Norge på langs 2023

May - October 2023
Am 01.06. starte ich mit meinem ersten Wandertag in meine 2700 km lange Reise. Von Lindesnes im Süden bis hoch zum Nordkap - zu Fuß. Read more
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    Wunderschöner „Fjellmannvegen“

    June 3, 2023 in Norway ⋅ ☀️ 19 °C

    Eigentlich wollte ich Tagebuch schreiben, was ich die ersten zwei Tage auch gemacht habe. Allerdings ist mir Tagebuch und das hier zusammen zu viel. Da ich aktuell aber eh in beides das gleiche schreiben würde, bin ich hier einfach etwas ausführlicher. Ich zwinge ja niemanden mitzulesen und abgefragt wird hinterher nur stichprobenartig! 😄

    Am Abend bellen dieses Mal keine Rehe. Dafür kommen noch zwei Autos. Wie sich herausstellt, ist dieser Platz bei park4Night eingetragen. Ein deutsches Pärchen und später ein holländisches. Ich gehe früh ins Bett und schlafe super. Am nächsten morgen bin ich früh wach und mache mich fertig. Kurz vor Abmarsch komme ich aber noch mit Alexander und Anna ins Gespräch. Auch die beiden haben wie ich keinen Termindruck und bereisen Norwegen erstmal auf unbestimmte Zeit. So ist das richtig! :-) Wir haben ein super Gespräch über Gott und die Welt und tauschen Nummern aus. Vielleicht treffen wir uns ja nochmal an anderer Stelle. Gegen 10.30 Uhr mach ich mich dann aber auf den Weg.

    Es verschwimmen jetzt schon meine Erinnerungen von gestern mit denen von heute. Zu Beginn noch Straße, laufe ich bald auf einem schönen Wanderweg. Ich wundere mich immer wieder, dass es so viele schöne Wanderwege gibt, aber niemand darauf unterwegs ist. Aber unter anderem aus diesem Grund bin ich ja auch hier. Nach einiger Zeit sollte links ein Pfad abgehen. So ein dünner Komootstrich, denen ich nicht immer traue. Es ist sogar ein Wanderweg ausgeschildert. Ich gehe einen Abzweig bis in eine Sackgasse und ärgere mich, dass da kein Weg ist. Und extra Meter mit dem schweren Rucksack brauch ich auch nicht unbedingt sammeln. Ich gehe noch einmal da hin, wo laut Karte/GPS ein Pfad sein sollte. Nix! Ich habe aber auch keinen Bock, Straße zu laufen. Ich mag Pfade! Ich gehe zehn Meter querfeldein und tatsächlich ist da was pfadähnliches, dem ich folge. Nun tauchen sogar rote Punkte als Wegmarkierung auf. Herrlich! Der Pfad ist unfassbar schön. Südnorwegen hab ich total unterschätzt! Wenn man hier mit dem Auto rumfährt, sieht man nur Hügel, Wald und hier und da mal etwas Fels oder einen Bach. Aber zum Durchwandern ist das ein Traum. Auch hier rechne ich hinter jeder Ecke mit einem Elch. Aber heute zeigt sich kein Elch. Soviel sei vorweggenommen.

    Der Pfad endet irgendwann an einem Haus und von da geht’s weiter, erst über eine kleine Straße, dann auf die Hauptstrasse, die mich zum Spar in Hægeland führt. Schön ist datt hier nich. Und auch nich meins. Aber für ne Kleinigkeit zu essen und ne Cola ist es gut genug.

    Nach ein paar Metern Hauptstraße ist der „Fjellmannvegen“ wieder ausgeschildert und schnell geht es wieder ins Gelände. Am Anfang versperren umgefallene Fichten, bzw. Fichtenwipfel zu Hauf den Weg. Der ganze Wald ist voll von abgeknickten Fichtenwipfeln, vermutlich Schneebruch. Ich bin unsicher, ob ich später ausreichend Wasser finde. Die meisten Bäche sind hier gerade nur kleine Rinnsale. Den ersten Rinnsal nutze ich, um selbst einen halben Liter zu trinken und meine 2 Vorratsflaschen zu füllen. Den 2 Liter-Sack lasse ich noch leer. Das Gewicht merkt man deutlich und es stehen noch 9 km auf dem Programm. Sollte bis zum Lagerplatz wirklich nichts mehr kommen, habe ich aber genug Wasser, um weiterzulaufen.

    Weit und breit ist hier keine Menschenseele und der Pfad schlängelt sich vorbei an Seen, Sumpfgebieten, Felsen und durch kleine Wälder. Niemand da. Alles nur für mich! :-) Ich lasse mir Zeit und mache ein paar Drohnenaufnahmen. Kurz bevor mein Tagesziel erreicht ist, quere ich noch einen Bach, trinke und nehme 3 Liter mit zum kochen und trinken. Noch bin ich skeptisch, ob ich hier bleiben will. Ich bin wieder etwas tiefer und es ist eher waldig. Schlafen tue ich lieber an einem eher offenen Ort. Und genau so kommt es. Ich erreiche Kilometer 100 (1/27 der Strecke ist geschafft! 😄) und es geht wieder etwas bergauf. Ein freies Feld mit vielen Felsplatten. Ich muss nicht mal suchen. Der perfekte Platz liegt einfach am Wegesrand! Auch hier jage ich die Drohne nochmal in die Luft und koche dann Lapskaus. Also ich gieße heisses Wasser über irgendein Gemisch. Es ist nun nach 20.00 Uhr und die Sonne brennt mir immer noch auf mein rechtes Ohr. Auch den Arm hab ich mit etwas verbrannt heute. Dafür ist der Rücken noch einmal besser geworden! Das Knie ist nach wie vor seltsam. Aber mit achtsamen Gehen scheint es gut klarzukommen. So. Feierabend!
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  • Day 5

    Emotionen und nackte Rentner

    June 4, 2023 in Norway ⋅ ☀️ 19 °C

    Die Nacht war ruhig. Kein Bellen, keine Autos. Dennoch nur mittelmäßig geschlafen. Ich mache mir Gedanken, warum ich eigentlich nicht voller Euphorie bin. Ich bin zwar super happy, wie es bisher läuft. Aber mir wird klar, dass das hier was anderes ist als ein Urlaub, auf den man sich lange freut. Denn ist man einmal im Urlaub, hat man es geschafft. Bei dieser Reise aber gibt es so unzählig viele Faktoren, die den Ausgang offen lassen - als aller erstes natürlich die eigene Beweglichkeit und Gesundheit. Ich höre hier bei jedem Zwicken viel genauer hin, als ich es sonst im Alltag tue. Auch wenn es mir während der Reise nicht immer gelingen wird, nehme ich mir fest vor, dankbar für jeden absolvierten Tag zu sein, anstatt ständig das aktuell noch so unfassbar riesige Projekt vor Augen zu haben.

    So richtig fit fühle ich mich nicht. Ich hab es auch nicht geschafft, mich noch mal umzudrehen und weiter zu schlafen. Allgemein wird es eh nie richtig dunkel, selbst wenn ich mitten in der Nacht wach werde, brauche ich keine Lampe, um mich im Zelt zu orientieren. Ich ziehe mir die Mütze bis zur Nasenspitze, um etwas Nacht zu simulieren.

    Am Morgen mache ich beide Zelttüren auf, dass der leichte Wind durchs Ziel streicht. Bei der Idee etwas Musik zu hören, werde ich emotional. Wie oft habe ich in diesem Jahr diese kurze aber wunderschöne Playlist gehört und dabei an Norge på langs gedacht.

    Für ein paar Minuten lausche ich der Musik und lasse zum ersten Mal meine Zweifel am Gelingen der Tour für ein paar Momente fallen. Soviel schönes ich bereits in den ersten vier Tagen erleben durfte, so dauerhaft begleiten mich diese Zweifel, ob mein Rücken oder meine Kniee das ganze Ding hier dauerhaft mitmachen. Während ich diese zwei Lieder höre, realisiere oder akzeptiere ich zum ersten Mal, dass ich nun unterwegs bin und kann den Moment voll genießen.

    Ich habe mir letztes Jahr schon bei der Lysefjordrunde eingestehen müssen, dass ich teilweise doch nah am Wasser gebaut bin. Und auch jetzt fließen ein paar Tränen. Aber es ist unfassbar schön und irgendwie erleichternd. Und ich hab da volle Rückendeckung der heiligen Schrift. „Die meisten legen einem Tränen als Schwäche aus. „Jetzt kann er nicht mehr und klappt zusammen." Aber so 'ne Runde mal was wegheulen, ist befreiend.“ Psalm 695, Torsten Sträter. Recht hat er, der alte Ruhrgebietsjünger!

    Naja. So war das heute. Das Rucksack packen geht immer schneller und schon um kurz nach neun starte ich Richtung Evje. Da soll es auf den Campingplatz gehen, damit ich morgen nochmal einkaufen kann für die nächsten 7 oder 8 Tage nach Dalen. Der Pfad bleibt unfassbar schön. Nach weniger als einer Stunde ist Schluss mit Pfad und eine Forststraße führt zur Hauptstraße. Die zieht sich. Und zieht sich. Die Sonne brennt und hier auf der Straße ist es gefühlt doppelt so heiß wie im Fjell. Meine Pause fällt kurz aus, weil es einfach nicht schön ist. Immerhin gibt es einen Radweg, der bald abseits der Hauptstraße weiterführt. Ich vermute, eine alte Bahntrasse.

    Die Bahntrasse zieht sich. Es ist heiss! Jammern hilft nicht. Weitergehen. Dann öffnet sich der Weg und die finale Straße nach Evje sind nochmal 2 km Asphalt.

    Vorm Campingplatz hat ein Supermarkt geöffnet. Cola und Mittagessen im Schatten halb auf dem Weg. Für heute ist es geschafft und es ist gerade mal 14.00 Uhr. Die Rezeption des Campingplatzes hat zu und ich suche mir den Zeltplatz. Vorbei an unzähligen weißen Wohnmobilen, allesamt mit norwegischem Kennzeichen und norwegischen Rentnern davor, zumeist Oberkörper frei. Zum Glück nur die Herren.

    Der Zeltplatz ist eine leicht abfallende, absolut nicht schöne Wiese mit wenig Schatten direkt an einer viel zu lauten Staustufe des angrenzenden breiten Flusses. Immerhin bin ich der einzige hier. Kein Wunder. Aber die Lage ist ideal für meine morgigen Pläne, mein Kamerapaket nach Oslo zu schicken, neue Pflaster und Wundkompressen für den nächsten Zwischenfall in der Apotheke zu besorgen und im Intersport noch etwas Trekkingnahrung zu kaufen.

    Nachdem ich das Zelt aufgestellt hab, gönne ich mir eine Dusche und frische Klamotten. Und plötzlich ist dieser Ort gar nicht mehr so schlecht. Morgen habe ich den ersten Tag, an dem ich nur Straße laufe. Das wird zäh. Tobi, ein anderer NPLer, ist mir schon einen Tag voraus und läuft die gleiche Route. „Das wird zäh morgen“, hat er mir schon verraten. Aber dafür waren die letzten Tage viel schöner als ich gedacht hätte.

    So. Abendessen. Ab ins Bett! :-)
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  • Day 6

    Fad statt Pfad!

    June 5, 2023 in Norway ⋅ ☀️ 21 °C

    Eigentlich hatte ich gehofft, dass ich auf dem Campingplatz ein paar nette Deutsche treffe, die meine Kamera mit nach Deutschland nehmen und von dort nach Hause schicken. Am nächsten morgen ist sogar ein Camper mit Konstanzer Kennzeichen dort. Ich packe zusammen und mache mich auf den Weg zur Rezeption, um zu bezahlen. Die öffnet um neun. Aber im Konstanzer Camper wird noch geschlafen. Schade.

    Die Poststellen sind in Norwegen bislang immer in einem Supermarkt integriert. Weil mich am Vorabend beim Einkaufen im Rema, wo auch eine Poststelle ist, so eine Trantüte unfreundlich bediente, gehe ich 500m in die Stadtmitte, wenn man das so nennen darf. Hier soll noch eine Post sein. Aber ich werde auf den Rema verwiesen. Das sei die einzige Post. So habe ich schon einen Kilometer auf dem Buckel, noch bevor ich einen Meter Strecke gemacht habe. Immerhin scheint der Mitarbeiter, ein anderer als gestern Abend, zu wissen wie das funktioniert. Nach meinen Erfahrungen in Kristiansand hatte ich mich wieder auf eine halbe Stunde eingestellt. Die Kamera geht an Christian, der in der Nähe von Oslo wohnt. Da ist sie erstmal gut aufgehoben und ich kann mir in 4 Monaten Gedanken machen, wie ich die zurückbekomme.

    Ich habe vorher noch mit dem Deutschen Zoll telefoniert, ob ich die Kamera nicht einfach an mich zurück schicken könnte. Theoretisch ja, aber nicht einfach und wahrscheinlich fällt Zoll an. Naja. Dann lieber erstmal nach Oslo.

    Im Extra kaufe ich das nötige Zeug für eine Woche. Alles kostet deutlich mehr als bei uns. Habe etwas Angst davor, die Preise für Nussmischungen zu entdecken. Das Zeug bringt mich durch den Tag! Überraschender Weise sind die extrem günstig. Umgerechnet 4 Euro für eine 650g-Packung. Da wär man bei Seeberger leicht mal 12-15 Euro los. Dann noch Trekkingmalzeiten im Intersport. Ich schreibe jedes Mal aus Versehen Intershop. Aber das ist die legendäre Kneipe aus Bochum und da gibt’s alles außer Treckingnahrung. Ähnliches Prinzip wie Praktiker.

    Dann geht’s los auf die Straße. Obwohl ich sicher mehr als 2kg mit meinem Paket verschickt habe, ist der Rucksack schwerer als am Vortag. 1kg Müsli, 950g Nussmischungen, 16 Müsliriegel und weiterer Kleinkram. Die Straße ist dieses Mal eine richtige Straße und hier macht wandern keinen Spaß. Die Straße zieht sich und ich habe das Gefühl, ich gehe mit 2km/h. Ultraeintönig! Ich setze mir Ziele. Mindestens eine Stunde gehen und dann ist ne Pause drin. Da ich erst gegen 11 losgelaufen bin, laufe ich voll in die Mittagshitze. Bei der zweiten Pause gelingt mir ein kurzer Powernap. Ich plane, heute schon den größeren Teil der rund 50km nach Dølemo zu schaffen. Aber schon bei der vierten Pause, merke ich, dass die Beine nicht wollen. Ich laufe unrund, mein unterer Rücken schmerzt zunehmend und Meter für Meter geht die Luft raus. 7 Km nehme ich mir noch vor. Nach drei Kilometern sehe ich einen Platz, der sich zum übernachten anbietet. Ein kleiner Strand/Bootseinlass direkt am See unterhalb der Straße. So ganz passen die Jedermannsrechtregeln hier nicht. Aber ich bin durch. Ich kann nicht mehr. Dann fällt mir auf, dass ich nur noch einen halben Liter Wasser habe. Scheisse! Seewasser trinken? Meinen Wasserfilter habe ich heute zurückgeschickt. Schweres Teil und ich glaub nicht, dass ich den nach Dølemo noch brauche. Kurzes Googlen nach „Seewasser trinken“. Verunreinigungen durch Vögel, Krankheitserreger, gefährlich… Ich bin nicht sicher, ob das für den See hier auch zutrifft, aber ich hab keinen Bock, was zu riskieren. 150 Meter bevor ich hier ankam, bin ich an ein paar Hütten vorbei gelaufen und meine, dort jemanden gesehen zu haben.

    Ich lasse den Rucksack stehen und gehe zurück. Eine Frau räumt gerade ihren Kofferraum aus. Englisch m spricht sie fast nicht, aber ich glaube, sie versteht ungefähr, was ich will. Ich erkläre, wo ich mein Zelt aufbauen will. Das sei in Ordnung, gibt sie mir zu verstehen. Als ich nach Wasser frage, zeigt sie, dass sie kein fließendes Wasser haben. Sie geht ums Eck und kommt mit einem 5 Liter Kanister voll Wasser. Den schenkt sie mir! Danach folgen noch 3 Minuten maximal holpriger aber sehr netter Smalltalk.

    Ich gehe zurück. Schon beim ersten Mal, als ich den Weg runter zum See gegangen bin, ist mir aufgefallen, dass jemand mitten auf den Weg geschissen hat und sein Klopapier großzügig drumherum verteilt hat. Nicht nur, dass mich sowas richtig stört, habe ich Angst, dass man mir das zurechnen könnte. Ich entschließe mich, das Papier anzuzünden. Anfassen weil ich das nicht!! Es brennt super. Allerdings fängt das teils trockene Gras drumherum auch schnell Feuer, das ich versuche auszutreten. Dabei muss ich so akkurat zutreten, dass ich auf keinen Fall in diesen Haufen trete. Wenn jetzt jemand hier einbiegt, weiß ich nicht, wie ich die Situation, „Stepptanz am brennenden Schiss“ erklären kann! Immerhin bekomme ich das Feuer in den Griff.

    Kurzes Bad im See und dann baue ich das Zelt auf. Beim Rucksack auspacken fällt mir eine halbe Tafel Schokolade in die Hand. Das Abendessen verschiebt sich…

    Zur Feier des Tages gab es ein frisches Pflaster für mein Schienbein. Hab heut zum ersten Mal drunter geschaut. Sieht ganz OK aus, finde ich! 😊
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  • Day 7

    Strasse fertig - trotzdem Tiefpunkt

    June 6, 2023 in Norway ⋅ ☀️ 18 °C

    Heute will ich früh starten, um nicht direkt in die Mittagshitze zu laufen. Schon um halb neun bin ich auf der Straße. Als Zwischenziel habe ich mir eine Kreuzung vorgenommen, wo es für mich auf eine andere Straße geht. Nach 8 km bin ich da. Die Straße, die hier abbiegt ist zwar auch asphaltiert, aber nicht so breit wie die Hauptstraße und es ist nur wenig Verkehr. Deutlich abwechslungsreicher schlängelt sich die Straße dahin. Obwohl sämtliche Voraussetzungen besser werden, habe ich das Gefühl, nicht voranzukommen. Ich zwinge mich von Pause zu Pause, welche ebenfalls nie lange ausfallen. Wenige Kilometer vor Dølemo ist dann mein Wasser aufgebraucht. Zuletzt gab es immer mal kleine Bäche. Schon in den letzten Tagen ist wir aufgefallen, dass es leere Bachbetten gab und die aktiven Bäche nur wenig Wasser führten. Wie ist das ab Dølemo im Gelände?

    Ich schleppe mich bis Dølemo. Mittlerweile ist es richtig heiss und der Asphalt flimmert. Im Ort entdecke ich eine Art Gemeindehaus mit WC. Das WC ist leider verschlossen und ich folge dem Mann, der ein paar Sekunden zuvor in das Haus ging. Es scheint eine Gemeindehalle oder zu sein. Schon in die Jahre gekommen und nicht wirklich groß, aber mit Charme. Den Mann finde ich nicht sofort. Aber von oben kommen Geräusche. Als ich „Hallo“ rufe, schaut er von einer Art Empore herunter. Unten im Eingangsbereich ist eine Art kleine Küche. Ich darf mich hier am Wasser bedienen. 3 Flaschen, 1,5l trinke ich sofort. Die Halle hat einen offenen hölzernen Vorbau mit Bänken und Tischen und liegt weitgehend im Schatten. Hier lege ich mich auf den Holzboden und lege die Beine hoch auf eine Bank. Immer wieder nicke ich weg.

    Dann raffe ich mich wieder auf. Ich bin unschlüssig. Es gibt einen kleinen Campingplatz im Ort. Eigentlich habe ich mein Tagesziel erreicht. Aber es ist erst 14.30 Uhr? Ich packe mein Zeug und nehme diesmal trotz des zusätzlichen Gewichts einen Liter Wasser mehr mit als sonst. Zurück auf der heißen Straße habe ich ein seltsames Gefühl. Ich habe leichte Kopfschmerzen und meine Motivation ist nicht besonders groß. Gleichzeitig reizt mich der Einstieg ins Gelände, das ich erst nach 5 oder 6 Tagen wieder verlassen werde.

    Eigentlich müsste ich gut gelaunt sein. Aber ich bin’s nicht. Vielleicht, weil es ab hier so richtig losgeht? In meiner Planung war das hier der eigentliche Beginn, da ich dachte, bisher fast nur auf Straßen unterwegs zu sein. Eigentlich hätte ich noch eine Nacht auf den Campingplatz gehen sollen. Eine heisse Dusche und einen halben Tag Ruhe. Aber ich biege in den Pfad ein. Die Mischung aus körperlicher Erschöpfung und einem kleinen mentalen Tief ist nicht so ideal, um sich zusätzlich noch weiteren Herausforderungen zu stellen. Aber die Trockenheit und das dauerhaft „gute“ Wetter machen mir das Leben nicht leichter. Nicole hat mir gestern schon von der hohen Waldbrandgefahr in Südnorwegen berichtet. Spätestens hier ist sie offensichtlich. Man könnte mit einem einzigen Streichholz hier unmittelbar einen Großbrand auslösen.

    Der Bach unten am Pfadbeginn ist zwar aktiv, aber nicht sehr voll. Wie soll das erst weiter oben werden? Hier kommt ja alles an, was oben als einzelne Bäche startet? Nach 2 oder 3 Kilometern stetigem bergauf mache ich eine Pause und schaue nochmal in die Komootapp. Tatsächlich waren die eingezeichneten Bäche allesamt nur Rinnsale oder aneinandergereihte Pfützen. Seit Evje habe ich meinen Wasserfilter auch nicht mehr. War es ein Fehler, den mit der Kamera zu verschicken? Kleine Seen sind hier überall aber aus keinem würde ich ohne Filter trinken. Wenig Durchlauf und den ganzen Tag die Sonne drauf macht vermutlich nicht das beste Trinkwasser.

    Mein Kopf pocht. Noch habe ich Wasser. Wenn das so weiter geht, muss ich aber umdrehen. Obwohl die Natur um mich herum unfassbar schön ist und der Pfad voll nach meinem Geschmack, kann ich dem heute nichts abgewinnen. Meine Stimmung wird immer schlechter aber ich bleibe diszipliniert. Zur Not muss ich umdrehen. Und dann? 100km Strasse? Ich darf dem Gedanken nicht zu viel Raum geben. Laut Karte müsste wenigstens noch ein Bach bald kommen. Den will ich abwarten und dann weiterschauen.

    Bei jedem ausgetrockneten Rinnsal habe ich Angst, dass das „mein“ Bach ist. Dann kommt aber endlich die Stelle. Ich sehe Wasser und höre es sogar gluckern. Ich sehe aber auch viele Becken, in denen das Wasser steht. Aber es ist klares Wasser. Hilft nix. Ich habe zwar noch Wasser aber probiere mal eine Flasche. Es schmeckt erdig und ist relativ kühl, woraus ich schließe, dass es nicht zulange in der Sonne stand.

    Ich bin fix und alle. Hier irgendwo muss ich bleiben. So habe ich Wasser für heute und kann morgen früh die Trinkflaschen füllen. Wer weiß, wann die nächste Gelegenheit kommt. So schön das sonnige Wetter für den Start auch war, wünsche ich mir ein paar Regentage herbei. Für mich und die Natur. Ich hab etwas Sorge, dass auf diesen langen Schönwetterabschnitt das lange Gegenteil folgen wird. Gefühlt sind die Wetterphasen zuletzt immer extrem lang.

    Ohne Rucksack suche ich die Umgebung nach einem Zeltplatz ab und finde bald was geeignetes nur 25m vom kleinen Bach entfernt. Der Kopf pocht und ich will mich nur hinlegen. Träge und lustlos baue ich das Zelt auf. Jedes Bücken nach Equipment pocht noch stärker im Kopf. Ich frage mich, wozu ich das ganze hier mache. Jetzt läg ich gerne zu Hause auf der Couch. Ich hab ein richtiges mentales Tief und könnte heulen.

    Zum Glück kenne ich den Zustand von meiner Lysefjordrunde im letzten Jahr und wenigstens der analytische Teil von mir weiß, dass das gerade nur eine Momentaufnahme ist. Auch da war es Tag 6 oder 7. Als das Zelt steht und alles Equipment verstaut ist, mache ich beide Zelttüren auf, um die Luft zirkulieren zu lassen. Die Sonne knallt immer noch aber mit dem Wind und den beiden offenen Türen geht’s. Auf diesen Moment habe ich gewartet. Einfach nur liegen und ich liebe meine aufblasbare Thermarest, dass ich es jetzt ein wenig bequem habe ich döse immer wieder ein und werde nur mal von einer Fliege geweckt. Döse dann aber sofort wieder ein. Als ich mich irgendwann aufrichte, merke ich wie sehr mein Kreislauf im Keller ist. Ich gönne mir einen doppelten Kaffee, den ich draußen vorm Zelt trinke. Die Sonne wird langsam schwächer.

    Eigentlich dachte ich, ich schreibe heute nichts mehr, weil ich einfach zu platt bin. Beim Kaffee hab ich dann einfach mal eingefangen und es tut gut, den Tag nochmal Revue passieren zu lassen und auch die Situation mit meinem Tief ein wenig zu analysieren.

    Jetzt geht’s zum Bach für ein kühles Bad und dann gibt es Abendessen. Ich bin gespannt, wie es morgen weitergeht.

    Nachtrag: Das kalte Bad war hervorragend. Seit Kaffee und Bad sind auch die Kopfschmerzen weg und ich kann die Abendsonne gerade richtig genießen!
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  • Day 8

    Kilometer für Kilometer

    June 7, 2023 in Norway ⋅ ☀️ 17 °C

    Nach dem Tiefpunkt gestern hatte ich noch einen wunderschönen Abend. In der Nacht wache ich aber oft auf und schlafe eher unruhig. Ich habe das Bedürfnis meine Beine in alle Richtungen zu bewegen, aber der Schlafsack lässt das nicht zu.

    Am Morgen verliere ich keine Zeit. Um zehn nach acht geht es los. Dafür, dass das gestern so eine Tortur war, fühle ich mich heute richtig fit. Der Rucksack fühlt sich leichter an und ich folge dem gut ausgeschilderten traumhaften Pfad vorbei an unzähligen Seen. Die Zeit vergeht schnell. Nach 1,5 Stunden immer noch kein Zwicken im Rücken. So darf es weitergehen. An einem kleinen Gipfel mache ich Pause und mache ein paar Drohnenaufnahmen. Beim Blick auf die Karte fällt mir jedoch auf, dass zwar die Zeit im nu vergeht, nicht aber die Kilometer. Ich bin hier doch deutlich langsamer unterwegs. So nehme ich mir vor, die nächste Pause erst an der DNT-Hütte „Skarsvassbu“ zu machen. Der Weg kommt mir unendlich lang vor. Hinzu kommt, das immer mehr leicht sumpfige Gebiete zu durchqueren sind. Mit dem schweren Rucksack kostet das extra Kraft. Auch merke ich schon bei geringen Anstiegen, dass ich doch nicht so fit bin, wie ich mich heute morgen gefühlt habe.

    Als ich die Hütte erreiche, stehen schon ein paar Schuhe davor. Scheinbar wurde meine Ankunft bemerkt. Die Tür öffnet sich und eine Frau im Rentenalter steht vor mir und begrüßt mich. Es ist Jette aus den Niederlanden. Auch sie läuft Norge på langs, allerdings eher nach eigenen Regeln. Sie hat sich die Straßenschinderei gespart und plant später auch mal mit dem Zug zu fahren. Sie ist echt sympathisch und wir unterhalten uns über dies und das.

    Sie erklärt mir auch, wie man in den Hütten bezahlt, wie das mit den Lebensmittel funktioniert und vieles mehr. Sie wird heute hier übernachten. Sie war zuvor schon hier und scheint sich in Norwegen ganz gut auszukennen. Vor vier Wochen war die Hütte noch kaum erreichbar wegen des vielen Schnees. Kaum vorzustellen, auch wenn ich schon mehrfach beobachtet habe, dass einige Gräser noch plattgedrückt waren. Das macht mir etwas Hoffnung, dass sich die Schneemassen auf meiner geplanten Route auch noch in Wasser auflösen bis zu meiner Ankunft. Auch Jette berichtet von ihren Wasserproblemen. Ich finde zwar immer wieder Bachläufe, die ich für gut befinde. Aber teilweise sehe ich auch mal ein paar Kilometer gar keine.

    Ich habe noch mindestens 10 km vor mir und mache mich nach einer guten Stunde wieder auf den Weg. Es dauert nicht lang und ich komme an einen kleinen Bach. Hier fülle ich meine Reserven auf. Seit heute morgen trage ich immer noch einen weiteren Liter Wasser mit mir herum. Einfach zur Sicherheit. Das Gewicht spüre ich allerdings zunehmend. Inzwischen ist es wieder recht heiß. Ich muss immer wieder Pause machen. Beim Blick auf die Karte bin ich jedes Mal enttäuscht, dass ich kaum vorangekommen bin. Der Weg zieht sich und zieht sich und die Kilometer werden einfach nicht weniger. Irgendwann fällt mir jeder Schritt schwer. Wenn es dann noch bergauf geht, quäle ich mich in Zeitlupe da hoch. Ich bin gerade mal bei Kilometer 23. 25 sollen es im Schnitt sein. Aber ich muss mir auch zugestehen, dass heute zum ersten Mal nennenswerte Höhenmeter und Sumpf im Spiel waren. Auch da muss ich noch Fitness aufbauen. Und ich habe bereits 175km nonstop in den Beinen. Vielleicht ist jetzt dann mal Zeit für einen Ruhetag.

    Ich beschließe, die nächste Möglichkeit zum Wasser auffüllen zu nutzen, um alle Vorräte für das Nachtlager zu füllen. Ich finde einen richtigen Bach mit kleinem Wasserfall. Links vom Weg sehe ich ein Felsen etwas oberhalb. Dort finde ich eine Stelle, die halbwegs eben ist, wenn auch etwas nah am Abgrund. Da weitergehen keine Alternative ist, bleibe ich hier. Ich bin richtig erschöpft und auch mental wieder am Boden. Aber ich fange mich und nehme sogar noch eine Dusche am Wasserfall. Fast 12 Stunden war ich heute unterwegs, inklusive Pausen natürlich. Das war die bislang anstrengendste Tagesetappe. Morgen überlege ich, wann und wo ich mir einen Ruhetag gönne.
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  • Day 9

    Grosses Tier und Stockbruch

    June 8, 2023 in Norway ⋅ ☀️ 18 °C

    Ich habe wieder nicht gut geschlafen. Die Beine glühen in der Nacht und weil ich etwas abfallend liege, rutsche ich ständig von meiner Luftmatratze. Erst am Morgen finde ich nochmal 1-2 Stündchen ruhigeren Schlaf. Als ich wach werde, nehme ich mir vor, mich nicht zu stressen. Selbst ein Ruhetag wäre nach dem gestrigen Tag eine Option. Aber schnell wird mir klar, dass ich nicht noch eine Nacht lang von meiner Matte rutschen möchte. Also mache ich mich fertig und packe zusammen. Als der Rucksack fast fertig gepackt ist, stelle ich fest, dass ich meinen Ehering nicht am Finger habe. Verdammt, der ist noch in der Innentasche vom Zelt. Ich überlege kurz, ob ich ihn einfach darin lasse aber mir wird sofort klar, dass ich alles nochmal auspacken muss. Es ist eben mehr als ein Gegenstand und es fühlt sich falsch an, ihn nicht zu tragen. Außerdem hätte ich Angst, dass er vielleicht doch nicht im Zelt ist und ich ihn hier irgendwo verloren hab. Ich packe alles wieder aus, rolle das Zelt auseinander und finde den Ring schnell. Alles wieder rein in den Rucksack und dann geht es noch schnell zum Bach, die Wasservorräte füllen. Abmarsch 09.38 Uhr.

    Weil ich heute herausfinden möchte, wie schnell ich hier eigentlich unterwegs bin, lasse ich die Komootapp tracken. Ich rechne mir selbst aus, welche Geschwindigkeit ich für realistisch halte, dass ich später Erwartung und Realität abgleichen kann. Bei dem ganzen auf und ab und den vielen kleinen Kurven, die alle nicht auf der Karte ersichtlich sind, brauche ich mehr Zeit. Ich glaube, dass die tatsächliche Höhenmeterzahl deutlich über der von Komoot errechneten Zahl liegen dürfte. Ich plane für heute in 5 x 5 km Einheiten. Ich schätze, dass ich rund 90 Minuten je Einheit brauche. Das wären 18 Minuten für einen Kilometer.

    Ich fühle mich wieder überraschend fit. Die ersten 5 km laufen sich von allein. Die zweiten sind schon etwas anstrengender. Sobald es halbwegs eben ist, komme ich leicht und zügig voran. Aber wie gestern schon gemerkt, wird jede kleine Steigung direkt zum Kraftakt. Heute nehme ich bei jeder Steigung ganz bewusst das Tempo raus. Langsam aber beharrlich ist hier die Devise. Zuhause bin ich deutlich schneller unterwegs. Entweder mit ganz wenig Gewicht auf dem Rücken oder mit Gleitschirm. Und da schone ich mich nicht. Allerdings ist da die Anstrengung meist auch nach 1,5 Stunden vorbei. Das hier ist eher wie ein Marathon. Wenn ich am Vormittag überpace, holt mich das am Nachmittag wieder ein.

    Die dritten 5 km sind schon zäher, allerdings auch mit einigem bergauf und es geht in die Mittagshitze. Es wird zunehmend felsiger und ich erklimme einen dieser wunderschönen Felsrücken, die hier überall herausschauen und an einer gewissen Höhe allgemein das Landschaftsbild prägen. Oben angekommen mache ich eine Pause. Niklas schreibt mir, dass er gerade in Oslo angekommen ist und nachher weiter nach Trømso fliegt. Erst vor zwei Wochen hab ich meine erste Nacht im Zelt bei ihm im Garten verbracht. Niklas ist auch der Grund, dass ich Norwegen lieben lernen durfte. Nach dem Bund/Zivi haben wir uns in sein Auto gesetzt und sind 2003 durch den norwegischen Süden gefahren. Vor 20 Jahren! In den darauf folgenden Jahren haben wir noch zwei solcher Touren gemacht.

    Ich liege an den Rucksack gelehnt in der Sonne und nutze den seltenen Handyempfang. Ursprünglich wollte ich das Handy so selten wie möglich nutzen. Aber ich habe schnell gemerkt, dass es hier und da ganz schön ist, etwas Kontakt nach Hause zu haben.

    Nach 50 Minuten Pause gehe ich weiter. Ich hab neue Luft. Der felsige Untergrund macht Spaß und es geht nur wenig auf und ab. Bestimmt eine halbe Stunde „fliege“ ich über den Felsrücken. Das ist mein Lieblingsgelände. Man muss schon schauen, wo man hintritt, es ist aber alles fest mit gutem Grip. Nach 3 Kilometern geht es wieder bergab und auch das schnelle und leichte Vorankommen ist vorbei. Als ich um einen Fels herum gehe und mit meinem Stock laut auf den Felsboden aufstoße, erschrickt sich 30m vor mir ein großes Tier und rennt davon. War das ein Elch? Wenn dann eher ein kleiner. Oder doch ein Hirsch? Rentier? Ich bin mit meinem Handy zu langsam und erwische das Tier nur noch in der Ferne. Ich bin unschlüssig, was es ist, bin aber froh, dass es vor mir weg und nicht auf mich zu gerannt ist, was lediglich für eine genaue Bestimmung von Vorteil gewesen wäre.

    Hier finde ich auch wieder Trinkwasser. Ab hier zieht es sich wieder und es wird richtig anstrengend. Aber ich gehe diszipliniert weiter und erreiche eine weitere DNT-Hütte. Ich wäre alleine hier und hätte die ganze Hütte für mich. Aber ich möchte mein Kilometerpensum schaffen und außerdem gibt es keinen Anlass für Luxus. Meine Sachen sind trocken und es ist Sommerwetter. Wozu da umgerechnet 27 Euro ausgeben?

    Von nun an geht es wieder bergauf und jeder einzelne Kilometer zieht sich. Dafür werde ich oben, hier wieder felsig und leicht oberhalb der Baumgrenze mit einem traumhaften Ausblick belohnt. Wenn ich ausreichend Wasser, also auch meine Lagervorräte voll hätte, würde ich in Erwägung ziehen, hier zu bleiben. Ich hätte es tun sollen!!

    Ich folge dem Weg der scheinbar durch ein kleines Schneefeld führt. Ich betrete das Schneefeld, dass vielleicht 40 cm dick ist und breche nach 2 Metern, in etwa auf der Hälfte, ein. Das war sogar absehbar, weil ein kleiner Rinnsal unter dem Schnee hindurch ging und ich war eigentlich drauf gefasst, hier einzubrechen. Dennoch passiert das ganze etwas heftiger als gedacht und ich falle leicht nach vorn. Ich fange mich aber an und denke, alles ist ok. Leider aber hatte sich mein Trekkingstock verkanntet und brach in der Mitte. So eine Scheisse!! Ich sehe den Bruch und nehme es irgendwie hin. Ändern kann ich daran nichts mehr. Es ist eh die wichtigste Regel hier draußen: Es ist wie es ist. Ich verlasse das Schneefeld und finde den Anschlusspfad nicht. Komoot sagt, dass ich ein paar Meter vom Pfad abgekommen bin und ich gehe 10m hoch und finde den Weg schnell. Hier sehe ich, dass mein Weg gar nicht durch das Schneefeld ging, sondern sauber dran vorbei. Doppelt ärgerlich. Aber: Es ist wie es ist.

    Dennoch muss ich hier schnell eine Lösung finden. Mit dem schweren Gepäck sind die Trekkingstöcke wichtiger Bestandteil für mein Vorankommen. Insbesondere dann, wenn das Gelände mal schwieriger wird. Und am wichtigsten sind sie für meine Knie. In den letzten Tagen habe ich sehr genau gemerkt, welche Bewegungen die gut mitmachen und welche nicht. Bei bergauf und ab brauche ich die Stöcke allein, um meine Knie zu entlasten. Der nächste Ort ist 77 km entfernt. Der nächste Sportladen 175 km. Hier muss ich mir morgen Gedanken machen, wie ich das löse.

    Es geht weiter Richtung Tal und es wird zunehmend sumpfiger. Den nächsten kleinen Bach nutze ich, um meine Lagervorräte zu füllen. Ich bin wieder richtig erschöpft und will die nächste Gelegenheit zum Zelt aufbauen nutzen. Aber es wird nur sumpfiger und sumpfiger. Es ist eine reine Schlammschlacht und immer wieder versucht der Sumpf mich festzuhalten, wenn ich zu tief einsinke. Mit nur einem Stock ist das echt ätzend. Der Weg schlängelt sich dahin in einen immer dichter werdenden Wald am Hang entlang. Für ein Zelt keine Chance. Laut Karte soll ich schon bald an irgendwelchen Ruinen vorbei kommen. Ich hoffe, dass, wenn hier mal gebaut wurde, sich auch das Zelten besser anbietet. Nach gefühlter Ewigkeit erreiche ich den Platz. Allerdings sind hier keine Ruinen, sondern 3 gut erhaltene Hütten auf einer schönen Wiese am Hang mit wundervollem Blick auf den See. In einer Ecke liegt frisch gehacktes Holz. Es scheint aber niemand da zu sein. Laut Jedermannsrecht muss man mit seinem Zelt 150m Abstand halten. Weiter unten finde ich eine geeignete Stelle. Allerdings eher 150 Fuß entfernt. Mittlerweile ist es 21 Uhr und ich kann nicht mehr. Hier bleibe ich. Als ich das Zelt aufgebaut habe, friere ich. Dennoch raffe ich mich auf und wasche mich unten im eiskalten See. Verschwitzt in den Schlafsack ist einfach nicht schön. Nach dem Bad im kalten See geht es sofort in den Schlafsack. Es dauert lange, bis mir wieder richtig warm wird. Heute war der erste Tag, an dem ich keinem Menschen begegnet bin.

    Ich hätte nie gedacht, dass 25 km am Tag so eine große Aufgabe sind. Ich hoffe, dass sich mein Körper darauf noch einstellt. Zuhause habe ich ähnliche Strecken deutlich schneller absolviert. Aber eben auch mit weniger Gewicht, an maximal 2 Tagen aufeinander und ohne Sumpfschlachten.
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  • Day 10

    Ein Stock ist besser als kein Stock!

    June 9, 2023 in Norway ⋅ ☁️ 16 °C

    Und wieder habe ich nicht so gut geschlafen. Aber auch zu Hause ist Schlafen nicht eine meiner großen Stärken. Als ich morgens wach werde, versuche ich, mich noch einmal umzudrehen. Aber einschlafen tue ich nicht mehr. Ich habe weder Lust liegen zu bleiben, noch habe ich Lust aufzustehen. Aber es nützt nichts. Ich mache mir einen Kaffee und schreibe mein Tagebuch von gestern zu Ende. Gestern habe ich nur noch Stichpunkte gemacht, weil ich einfach zu fertig war. Die ursprüngliche Idee, hier einen Ruhetag zu verbringen, verwerfe ich. Gleichzeitig nehme ich mir vor, heute nicht zu weit zu laufen. Wenn ich heute 15 km schaffe ist es super aber ich möchte nicht erst mein Zelt wieder um 21 Uhr aufbauen und so fertig sein wie gestern Abend.

    Als ich meinen Rucksack fertig gepackt habe, ist es schon kurz nach elf. Ich gehe hoch zu den drei Hütten, und erkenne zum ersten Mal, was eigentlich mit Ruinen gemeint war. Tatsächlich zeugen wenige Überreste von einer alten Hütte. Oben bei den drei Hütten war der Internetempfang am besten. Hier gelingt es mir auch, den Footprint von gestern hochzuladen . Dann rufe ich beim Campingplatz in Dalen an. Auf der Seite habe ich gelesen, dass sie auch deutsch sprechen. Ich habe zwar meine Scheu, Englisch zu sprechen weitgehend abgelegt, aber telefonieren tue ich doch lieber auf Deutsch. Der Mann der abnimmt, spricht nur englisch. Ich bin aber selbst überrascht, wie gut es mir gelingt, mein Problem zu schildern und mich mit ihm auszutauschen. Es ist doch gar nicht so viele Jahre her, da hätte mich allein die Nervosität beim Telefonat auf Englisch voll aus dem Konzept gebracht, dass ich wahrscheinlich einfach aufgelegt hätte. Wie bereits recherchiert gibt es in Dalen tatsächlich kein Sportgeschäft. Meine Idee, etwas zu bestellen und nach Dalen liefern zu lassen, scheint nicht so gut zu sein. Auf meine Frage nach Lieferzeiten sagt mir der Mann, dass man das in Norwegen nie so genau sagen kann. Manchmal dauert es drei Tage, manchmal dauert es drei Wochen. Aber er sagt, dass im nächsten Ort ein Sportgeschäft sein soll, circa 20 km entfernt. Da ich eh plane, einen Offday in Dahlen zu machen und zwei Nächte auf dem Campingplatz zu verbringen, wird das also dann meine Tagesaufgabe. Einmal nach Åmot trampen und einmal zurück. Aber mit der Lösung kann ich leben, so kann ich mir die Trekkingstöcke auch vor Ort anschauen. Erste Recherchen haben ergeben, dass die hier mindestens 50-60 € teurer sind als in Deutschland. Aber: es ist, wie es ist.

    Um kurz vor 11:30 Uhr gehe ich los. Wie auch die letzten Tage laufen sich die ersten Kilometer relativ leicht. Heute habe ich keinen Druck. Wenn ich 15 km schaffe, bin ich zufrieden. Wenn dann noch Luft ist, gerne auch 20. Wenn ich die 20 schaffe, ist es sogar sehr realistisch, dass ich übermorgen die Etappe nach Dalen in einem schaffe. Es wäre knapp über 30 km, aber der Großteil davon Straße. Ich weiß nicht warum, aber irgendwie bin ich getrieben. Hier draußen möchte ich keinen Ruhetag machen. Ich freue mich einfach auf den Campingplatz, unter ein paar Leute zu kommen, einkaufen zu gehen und den ganzen Tag geile Sachen zu essen.

    Die zweiten 5 km sind ebenfalls wie gewohnt wieder etwas zäher. Aber heute gelingt es mir leichter, diszipliniert zu sein und bedächtig weiter zu gehen. An unzähligen Stellen, wo es bergauf oder bergab geht, durch Sumpf oder schwieriges Gelände, denke ich mir, ohne den einen Trekkingstock wäre ich echt aufgeschmissen. Anstatt mich über den Verlust des zweiten Stocks zu ärgern, gelingt es mir hier leicht, positiv zu denken. Ein Stock ist viel besser als kein Stock.

    Ziemlich genau bei 10 km liegt die Nutevasshytta. Hier plane ich meine Pause. Als ich ankomme, sehe ich aus der Ferne, dass auch hier ein paar Wanderschuhe zum Trocknen in der Sonne stehen. Es ist also jemand da. Auf der einen Seite möchte ich gerne meine Ruhe haben, während ich Pause machen, auf der anderen Seite würde ich mich auch freuen, wenn ich hier wieder so einen netten Austausch hab wie vor zwei Tagen. Während ich vor der Hütte meinen Rucksack absetze und meine Schuhe ausziehe, um sie zum Trocknen in die Sonne zu stellen, geht die Tür auf. Ein blonder, recht dicker Mann schaut raus und beginnt, ohne mich anzusehen, irgendetwas auf Norwegisch zu sprechen. Ich unterbreche ihn: „Sorry? English?“Er switched auf brüchiges Englisch und erzählt mir, weiterhin ohne mich anzusehen, dass er nur den Tag über da sein wird und heute Abend wieder weg ist. Ich gebe ihm zu verstehen, dass ich hier eh nur eine Pause mache. Dann geht er wieder rein und die Tür fällt ins Schloss. Vielleicht tue ich ihm unrecht. Aber sympathisch war er nicht. Und ich muss mich wirklich fragen, wie der seinen riesigen Bauch hierher bekommen hat. Denn egal aus welcher Richtung man kommt, es sind einige Meter und Höhenmeter zu absolvieren.

    Ich lege mich draußen in der Sonne bauchwärts auf meine dünne Isomatte und lege mir meine Kappe zum Schutz vor der Sonne seitlich auf den Kopf. Die Sonne trocknet schnell den verschwitzten Rücken. Ich schlafe immer wieder ein und werde nur zwischendurch von etwas auflebendem Wind wach. So verbringe ich hier eine Dreiviertelstunde.

    Ich gehe weiter und merke, dass ich noch ganz schön in den Seilen hänge. Das Mittagsschläfchen hat zwar gut getan, aber der Kaffee danach hat gefehlt. So werde ich langsam wach, während ich mich einen kleinen Hang hocharbeite. Die ersten zweieinhalb Kilometer sind wieder richtig Arbeit. Dann komme ich an einen Sattel und mir öffnet sich ein Blick in ein wunderschönes, neues Tal. Ein malerischer See mit einer kleinen Hütte am Ufer. Die Norweger wissen einfach wie und wo man schön baut. Ich durchquerte zunehmend mehr Schneefelder. Das schöne Tal verlasse ich wieder über einen weiteren Anstieg. Am höchsten Punkt mache ich eine Pause und nehme mir Zeit für ein paar Drohnenaufnahmen. Hier habe ich auch zum erst mal wieder Empfang. Als ich den Flugzeugmodus ausmache, kommen gleich fünf WhatsApps herein. Tobi, ein anderer NPLer, hat sein Tagesziel heute schon erreicht. Er ist mir aktuell 40 km voraus. Er schreibt, dass mit zunehmender Höhe, auch der Schnee zunimmt und er überlegt, morgen auf die Straße auszuweichen. Auch was die Hardangervidda betrifft, ist er nicht optimistisch. Mein Plan ist es, meine nächsten geplanten Abschnitte, die ebenfalls durch schneereiches Gebiet gehen, mir an meinem of Day in Dalen genauer anzuschauen, und gegebenfalls, umzuplanen. Am Ende kann ich hier da lang aufen, wo ich will. Schade wäre es natürlich um die schönen Gegenden, die ich mir ausgesucht hatte. Auch die Straßenkilometer dürften sich deutlich erhöhen. Aber es macht keinen Sinn, eine Gefahr einzugehen, oder nach zwei Tagen wieder umdrehen zu müssen und so wertvolle Zeit zu verlieren.

    Ich mache das Handy wieder aus und gehe weiter. 6 km sind es noch bis zu dem Punkt, den ich mir ausgesucht habe. Während es in den letzten Tagen oft durch waldiges Gebiet ging, bewege ich mich zunehmend in höheren Lagen, wo es deutlich leichter ist, ein Zelt aufzustellen. So habe ich mir für die Nacht auch einen Punkt auf der Karte herausgesucht, wo ich optimistisch bin, mein Zelt aufbauen zu können. Die letzten Kilometer sind wieder sehr hart. Ich komme noch an einer Hütte vorbei, die scheinbar von zwei Anglern bewohnt ist. Ich lasse die Hütte links liegen und gehe weiter. Noch einmal fülle ich alle Wasserreserven auf. Die letzten Kilometer sind jedes Mal die härtesten. Nicht nur, weil ich mit meinen Kräften eh schon am Ende bin, sondern weil ich zusätzlich 3 kg Wasser dabei habe. Während des Anstiegs kommen mir zwei Jungs entgegen, auch mit Rucksack und Angelzeug bewaffnet. Wir unterhalten uns kurz auf Englisch. Dann gehe ich die letzten Meter hoch. Es ist anstrengend, aber heute bin ich sehr diszipliniert und auch mental stark. Es dauert ein wenig, bis ich eine Stelle für mein Zelt gefunden habe, die halbwegs eben ist. Noch bevor ich das Zelt aufbauen, gehe ich zu einem kleinen See 30 m weiter, um mir mit dem Waschlappen wenigstens Gesicht und Oberkörper zu waschen. Mehr ist heute nicht drin. Es ist kühl hier oben und der Wind weht spürbar. Ich baue das Zelt auf, verstaue alle meine Gegenstände und lege mich ins Zelt, um mein Abendessen fertig zu machen. Als ich mein Handy, das fast leer ist, an meiner Powerbank laden möchte, stelle ich fest, dass meine Powerbank nicht lädt. Ich habe noch 10 % Akku. Die Powerbank scheint voll zu sein. Aber auch googeln nach einer Problemlösung, bringt mich nicht weiter. Ich habe noch eine kleine Ersatzpowerbank, die aber ebenfalls gerade leer ist, weil ich damit zuletzt meine Drohne geladen habe. Mein letzter Wetterbericht hat zwei Wochen Sonnenschein vorhergesagt und so muss ich morgen schauen, dass ich die kleine Powerbank geladen bekomme. Dennoch ärgert es mich, dass die große Powerbank nicht funktioniert. Naja. Es ist, wie es ist. Ich esse zu Abend und versuche dann einzuschlafen. Selbst um 22:30 Uhr scheint die Sonne noch auf das Zelt. Dass es nie so richtig dunkel wird, macht das Schlafen nicht einfacher.
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  • Day 11

    Rentiere ❤️

    June 10, 2023 in Norway ⋅ ⛅ 15 °C

    Als ich morgens aufwache, ist es bedeckt. Ausgerechnet heute, wo ich auf Sonne angewiesen bin. Trotzdem schließe ich die kleine Ersatzpowerbank an das Solarpanel an. Mein Handy hat noch 9 % Akku. Über die Fernbedienung meiner Drohne kann ich immerhin noch 3-4 % aufladen, während ich noch einmal den Weg für heute recherchiere. Grundsätzlich würde ich den Weg auch ohne Handy finden. Die Markierungen sind gut und für den Fall, dass mein Handy ganz aussetzt, notiere ich mir die Hütten, die heute auf meiner Route liegen, da diese meist ausgeschildert sind.

    Gestern war ich noch motiviert. Ich dachte, wenn ich es bis hierhin schaffe, habe ich nur noch zwei Etappen nach Dalen. Heute fällt mir auf, dass die geplanten 25 km knappe 1000 Höhenmeter bereithalten. Das ist im Vergleich zu den letzten Tagen ein echter Brocken. Die kaputte Powerbank und die Aussicht auf eine nur schwer zu schaffende Etappe nagen an meiner Stimmung. Wieder überlege ich, ob ich die Drohne nicht auch zu Christian nach Oslo schicke. Es ist fast ein ganzes Kilo, was ich sparen könnte. Im bisherigen Alltag nehme ich sie alle zwei Tage her. Eigentlich ist es Quatsch, aber dadurch, dass ich die Drohne behalten habe, habe ich mir auch die Möglichkeit für meinen Film erhalten. Aber mir wird noch bewusster, dass ich, mit oder ohne Drohne, keinen Film mitbringen werde, wie ich es mir vorgestellt habe. Auch keine vereinfachte Version. Mir fehlt einfach die Energie für den zusätzlichen Aufwand. Zu zweit könnte man sich das Gewicht teilen und jeder würde mal den anderen filmen. Aber allein ist es ein Aufwand, den ich auch mit dem kleinen Besteck, also GoPro, Handy und Drohne nicht schaffe. Als ich vor ein paar Tagen meine Hauptkamera weggeschickt habe, war das die einzig richtige Entscheidung. Dennoch habe ich für mich an der Idee des Filmes, wenn auch an einer abgespeckten Variante, festgehalten.

    Das Feedback, als ich mit dem Versand der Kamera entschieden hatte, dass es keinen Film wie geplant geben wird, war unter anderem, dass es gut so ist. Schließlich würde ich die Reise für mich machen und nicht für jemanden anderen. Das ist auch richtig! Für mich aber hatte die geplante Dokumentation zu meiner Reise eine ganz besondere Bedeutung. Auch den Film wollte ich für mich machen. Er wäre nicht nur ein einmaliges Andenken an das wahrscheinlich größte Abenteuer meines Lebens, es wäre auch ein Film über die Seiten von mir, die ich im Alltag oder gewöhnlich nicht immer teile, obwohl sie mir sehr wichtig sind.

    Meist kennt man mich als gut drauf, humorvoll (Geschmackssache😉) und immer einem, mal mehr oder mal weniger passenden, Spruch auf den Lippen. Manchmal bin ich das gerne, hab Spaß dabei und fühle mich wohl. Oft ist es aber einfach nur Fassade, weil ich vielleicht gerade nicht weiß, was ich sagen soll. Zu präsent ist mir noch die Zeit während des Studiums und danach, wo ich mit null Selbstbewusstsein in eine handfeste Sozialphobie geschlittert bin. Panik vor Vorträgen und Sprechen in der Gruppe waren nur die Spitze des Eisbergs. Der ganze Alltag war anstrengend. Ich erinnere mich noch, wie ich einmal zum Friseur gehen wollte und vor der Tür wieder umgedreht bin, weil mich die Situation einfach überfordert hat. Allem, wo nur die Gefahr lauerte, dass ich vor mehreren Menschen hätte sprechen müsste, bin ich aus dem Weg gegangen. Irgendwie hab ich mich da mit der Zeit raus gearbeitet. Humor und Sprüche klopfen waren dabei immer Instrumente, die mir gut geholfen haben und oft als hilfreiche Fassade gedient haben.

    Wir alle haben unsere Fassade, da bin ich mir sicher. Insbesondere in der heutigen Zeit habe ich das Gefühl, dass die meisten nur noch ihre Fassade perfektionieren. Das sieht man täglich im WhatsApp-Status, auf Instagram, Strava und sonst wo. Ich will das nicht verteufeln. Wir alle teilen gerne unsere schönen Momente. Wir alle stellen uns dar. Aber mittlerweile nimmt diese schnelllebige Darstellung überhand. Deswegen wollte ich gerne das zeigen, was hinter meiner Fassade steckt. Das ist mit großer Sicherheit die verletzlichere Seite in mir, aber gerade deswegen auch oft so gut geschützt von lustigen oder weniger lustigen Sprüchen.

    Hier draußen geht einem so viel durch den Kopf. Es gibt viele emotionale Momente. Ich mach mir Gedanken zu Menschen, die von uns gegangen sind. Zu Nicoles Unfall. Wie schnell das Leben vorbei sein kann. Das klingt erst mal furchtbar negativ. Aber es hilft, seinen Fokus stärker auf die Dinge zu legen, die einem wichtig sind. Dinge zu machen, anstatt sie aufzuschieben - so wie hier meine Wanderung zum Nordkap. Als ich bei dem Dreh für den Imagefilm der Flugschule Grenzenlos mit Jürgen, dem Sicherheitstrainer und Fluglehrer, in seinem Boot auf dem Lac Annecy auf den nächsten Durchgang des Gleitschirm-Sicherheitstrainings wartete, sagte er während unseres Gesprächs einen Satz, der bei mir hängen geblieben ist: „Keiner weiß, warum wir hier sind“.

    Diesen Satz muss man einfach mal wirken lassen. Und schon stellt man schnell die Prioritäten des Alltags in Frage.

    Jeden Morgen rennen alle in ihre Büros und leben ein Leben für die Wirtschaft mit einer Selbstverständlichkeit, mit der ich mich schwertue. Eine Arbeitswoche hat 40 Stunden, es gibt 30 Tage Urlaub, Montag ist schlecht, Freitag ist gut, Karriere ist wichtig, Wachstum ist unabdinglich, es muss sich rentieren, Klimawandel ist ein Thema aber jetzt muss erstmal die Wirtschaft angekurbelt werden. Und, und, und. Alles für mehr Kohle, mehr Ansehen, Anerkennung. Die wirklich wichtigen Themen bleiben meiner Meinung nach zu oft auf der Strecke - weil man hier selten gutes Geld verdienen kann.

    Ich will hier nicht noch mehr ausschweifen. Aber diese Punkte, die ich oben anschneide, hätten Themen und Gedanken meines Films sein sollen. Und heute Morgen wird mir klar, dass ich diesen Film nicht machen kann. Es ist ein richtiger Stich. Nicht umsonst war in den letzten Wochen der Filmemacher in mir in der Planung beherrschend. Dieses Filmprojekt war mir unglaublich wichtig. Aber wenn ich von dieser Reise etwas mitnehmen möchte, dann gelingt mir das am besten ohne das Filmprojekt.

    Mit Tränen in den Augen baue ich das Zelt ab. Ich fühle mich ganz schön erschöpft. Ich glaube, wenn wir körperlich an unsere Grenzen gehen, braucht es nicht viel, dass unsere Emotionen durchkommen. Ich erinnere mich noch an meinen ersten Marathon mit Micha. Hinterher hat er zu mir gesagt: „Ich bin ja echt nicht nah am Wasser gebaut, aber hier am Ende hat nicht viel gefehlt“. Solche Momente hab ich in den vergangenen Tagen häufiger, insbesondere am Abend, wenn ich komplett durch bin. Mal vergieße ich ein paar Tränen vor Glück, mal weil ich mich für einen kurz Moment einfach überfordert, allein oder einfach schwach fühle. Aber jedes Mal geht es mir danach deutlich besser. Und ehrlich gesagt ist es genau diese emotionale Intensität, die ich letztes Jahr am Lysefjord schon lieben gelernt habe.

    Während ich das Zelt abbaue, kommen doch noch ein paar Sonnenstrahlen raus und laden meine Powerbank wenigstens zur Hälfte. Um kurz vor 9:30 Uhr gehe ich los. Es ist windig und kühl. Weil ich aber recht schnell ins Schwitzen komme, belasse ich es bei meinem Sport-Shirt. Die ersten Kilometer laufe ich dahin und mache mir nun deutlich neutraler Gedanken über mein Filmprojekt: Warum es mir so wichtig ist und auch, was ich vielleicht alternativ machen könnte? Ich habe einzelne Ideen, aber eine richtige Lösung finde ich nicht. Obwohl ich zügig gehe und schwitze, ist mir kalt. Inzwischen ist der ganze Himmel grau, und der Wind bläst von der Seite. Kurz nach meiner zweiten Pause entscheide ich mich, meine Hardshell-Jacke aus dem Rucksack zu holen. Wegen des guten Wetterberichts ist diese ganz, ganz unten im Rucksack. Mir wird noch kälter, während ich in meinem Rucksack krame. Und wieder frage ich mich, warum ich mir das antue.

    Keine 5 Minuten später, die Jacke erfüllt voll ihren Zweck, kehrt Zufriedenheit wieder ein. Der Wind stört mich nicht mehr, und ich gehe mit mäßigem Tempo meine weiteren Kilometer. Allmählich geht es auch wieder bergab, runter von der eher kargen Landschaft zurück in Birkenwälder und Sumpfgebiete. Gleichzeitig wird es etwas wärmer und auch die Sonne lässt sich blicken. Heute habe ich mir vorgenommen, immer 6 km zu laufen, bevor ich eine Pause mache. Es ist ohne Frage anstrengend, aber selbst nach der dritten Pause bin ich immer noch motiviert. Mittlerweile ist auch das Wasserfinden kein Problem mehr. Trinkwasser an allen Ecken. Hier ist die Schneeschmelze noch in vollem Gange. Bei zwei Flüssen muss ich einige Zeit suchen, um einen geeigneten Weg hinüber zu finden. Ich quere zunehmend mehr Schneefelder, wenn sie sich nicht auf einfachen Wege um laufen lassen. Seit meiner Stockbruchaktion bin ich vorsichtiger geworden und versuche, so gut es geht den besten Weg über ein Schneefeld zu finden. Oft kostet es Zeit, überhaupt herauszufinden, wo am anderen Ende des Schneefeldes der Weg weitergeht. An den Sumpf zwischendrin habe ich mich eh gewöhnt. Meine Schuhe sind mittlerweile bestimmt seit drei Tagen nicht mehr trocken. Zusätzlich erschweren zahlreiche umgeknickte Birken, die wie eine Limbostange über den Weg ragen, den Weg. Ich kann mit meinem großen Rucksack nicht so weit in die Hocke gehen, um unten durch zu gehen. Das mögen meine Knie gar nicht. Also muss ich jedes mal querfeld ein um das Hindernis herum.

    Auf meinem letzten Abschnitt des Tages mache ich einige zusätzliche Pausen. Laut Höhenprofil kommt am Ende noch einmal ein ordentlicher Anstieg. Mittlerweile ist bestes Wetter mit superschönen Cumulus Wolken. Ich glaube, heute könnte man hier gut Strecke fliegen. Bis hierher lief es richtig gut. Mittlerweile habe ich 21 km auf der Uhr und habe das Gefühl, dass noch Luft da ist. Für eine kurze Trinkpause setze ich den Rucksack ab und lege mich einen kurzen Moment mit dem Rücken auf den warmen Fels neben dem Bach. Ich meine, immer wieder seltsame Geräusche zu hören, die ich nicht zuordnen kann. Als ich weiter gehe, sehe ich an dem Hang neben mir in einiger Entfernung eine Gruppe Tiere. Sind das Rentiere? Wie geil! Für einen kurz Moment bin ich mir sicher, dass ich hier Rentiere sehe. Aber so ganz sicher bin ich mir nicht. Oder sind das doch nur Schafe? Ich muss lachen. Nur weil ich die ganze Zeit auf Elche und Rentiere warte, müssen das noch lange keine sein. Ich mache ein Foto mit meinem Handy und zoome herein. Es könnten aber Rentiere sein. Weil der Rucksack aber schwer ist und ich mit der anstehenden Steigung noch ein anstrengendes Finale habe, gehe ich weiter. Ich komme an einen großen See mit einer weiten Ebene davor, auf der weit verteilt mehrere kleine Hütten stehen. Laut App muss ich die Ebene einfach nur queren und an der letzten Hütte führt ein Pfad nach oben. Leider kann ich den Pfad nicht finden, auch als ich versuche, mit GPS direkt auf den Pfad zu navigieren. Ist das etwa wieder einer dieser Komoot-Pfade, die es gar nicht in Wirklichkeit gibt? Ich öffne die norwegische Wanderwege–App. Leider ist die Karte nur unscharf und ich habe keinen Empfang, um mehr zu laden. Diese App zeigt auch einen Weg an, allerdings an anderer Stelle. Ich hatte mich echt motiviert, diese letzte Steigung noch zu bewältigen. Dass ich nun aber mit dem Handy in der Hand und meiner GPS Position hier querfeldein durch den Sumpf und dichtes Gebüsch streunere, hatte ich nicht geplant. Was ist, wenn es diesen Weg gar nicht gibt? Dann müsste ich einen ziemlich großen Umweg laufen. Ich will heute mehr wissen und nicht einfach hier mein Zelt aufstellen. Nach 25 Minuten finde ich den Weg. Gott sei Dank! Ich mache eine weitere Pause und trinke 1/2 l Wasser. Als ich weiter gehe, raschelt es 15 m links von mir im Gebüsch. Ein Rentier flüchtet vor mir. Wie geil! Diesmal bin ich mir 100-prozentig sicher. Ich gehe weiter, und freue mich, dass der Pfad eindeutig ist und sich nicht irgendwo im Busch verliert. Schritt für Schritt kämpfe ich mich den steilen Weg bergauf. Plötzlich sehe ich mehrere Rentiere 20 m vor mir auf der anderen Bachseite. Auch ein ganz kleines ist dabei. Ich bin einfach nur beeindruckt, solche Tiere in freier Wildbahn sehen zu dürfen. Ich gehe weiter und die Rentiere scheinen mich nicht zu bemerken. Als uns nur noch der Bach und 15 m trennt, scheint mich ein Rentier zu sehen. Es schaut mich an, macht aber nichts weiter. Erst als ich weiter gehe und mich frage, was passiert, wenn sich unsere Wege kreuzen, wird die ganze Gruppe von sieben oder acht Rentieren auf mich aufmerksam und läuft davon. Ich bin total geflasht. Die Anstrengungen sind gerade total vergessen. Ich kämpfe mich noch durch ein Schneefeld hoch und betrete ein baumloses Hochtal. Zwei Bäche, Sumpf, Schneefelder. Links und rechts steigen steile Wiesenhänge und Felsen empor. Als ich rechts auf den Berg sehe, erschrecke ich mich fast. Keine Gruppe, eine ganze Herde voll Rentieren steht dort oben und schaut mich an. Bestimmt 100 Tiere! Sie beobachten mich eine Weile und flüchten dann links hinter einen Gipfel. Wahnsinn! Als ich weiter hoch gehe, entdecke ich die Herde wieder, die wiederum zurück auf die andere Seite des Berges flüchtet. Ich gehe noch ein paar Meter und bin unfassbar glücklich. Sollche Momente erleben zu dürfen ist etwas ganz besonderes. Ob es zu einer Reise wie dieser hinterher einen Film gibt oder nicht, ist für mich in diesem Zusammenhang gerade nicht wichtig. Die Themen, die mir wichtig sind, kann ich sicher in einem anderen Projekt verarbeiten. Aber Momente, wie diese zu erleben, ist einzigartig schön. Hier oben, inmitten von rauhem Fels, Schneefeldern und kleinen Bächen - wo man Entfernungen gar nicht richtig einschätzen kann, stehe ich nun tief erfüllt. Das Gegenteil von heute Morgen. Ich entschließe mich, hier zu bleiben. Eigentlich wären es noch etwas mehr als 1 km, den ich heute noch locker geschafft hätte. Aber dazu hätte ich wieder leicht absteigen müssen in ein schattiges Tal. Hier genieße ich die letzten Sonnenstrahlen des Tages. Es ist ganz schön frisch hier auf ungefähr 1100 m. Trotzdem geht es mit dem Waschlappen noch an einen kleinen Bach zur Abendwäsche. Das Schmelzwasser ist unfassbar kalt. Dann gehe ich ins Zelt, mache mir was warmes zu essen und gieße mir von dem übrigen heißem Wasser noch einen Cappuccino auf. Fast 24 km, knapp 1000 Höhenmeter und so ein wunderbarer Abschluss. Was für ein Tag!
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  • Day 12

    Norbert Balance

    June 11, 2023 in Norway ⋅ ☀️ 21 °C

    Ich habe ja schon ein paar mal geschrieben, dass ich nachts nicht gut schlafe. Aber diese Nacht fällt es mir besonders schwer einzuschlafen. Bis nachts um 23:30 Uhr habe ich noch mein Tagebuch eindiktiert. Ich nutze oft die Diktatfunktion vom iPhone und mache hinterher ein paar Korrekturen. Mein Lieblingsmissverständnis bisher: „Norbert Balance.“ Norbert ist nicht mein Künstlername. Obwohl ich ernsthaft drüber nachdenke. 😄 Norbert Balance. Dieser Name erschien auf meinem Display als ich Norge på langs diktieren wollte.

    Ich drehe mich auf meiner Matratze hin und her. Obwohl es draußen ziemlich frisch ist, ist es im Zelt ziemlich angenehm. Allerdings habe ich bei der Auswahl meines Zeltplatzes die Fähigkeiten meiner aufblasbaren Isomatte ein wenig überschätzt. Der Boden unter mir ist so uneben, dass es keine ideale Liegestellung gibt. Aber das ist mir heute egal. Ich bin so zufrieden mit dem Tag, sowohl mit meiner sportlichen Leistung, als auch mit den Erlebnissen, insbesondere mit den Rentieren zum Schluss. Ich bin mir recht sicher, dass sich mein Körper allmählich an das tägliche Pensum gewöhnt. Außerdem steht mit dem morgigen Tag der Abschluss von einer zweiten, wichtigen Großetappe an. Die erste große Etappe waren die Tage bis Dølemo, wo insbesondere in zwei Tagen ausschließlich Straße zu bewältigen waren. Die zweite große Etappe startete ab Dølemo. Hier wusste ich, dass ich wenigstens fünf Tage nur in der Natur bin, ohne Straßen, ohne Einkaufsmöglichkeit. Beide Etappen waren herausfordernd, liefen in Summe aber ziemlich gut.

    Erst am Morgen gelingt es mir für ein paar Phasen, richtig wegzunicken. Müde, aber motiviert mache ich mir irgendwann den ersten Kaffee. Heute habe ich keine Lust auf Früchtemüsli mit heißem Wasser. Das habe ich jetzt elf Tage lang gefrühstückt. Vom ersten Tag an trage ich noch Trekkingfrühstücke mit mir herum. Heute ist eins davon fällig. Reispudding mit Beeren. Während des Frühstücks lese ich mir noch einmal meine Footprints der letzten beiden Tage durch. Beide sind noch nicht hochgeladen. Insbesondere der von gestern Abend ist schon recht intim. Ich überlege, ob ich ihn wirklich komplett veröffentliche oder Teile davon streiche. Aber auch nach zweimaligem durchlesen stehe ich voll zu dem, was ich schreibe.

    Obwohl ich heute einige Kilometer vor mir habe, die meisten davon auf der Straße, lasse ich den Morgen entspannt angehen. Ich trinke sogar zum ersten Mal einen zweiten Kaffee, den ich draußen in der Sonne genieße. Es ist fast windstill und eine unglaublich schöne Stimmung. Dann mache ich mich aber doch allmählich fertig.

    Zu Beginn suche ich gar nicht erst den Weg, den ich entlang gehen muss, denn das Tal vor mir gibt die Richtung klar vor. Viel entscheidender ist es, wie ich mir den besten Weg zwischen großen Schneefeldern und freiem Gelände plane. Heute breche ich immer häufiger im Schnee ein. Die Sonne scheint hier schon länger rein, und es ist nicht immer einfach, die Schneefelder richtig zu lesen. Später führt eine breite Schneebrücke über einen breiteren Bach. Meiner Einschätzung nach könnte sie halten. Allerdings glaube ich, dass der Konjunktiv hier draußen nicht immer dein bester Freund ist. Also gehe ich einige Meter zurück und finde eine Stelle, wo ich den Bach queren kann, ohne auf die Stabilität einer tauenden Schneebrücke hoffen zu müssen.

    Nach kurzer Zeit öffnet sich das Hochtal, und ein großer Wasserfall fällt rauschend hinab. Mein Pfad war zuletzt sogar durch blaue Punkte gekennzeichnet, denen ich weiter folge. Seitlich vom Wasserfall führt der Weg nach unten und ist immer wieder durch recht steil abfallende Schneefelder verdeckt. Diese betrete ich vorsichtig und haue meine Hacken so fest Es geht in den Hang. Ausrutschen möchte ich hier nicht. Als ich den Weg ein weiteres Mal verliere, schaue ich doch kurz auf Komoot nach. Jetzt sehe ich, dass mein Weg vorm Wasserfall über den Bach noch eine ganze Weile dem Höhenzug folgend weiter verlaufen wäre. Ärgerlich. Aber jetzt wieder umdrehen? Durch die Schneefelder? Auf der Karte sehe ich, dass ich die Straße, auf welche ich später sowieso kommen würde, auch dann erreiche, wenn ich hier querfeldein gerade ausgehe. Ich such mir den bestmöglichen Weg den Berg herab und starte meinen Querfeldeinweg. Zufälligerweise lande ich wieder auf dem Pfad mit dem blauen Punkten. Dieser ist allerdings auf keiner meiner Karten vermerkt. Ich folge dem Pfad, verliere ihn aber bald schon wieder. Ob versumpfter Weg oder querfeldein. Eigentlich ist das kein Unterschied. Und so bahne ich mir zickzack meinen Weg durch kleine Birken, Büsche, Sumpf und kleine Restschneefelder. Es dauert nicht lang und ich komme an eine Hütte, die auch auf der Karte eingezeichnet war. Dank ihr gibt es eine kleine Brücke über den Fluss, der parallel zur Straße verläuft. Während ich die letzten Meter durchs Gestrüpp gemacht habe, habe ich mich mehrfach gewundert, ob ich heute Morgen doch etwas zurückgelassen habe. Mein Rucksack kommt mir unfassbar leicht vor. Nachdem ich den Fluss überquert habe, nehme ich den Rucksack ab, doch schon als ich ihn an einem Arm hebe merke ich, dass er gar nicht so leicht ist. Mein Rücken scheint sich langsam daran zu gewöhnen.

    Die Straße ist leider eine größere, als ich mir gewünscht habe. Immerhin nicht so eine viel befahrene und breite Straße wie die zwischen Evje und Dølemo. Aber auch nicht einer dieser charmanten Forstwege, wie sie zu Beginn oft als Straße in meiner Karte verzeichnet waren.

    Durch meine Abkürzung bin ich noch früher auf der Straße als ich es eigentlich gewesen wäre. Auf Komoot checke ich, wie lange ich nun auf der Straße laufen muss. 27,5 km. Ich hatte mich darauf gefreut, mich für wenige Stunden nicht auf Weg und Gelände konzentrieren zu müssen, das ist mir jetzt aber auch wieder ein wenig viel. Aber: Es ist, wie es ist. Nach wenigen Minuten komme ich an einem Parkplatz mit Mülleimern vorbei. Hier entsorge ich den Müll der letzten Tage und meinen gebrochenen Trekkingstock. Schon nach 1 Stunde auf der Straße spüre ich deutlich meinen Rücken. Das Gehen auf der Straße ist einfach etwas komplett anderes. Während ich heute Morgen und auf dem Weg zur Straße Wasser im Überfluss hatte und daher darauf verzichtet habe, meine Reserven zu füllen, ist hier nun nur die heiße Straße in einem breiten Tal. Ich hoffe, dass sich bald eine Gelegenheit zum Wasser nachtanken ergibt. In ernsthafter Gefahr bin ich hier aber nicht. Zum einen laufe ich an einem Fluss entlang, der zwar so breit ist, dass ich das Wasser nicht zwingend daraus trinken möchte, zum anderen kommen mir alle paar Sekunden Autos entgegen, oder überholen mich, dass ich zur Not um Hilfe fragen kann. Aber es dauert nicht lange und ich finde am Rand der Straße einen kleinen Bach, dem ich mein Vertrauen schenke.

    Nach 11 km mache ich eine richtige Pause. Ein schattiges Plätzchen finde ich nicht, aber mit dem Wind ist es in der Sonne gut auszuhalten. Ich lege mich mit meiner Isomatte auf den Boden. Da aber schon nach kurzer Zeit Ameisen nicht nur am Arm und Kleidung herumkrabbeln, sondern auch Vorstöße in die Hosenbeine wagen, entscheide ich mich, den Rest meiner Mittagspause sitzend auf einem Stein zu verbringen. Es gibt Nussmix und einen weiteren halben Liter Wasser aus dem Bach neben der Straße. Da der erste halbe Liter Wasser drin geblieben ist, kann ich ruhig davon ausgehen, dass das Wasser sauber ist.

    Nach einer Dreiviertelstunde geht es weiter. Mittlerweile ist es richtig warm. Der Asphalt strahlt zusätzliche Wärme von unten. Es geht noch einige Kilometer leicht bergauf, ab da soll es dann aber nur noch bergab gehen bis Dalen. Es macht nicht direkt Spaß, an der doch durchaus viel befahrenen Straße entlang zu laufen, aber stören tut es mich heute auch nicht. Einfach mal stumpf gerade auslaufen, ohne darauf zu achten, wo ich hintrete. Der Rücken schmerzt diesmal nicht so sehr wie bei den ersten großen Straßenetappen. Ich habe seitdem aber auch einiges vom Gepäck weg gegessen. Der Vorteil hier auf der Straße ist, dass ich die Kilometer relativ leicht runter laufe.

    Das einzige was mich stört, sind meine Einlegesohlen. Eine von beiden ist immer irgendwie verrutscht. Im Gelände stört das nicht so sehr. Da ist die Druckverteilung im Schuh bei jedem Schritt eine andere. Hier auf der Straße zeigt sich jeder kleine, verschobene Millimeter. Auf 400 m halte ich dreimal an, um meinen linken Schuh neu auszurichten. Mit den Händen spüre ich keine Unebenheiten. Aber sobald ich mit dem Fuß im Schuh bin und einige Meter gehe, habe ich das Gefühl, dass meine Zehen in einen rund halben Zentimeter breiten Spalt reindrücken. Das nervt richtig aber ich habe keine Lust ein fünftes Mal anzuhalten und wieder ergebnislos irgendwelche Korrekturen an meiner Sohle zu machen. Schließlich versuche ich es dann trotzdem. Ergebnislos. Vielleicht spielen mir auch die Nerven meiner Zehen einen Streich.

    Es ist anstrengend, die Sonne brennt, der Rücken zwickt ein wenig, und die Füße tun weh. Aber mit dem heutigen Ziel vor Augen reiße ich die Kilometer so runter. 4 km vor Dahlen gehen die Serpentinen runter ins Tal. Zwei Kehren unter mir sehe ich einen anderen Wanderer mit großem Rucksack. Vermutlich ist es auch ein NPLer. Wer sonst sollte auf die Idee kommen, diese Straße hier zu Fuß zu gehen. Irgendwie bin ich motiviert, ihn einzuholen. Das hier ist kein Wettkampf! Aber den will ich gewinnen. ;-)
    Noch bevor die Serpentinen enden, hole ich ihn ein. Ich spreche ihn an und wie sich herausstellt, läuft er tatsächlich Norge på langs (Norbert Balance). Er ist Norweger und wohnt selbst irgendwo in der Mitte von Norwegen. Er fragt mich, wie ich mich mit meinen Lebensmittel manage. Er selbst hat sich 28 Pakete über die Strecke verteilt verschickt. Wie sich herausstellt, sind wir am gleichen Tag in Lindesnes gestartet und haben sogar auf dem gleichen Campingplatz übernachtet. Er ist aber die kürzere Route über die Straße gegangen. Das hat ihn gleich einen Tag Auszeit gekostet, weil ihm die Füße so geschmerzt haben. So bestärkt er mich in meiner Wahl, fünf Tage durchs Gelände gegangen zu sein. Er will heute noch ein oder 2 Stunden weitergehen. Ich hingegen biege rechts ab zum Campingplatz und freue mich, wenn ich die heutigen 31 km geschafft habe. Es ging nicht viel bergauf. Dafür aber fast 1200 m runter. 27 km habe ich nur auf der Straße verbracht. Rund 1 km vom Campingplatz ist eine Tankstelle mit kleinem Geschäft. Hier gönne ich mir eine 3,30 € Cola für die Zielgerade. Mir schmerzen die Füße und ich laufe alles andere als rund.

    Der Campingplatz ist ziemlich teuer. Umgerechnet 54 Euro zahle ich für 2 Nächte und eine Waschmaschine. Ich habe aber keine Wahl. Dafür ist der Inhaber sehr freundlich und alles ist sehr gepflegt. Ich baue langsam wie ein alter Mann mein Zelt auf und verstaue nach und nach all mein Zeugs. Nach einer langen heißen Dusche geht es mit den frischesten Sachen die ich habe 450 m in den Ort zu einer Bar/Restaurant. Google sagt, der Ort sei etwas besser besucht als sonst zu der Zeit. Ich hoffe, dass ich einen Platz bekomme.

    Drinnen sitzt niemand. Draußen sitzt einer. Ich rechne mir aus, was hier sonst zu der Zeit los ist. Die Person draußen ist der freundliche Holländer, der mich kurz angesprochen hatte, als ich am Campingplatz ankam. Ich setze mich aber ein paar Tische weiter, um mit Nicole zu telefonieren, bis das Essen kommt. Ich habe Burger und Bier bestellt. Als das Essen kommt, unterbreche ich das Telefonat. Der Burger ist der Hammer! Das Bier auch!

    Nach dem Essen spricht mich der Holländer an. Er entschuldigt sich, dass er mit einem Ohr beim Telefonat zugehört hätte. Aber er war neugierig, weil er von Film und Reise gehört hätte. Ich erzähle ihm meine Geschichte und die Entscheidung gegen den Film. Alles auf englisch und ich bin selbst überrascht, wie gut das funktioniert. Vielleicht kann ich das eines Tages ja doch noch!

    Ich erzähle dem Holländer, dass Norge på langs ein Traum war, nun aber eine echte Challenge. „Every dream coming true is a challenge“, sagt der Holländer. Recht hat er. Es macht Spaß, mit ihm zu reden und wir sind voll auf der gleichen Wellenlänge. Als ich ihn frage, ob er hier Urlaub macht, erzählt er mir seine Geschichte. Das hier sei sein Traum und seine Challenge. Erst vor einigen Wochen ist er hier angekommen. Er will hier Fuß fassen. Es war wohl schon länger sein Traum auszuwandern, er wusste aber nie so recht wohin. Norwegen und speziell dieser Ort hätten es ihm angetan - „you feel it!“ Nun, mit 62 Jahren, habe er diesen Schritt gewagt. Wir beide haben etwas gewagt und sind beide fest davon überzeugt, dass Dinge sich ergeben, wenn man einfach nur anfängt zu machen anstatt ständig seine Bedenken walten zu lassen. Im Alltag fällt mir das trotz meiner guten Erfahrungen oft schwer, „einfach zu machen“. Aber meine Selbstständigkeit und dieses Projekt hier zeigen deutlich, dass es so ist. Klar kann man mal in eine Sackgasse fahren. Aber dann dreht man um und sucht einen anderen Weg. Wichtig allein ist es, dass man runter von dieser scheiß Autobahn kommt und anfängt, seinen eigenen Weg zu entdecken.

    Wir unterhalten uns noch etwas und dann rufe ich Nicole wieder an. Wir quatschen noch eine Weile und ich gehe dabei zum Zelt zurück. Während es in Bayern schon dunkel ist, färbt sich der Hang oberhalb des Tals in das gelbe Licht der Abendsonne.
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  • Day 13

    Nix tun und 1017 EUR

    June 12, 2023 in Norway ⋅ ☁️ 21 °C

    Der lang ersehnte freie Tag! Auf dem ebenen Rasen des Campingplatzes gelingt es mir deutlich leichter, mich morgens noch ein paar mal umzudrehen und wieder einzuschlafen. Gegen halb neun wird es aber dann doch ziemlich warm im Zelt. Die Sonne steht bereits hoch und entfaltet ihre Kraft.

    Ich koche mir einen Kaffee und schreibe meinen Tagebucheintrag von gestern zu Ende. Auf‘s Müsli verzichte ich bewusst. Ich gehe eh gleich einkaufen und werde mir dann irgendwas geiles zum Frühstück holen. Parallel zum Tagebucheintrag schreibe ich mit Tobi, der nicht mehr weit von Rjukan entfernt ist. Ich freue mich auch über seinen Optimismus, dass die östliche Haddangervidda einen Versuch wert ist und die Schneelage ein Durchkommen gegebenenfalls zulässt. Ich lasse mir viel Zeit und koche einen zweiten Kaffee. Ich habe einfach keine Lust aufzustehen. Wozu auch. Da ich aber Hunger habe, gibt es doch Früchtemüsli mit heißem Wasser. Faulheit: 1, Hunger: Früchtemüsli.

    Das Schreiben der Tageszusammenfassungen gibt mir jedesmal viel, weil ich ganz bewusst die Tage noch einmal durchgehe. Es tut mir einfach gut und hierfür nehme ich mir gerne Zeit. Nachdem ich mich für die Route der kommenden vier Tage entschieden habe, steht fest, dass ich heute auch nicht mit dem Bus nach Åmot fahren werde, um Trekkingstöcke zu kaufen. Aufgrund der etwas abgeänderten Route komme ich da morgen sowieso durch. Ehrlich gesagt wäre mir der Ausflug nach Åmot für heute eh zu viel geworden. Mein ToDo-Liste ist lang. Wäsche waschen, einkaufen, nix tun. Insbesondere der letzte Punkt soll heute ein echter Zeitfresser werden.

    Die halbe Ladung Waschmaschine verteile ich auf dem Rasen in der Sonne. Dazu spanne ich etwas Gleitschirmleine als Wäscheleine zwischen zwei Bäumen. Dann tue ich etwas nix. Bald kommt aber der kleine Hunger und ich mache mich auf den Weg zum Supermarkt. „Supermarkt“ ist auch so ein Wort, das zu selten hinterfragt wird, aber das ist eine andere Baustelle. Auf dem Weg frage ich an der Rezeption, ob ich meine Powerbank zum Laden anhängen kann. Ich hoffe, dass sie sich über das Netzteil irgendwie resettet. Draußen sitzt der holländische Besitzer des Campingplatzes, der in etwa mein Alter hat. Vor ihm auf dem Tisch liegt eine kleine DJI Mini 3 Pro. Die Drohne, die ich gerade in meinem kleinen Tagesrucksack zur Post im Supermarkt transportiere. Ich spreche ihn darauf an und wir kommen zunächst über das Drohnenthema ins Gespräch. Wir verstehen uns gut und auch hier bin ich überrascht, dass mein Englisch einer am Ende fast einstündigen Unterhaltung standhält.

    Wie so oft stelle ich immer erst beim Schreiben fest, dass ich die Leute nie nach ihrem Namen frage. So bleibt es der anonyme Holländer mit dem Campingplatz. Auch er hat eine spannende Geschichte. Ursprünglich hat er in Holland im Bereich Cyber Security gearbeitet. Erst als Angestellter, dann als Teamleiter und schließlich als Manager. Gutes Geld habe er damit verdient. Spätestens als Corona kam hatte er die Schnauze voll und hat diesen Campingplatz übernommen. Zuvor ist er von einem Meeting ins andere gerannt. Hier verdient er nur ein Viertel seines ursprünglichen Gehalts, arbeitet dafür nur während der Sommersaison. Mit einem zufriedenen Lächeln erzählt er, dass er hier selbst beim Kloputzen glücklicher ist als in seinem alten Job.

    Ich liebe solche Geschichten, weil jede einzelne davon ein weitere Beleg ist, dass wir die gestern erwähnte Autobahn nicht fahren müssen. Zumindest nicht die ganze Zeit.

    Bei der Post im Supermarkt gebe ich mein Paket auf. Inzwischen routiniert. Die Frau hinterm Tresen sagt, dass sie zum ersten Mal ein Paket aufnimmt, wo sie bei Adresse des Empfängers und Absenders die gleiche Adresse einträgt. In meinem Fall die Adresse von Christian in Oslo. In Norwegen muss man eine norwegische Absenderadresse eintragen. Ich erkläre ihr, dass das die sicherste Methode ist. Ich selbst habe halt keine Adresse und sollte Christian nicht zu Hause sein, geht das Paket halt zurück an Christian. Ein todsicheres Ding!

    Neben Salat und Wurst wandert viel süßer Mist in meinen Einkaufswagen. Aber ich lasse mich nicht so gehen wie ursprünglich gedacht, als ich noch im Gelände war. Danach geht es zurück zum Zelt und ich lege mich eine Weile raus auf den Rasen. Als die Wolken vor die Sonne ziehen und mir eh gerade langweilig wird, lege ich mich ins Zelt. Schon besser. Die Sonne kommt schnell wieder raus und es wird richtig warm aber ich genieße das komatöse Dahindösen.

    Dann gibt es einen doppelten Kaffee und ich schaue nach meiner Powerbar. Sie lädt immer noch nicht und so steht ein weiterer Posten auf meiner Einkaufsliste für Åmot. Noch einmal laufe ich zum Supermarkt, um mir zur Feier des Tages zwei kalte Dosen Bier zu kaufen.

    Mit Brot, Wurst, Bier und ein paar Telefonaten lasse ich den Abend ausklingen. Das war ein erfolgreicher freier Tag! :-)

    Und noch eine kleine Erfolgsmeldung. Mit meiner Ankunft in Dalen habe ich 300 km geschafft und die ersten 1017 EUR erlaufen. Falls wer wen kennt, der wen kennt. Ich nehme natürlich noch weitere Sponsoren für mein Spendenprojekt auf! :-)
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