Norge på langs 2023

May - October 2023
Am 01.06. starte ich mit meinem ersten Wandertag in meine 2700 km lange Reise. Von Lindesnes im Süden bis hoch zum Nordkap - zu Fuß. Read more
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    Heringstritt und Shopping in Åmot

    June 13, 2023 in Norway ⋅ ⛅ 17 °C

    Diese Nacht war der Höhepunkt, was schlechten Schlaf betrifft. Ewig bin ich nicht eingeschlafen. Ich habe mich von links nach rechts gedreht. 0:00 Uhr, 1:00 Uhr, 2:00 Uhr. Ich erinnere mich, dass ich um 02:30 Uhr zum letzten Mal auf die Uhr geschaut habe. Ein Problem ist, dass mein Schlafsack einfach zu warm ist. Nachdem ich im Winter eine Testtour mit Übernachtung im Schnee im Chiemgau gemacht habe, habe ich festgestellt, dass mein aktueller Schlafsack mich nicht so warm hält, wie ich es mir gewünscht hätte. Also habe ich mir hier noch einen neuen, wärmeren Schlafsack zugelegt. Immer, wenn ich mein Equipment für Norwegen geplant habe, bin ich von den schlechtmöglichsten Verhältnissen ausgegangen. Grundsätzlich ist das auch keine falsche Herangehensweise. Denn zum Ende meiner Reise, wenn ich dem Winter entgegen laufe, aber auch in mitten meiner Reise, wenn ich in höheren, windigen Gebieten bin, kann es kalt werden. In diesen ersten beiden Wochen Norwegen erlebe ich aber einen Sommer, wie ich ihn hier noch nicht erlebt habe.

    Wenn mir letztes Jahr bei der Lysefjordrunde zu warm war, habe ich den Schlafsack unten geöffnet, dass Luft an die Füße kam. Oder ich habe ihn komplett geöffnet und als Decke benutzt. Der neue Schlafsack hat aber nur einen Reißverschluss bis ungefähr zur Hälfte, was sicherlich mit Gewichtsgründen zu tun hat. Denn obwohl er wärmer ist als mein Schlafsack zuvor, wiegt er ungefähr genauso viel. Durch seinen Reißverschluss nur bis zur Hälfte kann ich ihn aber nicht als Decke verwenden. Und das Hauptproblem sind tatsächlich meine glühenden Füße, beziehungsweise nach den Wandertagen auch Beine. So habe ich jetzt nur die Möglichkeit, meine Beine komplett aus dem Schlaf zu nehmen, dann ist es zu frisch und ungemütlich. Oder aber ich versuche, mit extrem heißen Füßen einzuschlafen. Und das gelingt mir nur selten.

    Als ich wach werde, ist es 6:00 Uhr. Ich fühle mich extrem gerädert, möchte heute aber nicht so spät los, da ich in Åmot noch einkaufen möchte. Trotzdem drehe ich mich noch einmal um. Immerhin bin ich noch einmal eingeschlafen, bevor ich um kurz nach sieben aufstehe. Ich gehe zum Klohaus und anschließend unter die Dusche. Auch wenn ich gleich wieder schwitze, möchte ich mir diesen Luxus heute Morgen nicht nehmen lassen. Schon auf dem Weg zum Klohaus merke ich, dass mir die Fußballen links extrem weh tun. Mit dem linken Fuß kann ich weder richtig auftreten, noch abrollen. Das hatte ich gestern Morgen auch, aber nicht ganz so extrem und es ist im Laufe des Tages besser geworden.

    Obwohl ich in Aufbruchstimmung bin, trotz meiner Müdigkeit, löst das gleich wieder etwas Skepsis in mir aus. Auch von der Dusche humpel ich mehr oder weniger zurück zum Zelt. Ich setze mich hin und koche meinen Kaffee. Auf Frühstück habe ich gerade keine Lust. Ich kann dieses Früchtemüsli mit heißem Wasser nicht mehr sehen. Aber nach ein paar Minuten siegt das Hungergefühl und ich gieße noch etwas Wasser in den Topf auf meinem Gaskocher nach.

    Mir fällt auf, dass ich mein Handtuch nicht zum Trocknen aufgehängt habe. Das Outdoorandtuch trocknet in der Regel ziemlich schnell. Aber ausbreiten oder aufhängen sollte man es trotzdem. Ich stehe auf und lege es auf mein Zelt. Als ich ein Schritt zurück zum Eingang mache, bleibe ich mit dem rechten nackten Fuß am Hering meines Zeltes hängen. Es schmerzt abartig. Dadurch, dass ich die Heringe oft mit einem Stein in den Boden hämmere, sind Sie oben gut angerauht.

    Bitte lass es einfach nur Schmerz sein, kein Blut! Ich setze mich auf den Boden, schaue unter meinen Fuß, und sehe, dass der Ballen am kleinen See einen tiefen, blutigen Riss hat. Das jetzt nicht auch noch. Es war eh schon der linke Fuß, der mir weh tat. Jetzt hab ich auch noch eine relativ tiefe blutige Wunde hier. Für einen kurzen Moment könnte ich wieder verzweifeln. Aber ich nehme ein Pflaster, drücke das ab geklappte Hautstück fest an den Fuß und klebe das Pflaster drauf. Ich will das gar nicht so genau untersuchen. Blutet, es tut weh, Pflaster drauf. Für einen kurzen Moment denke ich drüber nach, ob ich vielleicht doch noch einen weiteren Ruhetag dranhängen sollte. Den Gedanken hatte ich schon kurz nach dem aufstehen als ich merkte, wie die Fußballen schmerzen. Ist das jetzt das Ausrufezeichen, das es gebraucht hat? Ich weiß nicht. Ich will weiter. Und dieser Campingplatz ist recht teuer. Und außerdem würde mir heute die Decke auf den Kopf fallen. Während ich den Kaffee trinke fange ich an, mein Zelt auszuräumen und langsam zusammen zu packen. Ich ich schlüpfe in die ungewöhnlich weichen Socken. Zuletzt konnte ich sie jedes Mal nach dem Trocknen in die Ecke stellen. Die Waschmaschine hat ganze Arbeit geleistet. Ich lüfte meine Schuhe und gehe ein paar Meter hin und her. Das geht schon irgendwie, denke ich, und fahre mit dem zusammenpacken fort. Um kurz nach neun fühle ich noch meine beiden Wasserflaschen auf und mache mich auf den Weg. Der Rucksack kommt mir heute deutlich leichter vor. Zum einen fehlt jetzt die Drohne samt Zubehör, zum anderen habe ich Essen für maximal zwei bis zweieinhalb Tage dabei. Allein die Tatsache, zwei Gegenstände weniger verstauen zu müssen, macht alles wieder ein wenig einfacher. Es hat zwar bereits alles seinen Platz, aber ich merke jedes Teil weniger.

    Die ersten Schritte muss ich fast humpeln. Die Fußballen im linken Fuß schmerzen - wahrscheinlich, weil sie noch beleidigt von der Straße vorgestern sind. Mein Fuß außen schmerzt wegen meiner Heringsaction. Ich glaube nicht, dass sich der Schmerz in Luft auflösen wird aber erfahrungsgemäß wird es nach ein paar Metern etwas einfacher. Das gute ist, dass ich heute zu Beginn erst mal nicht Straße laufen muss.

    Ich gehe durch den kleinen Ort, vorbei an dem Restaurant, wo ich vorgestern diesen herrlichen Burger gegessen habe. Zwei kleine Straßen weiter startet direkt am Hang eine Treppe aus Naturstein. Hier ist auch ein Weg ausgeschildert, der Beschilderung nach mit historischer Bedeutung. Eine halbe Stunde lang steige ich Stufen aus Naturstein steil den Berg hinauf und komme immer wieder an verschiedenen Aussichtspunkten vorbei. Es ist zwar schön hier, aber im Vergleich zu den letzten Tagen sind die Aussichtspunkte hier nicht jeder einzelne einen Stop wert. Als die Stufen enden, geht geht es auf einem Pfad weiter den Berg hinauf. Erst nach 2 Stunden mache ich eine Pause. Immerhin habe ich bereits 7 km geschafft und dazu 700 Höhenmeter bewältigt. Mal ganz abgesehen davon, dass mein linker Fuß heute ein kleiner, Spielverderber ist, bin ich richtig gut vorangekommen. Meine Beine haben definitiv von dem Erholungstag profitiert.

    Nach rund 10 km ist der Pfad zu Ende. Ab hier geht es zunächst einige Kilometer eine Straße entlang. Zum Glück eine im Forstwegstil. Hier machen mir auch die Füße wieder zunehmend Probleme. Irgendwann kommt mir die Idee, dass ich ja Volumenreduzierer in meinen Schuhen habe. Das sind rund 4 mm dicke, neutrale, aber sehr harte Sohlen, die man unter die eigentliche Sohle legt, falls man einen eher dünnen Fuß hat. Das gibt insbesondere im Gelände mehr Stabilität. Es gelingt damit einfacher, die Schuhe kompakter zu schnüren. Ich denke drüber nach, ob die Sohlen vielleicht ein wenig von der Dämpfung der Schuhe wegnehmen. Es wäre ein Versuch wert, sie bei einer Pause herauszunehmen und zumindest auf der Straße zu testen, wie es sich ohne diese Sohlen läuft.

    Zumindest die ersten Kilometer laufen sich tatsächlich deutlich angenehmer. Aber nach einiger Zeit Schmerzen die Fußballen genauso wie vorher. Bevor ich Åmot erreiche, muss ich noch 4 km entlang der Bundesstraße gehen. So gut es geht, gehe ich hier meist hinter der Leitplanke.

    Am frühen Nachmittag erreiche ich das Einkaufszentrum. Tatsächlich ist hier alles unter einem Dach. Ein großer Supermarkt, ein Sportgeschäft, eine Apotheke, ein Elektrofachgeschäft und noch ein paar Geschäfte. Als aller erstes geht es in den Supermarkt, ein Smoothie und eine Cola besorgen. Nach einer kurzen Pause gehe ich in das Sportgeschäft. Die Auswahl an Trekking Stücken ist überschaubar, aber am Ende brauchbar. Ich entscheide mich für ein paar Stöcke der gleichen Marke wie meine vorherigen, welche hier umrechnet fast 100 € kosten. Zu Hause hätte es die gleichen für etwas mehr als 60 € geben. Aber so ist es nun mal.

    Das ist auch so ein Quatsch. Dass man Trekkingstöcke nicht einzeln kaufen kann. Oft unterscheiden sich der linke und der rechte gar nicht oder nur durch das Griffband, oder den Griff selbst. Geht dir einer kaputt, musst du zwei neue kaufen. Das war jetzt heute für mich keine Überraschung, aber es zeigt einmal mehr, in was für einer verschwenderischen Gesellschaft wir leben. Ich kaufe noch drei Trekkinggerichte für die nächsten Tage bis Rjukan. Meinen alten Trekkingstock darf ich da lassen. Ich sage dem freundlichen Verkäufer lachend, dass wenn demnächst jemand hier, wie ich, mit nur einem Stock rein kommt, soll er ihm einen guten Preis machen.

    Danach geht es zur Apotheke. Ich erkläre meinen Fehltritt von heute Morgen. Ich bekomme eine Desinfektionsflüssigkeit zum reinigen sowie eine antiseptische Salbe. Da die Wunde im Fußbereich ist und durch die Wanderschuhe den ganzen Tag nicht gut belüftet und in feuchter Umgebung ist, sei das besser.

    Danach geht es noch in den Elektromarkt. Meine alte Powerbank darf ich hier lassen. Für eine neue gibt es nicht so viel Auswahl. Es gibt eine 10.000 mAh und eine 20.000 mAh Powerbank. Meine alte war noch größer. Allerdings mit 370 g auch leichter als hier die größere Variante. Da ich nun aber nur noch mein Handy und meine GoPro laden muss, entscheide ich mich für die kleinere, leichtere Variante. Dann geht es noch einmal die Supermarkt, wo ich mir etwas für eine Brotzeit besorge.

    Dann mache ich mich wieder auf den Weg. Mein Entschluss steht fest, heute geht es nur noch bis zum Campingplatz, von dem mir Jens schon berichtet hat. Für 100 Kronen, umgerechnet 8,50 €, kann ich hier mein Zelt aufstellen. Ich habe mein Pensum nicht ganz auf den Kilometer geschafft heute, aber das ist mir egal. Ich habe wenig geschlafen letzte Nacht und einen verletzten Fuß. Selbst ein weiterer Ruhetag hier wäre denkbar. Das will ich aber erst am Morgen entscheiden, wenn ich ein Gefühl dafür bekomme, wie gut ich gehen kann.

    Der Campingplatz ist nicht wirklich voll. Nicht weit hinter der Einfahrt spreche ich mit einer schweizerischen Familie, die mir erklärt, dass es hier keine Rezeption gibt. Hier kommt einmal am Tag jemand und kassiert direkt ab. Es sei ein schöner kleiner und sehr sauberer Campingplatz. Ich suche mir einen Platz, etwas abseits der Wohnmobile. Es hätte auch einen schönen Platz am Wasser gegeben, aber ich baue mein Zelt etwas weiter hinten, direkt an einem Tisch mit Bänken auf. Wenn man fast jeden Abend im liegen kocht, ist so eine Sitzmöglichkeit echter Luxus. Dann gönne ich mir eine Dusche und versorge danach meine Wunde am Fuß. Zu meiner Überraschung ist nicht ein Tropfen Blut im Pflaster. Das direkte wieder anpappen der aufgeklappten Wunde war wohl eine gute Idee. Also reinige ich nur oberflächlich mit dem Desinfektionsmittel und mache etwas Salbe rauf. Das gleiche mache ich heute mit meinem Schienbein. Noch immer arbeitet die Wunde und hinterlässt deutliche Rückstände im Pflaster. Eigentlich sind heute die 14 Tage um, dass ich die Fäden ziehen könnte. Aber durch das viele Gehen heilt diese Wunde wohl etwas langsamer. Immerhin ist der Rückstand im Pflaster heute so wenig, wie es noch nie war. Ich behalte es einfach weiter im Auge, mache mir aber keine Sorgen.

    Dann lege ich mich ins Zelt und schlafe immer wieder ein, ohne dass ich versuche, dem nachzugeben. Um 20:30 Uhr stehe ich noch einmal auf zum Abendessen.
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  • Day 15

    Erster Regen

    June 14, 2023 in Norway ⋅ ⛅ 17 °C

    Noch vorm einschlafen recherchiere ich auf YouTube, was man gegen die Schmerzen im Fußballen machen kann. So komme ich auch zu meiner Diagnose: Metatarsalgie im linken Fuß - Dr. yout. Baudrexl. Es gibt verschiedene Ansätze, damit umzugehen. Ein Video schwört darauf, einen bestimmten Punkt zu triggern, ein anderes setzt auf verschiedene Dehnübungen. Ein paar davon probiere ich aus. Es fühlt sich auf jeden Fall gut an. Dennoch glaube ich nicht, dass morgen meine Probleme verschwunden sind. Dazu mache ich jetzt auch zu wenig.

    Am nächsten Morgen, für meine Verhältnisse habe ich richtig gut geschlafen, schlüpfe ich in meine Lagerschuhe und gehe zum Klo. Leider keine echte Veränderung zum Vortag. Ich habe gestern auch davon gehört, dass man barfuß gehen soll. Also ziehe ich die Schuhe aus und gehe vorsichtig über den Rasen und mache während des Frühstücks meine Dehnübungen. Das Fuß abrollen auf dem Rasen gelingt dann schon deutlich leichter und schmerzfreier. Trotzdem nehme ich noch eine Ibuprofen, falls es sich auch um Entzündungen handelt.

    Während ich meinen Rucksack packe, kommt auch die Dame zum kassieren. Tatsächlich zahle ich nur 100 Kronen. Ich mach mich fertig, fülle noch einmal meine Wasservorräte und mache mich auf den Weg. Tatsächlich läuft es sich deutlich angenehmer. Allerdings spüre ich, dass der linke Fuß noch empfindlich ist, aber es ist ein Unterschied wie tag und Nacht im Vergleich zum Vortag. Mit meinen neuen Trekkingstöcken geht es zunächst einen Pfad entlang, später auf einer Kiesstraße. Ich gehe zügig. Das fühlt sich super an. So habe ich mir vorgestellt, dass es sich so nach meinem Ruhetag anfühlt. Ich fliege einfach nur dahin. Direkt in eine Sackgasse. Ein Blick auf die Karte sagt mir, dass ich 500 m in die falsche Richtung gelaufen bin. Ich war so motiviert, dass ich gleich zu Tagesbeginn eine extra Kilometer gehen durfte. Ich fliege ein wenig langsamer zurück zu der Stelle, wo ich hätte abbiegen müssen.

    Ich bin richtig motiviert. Aus immer mehr Ecken kommen positive Signale, dass meine Route durch die östliche Hardangervidda, die größte Hochebene Europas, machbar sein wird. Ich bin eigentlich nur mit Jens und Tobi im Austausch. Jens hatte zuletzt schon von anderen berichtet, die es versuchen möchten. Tobi, der mir mittlerweile zwei Tage voraus ist, schickt mir ein Foto vom gegenüberliegenden Gebirgszug mit Blick auf die Hardangervidda. Das sieht absolut machbar aus. Heute Morgen habe ich doch einmal Instagram aufgerufen und finde auch hier Bilder und Pläne, die Hochebene zu durchqueren. Außerdem finde ich ein kurzes Video mit zwei lustigen Vögeln, die ein Lied pfeifen und dazu mit dem Kopf nicken, welches ich sofort an Nicole weiterleite. Ich frage mich, ob ich nicht doch weniger Zeit in der Natur und dafür mehr Zeit auf Instagram verbringen sollte. 😄

    Nach 8 km geht es auf der Straße weiter. Es ist eine breitere Straße, jedoch ohne Mittelstreifen. Schnell merke ich, dass hier einiges los ist, unter anderem sind einige LKWs unterwegs. In Kurven muss ich echt aufpassen und jederzeit bereit sein, schnell über die Leitplanke zu klettern, hinter welcher es aber direkt runtergeht, dass ein Gehen hier hinter keine Möglichkeit ist. Die Straße zieht sich so dahin. Mal mit Leitplanke, mal ohne, mal mit viel Verkehr, mal mit wenig Verkehr. Meinen Fuß merke ich nun doch häufiger, kann aber den leichten Schmerz schnell mit unterschiedlichem Auftreten regulieren und teilweise komplett verdrängen.

    Der Blick zum Himmel lässt mich zum ersten Mal ins Regenradar schauen. Richtung Westen habe ich blauen Himmel und viele schöne Schäfchenwolken, auf der anderen Seite ist es aber grau und zunehmend dunkler. In der Ferne regnet es bereits und einzelne Tropfen kommen auch bei mir runter. Der Geruch von Regen auf warmem Asphalt lag schon einige Zeit in der Luft. Grundsätzlich bin ich beim Wandern froh, wenn es nicht regnet. Aber ich freue mich schon auf den ersten Regen im Zelt. Zum einen, weil mein doch immer noch recht neues Zelt voll von Blütenstaub und Staub allgemeines. Zum anderen, weil es einfach nichts gemütlicheres gibt, als im Zelt zu liegen, während es draußen regnet.

    Um zwölf schlägt mein Handy Alarm, Notfallalarm. Ich erschrecke mich kurz über das Geräusch, zum Glück wurde ich aber von Christian aus Oslo vorgewarnt. Heute ist in ganz Norwegen um 12:00 Uhr Probealarm. Ohne diese Vorwarnung wäre ich vielleicht etwas irritiert gewesen. Da die Notfallmeldung hauptsächlich in Norwegisch dargestellt ist.

    Mittlerweile ist der Regen deutlich stärker geworden und ich entschließe mich, meinen Regenschutz auf den Rucksack zu machen, meine Regenjacke anzuziehen und eine kurze Pause am Straßenrand zu machen. Die Hose ist nass, aber ich habe keine Lust, meine Regenhose von ganz unten aus dem Rucksack zu kramen. Laut Regenradar ist der Regen sowieso schon durch, was allerdings der Regen noch nicht mitbekommen hat.

    Als es weniger wird, gehe ich weiter. Auf der Straße hat sich teilweise richtig Schaum gebildet. Ich glaube, hier hat es schon lange nicht mehr geregnet. Nach einer Weile wird es mir aber zu warm und ich ziehe dem Rucksack und mir das Regenzeug wieder aus. Was ich noch als kleine Regenwolke mitbekommen habe, hat sich mittlerweile zu einem Gewitter entwickelt. Es donnert mehrfach laut. Aber die Wolke ist schon weiter Richtung Westen gezogen, deswegen glaube ich nicht, dass ich hiervon noch etwas abbekommen werde. So ist es dann auch.

    Gegen 13:30 Uhr habe ich 18 km geschafft und erreiche Rauland, meine letzte Möglichkeit zum Einkaufen für die nächsten beiden Tage, bevor ich Rjukan erreiche. Noch bevor ich zu den beiden Supermärkten komme, entdecke ich ein kleines Bistro. Hier gönne ich mir noch einmal einen richtigen Burger mit Pommes. Er ist aber weit nicht so gut wieder in Dalen. Als ich mein Zeug sortiere, stelle ich fest, dass das Solarpanel keine Spannung anzeigt, obwohl es in der Sonne liegt. Auch als ich die Powerbar noch einmal ab und anstecke, passiert nichts. Ich habe etwas Sorge, dass sie durch den Regenschauer zu viel Feuchtigkeit abbekommen hat und nun defekt ist. Bevor ich sie aber einfach wegschmeiße, möchte ich Sie noch einmal richtig trocknen und testen. Zum einen hat sie über 100 € gekostet, zum anderen ist sie unfassbar praktisch und irgendwie auch ein Sicherheitsfaktor, wenn mal alle Akkus leer sind.

    Ich merke, dass mich dieses Thema gleich wieder belastet. Aber ich versuche nicht weiter drüber nachzudenken und gehe jetzt im Supermarkt. Diesmal wähle ich einen Spar, weil ich zuletzt immer im Extra einkaufen war. Viel brauche ich nicht. Eigentlich nur Müsliriegel. Dazu gibt es einen Smoothie, eine Flasche Cola und leichtes Gebäck. Du denn damit reist es sich leichter.

    Vom Supermarkt geht es weiter über die Straße. Hier soll ein Pfad einige Zeit am Fluss entlang gehen. Ich glaube nicht, dass dieser Pfad im Sommer oft begangen wird. Eigentlich ist er als Skilanglaufloipe ausgewiesen. So gehe ich mehrere Kilometer auf Forstwegen und Langlaufloipen. Den Beschilderung nach ist es hier im Winter ein wahres Paradies für Langläufer. Während ich noch in der Sonne laufe, wird es vor mir zunehmend dunkel. Diesmal möchte ich vorbereitet sein, halte an und krame meine Regenhose vom Rucksackboden hervor. Schon bald kommen die ersten Tropfen. Ich bin aber unentschlossen, ob ich jetzt all mein Regenzeug anziehen soll. Also ziehe ich zunächst nur die Regenjacke an und warte unter einem Baum, dass es weniger wird. So geht es einige Male. Erst, als ich wirklich das Gefühl habe, dass es sich nun etwas eingeregnet hat, ziehe ich auch die Regenhose an. Mittlerweile folge ich einem wunderbaren Pfad entlang eines malerischen Flusses.

    Die Stimmung ist irgendwie seltsam. Auf der einen Seite komme ich gut voran und fühle mich wohl, auf der anderen Seite komme ich mir hier draußen mit dem tristen Himmel doch ein wenig verloren vor. Mittlerweile weiß ich aber, dass sobald mein Zelt irgendwo steht, ich mein eigenes kleines zu Hause habe. Dann ist es egal, wie das Wetter draußen ist. Dann habe ich meinen eigenen kleinen Platz, wo ich es mir gemütlich machen kann.

    Ich folge dem Pfad noch einige Kilometer und komme schließlich an einer Straße raus, direkt am Rauland Høgfjellshotell. Hier ist ein kleines Skigebiet. Es gibt viele dunkle Hütten und das riesige Hotel. Alles scheint aber irgendwie ausgestorben zu sein. Die Berge, die ich mir zum Aufstellen meines Zeltes ausgesucht habe, sind also Skigebiet, obwohl ich den Höhenunterschied auf maximal 300 m schätze. Ich bin unsicher, wie die Wassersituation dort oben ist. Im Eingangsbereich vor dem Hotel stehen zwei Aufsteller mit irgendwelchen Infos. Scheinbar hat das Hotel geöffnet. Ich gehe rein und tatsächlich sind drei Angestellte gerade dabei, sich zu besprechen. Ich frage, ob ich meine Wasservorräte hier noch einmal füllen könne. Der Rezeptionist ist super freundlich und füllt meinen 2 l Sack mit Wasser. Ob ich aus Deutschland komme, fragt er mich. Er sei aus Italien. Aus Venetien, um genauer zu sein. Ich frage ihn, ob er Bassano del Grappa kennt und er freut sich richtig. Als ich ihm erzähle, dass ich das vom Gleitschirmfliegen kenne, nennt er mir noch weitere Flutgebiete. Er ist auch schon einmal mit dem Tandem mitgeflogen. Draußen zeigt er mir noch den Weg nach oben.

    Schnell finde ich ein Arial, wo ich mein Zelt aufstellen möchte. Wie immer besteht die größte Herausforderung darin, 2 m² zu finden, die ungefähr eben sind. Um 18:30 Uhr steht mein Zelt. Eine Pfütze, die zu Hälfte aus Schnee besteht, ist mein Waschbecken für heute Abend. Als ich meinen Rucksack auspacke und das Solarpanel raushole, leuchtet die kleine Diode wieder rot. Es scheint wieder zu funktionieren. Ich schreibe noch mit Tobi, der morgen in die Hardangervidda einsteigen möchte. Er hat sich nun ein genaueres Bild gemacht. Eine Sommerbrücke, die noch nicht aufgebaut ist, könnte zum Knackpunkt werden. Und die zwei Mädels, die mit ihrem Hund unterwegs sind, auch zum Nordkap, wären wieder umgedreht. Das sieht man zumindest bei deren GPS-Aufzeichnungen. Ich habe noch zwei Tage, bis ich in Rjukan ankomme. Bis dahin habe ich vielleicht noch weitere Daten und kann leichter entscheiden, was ich versuchen werde.
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  • Day 16

    Gewitterslalom

    June 15, 2023 in Norway ⋅ ☁️ 16 °C

    Heute Morgen bin ich nicht so richtig motiviert. Ich versuche, mich noch einmal umzudrehen, aber es nützt nichts. Zum Frühstück gibt es heute Porridge, praktisch in einem kleinen Aufgussbeutel, den ich im Supermarkt gefunden habe. Ich gieße heißes Wasser darauf, rühre um, und es entsteht eine ultraschleimige Pampe. Ich zwinge mir sechs oder sieben Löffel davon rein und gebe dann auf. Ekelhaft!

    Ich habe eh nicht so großen Hunger und trinke stattdessen einen zweiten Kaffee. Ich spüre, dass an meinem linken Fuß immer noch nicht alles so ist, wie es sein soll. Allerdings hat sich das Problem verkleinert, und nur der Ballen des mittleren Zehs schmerzt ein wenig. Im Schuh fühlt es sich so an, als hätte ich irgendein Gegenstand unterm Fuß, auf den ich mit jedem Schritt trete.

    Ich packe mein Zeug zusammen und mache mich um kurz nach neun auf den Weg. Es ist mittlerweile ein Stück Alltag. Ich gehe den Pfad weiter, und entschließe mich mich, eine Abbiegung früher auf die Straße zu nehmen. Das spart mir in Summe einen Kilometer. Und Straße ist heute eh nicht so viel, da es später hoch ins Gelände geht.

    Ein Grund, warum ich nicht ganz so motiviert bin ist, dass die vielen positiven Signale für eine mögliche Durchquerung der Hardangervidda gestern Abend noch Gegenargumente bekommen haben. Tobi schickt mir die Garmin-Map der beiden Mädels, die mit dem Hund unterwegs sind. Sie haben gestern die Hochebene angegangen und sind heute wieder umgedreht und nun auf dem Weg zurück nach Rjukan. Ich versuche später über ihren Blog herauszufinden, warum sie umgedreht sind. Tobi hat sich aber vorgenommen, es heute zu versuchen.

    Das Problem an der ganzen Sache ist, dass jede Alternative zu den vor mir liegenden 2-3 Wochen mit sehr viel Straße gehen verbunden wäre. Entweder also, es klappt der Weg durch die wunderschönen Nationalparks Norwegens oder aber ich gehe einige hundert Kilometer, wo es laut Kartenmaterial nicht viele Wanderwege gibt. Und selbst wenn die Hardangervidda passierbar wird, ist der Weg danach äußerst fraglich. Denn dann geht es auf weit höhere Berge, wo voraussichtlich noch deutlich mehr Schnee liegen wird.

    Ich gehe die breite, aber wenig befahrene Straße weiter. Vorbei an unzähligen Hüttendörfern, die allesamt ausgestorben wirken. Ich vermute, dass hier im Winter deutlich mehr los ist. Die vielen dunklen Hütten haben wunderschöne Grasdächer. So etwas sollte es auch bei uns geben. Im Sommer halten sie kühl, im Winter isolieren sie.

    Tobi schreibt mir. Er hat auf dem Weg nach oben die Mädels mit dem Hund getroffen, die umgedreht sind. Sie sind aber umgedreht, weil eine von beiden Kreislaufprobleme hat und nicht, weil das Gelände nicht passierbar gewesen wäre. Darüber hinaus bekomme ich noch eine Info zu einem Weg, der aktuell nicht möglich ist dafür aber direkt eine Alternative dazu.

    Mittlerweile geht es meinem Fuß auch deutlich besser. Am Anfang habe ich bei jedem Schritt drauf geachtet. Zuletzt war ich aber viel abgelenkt und stelle dann fest, dass es jetzt deutlich besser ist. Fast normal.

    Bevor es von der Straße ins Gelände geht, mache ich noch eine Pause. Immerhin 9 km bin ich nun am Stück gelaufen. Der Pfad, den ich hochgehen möchte, ist mit einem riesigen Schild versperrt. „ Achtung Baustelle. Durchgang verboten“, sagt meine Übersetzungsapp. Ich gehe ein paar Meter weiter, wo die Straße nach oben führt. Auch hier ist ein solches Schild. Ich entschließe mich, den Pfad zu gehen. Etwas Platz ist da, um an dem Schild vorbei zu kommen. Der Pfad verliert sich schnell und ich klettere eine Böschung hoch. Ich finde mich auf einer Art Hof wieder. Aber es sieht richtig ungepflegt aus. Hoffentlich gibt es hier keinen Hund, denke ich. Ich bin kein Soziologe, aber ich will nicht wissen, wie jemand seinen Hund im Griff hat, dessen Hof so aussieht und noch dazu an allen Zufahrten Warnschilder angebracht sind. Schnell suche ich wieder einen Einstieg zu dem Pfad. So ganz eindeutig ist es nicht. Hier und da klettere ich über einen Zaun. Nach ein paar Zäunen weiß ich gar nicht mehr, ob ich in oder außerhalb des Zaunes bin. Immerhin bewege ich mich von dem Hof weg und von einem Hund war auch keine Spur. Mit Komoot und GPS navigiere ich querfeldein und komme tatsächlich an dem lang gesuchten Pfad heraus.

    Es dauert nicht lange bis ich oben bin und nun ist meine Stimmung von heute Morgen verflogen. Ich bin wieder mitten in einem Fjell. Nur niedrige Sträucher, Heidelbeerbüsche, Moose und Fels. Und dazu eine Rundumsicht, wie sie ihresgleichen sucht. Das kommt auf den Fotos gar nicht so rüber, wie es sich hier vor Ort anfühlt. Die Gegend ist eher karg. Dennoch löst diese unbegreifliche Weite tiefe Freiheitsgefühle aus. Hier macht das Wandern richtig Spaß. Ich vergesse fast, dass ich einen Rucksack auf dem Rücken habe. Ich folge dem Pfad für mehrere Kilometer, bleibe aber immer wieder stehen, um mich umzuschauen und denke: Boah, is datt schön hier!! Nich, wie aufm Gasometer in Oberhausen. Da is datt auch schön. Aber da musset schön finden wollen! (Frank Goosen)

    Irgendwann geht es weiter runter in ein Tal. Hier verliert sich der Pfad immer häufiger und die Gegend wird sumpfiger. Unten komme ich an einen Fluss, wo ich zum ersten Mal furten muss. Also raus aus den Schuhen und den Socken, rein in meine Wasserschuhe, die ich bislang hauptsächlich als Lagerschuhe am Zelt verwendet habe. Das kalte Wasser tut gut.

    Als ich am anderen Ufer meine Füße trockne und meine Schuhe wieder anziehe, merke ich, dass es vor mir ganz schön dunkel geworden ist. Obwohl eigentlich kein Regen vorhergesagt war, habe ich auf dem Weg hierher in der Ferne immer wieder Wolken abregnen sehen. Jetzt zum Nachmittag ist das Wettergeschehen deutlich labiler geworden. Ich schaue, ob die dunkle Wolke in meine Richtung zieht und dabei höre ich schon leichtes Donnern. Ich entschließe, mich schnell fertig zu machen und weiter zu gehen. Die Gewitterwolke scheint sich nur sehr langsam zu bewegen. Da ich hier in der Umgebung keine gute Möglichkeit sehe, mich unterzustellen, laufe ich das Tal weiter entlang. Auch aus einer anderen Richtung donnert es leise. Es scheinen sich überall zunehmend Gewitter zu bilden. Ich versuche schneller zu gehen, was eigentlich gar keinen Sinn macht. Denn in absehbarer Zeit ist keine Hütte oder ein Unterstand auf meiner Route. Den Pfad verliere ich nun immer häufiger. Entweder laufe ich durch kniehohes Gestrüpp oder es geht durch den Sumpf. Es fängt leicht an zu regnen und sofort nehme ich den Rucksack ab, verstaue das Solarpanel im Rucksack und ziehe Regenjacke und Regenhose an.

    Ich gehe weiter und der Regen hört schon bald wieder auf. Wie es aussieht, befinde ich mich ziemlich genau zwischen zwei kleineren Gewittern und habe hier sogar etwas blauen Himmel. Weil es schnell warm wird in dem Regenzeug, ziehe ich es wieder aus. Von nun an schaue ich immer wieder aufs GPS. Ich finde immer wieder einen Pfad, verliere ihn dann aber wieder schnell. Das Vorankommen, abwechselnd durch Sumpf und Gestrüpp, ist sehr mühsam. So geht es mehrere Kilometer weiter bis ich an ein paar Hütten komme. Von hier führt mein weiterer Weg über einen deutlich erkennbaren Pfad weiter.

    Immer wieder fängt es an zu regnen. Mal gehe ich einfach weiter, mal wechsel ich in die komplette Regenmontur. Heute möchte ich etwas mehr als meine 25 km laufen. Denn dann habe ich morgen nicht mehr so viel bis nach Rjukan. Wenn ich hier gegen Mittag ankomme, habe ich einen halben Tag frei. Ich kann mich ausruhen und einkaufen für die nächsten Tage.

    Die letzten Kilometer werden noch einmal besonders nass. Die Wege sind zu Bächen geworden und immer wieder gibt es sumpfige Abschnitte. Dafür bleibe ich von oben wenigstens verschont. Es geht vorbei an einigen Seen. Nach etwas mehr als 28 km fülle ich noch einmal meine Wasserreserven auf. Diesmal auch meinen Lagerbedarf. Wenige 100 m später finde ich eine geeignete Stelle für mein Zelt. Ich bin zwar ganz schön im Eimer, aber nicht mehr so sehr, wie es bei den letzten anstrengenden Etappen war. Dennoch lege ich mich zuerst einmal ins Zelt.

    Plötzlich wird es hell im Zelt. Die Sonne gibt noch einmal Vollgas. Ich schaue raus und sehe in der Ferne schon die nächste dunkle Wand. Das Sonnenfenster nutze ich, um schnell die 20 m zu dem ganz kleinen See zu gehen und mich von oben bis unten zu waschen. Trotz Sonne ist es bei leichtem Wind ziemlich kalt. Sich nach einem anstrengenden Tag noch einmal zu überwinden, sich mit kaltem Wasser zu waschen, während der Wind bläst, kostet jedes Mal richtig Überwindung. Wenn ich es dann aber geschafft habe und mich im Schlafsack aufwärme, bin ich richtig zufrieden.

    Und während ich diese Zeilen schreibe (diktiere ;-)), fängt es an zu regnen. Nach nun 16 Tagen der erste Regen, während ich im Zelt liege. Es ist unfassbar gemütlich! :-)
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  • Day 17

    Pizza und Hotel „mit Charme“

    June 16, 2023 in Norway ⋅ ⛅ 16 °C

    Ich glaube, so tief wie in der vergangenen Nacht habe ich auf dieser Reise noch nicht geschlafen. Mitten in der Nacht, um 3:00 Uhr, werde ich wach. So halb wenigstens. Ich weiß, dass ich auf Tour bin und im Zelt schlafe. Aber in diesem dösigen Zustand brauche ich lange, um herauszufinden, wo mein Zelt gerade steht. Herrlich! Ich war sowas von weit weg.

    Ich muss pinkeln. Als ich die Zelttür aufmache, ist der Horizont schon in orangenes Licht getaucht. Um drei Uhr nachts! Eine unglaubliche Stimmung! Ich klettere zurück ins Zelt und mache es mir wieder gemütlich. Weil es zunehmend heller wird, ziehe ich mir die Mütze wieder bis tief über die Nase. Und tatsächlich gelingt es mir noch einmal einzuschlafen.

    Gegen 7:00 Uhr werde ich wach. Es wird zunehmend warm im Zelt, da die Sonne schon mit voller Kraft scheint. Draußen weht kein Lüftchen. Ich setze mich draußen auf einen Stein, noch in T-Shirt und Boxershorts, und genieße hier die erste Tasse Kaffee. In der Stille hört man nur das Rauschen eines Baches nicht weit von mir entfernt. Ich mache mir noch einen Kaffee und sitze fast eine Stunde hier.

    Heute vor einem Jahr hatte Nicole ihren schweren Unfall in Annecy. Ich erinnere mich noch, wie sie mir schrieb, dass sie mit der Gruppe noch einmal für einen Abendflug hoch zum Stadtplatz fährt. Ich habe den Tag damit verbracht, dass ich ein Video für einen Kunden geschnitten habe. Am Abend bin ich noch einmal die Bärnseerunde spaziert und habe dabei ein paar schöne Fotos vom Sonnenuntergang gemacht, die ich Nicole geschickt habe. Weil keine Antwort kam, ging ich davon aus, dass sie mit den anderen Fliegern am Landeplatz in Doussard ein Bierchen trinkt und die leckeren Pommes isst.

    Als später am Abend mein Handy klingelte und ich sah, dass Christa (die Fluglehrerin) anruft, hatte ich schlagartig ein scheiß Gefühl und richtige Angst, ans Telefon zu gehen. Christa erklärte mir, dass Nicole mit einem anderen Piloten zusammengestoßen und am Rettungsschirm runtergekommen ist. Sie kann mir nicht genau sagen, was los ist. Aber nichts von dem, was sie sagte, klang irgendwie nach Entwarnung. Nicole sei mit dem Hubschrauber nach Annecy geflogen worden. Nach dem Telefonat rannte ich im Wohnzimmer hin und her und war kurz davor zu hyperventilieren. Aber irgendwie konnte ich mich zusammenreißen und habe im Klinikum in Annecy angerufen. Nach etlichen Weiterleitungen hatte ich plötzlich Nicole am Telefon. Sie klagte ständig über starke Rückenschmerzen, was mir große Sorgen machte. Aber sie war da und ansprechbar. Und scheinbar dicht bis in die Haarspitzen. Teilweise erzählte sie ein ganz schönes Durcheinander.

    Dieser Tag hat unser Leben verändert. Die Wochen und Monate darauf waren nicht leicht, besonders für Nicole. Aber irgendwie sind wir glaub ich beide dran gewachsen.

    Ich will mich aber nicht zu sehr in den Erinnerungen an den Unfall verlieren und fange an, meinen Rucksack zu packen. Heute habe ich nur 15 km bis Rjukan. Ein Spaziergang! Motiviert mit Vorfreude auf heiße Dusche und heiße Pizza mache ich mich auf den Weg. Es dauert nicht lange, und es geht wieder durch sumpfiges Gelände und Schmelzwasser geflutete Wege. Dennoch lass ich mir die Stimmung nicht versauen. Nach einem der zahlreichen Schneefelder verliere ich meinen Pfad aus den Augen. Laut GPS sollte er auf der anderen Seite des Baches sein. Ich entscheide mich, nicht zurück zum Pfad, sondern querfeldein zu gehen. Allerdings führt mich diese Variante immer wieder durch dichtes Gestrüpp und beschert mir zusätzliche Höhenmeter. Es dauert eine Weile, aber dann bin ich wieder auf dem markierten Weg. Der Weg führt nun wieder bergauf über wunderschöne Felsrücken. Von hier aus sehe ich auch zum ersten Mal auf die Hardangervidda . Tatsächlich sieht es nach wenig Schnee aus. Nach anderthalb Stunden mache ich eine Pause und stelle fest, dass ich gerade einmal 4 km bewältigt habe. Von wegen Spaziergang. Das Querfeldeingehen hat nicht nur viel Kraft, sondern auch viel Zeit gekostet.

    Irgendwann verlasse ich die Felsrücken und allmählich geht es bergab. Ich war mir sicher, dass es von hier an dauerhaft bergab bis nach Rjukan geht. Stattdessen führt ein rund 5 km langer Weg stetig bergauf. Große Abschnitte davon gehen durch sumpfiges Gelände. Auch das Wettergeschehen scheint heute labiler als gestern. Schon jetzt bilden sich viele dunkle Wolken. Ich lege einen Zahn zu, schließlich ist es ja nicht mehr so weit. Und schon höre ich das erste leise Donnern aus der großen, dunklen Wolke vor mir.

    Obwohl ich zügig unterwegs bin, komme ich heute irgendwie nur langsam voran. Vielleicht habe ich die 15 km einfach unterschätzt. Ursprünglich dachte ich, dass ich die in 3 Stunden runter laufe. Aber alles dauert länger als gedacht. Irgendwann geht es dann wirklich nur noch bergab. Mittlerweile hat es angefangen leicht zu regnen. Nach 20 Minuten hört es aber wieder auf. Auch das Donnergrummeln wird seltener. In Summe laufe ich über 1100 Höhenmeter herunter. Je tiefer ich komme, desto lauter werden die Geräusche der Stadt. Überhaupt kann ich schon von oben sehen, dass Rjukan keine schöne Stadt ist.

    Unten angekommen ist es drückend warm. In dem Ort soll es einen Wohnmobilstellplatz geben, wo man auch zelten kann. Zu aller erst schaue ich, wo der nächste Supermarkt ist. Zu meinem Glück nur 100 m Luftlinie. Hierzu überquere ich ein paar Gleise und lauf eine Böschung herab. Hier versorge ich mich erst mal mit Cola, Weißbrot, einer Packung Salami und einem Viererpack Donuts. Ausgewogene Ernährung ist wichtig!

    Dann mache ich mich auf den Weg zum fast einen Kilometer entfernten Campingplatz. Leider stellt sich heraus, dass es sich um einen reinen Wohnmobilstellplatz handelt. Es gibt keine Rezeption und keine sanitären Anlagen. Man soll 200 Kronen in einem Briefumschlag in einen Briefkasten werfen. Niemand ist hier. Es gibt zwar auch Rasenfläche, diese ist aber ohne jeden Schatten inmitten dieser Industriekulisse. Das habe ich mir anders vorgestellt. Ich recherchiere, ob es Alternativen gibt. Einen richtigen Campingplatz gibt es nicht. Hostels oder Hotels haben stolze Preise. Beim günstigsten Hostel rufe ich an, die sind für heute aber schon ausgebucht. Ich gehe zurück zur Brücke über den Fluss, der mitten durch dieses Tal läuft. Ich rufe beim nächsten Hotel an. Hier bin ich bei Google schon nicht ganz schlau draus geworden, ob man hier Hotelzimmer oder Hütten mietet. Man hätte eine „Cabin“ frei, welche ungefähr 120 € kosten würde. Ich bin kurz davor zuzusagen, frage vorsichtshalber noch einmal nach, ob in dem Preis alles enthalten ist. Die Frage verneint sie und sagt, dass noch circa 40 € Reinigungsgebühren und 15 € irgendwelche anderen Kosten hinzu kommen würden. Das ist mir eindeutig zu viel.

    Wie in einem schlechten Film fängt es zu regnen an. Der Himmel ist inzwischen richtig dunkel und man hört zunehmend mehr Donner. Noch stehe ich halbwegs geschützt unter einem Baum. Als der Regen stärker wird, renne ich zur Hauptstraße und stelle mich hier in einem Hauseingang unter. Der Regen legt nach und nach deutlich zu. Ich würde ja schon auf dem Rasen beim Wohnmobilstellplatz übernachten. Dann würde ich einfach die ganze Zeit am Zelt bleiben, denn das möchte ich dort nicht unbewacht stehen lassen. Aber die Tatsache, dass es dort kein Klo gibt, ist ein echtes Argument.

    Jetzt wähle ich die Nummer von einem kleinen Hotel, das ich zuvor ignoriert hatte. Es ist bei Google mit 2,5 von fünf Sternen bewertet. Normalerweise fällt sowas bei mir komplett aus der Auswahl raus. Aber heute muss ich mir irgendwas organisieren. Der Mann am anderen Ende der Leitung hat einen asiatischen Akzent und ist super freundlich. Er hat noch ein Zimmer frei, was ich sofort zusage. Inzwischen gießt es wie aus Eimern und ich warte noch ab, bevor ich den 6 Minuten langen Weg zum Hotel antrete. Auf dem Weg liegt der Supermarkt, bei dem ich vorhin schon eingekauft habe. Für eine weitere Cola und ein paar Kleinigkeiten mache ich hier noch mal Halt. Es regnet sogar im Supermarkt. Das Dach scheint undicht und einige Mitarbeiter rennen hektisch durch die Gegend, um Behälter zu finden, die sie unter den doch ordentlichen Wasserfall stellen können.

    Dann geht es zum Hotel. Alles sieht sehr einfach aus. Aber für heute Nacht soll es reichen. Der Eingangsbereich, die Rezeption, die Treppenhäuser, die Gänge, einfach alles hier sieht absolut nicht einladend aus. Aber der Mann an der Rezeption ist immer noch nett. Klingt doof, aber das macht einiges wett. Nicht nur, weil es sich reimt. Auf dem Weg zu meinem Zimmer wachsen die Befürchtungen, was mich hinter meiner Zimmertür erwarten wird. „In die Jahre gekommene Holzklasse“ würde ich das ganze nennen. Klo,Dusche und Bett sehen aber sauber aus. Ich bin beruhigt. Einzig auf der Spüle der kleinen Eckküche liegt eine Spülbürste, mit der ich nichtmals einen alten Grillrost reinigen würde. Für nicht ganz 80 € ist das für norwegische Verhältnisse schon in Ordnung. Und Frühstück gibt es morgen auch.

    Anstatt mich also über eine weitere größere ungeplante Ausgaben zu ärgern, freue ich mich nun über die Dinge, die ich hier nutzen kann. Ich freue mich über eine heiße Dusche, die Möglichkeit später ein paar Kleidungsstücke hier zu waschen, WLAN, mehrere eigene Steckdosen, einen Vorhang, mit dem ich später das Zimmer verdunkeln kann und eine Bettdecke, unter der ich meine Beine und Füße unabhängig voneinander in alle Himmelsrichtungen strecken kann.

    Zum Abendessen gönne ich mir eine Pizza in Übergröße und schaffe es beinahe, sie aufzuessen. Aber ich bin vernünftig und lasse ein paar Stücke über, dass noch ein Eis vom Supermarkt reinpasst. Der hat heute bis 23.00 Uhr auf. Nur ein zweites Feierabendbier soll es nicht geben. Nach 20.00 Uhr darf in Norwegen kein Alkohol verkauft werden. Gar nicht mal so doof. Außer für mich jetzt. Dann geht es eben eine Bierlänge früher ins Bett.
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  • Day 18

    Hikers High

    June 17, 2023 in Norway ⋅ ⛅ 19 °C

    Gestern Abend schon machte sich eine kleine Verspannung bemerkbar. Damit habe ich zu Hause häufiger zu kämpfen. Von der rechten Schulter zieht es direkt in die rechte Schläfe. Es ist aushaltbar, aber kostet mich doch einiges an Schlafqualität. Dennoch hat es gut getan, mal eine Nacht unter einer Bettdecke zu verbringen und sich frei bewegen zu können.

    Am Morgen habe ich keine Eile. Apotheke und Intersport machen erst um 10:00 Uhr auf. Kurz nach acht gehe ich runter zum Frühstück. Es ist überschaubar, aber am Ende alles da, was man braucht. Schnell finde ich das Früchtemüsli und heißes Wasser. Ne, nicht wirklich! Heute gibt es all das, was ich sonst so nicht habe. Brot mit Käse, Brot mit Marmelade, zwei gekochte Eier, Erdbeerjoghurt und ein paar Tassen Kaffee, die deutlich näher am guten Kaffee sind als sonst mein Instantkaffee, über den ich mich trotzdem jeden Morgen im Zelt freue.

    Während ich frühstücke, schreibe ich dem Hotel auf Google eine fünf Sterne Rezension. Die vielen schlechten und mittelmäßigen Rezension ärgern mich. Was erwarten die Leute von einem Hotel der untersten Preisklasse? Ich schreibe, dass das hier nicht das Ritz Carlton ist, aber sicherlich ein sehr gutes Preis-Leistungs-Verhältnis. Dass die Inhaber super freundlich sind, und dass die Zimmer wirklich sauber sind. Die etwas eklige Spülbürste verschweige ich.

    Nach dem Frühstück gehe ich zurück aufs Zimmer. Mein Rucksackinhalt ist im gesamten Raum verteilt. Dazu mache ich etwas, was ich sonst nicht so gerne mag, nämlich Musik aus dem Handylautsprecher hören. Aber auf Kopfhörer habe ich keine Lust und das Zimmer verfügt leider nicht über eine Dolby Surround 5.1 Multimediastation. Deswegen gibt es von mir auch einen Stern Abzug. Und weil beim Frühstück der Kaviar aus war.

    Ich höre eine Playlist, die ich mir mal für längere Autofahrten zusammengestellt habe. Spotify bietet an, zufällig weitere Songs in die Liste zu mischen, die zu meinem Profil passen. So läuft plötzlich Dire Straits „Iron Hand“. Ich nehme mir vor, später oben im Fjell mehr Songs von den Dire Straits zu hören. Dann aber über Kopfhörer.

    Mit Dire Straits verbinde ich einfach viel. Zum ersten Mal habe ich in der Oberstufe ihre Lieder gehört. Micha, mit dem ich Mathe- und Sportleistungskurs hatte, hat mir damals die Welt rund um Mark Knopfler eröffnet. Aber nicht nur das. Als begnadeter Gitarrenspieler hat mir damals die ersten Akkorde und Lieder auf der Gitarre beigebracht. Wir hatten sogar mal einen gemeinsamen Auftritt im Rahmen einer Chorveranstaltung seiner Mutter Christel. Ich weiß noch, wie ultra angespannt ich damals war. Obwohl ich auch zu der Zeit mit starken Ängsten zu kämpfen hatte, mich vor Leuten zu präsentieren, hab ich mich aus irgendeinem Grund dann doch immer wieder solchen Aufgaben gestellt. Angespannt und mit zittrigen Händen habe ich Micha zweimal am Klavier und zweimal an der Gitarre begleitet. Ich weiß nicht mehr genau, ob 50 oder 100 Leute im Publikum saßen. Ab drei Leuten aufwärts machte das für mich sowieso keinen Unterschied. Es wurde applaudiert, Unterwäsche flog aber nicht auf die Bühne. Deswegen sind wir dann auch nicht mehr zusammen aufgetreten. Vielleicht wäre es nun an der Zeit für ein Comeback. Micha und Max reunited. Also musikalisch. Weil sonst sind wir ja noch united.

    Als ich fertig gepackt habe, mache ich mich gleich auf den Weg zum Supermarkt. Ich muss meine Vorräte für die kommenden fünf Tage auffüllen. Als ich den Supermarkt betrete, läuft „What It Is“ von Mark Knopfler, eines meiner Lieblingslieder. Ich hab fast etwas Pippi in den Augen. Wie geil ist das denn? Ich kaufe Müsliriegel, Nussmischung, Müsli, aber kein Früchtemüsli und mach mich dann auf den Weg zur Apotheke und Intersport. Hier besorge ich mir Ibuprofen, Trekkingnahrung, vorsichtshalber eine Gas-Kartusche, weil ich nicht weiß, ob in meiner noch ausreichend Gas für fünf Tage ist, und zwei kleine Karabiner, um mein Solarpanel einfacher befestigen zu können.

    Um 10:45 Uhr habe ich alles, was ich brauche und mache mich auf den Weg. Es gibt zwei Möglichkeiten, um in die Hochebene zu kommen. Ein wohl eher anspruchsvoller Pfad, der sehr direkt nach oben geht und ein eher einfacher Pfad, der in vielen Serpentinen unterhalb der Seilbahn nach oben führt. Tobi hat mir gestern noch die einfachere Variante empfohlen. In Summe läuft man einen Kilometer mehr, kommt dafür aber unkompliziert nach oben.

    Der Weg liegt die meiste Zeit im Schatten. Doch da, wo die Sonne hin scheint, ist es drückend heiß. Obwohl es noch früh ist, stehen bereits die ersten Wolken am Himmel. Ich hoffe, das ist nicht das gleiche Spielchen wie in den vergangenen Tagen. Auf halber Strecke nach oben mache ich eine Pause. Die Verspannung in der Schulter und die damit einhergehenden Kopfschmerzen in der rechten Schläfe sind nun deutlich stärker geworden. Kombiniert mit der Anstrengung in der Hitze ist das eine echt fiese Mischung. Ich trinke einen halben Liter Wasser und warte, bis der Puls wieder unten ist. Dann gehe ich weiter. Vom Warten werden die Kopfschmerzen auch nicht besser. Oft löst sich diese Verspannung, die ich immer in der rechten Schulter habe, wenn ich mich bewege. Heute ist der Trend eher umgekehrt. Dennoch habe ich insgesamt sehr gute Laune. Als ich oben bin, sehe ich an der Bergstation eine Art Panorama-Café. Hier darf ich meine Wasserreserven noch einmal füllen. Einen Liter trinke ich direkt.

    Von nun an geht es nicht mehr so steil weiter. Es sind noch ein paar Höhenmeter zu überwinden, aber eine halbe Stunde später bin ich in der Hardangervidda angekommen. Eine unbegreifliche Weite tut sich vor mir auf. Hier Entfernungen zu schätzen ist richtig schwierig. Die Pfade sind fest und steinig. Das hier ist genau mein Gelände. Ich gehe eine Weile und mache dann spontan eine Pause. Die Kopfschmerzen werden immer schlimmer. Ich werfe gleich zwei Ibuprofen ein und esse die restlichen Stücke von meiner Pizza. Eigentlich hatte ich mich darauf besonders gefreut, jetzt habe ich aber gar nicht so einen großen Hunger. Das letzte Stück schaffe ich nicht. Mir wird fast ein wenig übel.

    Ich lehne mich an ein Fels und versuche etwas, die Augen zuschließen. Tatsächlich döse ich nach einiger Zeit etwas weg. Die Schulter wird besser und die Kopfschmerzen lösen sich langsam auf. Das Wetter ist übrigens wunderschön. Der Himmel ist voller Schäfchenwolken und nicht eine davon macht den Eindruck, dass sie überentwickeln könnte. Heute ist das Wetter tatsächlich wie vorhergesagt. Die nächsten drei Tage soll es erst bedeckt und dann zwei Tage richtig regnerisch werden. Dann versuche ich, das schöne Wetter heute noch einmal besonders zu genießen.

    Die Kopfschmerzen sind weg. Jetzt ist Zeit für Dire Straits. Ich habe, mit heute morgen dazu gerechnet, seitdem ich unterwegs bin erst drei mal Musik gehört. Beim Wandern selbst habe ich noch gar nichts gehört. Normalerweise mag ich es auch lieber, die Natur um mich herum zu hören. Der „Musikentzug“ sorgt dafür, dass wenn man dann mal was hört, es etwas ganz besonderes ist. Und heute ist was besonderes. Ich starte in die Hardangervidda, was vor einigen Tagen noch gar nicht denkbar gewesen wäre.

    Was jetzt passiert, kenne ich so nur vom Marathon und dem Training dafür. Beflügelt durch die Musik wandere ich zügig durch diese atemberaubende Kulisse. Jeder Schritt sitzt, auch in steinigem Gelände und hohem Tempo. Ich muss mich teilweise zügeln, nicht ins Laufen zu geraten. Den Rucksack merke ich fast nicht. Alles ist perfekt. Kein störendender Gedanke in meinem Kopf, keine Wünsche, keine Sehnsucht. Ich fühle mich, als könnte ich in diesem Tempo ewig weitergehen. Es ist ein totaler Flow und nichts kann mich aufhalten. Die Beine bewegen sich von allein und alles was ich spüre ist pures Glück, tiefe Zufriedenheit und einen Hauch Melancholie. Denn dass gerade alles so ist wie es ist, das zu erkennen, macht emotional.

    Diesen Zustand kenne ich nur vom Laufen. Das Runners High! Lange hatte ich nur davon gehört, irgendwann mit fortschreitendem Training und länger werdenden Distanzen durfte ich es dann immer wieder erleben. Meist hält es nur ein paar Kilometer. Es ist wie ein Boost, den man zünden kann. Tatsächlich bei mir oft ausgelöst durch Musik. Auch beim Marathon habe ich Musik nur ganz bewusst eingesetzt, um etwas zu haben, wenn es zäh wird. Ab Kilometer 30 oder 35, wenn du denkst es geht nichts mehr, dann drücke ich auf Play und der Körper reagiert als sei er gedopt!

    Hier erlebe ich heute mein erstes Hikers High. Über eine Stunde „fliege“ ich durch diesen wunderschönen Nationalpark. Ich gehe immer weiter und ich will nicht, dass dieses Gefühl endet. Erst als es dann deutlich steiler wird, mache ich eine Pause und freue mich über die vergangenen 80 Minuten. Das war Wahnsinn!

    Nach einer Trinkpause am Bach geht es dann „normal“ weiter. Die Kopfhörer verstaue ich wieder im Rucksack. Es geht weiter bergauf über einen Bergsattel. Auf der anderen Seite macht sich ein ganz neuer Blick über eine riesige Seenlandschaft auf. Und wieder fällt es mir unglaublich schwer, diese Weite zu erfassen. Ich mache noch eine kurze Pause und genieße die Aussicht.

    Von nun an wird es wieder deutlich sumpfiger und nasser. Eine Stunde lang versuche ich, Pfützen auszuweichen und sumpfige Abschnitte zu umlaufen. Je näher ich an den großen See komme, desto mehr Mückenschwärme scheuche ich auf. Zum Glück versuchen nur wenige, auf mir zu landen. Nach heute gelaufenen 25 km komme ich an eine schmale Schotterstraße, wo in der Umgebung einige Hütten verteilt stehen. Verkehr gibt es hier keinen. Die Straße gibt es vermutlich zum einen wegen der Hütten hier, zum anderen wegen des großen Stausees. Von hier würde mein Weg weiter gerade aus über einen Pfad führen. Tobi hatte mich aber vorgewarnt, dass der Weg ab hier „ein einziger Scheiß“ sei. Nur Sumpf! Da ich mittlerweile echt kein Sumpffan bin, folge ich der Schotterstraße. Der Weg ist fast zwei Kilometer länger, am Ende aber wahrscheinlich angenehmer und schneller. Und die Landschaft drumherum ist hier ja ebenso schön.

    Jetzt gibt es noch zwei Herausforderungen. Ich muss Wasser finden und Handyempfang. Um 20.00 Uhr bin ich mit meinen Bochumer Jungs zum Zoom verabredet. Eine Tradition, die wir aus Corona behalten haben. Alle paar Samstage treffen wir uns digital auf ein Bierchen. Oft sind wir nur zu dritt oder zu viert. Aber immer wieder auch mal mehr. Vor allem für Klemens, der in Boston lebt und mich in Bayern ist das eine super Gelegenheit, aktiven Kontakt in die Heimat zu halten.

    Je weiter ich der Schotterstraße folge, je öfter fehlt das Handynetz komplett. Wasser finde ich nach 2 km aus einem kleinen Bach, der rechts vom Berg kommt. Als ich mal einen Balken LTE habe, rufe ich Klemens zum Test über WhatsApp an. Erst klappt es super, nach kurzer Zeit ist die Verbindung weg. Ich gehe noch weiter. Ein oder zwei Kilometer sind noch drin. Mehr schaffe ich heute aber nicht. Nachdem das Netz die meiste Zeit zwischen „E“ und nicht vorhanden wechselt, habe ich an einer Stelle nochmal einen Balken LTE. Ich halte das Handy in die Luft und es werden zwei Balken draus. Klingt doof, aber ich habe schon oft festgestellt, dass ich liegend im Zelt wenig Empfang habe, dieser aber besser wird, wenn ich das Handy nach oben halte.

    Ich gehe seitlich der Straße den Hang hoch. Drei Balken LTE aber nicht eine Möglichkeit, mein Zelt aufzustellen. Erst als ich noch mal 50 Meter den Hang hochgehe, finde ich einen Platz, der nicht ideal ist aber für heute reichen soll. Es ist genau 20.00 Uhr, ich wähle mich ein. Es funktioniert! Trotzdem baue ich erstmal mein Zelt auf. Ich will Feierabend haben. Und dann quatschen wir wie immer. Schmiddi in Essen, Klemens in Boston und ich in der Hardangervidda. Später kommen noch Sören und Willi dazu, dass auch Bochum vertreten ist. So sehr ich das Alleinsein hier genieße, so schön ist es zwischendurch dann mal, Kontakt in die Heimat zu haben. Zu Freundschaften, die seit Jahrzehnten bestand haben und hoffentlich noch Jahrzehnte Bestand haben werden. Aber darüber mache ich mir gar keine Sorgen!

    Diesmal bleibe ich aber nicht bis zum Ende im Zoomcall. Ich muss dringend noch eine Waschstelle finden. Die Haut klebt und ich will mich noch einmal richtig waschen. 50 m vom Zelt finde ich eine Schmelzwasserpfütze. Dann ist es Zeit fürs Bett, das heute wieder etwas schräg ist. Aber heute ging Internet vor! Danke Jungs! :-)
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  • Day 19

    Braveheart

    June 18, 2023 in Norway ⋅ ☁️ 11 °C

    Am Morgen lasse ich mir noch Zeit und schreibe meinen Tagebucheintrag von gestern fertig. Gestern war ich einfach zu müde. Während des Frühstücks nutze ich noch die Sonne, um meine kleine Powerbank zu laden. Jetzt zieht zunehmend eine hohe dichte Wolkenschicht vor die Sonne. Um kurz nach Zehn mache ich mich auf den Weg. Zunächst geht es 6 km weiter über den Schotterweg. Später sehe ich, dass dieser als Radweg ausgeschildert ist. Ich folge dem Weg zur Kalhovd Turisthytte, eine bewirtschaftete Hütte des norwegischen Wanderverbandes DNT. Menschen sehe ich hier aber keine. Hinter der Hütte führt mein Pfad den Berg hinauf, keine 200 Höhenmeter. Während ich gestern 1100 Höhenmeter auf dem Programm hatte, sind es heute deutlich weniger. Ohne die Sonne und dazu mit frischem Wind ist es zum Wandern eigentlich ideal. Erst nach 10 km mache ich meine erste Pause, ziehe dafür aber gleich Pulli und Jacke an.

    Ich komme gut voran heute. Die Landschaft ist immer noch beeindruckend. Besonders, weil man das Gefühl hat, im Umkreis von vielen, vielen Kilometern der einzige Mensch hier zu sein. Die karge Landschaft wirkt ohne Sonne allerdings etwas trostlos und lebensunfreundlich. Vielleicht ist das auch der Grund, warum ich heute etwas getrieben bin. Meine zweite Pause mache ich erst nach 18 Kilometern. Aber es läuft sich auch einfach gut. Diese Pfade hier sind wirklich absolut mein Gelände.

    Ich überlege, ob ich heute 31 oder 32 km laufe. Wenn ich das gut schaffe, ohne mich kaputt zu machen, und das gleiche in den folgenden beiden Tagen mache, wäre ich einen Tag schneller als geplant in Geilo. Klar ist es nicht mein Ziel, so schnell wie möglich aus der Hardangervidda wieder heraus zu kommen. Aber wenn es sich gut läuft und es sich für mich gut anfühlt, warum nicht?

    Die nächste Etappe ist schon wieder etwas zäher. Es geht ein wenig bergab auf Höhe eines Stausees. Hier sind einige Sumpfgebiete zu queren. Rund einen Kilometer vor Mårbu, einer weiteren DNT-Hütte, mache ich noch eine Pause. Der linke Fuß tut mir wieder weh. Diese Metatarsalgie hab ich nicht so richtig los bekommen. Gestern Abend im Zelt schon und heute Morgen habe ich den Fuß wieder gemerkt. Manchmal läuft es sich raus, kommt dann aber zum Ende des Tages wieder. Ich versuche es mit unterschiedlichem Auftreten bewusst rauszulaufen. Bei der DNT-Hütte habe ich genau 25 km. Ich will aber auf jeden Fall weiter.

    Hinter der Hütte geht es allmählich bergauf. Auf den rund 150 Höhenmetern nimmt der Wind ständig zu. Es wird ungemütlicher je höher ich komme. Ganz oben habe ich 28 km geschafft. Mein linker Fuß möchte nun wirklich nicht mehr. Aber ich muss auf jeden Fall noch irgendwo meine Wasserreserven auffüllen. Es geht wieder bergab zu einem größeren See. Laut Karte fließen hier mindestens zwei Bäche hinein. Der Wind legt noch einmal zu und nun mischen sich auch erste Regentropfen in den Wind. Obwohl ich nur noch wenige hundert Meter vom See entfernt bin, mache ich noch eine kurze Pause und ziehe mir meine Jacke an. Eine Erkältung kann ich hier gar nicht gebrauchen.

    Am See angekommen, sehe ich, dass er einen kleinen Sandstrand hat. Das passt irgendwie so gar nicht hierher. Bei schönem Wetter würde ich hier eine Badepause einlegen. Ich folge dem schmalen Pfad direkt am See entlang und komme zu dem Bach, wo ich meine Wasserreserven voll mache. Nach ein paar Metern geht der Weg rechts ab vom See wieder leicht bergauf. Ich habe jetzt ziemlich genau 30 km auf der Uhr. Das reicht für heute. Und obwohl ich so viel gelaufen bin, ist es erst 18:15 Uhr.

    Ich finde eine größere sumpffreie Fläche und entscheide, hier mein Zelt aufzubauen. Während ich den Rucksack auspacke, wird auch der Regen mehr. Schnell baue ich das Zelt auf und verstaue alles darin. Heute bin ich richtig froh, dass ich dieses teure und schwere Zelt dabei habe. Starker Wind und Regen. Da möchte man doch eine Behausung haben, auf die man sich verlassen kann. Während der Wind am Zelt rüttelt, mache ich es mir drinnen gemütlich und koche mir erst mal einen Cappuccino. Mir ist noch recht kalt und bevor ich überhaupt daran denke, mich zu waschen, möchte ich mich erst mal aufwärmen. Mir wird schnell warm, aber die Lust rauszugehen, die 100 m zum See runter, um mich bei Regen und Wind zu waschen, hält sich in Grenzen.

    Irgendwann wird der Wind deutlich weniger, und auch der Regen lässt nach. „Verdammt“, denke ich. Jetzt oder nie. Boah, hab ich kein Bock! Aber es nützt nichts. Noch im Zelt ziehe ich mich komplett aus und ziehe meine Wasserschuhe an. Die 100 m kommen mir ganz schön lang vor. Ich pushe mich mental und renne wildentschlossen auf den See zu. Mit blau weißer Schminke im Gesicht und einem Schwert in der Hand könnte es eine Szene aus Braveheart sein. Nur, dass die Jungs, die dort in die Schlacht ziehen, mehr anhaben als ich. Und ihr Feind nicht ein kalter See ist. Und ich kein Schwert in der Hand habe, sondern einen Waschlappen. Aber in punkto Entschlossenheit ist es so ziemlich das gleiche.

    Ich renne also nackt mit Handtuch und Waschlappen in der Hand wild entschlossen zum See, entscheide mich dann, zur Bachmündung zu laufen, warum auch immer, und erinnere mich dort, dass der Bach von Schmelzwasser genährt ist. Also renne ich zurück zu dem kleinen Strand gleich durch ins Wasser. Scheint auch Schmelzwasser zu sein. Zuletzt dann doch eher unentschlossen.

    Weil das sandige Ufer nur flach abfällt, renne ich nach 5 Metern nicht weiter rein, sondern setze mich an Ort und Stelle unter lautem Schnauben in den See. Scheiße, ist es kalt. Ich schrubbe mich so schnell wie möglich mit dem Waschlappen ab. Den Oberkörper bringe ich nicht ganz ins Wasser. Auch das ist Waschlappenangelegenheit. Noch eine Spur entschlossener als zum See hin renne ich zurück zum Zelt und versuche mich unterm Laufen abzutrocknen. Im Zelt ist es gleich angenehmer, weil der Wind weg ist. Ich ziehe mich an, lege mich in den Schlafsack und bin unfassbar zufrieden. So hat vieles Unangenehme hier immer die andere Seite, dass ich total happy bin, wenn ich es hinter mich gebracht habe.

    Zum Abendessen gibt es Pulled Pork. So langsam entdecke ich immer mehr Gerichte, die man durchaus gut essen kann.
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  • Day 20

    Regen, Furten, nasse Füße

    June 19, 2023 in Norway ⋅ ☁️ 13 °C

    In der Nacht hat es immer wieder leicht geregnet. Durch den bedeckten Himmel war es deutlich dunkler im Zelt als sonst. Als ich morgens erst mal auf die Uhr schaue, ist es schon 7:30 Uhr. Neuer Rekord im Langschlafen. Nach dem Frühstück mache ich mich fertig. Als ich aus dem Zelt schaue, bin ich mitten im Nebel. Immerhin regnet es jetzt nicht. Erst als ich beginne, das Zelt abzubauen, setzt ein unangenehmer Sprühregen ein. So ziehe ich mir gleich von Beginn an Regenhose und Regenjacke an. Zum ersten Mal muss ich das Zelt nass einpacken. Fühlt sich falsch, geht aber nicht anders.

    Um kurz nach neun ist alles verpackt und es geht in voller Regenmontur los. Es ist schon eine besondere Stimmung, hier oben im Nebel ganz alleine zu sein. Mein zügiges Tempo wird schnell durch die ersten Sumpfabschnitte gedrosselt. So langsam brauchen meine Schuhe mal eine längere Sumpfpause. Heute Morgen bin ich schon mit halbnassen Socken in deutlich nasse Schuhe geschlüpft. Allein deswegen freue ich mich schon auf den Tag Auszeit in Geilo.

    Ich merke auf den ersten Metern schon, dass ich heute keinen Drive habe. Es regnet und das Schmatzen der Schuhe beim Einsinken im Sumpf trägt nicht zur guten Laune bei. Aber der Sumpf gehört in Norwegen einfach dazu. Man kann nicht auf der einen Seite erwarten, dass man alle paar Meter einen Bach zum trinken findet und auf der anderen Seite dann den Sumpf verteufeln. Die Sümpfe hier sind riesengroße, natürliche Wasserspeicher, die gerade jetzt nach der Schneeschmelze besonders gut gefüllt sind. Aber ein bisschen fluchen darf man ja trotzdem.

    Nach drei Kilometern komme ich an einen breiteren Fluss. Vergebens suche ich nach einer Möglichkeit, den Fluss zu queren, ohne meine Wasserschuhe anziehen zu müssen. Ich mache mehrere Anläufe, balanciere von Stein zu Stein und komme jedes Mal an einen Punkt, wo ein Weiterkommen nicht möglich ist. Es hilft alles nichts. Ich muss furten (mein iPhone hat beim Einsprechen hier was anderes interpretiert: „Es hilft alles nichts. Ich muss furzen). Ich habe aber keine Lust, Regenhose und Hose auszuziehen. Also krempel ich die Hosenbeine hoch bis zu den Knien. Das ist bei meinen Beinen ja schon relativ hoch. Dann geht es raus aus den gerade mal etwas warm gewordenen nassen Wanderschuhen rein in die Wasserschuhe.

    Bei meinem ersten Versuch komme ich schnell an eine Stelle, wo das Wasser so tief ist, dass ich beide Hosen hätte ausziehen müssen. Ich wähle eine andere Stelle, wo das Wasser zwar wilder unterwegs, dafür aber nicht so tief ist. Mit dem schweren Rucksack ist es ein ganz schöner Balanceakt. Auch wenn das Furten an dieser Stelle sicher nicht lebensgefährlich ist, ist höchste Konzentration gefragt. Wenn man einmal in mitten dieser kleine Stromschnelle steht, will man keinen Fehler machen. Ohne meine Trekkingstöcke wäre ich hier aufgeworfen. Alles klappt super, am Ende war es aber deutlich spannender als ich es vorher gedacht hätte. Da mein Handtuch praktischerweise tief unten im Rucksack ist, wische ich mir die Füße mit den Händen ab und schlüpfe in die nassen Socken. Jetzt heißt es, die nassen Socken und Wanderschuhe von neuem aufzuwärmen. Nach 2 Stunden mache ich meine erste Pause. Sieben Kilometer habe ich gerade mal geschafft. Die Querung des Flusses hat einiges an Zeit gekostet. Natürlich bin ich hier nicht in Eile. Ich habe keine Termine, keine Verpflichtungen. Aber wenn man sich 2 Stunden richtig anstrengt und dann merkt, dass man deutlich weniger geschafft hat als sonst in der Zeit, kann das etwas frustrierend sein.

    Bei meiner Pause habe ich zum ersten Mal wieder etwas Handyempfang und ich freue mich über ein paar WhatsApp-Nachrichten aus der Heimat. Aber ich kühle schnell aus und mach mich wieder auf den Weg. Immerhin hat es aufgehört zu regnen und die Wolkenbasis hat sich sichtbar angehoben. Zwischenzeitlich wird die Wolkendecke sogar so dünn, dass es um mich herum deutlich heller wird. Ich hatte mich innerlich auf einen kompletten Regentag eingestellt. Daher kann ich mich alleine darüber jetzt freuen. Nach 10 km kommt sogar die Sonne immer wieder mal durch und in meiner Regenhose wird es mir nun zu warm. Bei einer Pause ziehe ich sie aus und nutze die Gelegenheit, die Schuhe auszuziehen, um die Socken auszuwringen. Im rechten Schuh ist gar nicht so viel Wasser. So sehr ich die Socke auch würge, es kommt kein Tropfen. Anders ist es beim linken Schuh. Wie ein Schwamm presse ich den Socken aus. Ich bin unsicher, ob der Schuh mittlerweile ein wenig undicht ist? Grundsätzlich stelle ich fest, dass die Schuhe schon mehr gelitten haben und mehr Gebrauchspuren haben, als ich es für die bisher gelaufene Strecke vermutet hätte. Ein zweites Paar Schuhe ist in einem Versorgungspaket, das mich allerdings erst bei Kilometer 1400 erreicht. Ob die Schuhe noch so lange halten? Hier muss ich mir gegebenenfalls etwas einfallen lassen.

    Nach fast 15 Kilometern erreichte ich gegen 14:00 Uhr die Solheimstulen Turisthytte. Ein paar Meter weiter mache ich eine Pause und gönne mir ein paar Hände voll vom Nussmix. Wenn ich die 15 Kilometer gegen Mittag geschafft habe, bin ich immer sehr zufrieden. Dann sind es noch zwei 5 km Etappen. Und wenn ich Lust habe noch etwas Zugabe. Aber gerade die Nachmittagsetappen ziehen sich häufig. Wenn man am Vormittag noch denkt, man könne heute ja mal fünf oder 10 km weiter laufen, meldet mir der Körper nach 20 bis 25 km eindeutig, dass es langsam genug ist.

    Von der Hütte, die in einem kleinen Teil lag, geht es nun wieder über einen Pfad bergauf und bald bin ich wieder in der Hochebene, wo jeder Maßstab fehlt, um Entfernungen abschätzen zu können. An einem kleinen Bach mache ich eine Trinkpause. Danach führt der Weg zu einem großen See, den ich teilweise umrunde. Wie hier und an vielen Seen, an denen ich bisher vorbeigekommen bin, gibt es kleine, wunderschöne Hütten am Ufer. Oft mit dazugehörigem kleinen Bootshaus. Vorbei an den Hütten, die alle unbewohnt aussehen, geht es nun wieder bergauf. Oben angekommen, sehe ich in der Ferne eine deutlich höhere Gebirgskette, wo noch deutlich Schnee zu sehen ist. Das könnte schon Teil meiner nächsten Großetappe sein.

    Ich beschließe, noch etwas mehr als die 25 km zu machen. Ich bin zwar langsam platt, aber ein wenig geht noch. Die größte Herausforderung jetzt ist, einen geeigneten Platz für das Zelt zu finden. Allmählich geht es wieder bergab. Die ganze Gegend hier ist geprägt von riesengroßen Gesteinsbrocken, die überall rumliegen. Nach 29 km finde ich einen Platz direkt am Wegrand. 100 m weiter finde ich auch einen Bach, um meine Wasserreserven zu füllen. Der Wind hat mittlerweile wieder deutlich angezogen. Nach einem kurzen Aufenthalt im Zelt spiele ich das gleiche Spiel wie gestern. Denn so lange ich mich nicht gewaschen habe, wobei man das Waschen im kalten Wasser hier nicht mit der Gründlichkeit einer heißen Dusche zu Hause vergleichen kann, habe ich noch nicht Feierabend. 10 Minuten später habe ich es geschafft. Ich liege zumindest etwas sauberer als vorher im Schlafsack und mache mir noch einen Cappuccino und veganes Thai Curry. Beides erfordert die gleiche Zutat, welche ich mit viel Sorgfalt und Liebe zubereite: heißes Wasser.

    Den Plan, einen Tag schneller in Geilo zu sein, habe ich tagsüber schon verworfen. Daher hätte ich heute noch wenigsten vier Kilometer weiter wandern müssen. Jetzt sind es noch 36 Kilometer. Das könnte man an einem Stück schaffen, aber ich bin sicher, dass ich die letzten Kilometer mit schmerzenden Füßen bewältigen müsste. So stehen morgen meine 25 km an und dafür habe ich übermorgen nur noch eine halbe Tagesetappe bis Geilo.
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  • Day 21

    36 km nach Geilo

    June 20, 2023 in Norway ⋅ ☁️ 16 °C

    Als ich wach werde, regnet es leicht. Eine kurze Regenpause nutze ich, um „auf‘s Klo“ zu gehen. Schon bald regnet es kräftiger weiter. Ich lasse mir Zeit und hoffe auf eine weitere Regenpause. Um 09.00 Uhr fange ich an, meine Sachen im Zelt vorzubereiten und zu packen. Dann kommt das Zelt heute mal zum Schluss in den Rucksack. Der Regen lässt noch einmal nach und ich mache meinen Rucksack draußen fertig. Wieder rolle ich das nasse Zelt zusammen und verstaue es im Rucksack. Noch bevor ich ganz fertig bin setzt der Regen wieder ein. Diesmal hatte ich mir Regenjacke und Regenhose schon im Zelt angezogen. Um Punkt 10.00 Uhr mache ich mich auf den Weg.

    Die ersten Kilometer laufen sich angenehm. Der Pfad ist trotz Regen meistens fest und führt allmählich bergab in ein Tal. Hier werde ich mehrere Flüsse überqueren müssen. Einen großen Fluss habe ich von meinem Lagerplatz schon gesehen. Furten wird hier wohl nicht möglich sein, dafür sah der Fluss zu groß aus. Während es weiter runter geht, wird auch die Vegetation wieder höher. Junge Birken und jede Menge Gestrüpp. Ich höre einen Fluss, der immer lauter wird. Irgendwann so laut, dass man sein eigenes Wort nicht mehr verstehen würde. Und dann sehe ich einen beeindruckenden Wasserfall mit wild schäumendem Wasser. Wahnsinn, was das für eine Naturgewalt ist! Allein beim Anblick wird mir leicht mulmig. Hier reinfallen wäre vermutlich das sichere Ende. Über das ganze Geschehen führt eine schmale Hängebrücke. So ganz neu sieht sie nicht mehr aus. Ich gehe die ersten Meter und stelle fest, dass sie ganz schön schaukelt und ich gehe gleich etwas zügiger auf die andere Seite. Ich bin sicher, diese Brücke hält eine ganze Wandergruppe aus. Aber ich fühle mich trotzdem nicht so sicher mit dem tosenden Wasser unter mir. Ich mache noch einige Fotos und gehe weiter. Das war echt ein kleines Highlight gleich zu Tagesbeginn. So ein Wasserfall wäre in anderen Ländern eine Hauptattraktion, hier ist er einfach so am Wegesrand.

    Bei leichtem Regen geht es weiter. Ich quere noch zwei breite Flüsse über Brücken, jedoch nicht so spektakulär wie die Brücke am Wasserfall. An einer Kreuzung mit mehreren Schildern zu unterschiedlichen Hütten geht mein Pfad rechts ab. Er sieht unscheinbar und wenig begangen aus. Es geht direkt in den Sumpf. Gewürzt wird der Spaß durch unzählige Mücken, die hier deutlich talentierter auf mir landen und versuchen, zu stechen. Es dauert nicht lange und ich bin mir sicher, der linke Schuh ist undicht. Vor ein paar Tagen noch konnte ich den Schuh in einen Bach stellen ohne nasse Füße zu bekommen. Heute dauert es nicht lange und ich merke, wie es im Schuh schmatzt, wenn ich gehe. Das ist echt ärgerlich, denn halbwegs trockene Füße sollten auf so einer Tour gewährleistet sein. In Geilo werde ich schauen, ob ich mir neue Schuhe organisieren kann. Allerdings habe ich mit Schuhgröße 48,5 oft nicht die große Auswahl. Jetzt ist es aber wie es ist.

    Der Weg führt weiter stetig bergauf. Die jungen Birken sind oft so in den Weg gewachsen, dass ich mir vorkomme wie in einer Waschanlage. Jedesmal, wenn ich mich zwischen den kleinen Bäumen hindurch zwänge, gibt es eine Portion kaltes Wasser von beiden Seiten. Von unten kühlt der stetige Sumpf oder kleine Bäche, die mir vorzugsweise auf dem Pfad selbst entgegenfließen. Es geht nur langsam und sehr beschwerlich voran. Nach zwei Stunden Gehzeit wird die Vegetation wieder spärlicher und ich bin wieder oben im Fjell. Kurze Pause! 6,5 Kilometer habe ich in etwas mehr als zwei Stunden geschafft. Das ist wenig!

    So geht es, immer noch in voller Regenmontur, weiter. Zumindest zu Beginn ist der Pfad sehr angenehm zu laufen. Mein 15km-Ziel heute ist die Tuva-Turisthytte. Ich nehme mir vor, diese bis 15.00 Uhr zu erreichen. Das sollte machbar sein. Dann habe ich noch den Nachmittag, um auf meine 25km zu kommen.

    Mein Pfad führt vorbei an Hütten, einer kleinen Gruppe Schafen mit vielen Lämmern. Der Regen nimmt deutlich zu, während der Pfad deutlich steiler wird. Es ist ein wenig wie gestern. Mir fehlt einfach der Drive. An die Landschaft um mich herum habe ich mich ebenfalls sehr gewöhnt, dass ich hauptsächlich auf mich und mein Vorankommen konzentriert bin. Oben angekommen mache ich eine kurze Pause und setze mich auf einen Stein. Das Shirt unter meiner Hardshelljacke ist durchgeschwitzt. Alles ist irgendwie nass und ungemütlich. Es ist kein Tiefpunkt. Ich nehme die Situation einfach so hin. Aber von echter Motivation bin ich weit entfernt. Ich schaue auf mein Handy und überraschenderweise habe ich richtig guten Empfang als ich den Flugzeugmodus ausstelle. Mehrere Nachrichten ploppen im Display auf. Meine Schwiegermutter schreibt mir, dass sie mein Abenteuer hier mit Spannung verfolgen und so gerne meine Berichte lesen. Ich bin gleich gerührt. Ich schreibe tatsächlich in erster Linie für mich. Wenn ich dann aber so ein schönes Feedback bekomme, freut mich das total! Die nächste Nachricht ist von Sören, der ebenfalls gerne hier mitliest und besorgt ist über meinen Instant-Cappuccino-Konsum. Ob er mir nicht was Anständiges, einen guten Kaffee irgendwo hinschicken könnte. Der alte Gourmet! Aber später melde ich mich bei ihm und versichere ihm, dass diese kaffeeersatzähnlichen Heißgetränke hier draußen ein echter Seegen sind, wenngleich man die nicht mit echtem Kaffee vergleichen kann. Die dritte Nachricht kommt von Stanley. Er schreibt, die nächste große Pizza mit Bier gehe auf ihn. Ich solle morgen auf mein Konto schauen. Ich bin echt einfach nur gerührt. Da sitzt du mutterseelenallein irgendwo in der Pampa, alles ist irgendwie nass, die Motivation ist am Boden und dann erreichen dich genau da drei so wundervolle Nachrichten. So allein bin ich dann doch nicht!

    Ich ziehe den linken Schuh aus und wringe noch einmal den Socken aus. Dann geht es weiter. In ganz anderer Haltung und mit ganz anderem Tempo. Gleich in den nächsten Sumpf. Links oder rechts vorbei wäre hier eine halbe Stunde Umweg. Also mittendurch! Das Sockenauswringen hätte ich mir sparen können. Aber jetzt ist es mir einfach egal. Ich bin motiviert und pflüge einfach durch den Sumpf. Dann eröffnet sich vor mir ein großes, weites Tal mit einem großen See. Am Ende dieses Tals liegt irgendwo die Tuva Turisthytte. Ich folge dem Pfad bergab bis ich unten in der Ebene angekommen bin. Auch hier ist jede Menge Sumpf. Nach kurzer Zeit komme ich wieder an einen Fluss. Schnell wird klar, ich muss Furten. Ich habe keine Lust darauf aber es führt kein Weg daran vorbei. Also raus aus den mittlerweile vom Wasser richtig schweren Wanderschuhen, rein in die Wasserschuhe. Das Wasser hier ist ruhig und richtig tief ist es auch nicht. Auf der anderen Seite dann wieder Schuhtausch. Der immer wieder sehr sumpfige Pfad führt durch dichtes, kniehohes Gestrüpp. Ich scheuche tausende Mücken auf, in in großem Schwarm um meinen Kopf fliegen. Ich renne ein paar Meter und versuche, sie abzuschütteln. Ein klein wenig hat es was gebracht. Ich will nur noch raus aus dieser Sumpf- und Mückenhölle. Gegen 14.40 Uhr erreiche ich endlich die Turisthytte am Ende der Ebene. 15 Kilometer sind geschafft. Bis hierhin ein ganz schöner Kampf! Ab hier sind es nach Geilo noch 21 Kilometer. Wenn ich, wie geplant meine 25 Kilometer „vollmache“, sind es morgen nur noch 11 Kilometer.

    Bei leichtem Regen geht es weiter. Wieder etwas motivierter, weil ich die scheiss Mückenschwärme hinter mir gelassen habe. Der Weg bis Kilometer 20 zieht sich. Wie immer vergehen die Kilometer am Nachmittag noch langsamer. Aber mit Kilometer 20 erreiche ich eine neue Marke. 500 Gesamtkilometer habe ich bis hierhin zurück gelegt.

    Die Kilometer bis zur 25 ziehen sich noch mehr. Allerdings finde ich hier kaum Bäche, die ich für gut befinde. Plan B wäre einfach, Wasser aus den zahlreichen kleinen Seen abzukochen. Gas habe ich genug. Einen potenziellen Übernachtungsplatz schaue ich mir genauer an. Obwohl der linke Fuß seit einigen Kilometern wieder schmerzt, zieht es mich weiter. Bis zum Campingplatz sind es noch 11 Kilometer. Ich teile mir die Route gedanklich in drei Etappen ein. 5 km durchhalten, 4 km bis zum Supermarkt, 2 Kilometer bis zum Campingplatz. Der Plan steht. Ich will das probieren. Ich habe keine Lust, hier morgen in meine tonnenschweren Sumpfschuhe zu steigen und das ganze nasse Zeug im Rucksack zu verstauen. Ich will mein Zelt aufstellen und dann eine heisse Dusche nehmen. Ich will was geiles essen und ich will ein kaltes Bier trinken. Der Gedanke an Stanleys gesponserte Pizza ist das dicke Ausrufezeichen hinter dem Plan, Geilo heute noch zu erreichen.

    Es ist anstrengend. Muskulär und von der Ausdauer her habe ich aber keine Probleme. Es ist der linke Fuss, der mal mehr weh tut, mal weniger. Aber ich ziehe es jetzt durch. Noch vor 20.00 Uhr erreiche ich den Supermarkt in Geilo und kaufe Brot, Salami, Käse, Cola, Bier und Chips. Ausgewogene Ernährung mal wieder. Die letzten 2 Kilometer humpel ich schon, weil ich links nicht normal auftreten kann. Der flache Asphalt ist ein echter Gegner für die Füße. Gegen halb neun erreiche ich den Campingplatz. 250 Kronen soll die Nacht kosten, was ok ist (21 EUR). Ich buche gleich drei Nächte. Mein Fuß soll die Chance haben, sich zu erholen und ich habe eh viel zu erledigen. Ich bekomme die drei Nächte sogar zu 600 Kronen und finde schnell einen schönen Platz für mein Zelt. Nach dem Zeltaufbau geht’s um duschen. Herrlich! Allerdings sind meine Füße über den Tag in den nassen Schuhen unschön aufgequollen. In der Schuhfrage muss ich echt eine Lösung finden!

    Dann ist Zeit für Abendessen und Bier! Dann ziehe ich mir noch die Fäden am Schienbein.
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  • Day 22

    Abendsonne

    June 21, 2023 in Norway ⋅ ☁️ 13 °C

    Die Nacht habe ich richtig schlecht und wenig geschlafen. Mein Körper fühlt sich ein wenig an wie nach den ersten Etappen. Klar, die 36 km sind eine deutliche Leistungssteigerung. Zum Frühstück gibt es wieder Brot mit Käse und Salami. Dabei mache ich mir Notizen, was ich alles erledigen will bzw. muss.

    Als aller erstes schreibe ich meinen Tagebucheintrag von gestern. Gestern Abend hatte ich dazu einfach keine Lust mehr. Obwohl ich „frei“ habe, bin ich nur so mittelmäßig gelaunt. Die weitere Route macht mir Kopfzerbrechen. Mein Fuß ebenfalls. Ich konnte zwar seit Dalen, wo das Problem erstmals aufgetreten ist, in Summe jeden Tag gut laufen. Aber das sollte keinesfalls, so wie es ist, zum Dauerzustand werden. Und das Schuhthema nervt mich.

    Zu allererst kümmere ich mich um meine Wäsche. Waschmaschine und Trockner sind vorhanden und für zusammen 7 Euro auch bezahlbar. Am Campingplatz gehe ich so oft es geht barfuß, damit der Fuß sich erholen kann. Sobald ich aber doch mal in die Schuhe schlüpfe, spüre ich den Fußballen. Ich bin irgendwie genervt. Beim Rückweg von der Waschmaschine kommt mir ein Mann, etwas jünger als ich, mit großem Rucksack und Hund entgegen. Der Campingplatzbesitzer hatte gestern schon erwähnt, dass ein weiterer norwegischer NPLer hier mit seinem Hund übernachtet. Ich spreche ihn direkt an und frage ihn nach seiner Routenwahl. Er will es durch Jotunheimen, das vor uns liegende Gebirge, was mir so viel Kopfzerbrechen macht, probieren. Er ist sicher, dass es geht. Dafür mache er das ganze auch und nicht, um Straße zu laufen. Das stimmt auch mich optimistisch.

    Ab Mittag setzt der Regen ein. Ich liege im Zelt und schreibe Tobi, warum er sich gegen den Versuch entschieden hat. Er meinte, es hätten wohl zwei versucht, die seien aber umgedreht. Ihm sei das zu riskant. Bei Instagram schaue ich, ob ich über Hashtags aktuelle Bilder von dort oben finden kann. Aber so richtig Aussagekräftiges finde ich nicht. Dafür werde ich auf Peter aufmerksam. Ihm bin ich irgendwann mal gefolgt, weil er dieses Jahr auch Norge på langs läuft. Wie es aussieht, ist er irgendwo in Jotunheimen. peter_early_retired, also „Frührentner Peter“, scheint zumindest was sein Instagramprofil betrifft, ein ziemlich schräger Vogel zu sein. Aber mit guten Vibes! Ich schreibe ihn einfach mal an und warte was kommt. Aber eigentlich habe ich mich nach dem Austausch mit Tobi schon so gut wie entschieden: Ich gehe die unspektakuläre, sichere Variante.

    Den Nachmittag liege ich im Zelt und versuche etwas zu schlafen, während der Regen auf‘s Zelt prasselt. Als ich mich wieder aufraffe, hat Peter mir geantwortet. Ich sollte unbedingt auch den Weg gehen. Er käme aus der Schweiz und sei dementsprechend bergverwöhnt. Aber das hier sei der Hammer. Wir vernetzen uns auch über WhatsApp und tauschen uns hier weiter aus. Und plötzlich bekomme ich doch wieder Lust, es zu versuchen. Aber es gibt noch ein paar Fragezeichen. Peter schreibt, dass der Schnee auch Vorteile hätte. Dass man auf Schneebrücken die Flüsse überqueren könne. Hier bin ich aber ein kleiner Schisser. Allerdings sind das Dinge, die in meinen Vorstellungen immer schlimm sind. Vor Ort kann ich eine Situation dann wieder ganz anders einschätzen. Aber es kann auch sein, dass man eher ein Risiko eingeht, weil man nicht drei Tage zurück laufen möchte.

    Ich lass das Thema erstmal ruhen. Mein Plan für heute Abend ist, erst in die Sportgeschäfte nach Schuhen schauen und danach Pizza essen. Allerdings sehe ich bei Google, dass die Sportgeschäfte hier um 17.00 Uhr schließen. Das nervt mich wieder etwas, weil ich die Schuhfrage gerne heute schon angegangen wäre. Ich prüfe meine Schuhe, die ich unter einem Vordach einer Hütte zum Trocknen hingestellt habe. Sie wiegen immer noch unfassbar viel und sind total nass. Ich stelle sie ohne zu fragen in den Raum, wo Waschmaschine und Trockner sind. Hier stehen die Heisswasserkessel und es ist hier deutlich wärmer als anderswo. Ich hoffe, dass die Trocknungsdünste gut abziehen. Niemand mag eine Sauna mit Obazda-Aufguss. Aber das ist mir gerade egal.

    Heute bin ich einfach nicht gut drauf. Viele ungeklärte Fragen und am späten Nachmittag das Gefühl, nichts geschafft zu haben. Peter schickt mir den Link zu seinem Blog, wo er auch ein paar Videos verlinkt hat. Er hat seine Tradition darin gefunden, an irgendwelchen Orten ein Tänzchen aufzuführen. Mal im Fjell, mal im Supermarkt. Dabei filmt er sich. Er ist definitiv ein lebensfroher Mensch! Etwas schräg aber absolut gut drauf. Die Videos hat er mir geschickt, weil ich ihm geschrieben habe, dass ich heute ein kleines Tief habe. Er wollte mich aufheitern, was er auch geschafft hat. Er schreibt, er sieht das Nordkap als „Nice to have“ und dass auf dem Weg dorthin soviel schief gehen könne. Wenn das sein ultimatives Ziel sei und er irgendwann aus irgendeinem Grund abbrechen müsse, sei er gescheitert. Er versucht lieber, jeden Tag zu einer Party zu machen.

    Recht hat er. Natürlich macht diese Einstellung nicht potenzielle Gefahren wett, die in den Bergen lauern. Aber es motiviert mich, zumindest weiter über den Versuch nachzudenken, Jotunheimen anzugehen. Überhaupt glaube ich, dass gerade die augenscheinlich „schrägen Vögel“, wie ich Peter direkt meinen Stempel aufgedrückt habe, diejenigen sind, die das Leben wirklich leben. Denn wenn man es wirklich schafft, so zu leben, dass es einem egal ist, was andere über einen denken, dann wirkt man wohl zwangsläufig „schräg“. „Befreit“ wäre aber vielleicht das bessere Wort.

    Jetzt, wo ich in der Abendsonne sitze und diese Zeilen schreibe bin ich richtig dankbar für diesen netten Austausch mit Peter. Wir kennen uns gar nicht. Und trotzdem verbindet uns die gemeinsame Reise.

    Vorhin war meine Laune noch schlecht. Ich habe mich bei Regen auf den Weg Richtung Geilo „City“ gemacht, der Campingplatz liegt zwei Kilometer ausserhalb, um mit Pizza und Bier wenigstens ein Highlight heute zu haben. Aber kurz bevor ich das Ziel erreicht habe, habe ich mich entschlossen, das auf morgen zu verschieben und stattdessen etwas für heute Abend im Supermarkt zu kaufen. Die Pizza soll ein Highlight sein, das ich genieße. Auf dem Rückweg telefoniere ich mit Nicole und die Stimmung wird zunehmend besser. Auch der Regen hat aufgehört. Ich setze mich auf einen Stuhl auf die Terrasse der unbewohnten Hütte nah bei meinem Zelt und esse zu Abend. Und als meine schlechte Stimmung vollends verzogen ist, kommt auch die Sonne raus und scheint mir ins Gesicht.

    Morgen soll das Wetter besser werden. Ich glaube, morgen wird ein guter Tag!
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  • Day 23

    Schuhe, Pizza, Bier

    June 22, 2023 in Norway ⋅ ☀️ 10 °C

    Für meine Verhältnisse wieder mal gut geschlafen, wache ich auf und alles im Zelt ist klamm und feucht. Insbesondere der Schlafsack. Sowas nervt und gerade Feuchtigkeit hab ich gerade einfach satt. Außer die der heissen Dusche, mit der ich in den Tag starte. Mein linker Fuß fühlt sich am Morgen genauso an wie an den vergangenen Tagen.

    Nach meinem Kaffee mache ich mich auf den 2 km langen Weg Richtung Geilo. Sportgeschäft Nummer 1 hat so ziemlich gar keine Schuhe in meiner Größe. Weder Wanderschuhe, noch Laufschuhe, die ich als zusätzliches Paar für Strassenabschnitte in Erwägung ziehe. Ich brauche grundsätzlich was mit mehr Dämpfung. Zuhause laufe ich auch mit meinen Salomon Speedcross auf den Berg. Hier bevorzuge ich hohe Schuhe vor allem wegen der Sumpf- und Schneeabschnitte.

    Dann geht’s zum Intersport. Der Mann ist super hilfsbereit und hat gleich ein paar Vorschläge. Leider stellt er schnell fest, dass meine Größe ausverkauft sei. Erst gestern wäre jemand mit ähnlichen Problemen bei ihm gewesen und hätte die letzten in meiner Größe gekauft. Pech gehabt. Als ich ihn nach den aktuellen Bedingungen frage, meint er, es könnte schon gehen. Es sei aber mit großer Sicherheit sehr viel Sumpf und allgemein viel Wasser. Die kommenden Tage sei es noch schön, dann wird es ein ziemlicher Wettermix mit 2-3 Grad und Regen dort oben. Das Wetter ist für mich das stärkste Argument gegen einen Jotunheimenversuch. Aber bevor ich mich hier entscheide, muss ich erstmal mein Schuhproblem lösen.

    Im dritten und vierten Sportgeschäft, was dann alle in Geilo wären, gibt es ebenfalls nichts in meiner Größe. Ich recherchiere nach dem Modell, was mir der Intersportmann empfohlen hat. Da es die gleiche Marke wie meine aktuellen Schuhe sind, sollte die Größe eigentlich nicht variieren. Auf intersport.no finde ich heraus, dass der nächste Laden, der den Schuh in meiner Größe auf Lager hat, in Gol ist. Das könnte ich heute mit dem Bus erreichen. Ich rufe dort an und die freundliche Dame am Telefon verspricht mir, dieses Paar und sogar noch eines in einer halben Nummer grösser zu reservieren.

    Ich gehe zurück zum Campingplatz. Mittlerweile knallt die Sonne auf das dunkle Zelt, nur selten unterbrochen von einer Wolke, die sich dazwischen schiebt. Es ist richtig dampfig im Zelt und ich freue mich, dass nun alles trocknet.

    Als ich an der Bushaltestelle unweit des Campingplatzes auf den Bus warte, kommt ein Wanderer mit schwerem Rucksack auf mich zu. Ich frage ihn, ob er auch Norge på langs läuft. Das tut er aber nicht. Er ist Deutscher, dem Dialekt nach Berliner und will sich auch zwei freie Tage auf dem Campingplatz gönnen. Wir quatschen etwas und dann kommt der Bus.

    Nicht weit von der Bushaltestelle in Gol finde ich den Intersport. Tatsächlich sind die Schuhe für mich zurückgelegt. Grundsätzlich fühlen sich die Schuhe gut an. Aber wie immer, wenn ich neue Schuhe kaufe, bin ich trotzdem skeptisch. Besonders hier ist es viel Geld, das ich investiere. Ich entscheide mich für das „kleinere“ Modell. Dazu frage ich nach Einlegesohlen. Er empfiehlt mir eine Sohle, die noch vor Ort direkt an meinen Fuß angepasst wird. Das Ganze kostet umgerechnet 60 EUR, ist aber vermutlich eine gute Investition. Das erste Testen im Schuh fühlt sich gleich gut an, ich bin aber nicht sicher, ob er von der rechten Sohle beim Zuschnitt nicht doch zu viel weggenommen hat. Wenn ich nicht über Jotunheimen laufe, komme ich hier in zwei Tagen eh wieder vorbei. Dann könnten wir nochmal nachbessern, sagt der Verkäufer. Das klingt gut und so kann ich die Sohle auch auf knapp 50km richtig testen.

    Dann warte ich noch über eine Stunde auf den Bus zurück. Das Ticket für die rund 50 Km lange Strecke kostet übrigens 5 Euro. Fairer Preis! Eine junge Frau fragt mich irgendwas auf Norwegisch. Optisch scheine ich hier als Norweger durchzugehen. Sie wechselt auf englisch und wollte wissen, welcher Bus der richtige sei. Sie sei ebenfalls nicht von hier. Dann fragt sie mich, wo ich herkomme und was ich hier mache. Ich erzähle von Norge på langs, dass ich Norwegen der Länge nach zu Fuß durchqueren wolle. Sie schaut etwas irritiert und fragt mich dann, ob es eine Art Job sei oder warum ich das tue. Herrlich! Das wäre ein geiler Job! Dann kommt der Bus.

    Während ich im Bus sitze arbeitet das Routenthema wieder in mir. Wenn ich Jotunheimen umgehe, bin ich in zwei Tagen schon wieder in Gol. Was ein Schwachsinn. Ich müsste zwar nicht auf der Hauptstraße laufen aber es wären mindestens vier langweilige Tage. Peter, von dem ich gestern geschrieben habe, ist heute sogar auf den 2469m hohen Galdhøppigen gestiegen. Der verrückte Hund!! Natürlich kann ich auf der Route Pech haben und muss an einem unüberwindbaren Fluss umdrehen. Aber ich habe die Worte des Norwegers mit dem Hund im Ohr. „Walking through that wonderful nature. That‘s why we are here!“ Ich habe gestern und heute viel darüber nachgedacht, was mir eigentlich wichtiger ist. Das Nordkap erreichen oder den Weg als eigentliches Ziel betrachten. Ich mag diese Oder-Fragen nicht. Ich will beides! Aber ich habe noch Peters Nachricht präsent. Wenn man irgendwann doch abbrechen muss, aus welchen Gründen sich immer, welchen Wert haben dann die vielen Strassenkilometer und welchen die Aufenthalte in einzigartiger Natur?

    Am Zeltplatz angekommen, lege ich mich gleich ins Zelt und schlafe etwas. Danach telefoniere ich mit Simon. Flo, Freund aus Aschau und Nachbar, hatte den Kontakt hergestellt als er hier gelesen hat, dass ich mein Equipment in Oslo „deponiere“. Simon ist gerade mit seiner Frau Natalie auf Hochzeitsreise mit dem Camper in Norwegen unterwegs. Die beiden fahren auch über Oslo und würden meine Kameraausrüstung von Christian mitnehmen. Ich freue mich riesig, dass das klappt, da egal wieweit ich komme, ich das Thema noch irgendwie organisiert bekommen müsste. Schließlich verdiene ich mit der Ausrüstung mein Geld und brauche sie, sobald ich wieder zurück bin. Die beiden fahren morgen sogar vielleicht über Geilo. Vielleicht geht sich noch ein gemeinsamer Kaffee aus.

    Dann mache ich mich wieder auf den 2 km langen Weg nach Geilo zum Einkaufen und Pizza essen. Vorher wandern die alten Schuhe noch in den Müll. Es tut mir schon ein wenig weh, etwas wegzuschmeißen, was irgendwie ja noch funktioniert. Aber die Finger sind einfach durch. Und übrigens trotz des ganzen Tages in der Sonne immer noch nicht richtig trocken!

    Während ich Richtung Geilo laufe, wird mir klar: Ich gehe morgen über Jotunheimen. Ich bin nicht sicher, ob es eine endgültige Entscheidung ist. Aber es ist doch eine Entscheidung! Und mit dieser freue ich mich besonders auf Stanleys Pizza.

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    Die Pizza ist nicht so groß wie die letzte. Aber sie ist so gut belegt, dass ich am Ende wirklich satt bin. Dazu gibt es ein großes Bier. Der Laden ist recht voll. Aber ich habe einen schönen Tisch direkt am Fenster für mich alleine. Im Moment fühlt sich meine Entscheidung richtig gut an und ich kann Pizza und Bier richtig genießen. Gleichzeitig denke ich schon ein paar Tage voraus und stelle mir vor, wie ich mich zu diesem Moment zurück sehne, weil es vielleicht gerade richtig kalt, regnerisch und ungemütlich ist. Die nächsten 11-14 Tage werden ein richtiges Abenteuer. Nach fünf Tagen erreiche ich (hoffentlich) noch einmal einen kleinen Ort, wo es einen Intersport und einen Supermarkt gibt. So muss ich nicht jetzt schon für so viele Tage einkaufen. Jotunheimen heißt übersetzt übrigens „Heim der Riesen“. Vielleicht bin ich da mit meinen 1,96m gar nicht so falsch aufgehoben.

    Nach dem Pizzaessen geht’s zurück zum Campingplatz, wo ich mir noch ein Dosenbier genehmige. Die Hütte neben mir ist mittlerweile von drei Bikern besetzt. Drei „ältere Herren“ aus Wolfsburg, wie sich beim Gespräch mit einem der drei herausstellt. Nach dem Bier geht’s ins Bett. Ich bin gespannt auf morgen!
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