E1-Deutschland.Süden

May - October 2016
Im dritten Jahr auf dem E1 durch Deutschland. Es geht vom Rhein weiter Richtung Süden zum Bodensee, wo die Wanderreise nach 72 Tagen zu Ende geht.
E1-Tag 41-72, drei mehrtägige Touren durch den Odenwald und den Schwarzwald. 668km
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  • E1-58-D-Harkhof (21km)

    September 18, 2016 in Germany ⋅ ⛅ 13 °C

    Südwärts auf dem Westweg (6)

    Morgens mache ich gerne Gymnastik. Normalerweise spreize ich die Arme, beuge sie dann zu den Fußspitzen und dehne so die Beine, Trizeps, Schultern und die vom Wandern müde Rückenmuskeln. Dann strecke ich die Arme weit in die Höhe, bis es nicht mehr geht, dehne so den Rücken und er ist mir dankbar dafür. Dann biege ich den Oberkörper erst nach links, anschließend nach rechts. So wird die Hüftmuskulatur gedehnt. Ich mache es mit geschlossenen Augen, denn das ist wichtig für die Entspannung des Geistes. Der Körper ist mir dankbar dafür und ich mache es auf jeder Wanderung so. Ich denke, es hält mich fit.
    Doch heute klappt es nicht, denn das Zimmer ist einfach zu klein. Während die eine Hand an den Kleiderschrank stößt, berührt die andere Hand die Duschkabine, die im Zimmer steht, was meine Entspannungsübung empfindlich stört. Und beuge ich mich vor, berühren die Fingerspitzen die Bettkante. Meine Güte, ist das Zimmer klein! Entnervt beende ich meine Morgengymnastik.
    Dagegen war die Nacht sehr ruhig, hier störten keine Geräusche den friedlichen Schlaf. Nur der Regen tropfte die ganze Nacht ohne Unterlass ans Fenster. Und es regnet noch. Das schöne Sommerwetter scheint endgültig vorbei.
    Ich sitze zusammen mit Marie am Frühstückstisch. Das Buffet ist üppig und lecker. Hin und wieder wandern unsere Blicke besorgt Richtung Fenster. Draußen regnet es ununterbrochen. Drinnen ist der Regen das bestimmende Thema.
    „Ich habe meine Regenjacke vergessen“, meint Marie bekümmert.
    „Du kannst doch einen Regenschirm nehmen. Die Pension hat sicher einen für dich“, empfehle ich ihr.
    „Nein. Ich habe mir das schon überlegt. Ich schneide mir wohl einen Müllsack zurecht.“
    „Marie Müllsack!“ entfährt es mir spontan und ich muss laut lachen. Ich erzähle ihr vom Appalachian Trail. Dort erhält ein Wanderer einen Trailnamen, den er fortan statt seines eigenen Namens verwendet, solange er auf dem Trail wandert. Er deutet auf eine Eigenart hin und bildet sich meist wie von selbst. Irgendwann ist der Name da. Marie hätte dort bestimmt ihren Namen jetzt verpasst bekommen. Auf dem AT würde sie jetzt nur noch Marie Müllsack genannt werden.
    Ihr gefällt der Name.
    Neben uns sitzt ein Pärchen mittleren Alters. Auch sie sind auf dem Westweg unterwegs und weiter hinten sitzen zwei ältere Damen, die ich gestern überholt hatte. Auch sie sind auf dem Westweg unterwegs, wie uns das Pärchen verrät. Wir alle haben also denselben Weg und, wie sich herausstellt, auch dasselbe Ziel. Heute streben wir alle zum Harkhof. Das ist für den Westweg vielleicht normal, weil auf ihm viele Wanderer unterwegs sind und es nicht so viele Unterkünfte gibt, aber für mich als Weitwanderer ist es eine neue Erfahrung. Bisher war ich fast immer alleine unterwegs, habe auf den Touren oft keinen Menschen getroffen und wenig gesprochen. Meine Abende habe ich meistens alleine verbracht. Auf dem Westweg ist alles anders. Und das gefällt mir gerade richtig gut.
    Nun aber ist es Zeit, aufzubrechen. Jeder in seinem Rhythmus und zu seiner Zeit. Ich mache mich erst auf den Weg, als die anderen schon weg sind. Ich habe mich mal wieder mit dem Wirt verquatscht.
    Es regnet immer noch. Vor mir dampft der Wald. Hinter mir verschwindet die Zuflucht im Nebel. Die Regenjacke ist schon nass, aber nur von außen, nach innen lässt sie keinen Tropfen durch. Ein Hoch auf das gute Material! Wie ergeht es wohl Marie mit ihrem Müllsack? Und Martina mit ihrem Regenschirm, den sie ja heute wohl den ganzen Tag brauchen wird. In der einen Hand den Regenschirm und in der anderen den Rucksack, den sie hinter sich her zieht? Und ihre selbstgenähten Wollsachen werden heute sicherlich einer harten Bewährungsprobe ausgesetzt.
    „Ob sie heute aufgeben wird?“, frage ich mich. Hoffentlich nicht!
    Der Weg ist passend für das feuchte und nebelige Wetter: Wald links und Wald rechts. Weit schauen kann man nicht, aber es gibt wohl auf dieser Tour auch gar nicht viel zu sehen außer Wald. Mitunter kommt er sogar sehr nahe und der breite Forstweg wechselt für lange Zeit mit einem schmalen Pfad, der über die Höhen des Schwarzwalds führt.
    Eine kurze Rast in der Lettstedter Hütte gibt mir für eine halbe Stunde Unterschlupf vor dem Nieselregen. In der Hütte bin ich nicht alleine. Eine Frau hat mit ihrem zehnjährigen Sohn ebenfalls Schutz gefunden und erzählt, dass sie die letzte Nacht im Auto verbracht haben.
    Weiter geht es. Die Frau und ihr Sohn gehen in die eine Richtung, ich in die andere. Ich bin wieder alleine. Gräser und Farne streifen an meinen Hosenbeinen entlang, die Wassertropfen durchnässen Hose und Wanderstiefel. Die nahen Bäume recken ihre dunklen Stämme lang in die Höhe. Manchmal ist der Wald so dicht und dunkel, dass ich den Namen „Schwarzwald“ nun verstehe. Abgestorbene Bäume stehen am Weg, geisterhaft greifen ihre Äste wie Arme nach mir. Hin und wieder ist es unheimlich im Wald und gelegentlich fühle ich mich unwohl auf den
    schmalen Pfaden.
    „Was soll passieren?“, versuche ich mich dann zu beruhigen. Ich denke an den Kahlen Asten, auf dem ich hoch oben im letzten Jahr stand. Auch dort dichter Nebel, auch dort griffen Baumgeister nach mir. Da war ich noch im Rothaargebirge.
    Mitten im Wald steht plötzlich das nächste Portal vor mir. Die Freiersberger Hütte gab dem Portal ihren Namen. Oder war es umgekehrt? Ich weiß es nicht, und es ist mir auch egal. Bezeichnenderweise ist das Portal ganz aus Stein und wird die Nässe überdauern. Die Steine triefen genauso wie ich. Weiter, hier ist es zu nass für einen längeren Aufenthalt.
    Nur zwei Kilometer weiter liegt die Haaghütte und die trockene Bank auf dem Balkon lädt zur Rast ein. Die Hütte ist groß und hat einen angrenzenden Raum. Die Tür ist nicht versperrt. Neugierig betrete ich den dunklen Raum, kann einen Tisch, vier Stühle und vier Schlafstellen an der Wand ausmachen. In der Mitte des Raumes steht ein Ofen, daneben liegt Brennholz. Hier könnte man also bequem übernachten. Isomatte und Schlafsack auf der Schlafstelle ausgebreitet und fertig. Nur mit dem Ofen sollte man wohl vorsichtig sein, denn der ganze Raum ist rußgeschwärzt. Womöglich ist der Abzug verstopft. Einen Tag später soll ich einen Wanderer an der Kreuzsattelhütte treffen, der mir erzählt, dass er in der Haaghütte übernachtet habe. Er hätte versucht, Feuer zu machen und verqualmte die ganze Bude.
    „Und meine Nacht war kurz, denn ich hatte ein unheimliches Erlebnis. Irgendetwas schlich um die Hütte und machte ganz eigenartige Geräusche. Ich glaube, es war ein Luchs, der herein wollte. Aber zum Glück hat er es nicht geschafft.“
    Ich muss lachen und an die Schmiererei denken, die ich über dem Hütteneingang fand:
    "Heike + Martin auf dem Westweg. Kämpften hier nachts gegen Mäuse, groß wie Hunde. Ansonsten tolle Hütte! 3.9.2012 "
    Ob ich mich trauen würde, ganz alleine in einer solchen Schutzhütte zu übernachten? Noch bin ich mir nicht sicher. Aber ich werde es bald versuchen müssen.
    Mein Wasser kocht gerade, da kommen die beiden älteren Damen direkt aus dem Nebel auf mich zu. Ich lade sie auf einen Tee ein. Sie nehmen dankbar an und setzten sich zu mir auf die Bank. Der heiße Tee wärmt die Finger und auch den Bauch. Herrlich. Wie wenig es braucht, um zufrieden zu sein. Die Damen hält es nicht lange und sie sind schon fort, als ich meine Sachen wieder verstaue. Offenbar brauche ich mehr Pausen als andere. Nur Martina braucht noch mehr Pausen als ich.
    Der erste Wegweiser weist zum Harkhof, doch es sind noch ein paar Kilometer dorthin. Weitere Hinweisschilder sollen folgen. Es ist ja auch die einzige Herberge in dieser einsamen Gegend, man sollte sie also finden.
    Irgendwann teilt sich der Wald, ich trete auf eine Wiese. Hier sollte man weit schauen können, aber der Nebel verschluckt alles. Irgendwo tönt eine Kuhglocke, ansonsten herrscht friedliche Stille. Wo nur liegt der Hof? Da, wieder ein Wegweiser. Er weist nach rechts, wo es steil bergab geht. Und da endlich taucht wie der fliegende Holländer ein großes Gebäude aus dem Nebel auf. Zuerst sehe ich nur Kuhställe, dann endlich auch das Wirtshaus. Warmes Licht strömt aus den Fenstern. Oh, wie ich mich nach Wärme und Trockenheit sehne! Zaghaft öffne ich die Tür. Herzlich werde ich begrüßt und gleich bestelle ich Kaffee, dazu Apfelkuchen mit Schlagsahne. Der wird hier selbst gemacht und die Äpfel schmecken wie frisch gepflückt. Kumpel ruht neben mir und ist froh, endlich dem endlosen Regen entronnen zu sein. Marie gesellt sich hinzu, sie ist schon lange vor mir angekommen und ist in der Gemeinschaftsunterkunft am Kuhstall untergebracht. Sie legt ein Notizbuch auf den Tisch, beginnt, Notizen aus einem Heft in ein anderes zu übertragen. Sie hat eine wunderbare Handschrift und bewegt die Hand, in der sie den Stift hält, langsam und bedächtig über das Papier, während sie Buchstabe für Buchstabe kunstvoll aneinander reiht. Sie gibt sich wirklich
    Mühe.
    "Warum machst Du das?", frage ich.
    „Ich übertrage mein Reisetagebuch, damit meine Eltern es lesen können. Meine
    Aufzeichnungen sind auf mehrere Zetteln verteilt, so will ich es ihnen nicht geben."
    So erlebt sie also auf dieser Wanderung ihr Abenteuer ein weiteres Mal, so wie auch ich meine Wanderungen während des Schreibens auch immer noch ein drittes Mal erlebe. Allerdings erst nach der Tour.
    Die Eheleute treten herein und auch die beiden Damen finden sich ein. So wird es ein gemütlicher Abend in der Schwarzwälder Stube weitab aller Orte und Straßen.
    Genau so, wie der Schwarzwaldprospekt es beschrieb.
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  • E1-59-D- Hausach (16km)

    September 19, 2016 in Germany ⋅ ⛅ 18 °C

    Südwärts auf dem Westweg (7)

    Es ist still, völlig still auf dem Harkhof. Ich schlafe herrlich durch, bis das Meckern einer Ziege mich weckt. Das hätte ich gerne jeden Tag so. Ich schaue aus dem Dachfenster, kann die Ziege im Nebel aber nicht entdecken. Ich drehe mich noch einmal um und warte auf bessere Zeiten. Irgendwann aber muss ich aufstehen, denn heute werde ich die letzte Etappe dieser Tour gehen. In Hausach wartet morgen der Zug auf mich. Also muss ich weiter. Muss ich wirklich? Nein, ich will auch!
    Ich steige die knarrende Treppe hinab, freue mich auf ein deftiges Frühstück auf dem Bauernhof. Wie sich herausstellt, sind wir Wanderer die einzigen Gäste. An einem Tisch ist für uns alle gedeckt. So, als wären wir eine richtige Wandergruppe. Irgendwie sind wir es auch geworden, jedenfalls für Momente.
    Alle sitzen gemeinsam am Tisch, nur eine fehlt noch. Da geht die Tür auf und eine strahlende Marie kommt herein.
    „Ich durfte beim Kühe melken zusehen“, sagt sie mit leuchtenden Augen. „Das war ein großer Wunsch von mir. Die Kühe haben mich heute Morgen sogar geweckt". Ihre Gemeinschaftsunterkunft liege direkt neben dem Kuhstall, erzählt sie freudestrahlend.
    Ich verlasse mal wieder als Letzter den Hof. Und ich gehe nicht gerne von diesem Ort, der so still und friedlich liegt voll der Ruhe, Wärme und Geborgenheit. Hier scheint die Zeit still zu stehen oder wenigstens langsamer zu vergehen.
    Auf der anderen Talseite schaue ich noch einmal zurück zum Harkhof. Der Nebel hat sich verzogen und der Sonne Platz gemacht. Jetzt kann ich auch die Kühe auf der Weide sehen, deren Existenz gestern nur Glocken ahnen ließen. Dann drehe ich mich um, lasse los, schaue nach vorne auf den Weg. Weiter geht’s, es gibt noch so viel Neues zu erleben.
    Was wird mich heute auf den letzten fünfzehn Kilometern dieser Tour überraschen? Fünfzehn Kilometer, das ist nicht weit und lässt genügend Zeit für mußevolles Wandern und ausgiebige Pausen.
    Drei Schutzhütten liegen am Weg.
    An der Kreuzsattelhütte treffe ich auf den Wanderer, der die Nacht in der Haaghütte mit dem Luchs gekämpft haben wollte. Er erzählt, dass er vor hat, den Westweg bis zum Ende nach Basel zu gehen. Er will nur in Schutzhütten übernachten. Dafür ist er gut gerüstet, meint er. Ich frage ihn ordentlich aus über seine gemachten Erfahrungen und es klingt ermutigend, was er erzählt. Während er redet, dampft sein Shirt in der Sonne. Schließlich geht er weiter. Ich werde ihn nicht wieder sehen. Ob er in Basel ankommen wird? Sicherlich.
    Die Kreuzsattelhütte ist verschlossen und eine Übernachtung scheint nicht möglich. Aber es gibt einen Brunnen mit frischem Wasser. Ich habe aus ihm getrunken, es ist mir gut bekommen.
    Der Weg ist breit, ich komme gut voran. In Windeseile bin ich an der Hohenlochenhütte. Auch diese Hütte ist verschlossen, aber das Vordach wohl groß genug, um für eine Nacht Schutz zu bieten. Benjamin Claussner hat hier einmal übernachtet, wie ich in einem seiner Schwarzwaldvideos entdeckt habe. Kumpel darf ruhen, während ich auf meinem Kocher die letzte Tütensuppe erwärme. Neben der heißen Suppe genieße ich auch die herrliche Aussicht und die Sonne, deren Strahlen schon fast zu warm sind. Bevor ich weiter gehe, untersuche ich noch eine brandneue, klitzekleine Holzhütte, die direkt neben der Haupthütte errichtet wurde. Zu meiner Überraschung ist sie nicht verschlossen und bietet Raum für vier Übernachtungsgäste. Wie toll ist das denn! Ein Brunnen liegt in der Nähe.
    Weiter geht es bergab, bald wieder bergauf. Als letztes Highlight wartet der Spitzfelsen auf mich. Aus 570m Höhe schaut man vor dort in das tief liegende, aber schon nahe Hausach. Von unten dringt Verkehrslärm herauf und mahnt so, dass diese Tour nun bald zu Ende sein wird.
    Doch noch ist es nicht so weit. Lange stehe ich am Gipfelkreuz, schaue in die Runde. Bevor ich mich an den Abstieg mache, werfe ich noch einen Blick in die Spitzfelsenhütte. Sie ist geschlossen, doch nicht verschlossen. Drinnen ein Tisch, zwei Bänke. Auf dem Tisch Blumen und eine Kerze. Auch hier könnte man wohl übernachten, zwei Personen finden
    vielleicht auf dem großen, breiten Tisch Platz. Doch frisches Wasser gibt es hier nicht.
    Schlimm ist, dass an der Stirnseite der Hütte ein Schild angebracht sein muss. Darauf geschrieben steht:
    << Liebe Wanderer, die wieder aufgebaute Spitzfelsenhütte möge Euch bei der Rast viel Freude bereiten. Dazu könnt ihr mithelfen. Haltet die Hütte sauber, verzichtet auf Einritzen oder Anschreiben Eures Namens, entfacht kein Feuer, denn schon einmal zerstörte ein Brand das lobenswerte Werk fleißiger Hände. Januar 2010 >>
    Sätze, die jedem Gast selbstverständlich sein sollten, es aber offenbar nicht jedem sind.
    Dann kommt der letzte Abstieg. Steil geht es nach Hausach hinab. Der Westweg gibt noch einmal alles, doch vom Tal tönt immer lauter der Verkehrslärm herauf. Da liegt ein Baumstamm quer, liegt da wie ein Schlagbaum und signalisiert mir, dass die Tour zu Ende sei. Doch es geht noch ein Stück weiter. Eine Brücke überquert die Kinzig und ich gehe nun den Kinzigdamm entlang, der mich in die Stadt führt. Am rechten Ufer tönt - für mich fast unerträglich - der Lärm einer Schnellstraße herüber. Man kann sich so schnell des Krachs und der Hektik entwöhnen, wenige Tage genügen da bereits.
    Und schließlich stehe ich vor dem letzten Portal dieser Tour, dem hölzernen Kinzigtaltor. Ich werde etwas wehmütig und merke, dass ich gerne noch weiter wandern würde. Aber von hier nach Hause zurück zu fahren, das sah mein Plan so vor, der Zug ist gebucht. Lange verweile ich - mich fragend, ob ich dieses Jahr noch weiter wandern werde. Ich weiß es in diesem Moment nicht.
    Nur wenige Schritte noch bis zum Hotel „Zur Eiche“. Es liegt zentral mitten im Ort. Auch hier hatte ich mir vor Monaten schon ein Zimmer reserviert. Es liegt zur Straße und es verspricht eine unruhige Nacht zu werden.
    „Eine gute Eingewöhnung an die Großstadt, in die ich morgen wieder zurück kehren werde“, denke ich, während ich das Zimmer betrete.
    Abends sind alle wieder da: Marie, das Ehepaar und die beiden älteren Damen. Unser Lachen und die gute Laune vergolden an diesem Abend die zu helle Gaststube. Für die beiden Damen ist heute mit dem Wandern ebenfalls Schluss, die anderen wollen weiter wandern.
    Am nächsten Morgen kommt der Abschied und die Wandergruppe zerfällt. So ist das beim Wandern: Menschen treffen sich, lernen sich kennen, gehen ein Stück gemeinsam und verabschieden sich nach einer Weile wieder voneinander, um sich dann vermutlich niemals wieder zu sehen.

    Gilt das nicht auch für das normale Alltagsleben? Ist darauf nicht alles aufgebaut?
    Und ist es nicht gut so?
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  • Dem Ziel entgegen

    October 10, 2016 in Germany ⋅ ⛅ 10 °C

    Auf Westweg, Mittelweg und Querweg durch den Schwarzwald von Hausach zum Bodensee | 256 km, 12 Tage | 11.-22.10.16 | Übernachtungen in Schutzhütte, wildes Campen, Campingplätzen, Naturfreundehaus, DJH und Gasthöfen.

    Auf der letzten Tour durch Deutschland geht über Berge und Täler des südlichen Schwarzwaldes. Auf dem Feldberg, der höchsten Erhebung der Wanderung durch Deutschland wechselt der E1 vom Westweg auf den Mittelweg. Für zwei Tage geht es durch die wilde und wunderschöne Wutachschlucht. Es folgt der weniger begangene Querweg durch die pittoreske Hegau mit ihren vielen Hügeln vulkanischen Ursprungs. Obendrauf Burgruinen und überall finden sich Spuren von Napoleons Streif- und Streitzügen.
    War das Wetter im Oktober auch vornehmlich herbstlich frisch mit meist bedecktem Himmel, gab es auch sonnige Tage. Die Nachtemperaturen lagen durchweg unter dem Gefrierpunkt und forderten Zelt, Schlafsack, Isomatte und insbesondere mich heraus. Wie gut, dass es auch einige Nächte in festen Unterkünften gab.

    Die Wegmarke des E1 bekam ich auf dieser letzten Etappe nicht mehr zu sehen. Der Verlauf wird durch die Wegmarken anderer Wanderwege gekennzeichnet.

    Und endlich liegt das Ziel in Sichtweite: Konstanz am Bodensee an der deutsch/schweizerischen Grenze.
    Die folgenden Footprints berichten von dieser Tour.
    Die Route auf Komoot: https://www.komoot.de/tour/13168720
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  • E1-61-D- Hasemannhütte (6km)

    October 11, 2016 in Germany ⋅ ⛅ 9 °C

    Dem Ziel entgegen (1)

    Vier Wochen später stehe ich wieder am Bahnhof von Hausach und wuchte Kumpel aus dem Zug. Der Rucksack hat im Vergleich zur letzten Tour ordentlich zugelegt, denn Zelt, Schlafsack, Isomatte, Lebensmittel für mehrere Tage und zusätzliche elektronische Geräte bringen vier Kilo zusätzlich auf die Waage.
    Eigentlich sollte für dieses Jahr Schluss sein mit dem Wandern. Doch das Wetter war im September noch so schön und stachelte meine Wanderleidenschaft ein weiteres Mal an. Schließlich sind es nur noch zweihundertfünfzig Kilometern bis zum Bodensee und ich hoffe, am Ende dieser Tour mein Wanderziel - den Bodensee - zu erreichen.
    Damit es geschafft ist und ich frei bin für neue Wege.
    Das heutige Ziel ist dagegen bescheiden. Ich will nur den Farrenkopf hinauf. Auf seinem Gipfel steht eine Hütte, in der ich für heute Nacht Schutz suchen möchte. Das allerdings stellt für mich eine besondere Herausforderung dar, denn es wird meine erste Übernachtung in einer Schutzhütte sein.
    Als ich noch einmal am Hotel Eiche vorbei schreite, flüstert mir mein fieser innerer Schweinehund zu:
    "Nimm dir doch ein Zimmer, denn da oben wird es bitterkalt sein."
    "Kommt nicht in Frage", erwidere ich entschlossen. "Es wird schon nicht so schlimm werden". Doch ganz sicher bin ich mir nicht.
    Die erste Wegmarke des Westweges weist nach Süden, den Berg hinauf. Bald komme ich an der Ruine Husen vorbei. Ein kurzer Blick zurück auf Hausach, dann richten sich meine Schritte weiter gen Gipfel. Ab hier wird es richtig steil.
    Auf halber Strecke liegt die Hasenecklehütte, doch sie bietet zu wenig Schutz für eine Übernachtung. Weiter geht es durch den Herbstwald, bunte Blätter rascheln lustig unter meinen Schritten. Ich mag dieses knisternde Geräusch und es lenkt von der Mühsal des beschwerlichen Aufstiegs ab.
    Ein kleiner Wegweiser führt zu dem Brunnen, der unterhalb der nächsten Schutzhütte liegt. Ich hatte schon ungeduldig Ausschau gehalten, denn Wasser brauche ich noch für die Abendmahlzeit, den Tee und meine Katzenwäsche. Er liegt wohl hundert Meter unterhalb des Weges und eigentlich ist der Brunnen lediglich ein Kunststoffrohr, das aus dem Hang ragt und sein Wasser nur tröpfelnd abgibt. Geduldig muss ich warten, bis die Wasserflasche gefüllt ist, gebe am Ende noch eine Tablette zur Aufbereitung hinzu, damit Chlor und Silberionen eventuelle Keime abtöten. Vermutlich ist diese Vorsicht hier oben gar nicht nötig. Aber Vorsicht ist besser als Magenkrämpfe.
    Es dämmert, als ich die Hasemann-Hütte auf dem Gipfel des Farrenkopf erreiche. Was mache ich, wenn die Hütte verschossen ist? Zaghaft drücke ich an der Tür. Sie ist offen und hinter ihr liegt ein großer Raum, dessen Ende wegen des kargen Lichts, das durch zwei sehr kleine Fenster dringt, kaum auszumachen ist. Ich trete ein und gewöhne meine Augen an die Dunkelheit. Nach einer Weile kann ich eine feste Treppe ausmachen, die nach oben führt. Dort werde ich wohl mein Nachtlager aufschlagen können.
    Hier werde ich es eine Nacht aushalten. Es scheint ein guter Zufluchtsort zu sein. Glück gehabt! Ich werfe Kumpel auf die lange Bank und bin froh, seine schwere Last los zu sein. Auf dem großen Tisch steht ein Kerzenstumpf, den andere Wanderer vermutlich zurück gelassen haben. Licht zu haben, wäre jetzt wichtig, denn bald wird es vollständig dunkel sein. Ich suche mein Feuerzeug in den Tiefen meines Rucksack, muss lange graben. Dann endlich verbreitet ein goldener Schein wärmenden Glanz in meine bescheidene Unterkunft.
    Von draußen dringt Gemurmel herein und plötzlich wird die Tür aufgestoßen. Ein Mann steht im Türrahmen, den er vollständig ausfüllt. Ich bekomme einen riesigen Schreck, aber auch er steht wie angewurzelt da und schaut mich aus großen Augen an.
    "Wollen Sie etwa hier übernachten?", fragt er schließlich. Neugier liegt in seiner Stimme.
    "Ja, ... sicher", erwidere ich zaghaft und merke in diesem Augenblick, dass ich mir gar nicht sicher bin. Weitere Gestalten drängen in die Hütte - meine Hütte. Auch ihre Augen sind groß, als sie mich sehen. Tausend Gedanken schießen mir durch den Kopf. Am deutlichsten erinnere ich diesen: Hoffentlich bleiben sie nicht. Ich hätte die Hütte jetzt lieber für mich alleine.
    "Na, da passen Sie mal gut auf sich auf. Wir müssen weiter, denn gleich wird's dunkel und wir wollen noch runter ins Tal nach Hausach."
    Ich bin erleichtert.
    Ich lehne an der Hüttentür, während die Leute ihre Mountain-Bikes besteigen und geschwind' den Berg hinab sausen. Schnell sind sie verschwunden und ich wieder alleine. Lange noch lehne ich im Türrahmen und lausche in die Stille hinein, die mich umgibt. Doch auch hier oben hört man die Geräusche der Stadt noch, die aus dem Tal herauf bis zum Gipfel tönen. Ich frage mich, ob es in Deutschland überhaupt Orte völliger Stille gibt, wenn es nicht einmal hier völlig ruhig ist.
    In der Zwischenzeit ist es vollständig dunkel geworden und überraschend überkommt mich ein schreckliches Gefühl des Alleinseins. Mir wird kalt und ich weiche zurück in die Hütte, suche dort Schutz, ziehe die Tür hinter mir zu, so fest es nur geht. Ich bin froh über das bisschen Kerzenschein, das drinnen etwas Licht und ein wenig Wärme spendet.
    Auspacken, unterm Dach den Schlafplatz richten, die Trockenmahlzeit zubereiten, Tee kochen. Das muss ich jetzt machen. Und etwas Warmes essen und trinken. Erst als die Geschäftigkeit nachlässt, spüre ich wieder die Kälte, die allmählich meine Beine hochkriecht. Und das Alleine sein.
    Es ist erst zwanzig Uhr. Was jetzt machen, was tun? Es gibt nichts. Außerdem ist es kalt. Ich beschließe, schlafen zu gehen, auch wenn ich noch nicht müde bin. Der Dachboden ist groß, leer und ungemütlich. In der Raummitte habe ich mein Lager ausgebreitet. Umhüllt von warmer Merinounterwäsche husche ich in den Daunenschlafsack, der auf der isolierenden Luftmatratze liegt, die auch mit Daunen gefüllt ist. Bald ist mir nicht mehr kalt. Aber kuschelig wird es nicht.
    Ich schließe die Augen und versuche an nichts zu denken, will einschlafen. Doch das gelingt mir nicht. Unbekanntes, das ich nicht einordnen kann, dringt an mein Ohr. Geräusche werden in meinem Gehirn zu unheimlichen Kobolden, die in meiner Fantasie draußen um die Hütte tanzen. Die Tür ist nur angelehnt, wird mir bewusst. Was wäre, wenn sie reinkommen? Ich versuche wieder und wieder, an nichts zu denken. Doch der Grusel bleibt.
    Bis ich irgendwann doch einschlafen sein muss.
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  • E1-62-D- ein Feld bei Schonach (22km)

    October 12, 2016 in Germany ⋅ ☁️ 9 °C

    Dem Ziel entgegen (2)

    Ein Sonnenstrahl, der durch das kleine Dachfenster der Hasemannhütte schimmert, lässt mich wach werden. Ich habe fest durch geschlafen und nun sind die Kobolde der Sonne gewichen. Ich fühle mich trotz des Gruselns ausgeschlafen und fit, habe gute Laune und bin bereit für neue Taten.
    Doch kaum habe ich mich aus dem warmen Schlafsack geschält, empfängt mich klirrend kalte Luft. Schnell schnappe ich mir Zahnbürste und Wasser und trete vor die Tür. Brrr, ist das kalt! Ein menschliches Bedürfnis treibt mich in die Büsche. Der Boden ist gefroren...
    Rasch packe ich meine Sachen zusammen, Frühstück wird es erst später geben.
    Es ist noch keine neun Uhr, als ich wieder unterwegs bin. Jetzt geht es den Farrenkopf auf seiner südlichen Seite wieder herunter und schon nach einer Stunde kommt die nächste Schutzhütte in Sicht. Vor der Büchereckhütte steht eine Bank in der wärmenden Morgensonne. Ich breite meine Habseligkeiten vor mir aus, ein ausgedehntes Frühstück macht mich richtig fit und am nahen Brunnen stocke ich meine Wasservorräte auf. Wieder kommt eine Chlortablette hinzu, auch hier ist es vermutlich nicht notwendig, weil die Quelle so nahe am Gipfel sauber sein wird.
    Gestärkt geht es weiter. Berg rauf und Berg runter, so geht es den ganzen Tag den Westweg entlang. Am Wegesrand liegen einige Windkraftanlagen, die bereits von Weitem auszumachen sind. Der Schwarzwaldromantik gibt das einen Dämpfer, aber jeder Mast erzeugt Strom für 2.000 Haushalte und dient dem sauberen Fortschritt. Was ist wichtiger?
    Das heutige Wanderhighlight ist der Karlstein, der unweit des Westwegs aufragt und leicht bezwingbar scheint. Oben gibt es einen herrlichen Rundumblick und die Gewissheit, wieder einmal auf über 1.000 Höhenmetern zu sein. Der Himmel ist blau, die Luft glasklar und die Sonne wärmt. Was braucht es mehr, um mein Wanderherz glücklich zu machen?
    Einen Kaffee!
    Da wandere ich an einem Schild vorbei wandere. Ich lese: "Irenes Kuchen musst du versuchen". Das lasse ich mir nicht zwei Mal sagen und schon sitze ich bei ihr auf der Terrasse, genieße bald sowohl Kaffee als auch Kuchen.
    "Das Schild hast du doch schon einmal gesehen". Ich rede beim Wandern manchmal mit mir selbst. Und es fällt mir gleich ein: es war in dem Schwarzwaldvideo von Harald Roller (Min. 12:55), der hier ebenfalls pausierte. Ich plaudere noch ein wenig mit der Wirtin (ist es Irene?) und erfahre, dass man in ihrer Pension für wenig Geld übernachten kann.
    "Nur Duschen kann' st net, wi' häbbe zu wenich Wasser. Es hat heuer zu wenich g'regnet."
    "Aha", meine ich und da habe ich die Erklärung, warum aus den beiden Quelle so wenig Wasser tröpfelte. "Ich gehe eh noch ein Stück. Zum Übernachten ist es mir noch zu früh."
    Bei Schonach komme ich beim nächsten Gasthaus vorbei. Nun wäre die Zeit recht für eine Übernachtung, aber ausgerechnet heute – an einem Mittwoch - hat die Wilhelmshöhe Ruhetag. Es soll nicht da letzte Mal sein.
    Weiter also.
    Auf der anderen Straßenseite stoße ich auf das nächste Westweg-Portal. Dieses hier wirkt durch aufgeschichtete große Felssteine sehr imposant.
    Ein paar Kilometer weiter, die Schatten werden bereits lang, balanciere ich auf schmalen Planken übers Moor. Sie führen zum Blindensee, hier könnte ich mein Zelt aufschlagen, denke ich mir. Doch ich finde an diesem idyllischen Ort keinen Platz, es ist einfach zu feucht hier. So muss ich weiter. "Es wird schon etwas kommen", rede ich mir ein. Eine Herberge liegt allerdings nicht mehr am Weg, so viel weiß ich.
    Eine Wiese, eingebettet zwischen zwei Wäldchen, bietet einen guten Platz zum Zelten. Der Platz, den ich aussuche, ist von der roten Abendsonne beschienen, die bald hinter den gegenüber liegenden Bergen verschwinden wird. Eile ist geboten! Das Zelt steht nach fünf Minuten, nach weiteren fünf Minuten ist die Isomatte aufgeblasen und der Schlafsack ausgerollt. Ich bringe meinen kleinen Kocher zum Sieden, übergieße das Trockenfutter mit dem kochenden Wasser. Nach neun endlos erscheinenden Minuten kann ich es endlich direkt aus der Tüte genießen. Es schmeckt tatsächlich gut, aber nach einem langen Wandertag schmeckt wohl alles. Danach gibt es einen Pfefferminztee und die Wärme tut gut. Derweil verschwindet die Sonne abrupt hinter dem Berg, so, als hätte jemand den Stecker gezogen. Schlagartig wird es kalt, richtig bitterkalt. Ich muss Schutz suchen im Zelt.
    Und wieder taucht die Frage nach einer Beschäftigung auf. Was soll ich anfangen mit dem noch jungen Abend? Ich finde eine Antwort: Musik hören auf dem IPhone. Den kostbaren Strom, den das jetzt verbraucht, werde ich morgen schon über das Solarpanel nachladen können, hoffe ich.
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  • E1-63-D- ein Feld bei Breitnau (32km)

    October 13, 2016 in Germany ⋅ ☁️ 6 °C

    Dem Ziel entgegen (3)

    In der Nacht ist es stürmisch und wenn der Wind besonders heftig durch die Tannen pfeift, wache ich davon auf. Im Zelt aber ist alles ruhig und der Schlafsack hält mich ausreichend warm.
    Als der Morgen dämmert, bin ich ausgeschlafen. Zähneputzen, Katzenwäsche, Wasser heiß machen. Es gibt Müsli und Tee. Dann Zusammenpacken, das Zelt kommt feucht in den Beutel. Es gibt keine Chance, es zu trocknen.
    Ready to go.
    Der Waldboden ist noch gefroren, als ich losgehe. Heutiges Ziel ist der Brend, danach soll es weiter zum Titisee gehen, den ich aber voraussichtlich heute noch nicht erreichen werde.
    Der Weg, der sich sanft mal abwärts und dann wieder aufwärts einen Kammweg entlang schlängelt, macht mir Freude. Bald bin ich am Martinshof, der für Wanderer Zimmer anbietet. Gleich darauf biegt der Westweg rechts ab. Während ich ihm folge, sehe ich linkerhand eine kleine Kapelle. Doch ich will weiter und verpasse so die Bregquelle, einen Quellfluss der Donau. Später lese ich, dass der Besuch der Quelle Wanderpflicht sei. Nun, dieser Fleck der Allgemeinbildung wird für mich auf ewig blind bleiben, denn hier komme ich vermutlich kein zweites Mal vorbei.
    Nur wenig weiter liegen die Günterfelsen, denen man unbedingt einen Besuch abstatten sollte. Die großen Granitbrocken liegen zwar etwas abseits des Westwegs, aber der Abstecher lohnt. Während ich zwischen den Felsen herumsteige, fühle ich mich an das Felsenmeer im Odenwald erinnert, deren Entstehungsgeschichte ähnlich verlief. Die großen Felsbrocken haben schmelzende Eisberge hier hinterlassen.
    Nun geht es den Brend hinauf, nach zwei Kilometern habe ich ihn erklommen. Doch zuvor führt der Weg noch an einem Naturfreundehaus vorbei, durch die Fenster schimmert einladendes Licht. Ich könnte reingehen für ein zweites Frühstück. Ich hätte es machen sollen, doch ich gehe vorbei. So werde ich das Wesen der Naturfreundehäuser erst später kennen lernen.
    Auf dem Brend gibt es einen großen Parkplatz, mehrere Rastplätze, Feuerstellen und sogar einen Kinderspielplatz. Im Sommer mag hier viel los sein, doch jetzt im Oktober ist hier oben kein Mensch. Ich lasse mich in der großen Brendhütte nieder und genieße bei Tütensuppe und Kaffee die Weitsicht ins Tal.
    Am frühen Nachmittag komme ich am Gasthaus Kalte Herberge vorbei. Der Name rührt aus unruhigen Zeiten, als Bauern aus der Nachbarschaft und Bürger aus den nahegelegenen Städten ihre Vorräte und Wertsachen in den versteckten Kellergewölben des Gasthauses in Sicherheit gebracht haben. Im alten Schwarzwälder Dialekt bedeutet "verstecken" gleich "verkalten". Hier möchte ich eine Kaffeepause machen, doch ich bin zu früh dran, müsste noch zwanzig Minuten vor der verschlossener Tür warten. Etwas enttäuscht gehe ich weiter und finde kurz darauf eine provisorisch errichtete Bank mitten in der Sonne, die wie für mich gemacht ausschaut. Ich koche mir Kaffee, dazu einen Energieriegel und alles ist wieder gut.
    Danach geht es noch viele Kilometer weiter auf den Höhen des Schwarzwaldes, durch Wälder und entlang der Wiesen, von denen aus man manches Mal weit ins Land schauen kann. Der Weg verläuft durchgehend auf über 1.000m. In Neueck hat der große Gasthof Zum Hirschen geschlossen. Ist die Saison denn schon vorbei?
    Immer weiter treibt es mich voran und allmählich werden meine Beine lahm. Der Weg folgt nun einer Bundesstraße, der Verkehrslärm brandet die Straße entlang und nervt mich enorm. Ich würde jetzt gerne irgendwo ankommen. Mein Ziel ist das Gasthof zum Kreuz in Hohlengraben. Die Vorfreude auf das Ankommen wird durch ein Hinweisschild noch beflügelt, doch dann stehe ich an der Eingangstür und muss enttäuscht lesen, dass Donnerstags Ruhetag ist. Heute ist Donnerstag. Blöd ist das! Ich stampfe wütend auf.
    Aber es nützt nichts, ich muss weiter. Kurz überlege ich, ob ich es doch noch bis zum Titisee schaffen würde. Dorthin sind es von hier aus noch elf Kilometer, doch fast dreißig Kilometer stecken mir bereits in den müden Knochen. Es ist schon nach siebzehn Uhr und in knapp zwei Stunden wird es finster sein. Tausend Gedanken drehen sich im Kopf herum. Mal sehen, was kommt.
    Wieder geht es bergauf, nun ist es der Doldenbühl, der bezwungen werden will. Der Gipfel wartet mit einer großartigen Sicht auf ferne Gipfel auf, die dunkel im Abendrot schimmern. Es wird Zeit für ein Nachtlager, bevor es gänzlich finster sein wird und ich keinen Weg mehr finde. Da bietet sich eine kleine Schutzhütte an, die aber ungeschützt in der frischen Brise liegt, vermutlich würde es hier eine ungemütliche Nacht werden.
    Weiter, entscheide ich mich schweren Herzens. Auf einer Höhe liegt eine Wiese. Das scheint der geeignete Platz für mein Zelt zu sein. Aber die Wiese ist abschüssig, ich würde aus dem Zelt rollen. Auf der anderen Seite ist der Wald. Soll ich dort Schutz suchen und mein Zelt aufschlagen? Das traue ich mich nicht.
    Es ist schon fast dunkel, als es nach drei weiteren Kilometern direkt in den Wald geht soll, der finster und unheimlich vor mir liegt. Am Waldrand finde ich den Platz, nach dem ich suchte. Hier gibt es sogar eine Bank, auf der ich Kumpel ablegen kann. So muss er nicht im feuchten Gras liegen. Schnell baue ich mein Zelt auf. Doch der Platz gefällt mir nicht, es ist zu zugig hier. So baue ich das Zelt wieder ab, das geht mit dem TarpTent Notch ja ruckzuck und stelle es an anderer Stelle wieder auf. Ich komme neben einem Haufen Heuballen zu liegen, der mir einen prima Windschutz für die Nacht geben werden. Der Wind pfeift bereits heftig durch die Bäume und kündigt einen Wetterumschwung an.
    Ich will die Packsäcke für Schlafsack, Isomatte und Zelt gerade wieder im Rucksack verstauen, da merke ich, dass der Zeltsack nicht mehr da ist. Wo kann er nur sein? Ich passe doch immer so penibel auf alles auf. Ich durchsuche alles mehrfach und merke, dass ich panisch werde. Vielleicht ist er beim Zeltumzug weggeweht? Ich laufe auf der Wiese hin und her bis zu einem weit entfernten Knick. Vielleicht hat sich der Sack ja dort verfangen. Aber ich finde ihn nicht, viel sehen kann ich sowieso nicht mehr, denn mittlerweile ist es dunkel geworden. Es hat keinen Zweck mehr, weiter zu suchen, schweren Herzens gebe ich den Sack verloren. Nun fühle ich schweren Hunger. Kumpel hat die ganze Zeil still auf der Bank ausgeharrt, aus seinem Bauch hole ich nun die Kochutensilien und die Wasserflaschen hervor. Oh Schreck, es ist fast kein Wasser mehr da. Ich dachte ja, ich würde im Gasthof übernachten, habe mich deshalb nicht um Nachschub gekümmert. Eine Quelle gibt es hier oben nicht und so muss ich mich entscheiden, was ich mit den 300ml mache, die noch verblieben sind. Ich entscheide mich für eine Tütensuppe, so bleibt noch ein Rest fürs Zähneputzen heute und morgen früh. Katzenwäsche fällt aus. Es soll mir eine Lehre sein, zukünftig besser auf den Wasservorrat zu achten.
    Müde und hungrig schlüpfe ich in den Schlafsack und falle sofort in einen komatösen Schlaf. Einmal nur wache ich auf und höre, wie ein gewaltiger Sturm durch die Baumwipfel pfeift. Aber im Zelt habe ich es warm und gemütlich.
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  • E1-64-D Wanderheim am Feldberg (24km)

    October 14, 2016 in Germany ⋅ 🌧 7 °C

    Dem Ziel entgegen (3)

    Am Morgen hat sich der Sturm gelegt, das Wetter ist tatsächlich umgeschlagen. Der Himmel ist nicht mehr blau, sondern grau. Dafür ist es nun wärmer als die Tage zuvor.
    Das wenige Wasser reicht gerade noch zum Zähneputzen, aber nicht mehr für ein Frühstück. Also packe ich zusammen und lasse den Magen knurren. Zu meiner Überraschung finde ich den Zeltsack, den ich gestern so verzweifelt gesucht hatte, unter der Zeltunterlage wieder. Meine Freude darüber ist groß und ich danke dem Universum für den glücklichen Ausgang meiner kleinen Prüfung. So hat im Rucksack jetzt alles wieder seine Ordnung und das vom Morgentau noch feuchte Zelt macht im Rucksack nichts mehr nass.
    Kurz darauf kann ich den ersten Blick auf den noch fernen Feldberg erhaschen. Ihn möchte ich heute erklimmen. Aber zunächst geht es hinab zum Titisee. Irgendwo im Wald gibt es in einer der zahlreich vorhandenen Schutzhütten ein kleines Frühstück. Frischwasser konnte ich zuvor schon an einer Quelle aufnehmen.
    Nach dem Auf und Ab der letzten Tage ist es äußerst angenehm, mal eine Weile nur bergab zu laufen. Am frühen Mittag erreiche ich Hermesdorf am Titisee. Weil ich einen Riesenhunger verspüre, steuere ich das erstbeste Lokal an und lande in einem Restaurant mit deutsch-italienischer Küche. Ich frage den Kellner, ob er draußen bedient, denn ich fürchte, dass ich aufgrund meiner reduzierten Körperpflege Unangenehmes ausdünste und das möchte ich den anderen Gästen ungern zumuten. Gerne serviert er mir auf der Terrasse eine große Pizza mit Schwarzwälder Schinken. Das Restaurant wird damit seinem Namen voll gerecht. Dazu gibt es ein großes Bier lokaler Braukunst. Zivilisation hat auch ihr Gutes, denke ich, während ich schlemme. Der Wirt ist freundlich und zeigt mir sogar eine Steckdose auf der Terrasse, damit ich mein Smartphone während des Essens aufladen kann.
    Nach einer sehr ausgedehnten, erholsamen Pause geht es durch eine touristisch geprägte Einkaufsstraße - vorbei an mit Kuckucksuhren überfrachteten Geschäften - zum See hinunter, dessen Anblick mich etwas enttäuscht, denn irgendwie hatte ich ihn mir anders vorgestellt. Imposanter wohl, aber es ist nur ein ganz normaler See. Am Besten gefällt mir ein uraltes Traditionshotel in der ersten Reihe nahe des Kurparks. Hier spüre noch etwas vom längst vergangenen Charme des früheren Touristendorfes.
    Ich wähle die westliche Route des Westweges, die dem nördlichen Ufer des Titisees folgt. Bald gibt ein Wegweiser das Zeichen, den See Richtung Feldberggipfel zu verlassen. Sechzehn Kilometer sind es vom See bis dort.
    Wieder einmal geht es bergauf, aber das ist ja klar. Ein zwar schöner, aber anstrengender Weg windet sich Richtung Gipfel, vorbei an einer Sprungschanze, die ich schon am Morgen von der anderen Seite gesehen hatte, nicht wissend, dass ich sie viele Stunden später erreichen würde. Vorbei an alten Gehöften, die anmuten, als wären sie im Mittelalter erbaut worden, vorbei an Schutzhütten, die eine Option für eine Übernachtung bieten und schließlich zeigt ein Wegweiser zum Naturfreundehaus Feldberg Es ist nur noch vier Kilometer entfernt. Dort will ich hin und ich kann die Ankunft nach dem langen Wandertag kaum noch erwarten. Während der Mittagspause habe ich telefonisch ein Zimmer reserviert. Sicher ist sicher. Die letzten Kilometer werden immer beschwerlicher, am Ende muss ich einem Bachlauf entlang auf schmalem Pfad, der mal am rechten, mal am linken Ufer entlang führt und ihn einige Male auf glitschigen Brücken passiert. Obgleich schön, habe ich keinen rechten Blick mehr für die Natur. Immer steiler führt der Weg den Berg hinauf. Ich kann schon lange nicht mehr.
    Endlich mündet der Pfad auf einen Feldweg, der einer Wiese folgt, auf denen Schafe im Dunst tiefhängender Wolken grasen. Da! Ein Haus liegt im Nebel voraus, ich halte darauf zu. Bin ich am Ziel? Ich hoffe es so. Doch nein, noch nicht! Das ist die Baldenweger Hütte. Dort hatte ich auch angerufen, sie waren ausgebucht. Direkt dahinter taucht nun der Giebel des Naturfreundehaus Feldberg auf. Selten bin ich so erschöpft und gleichzeitig so glücklich durch eine fremde Tür eingetreten. Drinnen werde ich freundlich empfangen und darf gleich auf mein kleines Zimmer im ersten Stock. Nun dies: heiß Duschen, Wäsche waschen und aufhängen, ein Schläfchen machen.
    Die Entspannung kommt beim Abendessen. Drei Wanderer sitzen bereits im Gemeinschaftsraum. Da ich heute Gesellschaft schätze, setzte ich mich dazu an den großen, runden Tisch und bekomme auch gleich einen Teller Suppe vorgesetzt. Es ist der Auftakt zu einem gemütlichen Abend voller angeregter Unterhaltung. Ich erfahre zum Beispiel, dass eine der Wanderinnen ihre Sommer auf einsamen Almen verbringt, um Kühe zu hüten. Dort findet sie Frieden vor der hektischen Welt und verdient sich nebenher ihren Lebensunterhalt für das restliche Jahr.
    Das Leben ist so vielfältig und beim Wandern kann man viel erfahren.
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  • E1-65-D- Camping bei Lenzkirch (27km)

    October 15, 2016 in Germany ⋅ ☁️ 14 °C

    Dem Ziel entgegen (4)

    Am nächsten Morgen finde ich erst spät aus dem weichen Bett. Als ich endlich im Frühstücksraum erscheine, sitzt dort nur noch Achim, die beiden Frauen sind schon fort. Gleich plaudern wir munter drauflos, was wir heute vorhaben. Wanderer haben sich immer etwas zu erzählen. Achim meint, dass er mir heute den Feldberg zeigen könnte.
    "Ich kenne ihn wie meine Westentasche, war schon oft da oben", meint er.
    Eine gute Idee! Und so gehen wir gemeinsam los. Er vorneweg und ich hinterher, so stiefeln wir die verbleibenden zweihundert Höhenmeter zum Gipfel hinauf. Noch scheint die Sonne und ich freue mich schon auf den herrlichen Weitblick, wie er mir angekündigt wurde. Doch da zieht Nebel auf und oben ankommen, kann man die Hand vor Augen nicht mehr sehen. Das ist Pech, denn der Feldberg ist mit seinen 1.400 Höhenmetern die höchste Ergebung, die man auf dem ganzen E1 in Deutschland erleben kann. Der Reiseführer versprach einen Blick bis zum Bodensee und den Alpen. Nun aber ist nur grau in grau zu sehen. Ähnlich war es schon auf dem Kahlen Asten, auch dort war nur Nebel und keine Sicht am Gipfel. Es ist wohl mein Wanderschicksal.
    Da es jetzt auch noch saukalt wird, machen wir uns an dem Abstieg und schon zweihundert Höhenmeter tiefer kommt der Abschied. Ich reiche Achim wortlos die Hand, wir schauen uns in die Augen, dann wendet er sich ab, richtet seine Schritte in eine andere Richtung und ich schaue ihm nach, bis seine Gestalt im Nebel verschwindet. Der Westweg verläuft weiter durch den Schwarzwald Richtung Süden bis nach Basel. Der E1 dagegen biegt hier nach Osten ab und folgt für kurze Zeit dem Mittelweg durch den östlichen Schwarzwald. Immer weiter geht es bergab, runter zum Schluchsee, einem künstlichen Stausee von riesiger Ausdehnung und einige hundert Höhenmeter tiefer scheint schon wieder die Sonne.
    Wohl jeder Mensch hat einen heimlichen Traum, den er sich vielleicht irgendwann erfüllen möchte. Meiner ist ein kleines Haus, direkt an einem See gelegen, in dem ich dann wohne. Einsam und friedlich wird es liegen, weit ab von der Hektik der Welt. Während ich dem Stausee näher komme, nimmt dieser Traum urplötzlich Gestalt in Form eines kleinen Wochenendhäuschen mit überdachter Veranda an, das genau so aussieht wie in meiner Vorstellung. Gut, es steht nicht direkt am See, aber mein Gott, man kann nicht alles haben. Nur schwer kann ich weitergehen, aber ewig stehen bleiben kann ich auch nicht.
    Zum Glück komme ich bald an einem Seglerheim vorbei, in dessen Garten ich meine Schritte lenke. So kann ich mich aus meinem Traum lösen. Mit selbstgebackenem Kuchen in der Hand suche ich mir einen freien Platz auf der Terrasse. Ein paar Segler winken mich an ihren Tisch und stellen, kaum dass ich sitze, neugierige Fragen. Sie scheinen beeindruckt von meiner Tour und wir stellen nach einer Weile fest, dass die Mutter einer Seglerin gleich bei mir in Hamburg um die Ecke wohnt. Das gibt es doch nicht! Vermutlich habe ich sie schon mal beim Bäcker getroffen. Ich erfahre auch, das hier im Vereinsheim heute Abend ein Oktoberfest gefeiert wird.
    "Bleib da und sei unser Gast. Eine Unterkunft besorgen wir dir schon."
    Das klingt verlockend. Doch ich will lieber weiter laufen. So schicken die netten Segler mich den Bildstein hoch, der eigentlich nicht auf meinem Weg liegt.
    "Wegen der schönen Aussicht", geben sie mir mit auf den Weg.
    Nun mühe ich mich den Berg hoch, vorbei an herbstlich leuchtenden Laubbäumen, deren Blätter golden in der Sonne schimmern. Und auf halbem Weg zum Gipfel stelle ich fest, dass ich im Seglerheim mein kleines Sitzkissen vergessen habe, das ich bei den kühlen Temperaturen bei Pausen oder abends am Zelt vor der Kälte von unten zu schätzen weiß. Aber ich musste wohl etwas zurück lassen, nachdem ich heute morgen meinen Zeltsack glücklich zurück gewonnen habe. Eine Plastiktüte wird ab jetzt als Unterlage genügen müssen.
    Schließlich finde ich den schönen Ausblick hinunter zum Schluchsee und es ist den Aufstieg wirklich wert gewesen. Dann geht es weiter auf einem Höhenweg, der gegenüber dem geplanten Weg sogar eine Abkürzung ist. Endlich erreichte ich den Campingplatz Kreuzhof bei Lenzkirch, in einem altehrwürdigen Empfangsgebäude checke ich ein und bekomme einen Platz auf einer trockenen Wiese weitab der Dauercamper zugewiesen. Sie liegt in der noch prallen Abendsonne und das schnell aufgestellte Zelt trocknet in Windeseile ab. Der Kreuzhof ist ein vorzüglicher Campingplatz mit guten Einkaufsmöglichkeiten, einem Schwimmbad, beheiztem Sanitärbereich. Es verfügt auch über zwei Restaurants, die mich gerade am meisten interessieren. Der Gasthof an der Straße ist der schönere der beiden Lokale, aber dort ist ausgebucht. Aber in dem anderen sitzt man auch gut und das Wildgoulasch schmeckt richtig lecker. Ich komme mit einem Camperpaar ins Gespräch, die sich den Tisch mit mir teilen. Ich erfahre, dass sie morgen ihren Wohnwagen winterfest machen werden und die diesjährige Campingsaison damit beschließen. Regelmäßig kommen sie aus der Schweiz herüber und verbringen ihre Wochenenden im Schwarzwald auf diesem Campingplatz. Sachen gibt es!
    Als wir uns nach einem schönen Abend verabschieden, laden sie mich für den nächsten Morgen auf einen Kaffee zum Aufwärmen ein. Das ist nett von Nancy und Mike und ich nehme dankend an.
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  • E1-66-D- Schattenmühle (11km)

    October 16, 2016 in Germany ⋅ ☁️ 13 °C

    Dem Ziel entgegen (5)

    Raureif begrüßt mich am nächsten Morgen, während ich den Reißverschluss meines Zeltes hochziehe. Ich sehe die noch langen Schatten vor meinem Zelt, die hohe Bäume werfen. Sie verdecken das Glühen der Morgensonne, die noch ganz tief über dem angrenzenden Feld steht und sich müht, mit warmen Strahlen den Morgennebel zu vertreiben. Eine friedliche Stimmung liegt über dem Platz und etwas widerstrebend schäle ich mich aus dem wärmenden Schlafsack. Doch die Aussicht auf eine heiße Dusche lockt auch. Während ich den beheizten Sanitärbereich genieße, schaffen es die Sonnenstrahlen derweil nicht, den Reif zu vertreiben, der noch auf meinem Zelt ruht. So verschwindet es auch heute wieder nass im Zeltsack. Das ist wohl so im Oktober und langsam gewöhne ich mich auch an die morgendliche Feuchtigkeit. Es ist ja nur Wasser. Mit dem fix und fertig gepacktem Rucksack klopfe ich leise am Wohnwagen von Nancy und Mike, um den versprochenen Morgenkaffee einzulösen. Nancy öffnet verschlafen das Vorzelt und reicht mir einen heißen Kaffee. Sie hat schon gewartet. Während Mike im Wohnwagen noch schläft, plaudern wir leise im Vorzelt. Nancy hat so gar keine Lust, heute den Wohnwagen zu klarieren und sie bedauert, dass sie nun ein halbes Jahr nicht mehr herkommen werden. Ich kann sie gut verstehen. Und doch möchte ich gerne weiter und nicht hier bleiben. So bedanke ich mich für den Kaffee und mache mich auf den Weg.
    Auf die nun vor mir liegende Strecke freue ich mich ganz besonders, denn es wird heute durch die Wutachschlucht gehen, von der ich dank Kai Sackmanns Beschreibung und seinem Wandervideo schon viel weiß. Auf mich wartet eine überwältigende Urlandschaft, durch die ich die nächsten zwei Tage laufen werde.
    Aber zuvor geht es die Haslachschlucht auf einem wildromantischen Weg entlang. Als der Steig in die enge Klamm hinunter ans Wasser führt, verzichte ich jedoch auf den Abstieg, denn die Schlucht liegt noch im dichten Morgennebel und ich vermute, da unten wird es noch bitterkalt sein. So wandere ich lieber am Rand der Schlucht weiter. Schließlich geht es nicht mehr anders, ich muss in die Schlucht absteigen, um über eine schmale Brücke die Haslach zu queren, die an dieser Stelle mit der Gutach zusammenfließt und so zur Wutach wird, so genannt, weil bei Hochwasser aus ihr ein reißender Strom werden kann, der schon mal Brücken mit sich reißt und Bäume entwurzelt. Zu solchen Zeiten ist der Weg, dem ich jetzt folge, meist gesperrt. Aber ich habe Glück, denn die Wutach führt derzeit extrem wenig Wasser und plätschert seicht vor sich hin.
    Im stetigen Wechsel führt der Steig mal dicht am Wasser, mal auf dem Kamm der Schlucht entlang, der mich immer mehr begeistert. Voller Freude schreite ich an kleinen Wasserfällen vorbei, die über moosbedeckte Felsen tropfen. Allerdings sollte man das Wasser nicht trinken, denn es stammt aus darüber liegenden landwirtschaftlich genutzten Flächen und enthält vermutlich Schadstoffe, die Chlortabletten nicht ausfiltern können.
    Nach elf Kilometern erreiche ich die Schattenmühle, die inmitten der Wutachschlucht liegt. Anders als der Name vermuten lässt, liegt ihre Terrasse in praller Frühnachmittagssonne. Heute ist Sonntag und deshalb ist die Terrasse gut besucht. Auch ist die Schattenmühle mit dem Auto erreichbar. Die Gäste lassen sich Schwarzwälder Kirschtorte und andere Leckereien schmecken, die junge Mädchen im Dirndl servieren. Auf ihren hübschen Köpfen leuchten rot die landestypischen Bollenhüte, die lustig ausschauen. Ich lasse mich in der Sonne nieder, bestelle Kaffee und Kirschtorte und genieße einen Nachmittag voller Wonne. Natürlich ist gleich jemand vom Nebentisch neugierig, woher ich komme und wohin ich gehe, er hat halt meine Wanderkluft und den großen Rucksack gesehen. Nachdem das Staunen über meine Wandergeschichte abebbt, erzählt der Herr seine Geschichte, Das er in Schweden als Dirigent arbeitet, aber oft zu Hause im Schwarzwald sein kann. Er scheint für seine Arbeit zu brennen, obwohl er bescheiden auftritt und ob er berühmt ist, finde ich nicht heraus.
    Der Nachmittag schreitet voran, ich strecke fauler werdend die Beine immer weiter aus und beschließe schließlich, in der Schattenmühle zu übernachten. Es ist noch ein kleines Zimmer frei, so kann ich bleiben und den Abend bei Steak und Bier genießen, das allerdings in der gemütlichen Wirtsstube, denn draußen ist es wieder kalt geworden. Neben mir sitzt ein Motorradfahrer, der mir erzählt, dass er kurz mal mit seiner Maschine eine Sonntagsausfahrt hierher gemacht hat, weil es in den Bergen so schöne Kurven hat. Gleich muss er aufbrechen, zurück nach Genf. Das sind 300km, also 600km für eine Ausfahrt!
    Ich würde jetzt nicht mehr gerne raus in die Kälte und freue mich auf mein warmes, weiches Bett, das mich gleich erwartet.
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  • E1-67-D- Blumberg (28km)

    October 17, 2016 in Germany ⋅ ☁️ 13 °C

    Dem Ziel entgegen (6)

    Nach Nächten im Zelt hat der Körper vermutlich Schlaf nachzuholen. Jedenfalls habe ich fest durchgeschlafen und wache erfrischt auf. Am üppigen Frühstücksbuffet hole ich mir die Kalorien, die ich für den heutigen Wandertag vermutlich brauchen werde.
    Ich habe noch einen Tag in der wildromantische Wutachschlucht, deren herbe Schönheit ich gar nicht beschreiben kann und deshalb auf meine Bilder und Sackis Video (das es leider nicht mehr gibt) verweise. Meine Wanderfreude wird allerdings getrübt, als der Weg plötzlich versperrt ist. Wie er hier wohl jederzeit vorkommen kann, zwingt mich ein Erdrutsch zu einem langen und beschwerlichen Umweg, der mich weit aus der Schlucht heraus und damit um den Erdrutsch herum führt. Einige Kilometer weiter bin ich zurück in der Schlucht, nur um bald auf die nächste Absperrung zu treffen. Ein zweites Mal geht es wegen eines weiteren Hangrutsches wieder aus der Schlucht heraus, ein Stück oberhalb entlang und dann wieder hinunter zur Wutach.
    So wird die Strecke viel länger als geplant und eine Übernachtungsmöglichkeit habe ich vorher auch nicht ausgemacht. Vielleicht ergibt sich bei den Tibetern eine Möglichkeit, bei denen man laut Reisebeschreibung unbedingt vorbei schauen soll. Ihr Haus liegt am Ende der Wutachschlucht und ich staune nicht schlecht, als ich dort ankomme. In einer Garage steht ein orangefarbenes motorgetriebenes Dreirad, wie man es wohl in Indien fährt, daneben eine Bank, darauf Obst, Schokoriegel und in einem Kühlschrank kalte Getränke. Das ist eine nette Geste, die ich auf meiner bisherigen Wanderung noch nicht erlebt habe. Deutsche Trail-Angels sozusagen, wie man sie auf dem Appalachian Trail in den USA wohl oft antrifft, wie ich gelesen habe. Dort sind es ehemalige Wanderer, die ihre Dankbarkeit zeigen, indem sie nachfolgenden Wanderern mit Essen, Trinken und Unterkunft versorgen. Hierzulande ist es bisher nicht verbreitet und da ich es nicht gewohnt bin, nehme ich keine der großzügig angebotenen Dinge an.
    Für eine Übernachtung ist es noch zu früh und so klingel ich nicht, sondern gehe still vorbei. Ich will mein Glück in Blumberg versuchen und dafür muss ich noch den Buchberg hinauf. Doch der Weg zieht sich und nun beginnt es auch noch zu regnen. Nass und erschöpft erreiche ich völlig erledigt das einzige Hotel des Ortes. Doch was muss ich am Eingang auf dem Schild lesen? "Liebe Gäste, wir haben neue Öffnungszeiten. Montag und Dienstag Ruhetag." Oh nein, nicht schon wieder! Im Schwarzwald scheint im Oktober tote Hose zu sein.
    Ich habe so gar keine Lust, mein Zelt irgendwo auf der nächsten Wiese im Regen ins nasse Gras zu stellen. Wasser habe ich auch keines mehr. Also muss ich mich erst einmal darum kümmern. Meine Laune ist gerade auf einem Tiefpunkt angelangt. Missmutig gehe ich die Hauptstraße entlang und hoffe, dass ich hier irgendwo nach Wasser fragen kann. Obwohl schon spät, hat eine Allianz-Filiale noch geöffnet, sie erscheint mir im Moment wie ein heiliger Ort. Scheu betrete ich das gut geheizte Büro. Kumpel, der vor Nässe trieft, bleibt vorsichtshalber draußen auf der Treppe, doch ich ziehe trotzdem eine feuchte Spur hinter mir her. Es ist mir unangenehm, nach Wasser zu fragen, denn so etwas habe ich bisher noch nicht gemacht. Doch ich werde warmherzig empfangen, es scheint nichts dabei zu sein und meine Wasserflaschen sind schnell gefüllt. Ob ich nicht ein Hotel bräuchte, fragt die Versicherungsfachfrau zuvorkommend.
    "Oh, das wäre super", meine ich nur schlapp.
    Und schon fängt sie an zu telefonieren. Bald steht ein Taxi vor der Tür, dass mich in den nächsten Ort fährt. Dort wartet ein großes Zimmer auf mich.
    Ich bin überglücklich, dass ich den Abend an einem gedeckten Tisch mit einem warmen Essen und einigen Bieren verbringen kann. Das ist viel besser, als bei dem miesen Wetter irgendwo in meinem kleinen und nassen Zelt zu frieren.
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