E1-Dänemark

May - September 2017
Der E1 verläuft in nördlicher Richtung durch Dänemark. Ich hatte so meine Probleme mit der Route...
375 km, E1 Tag 73 - 88
Read more
  • 26footprints
  • 2countries
  • -days
  • 166photos
  • 0videos
  • 955kilometers
  • 644kilometers
  • 311kilometers
  • DK - Silkeborg (22km)

    June 11, 2017 in Denmark ⋅ ☁️ 18 °C

    Haervejen - Zugabe (3)

    Ich habe verschlafen! Erst um halb neun krieche ich aus dem Schlafsack. Kalt war es nicht in der letzten Nacht, da bin ich schon Schlimmeres in Dänemark gewohnt.
    Die Sonne scheint breit aus blauem Himmel, doch im Westen brauen sich dunkle Wolken unheilvoll zusammen.
    Zunächst geht es in den Stenholt Skov, ein seit 1988 unter Naturschutz stehender Wald mit niedrig wachsenden Eichen. Das Besondere ist, das deren Stämme früher an den Wurzeln gekappt wurden, um kleine Schößlinge zu erzeugen, die als Weidezäune und Brennholz Verwendung fanden. Ähnliches habe ich in der Lüneburger Heide gesehen. Die zahlreich aufgestellten Infotafeln kann ich jedoch nicht in der gebotenen Ruhe lesen. Bleibe ich stehen, stürzen sich sogleich hunderte hungriger Mücken auf mich. Im Gehen lassen sie mich dagegen in Ruhe. Also weiter.
    Nun geht es zum Bølling Sø, diesen See hat die Eiszeit geformt. Im 19.Jahrhundert wurde er trocken gelegt, um Ackerfläche zu schaffen. Doch er gab nur minderwertiges Land, Anfang diesen Jahrhunderts begann die Renaturierung. Manch Baum, der jetzt im Wasser steht, hat die Wiederbelebung nicht überlebt, davon zeugen zahlreiche Baumskelette am Wasser.
    Ein einsam gelegenes Shelter liegt am Weg, bietet letzte Gelegenheit für eine Pause. Es beginnt wieder zu regnen, heute ist es aber nur Sprühregen. Und doch sinkt gleich die Laune. So viel hängt beim Wandern von gutem Wetter ab. Nun heißt es Abschied nehmen vom Haervejen, der weiter Richtung Nr.Snede zieht, ich aber will nach Silkeborg und das geht gerade aus. Zum Haervejen sage ich: "Auf Wiedersehen". Ein Stück geht es noch weiter durch den Wald, es folgen vereinzelt liegende Bauernhöfe, dann wird die Gegend allmählich urbaner. Hinter der Autobahnunterführung ist die Stadtgrenze erreicht, eine mäßig befahrene Umgehungsstrasse Richtung Innenstadt muss ich folgen. Der Sprühregen bleibt auch auf diesem langweiligen Weg mein ständiger Begleiter. Der Silkeborg Langsø liegt vor mir, über die viel befahrene Brücke des Søndre Ringsvej geht es auf die andere Seite. Ein kleiner Park, ein paar Häuser noch, dann liegt der Bahnhof vor mir und die Tour ist zu Ende. Der Zug geht erst in zwei Stunden, es bleibt also genug Zeit, um mich im 7eleven (diese Einkaufsmöglichkeit gibt es offenbar in jedem dänischen Bahnhof) mit Kaffee, Smothie und Pasta zu versorgen. Das verbleibende Wechselgeld schenke ich der netten Bedienung, die mich fragend anschaut. "Dänischen Kronen brauche ich nicht in Deutschland", gebe ich ihr zur Antwort. Sie versteht und lächelt.
    Von Silkeborg geht es in nur dreißig Minuten nach Skanderborg. Für diese Strecke habe ich vor einigen Wochen einen ganzen Wandertag gebraucht. Ich steige in einen IC3 der Danske Statsbaner (DSB). Der silbrige Zug bringt mich direkt nach Hamburg. Diesen wulstigen Zugtyp, der jeder Aerodynamik trotzt, habe ich auf den Fahrten zu und von meinen dänischen Wanderzielen so oft genutzt und ins Herz geschlossen. Die Baureihe ist zwar schon seit den neunziger Jahren des letzten Jahrhunderts in Betrieb und nicht mehr taufrisch. Doch vielleicht gerade deshalb versprühen diese Züge einen besonderen Charme. Sie sind bequem ausgestattet, bieten viel Platz, fahren leise und haben freundliche und ruhige Menschen an Bord.
    Das war‘s also mit Dänemark. Gut so - es ist nicht so mein Wanderland geworden. Auf zu neuen E1-Touren in anderen Gefilden.
    Read more

  • DK - Bolling Sø (30km)

    June 10, 2017 in Denmark ⋅ ☁️ 15 °C

    Haervejen Zugabe (2)

    Am frühen Morgen, als ich erwache, ist die Wandergruppe schon putzmunter. Mir ist es recht, denn ich will auch bald los, eine lange Strecke liegt vor mir. Ich sammle die zum Trocknen verstreuten Klamotten zusammen, alles ist wieder trocken, bis auf Rucksack und Wanderschuhe, die sich innen noch klamm anfühlen. Noch vor den anderen geht es für mich weiter. Schon vor acht Uhr bin ich am Niels Bugge's Kro vorbei, wo die Wandergruppe gestern gespeist hat. Der Kro macht einen gemütlichen Eindruck, hier hätte es sich sicher auch trefflich übernachten lassen.
    Jetzt geht es am Ufer des Hald Sø entlang, von dem langgestreckten See ist jedoch nur ein Stück zu sehen, das größere Stück wird von der Halbinsel verdeckt, an deren Fuß es einen Hügel steil bergauf und weg vom See geht. Der Lohn des steilen Aufstiegs ist ein herrlicher Blick über See und Halbinsel und wenn man den Blick um einhundertachzig Grad wendet, sieht man den Heideweg, der sich über die nächsten Hügel schlängelt. Da geht es jetzt lang. Schön ist es hier!
    In Skelhøje findet sich ein kleinen Supermarkt, der sich auf die Haervejen-Wanderer eingestellt hat. Ich kaufe frisch gebrühten Kaffee und süßes Brot. Mit diesen Extra-Kalorien setze ich mich draußen auf eine bereit gestellt Bank und genieße die warmen Sonnenstrahlen. Dankbar und gut gestärkt geht es weiter.
    Es geht durch die Havredal Plantage. Hier gibt es mehr als fünfzig Hügelgräber zu entdecken. Die, die direkt am Wegesrand liegen, schaue ich mir genauer an, die anderen lasse ich links (und rechts des Weges) liegen. So spannend sind Hügelgräber auch nicht, dass ich sie mir alle ansehen muss.
    Irgendwann komme ich an einem Haervejen Depot vorbei, einer kleinen Schatzkiste für Wanderer, die mit Snacks und heißem Wasser für Nescafé und Tee angefüllt ist. Gegen eine Kostenerstattung darf man sich nehmen, was bereit liegt. Mir steht der Sinn nach einer Prinzenrolle, damit es mit der Kalorienzufuhr für die nächsten Kilometer hinhaut. Diese Art von Depots soll es auf der Strecke zwischen Viborg und Nr. Snede alle zehn Kilometer geben.
    Südlich von Thorning streift der Haervejen die Grathe Heide, ein mooriges Gebiet, das 1157 Schauplatz mehrerer Schlachten gewesen sein soll. Kaum vorstellbar, dass hier Menschen gegeneinander gekämpft haben. Ein Aussichtsturm gewährt einen guten Überblick über die gewaltigen Dimensionen des Moores. Ich finde es überwältigend!
    Weiter geht es auf vom Regen gesättigten Waldpfaden. Unter den Wanderstiefeln federt der Waldboden, in Senken haben sich große Pfützen haben gebildet. Der Pfad gleicht einem Hindernisparcour. Ich erinnere mich an ein Erlebnis einer frühen Wanderung. Meine Stiefel versanken damals überraschend in einem Schlammloch, gerade als ich mich fragte, was das Wandern mir noch Neues geben könnte, ob ich nicht schon alles erlebt hätte. Ich war gerade dabei, mir eine falsche Antwort zu geben, da erhielt ich das Zeichen. Seitdem bin ich schon so weit gewandert und erlebe ständig weitere Abenteuer.
    Nach dreißig Kilometern soll es für heute genug sein. Und tatsächlich, am Christianshøj steht ein Schild, das den Weg zum nahen Shelter weist. Das es ein Hinweisschild gibt, ist nicht immer selbstverständlich, wie ich auf dem Haervejen lernen musste. Manchmal muss man suchen. Wieder erwartet mich am Ende eines Wandertages eine komfortable Übernachtungsmöglichkeit. Heute ist der Unterschlupf von der Kommune gestellt. Er ist mit einem neuen, sauberen Shelter, einer Feuerstelle mit Grill (das findet man eigentlich immer), Brennholz, Brunnen mit Frischwasser, Mülleimer (sehr praktisch) und Luxus-Plumsklo ausgestattet. Genug Platz für ein paar Zelte ist auch vorhanden. Ich ziehe jedoch das Shelter vor, das Zelt bleibt im Rucksack. Ein Blick ins Gästebuch zeigt, wann jemand hier übernachtet hat. Das letzte Mal ist schon ein paar Tage her. Ich verbringe noch ruhige Stunden in der Abendsonne, die im Juni erst spät untergeht, bald wird Sonnenwende sein.
    Read more

  • DK - Hald Sø (14km)

    June 9, 2017 in Denmark ⋅ 🌧 17 °C

    Haervejen - Zugabe (1)

    Nach meiner Ankunft ist mein erstes Ziel der Dom von Viborg, von dem man sagen könnte, er sei Start oder Schlusspunkt des Haervejen. Obwohl doch viel schlichter als die Kathedrale von Santiago de Compostela, kommt mir der Viborger Dom gerade sehr bedeutend vor. Ziele, auf die man zustrebt, sind immer gewichtig. Der Dom hat in seinem Innern schöne Malereien zu bieten, die über Wirken und Sterben Jesu berichten. Ich schaue mir jedes genau an und bleibe lange in der Kirche. Dann geht es durch die lange Einkaufsstraße von Viborg zurück, bald liegt die Stadt hinter mir. Ich bin gerade mitten im Wald, der Hedeplantage, da bricht der Regen los, der für den Nachmittag angesagt war. Er trifft mich nicht unvorbereitet, ich habe mich aufgrund des schlechten Wetters auf den vorangegangenen Touren mit neuer Regenbekleidung versorgt. Kaum habe ich sie angelegt, kübelt es wie aus Eimern. Es soll auch nicht mehr aufhören. Unter der Kapuze ist das Gesichtsfeld begrenzt, weshalb ich die alten, knorrigen Eichen, an denen ich vorbeilaufe, nicht recht wahrnehmen kann. Die alten Hohlwege, durch die ich stolpere, dafür um so mehr, denn sie füllen sich rasch mit Regenwasser, große Pfützen machen das Vorankommen schwierig.
    Kurz vor Hald Sø stoße ich, vor Nässe triefend, auf ein gelb-weißes Hinweisschild, das typisch ist für den Haervejen. Es könnte zur Haervejen Herberge weisen, nach der ich schon eine Weile Ausschau halte. Ich folge dem angezeigten Weg und tatsächlich, da liegt das langgestreckte Gebäude der Herberge ved Hald Hovedgård. Die Tür steht weit offen, eine Gruppe dänisch sprechende Wanderer, die es sich in der Herberge bereits gemütlich gemacht haben, heißt mich willkommen. Ein paar der Etagenbetten an den langen Wänden sind noch frei. Eines von den oberen Betten wird für diese Nacht zu meinem. In der Herberge gibt es alles, was das Wanderherz begehrt: Dusche, Tisch, Stuhl und frisches Wasser. Während die Wandergruppe zum Abendessen den nahen Kro aufsucht, sitze ich mit einem dänischen Einzelwanderer zusammen und staune nicht schlecht, was er alles aus seinem Rucksack zaubert, während wir in Englisch unsere Wandergeschichten austauschen. Zuerst ein Sechserpack Bier, später eine Flasche Rum Captain Morgan, abgefüllt in eine 0,5l Plastikflasche, man muss ja auf das Gewicht achten! Als alle alkoholischen Vorräte vernichtet sind, gehen wir schwankend ins Bett. Kurz darauf purzelt die Wandergruppe herein, auch sie sind beschwingt und lustig. Nach und nach kehrt die Nachtruhe ein, hier und da unterbrochen von mehr oder weniger heftigem Schnarchen. Glücklicherweise habe ich mir vorsorglich Ohropax in die Ohren gesteckt.
    Read more

  • Intermezzo (4)

    June 8, 2017 in Germany ⋅ 🌧 14 °C

    Manchen mag es überraschen: noch einmal reise ich nach Dänemark, um auf dem Haervejen zu wandern.
    Mein Startpunkt ist Viborg, wo der dänische Ochsenweg beginnt oder endet. Von dort geht es dieses Mal nicht nordwärts, sondern in südliche Richtung. Das Ziel ist Silkeborg, das Nørre-Snede nahe ist. Wer sich erinnert, weiß, dass ich dort meine zweite Haervejen-Tour wegen Schlechtwetter abbrach. Das hat mir keine Ruhe gelassen. Ich musste noch einmal los, um den Haervejen-Weg zu vollenden.

    Mein ursprünglicher Plan war, Dänemark von Süd nach Nord, von Flensburg bis Skagen, in einem Rutsch zu durchwandern. Plan B war, auf dem E1 von Flensburg nach Grenaa zu gehen. Der Punkt der Entscheidung lag in Nr. Snede.
    Woran ich vorher nie dachte: unterwegs aufgeben. Doch genau das geschah! Das kalte, regnerische Wetter zwang mich in die Knie, ich brach die Haervejen-Wanderung vorzeitig ab und nach der zweiten Tour bog ich in Nr. Snede endgültig auf die E1-Route ab. Vielleicht beruhte der Abbruch auf mangelndem Training oder nicht angepasster Kalorienzufuhr. Ich berichtete davon.
    Ich entschied ich mich also, Plan B umzusetzen. Die folgenden Touren machten dann mehr Spaß, denn die Landschaft wurde interessanter und das Wetter besser. In Grenaa hätte meine Wanderung durch Dänemark enden können, das eigentliche Ziel - Plan B - war ja erreicht.
    Doch die ursprüngliche Idee, den Haervejen von Nord nach Süd vollständig abzugehen, ließ meine Gedanken routieren. Der Plan A wollte umgesetzt sein! Ein innerer Zwang führte mich also zurück auf den Haervejen, um den Weg zu Ende zu gehen. Ich konnte nicht anders.
    Diese letzte Tour in Dänemark war dann auch die Schönste. In der Wegführung abwechslungsreich, führt dieses Teilstück überwiegend durch ruhige Wälder weitab von störendem Verkehrslärm, den es ja auch in Dänemark gibt. Es ist ein Weg, wie ihn wohl alle Wanderer mögen.
    Ich kann ihn sehr empfehlen.

    Route: https://www.komoot.de/tour/17950496/zoom
    Read more

  • E1-88-DK Grenaa (22km)

    May 28, 2017 in Denmark ⋅ ☁️ 18 °C

    Ich schaffe den Weg (4)

    Tatsächlich - der Wind schläft mit dem Sonnenuntergang ein und die Nacht ist ruhig. Das Wellenrauschen weckt mich am Morgen, oder ist es ein Sonnenstrahl, der meine Nase kitzelt? Die Weite des Meeres direkt vor dem Zelt ist unglaublich! Das Paradies kann nicht mehr fern sein. Ich könnte ewig hier liegen und aus dem Zelt über das Wasser schauen. Doch auf! Vor mir liegt der letzte Wandertag! Hurra! Ich weiß ungefähr, was mir heute bevor steht: bis nach Grenaa geht es immer direkt am Strand entlang.
    Der Weg startet vielversprechend: als schmaler Pfad verläuft er parallel zum Strand und das Laufen ist entspannt. Bis nach Glatved Strand. Dort ragt eine Förderanlage weit in das Ostseewasser hinaus. Hier wird Kalk gewonnen und als Abfallprodukt fallen massenhaft Steine an, die nach Durchmessern geordnet in Haufen zu Tausenden gelagert werden. „Where nature meets industry“, meint die Infotafel. Hübsch ist anders. Aber gelegentlich muss das wohl sein.
    Jenseits der Anlage verläuft der Weg direkt auf den Strand. Welcher Weg? Hier ist nur Strand, der aus tausenden und abertausenden Steinen besteht. Ich gehe wie auf Eiern und verliere schon mal wegen des Gewichts auf meinem Rücken das Gleichgewicht. Nur gut, dass der Rucksack leicht ist. Gut auch, dass eine frische Brise von achtern kommt und schiebt. Nicht gut, dass die Brise auch dunkle Wolken mit sich bringt. Wir es kurz vor dem Ende noch einmal Regen geben?
    Die halbe Strecke bis Grenaa ist geschafft, ich bin es auch. Da kommt die rote Hütte, die direkt am Strand steht, genau richtig. Ich stehe soeben davor und staune noch, da beginnt es zu schauern. Das nennt man Timing, denn den Regen kann ich ja nun in der Hütte abwettern, denn die Tür ist nicht verschlossen und lädt geradezu zum Verweilen ein. Drinnen gibt zwei Liegestühlen (für draußen bei Sonnenschein), eine Sitzbank (für drinnen bei Regen), einen Tisch, ein Gästebuch. Sogar an eine Lesebrille wurde gedacht. Hier versuchte jemand, dem Wanderer seine Pause angenehm wie zu gestalten. Ich schreibe dem Unbekannten meinen Dank in sein Gästebuch.
    Der Schauer zieht vorbei, ich kann weiter. Doch nicht lang, da regnet es wieder. Und zwar sehr heftig! So kommt kurz vor dem Ziel die neue Regenjacke doch noch zu ihrer Bewährungsprobe. Blöd nur, dass es gleich ein Lanzeittest wird, denn erst in Grenaa, dessen Türme gerade erst am Horizont auftauchen, hört es auf zu regnen.
    In Grenaa wechselt die Molsrute vom Strand in die Heide und strebt dem Hafen entgegen. Was war das für eine Plackerei! Wer hat sich das nur ausgedacht, einen E1-Wanderer mit Mehrtagesrucksack über die Steine zu schicken? Aber nun ist es geschafft. Zum Abschluss machen die dunklen Wolken tatsächlich noch der Sonne Platz, die Regenjacke hat ihren Test bestanden und kann wieder im Rucksack verschwinden.
    Der letzte Kilometer führt an einem überdimensionalen Campingplatz und einer Strandhaussiedlung vorbei. Dann bin ich am Hafen, wo der dänische Teil des E1 und auch die Molsruten enden. Jetzt könnte ich eine Fähre nehmen und nach Varberg in Schweden übersetzen, um anschließend die paar tausend Kilometer bis zum Nordkap zu wandern. Aber ich habe ja schon beschlossen, dass der nördliche E1 ist nicht mehr mein Weg sein wird.
    Ich drehe mich um, wende dem E1 den Rücken zu und gehe ohne Wehmut in die entgegengesetzte Richtung. Für zwei Kilometer oder so geht es den kanalisierten Verlauf der Grenåen entlang. Wer hier wohnt, hat's schön.
    Ich stehe am Bahnhof von Grenaa, der etwas herunter gekommen ist, vielleicht, weil kein Zug hier mehr hält. Schon kommt der blaue Bus der Midttrafik, mit einmal Umsteigen geht es in einer Stunde zurück nach Aarhus, wo ich vor vier Tagen zu Fuß gestartet bin.
    Schon verrückt, wie schnell die Technik uns Menschen gemacht hat.
    Read more

  • E1-87-DK Rugaard Camping (30km)

    May 27, 2017 in Denmark ⋅ 🌙 19 °C

    Ich schaffe den Weg (3)

    Nackt wie Gott ihn schuf, steht Björn am Morgen am Strand, während ich mich verschlafen aus meinem Schlafsack schäle. Wir sind ja auch am Busen der Natur, da ist das völlig in Ordnung. Ein gemeinsamer Kaffee noch, dann will Björn wieder los, denn er hat noch viel vor an diesem Wochenende. Tschüss denn, Björn, war schön mit dir. Ich frühstücke in aller Ruhe zu Ende. Eine Weile lasse ich so die schöne Bucht auf mich wirken, schaue zur Burg Kalø herüber. Eine Besichtigung würde mich schon reizen. Zwar führt ein Damm nicht weit von hier zur Ruine hinüber, doch hin und zurück wären es wohl zwei Stunden Zeitaufwand. Das ist wieder einmal zu lange für den Wanderer, der seinen Weg zu gehen hat. So laufe ich auch an diesem touristischen Highlight vorbei.
    Nach einem Stück Landstraße verschwindet die Molsrute gottlob im kühlen Wald. Damit lasse ich die Ostsee für heute hinter mir, jetzt geht es ostwärts durch den Nationalpark Mols Bjerge. Doch abends werde ich wieder am Ostseestrand sein, der Rugaard Campingplatz direkt an der Ostsee ist mein Ziel.
    Was habe ich vom Nationalpark gesehen? Viel Wald, hügeliges Gelände (Bjerge=Berge), üppig gelb blühenden Ginster auf zahlreichen Lichtungen, die alte Wassermühle - Ǿrnborn Molle -, den langgestreckten Stubbe Sø, den Safari Park Ebeltoft, in dem ich „von hinten“ Giraffen und Strauße bewunderte. Ein alter und sehr langer Schienenweg, auf dem ich Demüt üben konnte.
    Am Schönsten jedoch war der Blick runter zum Campingplatz Rugaard an der Ostsee, denn damit hatte ich das Tagesziel fast erreicht. Anzukommen ist immer eine Freude, vor allem nach einem langen Weg. Es ist kurz vor 18 Uhr, als ich einchecke. Auf dem Rasen direkt am Strand soll ich mein Zelt aufstelle. Der Platz ist zwar schön, aber sehr windig. Eine Parkbank muss dem Zelt vor der steifen Brise, die den Strand entlang weht, Schutz bieten. Ich hoffe inständig, dass mit dem Sonnenuntergang der Wind einschlafen wird, andernfalls könnte die Nacht ungemütlich werden. Die heiße Dusche im beheizten Sanitärbereich wird mit sanfter Musik aus der Decke untermalt. Auch Camping kann Luxus sein. Gegessen wird direkt am Strand. Die zwei kühlen Biere, die ich vorhin beim Kiosk erstanden habe, munden köstlich dazu.
    Kann das Leben schöner sein als in diesem Moment?
    Read more

  • E1-86-DK Kalø Vig (35km)

    May 26, 2017 in Denmark ⋅ 🌙 20 °C

    Ich schaffe den Weg (2)

    Am nächsten Morgen wartet ein Luxus-Frühstück auf mich. Kaffee, Grapefruitsaft, Rührei, zwei Sorten Schinken, Käseauswahl, Weintrauben, Erdbeeren, Melone, getrocknete Tomaten, Brot und Brötchen. Habe ich etwas vergessen? Nichts lasse ich übrig. Am Tisch nebenan sitzt eine blonde Dänin mit ihrem Jungen, sonst sind keine Gäste da. All die Mühe nur für uns drei! Ich bin der Wirtin sehr dankbar für die schmackhaften Kalorien und hätte noch länger verweilen können. Doch was muss ein Wanderer tun? Richtig: Wandern! Zum Abschied frage ich die Wirtin, ob sie wisse, wo hier der Zeltplatz sei. „Ja“, meint sie, „den habe ich hier früher betrieben, aber das ist schon mehr als zehn Jahre her.“ So hat sich auch das geklärt.
    Durch das Kongresscentrum "Skandinavien Center", das mich an das Europacenter in Hamburg erinnert, gelange ich in die Aarhuser Innenstadt. Aarhus ist die größte Stadt Jütlands und die zweitgrößte Dänemarks und hat was zu bieten. Vorbei geht es an Kunsthalle und Musikschule und einigen Kunstgegenständen. Die Einkaufsmeile ist lang und endet mit dem Domplatz, über dem der Kirchturm hoch aufragt. Im Innern ist der Dom erstaunlich schlicht und das mag ich viel lieber als all den goldenen Pomp anderer Kirchen.
    Die Stadt verlasse ich durch Stadtwald im Norden, erhasche noch einen Blick auf das Quartier am Hafen. Es ähnelt der Hamburger Hafen City, zumindest aus der Entfernung. Auch hier wird noch gebaut.
    Hinter Aarhus beginnt die Molsroute, die 80km weit bis nach Grenaa führt und mit dem Weg des E1 identisch ist.
    Kilometerlang geht es direkt am Strand der Aarhus Bucht entlang. Hunderte, wenn nicht gar tausende Häuser stehen hier mit Blick auf die Ostsee. Manche sind klein und ganz schlicht, andere groß und überaus protzig. Die Gegend sei teuer, erzählt mir jemand, der es wissen muss. Hier und da weht der rot-weiße Danebrog munter im Wind. Der Tag ist sonnig, der Himmel blau, die Luft lau und der Weg führt immer am Wasser entlang. Mir geht es gut.
    Erst kurz vor Studstrup wandelt sich das Bild. Ein hoher Schlot überragt den Yachthafen und verschandelt das Bild. Der Schornstein ist Teil eines gewaltigen Heizkraftwerks, das 1963 der Natur seinen Stempel verpasste. Es sieht unschön aus, muss aber vermutlich sein, um auf Wachstum getrimmte Volkswirtschaften mit Energie zu versorgen. Die Abwärme der Kondensatoren wird direkt in die Bucht Kalø Vig geleitet, die ich gerade entlang gehe. Es scheint zu funktionieren, wird ja seit Jahrzehnten so gemacht.
    Hinter Studstrup weist der Weg ins Landesinnere. Hier ist es heiß und ich komme mächtig ins Schwitzen, zumal es auch noch bergauf geht. Hier beginnen die Molsbjerge. Doch bald schon, bei Havhusene kehrt der Weg zur Bucht zurück und die kühle Brise, die wieder über das Meer landwärts weht, tut dem Körper gut. Der Schlot dominiert noch immer das Bild.
    Eigentlich bin ich durch für heute, denn 25km liegen jetzt bereits hinter mir. Da lacht mich der ockerfarbene „Logten Strandkro“ an, doch der Wirt lacht nicht. Vielleicht mag er keine Wanderer, denn sein Angebot beschränkt sich auf ein einziges Appartement, für das er 900dKr haben will. Außerhalb des Budgets, gebe ich ihm zu verstehen, doch er hat kein anderes Angebot für mich. Immerhin meint er, und das etwas süffisant, dass es zum Campingplatz nicht weit sei. Doch das weiß ich, nur habe ich keine Lust, dort zu übernachten und gehe vorbei.
    Irgendwo im Wald auf einer Halbinsel der Bucht Kalø Vig soll ein einfacher Lagerplatz sein. Dorthin werde ich es noch schaffen. Die verbleibenden sechs Kilometer um die Halbinsel Hestehave ziehen sich zäh wie Gummi, so dass ich für die krüppelig gewachsenen Buchen an der Steilküste fast kein Auge mehr habe. Ankommen! Auf einer Wiese direkt am Wasser qualmt ein großes Feuer, darum lagern Jugendliche. "Ist das der Platz, nach dem ich Ausschau halte?", frage ich mich und bin schon etwas enttäuscht, denn in meiner Vorstellung ist da ein einsamen Platz nur für mich. Ein knappes „Hey“ von mir für die Jungs, dann gehe ich einfach weiter. Die Wiese ist zu Ende und ich stehe im Wald, höre mich knapp sagen: „Bleibe ich halt hier mitten im Wald“. Gesagt, getan. Kumpel fliegt ins Gras, ich beginne auszupacken. Von hinten surrt eine Mücke heran und sticht heimtückisch in meinen Hals. Doch es ist nicht nur die eine, es sind hunderte Blutsauger, die mich umschwärmen. „Nein, hier kann ich nicht bleiben, das überlebe ich nicht“. Also zurück auf die Wiese in die Sonne, wo die kleinen Teufel mich hoffentlich verschonen.
    Es ist ja auch reichlich Platz für die Jungs und mich auf der großen Wiese vorhanden und bald habe ich einen guten Standort für mein Zelt gefunden. Die Mücken sind auch hier, doch nicht in so großer Zahl und auch nicht so aggressiv. Ich versuche mich zu wappnen: lange Hosenbeine, Fleece-Pullover mit langem Arm, Schlapphut bis tief ins Gesicht. Nur noch Gesicht und Hände sind ungeschützt und solange ich mich bewege, lassen die Quälgeister mich in Ruhe. Aber wehe, ich sitze, dann blasen die Mücken zum Angriff. Mein Plan: schnell etwas essen und dann im Zelt verschwinden. Eigentlich wäre das schade um den lauen Abend und die grandiose Aussicht auf das Flachwasser der Bucht (Vig) und die Ruine der Burg Kalø.
    Glücklicherweise kommt da Björn ins Spiel. Mit einem lauten "Hey" schreckt er mich auf, als er wie aus dem Nichts plötzlich vor mir steht. Er will lediglich über Nacht bleiben. „Das mache ich öfters, denn man kann in klaren Nächten wie heute hier schön die Sterne beobachten“, meint er und schmeißt sein Wurfzelt direkt neben mein TarpTent. Die Mücken scheinen ihn nicht zu stören. Und wirklich, sie stechen nicht mehr. Liegt 's an der Dämmerung? Bald räumen die Jugendlichen ihren Lagerplatz und überlassen uns ihre Feuerstelle. Es ist noch genügend Feuerholz da und schon lodert das Feuer wieder. Der Qualm hält die verbliebenen Mücken auf Abstand und als es dunkel ist, verschwinden sie ganz. Dafür erscheinen die Sterne. Erst nur einer, vermutlich der Polarstern. Dann zwei, dann viele, schließlich unzählige. Björn hat kaltes Bier dabei, das er gerne mit mir an diesem lauen Abend teilt. Am Lagerfeuer erzählen wir uns Geschichten vom Wandern und anderem und kriechen erst nach Mitternacht in unsere Schlafsäcke. Was braucht der Mensch mehr? So hatte ich mir Wandern in Dänemark vorgestellt!
    Read more

  • E1-85-DK Brabrand Sø (25km)

    May 25, 2017 in Denmark ⋅ 🌙 19 °C

    Ich schaffe den Weg (1)

    Sechs Tage später bin ich wieder unterwegs. Der Weg hat mich doch nicht geschafft und nun bin ich aufgebrochen, ihn zu schaffen. Die vierte, voraussichtlich letzte Etappe soll von Skanderborg nach Grenaa gehen, dort endet der dänische Teil des E1. Gerade sitze ich im Bahnhofscafé, genehmige mir zum Auftakt der Tour einen großen Milchkaffee, dazu ein Sandwich und Kekse als Energielieferant. Dieses Mal werde ich sehr auf meine Energiezufuhr achten! Auch das Rucksackgewicht habe ich nochmals reduziert, er wiegt jetzt acht Kilogramm plus je zwei Kilo für Lebensmittel und Trinkwasser. Leichter geht es kaum noch. Los geht`s Richtung Tagesziel, einem Zeltplatz vor Aarhus, wo der Wanderweg Aarhus – Silkeborg enden wird, der mich auf der letzten Etappe so schön geleitet hat. Ein kleines Stück fehlt wegen des vorzeitigen Abbruchs noch, ich gehe es heute.
    Jenseits der Bahngleise geht es die Illerup Ǻ entlang, ohne den Lärm der nahen Autobahn wäre die Idylle perfekt. Wald, Wiesen und Felder, dann folgt ein Moor. Auf einem interessanten Bohlenweg geht’s die Jexen Bæk entlang, schmale Holzbrücken spannen sich gelegentlich über die Au, um die Uferseite wechseln zu können. So erreicht man die Ǻrhus Ǻ, wo es schattig und angenehm kühl ist. Hier fühle ich mich an die wunderschöne Wutachschlucht versetzt, einem Schwarzwälder Highlight des letzten Sommers.
    Es folgt ein Golfplatz und weil Sonntag ist, schlagen viele Golfer ihre Bälle. Das Ende des langgestreckten Platzes bildet ein Clubhaus, dessen Terrasse gut besucht ist. Ich finde noch Platz, bestelle Kaffee, den ich mir aus einem Automaten für 10dKr selbst ziehen muss und Kuchen, der mir gebracht wird. Ein Paar fragt mich wie so oft nach woher und wohin und wir plaudern in Englisch über dies und das. Zum Schluss meinen sie, der Weg nach Aarhus werde mir gefallen. Sie wünschen mir viel Glück auf meiner weiteren Wanderung.
    Die Pause beflügelt mein Fortkommen. Nun folge ich einem Grünstreifen, der sich am Ufer der Aarhus Ǻ entlang schlängelt. Sie fließt durch den Ǻrslev Engsø, wo sich Wasservögel lautstark im flachen Wasser vergnügen. Kurz darauf folgt der ebenso flache Brabrand Sø. Es ist eine Freude, im Grünen zu wandern und zu wissen, dass die Großstadt Aarhus schon nah ist.
    Am östlichen Ende des Brabrand Sø sollte der angepeilte Zeltplatz liegen, doch stattdessen steht da eine Pension, auf die ein goldener Drache am Wegesrand hinweist. Eine Terrasse lädt zum Verweilen ein. „Hier bleibe ich“, beschließe ich spontan und checke ein. „No dinner this evening, sorry“, meint die Wirtin mit dem Hinweis, es sei noch Vorsaison und die Küche sei wegen zu weniger Gäste noch zu. „But you can have breakfast“, fügt sie hinzu. Gute Idee, nehme ich! Zwar ist das Zimmer klein und die Gemeinschaftsdusche auf dem Flur, aber das ist mir egal. In meinen Augen ist die Unterkunft ein Palast und ich denke, heute ist mein „Luxustag“. Alles kommt immer nur auf den Blickwinkel an. Ich hatte in Dänemark so viele Gelegenheiten, kostenlos auf einfachen Zeltplätzen und Sheltern zu übernachten, dass diese Pension mir prachtvoll vorkommt und ich sie mir mal gönnen kann. Denn günstig ist die Unterkunft nicht. „Dinner“ bereite ich mir in der Abendsonne selbst zu. Es gibt Trockenfutter, was sonst? Dazu zwei gut gekühlte Biere aus der Flasche, die mir die Wirtin mit einem Lächeln verkauft hat. „Pay what you guess“, meinte sie und zeigt auf das Trinkgeldschweinchen.
    Read more

  • Intermezzo (3)

    May 23, 2017 in Germany ⋅ 🌩️ 24 °C

    Für sechs Tage kehre ich zurück in meinen Alltag, dann treibt es mich wieder los.
    Die vierte und letzte Etappe führt mich schließlich zu meinem Wanderziel Grenaa, wo der dänische Teil des E1 endet.
    Der Weitwanderweg Molsrouten führt durch die Molsberge (dän. Molsbjerge) und weiter die Ostseeküste hinauf nach Greena.
    Auf dieser Tour kehrt endlich die Freude am Wandern zurück.

    Die Route: https://www.komoot.de/tour/17065374/zoom
    Read more

  • E1-84-DK Skanderborg (20km)

    May 22, 2017 in Denmark ⋅ ☁️ 17 °C

    Der Weg schafft mich (3)

    Kaum dämmert der Morgen, da singen die Vögel wieder. Das hört sich schön an, doch die Unterhaltung zweier Tauben, die sich von Baum zu Baum zu gurren, nervt fürchterlich. Im Schlafsack ist es mollig, doch es nützt nichts, ich muss dem Donnerbalken Hallo sagen. Feuchter Dunst schwebt über die Feldern, doch im Wald, wo mein Zelt steht, ist es trocken geblieben. Katzenwäsche und Zähneputzen mit dem verbliebenen Wasser, einpacken, Hobo anheizen, den Rest Wasser heiß machen, Müsli essen. Für einen Kaffee reicht das Wasser nicht mehr, der muss warten.
    Um 7 Uhr bin ich unterwegs. Der Mossø blitzt bald durch die Bäume und liegt dann auf der nächsten Anhöhe in seiner vollen Länge vor mir. Der See ist riesig und kein Haus stört die Einsamkeit. Viele Kilometer geht es an seinem Ufer entlang. Einen Hügel hinauf mit einem weiteren phantastischen Blick über den See als Lohn, einen Hügel hinab, dann durch ein Waldstück abseits des Sees. Dann das Ganze vor vorn. Irgendwo dazwischen liegt ein Steg, der weit in den See hinein ragt. Hier hätte ich baden können, doch ich tue es nicht, ich will weiter.
    Am westlichen Ende des Sees reihen sich Wochenendhäuser eine schmale Straße entlang. Eine Badestelle mit Badehaus markiert den Endpunkt des Weges am See. Eine Infotafeln berichtet über früheres Leben am Mossø, das vom Fischfang dominiert war. Diese Zeiten sind lange vorbei. Ein Schild am Wasser warnt vor Blaualgen, deren Fäden tödlich sein können. Ist die Blaualgenplage ein Ergebnis der Überdüngung umliegender Felder? So gibt es wohl auch an einem so natürlich anmutenden See Umweltprobleme. Ich gehe lieber nicht baden, suche stattdessen etwas enttäuscht den Waschraum auf.
    Der Weg verlässt den schönen Mossø. Kaum liegt der See hinter mir, hätte ich gerne sieben-Meilen-Stiefel an den Füßen statt der klobigen Wanderstiefel, um schnell nach Skanderborg zu eilen, das noch zehn Kilometer entfernt liegt. Stattdessen beschleicht mich der Verdacht, überhaupt nicht mehr voran zu kommen. Und bald ist sie wieder weg, die Wanderlust. Liegt es an der Asphaltstraße, die ich gerade entlang muss? Ich gehe nicht mehr, ich schleppe mich. Erst zwei unschöne Stunden später passiere ich das Ortseingangsschild von Skanderborg. Ein Wegweiser zeigt zu einem Stadion, das doch nur ein gewöhnlicher Fußballplatz ist. Erschöpft setzte ich mich auf eine Bank und starre kraftlos auf den grünen Rasen. Ich bin völlig fertig, sämtliche Energie ist vollständig aufgebraucht. Suppe und Müsliriegel bewirken nichts, auch der gesamte Nussvorrat hilft nicht weiter und der heißer Kaffee hellt meine Stimmung auch nicht mehr auf.
    „Es steht schlimm“, denke ich und muss mir eingestehen, dass ich am Ende bin. Fertig, kaputt, ausgelaugt und alt geworden. Der Weg hat mich geschafft. Ich stelle mir dieselben Fragen wie schon auf der letzten Tour:
    „Was tust du hier?“
    Was suchst du hier?
    Was hoffst du zu finden?
    Warum wanderst du überhaupt?“
    Doch Antworten kommen nicht. Da ist nur das Gefühl, mit jedem Schritt weiter weg zu gehen, statt näher zu kommen. Vielleicht gehe ich den Weg in die falsche Richtung?
    Dann wird mir klar, dass ich den E1 nicht bis zu seinem Ende gehen möchte. Ich will nicht mehr bis zum Nordkap, wo er erst nach Tausenden weiteren Kilometern enden wird. Es ist mir entschieden zu weit. Im Moment bezweifle ich sogar, ob ich überhaupt noch bis nach Grenaa wandern möchte. Vielleicht sollte ich genau hier, in Skanderborg, ein Ende mit diesem unsäglichen Weg machen. Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts mehr. Ich weiß nur, dass ich heute nicht mehr weiter kommen werde und auch nicht mehr weiter will.
    Nach einer sehr, sehr, sehr langen Pause packe ich ein. Fast hätte ich das Solarpanel und die Powerbank in der Sonne zurück gelassen. Als ich es einpacken will, bemerke ich, dass das Panel die Powerbank gar nicht geladen hat. "Was für ein Zeichen!", bemerke ich still. Auch dort scheint Energie nicht mehr zu fließen.
    Dicht hinter dem Stadion liegt die Keimstelle Skanderborgs: die alte Schlosskirche. Dorthin zieht es mich, ich trete ein mit der Hoffnung, in der Stille der Kirche die Antworten auf meine Fragen zu finden. Das weiße Kirchenschiff ist schlicht, ich mag diese Art Kirche. Lange sitze ich in einer Kirchenbank, betrachte geistesabwesend den Altar und die heiligen Bilder. Ich, der gar nicht im christlichen Sinne gläubig ist, sucht hier Zuflucht und Antworten! Und tatsächlich, eine Eingebung formt sich zum Entschluss: ich fahre nach Hause. Jetzt und hier.
    HIER SOLL ENDE SEIN!
    Der Weg zum Bahnhof führt mich durch Skanderborgs Innenstadt. Ein Supermarkt bietet die Chance, Energie zu tanken. Ich kaufe Bananen, Milchshake, Kekse, Mars und stopfe gleich alles auf einmal in mich hinein. Danach geht es mir etwas besser und eine weitere Erkenntnis keimt auf:
    „Du hast viel zu wenig gegessen, dir haben Kalorien gefehlt.“
    Aber es reicht nicht mehr, meinen Entschluss zu ändern.
    Die Rückfahrt bietet mir viel Zeit zum Nachdenken. Und kurz hinter der Grenze ist da schon wieder das unerklärliche Verlangen, weiter zu wandern. Und die Antwort auf die Fragen, die ich im Stadion noch nicht beantworten konnte:
    „Ich möchte beenden, was ich begonnen habe.
    Ich möchte meinen Weg durch Dänemark vollenden.“
    Nur warum, weiß ich noch nicht.
    Nach ein paar Tagen der Ruhe wird es wohl bald weitergehen, so viel scheint sicher, als ich in Hamburg aus dem Zug steige.
    Read more