, ohne einen festen Wohnsitz zu haben. Alles, was er sagt, wirkt sehr überlegt und scheint Hand und Fuß zu haben. Er selbst hat mehrere Jahre als Fotograf gearbeitet. Mit Social Media geht es ihm wie mir. Sie nehmen sich ständig vor, ihre Unterkunft und ihr Freizeitangebot mehr zu pushen, verlieren aber schon nach kurzer Zeit die Motivation weiter zu machen. Er unterscheidet auch zwischen Arbeit und Freizeit in den Bergen. Wenn ich ihn richtig verstanden habe, gehen sie angeln, um Fisch für den Winter zu haben und auch zwei oder drei Rentiere werden gejagt. Wenn er aber nach Feierabend mit der Angel loszieht, geht es um Freude am Fischen und das Hobby selbst.

    Ich frage ihn, ob die vielen Hütten, die überall im Tal verteilt stehen (bestimmt hunderte) bewohnt sind oder ob es Ferienhäuser sind. Das seien alles Ferienhäuser. Im Umkreis von 4 km würden nicht mehr als 30 Menschen leben. Ich frage, ob das dann hier die Innenstadt sei. „That‘s the shit“, sagt er lachend! Ich bezahle die zwei Nächte für mein Zimmer. Ich sage ihm, dass ich auch die Waschmaschine genutzt hätte. Das interessiert ihn aber nicht. Er berechnet nur die beiden Nächte.

    Um 9:30 Uhr mache ich mich auf den Weg. Der Rucksack ist wieder deutlich schwerer, da ich Lebensmittel für sieben Tage dabei habe. Zur Not könnte ich auch immer was auf den Hütten zwischendurch bekommen, aber grundsätzlich habe ich mir angewöhnt, Essen für einen Tag mehr mitzunehmen. Wer weiß, wann der große Hunger einsetzt. Viereinhalb Kilometer geht es über eine Straße allmählich nach oben bis ich an einen riesigen See komme. Hier geht eine Schotterstraße rechts ab. Diese wird heute einen Großteil meiner Route ausmachen. Nach fünfeinhalb Kilometern mache ich meine erste Pause. Die Füße fühlen sich bisher gut an. Das Problem ist da und spürbar, aber nicht schmerzhaft, dass es mich einschränkt. Trotzdem nutze ich die Pause, um Schuhe und Socken auszuziehen. Hier gibt es jetzt mein verspätetes Frühstück. Einen halben Laib Brot und den Rest der Fleischwurst von gestern.

    Dann geht es immer am Seeufer entlang weiter. Das Gehen hier ist zwar recht monoton, dafür komme ich aber schnell voran und habe einen schönen Ausblick auf See und Berge dahinter. Alle 6 km mache ich eine Pause, ziehe Schuhe und Socken aus und dehne die Füße ein wenig. Bei Kilometer 18 mache ich eine längere Pause. Es ist gerade einmal 14:00 Uhr. Als ich weiter gehe, wird es zunehmend dunkler. Aus den Schäfchenwolken sind mittlerweile große dunkle Wolken geworden. Ich würde es nicht wundern, wenn es heute noch ein paar Tropfen regnet. Auch ein ziemlich penetranter Mückenschwarm begleitet mich jetzt dauerhaft. Es ist irgendeine ziemlich ungeschickte, aber dafür umso nervigere Mückenart. Immer wieder fliegen mir die Viecher ins Gesicht. Nach 21 km lasse ich den See hinter mir und erreiche wieder eine Art Hüttendorf. Unzählige, dafür gut verteilte kleine Hütten mit Grasdach bilden hier eine Art Siedlung. Ein paar Kilometer weiter komme ich an die DNT-Hütte Fondsbu, direkt neben dem scheinbar ungenutzten Eidsbugarden Hotel. Beides liegt an einem weiteren großen See. Mein linker Fuß schmerzt inzwischen. Ich krümme den Fuß, um die Belastung vom Fußballen zu nehmen. 24 km Straße scheinen also wortwörtlich die Schmerzgrenze zu sein. Wieder mache ich eine Pause und befreie die Füße von Socken und Schuhen.

    Mein heutiges Etappenziel ist nur noch 3 km entfernt. Ich gönne dem Fuß noch etwas Pause und mach mich dann wieder auf den Weg. Tatsächlich sind die ersten Schritte deutlich leichter als die letzten schmerzenden vor der Pause. Und nach 100 m geht es auf einem Pfad weiter am See entlang, was für die Füße auch eine willkommene Abwechslung ist. An einem der Bäche, die Links von der steilen Talwand herunter kommen, fülle ich meine Wasserflasche. Ein paar 100 m später sehe ich rechts des Weges eine Erhöhung, welche ein idealer Zeltplatz sein könnte. Zu meinem Etappenziel fehlt mir allerdings noch ein knapper Kilometer. Die Chancen, hier unten am See weitere gute Plätze für ein Zelt zu finden, sind eher gering. Wenn ich hier keinen Platz finde, stehen noch zusätzliche 3 km und mindestens 300 Höhenmeter an. Ich verlasse meinen Weg querfeldein zu der Erhöhung. Der Platz ist ideal. Wie es aussieht haben hier schon Leute vor mir gezeltet. Beim Zelt aufbauen finde ich einen alten Hering im Boden.

    Als ich hier ankomme ist es erst 16.30 Uhr. Kraft und Ausdauer hätte ich noch gehabt, um noch weiter zu gehen. Aber heute fühlt es sich einfach nur vernünftig an, auf meinen Fuß zu hören. Außerdem ist es schön, mein Zelt nicht komplett ausgepowert aufbauen zu müssen. Bei den letzten Etappen bin ich jeden Tag ein bisschen weiter gelaufen als geplant und habe mir dadurch einen freien Tag erarbeitet. Für die aktuelle Etappe nehme ich mir vor, keine Extrakilometer zu machen und in der geplanten Zeit zu bleiben. Oft sind es die wenigen Kilometer am Ende, die einem die letzte Kraft rauben. Hier will ich mich nicht mehr zu sehr hetzen.

    Als das Zelt steht, gehe ich noch einmal ein paar 100 m zurück zu meinem Bach, um meine Lagervorräte zu füllen. Als ich zurück bin, schnappe ich mir meinen Waschlappen und Handtuch und gehe die 50 m runter zum See. Das Wasser ist wieder eiskalt, aber da muss ich durch. Heute fällt es mir ein wenig leichter, da ich nicht komplett ausgepowert bin. Aber die Mücken hier sind nicht ohne. In der kurzen Zeit, wo ich im See stehe und mich wasche, kassiere ich bestimmt vier Mückenstiche auf dem Rücken. Daher geht es, obwohl es immer noch sehr früh ist, direkt ins Zelt. Die Türen, lasse ich auf, aber der Mückenschutz wird zugemacht.

    Ich liege etwas im Zelt und genieße das nichts tun. Dann mache ich mein Abendessen. Ich vermisse jetzt schon die Dunkelheit meines Zimmers der letzten zwei Nächte. Heute werde ich mir die Mütze wieder tief über die Augen ziehen müssen.
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  • Dag 30

    Fondsbu - Memurubu

    29 juni 2023, Noorwegen ⋅ 🌧 11 °C

    Für meine Verhältnisse habe ich gut geschlafen. Ich werde zwar oft wach, schaffe es aber meist wieder halbwegs schnell einzuschlafen. Als ich mir die Mütze von den Augen ziehe, ist es 7:00 Uhr. In der Nacht hat es teilweise geregnet. Jetzt ist gerade Regenpause. Draußen hängen Nebelschwaden an den Bergen und über dem See. Der Himmel ist grau. Ich mache mir meinen Aufgusscappuccino und Knuspermüsli mit heißem Wasser. Ich nehme mir vor, um 8:30 Uhr zu starten. Das schaffe ich ohne jede Hektik. Ich würde mir zwar noch mehr Zeit lassen, aber die norwegische Wetter-App prognostiziert für den Abend „heavy rain“. Wenn der startet, möchte ich mein Zelt gerne schon aufgebaut haben. Über den Tag soll es nur bewölkt sein.

    Als ich alle Sachen aus dem Zelt ausgeräumt habe und beginne das Zelt abzubauen, sehe ich, dass es am Ende des Sees bereits regnet. Es wird nicht lange dauern bis der Regen hier ist. Ich baue so schnell es geht das Zelt ab. Noch während ich die ersten Teile im Rucksack verstaue, fallen die ersten Tropfen und es werden schnell mehr. Ich packe so schnell es geht. Manche Sachen werden trotzdem ein wenig nass. Ich ziehe Regenhose und Regenjacke an und stülpe den Regenschutz über den Rucksack. Dann putze ich mir im Regen noch die Zähne.

    Um kurz nach 8:30 Uhr geht es los. Der Pfad führt noch eine Weile am See entlang und biegt dann links ab. Hier geht es etwa 300 Höhenmeter an der Seite des Tals nach oben. Der Regen hat mittlerweile aufgehört und ich ziehe die Regensachen aus. Insbesondere bergauf läuft es sich ohne Regenhose und Regenjacke einfach befreiter. Neben dem Pfad rauscht ein Fluss in vielen kleinen Wasserfällen laut nach unten. Ich hoffe, dass oben eine Brücke bei diesen Fluss geht. Das hier ist schon eine Menge bewegtes Wasser. Nach etwa einer Stunde komme ich oben an. Zum Glück gibt es wirklich eine Brücke. Eine Hängebrücke, die aussieht, als ob man sie aus Paletten zusammengebaut hätte. Das Holz dieser Paletten sieht noch recht neu aus. Die Brücke wackelt ordentlich, macht aber sonst einen soliden Eindruck. Gut, dass hinter mir nicht irgendein Spaßvogel läuft, der meint, die Brücke, extra zum schwingen bringen zu müssen. Wäre aber eh meine Rolle.

    Die Brücke war ein kleines Highlight. Danach geht es weniger steil weiter durch das Fjell. Die Wolkenbasis, die um mich herum einige Gipfel verschlingt, scheint sich langsam anzuheben. Ein gutes Zeichen. Ich gehe weiter und freue mich allein darüber, dass es im Moment nicht regnet. Die Gegend um mich herum ist ohne Frage schön. Auch die tiefen Wolken und vereinzelte Nebelschleier tragen zu einer besonderen Stimmung bei. Dennoch habe ich mich an diese Art der Landschaft ein wenig gewöhnt. Ich denke darüber nach, ob nun ein wenig Alltag einkehrt. Am Anfang haben mich jeder kleine See, jeder kleine Wasserfall und ganz viele andere Dinge direkt geflasht. Inzwischen setz doch ein leichter Gewöhnungseffekt ein. Es ist einfach fast immer schön und eine ganz besondere Landschaft.

    Nach einiger Zeit komme ich an einen Fluss. Ich habe keine Lust, die Schuhe zu wechseln, und suche nach einer Möglichkeit, von Stein zu Stein hüpfend den Fluss zu queren. Leider ergebnislos. Also raus aus den Wanderschuhen, rein in die Wasserschuhe, rein in das kalte Wasser. Auf der anderen Seite angekommen mache ich eine kleine Pause. Allerdings stehend. Alles ist nass und der leichte Wind lädt nicht dazu ein, sich hier hinzusetzen. Nach einem Müsliriegel geht es gleich weiter. Den nächsten Fluss kann ich an einer Stelle etwas flussaufwärts springend überwinden. Zwischendurch gibt es immer mal wieder leichten Regen. Aber nicht so viel, dass ich mein Regenzeug anziehe. Nach einigen Minuten hört es immer wieder auf. Es wird sogar zunehmend heller. Scheinbar lockert es nun etwas auf.

    Ich bin nicht übermäßig gut gelaunt, freu mich trotzdem, dass es nicht regnet. Und ich freue mich darüber, dass ich mich darüber freue, dass es nicht regnet. Manchmal braucht es nicht viel. Ich überlege mir noch weitere Dinge, über die ich mich heute Morgen freuen kann. Ich fang jetzt hier nicht mit einem Dankbarkeitstagebuch an, aber es ist ein netter Zeitvertreib. Ich freue mich, dass es nicht regnet, dass ich für meine Verhältnisse gut geschlafen habe, dass ich meinen Rucksack noch packen konnte, bevor der Regen richtig losging, dass mir der Rucksack heute etwas leichter vorkommt als gestern (wahrscheinlich, weil er etwas leichter ist), dass ich noch trockene Füße habe, dass mein linker Fuß sich zumindest bis hierhin gut anfühlt.

    Es geht noch weiter bergauf bis ich einen Sattel erreiche. Irgendjemand hat hier oben eine Leine mit tibetischen Gebetsfahnen zwischen zwei Steinmännchen gespannt. Ein richtig schöner Ort dafür und mit diesem steinigen Umfeld könnte das gerade wirklich irgendwo in Tibet sein. Als ich weitergehe, sehe ich in der Ferne zwei Wanderer, die auf mich zukommen. Es sind wieder zwei Mädels. Die Frauenquote hier oben ist echt enorm hoch. Sie kommen von einer der Hütten, an welcher ich heute auch noch vorbei muss. Sie machen einen fünftägigen Trip. Erst gestern hätten sie auch jemanden getroffen, der zum Nordkap unterwegs ist.

    Von nun an geht es allmählich bergab in ein Tal mit einem langen See. Dort unten ist die DNT-Hütte Gjendebu. Wenn ich dort bin, habe ich 13 km geschafft. An einem reißenden Fluss entlang geht es weiter runter und die Vegetation wird zunehmend höher. Als ich an einer Bank vorbei komme, mache ich eine Pause. Es ist deutlich wärmer. Nicht nur, weil ich weiter unten im Tal bin, auch weil die Wolkenschicht vor der Sonne weniger zu werden scheint. Ich beschließe, meinen Rucksack aufzumachen und Regenjacke und -hose zum Trocknen rauszunehmen. Auch das Solarpanel möchte ich ab hier wieder auf dem Rucksack befestigen. Es ist zwar kein direkter Sonnenschein, aber wenn ich den Akku ein paar Prozent laden kann, ist das super. Als sämtliches Material auf der Bank verteilt ist und ich in die Tüte mit der Nussmischung greife, fängt es an zu tröpfeln. Ich verwerfe die Idee mit der Solaranlage und packe alles schnell wieder in den Rucksack. Das tröpfeln hört bald wieder auf, aber am Ende des Sees sehe ich den nächsten Schauer. Ich mache den Rucksack wieder regenfest und gehe weiter.

    Nicht viel später erreiche ich die Hütte. Es ist wie ein kleines Dorf, bestehend aus mehreren Hütten. Ein Schild weist darauf hin, dass Gjendebu die älteste DNT-Hütte ist. Ein richtig schöner Ort hier am Ende des Sees, dessen anderes Ende man gar nicht sehen kann. Laut Karte ist es der gleiche See, an dem auch der Besseggengrat entlang geht. Ich gehe durch das „Hüttendorf“ und folge danach einem breiten, gut ausgebauten Weg. Dieser führt zu einer Anlegestelle. Man kann die Hütte wohl auch mit einer kleinen Fähre besuchen. An der Anlegestelle endet auch der Weg. Von hier aus führt ein gewohnt schmaler Pfad weiter am See entlang. Das Wasser ist türkis. Nach 2 km geht der Pfad links ab. Ich schaue hoch in das steile Gelände und kann mir nicht vorstellen, wo hier ein Pfad entlang gehen soll. Laut Karte ist es ein sehr steiler Pfad. Rund 500 Höhenmeter werde ich hier auf den nächsten anderthalb Kilometern überwinden. Vorher mache ich aber noch eine Pause.

    Von nun an geht es deutlich langsamer voran. Der Pfad ist wirklich steil und es dauert nicht lange, bis ich meine Hände zur Hilfe nehmen muss. Je höher ich komme, desto imposanter wird der Ausblick auf den See und die Berge auf der gegenüberliegenden Talseite. Nach einer halben Stunde kommen mir zwei Wanderer entgegen, scheinbar ein Pärchen. Er wartet genervt, während sie sich schwer tut, ein sehr steiles Stück abzuklettern. Hier ist sogar eine massive Kette installiert, an der man sich festhalten kann. Ich kann mir vorstellen, dass das, insbesondere bergab, für jemanden, der sonst nicht so viel in den Bergen unterwegs ist, kein angenehmes Stück ist. Ich setze meinen Rucksack ab und signalisiere, dass ich keine Eile habe. Als das Paar weitergeht habe ich freie Bahn. Das hier ist wirklich leichte Kletterei, mithilfe der massiven Kette aber leicht zu bewältigen. Es folgen noch weitere solcher Kletterpassagen. Und nach jeder Passage schaue ich mich um und muss weitere Fotos machen. Hier sieht’s aus wie im Katalog. Das Türkis des Sees wirkt fast unecht, als hätte ein Fotograf etwas zu sehr am Farbsättigungsregler gedreht.

    Immer wenn ich denke, dass ich fast oben bin, wird ein weiterer „bergauf“-Abschnitt sichtbar. Die letzten Meter ziehen sich und ich komme ordentlich ins schwitzen, dann aber ist es geschafft. Die Aussicht ist wirklich überwältigend. Von hier aus sehe ich bis zum Ende des Sees und links davon den Besseggengrat. Ich bin übrigens nicht der Route von Peter gefolgt, sondern habe den Weg gewählt, den ich mir zu Hause schon zurecht gelegt hatte. Obwohl ich den Besseggengrat eigentlich auslassen wollte, weil er als bekanntes, touristisches Ziel überlaufen sein könnte, überlege ich jetzt doch, ob ich meine Route nicht ändere. Der Vorteil hier wäre, dass er auf jeden Fall schneefrei ist. Das kann ich von hier aus sehen. Wenn ich heute Abend Netz habe, werde ich mir die verschiedenen Routenoption noch einmal ansehen.

    Nachdem ich die Aussicht ausgiebig bestaunt habe, mache ich mich wieder auf den Weg. Rund 5 km sind es noch bis zu dem Punkt, der das Ende meiner Tagesetappe markiert. Es fängt wieder leicht an zu tröpfeln. An einem kleinen Rinnsal mache ich eine kurze Pause. Ich habe heute über den Tag verteilt recht wenig getrunken. Wenigstens ein halber Liter inklusive Vitamintablette ist jetzt fällig. Aufgrund des ungemütlichen Wetters fallen meine Pausen heute alle relativ kurz aus. Es ist kurz nach drei, und ich mache mich auf den Weg in meine finale Etappe. Die letzten Kilometer sind noch einmal richtig anstrengend. Es geht viel bergauf und der Pfad ist anspruchsvoll. Auf der Karte schaue ich, wo ich meine Wasservorräte fürs Lager füllen kann. Rund 3 km vor meinem Ziel finde ich noch einen kleinen Bach. Da es aber noch viel bergauf geht lasse ich diesen aus und versuche so lange wie möglich, ohne die zusätzlichen 3 kg weiter zu gehen. Oben im Fjell hatte ich noch nie Probleme, Wasser zu finden. Was ich aber nicht bedacht hatte war, dass der restliche Weg über den Grat eines Bergrückens führt. Auf einem Bergrücken kann es keinen Bach geben. Von wo sollte das Wasser fließen? Ich habe Sorge, dass ich zusätzliche Kilometer gehen muss. Das würde den Abstieg ins Tal bedeuten, wo die nächste Hütte ist. Ich möchte aber nicht in einer Hütte schlafen und ich möchte nicht schon wieder Geld ausgeben. Und ich möchte unbedingt hier oben bleiben. Die Aussicht ist einfach traumhaft. Ich inspiziere einige kleine Schneefelder links des Weges. Aber keines ist so groß, dass ein kleiner Bach unten heraus läuft. Ich ärgere mich. Als ich ein paar Meter weiter gehe, sehe ich rechts von mir ein riesiges Schneefeld und unterhalb davon Wasser, circa 50 Höhenmeter tiefer. Ich nutze das Schneefeld, um schnell hier herunter abzusteigen. Tatsächlich fließt hier ein kleiner schöner Bach. Wenige Meter daneben finde ich eine ideale Stelle, um ein Zelt aufzustellen. Perfekt!

    Es regnet nicht und ich kann in aller Ruhe mein Zelt aufbauen. Nachdem alles im Zelt verstaut ist, ist wieder Zeit für eine kalte Wäsche. Danach lege ich mich ins Zelt und gönne mir ein weiteres heißes Kaffeeersatzgetränk. Ich freue mich, dass ich hier Empfang habe. Zum ersten Mal seit heute Morgen. So kann ich meine Routenoptionen für morgen recherchieren. Dann beginnt es zu regnen. Natürlich könnte ich mir an diesem Ort auch wunderbar vorstellen, abends in der Abendsonne vorm Zelt zu sitzen. Aber jetzt freue ich mich, dass es so ist, wie es ist. Dass ich mein Zelt im Trockenen aufbauen konnte. Ich schreibe mein Tagebuch und mittlerweile regnet es über eine Stunde durchgehend. Ob das jetzt „heavy rain“ ist, weiss ich nicht. Laut Wetterbericht soll es die ganze Nacht durchregnen.
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  • Dag 31

    Memurubu - Maurvangen (Besseggengrat)

    30 juni 2023, Noorwegen ⋅ ☁️ 8 °C

    Die ganze Nacht hat es geregnet. Zwischendurch auch richtig stark. Zum ersten mal packe ich mir Ohropax in die Ohren und erst nach Mitternacht schlafe ich irgendwann ein. Als ich um kurz nach sieben wach werde, regnet es immer noch leicht. Würde ich nicht auf‘s Klo müssen, würde ich mich gleich wieder umdrehen. Ich habe Glück und der Regen hört nach wenigen Minuten auf. Als ich rausgehe, sieht es Richtung Westen freundlich aus. Richtung Osten hängen Nebelschwaden an den Bergen und der Himmel ist trist grau.

    Am Vorabend konnte ich mich nicht entscheiden, welche Route ich von hier aus weiter gehen werde. Über die Hütte Glitterheimen würde es etwas weiter rein in die Berge gehen und nach vier Tagen würde ich Otta erreichen. Allerdings wäre der Wanderweganteil hier deutlich geringer. Die andere Variante geht nach Vinstra. Allerdings würde ich diese Stadt erst in 5 Tagen erreichen. Es wären rund 20 Kilometer und 1.500 Höhenmeter mehr. Dafür aber wäre ich die meiste Zeit auf Wanderwegen unterwegs.

    Ich zähle Müsliriegel, Trekkingnahrung und sogar das Klopapier. Alles würde für fünf Tage genügen. Bestimmt eine Stunde gehe ich verschiedene Routenoptionen auf Komoot durch. Wenn es keine optimale Lösung gibt, hilft nur eins: eine Entscheidung! Mein Bauchgefühl tendiert zu dem höheren Wanderweganteil nach Vinstra. Außerdem gibt mir das die Gelegenheit, über den Besseggengrat zu gehen. Der soll zwar unglaublich schön sein, es ist aber auch ein Touristenhotspot. Aber bevor ich unten am See entlang gehe, komme ich mit ein paar Touristen schon klar. Die Entscheidung steht also.

    Es ist zwanzig vor zehn als ich mich auf den Weg mache. Ich folge dem Berggrat, auf den ich übernachtet habe, weiter. Am Ende dieser Ridge hat man einen hervorragenden Blick auf den See mit dem links daneben empor steigenden Besseggengrat. Noch bevor ich die sechsköpfige Wandergruppe an dem Aussichtspunkt erblicke, höre ich links neben mir eine Drohne. Das kann ja was geben heute. Die Gruppe grüßt aber freundlich und ich beginne meinen Abstieg ins Tal zur Memurubu Hütte. Hier ist auch ein Bootsanleger. Viele Touristen fahren bis hier mit dem Boot und starten von hier ihre Wanderung auf den Besseggengrat. Kurz bevor ich unten bin, kommt mir ein Wanderer entgegen. Er schaut mich nicht an und grüßt nicht. Außer uns ist weit und breit niemand. Ich komme mir schon vor wie ein Almwirt, der auf die Menschen aus der Stadt schimpft, dass diese kein Benehmen mehr hätten. Naja. Watt wilze machen?

    Neben der Hütte finde ich den Pfad, der auf der anderen Seite gleich wieder nach oben Richtung Besseggengrat führt. Ein Schild weisst darauf hin, dass Drohnen hier verboten sind. Aus den herumliegenden Steinen wurde hier eine Treppe gebaut. Vor und hinter mir sehe ich mehrere „Wanderpärchen“. Nach etwas mehr als eineinhalb Stunden mache ich an einem kleinen Bach meine erste Pause und trinke etwas. Rund 1.100 Höhenmeter gilt es heute bergauf zu bewältigen. Bergab sogar 1.350 Höhenmeter. Als ich weitergehe, kann ich zur Linken in das Tal schauen, was meine Alternativroute gewesen wäre. Auch das sieht machbar aus. Die Angst vor zu viel Schnee war unbegründet. Laut der norwegischen digitalen Schneekarte hätte ich heute noch durch 30cm hohen Schnee laufen müssen. Die Daten liegen deutlich daneben. Zum Glück!

    Ich bin froh, dass ich die 1.100 Höhenmeter nicht am Stück gehen muss. Hier oben geht es bergauf und bergab. Obwohl ich der mit dem größten und vermutlich auch schwersten Rucksack bin, hole ich einen Wanderer nach dem anderen ein. Nur bei steilen Bergaufpassagen muss ich mein Tempo stark drosseln. Immer wieder verraten Schilder, wie weit man bereits gegangen ist und dass man, wenn man bis zu diesem Schild X Stunden gebraucht hat, unbedingt umkehren soll. Ich kehre um. Ne. Spaß!

    Die Aussicht hier oben ist echt Wahnsinn. Rechts der türkisfarbene See im Tal, links die hohen Berge und teilweise Gletscher. Am Fuße des eigentlichen Grates, der Hauptattraktion hier, mache ich noch eine Pause. Im Westen ist es immernoch freundlich, im Osten nur wenige Kilometer entfernt regnet es ab. Die Bewegung der Regenschleier ist schwer auszumachen, aber tendenziell nähern sie sich. Vorsichtshalber mache ich den Rucksack schonmal regensicher.

    Von nun an geht es mir leichter Kletterei weiter. Meine Trekkingstöcke schiebe ich zusammen und befestige sie am Rucksack. Hier ist es hilfreich, Hände und Füße zu benutzen. Der Grat ist hier nur wenige Meter breit und obwohl die Kletterei einfach ist, ist es ein kleines Abenteuer hier oben. Als die Kletterpassage durch ist, ist der beste Aussichtspunkt erreicht. Die Aussicht wirkt fast unwirklich. Es ist gar nicht sooo viel los, mir persönlich aber zu viel. Sonst hätte ich die Aussicht gerne noch länger genossen.

    Ich gehe weiter und hoffe, dass der Grat auf der anderen Seite einfacher abzusteigen ist. Aus dem Grat wird bald ein breiter Berg. Hier oben gibt es nichts außer Steine. Jetzt fängt es auch leicht an zu regnen. Unter mäßiger Steigung geht es weiter bis zum höchsten Punkt. Hier ist es allerdings sehr unspektakulär. So stelle ich mir ungefähr die Mondoberfläche vor. Steine so weit das Auge reicht. Auf der Rückseite des Berges sehe ich im Tal die DNT-Hütte Gjendesheim und die Fähranlegestelle, von der aus viele zur anderen DNT-Hütte, an welcher ich heute morgen vorbeigegangen bin, mit der Fähre fahren. Und ich entdecke noch etwas im Tal. Ist das ein Campingplatz? Laut Komoot wäre das Ende meiner heutigen Etappe kurz vor Ende des Abstieges errichtet. Mir gefällt aber die Vorstellung, ein paar Kilometer weiter zu gehen und heute Abend heiß zu duschen. Und tatsächlich finde ich auf Google diesen Campingplatz.

    Ich mache noch eine kurze Pause, gehe aber schnell weiter, weil ich richtig auskühle. Es ist plötzlich richtig kalt hier oben. Immer wieder überhole ich Leute. Mir sind das hier einfach zu viele Menschen. Auf halbem Weg nach unten fängt es dann richtig zu regnen an. Gut, dass ich meine Regenhose ganz oben im Rucksack habe. Jetzt regnet es sich richtig ein. Ich bin froh, ein konkretes Ziel vor Augen zu haben und heute nicht noch Wasser suchen zu müssen und eine geeignete Stelle für das Zelt.

    Im Tal angekommen habe ich noch einige Kilometer Straße vor mir. Wie immer zieht es sich zum Ende des Tages. Der Mann am Campingplatz ist ein Deutscher. Norddeutscher mit trockenem Humor. Das gefällt mir! Auf dem Campingplatz gibt es sogar ein Restaurant und einen kleinen Shop. Nach einer heißen Dusche gönne ich mir einen viel zu teuren aber sehr guten Elchburger und Schokolade und Bier aus dem Shop. Ich habe das Gefühl, dass mein Körper allmählich nach mehr verlangt. Die Nussmischungen werden immer schneller leer und auch der Müsliriegelverbrauch steigt.

    Hardangervidda und Jotunheimen liegen nun hinter mir. Aus zwei großen Fragezeichen wurden zwei große Ausrufezeichen. Was die kommenden Tage betrifft, habe ich gar keine Ahnung, was mich erwartet. Wahrscheinlich viel „Gegend“. Ich freu mich drauf!

    Ich habe übrigens aufgehört, mir Überschriften für die Footprints auszudenken. Irgendwie haben die immer gleich was wertendes gehabt oder irgendwas hervorgehoben. Aber jeder Tag, jeder Abschnitt hier hat seine Höhen und Tiefen. Beides gehört dazu.
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  • Dag 32

    Maurvangen Camping - Oskampen

    1 juli 2023, Noorwegen ⋅ ⛅ 10 °C

    Am Morgen drehe ich mich noch mehrmals um und schlafe weiter. Wenn mir das schon mal gelingt, dann muss ich das auch ausnutzen. Als ich die Mütze vom Kopf ziehe und auf die Uhr schaue, ist es allerdings erst 06.15 Uhr. Naja. Es wird Zeit, dass die Tage kürzer werden. Würde ich zu Hause nie sagen aber die dauerhafte Helligkeit hier ist einfach zu viel.

    Für heute ist gutes Wetter vorhergesagt. Noch versteckt sich die Sonne aber hinter tief hängenden Wolken, die an den Bergen ringsherum hängen. In der Hoffnung, dass die Sonne bald rauskommt, lasse ich mir mit allem viel Zeit. Tatsächlich lässt sie sich um kurz vor acht blicken und ich kann mein Zelt fast trocken packen. Um 09.00 Uhr mache ich mich auf den Weg. Das Gute ist, dass ich gestern nicht einen Meter Umweg für den Campingplatz machen musste. Meine Route führt genau durch den Campingplatz.

    Bei allen Campern schaue ich auf die Nummernschilder. Vielleicht ist ja mal ein Rosenheimer oder ein Bochumer dabei. Und tatsächlich lese ich auf der Seite eines Vans „Tiemeyer Rent“. Tiemeyer ist ein grosses Bochumer Autohaus und vermietet mittlerweile wohl auch Camper. Gleich zwei davon stehen hier nebeneinander mit Bochumer Kennzeichen. Ich überlege kurz, ob ich die Leute anspreche, aber sie sehen gerade sehr beschäftigt aus. Egal. Bochumer Autos hier auf meiner Route. Ich freu mich über sowas. Überhaupt immer, wenn ich irgendwo ein Bochumer Kennzeichen sehe. Außer in Bochum. Da freue ich mich über ein Rosenheimer Kennzeichen.

    Nachdem ich auch bei den Dauercampern durch bin, geht mein Pfad im hintersten Eck des Campingplatzes ab. Erst durch einen kleinen Birkenwald, vorbei an zahlreichen kleinen Bächen, dann weiter hoch bis die Baumgrenze soeben erreicht ist. Von hier sehe ich vor mir in ein Tal mit einem See. Am Ende des Tals sehe ich einen Berg. Vermutlich der, auf den ich später hoch muss. So kann ich einen großen Teil meiner heutigen Route von hier schon erahnen. Über einen kleinen Steig geht es wieder durch einen dichten Birkenwald runter Richtung See. Einen Zaun muss ich öffnen und hinter mir schließen. Das Schild mit norwegischem Text verrät vermutlich, wieso. Ich höre leises Glockengebimmel. Vermutlich sind hier Schafe.

    Als ich den Birkenwald verlasse und eine große Wiese betrete, sehe ich etwas weiter, was da wirklich bimmelt. Es sind Pferde. Oh nein! Ich mag zwar Pferde, aber vor allem dann, wenn ein Zaun zwischen denen und mir ist. Ich schaue auf meine App. Ich muss genau da lang, wo die Pferdegruppe steht. Ich hole weit aus. Ein erstes Pferd kommt ein paar Schritte auf mich zu. Ich fühl mich richtig unwohl. Ich gehe über einen kleinen Bach, der durch die Wiese läuft. Da hat das Pferd wohl keine Lust zu folgen. Glück gehabt. Aber ich hab jetzt schon Puls! Jetzt muss ich noch an den übrigen vorbei. Zwei nicht mehr ganz so frische Fohlen liegen da. Nicht, dass ich die Mütter hier verärgere. Ich gehe mit 20m Abstand links an der Pferdegruppe vorbei. Zwei Pferde sehen mich erst jetzt und erschrecken. Dahinter läuft der Chef der Gruppe mit dem Totschläger zwischen den Hinterbeinen ziemlich unruhig zu den Fohlen. Eines der beiden Pferde, die ich erschreckt habe, kommt direkt auf mich zu. Meine Schwester Toni würde dem Pferd vermutlich entgegen gehen und sich über die Neugier des Pferdes freuen. Ich merke nur, wie meine Knie weich werden. Ich hab richtig Schiss! Wegrennen ist vermutlich auch keine gute Idee. Also bleibe ich stehen und rede ruhig auf das Pferd ein. Wie bei einem Hund halte ich meine Hand zum schnuppern hin. Das wird scheinbar auch so verstanden. Ich streichele das Pferd etwas an der Nase. Dann gehe ich vorsichtig weiter und hoffe, dass mir das Tier nicht folgt. Gott sei dank! Ich hab den Hengst noch im Auge, der da kurz Unruhe in die Gruppe gebracht hat. Aber keines der Pferde folgt mir. Aus sicherer Entfernung mache ich noch ein paar Fotos. Dabei merke ich, dass meine Hand richtig zittert.

    Ich bin jetzt über 700 km gelaufen. Über 18.000 Höhenmeter hab ich schon hinter mir. Meine Bochumer Jungs wunderten sich Pfingsten, dass ich keine Angst habe, hier von Bären, Wölfen, Elchen oder sogar Trollen angegriffen zu werden. Und heute geht mir der Arsch auf Grundeis, weil ein Pferd an mir schnuppern möchte. Eieiei!

    Meine erste Pause mache ich erst, wenn ich weit genug von den Pferden entfernt bin. Wieder geht es in einen Birkenwald immer entlang am See. Der Pfad hat einige sumpfige Stellen. Nach einigen Kilometern stehe ich vor einem Geröllfeld. Links von mir steigen steile Felswände weit empor. Mehrere hundert Meter muss ich durch dieses Geröllfeld, vorsichtig von einem Felsblock zum nächsten. Ich hätte nicht gedacht, dass ich auf diesem Streckenabschnitt dermaßen anspruchsvolles Gelände queren muss.

    Irgendwann ist es geschafft und ich gehe wieder auf einem gut wanderbaren Pfad. Am See sind einige Hütten mit Motorbooten davor. Ich gehe weiter und komme wieder an eine Art Gatter. Jetzt bin ich wirklich in Sicherheit, denke ich. Seltsamerweise sind auch hier Hufspuren. Und je weiter ich gehe, desto mehr sind es. Ohgottohgottohgott!! Ich höre wieder die Glöckchen. Ich selbst laufe über eine große freie Fläche. Zwischen dem See zu meiner rechten und mir ist Birkenwald. Da kommen die Geräusche her. Sogar ein Wiehern höre ich. Für die meisten wären da einfach Pferde. Ich komme mir aber gerade vor, als ob ich alleine durch den Jurassic Park laufe. Irgendwann habe ich einen weiteren Zaun erreicht. Jetzt bin ich aber wirklich in Sicherheit!

    Nach wenigen hundert Metern erreiche ich die Sikkilsdalsseter-Hütte. Scheinbar kann man von der anderen Seite auch mit dem Auto hierher fahren. Eine Gruppe von Menschen sitz draußen auf ein paar Bänken. Daneben ist eine große Weide mit weiteren Pferden. „Hoffentlich muss ich nicht über die Weide gehen“, ist mein erster Gedanke. Ich habe Glück. Mein Pfad führt außen an der Weide vorbei. Hier mache ich auch erstmal eine Pause. Noch scheint die Sonne. Aber die Wolken werden mehr und dichter.

    Von hier geht es weiter über ein paar Bäche, durch Sumpf, durch einen Birkenwald immer weiter nach oben. 600 Höhenmeter erwarten mich hier. Auf halbem Weg kommt mir ein Pärchen aus Holland entgegen. Sie sind auf dem Weg zum Sognefjord. Morgen wollen sie sich den Besseggengrat anschauen. Nach einem kurzen Plausch geht es weiter. Als ich höher komme, wachsen nur noch Moose und Gräser. Eine reine Steinlandschaft hier oben. Nach etwas mehr als einer Stunde bin ich oben. Ich war gar nicht mal so langsam und habe auch dementsprechend geschwitzt. Hier oben finde ich ein kleines Rentiergeweih. Erst freue ich mich über den seltenen Fund, dann sehe ich eine ganze Sammlung von Geweihen.

    Zuletzt habe ich viel zurück fotografiert, weil hier das spannendere Panorama war. Jetzt, oben am Berg, sehe ich auch wieder weiter nach vorn. Nun sehe ich auch den restlichen Teil der heutigen Route. Ich steige, nun auf der anderen Seite des Berges, etwas ab bis der Wind weniger wird und mache noch eine Pause. Dann steige ich weiter ab bis in ein kleines Tal. Von hier aus geht es wieder bergauf, um einen weiteren Berg zu umrunden. Auch hier finde ich wieder Birkenwälder mit vielen sumpfigen Abschnitten. Hier soll es später etwas höher gehen. Auf dem Satellitenbild als auch vom Berg vorhin sah es aus, als ob es hier ausreichend Gelegenheiten zum Zelten geben wird.

    Wenige Kilometer vor meinem Ziel mache ich eine Pause. Ich setze mich auf einen Stein und es dauert nur wenige Sekunden, bis mich ein ganzer Schwarm Mücken angreift. Teilweise habe ich gleich vier oder fünf Mücken auf einem Arm. Die ersten erschlage ich noch, muss dann aber aufgeben. Das hier ist kein guter Ort für eine Pause. Als ich weitergehe, verfolgen mich die Mücken. Ich gehe so schnell ich kann. Sobald ich bei sumpfigen Gebiet kurz langsamer werde, habe ich gleich doppelt so viele Mücken auf mir sitzen. Alle paar Sekunden streife ich mit über die Arme und erledige so teilweise drei oder vier Mücken auf einmal. Einige haben scheinbar schon „getankt“ und so verteile ich mein eigenes Blut auf meinen Armen. An weiteren Sumpfstellen jage ich so schnell wie möglich durch. Nasse Schuhe sind mit gerade egal! Zum ersten Mal auf der ganzen Tour bin ich gerade richtig genervt. Ich hoffe, dass der Weg schnell in höhere Lagen führt, dass ich da Ruhe vor den Biestern habe.

    Kurz bevor ich eine weitere DNT-Hütte, die Oskampenhütte, erreiche, habe ich es geschafft. Hier oben weht mehr Wind und ich setze mich erneut auf einen Stein. Durchatmen! Denkste!! Die scheiß Viecher sind schon wieder da. „Sterbt bitte aus“, denke ich. Ich bin richtig sauer. Außerdem merke ich gerade, dass die bekackten Mistviecher mir bei meinem ersten Pausenversuch durch mein Shirt zigfach in den Rücken gestochen haben. Ich gehe wieder weiter. Immerhin habe ich hier oben während des Gehens phasenweise meine Ruhe. An der Hütte überlege ich kurz, ob ich heute Nacht hier übernachte. Aber es würde wieder Geld kosten und ob die Hütte mückendicht ist, weiß ich auch nicht. Im Zelt kann ich jede Mücke schnell aufspüren und wenn dann alles zu ist, bin ich hier sicher.

    Eigentlich wollte ich in einem der Bäche, die ich gekreuzt habe, meine Lagervorräte füllen. Allerdings war da in der letzten halben Stunde nicht dran zu denken. Kurz bevor der Weg wieder runtergeht, finde ich eine ideale Stelle für mein Zelt. Daneben fließt ein breiter Bach. Allerdings sehe ich auf der Karte, dass der Bach oben aus einem See heraus fließt. Das Wasser hier werde ich wohl besser abkochen. Als ich das Zelt aus dem Rucksack holen möchte, sind wieder hunderte von Mücken da. Ich ziehe die Hardshelljacke an, um die Arme zu schützen und hole zum ersten Mal mein Mückennetz für den Kopf aus dem Rucksack. In der Montur baue ich das Zelt auf. Ständig habe ich mehrere Mücken auf den Händen. Eine hat es sogar unter das Mückennetz geschafft. Als ich sie zerdrücke sehe ich, dass diese Mücke mich schon erfolgreich angezapft hatte. Ich baue das Zelt auf und bringe mich so schnell wie möglich in Sicherheit. Als ich drin bin, „kümmere“ ich mich erst mal um alle Mücken, die es mit herein geschafft haben. Dann packe ich all mein Zeug aus und bereite mein Bett vor.

    Ich habe heute richtig geschwitzt. Aber unter den Bedingungen kann ich mir kaum vorstellen, mich hier in Ruhe am Bach zu waschen. Aber es hilft alles nichts. Ich lege mir Handtuch und Waschlappen bereit und gehe mit langer Hose und Jacke zum Bach. Ich ziehe mich aus und steige in den Bach. Während ich meine Beine mit dem Waschlappen abschruppe, landen die ersten Mücken auf meinen Armen, auf meinen Beinen und scheinbar auch auf meinem Rücken. Kurz entschlossen lege ich mich längst in den Bach. Er ist nicht wirklich tief. Es reicht gerade so, dass ich den kompletten Körper unter Wasser bringe. Das Wasser ist richtig kalt, aber gleichzeitig tut es gut, weil sämtliche Mückenstiche so gekühlt werden. Nach meiner Schnellwäsche steige ich aus dem Bach, trockne mich so schnell wie möglich ab und ziehe wieder lange Sachen an. Zum Glück zieht der Wind in diesem Moment ein wenig an und macht es den Mücken ein wenig schwieriger.

    Dann verschwinde ich wieder im Zelt. Eigentlich schade. Es ist so ein schöner Platz mit einer so schönen Aussicht. Es regnet immer noch nicht und heute hätte ich mich gerne etwas nach draußen gesetzt. Aber das mache ich ein anderes Mal. Im Zelt mache ich mir mein Abendessen und ein heißes Getränk. Da mittlerweile auch im Vorzelt unzählige Mücken sind, schiebe ich meine Arme durch den nur unten geöffneten Reißverschluss und hantiere so mit Kocher und Wasser. Morgen geht es von hier an erst mal bergab, runter zu einem weiteren See. Ich hoffe, dass diese Mückenplage nur hier lokal ist. Bitte, bitte, bitte!
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  • Dag 33

    Oskampen - Ruten Fjellstue

    2 juli 2023, Noorwegen ⋅ ☁️ 11 °C

    Wieder mal habe ich schlecht und wenig geschlafen. Um 5.30 Uhr werde ich wach. Ich muss auf‘s Klo. Dringend. Ich habe Durchfall. Hervorragend. Die Mücken sind auch wieder aktiv. Eine ziemlich entwürdigende Situation. Dann gehe ich wieder ins Zelt und krieche dort in den Schlafsack. Nach zwei Minuten grummelt es wieder im Bauch. Wieder raus! So geht es dann auch noch ein drittes Mal. Dann bleibt es ruhig im Bauch und während der Regen draußen weiter zunimmt, versuche ich noch mal einzuschlafen. Das gelingt mir immer wieder mal mit kurzen Wachphasen dazwischen. Es ist immerhin 09.30 Uhr, als ich die Mütze von den Augen ziehe. Draußen regnet es noch immer. Und überall lauern die Mücken. Das ganze Vorzelt ist voll. Während ich meinen Kaffee trinke, schreibt mir Christel und schickt Fotos vom Nordkap. Sie sind mit dem Camper dort. Von nun an geht es für sie wieder zurück durch Norwegen. Irgendwo auf dem Weg wollen wir uns treffen. Sie haben sogar Bochumer Fiege Pils an Board. Aber auch ohne das Bier würde ich mich freuen, sie zu sehen.

    Als der Regen aufhört, packe ich das Zelt zusammen. Immerhin gehen mich die Mücken beim Zelt abbauen nicht so sehr an wie zuvor. In der Ferne sehe ich schon weitere Regenschauer, die auf mich zukommen. Um kurz vor elf mache ich mich auf den Weg. Keine fünf Minuten später setzt der Regen ein. Das war ein gutes Timing. Die Regensachen hatte ich eh direkt angezogen.

    Ich folge dem Pfad, der stetig bergab Richtung See führt. Viele der Birken hier sind abgestorben. Die Landschaft hier ist eine ganz andere als die der letzten Tage. Alles ist etwas weiter, die Berge fallen flacher ab, sind weiter auseinander und alles wirkt ein wenig sanfter. Der Regen lässt irgendwann wieder nach und ich kann die Kapuze abnehmen. Der Weg führt grob am See entlang, allerdings immer mit 100 oder 200m Abstand. Die sumpfigen Abschnitte nehmen deutlich zu. Teilweise habe ich keine Wahl und muss voll ins Wasser steigen. Nach 1,5 Stunden merke ich die Feuchtigkeit im Schuh. Nach zwei Stunden haben sich die Socken bereits vollgesogen.

    Meine Stimmung ist schwierig. Nicht schlecht gelaunt aber mir fehlt der Antrieb. Mir fällt auf, dass es gerade nichts gibt, auf das ich mich freue. Und ich würde heute auch nicht behaupten, dass ich das Wandern selbst gerade genieße. Es dient heute einfach nur dazu, weiterzukommen. Aber was ist denn gerade mein Ziel? Vinstra? Da kann ich wieder einkaufen und was leckeres essen. Das ist gerade tatsächlich das, was mir am meisten fehlt. Was geiles zu essen. Oder einfach was anderes als Müsliriegel, Nussmischung und Trekkungnahrung. Aber es kann doch nicht mein Ziel sein, immer die nächste Einkaufsmöglichkeit anzuvisieren. Die Zeit hier draußen ist doch die, die ich genießen sollte. In den letzten Tagen merke ich aber zunehmend, dass ich mich vor allem immer auf die nächste Stadt freue, um etwas „Luxus“ wie Brot, Salami, Cola etc. zu haben. Und ein Problem ist, dass es in den Orten mit Einkaufsmöglichkeit keine Campingplätze gibt. Ich müsste also immer ein teures Zimmer buchen wie in Rjukan oder Tyinkrysset. Oft gibt es einige Kilometer vor und nach den Städten keine Möglichkeiten, ein Zelt aufzustellen, weil hier viel besiedelt ist. So geht‘s mir auch mit Vinstra. Ich könnte natürlich so planen, dass ich mittags durch die Stadt komme. Aber ein Campingplatz hier wäre mir lieber. Auch um meine Powerbanks zu laden. Bei dem aktuellen Wetter kann ich mein Solarpanel im Rucksack lassen. Was ist also gerade mein nächstes Ziel, das, auf das ich mich freue?

    Dass ich hierauf keine Antwort finde, drückt die Stimmung. Natürlich wäre es etwas anderes, wenn die Sonne scheinen würde. Heute ist es regnerisch, kühl und teilweise windig. Als ich meine erste Pause machen möchte, sind die scheiß Mücken wieder da. Also geht es gleich weiter. Der Abschnitt, der jetzt kommt, ist ein reines Sumpfgebiet. Meine Schuhe sind hier häufiger unter als über Wasser. Und jetzt sind die Mücken auch wieder aktiv. Warum tue ich mir diese Scheiße an? In beiden Schuhen steht das Wasser. Die Mücken versuchen mich ständig zu stechen. Einige schaffen es immer wieder. Obwohl die Schuhe eh nass sind, muss ich teilweise Umwege laufen, weil ich sonst bis zu den Knien im Wasser stehen würde. Die Frage, warum ich mir das hier „antue“, hab ich mir bis heute schon mehrfach gestellt. Meist immer direkt gefolgt von tollen Erlebnissen. Heute bleibt die Frage im Raum stehen und wird lauter.

    Irgendwann verlasse ich das Sumpfgebiet über eine lange Hängebrücke über einen breiten Fluss. Direkt nach der Brücke mache ich eine Pause. Es dauert nicht lange und die Mücken schwirren wieder herum und landen überall auf mir. Eine Zeit lang halte ich es aus, dann muss ich weiter. Etwas weiter oberhalb vom Fluss scheinen die Mücken nicht mehr so aktiv zu sein. Noch einmal setze ich den Rucksack ab und setze mich auf einen Stein. Ich recherchiere am Handy, wie ich die kommenden zwei Tage plane. Dass es in Vinstra keinen Campingplatz gibt, ist einfach Mist. 6km östlich von Vinstra entdecke ich einen Campingplatz und auch ein Supermarkt wäre in der Nähe. 7 km müsste ich hier zusätzlich laufen. Klingt aber nach einem Plan. Dann fällt mir aber auf, dass genau diese 7 km so viel zu viel sind, dass ich es nicht schaffen werde, morgen dort anzukommen. Es sei denn, ich würde heute noch richtig einen raushauen. Aber ich fühl mich nicht nach Extrakilometern.

    Als ich weiter gehe, habe ich mich immer noch nicht entschlossen, was ich jetzt eigentlich mache. Die nassen Socken und Schuhe nerven mich richtig! Dafür wird der Weg total schön. Es geht herum um einen dieser flach ansteigenden Berge. Nur bodennahe Vegetation und immer wieder ein paar Bäche. Weil ich nicht wieder Pause machen möchte, mir ist noch kalt von der letzten, fülle ich eine Wasserflasche und trinke unterwegs. Obwohl die Aussicht schön ist und ich heute relativ wenig Regen abbekommen habe, bin ich nicht gut drauf. Es gibt mir heute einfach nichts. Und die Frage, worauf ich mich eigentlich freue, arbeitet in meinem Kopf. Ich überlege sogar, gleich hier mein Zelt aufzuschlagen. Aber wofür? Um mich dann den Rest des Tages wieder vor den Mücken im Zelt zu verbarrikadieren?

    Ich gehe weiter und komme langsam immer etwas höher und erreiche irgendwann eine Art Sattel. Von hier aus soll es nun um einiges steiler wieder runter in ein weiteres Tal gehen. Ich mache noch eine Pause, um meine Socken auszuwringen. Das macht hier einfach alles keinen Spaß und die Tatsache, dass diese Ziellosigkeit in mir arbeitet, macht das nicht leichter. Mein linker Fuß macht heute keine Probleme. Mein rechter Fuß hat immer wieder mal leichte Schmerzen an zwei Druckpunkten seit den neuen Schuhen. Bislang aber nie der Rede wert. Am Hauptgelenk des kleinen Zehs ist einer der beiden Druckstellen. Jetzt beim heruntergehen schmerzt die Stelle, als würde mir jemand mit der Nadel da reinstechen. Ich gehe einige Meter bergab und es wird immer schlimmer. Und die Frage schreit mich immer lauter an: Wozu??

    Als ich etwas tiefer komme, stehen zwei fensterlose alte Hütten auf einer Wiese. Vor der einen ist eine Art Bank. Ich krame meine Blasenpflaster aus dem Rucksack. Vielleicht polstern die ein wenig. Während ich mir Schuhe und Socken ausziehe, kommen die Mücken wieder und obwohl ich viele verjage, stechen mich ein paar erfolgreich in die Hände. Ich sehe zu, dass ich schnell fertig werde und gehe weiter. Auf den ersten Metern habe ich das Gefühl, dass es etwas besser ist. Doch kaum geht es weiter bergab, wird es wieder schlimmer. Das schmerzt. Und zwar richtig!

    Zum ersten Mal denke ich ernsthaft darüber nach, das Ganze abzubrechen. Und sofort schießen mir die Tränen in die Augen. Ich bin verzweifelt und habe gerade nur Fragen und keine Antworten. Dass das hier nicht immer einfach wird, war klar. Aber nun gibt es zwei große Argumente, die das Projekt hier in Frage stellen.

    1. Schmerzen: Ich habe keine Lust, schon wieder mit anderen Schuhen zu experimentieren. Das ist auch budgetmäßig nicht drin. Und überhaupt etwas in meiner Größe zu finden, ist schon schwer genug. Warum jetzt dieser scheiss Schmerz? Sind meine Füsse heute plötzlich breiter geworden oder warum gibt es jetzt nach 8 Tagen plötzlich Druckstellen?

    2. Worauf freue ich mich?: Wenn ich morgens aufstehe und nur die Kilometer sehe, die ich laufen muss. Wofür mache ich das dann? Bei dem kalten und nassen Wetter machen mir die Pausen keinen Spaß.

    Ich bin richtig fertig und der Gedanke an einen Abbruch bringt mich immer wieder zum weinen. Ich war mir so sicher, dass das hier mein Ding ist. Ich fühle mich jetzt schon gescheitert. Da sind sie wieder. Diese großen Zweifel an allem, was ich tue. Das Gefühl, nichts richtig zu können. Beruflich wie privat. Ich hasse diese Zweifel. Aber ich bekomme sie nicht los. Mit dieser Reise wollte ich mir vielleicht selbst beweisen, dass es einen Bereich gibt, wo ich es drauf habe. Hier draußen in der Natur klarzukommen. Auf mich allein gestellt.

    Ich versuche, auch sachlich die ganze Situation zu analysieren. Mir fehlt definitiv Schlaf. Die Nächte im Zelt bei der Helligkeit machen mir das Leben nicht leichter. Ich bin übermüdet den ganzen Tag in nassen Schuhen unterwegs. Als dann noch die Schmerzen im Fuß dazu kommen, ist das Fass übergelaufen. Ich sollte heute nicht vorschnell eine Entscheidung fällen.

    Während ich weiter den Berg absteige schaue ich noch einmal auf die Karte. Im Tal ist eines dieser Fjellhotels. Eigentlich müsste ich auf der gegenüberliegenden Seite heute noch mindestens 5 km machen. Aber mit den Schmerzen im Fuß und meinem mentalen Zustand macht das keinen Sinn. Knapp 90 EUR kostet die Nacht hier. Ich will hier auf jeden Fall nach einem Zimmer fragen. Ich muss mich sortieren. Ich kann mir aber nicht alle 5 Nächte ein Hotel gönnen. Nicht einmal alle 10 Nächte. Ich bin eh schon über’s Budget. Wo soll das also hinführen?

    Auf dem Weg zum Hotel schicke ich Nicole noch eine Sprachnachricht. Allein auszusprechen, dass ich an einen Abbruch denke, verschlägt mir die Sprache. Im Hotel gibt es noch ein freies Zimmer. Ich dusche erst einmal und habe mich dann weitestgehend gefangen. Nun muss ich mich mit ein paar Fragen beschäftigen:
    Tue ich mir einen Gefallen, wenn ich das weiter so „durchziehe“? Was kann ich für meinen Fuß tun? Kann ich die Wanderung fortsetzen, ohne alle paar Tage eine feste Unterkunft zu haben? Was war meine ursprüngliche Motivation, das hier zu machen? Mache ich gegebenenfalls nur weiter, um nicht „versagt“ zu haben? Scheue ich den Aufwand? Habe ich mir das zu leicht vorgestellt? Wieviel Unannehmlichkeiten muss ich in Kauf nehmen?
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