Drei Generationen unterwegs

July - August 2019
Mit dem Wohnmobil von Dresden nach St. Petersburg Read more
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  • Day 7

    Am Berg der Kreuze

    July 13, 2019 in Lithuania ⋅ ⛅ 20 °C

    Wir starten gegen 10 Uhr in Vente am Haff und planen einen Schlenker über Klaipeda, um uns wenigstens den Hafen anzusehen. Das Unterfangen wurde relativ schnell beendet, weil leider nichts zu sehen war oder wir zumindest nicht so an den Hafen heranfahren konnten, wie wir uns das gewünscht hatten. Also auf zum Berg der Kreuze. Ein Wallfahrtsort. Eigentlich zwei Hügel über die mehrere Treppen und Wege führen. Gleich bei unserer Ankunft sehen wir mehrere Taufen und Brautpaare, die - wie es gute Tradition ist - ein Kreuz aufstellen wollten, um für ihr Glück zu bitten. Ein Brautpaar klopft an unsere Autoscheibe und reicht immense Mengen russischen Konfektes herein. Unnötig zu erwähnen, dass der Berg der Kreuze mit nichts vergleichbar ist. Seit Generationen kommen die Menschen aus Lettland, aber auch aus Litauen, Estland und Russland hierher, um zu beten, ein Kreuz aufzustellen für Gesundheit, für die Liebe, für die Taufe, für die Eheschließung und was immer auch sonst ein solches Bekenntnis verlangen könnte. Egal ob fünf Meter hoch aus Metall, oder aus Holz, als Kette, in den Sand gemalt oder aus Stroh gebunden: es gibt kein Kreuz, das es nicht gibt. 1961, 1973, 74 und 75 sollen die Russen während der Besatzungszeit mehrfach versucht haben, den Berg zu planieren und die Kreuze wegzubringen. Kaum getan wuchs der Berg immer wieder noch größer neu. Ich glaube, Studierende aus Vilnius hatten einmal versucht die Kreuze zu zählen und nach 50 000 entnervt und ermüdet aufgegeben. Der Berg wächst und wächst und wir haben ein wenig dazu beigetragen und ein Kreuz aus Gras gebunden und hingelegt.
    1993 hielt Papst Johannes Paul II. eine Messe am Berg der Kreuze. 1994 hat der Vatikan selbst ein Kreuz gestiftet. Der Papst war es auch, der den Franziskaner Orden mit der Betreuung des Wallfahrtsortes beauftragt haben soll. Im Jahr 2000 wurde vor Ort, nach zweijähriger Bauzeit eine große Franziskanerabtei eröffnet.
    Man sollte sich vom angrenzenden Rummel im inzwischen natürlich obligatorisch entstandenen Souvenir- und Bernsteinshop nicht stören lassen. Dort kann man auch ein fertiges Kreuz kaufen, sollte einem die Phantasie fehlen, etwas eigenes zu kreieren.
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  • Day 7

    Camper Place Lithuania I

    July 13, 2019 in Lithuania ⋅ ⛅ 18 °C

    Nach 322 Kilometern erreichen wir das Ziel unserer heutigen Tagesetappe. Den kleinen Platz von Kees (Holländer) und Daiva (Litauerin). Er liegt im kleinen Dorf Pajiesmeniai nahe der Route nach Riga. An einem idyllischen See. Der ganze Platz ist eine kleine feine kreative Idylle. Wir beschließen ein paar Nächte zu bleiben, aufzuräumen, zu waschen und zu entspannen. Die beiden haben alles ganz liebevoll von Hand eingerichtet. Daiva sagt, wer nicht viel Geld hat, muss erfinderisch werden und das war sie. Vom improvisierten Duschvorhang aus einer Plexiglasscheibe, bis zu Stellplatznummern aus farbigen Plastikdeckeln. Wir haben uns so wohl gefühlt. Es gab sogar einen kleinen Büchertisch. Hier haben wir Nathalie aus München kennengelernt. Eine Aussteigerin. Wir beobachteten sie am Morgen, als sie ihre Matte aus ihrem schicken VW Bus an die Seite und außerhalb des Platzes räumte und begann Yoga zu machen. Später kamen wir ins Gespräch: Sie hatte fünf Jahre als Krankenschwester in der Schweiz gearbeitet und war ziemlich erledigt. Hatte lange gespart und alle hatten ihr gut zugeredet diese Reise zu machen. Als es so weit war und sie bereits gekündigt hatte, konnte Volkswagen - mit denen sie verhandelt hatte - sein Versprechen nicht halten. Alle Wohnmobile, die man ihr anbieten konnte, lagen 10 000 Euro über dem vereinbarten Preis. So hatte sie am Ende nur ein WoMo gemietet und wollte damit ganz allein rund um die Ostsee fahren. Dann weiter nach Spanien und Portugal. Spannende Geschichte. Wir haben die Zeit auf dem Platz gut genutzt. Wie jeder noch so kleine Ort von Litauen bis Lettland verfügte auch Pajiesmeniai über einen Tante Emma Laden (genauer gesagt sogar gleich zwei), in dem es vom Klebestift bis zum Wodka, über Brot, Tomaten, Wurst eigentlich alles gab, auf 20 Quadratmetern. Wir konnten uns also mit allem Notwendigen versorgen und selbst kochen. Witzig war: Als wir am Sonntag Nachmittag ein Bier kaufen wollten, wurden wir mit dem Hinweis, Sonntags ab 15 Uhr werde kein Alkohol verkauft, dies seien die Bestimmungen, abgewiesen.
    Wir machten einen ausgedehnten Spaziergang in den wundervollen Park des Ortes, den man in diesem Ort kaum vermutet hätte. Sogar eine nagelneue, mit EU Fördermitteln gebaute, Hängebrücke gab es da und Tretboote. Ich wollte joggen und fand eine herrliche Strecke über Felder und um den See. Und wir gingen natürlich baden und Rosa brachte uns ein kleines Picknick an den See. Wir genossen unsere Zeit.
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  • Day 9

    Riga

    July 15, 2019 in Latvia ⋅ ⛅ 19 °C

    Auf unserer heutigen Etappe liegt Riga, die Hauptstadt Lettlands und mit 700 000 Einwohnern auch die größte Stadt im Baltikum. Wir fahren in die Stadt hinein, wollen sie anschauen und anschließend weiterfahren. Das klappt gut, wir finden einen Parkplatz direkt an den Markthallen. Fünf riesige Hallen, in denen vor langer Zeit Zeppeline gebaut wurden. Heute bilden sie das Zentrum des Zentralmarktes (Centraltirgus) in denen sich die Tische biegen unter Tonnen von Fisch, Fleisch und Gemüse. Direkt neben den Hallen riesige Freiflächen mit fliegenden Händlern. Nichts, was es nicht gibt, von der Plastikbarbie bis zu Küchenutensilien. Zum ersten Mal wird es unangenehm. Die Fischverkäuferinnen in den Hallen beschimpfen mich als Paparazza. Ich solle verschwinden, keine Fotos machen. Als wir später versuchen mit unseren spärlich verbliebenen Russischkenntnissen mit den Händlern russisch zu reden, werden wir sofort belehrt und auf lettisch korrigiert. Eigentlich ein Wunder bei einem Bevölkerungsanteil von mehr als 40% Russen. In einer Ecke des Marktes bietet mir ein Schwarzhändler Zigaretten an. Er wird ganz schnell vertrieben von einem, dessen Revier er offenbar betreten hat. Wir haben dann von einem Händler Blaubeeren gekauft. Gab es nur literweise. Wie kann man einen Liter Blaubeeren essen?
    Nach einer ersten Runde zu Fuß machen wir eine Stadtrundfahrt durch die schöne alte Hansestadt. Riga sei weniger schön als Tallinn - hatte man uns gesagt. Wir kennen nun beide Städte noch nicht und sind begeistert. Wir sehen natürlich die Rigaer Freiheitsstatue, die auf einer hohen Säule drei goldene Sterne in den Himmel reckt. Am Rathausplatz essen wir zu mittag und machen uns dann langsam auf den Weg zurück zu Detleff.
    Zum Abschluss gehe ich allein in das - im September 2010 eröffnete - Riga Ghetto-Museum. Es befindet sich direkt an der Grenze des tatsächlichen ehemaligen Ghettos. Ich muss die Besichtigung beenden, als ich mich plötzlich in der Nachbildung eines Deportationswagons wiederfinde. Tief beeindruckend.
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  • Day 9

    RAISKUMS = APALKALNS/ GAUJA NATIONALPARK

    July 15, 2019 in Latvia ⋅ ☀️ 19 °C

    Wir erreichen am Ende unserer heutigen Tagesetappe - nach knapp 200 Kilometern Fahrt - den Gauja Nationalpark, den ältesten und mit 920 Quadratkilometern größten Nationalpark Lettlands. Den Namen hat der Nationalpark von der Gauja, die die Region durchfließt. Unser Platz liegt am Raiskumer See. Was für eine wundervolle Gegend und ein traumhafter Platz, der sich über mehrere Ebenen erstreckt. Die untere Ebene liegt direkt am See. Dort hat jeder Camper eine eigene Terrasse mit Sitzbänken und dazu einen Steg mit Leiter, um sofort ins Wasser gehen zu könne. Leider ist es viel zu kalt. Drinnen und draußen. Wir stellen uns ganz oben hin, hier haben wir einen guten Blick über den ganzen Platz. Neben uns steht ein Engländer ganz allein. Er ist eigentlich nie zu sehen. Überall kann man sich Feuerschalen besorgen und Holz gibt es umsonst. Wir lernen ganz schnell Tina und Jan kennen, die sich mit ihrem umgebauten LKW in unsere Nähe stellen. Auf dem LKW ist ein alter Militärcontainer aufgeschweißt und innen perfekt ausgebaut. Beeindruckend die Küche, ganz und gar aus Holz und jeder noch so kleine Schieber, jede Lücke haben eine Funktion oder Aufgabe. Es ist innen so kuschlig und gemütlich, man vermisst nichts und ist mit Gas und zahlreichen Wassercontainern auch absolut autark. Rosa hat deren Tochter Nina sofort als Spielfreundin ausgemacht und in den nächsten Tagen werden die beiden unzertrennlich. Wir und Jan übrigens auch. Er ist Schornsteinfeger und bringt offenbar nicht nur Glück sondern hat auch goldene Hände. Er kann kaum glauben, dass wir unser WoMo nicht wirklich gut kennen und bietet an, uns mit Detleff vertraut zu machen. Als er beginnt an dieser und jener Konstruktion zu wackeln und sie als Eigenbau des Vorgängers zu identifizieren, beginnen wir zu ahnen, mit welchem Experten wir es zu tun haben. Er opfert uns die Wasserpumpe seiner Dusche, weil unsere Wasserpumpe schon vor ein paar Tagen den Geist aufgegeben hat. Er zeigt uns auch, wie man im Notfall aus dem Wassertank Wasser ablässt und bringt doch tatsächlich, indem er sie von ein paar Verstopfungen befreit, die Gasleitung zum Kühlschrank in die Gänge. Das geht nun also auch. Wir stellen fest, das die Bordbatterie ihre beste Zeit gehabt hat. Sie lädt sich nicht mehr wirklich auf, weder während der Fahrt noch wenn wir am Strom hängen. Außerdem wird sie ziemlich heiß und da sie sich unter dem Fahrersitz befindet, auf dem Rosa ihre Koje hat, beschließen wir, die Batterie künftig nachts vom Strom zu nehmen.

    Wir lernen auf dem Platz auch Inka und Florian aus München mit ihrer kleinen Tochter kennen. Sie nutzen die Elternzeit für eine ausgedehnte Reise durch das Baltikum. Abends setzen wir uns zusammen, machen Feuer und Jan spendiert Riga Black Wodka. Auch eine neue Erkenntnis. Schmeckt besser als russischer Wodka und kostet weniger. Holz gibt es auf dem Platz gegen einen kleinen Obolus und Feuerkörbe stehen überall zur freien Verfügung. Oma erweist sich als campingfest und hackt Holz. Nach einigen Fehlversuchen kriegen wir sogar ein stattliches Feuer hin. (Ein bisschen Nachhilfe des ehemaligen Pfadfinders Florian brauchen wir dennoch.) Außerdem entdecken wir, dass in Raiskums Bier gebraut wird. Auch das kann man an der Rezeption bekommen.

    Raiskums gruppiert sich um ein heute ziemlich verfallenes Herrenhaus aus dem 16. Jahrhundert. Heute scheint sich eine Bibliothek darin zu befinden. Rund um den See sind traumhafte Häuser auch kleine Feriensiedlungen entstanden, aber alles ganz natürlich und noch immer sehr still. An einem der Tage leihen wir uns Räder aus und umrunden den See. Was für eine idyllische Landschaft. Wir finden bei unseren Spaziergängen auch jede Menge Birkenpilze ganz ohne danach zu suchen. Das gibt tatsächlich zwei Mal leckere Pilzmahlzeiten. Einmal findet Oma bei einem unserer Spaziergänge ein Hufeisen. Wir werten das als Glückszeichen. Es würde uns auf unserer Reise sicher nichts passieren.
    In direkter Nachbarschaft, maximal hundert Meter entfernt, lassen sich mit schöner Regelmäßigkeit zwei Störche auf der Wiese nieder. Jeden Abend nimmt einer der beiden seinen Stammplatz auf dem gegenüberliegenden Telegrafenmasten ein und steht dort die ganze Nacht über wie eine Statue. Den ganzen Tag lang begleitet uns ihr Storchengeklapper, das ich nie zuvor so intensiv gehört hatte. Das Wetter ist auch hier wieder durchwachsen. Zum Baden im See war es definitiv zu kalt und auch nachts kühlte es empfindlich ab. Leider nieselt es nach wie vor oft, insbesondere Abends. Egal. Wir versammelten uns ums Feuer und der Riga Wodka wärmte von innen.
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  • Day 12

    Grenzerfahrung in Estland

    July 18, 2019 in Estonia ⋅ ☁️ 19 °C

    Wir sind jetzt fast zwei Wochen unterwegs und es war zu erwarten, dass wir auf unserer Reise auch Tiefpunkte würden überwinden müssen. Die wundervollen Tage im Gauja Nationalpark waren auch kaum zu toppen. Wir waren morgens gegen 10 Uhr gestartet und hatten in der nahe gelegenen Stadt Cesis versucht in einer Werkstatt eine neue Bordbatterie zu bekommen. Leider ohne Chance. Die beiden Brüder, Besitzer der Autowerkstatt und erfahrene Männer, bemühten sich sehr, uns zu erklären, dass dies eine besondere Batterie für einen Camper sei, eine solche hätten sie nicht und mit unserer sei ohnehin alles in Ordnung. Jan war anderer Meinung gewesen und wir -angesichts der Wärme, die sie (ungefragt) ausstrahlte - eigentlich auch, aber sei es drum, wir sollten also mit dieser weiter fahren. Das taten wir dann auch.
    Wir fuhren weiter in Richtung Grenze nach Russland. Ich hatte, ca 10 Kilometer vor der Grenze - in Misso in Estland -über Booking ein Appartement gebucht, damit wir, da unser Grenzübertritt am kommenden Morgen sehr früh erfolgen sollte, nicht erst auf- und abbauen mussten. Auf dem Weg dorthin, wir fuhren bereits auf der Straße, die unmittelbar Richtung Grenzübergang führte, plötzlich eine furchtbare Baustelle. Die Straße wurde einspurig und die Spur, auf der der Verkehr geführt wurde, war ungefähr zwei Meter höher als der Rest der Straße. Rechts und links ging es steil abwärts, zumindest aus der Perspektive eines Wohnmobils. Es war gruselig. Ich war extrem aufgeregt und ohnehin genervt und die Angelegenheit erreichte ihren Höhepunkt, als die eigentliche Zufahrt zu unserem Appartement durch die Baustelle zugestellt, verbaut war. Nicht befahrbar. Gesperrt. Es gab auch keinerlei ausgewiesene andere Zufahrt, auch nicht über Navi oder Google Maps. Aussichtslos. Wir waren ziemlich müde, genervt und erschöpft. In der Nähe wollten wir dann wenigstens etwas essen gehen und überlegen, wie es weiter geht und ließen uns via google zu einem Restaurant leiten - das existierte nicht mehr. Dann fuhren wir nach Burg Neuhausen (Vana-Vastseliina) mit schönem Restaurant an. Leider waren dort auch schon alle Gästezimmer belegt und die Speiseauswahl eingeschränkt, weil eine große Reisegruppe erwartet wurde. Unser Stellplatzradar wies zwar den Parkplatz vor der Burg durchaus als geeigneten Stellplatz für eine Nacht aus, aber wir fanden es zugig, es gab weder Strom noch Wasser, das wollten wir uns nicht antun. Die nette Kellnerin telefonierte etwa 20 Hotels in der Umgebung ab, alles ausgebucht. Ein größeres Festival in der Gegend forderte seinen Tribut. So warfen wir den Motor wieder an und fuhren noch 20 Kilometer nordwärts Richtung Voru. Dort fanden wir bei Meegomäe einen großen Campingplatz, auf dem wir wieder ganz allein waren, wenngleich es Stellplätze für mindestens 20 Mobile gab. Die Situation wurde noch einmal etwas knifflig, als ich den Wagen auf der Wiese abstellen und wenden wollte und fast in der feuchten Wiese stecken blieb und versank. Ich erinnerte mich ans Wenden und rückwärts rausfahren. Klappte! Der Platz war sehr schön, mit einem riesigen Restaurant, auch auf mittelalterlich gemacht - die Esten scheinen eine Vorliebe für das Mittelalter zu haben. Auch das Restaurant zuvor in der Burg war auf Mittelalter gemacht, bis hin zur Kleidung der Kellnerinnen. Auf dem Platz war noch eine Gruppe junger Männer, die allerdings in den zugehörenden Gästezimmern wohnten und etwas großes zu feiern schienen. Im Haus mit den Gästezimmern wies man uns ein Zimmer zu, dessen Bad und Dusche wir nutzen konnten. Im Restaurant konnten wir lecker Bier bekommen. So ging der Tag noch einigermaßen positiv zu Ende, auch wenn wir ihn uns anders vorgestellt hatten und nun doch auf- und abbauen mussten.
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  • Day 13

    Luhamaa Checkpoint

    July 19, 2019 in Russia ⋅ 🌧 15 °C

    Was für ein Tag! Zunächst: Wir sind in Russland. Endlich! Denn eigentlich war Russland - an allem Anfang - das Ziel meiner Reise. Insgesamt war die heutige Etappe keine 100 Kilometer lang und trotzdem waren wir etwa acht Stunden unterwegs Der Reihe nach: Wir standen um fünf Uhr auf und bauten auf unserem Platz in Estland zusammen. Es war angenehm warm, fast schwülwarm, doch bevor wir uns zuviele Hoffnungen machten konnten begann es wieder zu regnen. Zu gießen. Wir machten uns gegen 6 Uhr auf in Richtung Grenze, die wir auch pünktlich einige Minuten von 7 Uhr erreichten. Am estnischen Grenzcounter sah man unsere Ausweise an und schickte uns in die Waiting Area. Dort standen außer uns noch einige LKW und vielleicht drei PKW. Kurz nach sieben wurde unser Autokennzeichen auf dem Display angezeigt und wir fuhren in Richtung Kontrollpunkt. Die Esten kontrollierten nochmal unsere Ausweise und weiter ging es. Wir waren einigermaßen zufrieden - bis hierher hatte ja alles ganz gut geklappt - und waren gespannt, angespannt, was nun kommen würde. Erst einmal kam gar nichts. Wir standen etwa vier Stunden in einer Schlange von etwa 12 PKW vor uns. In Abständen von rund 30 Minuten öffnete sich in einiger Entfernung eine Schranke, eine Ampel leuchtete grün und etwa zwei bis drei PKW verschwanden in einer Ferne, in der man nichts mehr verfolgen konnte. Wir standen in einer Art enger gerade dreispuriger Schleuse. Ab und an kam uns ein LKW oder Bus von russischer Seite entgegen, das war recht eng, wir mussten uns rechts halten. Dann wollten aber auch LKW oder Busse rechts an uns vorbei und wir mussten nach links ausscheren. Das war die einzige Beschäftigung, die die vier Wartestunden unterbrach. Dann waren wir an der Reihe, am Checkpoint, an der Ampel, an der Schranke und los ging es. Die russischen Beamten sahen unsere Ausweise an und gaben uns eine Nummer: 3. Soviele Personen wie wir eben im Auto waren. Wir fuhren etwa 200 Meter unter einen Checkpoint mit mehreren Schaltern. Man hieß uns, uns rechts hinter einem anderen Wartenden einzuordnen und zu tun, was dieser tat. Das jedenfalls hatte ich verstanden. Auf russisch. Als der ein wenig vorfuhr, fuhr ich hinterher. Sofort kam eine Beamte auf uns zugelaufen und hieß uns harsch fuchtelnd zurückzufahren. Das tat ich. Und stieß zurück, zurück, zurück...bis es krachte. Unsere Nerven lagen ohnehin schon blank, jetzt war es um uns geschehen. Ich sprang aus dem Auto, hatte keine Ahnung, was passiert war, dachte ich hätte ein Auto mitgenommen und sah...es war das Wellblechdach eines Schalters, dass ich mit der Jalousie des WoMos angefahren hatte. Das Dach war abgeplatzt, unsere Jalousie auch reichlich beschädigt. Ich dachte, jetzt wäre alles vorbei. Der Zollbeamte, einer der wenigen Männer, besah sich den Schaden, fragte mich, ob ich das nicht gesehen hätte, ich verneinte. Daraufhin winkte er ab (dachte wahrscheinlich: Weiber und Autos) und hieß uns mit unseren Ausweisen zum Schalter zu gehen. Rosa weinte nun schon und auch Oma hatte vor Schreck Tränen in den Augen. Die russische Polizeibeamte schien das zu erweichen, denn sie erinnerte sich plötzlich daran, dass sie auch Deutsch sprechen kann und sagte uns, jeder müsse mit seinen eigenen Papieren vortreten (was für Rosa bei 1.14 m und einer Schalterhöhe von 1.50 m sich als nicht ganz einfach erwies). Sie kontrollierte die Fahrzeugpapiere, Ausweise, Visa und stellte eine Aufenthaltsgenehmigung aus. Außerdem sagte sie zu Rosa, sie müsse doch keine Angst haben, man würde uns nichts tun. Dann wurde ich zu einem anderen Schalter beordert und musste eine etwa fünfseitige Zolldeklaration ausfüllen. Die Beamte halft mir glücklicherweise auf englisch und war erstaunt, dass wir offenbar weder Alkohol noch Zigaretten in Größenordnungen mit uns führten. (Wozu auch? Ich wollte schließlich nach Russland und hatte gehofft dort Wodka zu trinken.) ;-)Anschließend ging der Zoll noch durch das Wohnmobil und wir mussten jede Tür, jeden Schrank, jede Klappe öffnen. Endlich, endlich...ließ man uns fahren und wir waren IN RUSSLAND. Nachdem wir uns auf einem kleine Parkplatz von unserem Schreck erholt und den Fahrer gewechselt hatten übernahm Oma das Ruder und wir machten uns auf den Weg nach Pskow - noch rund 60 Kilometer. Da es auch hier keine Autobahn sondern nur eine bessere Fernverkehrsstraße mit vielen Ortsdurchfahrten und Ampeln und Fußgängerüberwegen gab, hatten wir noch rund eine Stunde zu fahren. Überall am Wegrand standen VerkäuferInnen und boten Pilze und Himbeeren und Heidelbeeren auch Kräuter zum Verkauf an. Einen richtigen Blick dafür hatten wir nicht. Es regnete noch immer leicht und wir eilten unserem Ziel entgegen, wollten endlich Ruhe und etwas Essen. Geradewegs nach Pskov.Read more

  • Day 13

    Pskow - im alten Russland

    July 19, 2019 in Russia ⋅ 🌧 18 °C

    Wir sind unheimlich müde und wollen in Pskow ins Hotel, ich hatte unterwegs via Booking eins gesucht: mit Schwimmbad und Spa. Dwor Podsnoewa - im Zentrum der Stadt. Es waren tatsächlich noch Zimmer frei, wir stellten das WoMo auf einen bewachten Parkplatz. Unser Stern begann wieder zu steigen.
    Immerhin waren wir in Russland und mit Pskow (rund 200 Tausend Einwohner) in einer der ältesten Städte Russlands. Früher war Pskow mächtige Grenzfestung und Hauptstadt einer unabhängigen mittelalterlichen Republik, heute ist die Stadt eine nicht unbedeutende Industriestadt.
    Da wir erst 14 Uhr die Zimmer beziehen konnten, die nette Rezeptionistin uns aber immer wieder versicherte, man werde sich sehr beeilen, wir sollten doch schon kurze Zeit später wieder da sein - gingen wir ein Stück. Wir hatten Hunger. Wir fanden wenig später ein hervorragendes Haus, wie uns Personal uns Stoffservietten vermuten ließen. Wir aßen seit einigen Tagen zum ersten Mal wieder richtig und nach Herzenslust - Rosa Pommes, ich ein 200g Stück Fleisch und Oma Borschtsch, auf den sie sich in Russland schon die ganze Zeit gefreut hatte. Im Hotel beziehen wir kurze Zeit später unser Zimmer - und gehen schlafen: Alle Drei. Zwei Stunden später erwachen wie neu geboren.

    Wir stellen fest, dass unsere Handys nicht mehr funktionieren. Kein Netz. Ich bekomme kurz Panik, obwohl ich darauf gefasst war und mich informiert hatte. Rooming funktionierte hier leider nicht mehr. Später kaufe ich - Vodafone hatte mich tatsächlich kontaktiert - ein Wochenpaket für rund 30 Euro - und bin Sekunden später wieder Online. Bin erleichtert und stelle fest, wie unsicher man sich ohne Handy inzwischen fühlt. Was haben wir nur vor zehn Jahren gemacht.
    Wir gehen nach unten ins Schwimmbad. Herrlich! Im Bad nimmt Rosa schnell Kontakt auf zu einem kleinen, dreijährigen Mädchen, das mit Mutter und Oma ebenfalls im Becken schwimmt. Wir kommen ins Gespräch und radebrechen in Russisch und Deutsch, bis die Mutter, etwa mein Alter mir sagt, dass sie in St. Petersburg Französischlehrerin an der Technischen Universität sei und Französisch daher ihre erste Fremdsprache ist. Großartig! Und schon geht es los und Julie und ich können plötzlich über Pontius und Pilatus und auch sonst über alles reden. Julie erzählt uns auch, dass wir unbedingt den großen Kreml besuchen müssen (das hatten wir ohnehin unbedingt vor) und dass am nächsten Tag ein Stadtfest sei. Wir verabreden uns für den nächsten Morgen zum Frühstück, denn wir wollen noch die Stadt. Es regnet (natürlich),aber wir lassen uns nicht schrecken und schauen uns an, was wir in der Kürze entdecken können. Kirchen (viele), Prachtstraßen groß und breit (einige) und natürlich das obligatorische Denkmal für die gefallenen Helden der Stadt. Die Stadt gefällt uns wirklich gut. Beim Einkaufen verständigen wir uns mit wenigen russischen Worten und die Freude der Verkäuferin ist groß. Sie gibt uns Grüße an Germania mit auf den Weg und verabschiedet uns unheimlich herzlich.

    Am nächsten Morgen treffen wir Julie mit ihrem Mann Viktor, ihrer Mutter und der kleinen Katja tatsächlich beim oppulenten Frühstück, das keine Wünsche offen lässt. Von Pancakes bis Rührei, von Müsli bis Heidelbeermarmelade, von Fisch bis Brokoli, es gibt nichts, was es nicht gibt. Wir plaudern herrlich und erfahren, dass Julie mit der Familie Urlaub macht, noch ein wenig weiter fahren wird, um die Anwesen Puschkins in der Umgebung zu besuchen und später nach Petersburg zurückkehren wird. Sie erklärt uns, wie es am besten gelingen kann, Lars (meinen Ehemann) am Flughafen in Petersburg "einzusammeln", was wir unbedingt sehen müssen, wo Campingplätze in der Nähe der Stadt seien und dass wir unbedingt Zarskoje Selo, die Sommerresidenz der Zarin vor den Toren der Stadt auf unserem Hinweg mitnehmen müssten.
    Ich frage sie auch nach Putin. Sie lächelt, offenbar hatte sie die Frage erwartet. Er habe viel getan, insbesondere für Kinder und Familien, er sei beliebt in Russland und ja, man wisse schon, dass es mit der EU nicht so laufe und er uns dort Probleme mache, aber für Russland sei er gut.
    Wir können uns nur schwer losreißen, aber wir wollen ja noch den Kreml besichtigen und müssen mit vielen Sperrungen rechnen, weil ja Stadtfest ist. Wir tauschen unsere Kontaktdaten aus und verabreden uns in St. Petersburg zu treffen.

    Beim Bezahlen der Hotelrechnung erwartet uns eine neue Überraschung. Meine Geldkarte funktioniert nicht. Mit der Kreditkarte geht es zum Glück. Ich errinnere mich, dass mir vor der Abreise mein Mann gesagt hatte, es könne vorkommen, dass in einigen Ländern die Geldkarten nicht funktionierten, sondern gesperrt seien und man diese im Vorfeld entsperren lassen müsse. Das hatte ich natürlich nicht gemacht. Selbst schuld! Wir probieren noch mit Omas Karte Geld abzuheben. Geht auch nicht. Oma ist geschockt. Jetzt hat sie Angst ohne Geld dazustehen für die kommende Woche. Lars wird schnell informiert und wird aus Deutschland Bargeld zum Umtausch mitbringen. Wir verabreden alsbald möglich unsere Bank anzurufen und zu klären, was los ist. Wir tun das einige Tage später in St. Petersburg und erfahren, dass wir die Karten für Russland tatsächlich hätten entsperren lassen müssen. Man könnte das nun auch online tun - für den Fall, dass man am Onlinebanking teilnimmt - was Oma aber auch nicht tut. Ich beschließe darauf zu verzichten und für die Zeit in Russland mit der Kreditkarte zu zahlen. Außerdem habe ich noch ein wenig Bargeld zum Umtausch dabei und hatte einige Rubel ja schon getauscht. Komisch, dass die Bank uns nicht auf die Kartensperrung hingewiesen hat, als wir dort die Rubel gekauft hatten.
    Wir bummeln über das Stadtfest, die ganze Stadt ist lebendig und auf den Beinen. Kunsthandwerk, Musik, Tanz, Rummelplatz und jede Menge Tand. Ganz wie bei uns auch. Rosa geht zum Kinderschminken und anschließend gehen wir zu dem fantatischen hervorragend erhaltenen riesigen Kreml der Stadt mit der Dreifaltigkeitskathedrale. So etwas haben wir nie zuvor gesehen. Die ehemalige Zitadelle soll eine der ältesten, wenn nicht überhaupt die älteste erhaltene Kremlanlage in Russland sein. Sie erstreckt sich auf rund drei Hektar, besteht aus einer historischen Befestigungsmauer und mehreren Sakral- und Profanbauten Der Kreml liegt auf einer Anhöhe an der Mündung des Flusses Pskowa in die Welikaja. Wir verbringen - gemeinsam mit vielen russischen Besuchern - mindestens eine Stunde dort. Wegen des Stadtfestes werden auch mittelalterliche Kämpfe im Innenhof abgehalten.
    Gegen 13 Uhr brechen wir aus der Stadt auf und machen uns in Richtung St. Petersburg auf den Weg. Uns stehen knapp 300 km in knapp 4 h Fahrzeit bevor. Das lässt uns wiederum auf eine nicht wirklich gute Straßenausbauqualität schließen, wir sollten recht behalten.
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  • Day 14

    Vor den Toren St. Petersburgs

    July 20, 2019 in Russia ⋅ ☁️ 18 °C

    Wir finden uns am Abend dieses Tages im Tuutari Park in Retselya vor den Toren von St. Petersburg. Das es sich dabei um den einstigen Lieblingsjagdplatz von Peter dem Großen, vor den Toren der Stadt handelt, erfahre ich erst später. Der Park hält heute jede Art von Outdoor-Aktivitäten für alle Jahreszeiten vor, im Winter Skipisten (wir sehen die Lifts und Schneekanonen und sogar ein hübsches Lokal für den Apres-Ski) und im Sommer einen Badesee mit Kletterpark. Der Platz für Wohnmobile scheint nagelneu. Riesige Sanitäranlagen, eine große Küche Wir waren ganz allein. Als wir vorfuhren dauerte es nur wenige Minuten und der Service war besetzt. Wir konnten uns anmelden, bekamen alles erklärt und gezeigt, sogar ein extra Rundgang wurde uns zuteil. Wir fühlten uns ein wenig einsam auf dem riesigen Terrain. Erstaunt war ich, dass man auch dort, obwohl sehr jung und hipp, fast kein Englisch sprach und den Google Übersetzer bemühte. Wir gingen relativ früh schlafen, hatten unterwegs noch eingekauft und in einem winzigen Ort auf dem Weg dahin eine Art kleinen Supermarkt gefunden. Eigentlich gab es zumindest in einer Hälfte des Ladens ausschließlich Alkohol - von Wodka bis Wein aus mindestens fünfzig verschiedenen Weinanbaugebieten. Alles da. Nur für alles Weitere musste man in einen anderen Laden gehen. Wir gehen früh schlafen, morgen wollen wir Zarskoje Selo besuchen und dann Lars vom Flughafen abholen.Read more

  • Day 15

    Zarskoje Selo - Sommerpalais der Zarin

    July 21, 2019 in Russia ⋅ ⛅ 22 °C

    Wir sind ganz früh von unserem Platz gestartet, wollten um 10 Uhr in Zarskoje Selo sein. Dem Sommerpalais der Zarin. Vor Ort entschieden wir uns für einen bewachten Parkplatz, obwohl der gut bepackte Parkwächter selbst keinen ganz ungefährlichen und der Parkplatz nicht durchgehend einen grundsoliden Eindruck gemacht haben. Trotz der frühen Stunde waren schon vielen Leute um den Park unterwegs, insbesondere Reisegruppen, auch hier waren die aus Japan, oder China...oder...ganz vorn. Wir fanden den Eingang für Individualtouristen - es ist alles, insbesondere im Sommer, sehr auf Gruppen und geführte Touren ausgelegt.
    Zarskoje Selo ist eigentlich der Katharinenpark, der sich in Puschkin, dass früher eben Zarskoje Selo hieß, befindet und etwa 25 Kilometer südlich von Sankt Petersburg liegt. Auf dem Gelände des Parks liegt der Große Katharinenpalast. Er war einst russische Zarenresidenz, wurde im Zweiten Weltkrieg extrem zerstört und danach fast originalgetreu wieder aufgebaut - darin - als besondere Attraktion die Rekonstruktion des Bernsteinzimmers.
    Der Eingang in den Palast führt über den Park, auch das eine Information, die wir erst suchen mussten. In den Park kamen wir sehr unkompliziert, er erlaubte einen herrlichen Blick auf den Palast - das sogenannte Sommerpalais (wir erinnern uns an das Winterpalais in St. Petersburg...und verstehen! Endlich! Was uns die Lehrer in der Schule vergeblich hatten beizubringen versucht). Blau, gelb, gold, weiß, vor einem azurblauen Himmel. Fast wie im Märchen. Wir hatten eigentlich vor, zumindest eine Tour im Palais zu machen, das in insgesamt drei verschiedenen Touren besichtigt werden kann - zur frühen Morgenzeit dürfen dort aber nur Gruppen hinein und erst ab Mittag 12 Uhr konnte man sich an der Schlange für die von uns gewählte Tour anstellen - wir wollten die Rekonstruktion des Bernsteinzimmers sehen. Wir haben dann davon abgesehen, denn um 12 Uhr standen lange Schlangen in brütender Hitze. Haben stattdessen einen langen Spaziergang in dem 100 Hektar großen Park gemacht, der Mitte des 18. Jahrhunderts fertig gestellt worden war. Mit Teichen auf denen venezianische Gondeln kreuzten, türkischem Bad, Grotten, Alleen, Konzerthalle, Pyramide, Turmruine, Blumengarten...Katharinapark und Alexanderpark grenzen direkt aneinander. Wir gaben schnell auf das alles per Fuß zu erkunden und nahmen stattdessen ein Elektromobil, das uns geführt in die verschiedenen Ecken des Parkes brachte. Auch zum chinesischen Garten, der leider gesperrt war, gerade gebaut wurde. Gegen 13 Uhr verließen wir den Park - nach immerhin drei Stunden wieder - und aßen in einem Nahe gelegenen Lokal noch ganz wunderbar zu Mittag. Wir waren ein bisschen aufgeregt, denn 14. 30 Uhr sollte Lars am nahe gelegenen Flughafen landen.
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  • Day 16

    St. Petersburg - Venedig des Nordens?

    July 22, 2019 in Russia ⋅ ☀️ 24 °C

    Eigentlich braucht St. Petersburg einen separaten Reisebericht. Immerhin würden wir eine Woche hier bleiben und viel erleben, auch viel verrücktes und einzigartiges. Ich versuche mich deshalb auf ein paar persönliche Details zu beschränken.
    Wir verließen Tsarskoie Selo und machten uns auf den Weg, zum Flughafen Pulkovo um Lars abzuholen. Julie hatte uns ein paar Tipps gegeben und gewarnt. Eine 5 Millionen Stadt hat auch einen entsprechenden Flughafen. Dessen Besonderheit bestand darin, dass man am Flughafen zum Abholen nur 15 Minuten halten durfte und sollte man diese Zeit überschreiten, hohe Strafgebühren fällig würden. Wir erreichten den Flughafen auf einer fünfspurigen Straße (in eine Richtung fünf Spuren). Am Rande parkten überall Autos, auch das hatte uns Julie erklärt. Die warteten alle, bis der Abzuholende anrief, stiegen dann in ihr Auto und schafften so, nicht mehr als fünfzehn Minuten zum Abholen zu benötigen. Reinfahren, Ticket ziehen, einladen, raus fahren. Fertig. Zunächst wussten wir nicht wirklich, welcher der Terminals überhaupt die Ankunft sein sollte. Wir fuhren auf eine Art Parkplatz, wo uns zugleich relativ eigenartige Männer Parkgebühren abknöpfen und zum Gate fahren wollten. Wir verneinten, stellten uns dumm, versuchten uns erklären zu lassen...und konnten den Parkplatz ohne Gebühren wieder verlassen. Dann fuhren wir das Ankunftsgebäude an, zogen ein Ticket, und nun?? Wir hatten keinen Kontakt zu Lars, der aber schon hätte gelandet sein müssen und nur 15 Minuten Zeit. Dieses Unterfangen schien sinnlos, einen Dauerparkplatz fanden wir nicht, oder gab es nicht. Also wieder aus, aber auch das war nicht so einfach, nur mit Hilfe einer Aufsichtsperson gelang es uns schließlich, das Ticket wieder in den dafür vorgesehen Automaten einzuführen und das Gelände wieder zu verlassen. Das ging also auch nicht. Wir drehten die komplette Runde noch einmal...und stellten uns zu den anderen an den Straßenrand. Und warteten. Wir versuchten Lars SMS zu senden. um ihm zu sagen, er solle sich nach Ankunft melden, stellten aber ziemlich bald fest, dass es ihm wahrscheinlich genau so ging, wie uns am ersten Tag, und er keinen Empfang haben würde. Nach einer ausreichende Wartezeit beschlossen wir, dass Oma bei Detleff bleiben und Rosa und ich uns zu Fuß zum Ankunftsterminal aufmachen würden. Gesagt. Getan. Wir liefen über Fußwege, Wiesen und die fünfspurige Zufahrtsstraße in sengender Hitze zum Terminal. Rundherum tausende Menschen. Wir waren uns sicher, ihn nie zu finden. Plötzlich hörte ich deutsche Stimmen und fragte deren Besitzer, ob sie mit der Maschine 14.30 aus Berlin gekommen und pünktlich gelandet seien. Sie bejahten und damit war klar. Er musste gelandet und auch schon durch die Kontrollen gekommen sein. Ich drehe mich um: Und plötzlich steht er da. Wie immer in aller Ruhe. Er hätte auch noch länger auf uns gewartet. Eine große Wiedersehensfreude und Erleichterung, vor allem bei mir. Ich hatte ein bisschen das Gefühl, die Verantwortung nun einmal abgeben und mich anlehnen zu können.

    Wir sind dann in die Stadt hinein gefahren. Unser Appartement (Oksana Appartements) liegt in der Rubinsteinstraße direkt am Newski Prospekt. Das Appartement ist wirklich reizend, in einem Hinterhof und damit vollkommen ruhig gelegen, unmittelbar vor der Tür sind mehrere Supermärkte, sogar eine Markthalle, wie wir später bemerken und auch die Metro. Den Newski hinunter ist man schnell an der Newa und im historischen Zentrum. Man muss allerdings gut zu Fuß sein. Ich werde nicht jedes Detail der Stadt beschreiben, nur ein paar besondere Feststellungen notieren.

    Wir haben eine Stadtrundfahrt mit einem dieser Hopp on -Hopp off Busse gemacht - immer lohnenswert, weil man damit erst einmal einen Überblick bekommt. Wir haben uns natürlich den Panzerkreuzer Aurora angeschaut - ich konnte kaum glauben, dass ich persönlich vor dem Schrecken meiner früheren Russischstunden stand - sind in der Peter und Paul -Festung ausgestiegen und haben eine schöne Runde darin gedreht. (Es war so heiß in der Stadt, eine Menge Leute badeten zu Fuße der Festung in der Newa obwohl der Fluß nicht wirklich einladend aussah und auch ziemlich schmutzig sein soll.) Von den Mauern der Festung hat man einen herrlichen Blick über die Stadt. Mich hat die Erkenntnis erstaunt, das Petersburg keine historisch gewachsene Stadt ist, sondern Zar Peter sie auf dem Reißbrett in die Mündung des Deltas der Newa geplant und bauen lassen hat. So sind fast alle Bauten im 18./ 19. Jahrhundert entstanden und bilden fast eine Kulisse. Sie ist auch Russlands "Fenster zum Westen" und damit fast westeuropäisch. Das wahre Russland findet man dort nicht. Aber die Stadt ist wunderschön und in jedem Fall eine Reise wert.

    Als wir in der Stadt waren wurde gerade eine Zeremonie zur Ehren der Weihe eines restaurierten Schiffes mit allem Pomp geplant . Die Schiffe der Marine wurden auf der Newa gereiht und geschmückt und an einem Tag flog die gesamte russische Militärstaffel über uns einen Probeflug für das große Event. Ich gebe zu, das war ein absoluter Zittermoment. Solche Militärparaden kennen wir sonst nur aus dem Fernsehen. Insbesondere die Abschlussformation aus fünf Flugzeugen, die mit ihrem Kondenzstreifen die russische Flagge abbildeten waren doch eher furchteinflößend als beruhigend.

    Besonders schön fanden wir Neu Holland, eine kleine Insel mit Backsteinbauten in einem Wasserdreieck aus drei Kanälen. Die Insel war lange Zeit militärisches Sperrgebiet und ist jetzt der schönste Platz der Stadt für Kreative, Kunsthandwerk, ausgefallene Lokale und vor allem für die Kinder der Stadt (die ansonsten wenig Platz zum Spielen haben). Es steht dort ein unfassbar riesiges Schiffsskelett aus Holz, das auf mehreren Etage für alle Art der Kletterfreude taugt. Inmitten der Insel liegt ein künstlicher See neben einem schwimmenden Holzsteg mit Liegestühlen. Auf dem See riesige Seerosenblätter aus Kunststoff zum Paddeln und Toben. Unnötig zu erwähnen, dass wir uns dort so unheimlich wohl gefühlt haben und fast einen ganzen Tag geblieben sind.

    Einen Nachmittag lang habe ich mich ganz allein auf die Socken gemacht um ERARTA zu entdecken. Russische Kunst der Gegenwart von 1945 bis heute. Es ist eine private Sammlung und die ist sowohl in dem Gebäude hervorragend aufgehoben, als auch hervorragend präsentiert. Ich habe mir einen Überblick über die Dauerausstellung auf drei Etage verschafft. Besonders beeindruckend waren sogenannte U-Space - fünf an der Zahl - interaktive Installationen zu bestimmten Themen. Dafür musste man sich anmelden und konnte nur in Gruppen hinein. Das habe ich mir nicht getraut, aber ich muss wieder hin. Um dahin zu kommen habe ich tatsächlich den O-Bus, den sogenannten Oberleitungsbus genutzt. Die gab es auch in der DDR - ich glaubte sie abgeschafft. Besonders beeindruckt hat mich, dass tatsächlich in jedem Bus eine Art Kontrolleurin oder Schaffnerin sitzt, die einem ein Ticket verkauft und auch die Tickets kontrolliert. Ich fand sie, nachdem ich vergebens, auf ein Zeichen des Fahrers, einen Automaten im Bus gesucht hatte. Innerlich musste ich lachen. So schafft man Vollbeschäftigung. Aber die Frau war unheimlich nett und zeigte mir nicht nur die richtige Haltestelle sondern auch Richtung und Weg, den ich nach dem Aussteigen gehen musste.

    Ganz groß geschrieben wird das Thema Sicherheit. Gleich, ob man ein Museum besucht, die U-Bahn betritt oder auf einen Bahnhof will, überall Taschenkontrollen, Ganzkörperscreenings, überall Kameras auf Straßen und Plätzen. Man fühlt sich tatsächlich unheimlich sicher, wenn man kein Problem damit hat, überall beobachtet zu sein. Man muss sich ja mit seiner Einreisegenehmigung ohnehin überall dort registrieren, wo man länger als sieben Tage verweilt.

    Was möchte ich noch erwähnen: Natürlich haben wir alle die klassischen Petersburger dostoprimetschatelnosti besucht. Vom Winterpalast, über die Eremitage, die Auferstehungskirche, die Isaakkathedrale....und so weiter und so fort. Museen haben wir nur wenige gesehen. Eben das oben genannte. Oma war im Puschkin Museum und musste vor Rührung weinen, in Puschkins Arbeitszimmer zu stehen. Dann waren wir beiden noch im Dostojewski Museum. Auch das - hervorragend aufbereitet. Im Arbeitszimmer von Dostojewskis Frau hingen drei Postkarten. Eine davon war aus Dresden - Canalettoblick. In Dostojewskis Arbeitszimmer hing eine Reproduktion der Sixtinischen Madonna. Heimatgefühl. Dostojewski war in Dresden zur Kur und hat wohl oft vor der Madonna gestanden, deshalb hat seine Frau eine Reproduktion mitbringen lassen und ihm geschenkt.
    In der Nähe unseres Appartements war die Markthalle der Stadt. Davor saßen hunderte Mütterchen, denen man ansah, dass sie ein schweres Leben und offenbar wenig Geld hatten. Sie verkauften Gurken und Tomaten, Pilze und Beeren, praktisch jede Art von Gemüse und Obst aus dem heimischen Garten oder Wald. Oma und ich hatten uns vorgenommen, eigentlich nur dort Obst und Gemüse zu kaufen. Spätestens beim zweiten Einkauf, als wir plötzlich feststellten, dass jedes noch so kleine Säckchen Gurken oder Tomaten, jede Knoblauchzehe oder Zwiebel genau wie ein Eimerchen mit Pfifferlingen für uns immer zum Preis von 200 Rubel (knapp 3 Euro) über den Tisch gehen sollten, begann uns die Sache nicht mehr geheuer zu sein. Der Preis war für die Pfifferlinge ja angemessen, aber für fünf winzige Gürkchen?? Wir ließen das dann lieber sein und bedienten uns im Supermarktregal mit Gemüsewaage.

    Neu war auch die Erkenntnis, dass Singer (Nähmaschinen) ursprünglich ihren Firmensitz in St. Petersburg hatten. Seit 1919 waren verschiedene Verlage in dem Gebäude am Newski-Prospekt untergebracht, heute St. Petersburgs bekannteste und größte (leider aber auch überfüllteste) Buchhandlung.
    An einem der Abende haben wir Julie und Viktor und Katja zum Essen eingeladen. Wir haben in einem russichen Supermarkt eingekauft und Oma hat deutsch gekocht. Reis mit Gulasch, dazu Salat. Julie und ihr Mann haben Süßes und Torte und Wein und viele russische Spezialitäten mitgebracht. Wir hatten einen so wundervollen Abend zusammen. Es war genau so, wie man sich Gastfreundschaft oder Freundschaft auf Russisch vorstellt, nur das wir in St. Petersburg in einem Appartement im Zentrum der Stadt die Gastgeber waren. Globalisierung halt. Wir hatten gemeinsam so viel Freude und die Kinder auch.
    Ein besonderes Erlebnis war der Besuch im Zirkus in St. Petersburg und dessen neues Programm "Im Epizentrum der Welt". (Ein Schelm, wer böses dabei denkt!) Nein, ich denke nichts böses. Ich mag den Stolz der Russen über alle Maßen und sie haben allen Grund dazu. Der Circus Ciniselli (Russisch: Цирк Чинизелли) war der erste als fester Steinbau errichtete Zirkus in Russland. Er liegt am Ufer des Newa-Armes Fontanka - so heißt auch die Straße. Das Programm, das wir gesehen haben, ist eine Nachwehe der Fußball WM. Es beginnt mir der Anreise zahlreicher internationaler Gäste im Flugzeug die sich dann als Artisten, Clowns, Dompteure und Dresseure erweisen. Fünf Clowns, die wieder das Publikum auf verschiedene Art mit Ton- und Videotechnik einbeziehen und wirklich Spaß machen. Es war faszinierend im eigentlichen Sinne dieses Wortes, das man ja kaum noch verwendet. Insbesondere die Dressur der Tiger (ja, es gab auch weiße Tiger!), Pferde und Hunde. Ich weiß, das ist politisch nicht korrekt, aber ich war irgendwie glücklich, meiner Tochter etwas zeigen zu können, das auch ich als Kind im Zirkus gesehen hatte. Eindeutig: Ich bin und werde deshalb kein Freund von Tierdressuren! Aber ich habe mich gefühlt wie ein Kind. Großartig auch die Artisten, das Ambiente, am Schluss fielen dreifach überlebensgroße Gummifußbälle aus dem Manegenhimmel ins Publikum - gesichert natürlich - mit denen das Publikum spielen konnte.
    Abreisetag: Bevor es soweit ist, muss ich noch schnell die Parkplatzgeschichte erzählen. Ursprünglich sollte unser Detleff in einem Hinterhof auf einem Parkplatz stehen, der zum Appartement gehört. Natürlich hatten die Vermieter die Rechnung ohne Detleff gemacht, denn so ein Wohnmobil ist natürlich traditionell etwas größer und passt also nicht durch eine Durchfahrt in einen Hinterhof. Direkt neben "unserem" Haus war ein bewachter Parkplatz, es lag also nahe, den Wachmann nach einem Deal zu fragen und vielleicht eine Woche zu günstigen Konditionen dort stehen zu können. Fehlanzeige. Der Wachmann war nicht der Besitzer (natürlich!) und konnte mit uns keinen Deal machen. Wir mussten also auf der Straße stehen und hatten (wie immer) Glück! Just im Moment unserer Suche wurde dort ein (übrigens kostenloser) Platz frei und wir konnten uns mit einigem Hin- und Hermanövrieren dort einparken. Blieb noch die Furcht, es könnte jemand unserem Detleff etwas antun. Also bat ich den Parkplatzbewacher (mit ein paar diskret zugesteckten Rubel) doch einmal ab und an und vor allem nachts ein Auge auf unsere Maschina zu werfen. Er nahm das mit Freuden an (übrigens nicht das Geld, das wollte er zunächst nicht haben!) Er nahm seine Aufgabe ungeheuer ernst und fragte uns von da an jeden Tag, ob Maschina ok? Vor unserer Abreise habe ich ihm auf einer Tafel Dankesschokolade noch einmal ein paar Rubel zugeschoben und ihn sichtbar glücklich gemacht.
    Am Sonntag morgen sind wir sehr früh aufgestanden, Lars hatte 6 Uhr den Transfer zum Flughafen und wir wollten möglichst vor dem großen Verkehr aus der Stadt raus sein. Morgens um 6 standen wir also in der Rubinsteina und stellten fest, dass diese Stadt offenbar nie schlief. Mitten in der Straße standen zwei Mädchen mit Pferden und auf einem Auto saß ein junger Mann und spielte mit seinem Klappmesser. Auch sonst war die Straße voll und wir waren ziemlich froh, dass wir zügig auswärts fahren und in die Natur zurückkehren konnten.
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