• WildeHilde
Feb – Oct 2024

Ich gehe.

Es gibt einen Plan.
Schließlich braucht’s
was zum Verwerfen…
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  • 9. September

    September 9, 2024 in Norway ⋅ ⛅ 16 °C

    Was essen und schlafen nicht alles bewirken. Nachdem ich ja gut gegessen und mich schon um acht in die Falle gelegt habe, stehe ich heute morgen gut erholt um sechs auf. Der Blick nach draußen verheißt wieder einmal tolles Wetter, lediglich beim Zusammenpacken zieht es sich doch tatsächlich für einen kurzen Moment zu, so dass mein Blick ungewöhnlich häufig hoch ans Firmament geht und das Abbauen des Zeltes aussieht, als hätte jemand die „Schnell-Vorspulen“-Taste gedrückt. Tatsächlich gibt es ein paar winzig kleine Tröpfchen, die es nicht mal abzuwischen lohnt und all dieser Spuk ist nach dem Einpacken vorbei. Ich habe dazu keine weiteren Fragen. Mein Knie fühlt sich zumindest nicht schlechter an als bisher und ist auch nicht angeschwollen, ich nehme trotzdem freiwillig am Morgen die Wanderstöcke raus, um guten Willen zu zeigen. Von meinem wunderbaren Schlafplatz auf gut 800 m.ü.M. zieht es sich ab um acht einen kleinen Pass hinauf über gut 950 m. Zu meiner linken ziehen langsam die Gletscher im Ruovdoaivvit-Massiv vorbei, mehr und mehr lösen sich auch die Wolken auf, die sie anfangs noch verdeckten. Diese Hochwiesen, in denen ich gerade laufe, haben sich von ursprünglich mal grün inzwischen auf beige-braun geändert und wirken im Morgenlicht so friedlich und ruhig, und bis auf ein wenig Wind ist es auch völlig ruhig. Ich fühle mich heute morgen deutlich kräftiger und glaube, dass ich diesen Tag wieder so normal laufen kann, wie ich es gewöhnt bin. Gegen halb zehn erreiche ich den höchsten Punkt, den ich heute zu überschreiten habe, erstaunlicherweise gibt es genau hier oben eine Sami-Siedlung, es sind wie so häufig verstreut einige Hütten. Auch wenn sich der Weg ziemlich durchgehend über Grasland zieht, sind zwischendurch natürlich immer mal trockene Flussbetten oder auch steinige Gegenden zu durchqueren, die warum auch immer nicht über die Jahrhunderte und Jahrtausende zugewachsen sind. Alle Furten, die zu queren sind, sind sehr einfach, ich habe soeben den Nationalpark verlassen und es zieht sich ab jetzt konsequent leicht abwärts durchs Láirevággi-Tal entlang des Láirevákkejohka. An verschiedenen Stellen sind die Gesteins-Ausbildungen gerade an diesem Fluss besonders gut zu erkennen, es ist beeindruckend, was die Eiszeit uns alles schönes hinterlassen hat. Während einer Pause auf dem Weg abwärts zieht auf der anderen Seite des Flusses eine Herde Rentiere vorbei. Es ist wunderbar, ihnen in Ruhe auf ihrem Weg zuzusehen. Ebenso auf dem Weg, heute gefühlt in Unmengen, sind die kleinen schwarzen oder braunen haarigen Raupen. Sie werden nach der Verpuppung Zimtbären sein. Wer möchte das nicht? Und ich dachte schon, ich sehe hier gar keine Bären und nur Zimtschnecken. Seit der Sami-Siedlung gibt es immer mal wieder überkreuzend mit dem Wanderweg eine ATV-Spur, teilweise laufe ich auch in ihr und etwas tiefer im Tal gibt es im Fluss eine Art Rückhalte-Mauer, die wahrscheinlich die Wassermassen zur Zeit der Schneeschmelze etwas bremsen sollen. Es sieht alles recht neu aus, auch mit einem kleinen Gebäude und einer LED Anzeige daneben. Kurz nachdem ich das Bauwerk passiert habe, kommt mir in einem Fahrzeug, dass ich sonst nur aus dem militärischen Umfeld in den Bergen kenne, ein junger Mann entgegen. Er ist wohl Techniker und hat an dieser Baustelle noch etwas zu tun. Laut meiner Karte komme ich im Tal an einen aufgestauten See, den Altevatnet. Geplant hatte ich das circa für um eins, tatsächlich wird es dank etlicher Blaupausen am Ende zwei, bis ich kurz vor der Staumauer stehe. Ich treffe auf ein norwegisches Rentnerpaar aus Tromsø und wir unterhalten uns einen Moment. Die Aussage der ehemaligen Deutschlehrerin zum Thema aktuelles wunderbares Herbstwetter bleibt bei mir besonders hängen: „It’s absolut unusual.“ Sollte ich eventuell schon wieder eine Joker-Karte gezogen haben? Ich passiere den Staudamm entlang seiner Krone, sehe zur linken einen großen Campingplatz und im Wald etliche Sommerhäuser, zu meiner rechten direkt am See noch einmal eine ganze Menge verstreut stehender Häuser und einen großen Platz mit Fahrzeugen. Einen guten halben Kilometer danach komme ich an die Altevasshytta. Sie ist verschlossen und deshalb halte ich meine große Pause gegen halb drei draußen auf der Bank. Mein Tagessoll von gut 20 km hätte ich für heute schon erreicht, da es sich aber recht einfach läuft und ich mich gut fühle, vielleicht auch um ein wenig für gestern nachzuholen, gehe ich anschließend noch weiter. Der Nordkalottleden zieht sich hier an diesem recht großen See um das westliche Ende herum am Fuße des Lifjellet entlang. Bis zur nächsten Hütte sind es noch 12 km, ich bin nicht sicher, ob ich soweit noch laufen möchte. Im Laufe des Nachmittags hat der Wind deutlich zugenommen und gerade jetzt, wo ich durch eine weite flache Ebene am See entlang gehe, prescht er natürlich ungebremst hier durch die Landschaft. Je länger ich am See entlang gehe, desto kräftiger wird der Wind und ich denke darüber nach, vielleicht doch die Hütte aufzusuchen. Gleichzeitig nehme ich schon über den ganzen Nachmittag von Süden her wahr, dass es sich in den Bergen dunkel zugezogen hat und mein Bauchgefühl sagt mir, es könnte ordentlich gewittern am Abend. Ich habe inzwischen weitere 6 km seit der großen Pause geschafft, bin am Fuße des erwähnten Bergs unweit des Seeufers und mache gerade eine Pause. Hinter mir nehme ich eine wunderbare Fläche wahr, auf der ich das Zelt aufstellen kann, auch wenn es einigermaßen ausgesetzt ist. Für mich aber auch mal eine Gelegenheit, mal in wirklichem Wind zu sehen, was der kleine Bunker alles aushält. Und so platziere ich gegen halb fünf das Zelt bei kräftigem Wind in der Erwartung, dass es in der nächsten Stunde auch gewittern wird. In Wirklichkeit lässt der Wind vorläufig sogar ein wenig nach, mal sehen , was die Nacht bringt. Ich muss noch mal ein paar 100 m gehen, um Wasser zu holen und kann dann ganz entspannt bei offenem Hoftor mein Essen anrühren und den Blick auf den See genießen.Read more

  • 10. September

    September 10, 2024 in Norway ⋅ 🌬 13 °C

    So wild war es dann doch gestern Abend nicht mehr. Der Wind hat zwar noch mal zugelegt, aber nicht in einer Form, die mich irgendwie beunruhigt hätte. Eine Sache war am Abend noch besonders, ich habe über den See auf der anderen Seite Lichter wie Straßenlaternen gesehen, also da, wo auch Häuser stehen. Seit wie langer Zeit sehe ich nirgends Lichter, da es hier rum in den Bergen kaum irgendwo Elektrizität gibt. Am Morgen windet es weiterhin ganz gut, dafür ist dann auch alles ordentlich durchgetrocknet. Entsprechend bin ich auch mit Frühstücken und Packen relativ flott durch und kann schon um kurz vor acht losgehen. Ab jetzt geht es für die nächsten zwei Tage Richtung Osten, um dann noch vor der schwedischen Grenze wieder Richtung Norden weiterzugehen. Deshalb scheint mir die Sonne auch direkt ins Gesicht, wenn sie zwischen den Wolken von Zeit zu Zeit durchkommt, es ist trotz des Windes verhältnismäßig warm. Ich will heute die Vuomahytta in gut 24 km Entfernung ansteuern, da eigentlich aber der Ruhetag geplant war, bin ich noch nicht abschließend sicher, ob ich in der Gaskashytta in 6 km bleibe und den Rest als Ruhetag mache oder wirklich durchgehe. Es führt erst mal weiter in der Nähe des Sees am Fuße des Berges durch nicht allzu dichten Birkenwald. Die Wolken haben irgendwie andere Formationen, die mich gestern immer haben Richtung Gewitter tendieren lassen, heute denke ich über noch stärkeren Wind nach, bin aber kein Meteorologe. Es geht im Wald leicht bergan und zieht sich immer mehr vom See weg, während zu meiner linken der Lifjellet immer mehr an Höhe verliert. An seinem Auslauf zieht er sich in ein Tal und dort komme ich nach gut zwei Stunden, nachdem ich noch ein paar deutsche Wanderer am Weg getroffen habe, zur Gaskashytta. Schon in einiger Entfernung nehme ich ganz leicht Rauch wahr, also scheint jemand vor Ort zu sein. Ich kehre ein und treffe auf die Norwegerin Anne-Julia, schon wieder eine ehemalige Deutschlehrerin, die ehrenamtlich zusammen mit einigen anderen Leuten hier die Hütten für den Winter vorbereitet und diverse Arbeiten erledigt haben. Sie haben unter anderem eine der Hütten um 40 cm angehoben, da sie sich gesenkt hatte. Das alles mit mehreren Wagenhebern. Schon interessant, was die Mitglieder alles freiwillig auf die Beine stellen. Sie ist jetzt allein hier und wartet auf ihren Mann, der sie in einigen Tagen abholen will. Da sie mir einen Kaffee und eine halbe Tafel Schokolade anbietet, kommen wir gut ins Gespräch und aus der geplanten Stunde werden mindestens anderthalb. Dann kommen wir fast beiläufig auf das Wetter zu sprechen. Laut ihrem Wetterbericht soll es am Nachmittag Sturm geben, angekündigt sind circa 80 km/h, ich vergleiche das außergewöhnlicherweise noch mal mit meiner Vorhersage, die melden je nach exponierter Lage bis zu 120 km/h. Ok, kurz drüber nachgedacht, ich werde den größten Teil der Strecke um die Zeit gemacht haben und breche gegen halb zwölf von hier auf. Ich folge dem Tal Gaskkasvággi in Richtung eines Passes, der von hier auf 550 m.ü.M. über knapp 1000m zur Vuomahytta auf circa 700m führt. Der Birkenwald rundherum ist tot, es ist eine bestimmte Raupenart, die die Blätter frisst und wenn sie zu lange die Bäume befallen, sterben die halt ab. Der Aufstieg Richtung Pass ist anfangs über Hochwiesen, nicht sonderlich steil, aber es zieht sich. Die Landschaft rundherum ist ziemlich trist anzusehen, die Berge sind reines, graues Geröll und das wird mit zunehmender Höhe auch mehr und mehr mein Weg. Natürlich nimmt auch der Wind weiter oben zu, da für den späteren Nachmittag auch Regen angekündigt ist, bereite ich bei einer Pause schon mal alles vor, also Regenhose und Poncho. Um das tierisch laute Flattern des Ponchos zu verringern, habe ich heute eine zusätzliche Befestigung angebracht, mal sehen, ob es einen großen Unterschied macht. Inzwischen laufe ich nur noch durch eine Steinwüste, der Wind ist hart von vorn, das Vorwärtskommen ist nur noch ein mechanisches Schritt für Schritt voreinander setzen. Ich nutze meine Wanderstöcke dazu, die mich hier deutlich unterstützen. Nichtsdesto trotz ist der Sturm nicht so schlimm, wie ich mir das ausgemalt hatte. Und schließlich bin ich inzwischen auf der höchsten Ebene angekommen, die ich zu überqueren habe. Es fühlt sich jetzt inzwischen sogar an, dass der Wind nachgelassen hat. Die Wolken ziehen in rasant hoher Geschwindigkeit vorbei und ganz langsam beginnt sich der Weg wieder Richtung Tal zu ziehen. Zu meiner linken habe ich das Gaibagáisi-Massiv, das bis auf knapp 1400 m.ü.M. aufragt, zur rechten den Doaresoaivi. Es läuft sich recht aufwändig, das umherliegende Geröll ist nicht sonderlich groß, oftmals stehen die Steinplatten hochkant und sind wackelig unter den Füßen. Je weiter ich zwischen diese Berge komme, desto mehr nimmt der Wind wieder zu und ich bin verwundert, mit welcher Stärke er inzwischen bläst. Das ist inzwischen deutlich mehr als vorhin auf dem Pass ganz oben. Ausgerechnet in diesem Hochtal hätte ich durch die Berge zu beiden Seiten genau das nicht erwartet. Die Windrichtung wechselt so abrupt, während es von vorn links kommt, ist es 2 Sekunden später von rechts. Dazu setzt ganz langsam der Regen ein, anfangs noch als feiner Niesel, der durch die hohe Windgeschwindigkeit hart auf der Haut prickelt. Je tiefer ich in dieses Tal komme, es öffnet sich später noch zu einer größeren, weiten Fläche, desto härter beißt der Wind an. Ich stehe inzwischen sehr häufig total schräg, komme nicht mehr vorwärts, sondern halte einfach nur noch dagegen, um nicht umgeworfen zu werden. Immer, wenn es kleine Böschungen herunter geht, warte ich auf eine ganz kurze Flaute, um nicht Gefahr zu laufen, aus dem Tritt gebracht zu werden und darunter zu rollen. Die Windgeschwindigkeit ist hier so viel höher, als ich sie oben auf der Passhöhe hatte, unglaublich. Von den Felswänden her dröhnt es wie ein Wasserfall, aber da ist keiner, es ist der Sturm, der so laut darüber fegt. Ich bin zwar insgesamt gut vorwärtsgekommen, es sind von hier nur noch circa 5 km bis zur Hütte, aber die werden heute verdammt lang. Ganz nebenbei bin ich gerade in den Øvre Dividal Nasjonalpark gekommen, aber das ist gerade wirklich nur Beiwerk. Es wird immer schwieriger, überhaupt vorwärts zu kommen, sehr häufig stütze ich mich nur noch auf den Stöcken ab oder versuche irgendwie, nicht umzufallen. Die Schritte sind sehr klein und ich sehe an einigen Seen, die hier in diesem Hochtal sind, wie das Wasser komplett hochgewirbelt und übers Land gefegt wird. Ebenso ein Wasserfall, der oben in den Bergen herunterstürzt, ein Großteil des Wassers wird gegen seine eigentliche Richtung wieder hochgeblasen. Es ist inzwischen vier geworden und ich kann sagen, in einem solchen Sturm bin ich noch nie unterwegs gewesen. Immerhin ist meine Poncho-Konstruktion ganz gut und so arbeite ich mich die letzte Stunde langsam durch diese Witterung. Gegen fünf erreiche ich die Vuomahytta, der Regen ist inzwischen massiv, und so reicht der Moment vor der Hütte, als ich den Poncho vom Rucksack nehme, um den Schlüssel rauszuholen, dass der Rucksack komplett durch ist. Ich habe mich tatsächlich noch nie so auf eine Hütte gefreut, sehe zu, dass ich die Sachen zumindest in den Vorraum schaffe und die Tür hinter mir zukriege. Als kleine Belohnung habe ich hier tatsächlich eine royale Unterkunft. Die Hütte ist in 2018 gebaut worden, recht modern, hell und mit großen Panoramafenstern raus zum Vuomajavri. Ich hänge alle nassen Sachen auf, mache Feuer im Ofen und sitze nach dem Essen auf dem großen Sofa, während der Sturm ums Haus donnert. Tatsächlich merke ich, wie die ganze Hütte bebt, wenn einzelne kräftige Böen auftreffen. Was freue ich mich jetzt auf den morgigen freien Tag!Read more

  • 11. September - Ruhetag

    September 11, 2024 in Norway ⋅ ☁️ 9 °C

    Hui. Gut, dass ich hier bin. Der Schlaf war dank lautstarkem Pfeifen und Dröhnen ums Haus nicht sonderlich gut, dafür schlafe ich am Morgen bis um neun aus. Der Wind hat sich beruhigt, also es ist jetzt nicht komplett ohne, aber deutlich ruhiger als gestern. Außerdem regnet es nicht mehr und der Himmel zeigt sich blau mit schönen Wolkenformationen. Ich gehe zum Frühstück auf das Sofa, beobachte draußen recht nah zwei Rentiere und wie sich die Wolken langsam, aber stetig über den Namahisvárri auf der gegenüberliegenden Seeseite schieben. Von um zehn bis zwölf schlafe ich noch mal ein und mache mich am Nachmittag an ein paar kleinere Sachen ran: Das zeitweise Quietschen des Rucksacks bekämpfen, die neuen Handschuhe gegen Schusseligkeit sichern und Dies und Das. Am Nachmittag entdecke ich Richtung Norden das Njunis-Massiv, es ragt bis auf 1717 m auf. Auf einem der Berge gibt es ein sehr breites, absolut planes statt spitz zulaufendes oberes Ende. Merkwürdig anzusehen. Und irgendwas ist doch da oben drauf. Mein Fernglas ist da sehr hilfreich, es ist eine militärische Radarstation, deren Antenne sich konstant dreht und deshalb selbst auf diese Entfernung von circa zehn Kilometern ins Auge fällt. Sie ist versenkbar und es gibt einen Tunnel durch den Berg dorthin, wie ich später erfahre.
    Am späten Nachmittag kommen noch ein paar weitere Wanderer und Jäger mit ihren Hunden dazu. Schon gegen neun sind heute die ersten Polarlichter zu sehen, danach zieht sich der Himmel zu sehr zu und meine Augen auch.
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  • 12. September

    September 12, 2024 in Norway ⋅ ☁️ 8 °C

    Wenn ein Donnerstag sich wie ein Montagmorgen anfühlt, dann nur, weil die Ruhetage durcheinander sind. Aber auch der Blick nach draußen ist nicht sehr einladend. Der Wind pfeift hart übers Fjäll und peitscht den Regen vor die großen Fensterscheiben. Ich gebe mir noch eine halbe Stunde zusätzlich, bevor ich dann tatsächlich aufstehe. Einerseits fühle ich mich gut und bereit, heute morgen aufzubrechen, da alle Sachen erledigt sind, die ich vorhatte, andererseits scheint es so, als wollte der waagerecht draußen vorbeipreschende Regen sagen: „Komm raus, du Weichei, ich krieg‘ dich eh.“ Also passiert das Frühstück und Einpacken nicht nur bei mir, sondern auch bei dem österreichischen Wanderkollegen mehr wie in Zeitlupe, jeder versucht irgendwie etwas Zeit zu schinden, bevor er da rausgeht. Es gibt noch einen Kaffee mehr und nachdem er und auch alle anderen aus den Hütten abmarschiert sind, schaffe ich es als letzter, dann auch nach um zehn aufzubrechen. Ich verfolge den Weg heute auf Empfehlung der Deutschlehrerin südlich und den Berg Blåfjellet herum statt nördlich, wie der E1 es tut. Es ist wohl eher eine Formsache, vielleicht ein wenig kürzer. So wie sie sagte, gehen die Locals alle diesen Weg, auch wenn er nicht besonders markiert ist. Ich folge dem Pfad, verliere ihn hin und wieder, aber finde ihn auf genauso wundersame Weise immer wieder. Und selbst ohne Pfad weiß ich ja die Richtung, wo ich hin will. Es läuft sich, wie es sich halt läuft bei heftigem Wind von vorn und starkem Regen, der sich auf dem Gesicht wie Graupel anfühlt. Immerhin konnte ich ja alle Regensachen ganz elegant noch in der Hütte vorbereiten, und so zieht es sich zwar nass, aber ausgeruht weit oberhalb des Flusses Vuomajohka durch baumfreies Fjäll, das lediglich am Boden recht krautig ist. Der bedeckte Himmel und das dadurch schwache Sonnenlicht taucht die Landschaft in ein grau mit braun gemischtes Meer, der Regen ist wirklich heftig und es läuft nur so an meinem Gewand runter. Nach einer guten Stunde sehe ich zu meiner rechten hinter den Bergen südlich ein Stück blauen Himmel. Daß meine Laune damit schlagartig angehoben ist, ist mir nicht neu und es dauert von jetzt an nur noch eine Stunde und ich habe komplett blauen Himmel wie schon die ganzen Tage vor dem Sturm. Das hätte ich mir vorhin wirklich nicht träumen lassen. Ich hänge all den Regenkram außen dran, damit der trocknen kann und Stück für Stück wirkt die Landschaft wieder wie eine zimtig-goldige Herbstlandschaft. In der Gegend hier gibt es Heidelbeeren, wie ich sie so fett bisher nirgends hatte und so liege ich alle paar Meter am Boden und schaufle mir händeweise den Süßstoff rein. Da ein Großteil der Blätter von diesem Pflanzen inzwischen abgefallen ist, erntet es sich jetzt noch leichter und schneller.
    Gegen zwei erreiche ich die Stelle am Fluss, an der eine Hängebrücke hinüberführt und treffe hier auf Berit, sie ist in der selben Richtung wie ich unterwegs und wir haben gestern Abend in der Hütte schon eine Zeit zusammen gesessen und uns unterhalten. Es ist Zeit für die große Pause und das letzte Durchtrocknen der Regensachen in der prallen Sonne. Der Himmel ist komplett blau, recht ungewöhnlich für hier. Ich bin damit wieder auf dem Nordkalottleden zurück und gerade ins Anjavassdalen gekommen, kaum einen Kilometer weiter fließen der Vuomajohka und der Anjavasselva zusammen in Richtung Dividalen. Das ist ein großes weites Tal, ich bin jetzt in Seitentälern dahin unterwegs, also geht es immer am Fluss entlang abwärts. Der Weg an sich ist wirklich besonders schön, leicht zu laufen und zieht sich gut zwanzig Meter seitlich über dem Fluss entlang durch kräftig grünen Untergrund, hier sind die Pflanzen der schwarzen Krähenbeere überwiegend. Das ganze abgesetzt mit einzelnen gelben Birken macht mit so viel Azur und heller Beleuchtung richtig was her. Die Zeit verfliegt nur so und das permanente Rauschen des Flusses, hier und da Stromschnellen und Wasserfälle lassen mich hier entlang schweben. Dann sehe ich ziemlich weit im Fluss einen großen Stein, der über ein paar kleinere erreichbar ist. Genau da will ich jetzt sitzen und Pause machen, der Blick geht flussaufwärts der Sonne entgegen und ich kann vor lauter Spiegelung und greller Glitzerei kaum was sehen. Das ist so traumhaft schön, die kleinsten Wasserspritzer sind im grellen Licht so deutlich und tun alles dafür, dass ich sie bewundere. Schade, dass es jetzt keine Pause-Taste fürs Leben gibt. Auf dem Weg weiter abwärts begegne ich drei Jägern, es sind derzeit Unmengen von ihnen in den Wäldern unterwegs auf der Jagd nach Moorschneehühnern, auch an den Schüssen deutlich wahrzunehmen. Außer durch die Jagdhunde und ihre Flinten unterscheiden sie sich kaum von den Wanderern, auch sie ziehen jetzt tagelang zu Fuß umher, übernachten dann in der Regel in den Hütten. Also schleppen auch sie große Rucksäcke mit Ausrüstung, Futter für Mann und Maus und natürlich ihre Beute. Gegen fünf erreiche ich den letzten Wasserfall, bevor der Anjavasselva bei circa 350 m.ü.M. in den Divielva mündet. Kurz danach quert noch eine Brücke den Fluss, an dem sich der Weg jetzt östlich durch Kiefernwald für gut zwei Kilometer flussaufwärts zieht. Ab dann gibt es noch einen sportlichen Endspurt, die letzten zwei Kilometer bringen mich abseits des Divielva wieder aus dem Tal heraus hoch auf gut 600m. Nicht ganz ohne Schweiß auf der Stirn, aber die Aussicht auf Abendsonne dort oben an der Dividalshytta ist eben bei diesem grandiosen Wetter Verlockung genug. Und so bin ich gegen sechs am Abend dort oben, platziere die kleine Trutzburg ziemlich ausgesetzt in der Nähe der Hütte und richte mir drinnen das Abendmahl an. Jünger wären ausreichend da, wieder mal Wanderer und Jäger. Wohl genährt fahre ich gegen halb neun bei kräftigem Wind ins kleine Wohnzimmer ein in der Hoffnung, dass die Heringe draußenrum gut Halt haben.
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  • 13. September

    September 13, 2024 in Norway ⋅ ☁️ 6 °C

    Heute hab ich richtig Bock. Von mir aus stehe ich schon um zehn vor sechs auf, es ist zwar noch bewölkt, aber der Blick durchs Dividalen zeigt weit entfernt schon blauen Himmel und das macht mir Spaß. Der Wind weht einigermaßen und es ist heute morgen gefühlt deutlich kälter als noch gestern. Nachdem ich zur Toilette war ist das Zelt in Nullkommanichts abgebaut und ich gehe rein zum Frühstücken. Möchte vor den ganzen Leuten durch sein, schließlich ist inzwischen die ganze Hütte voll. Kurz vor Mitternacht sind noch etliche Jäger dazugekommen, überall liegen hier Leute rum. Also gibt es beim Frühstück auch noch das eine oder andere zu erzählen, aber ich bin auch schon um acht rum fertig, sodass ich losmarschieren kann. Nach hundert Metern merke ich, dass ich meine Jacke vergessen habe, also noch mal kurz zurück. Ich habe heute 24 km vor mir bis zur Dærtahytta, es geht ab jetzt wieder Richtung Norden, da ich sonst in Kürze im Osten die schwedische Grenze überqueren würde. Auf schwedischer Seite ist allerdings die Esrange-Zone, ein riesiges Raketentest- und Startgebiet, von dem aus auch die ESA zivile Sachen betreibt, zum Beispiel Wetterballone und Raketentests, aber auch Satelliten in den Orbit geschossen werden.
    Vielleicht werde ich heute schon ein oder zwei Kilometer vor der Hütte das Zelt aufstellen, je nachdem, wie ich drauf bin. Der Tag beginnt mit einem absolut steilen Aufstieg, es geht auf den ersten 2 km von 580 m.ü.M. hoch auf 900 m. Für die Wanderwege ist das ungewöhnlich steil, aber es ist, wie es ist. Als ich mich hochgearbeitet habe, habe ich einen fantastischen Blick zurück über das Dividalen und auch ein Teil des Weges, den ich gestern entlanggekommen bin. Da der Wind hier oben heute stark ist, ziehe ich zum ersten Mal nach dem Sommer meinen Schurwoll-Hoodie an und die Handschuhe dazu. Auf der Hochebene zieht es sich jetzt noch bis auf fast 1000 m hoch, läuft sich aber insgesamt wunderbar. Die Wolken ziehen hier noch ziemlich tief und als ich in ein Hochtal komme, dass zwischen den Bergen Jerta und Litle Jerta durchführt, ist es ähnlich wie am Morgen: Die Wolken hängen hier einerseits so tief, dass ich fast in ihnen laufe, aber am Ende des Tales sehe ich helles Licht und blauen Himmel, als wäre es der Eingang zum Paradies. Der Weg dorthin ist nur circa 2 km lang und dann stehe ich tatsächlich vor einer riesenweiten Ebene, die hell von der Sonne erleuchtet ist und über der weiße Wolken vor blauem Himmel stehen. Damit bin ich auch über letzte Zweifel erhaben, was das heutige Wetter betrifft. Insgesamt habe ich sowieso das Gefühl, dass es heute der Tag der unendlichen Weite wird. Nachdem ich in diese Hochebene abgestiegen bin, quere ich einen sehr breiten, aber aktuell recht flachen Fluss, um danach an den Hängen des Berges Stuora Nanná um ihn herum zu laufen. Überall kann ich so sehr weit schauen, diese Ebenen sind schier unendlich. Hier und da begegne ich ein paar Rentieren und habe den ganzen Nachmittag über so fantastisch weite Blicke. Nachdem ich zwischen zwei Seen hindurchgewandert bin, geht es noch einmal etwas höher auf eine Hochebene, von hier habe ich eine wunderbare Aussicht in die Berge des Likkafjellet mit ihrer speziellen hochkant gestreiften Struktur, im Vordergrund ist eine bunte Sami-Siedlung zu sehen. Aber in dieser weiten Entfernung sehe ich am späteren Nachmittag auch Regenschlieren und so versuche ich im Auge zu behalten, wie das Wetter um mich herum ist. Nach der Überquerung der Hochebene tut sich wieder ein sehr weites Tal auf, das Dærtavággi, an dessen Ende ich sogar schon die Hütten als Tagesziel erkenne. Es sind noch gute 6 km von hier und wird ein etwas steiniger, aber nicht sonderlich steiler Aufstieg in diesem weiten Tal. Zur Hälfte des Weges nehme ich hinter mir auf einmal Regen war und tatsächlich beginnt es nach kurzer Zeit zu tropfen, so dass ich vorsichtshalber den Poncho zumindest über den Rucksack ziehe. Das stellt sich später als kleiner Test heraus, es bleibt nämlich trocken und so mache ich die letzten 3 km durch dieses müßig zu laufende Gelände bis zur Hütte, an der ich heute gegen halb sechs nach unheimlich vielen kleinen Genießerpausen ankomme. Mit zwei Belgiern zusammen sitze ich drin zum Abendessen, ich habe sie die Tage schon mal getroffen und es ist eine nette kleine Runde. Gegen halb neun verziehe ich mich raus ins Zelt und mache ziemlich müde die Augen zu.
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  • 14. September

    September 14, 2024 in Norway ⋅ 🌙 6 °C

    Hurra, der erste Frost war da. Am Morgen habe ich leichte Eiserscheinungen am Bodenrand des Zeltes, das Wetter ist trotzdem unglaublich toll. Blauer Himmel, kein Wind und absolute Stille. Ich schaffe alle Sachen in die Hütte rein, frühstücke dort, während das Zelt draußen noch durchlüften kann. Angesichts der Gemütlichkeit in der Hütte wird es auch fast zehn, bis ich loskomme, aber es sind auch nur 17 km für heute bis ins Rostadalen geplant. Ich hatte erst überlegt, den Rest bis nach Kilpisjärvi in drei Tagen zu machen, aber ich freue mich viel zu sehr auf vier genuss- und pausenreiche Herbsttage. Ich bin gestern soweit im Tal hier hochgestiegen, heute morgen steht der Rest an, es wird deutlich steiler und steiniger. Das Tal ist am Ende rundum von Felsen eingeschlossen, so dass das letzte Stück über einen Pass steilan durch Geröll geht. Allerdings ist die wirklich steile Sektion nicht so lang. Dabei habe ich strahlend blauen Himmel, die Sonne wärmt und ich nehme schon die ganzen Tage wahr, wie ich immer längere Schatten werfe, selbst zur Mittagszeit. Das Wärmen der Sonne ist ein anderes, ich nehme es intensiver wahr als zur Sommerzeit, da es außenrum natürlich schon kühl ist. Wie ich so aus dem Tal heraussteige, denke ich an die Zeit zurück, als ich mir um genau diese Tage Sorgen gemacht hab bezüglich Aufladen der Batterien und eventuelle düstere Tage. So gesehen kann ich es als große Gnade empfinden, in diesen Umständen unterwegs zu sein und nicht nur die Batterien für mein Handy geladen zu kriegen, sondern dass auch meine innere mit jeder Stunde voller und voller wird. Nach dem steilen Stück zieht es sich weiter aufwärts und dieser Pass ist einer von der Sorte, wo immer die nächste Kuppe vermeintlich die letzte und höchste ist. Noch mal und noch mal denke ich das und lasse mich an der wieder vermeintlich letzten erst mal zur Pause nieder, sitze genau an der Grenze des Øvre Dividal Nasjonalparks, den ich gerade verlasse. Es ist heute so unglaublich still. Kaum Wind, keine Vögel, hier oben rauscht nicht mal Wasser. Da ich allein unterwegs bin, kann ich diese Stille absolut genießen und wie an jedem Tag so viele Kleinigkeiten am Wegesrand wahrnehmen. Da ist die kleine weiße Blume, die trotz der Höhe von über 1000 m.ü.M. mit Wind und Kälte blüht und strahlt, als gäbe es kein Morgen. Kurz darauf ein paar andere Pflanzen, inzwischen herbstlich kostümiert, die ich gestern im Tal noch grün wie im Frühling habe stehen sehen. Um fünf vor zwölf ist die Passhöhe erreicht, es ist nicht mehr als Stakeln durch Geröll, aber das Wissen um stetiges Bergablaufen von jetzt an macht es etwas einfacher. Außerdem hat sich der Blick auf die folgende Berglandschaft eröffnet, es ist grandios anzusehen und auch wenn das Fjäll gerade hier oben so kahl und unwirtlich ist, machen mir diese Ausblicke mit jedem Mal wieder große Freude. Der Weg passiert einen der vielen Seen in der Hochebene, hier mache ich eine der vielen kurzen Pausen und beobachte eine Lumme auf dem Wasser, die durch ihr auffälliges Rufen auf sich aufmerksam gemacht hat. By the way, meine selbstentworfene Handschuh-Antivergissmeinnicht-Kindersicherung hat sich in den letzten zwei Tagen schon bei fast jeder kurzen Pause bewährt, ich wäre ohne sie garantiert schon wieder mit blauen Fingern unterwegs. Der Wind hat zwar inzwischen deutlich aufgefrischt, das ändert aber nichts an der Helligkeit und insgesamt an der Hochstimmung, die ein solch schöner, jetzt inzwischen kalter Herbsttag mit sich bringt. Im Osten die schwedischen Berge sind nicht so hoch, wirken eher wie Hügel gegenüber den vor mir im Norden und Westen aufragenden norwegischen Bergen. Gegen halb drei habe ich etwas mehr als die Hälfte der Tagesstrecke hinter mir und freue mich auf eine längere Pause, in der es meine halbtrockenen Brotscheiben mit etwas Wurst dazu gibt. Meine zwei belgischen Adjutanten treffen kurz darauf an dieser Stelle ein und entschließen sich kurzfristig, ebenso ihre Pause hier mit mir abzuhalten. Es sind von hier aus noch gute 7 km talabwärts vorbei an so vielen verschiedenen Arten von Bergen. Also irgendwie wirkt jeder Berg so, als wäre er von einer anderen Gesteinsart, der eine zerlegt sich wie ein Sandhaufen, während ein anderer in riesengroßen Blöcken zerfällt und wieder ein anderer beim Zerfallen merkwürdig schön anzusehende Streifenmuster aufweist. Je tiefer sich der Pfad runter ins Tal zieht, desto bunter wird die Landschaft wieder, die Rostahytta wird am Ende bei gut 460 m.üM. liegen. Also gibt es auf den letzten Kilometern auch wieder Heidelbeeren am Wegesrand und nachdem ich gegen halb sechs die Brücke über den Rostaelva überquert habe, ist an den Hütten noch für eine halbe Stunde Zeit für ein Schwätzchen. Bei der Überquerung bin ich allerdings mal wieder schön hängengeblieben: Die Brücke schwankt seitlich ziemlich stark und Ratsch! bin ich mit dem Arm an den Haltebolzen des Stahlseils langgeschrappt. Es ist jetzt das dritte große Loch, durch das mir der Wind reinpfeift, sehe mehr und mehr aus wie der Lumpenkonrad. Aber ich würd’s um keinen Preis hergeben wollen. Schon auf dem Weg hier runter habe ich diverse Schüsse gehört und so war mir klar, dass hier wohl alles voll mit Jägern ist. Exakt danach sieht es auch aus, ich bin erstaunt, wie viele junge Leute und vor allem junge Frauen hier als Jäger unterwegs sind. Da es noch nicht so spät ist und das Wetter einfach so herrlich, beschließe ich noch ein Stück weiterzugehen und finde einen guten halben Kilometer nach den Hütten oberhalb des Flusses einen wunderschönen Platz, an dem ich mich während des Sonnenuntergangs häuslich einrichte. Schon gegen acht am Abend, nachdem ich bettfertig bin, wirkt es außenrum bitterkalt. Dafür ist aber auch der Himmel wolkenlos und ich freue mich am späten Abend wieder auf Polarlichter. um elf weckt mich mein Telefon und ich merke schon, dass es wirklich kalt ist, trotzdem zieh ich mir etwas über und gehe raus: Was für ein Festival! Es ist sternenklar und die Lichter tanzen am Himmel, wie ich es bisher noch nie gesehen habe. Eine Dreiviertelstunde lang stehe ich mehr fasziniert als frierend draußen rum, mache diverse Fotos und staune.Read more

  • 15. September

    September 15, 2024 in Norway ⋅ ☁️ 7 °C

    Nach dieser bunten Nacht will ich heute am Morgen früh raus, es wird für zwanzig Kilometer durch die Berge gehen. Erst mal muss ich aber feststellen, dass mein Eindruck mich nicht getäuscht hat: Es war noch mal deutlich kälter als in der letzten Nacht, das Zelt ist mit einer Reifschicht überzogen. Der Himmel ist zwar blau, da aber Klärchen noch hinter dem Berg auf sich warten lässt, wird es also dauern, bis das Eis aufgetaut und das Wasser getrocknet ist. In der Zwischenzeit beginne ich schon mal mit dem Frühstück, scheitere aber dank der Kälte heute mal wieder am Feuer. Obwohl ich jetzt winterfähiges Gas betreibe, kommt nichts aus dem Brenner und ich muss nach etlichem Hin und Her einsehen, dass wohl im Schlauch kondensiertes Wasser gefroren ist. So nehme ich das ganze Set mit rein in den Schlafsack und versuche auf diesem Wege, weiterzukommen, allerdings mit mäßigem Erfolg. Eine kleine gelb lodernde Flamme kann ich ihm für gut 2 Minuten entlocken, danach ist wieder Ruhe. Mit Feuerzeug und Teelicht beginne ich, alle infrage kommenden Stellen Stück für Stück aufzuwärmen. Na wer sagt’s denn, dass Marmelade keine Kraft gibt? Kurze Zeit später faucht er wieder wie gehabt. Wird mich wohl noch um mein Frühstück bringen wollen, dieses Aas. Nee, nee, nich’ mit mir!
    Um kurz vor zehn verlasse ich diesen wunderschönen Platz im Rostadalen und ziehe in eins der Täler hoch, dass ich gestern schon von der anderen Seite einsehen konnte, bevor ich hierunter abgestiegen bin. Auf den Hochwiesen führt es angenehm und nicht zu steil aufwärts. Beide Seiten sind eingerahmt von hohen Bergen, aber auch vor mir sieht es wieder aus wie eine große halbrunde Wand, bei der ich mich frage, wo genau ich denn wohl hier drüber steigen werde. Beim Losgehen habe ich mich schon an ein paar Heidelbeeren versucht, die aber scheinbar den Frost nicht gut vertragen haben und in der Hauptsache matschig sind. Hier oben, als ich gerade den wunderschönen Blick auf einen sehr hohen Wasserfall habe, versuche ich mich noch mal und siehe da, diese hier sind dick und prall und noch schön fest. Mit der Zeit wird der Aufstieg immer steiler, es geht von unter 500 m.ü.M. am Schlafplatz auf über 1000m über diesen Pass. Da es sich aber doch alles recht lang hinzieht, kommt es mir bis auf ein paar kurze Passagen nicht so extrem steil vor und die Umgebung hier oben rum ist einfach sehr faszinierend, auch wenn es in der Hauptsache graues Gestein ist. Da machen ein paar Seen, der blaue Himmel und die Sonne doch einiges gut. Linker Hand zieht an mir das Isdalsfjella vorbei, hier mache ich fast auf dem höchsten Punkt des heutigen Tages gegen zwei die Mittagspause an einem Hochsee. Da der Wind hier oben kalt weht, habe ich mir einen Platz hinter einem riesengroßen Felsblock gesucht, auch wenn der schattig ist. Da ich nicht mehr so viele Snacks für unterwegs habe, koche ich heute zu Mittag eine der Hauptportionen, da ich von denen noch ausreichend zur Verfügung habe. Um kurz vor halb vier passiere ich die Grenze nach Schweden, mein letzter echter Gang durch dieses schöne Land, es sind nur gut 5 km, die der Nordkalottleden hier durch eine Landspitze führt. Es ist eine sehr weite Grasland-Ebene, die teils mit Steinen durchsetzt, aber so flach und mit der Sonne im Rücken so schön zu laufen ist. Hier noch mal ein kleiner Wasserfall, da noch mal eine Pause, es sind nicht mehr sehr viele Kilometer zu laufen und ich frage mich schon, wie denn wohl das Gelände um die Gappohytta aussehen wird. Da es sich nicht so tief runter ins Tal zieht, ist es auf gut 700 m.ü.M. eine sehr schöne Umgebung ohne Bäume, wo der Wind immer etwas geht. Ich sehe schon von weitem Rauch aus dem Schornstein, eine junge Finnin hat sich schon eingerichtet und ich brauche nicht lange, um etwas abseits der Hütten meinen Platz zu finden. Es sind zwar von hier aus noch mal 700 m zur Wasserstelle zu laufen, aber das muss ich ja nur einmal. Die Temperaturen sind am Abend bei 4° plus und nachdem ich noch eine Zeit lang in der Hütte gesessen und mich mit mehreren Finnen unterhalten habe, bereite ich mir draußen das Abendbrot zu und liege schon um halb neun in meiner gemütlichen Koje.
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  • 16. September

    September 16, 2024 in Finland ⋅ ☁️ 11 °C

    Und wieder lacht mir am Morgen die Sonne in mein Zelt. Um sieben hat sie mich geweckt und so fällt es mir überhaupt nicht schwer, einfach eine Seite ganz zu öffnen und das Fräulein hereinzulassen. Es war nicht so kalt wie die letzten Nächte, ich habe einen sehr kurzen Tag vor mir und so kann ich es gemächlich angehen lassen, meine große Freude gilt jetzt dem Frühstück im Sonnenschein. Heute heißt es für mich: Auf nach Finnland! Am Abend will ich Treriksröset, das nördlichste Dreiländereck der Welt erreichen. Um halb zehn steht mein Rucksack abmarschbereit auf einem großen Stein, da kommt Lex, einer der Belgier grad vorbeigeschlichen, kurz drauf eine Finnin und so ist allemal noch Zeit für ein Schwätzchen zu früher Stunde. Währenddessen kippt mein Rucksack kopfüber aus seiner Warteposition runter auf den Boden, kann es wohl nicht erwarten, der gutste. Glücklicherweise ist das Solarpanel nicht beschädigt, weil das natürlich ganz oben drauf ist. Ein guter Grund, jetzt doch gegen zehn loszuziehen. Ich komme noch am Schlafplatz der Belgier vorbei und verabschiede mich auch von Robbe, die beiden werden ab heute einen anderen Weg gehen und wir werden uns nicht noch mal wiedersehen. Es sind insgesamt nur 15-16 km vor mir, die noch dazu in recht einfacher Landschaft zu laufen sind. Es zieht sich durch hauptsächlich flaches Hochland und so liege ich schon nach wenigen Minuten zum ersten Mal in den Heidelbeeren. Als ich mich weiter bewege, sind die Knie kaum trocken, da habe ich schon wieder welche entdeckt, die mich mit ihrem stummen Schrei wieder auf die Knie zwingen. So reif bis fast überreif sind sie einfach äußerst delikat und so viel Zeit dazu macht mir rote bis dunkelblaue Hände über den Tag. In dem Grasland, durch das ich laufe, liegen Unmengen von Felsbrocken umher, es muss wohl die Heimat von Barny Geröllheimer sein. Der Himmel ist blau wie auch in den letzten Tagen, allerdings mit sehr leichten, dünnen Wolken, durch die auch die Sonne scheint. Es ist die meiste Zeit fast windstill und ich male mir aus, was ich denn wohl am Nachmittag tun werde, wenn ich doch heute so früh ankomme. Dabei nehmen die Pausen schon ihre Zeiten in Anspruch und gegen zwölf sehe ich schon aus einiger Entfernung, daß in einer tieferen Senke, die ich durchqueren muss, wohl sicher ein Fluss entlang fließt, in dem ich doch bei diesem herrlichen Wetter ein Bad nehmen kann. Will ja in Finnland schließlich nicht wie ein Ferkel ankommen. Es ist tatsächlich noch viel schöner als nur ein durchrauschender Fluss, sondern riesengroße Felsflächen und dazwischen als kleine Seen aufgestaute Becken laden förmlich ein. So erkläre ich diesen Bereich zur Badeanstalt mit FKK-Bereich. Nachdem ich mich gewaschen habe, lege ich mich auf die Steine und die Sonne wärmt mich, während ich vor mich hindöse. Ich vermute, in dieser Art wird das für dieses Jahr das letzte Sonnenbad gewesen sein und kann es kaum fassen, zu dieser Zeit soweit über dem Polarkreis hier rumzuliegen, als wäre ich auf Mallorca. Gegen eins wird die Schicht an Wolken etwas dicker und ich merke ziemlich schnell und deutlich, wie es sich damit auch abkühlt. Ein guter Grund, weiterzuziehen, schließlich soll es ja auch nicht so sehr spät werden. Es begegnen mir nicht viele Leute, insgesamt vielleicht fünf und es läuft sich über die weiten Flächen nach Osten in Richtung immer flacherer Berge im Vergleich zu den hohen Spitzen in Norwegens Westen. Um halb drei blicke ich hinab in ein weites Tal mit dem See Golddajávri, an dessen Ende gut 5 km von hier das Dreiländereck im Wasser liegt. In gut 15 km Entfernung Luftlinie sehe ich schon in Finnland den Berg Saana, an dessen Fuß schemenhaft der Ort Kilpisjärvi zu erkennen ist, den ich morgen am Nachmittag erreichen werde. Ich setze mich hier oben zu einer Pause hin und während ich diese Aussicht genieße, kommt ein Este des Wegs, mit dem ich mich eine Zeit lang unterhalte. Der E1 führt über das westliche Ende nördlich um den See herum an der Goldahytta vorbei, an der ich eine letzte kurze Pause mache. Die letzten 3 km sind jetzt schnell gemacht, schon aus einiger Entfernung sehe ich den dicken gelben Betonklotz im Wasser stehen, den ich ziemlich genau um fünf erreiche. Es ist einerseits nur einer von vielen Grenzpunkten, andererseits natürlich auch ein ganz besonderer, da er Schweden, Norwegen und Finnland hier miteinander verbindet, der E1 hier entlang führt und für viele Wanderer ein Start- oder Endpunkt ist und für mich einer der großen Meilensteine, den ich heute bei genau 3700 km passiere. Gute 300 m von hier entfernt auf finnischer Seite ist die Wanderhütte Kuohkimajärven autiotupa (schön langsam und deutlich aussprechen). Genau mit dem Grenzverlauf beginnt auf finnischer Seite das Naturschutzgebiet Mallan luonnonpuisto, in dem das Zelten nicht erlaubt ist und deshalb kann ich auch heute nicht mehr weitergehen, da der Weg noch mindestens 10 km hier durchführt und das zu weit wäre. Da in der Hütte schon einigermaßen Betrieb ist, schlage ich mein Zelt unweit davon unten am See auf und richte mich auf die erste Nacht in Finnland ein.Read more

  • 17. September

    September 17, 2024 in Finland ⋅ ☁️ 7 °C

    Jetzt werde ich doch noch zum Frühaufsteher. Muss ich doch heute morgen feststellen, dass die Finnen mit ihrer Zeit eine Stunde unserer voraus sind. Aber gut, das wichtigste ist heute der Supermarkt und der hat bis um neun, also für mich um acht geöffnet. Während ich frühstücke und mich um die Trocknung der kleinen grünen Anstalt kümmere, tropft es mir doch 10 Minuten vor dem Einpacken mal wieder dazwischen. Einerseits steht im Osten die Sonne mit ein paar blauen Wolken, von Westen her sieht es dagegen eher grau und wolkig aus, da könnte es heute vielleicht noch was geben. Aber das Frühstück wird durchgezogen, koste es, was es wolle. Und als ich soweit bin, ist auch alles trocken, ich packe ein, ziehe ein paar Meter hoch zu der Hütte und setze mich dort auf die kleine Veranda. Da mein Hemd ein paar große Löcher hat, durch die mir an windigen Tagen einfach zu viel Luft pfeift, will ich mich am Morgen am Flickwerk versuchen. Aus einem alten Handtuch schneide ich mir ein Stück und versuche mit Nadel und Faden hier etwas zu Stande zu bringen. Im Zeugnis würde für diesen Versuch stehen: Er hat sich bemüht, denn das Ergebnis ist mäßig bis saumäßig. Mein nächster Versuch geht Richtung Kleber. Mit Sekundenkleber versuche ich das Stück ins Hemd einzukleben und naja, nach einer guten halben Stunde auf dem Weg merke ich, wie sich das Ganze doch in Wohlgefallen auflöst. Aber ich werde nicht aufgeben in dieser Sache, vorerst aber für heute. Ich bin auf dem Weg erstaunt, nein eher irritiert über die vielen Leute, die hier mit kleinen Rucksäcken scheinbar als Tagesausflügler unterwegs sind. Von Kilpis sind es gut 16 km hierher, das werden die alle nicht am Morgen gelaufen sein. Und in der Hütte war nur ein paar Wanderer…. Also, wo kommen die alle her? Ick weeß nich…
    Es geht recht einfach zu laufen, der erste Kilometer folgt dem finnisch-norwegischen Grenzverlauf, dann geht es auf ziemlich ausgelatschtem Pfad, teils aber doch durch viel Gestein holprig zu laufendem Weg durch Birkenwald. Alles nicht sonderlich aufregend, mehr und mehr ergibt sich aber ein schöner Blick auf den See Kilpisjärvi am gleichnamigen Ort. Und dabei sehe ich gerade in weiter Entfernung ziemlich klein ein Boot über den See fahren und na klar, jetzt erinnere ich mich wieder, es gibt einen täglichen Transfer über den See und den haben am Morgen die ganzen Tageswanderer genutzt. Treriksröset ist hauptsächlich für finnisches Publikum ein beliebtes Ausfugsziel. Gegen eins komme ich an einem interessanten kleinen Unterschlupf vorbei, es ist ein alter Verschlag der deutschen Wehrmacht aus 1944, den man vor einigen Jahren ziemlich originalgetreu wieder hergerichtet hat. Gerade hier im Grenzgebiet zu den Nachbarländern spielte der Erste als auch der Zweite Weltkrieg eine wichtige Rolle, wie ich später im Ort an einer Gedenktafel noch sehen werde. Der Weg zieht sich jetzt vom Berg herunter in Richtung der Straße, die durch den Ort geht. Direkt am Weg komme ich an einem riesengroßen in der Landschaft liegenden Felsblock vorbei, der in der Mitte irgendwann auseinandergebrochen, aber nicht auseinandergefallen ist, sehr interessant anzusehen. Genau 1 Stunde später erreiche ich die Straße, hier ist ein Parkplatz, an dem eine ganze Menge Autos und Wohnmobile stehen. Und in einer kleinen Jurte sitzt ein älteres finnisches Paar, sie bieten Kaffee und selbst gemachte Pfannkuchen an. Ob ich da wohl widerstehen kann? Natürlich nicht! Schön mit Marmelade und Sahne obendrauf genieße ich diese Süßigkeit, um dann auf der Straße statt auf dem Wanderweg Richtung Kilpis weiterzulaufen. Ich spare mir dadurch gute 2 km und was ich beim Losgehen noch nicht weiß, direkt an der Straße ist ein Restaurant, in dem ich so gegen drei vorspreche. Erst mal soll es eine Pizza sein, von der ich nicht so wahnsinnig angetan und auch kaum satt bin, danach lasse ich mir noch ein Burger-Gericht gefallen, dass mir etwas besser steht. Dazu ein großes Bier und ich bin für den Moment erst mal ziemlich selig. Der Supermarkt hat bis um neun nach finnischer Zeit geöffnet, da ich meine Uhr für die 2-3 Tage hier in Finnland nicht umstelle, muss ich jetzt immer zweimal gucken, dass ich nicht daneben bin. Gegen fünf marschiere ich los, die letzten 4 km zum Futtertempel, da ich weiß, dass dieser Einkauf alles toppen wird, was ich bisher an Zeit in den Kaufmannsläden zugebracht habe. Die finnische Sprache hat mit der unseren überhaupt nichts gemein, so wie es die schwedische zum Beispiel hat, bei der ich sehr viele Wörter spätestens beim zweiten oder dritten Mal lesen deuten kann. Und so brauche ich tatsächlich auch gute anderthalb Stunden, bis ich durch bin und in einem Vorraum den ganzen Plunder soweit verpackt habe, dass mich die Angestellte zum Ladenschluss rauskehren muss. Ich habe eine Etappe von knapp 200 km bis Kautekeino vor mir und dementsprechend bin ich wieder mit Essen bewaffnet bis an die Zähne. Nach meiner Zeit, also um acht verlasse ich den Ort, es ist draußenrum soweit schon dämmerig, aber ich kann noch ohne Licht laufen. Es gibt 1 km außerhalb eine Art Picknick-Site, die ich in meiner Karte gesehen habe und die ich ansteuere ohne eine Ahnung, was mich dort erwartet. In Gedanken schlage ich schon das Zelt auf, obwohl ich auf dem Weg dahin sehe, dass alles rundherum mit Felsbrocken übersät ist und gescheite Plätze rar sind. Als ich an die Stelle an dem kleinen See Tsahkaljärvi komme, finde ich Hütten vor, die aber verschlossen sind, und sehe im Halbdunkel an einer ein Feuer brennen. Also fällt der Platz zum Schlafen wohl aus. Da es sonst nichts gibt, gehe ich aber trotzdem mal hin und siehe da, es ist zwar noch Feuer an, aber niemand mehr da. Und so kann ich mich in dieser halboffenen recht hohen Hütte einrichten, nachdem ich das Feuer gelöscht habe, da es nur mehr qualmt hier drin als was einbringt. Zum Abendbrot haue ich mir noch einen Halloumi Käse in die Pfanne und dann ist gegen halb zehn auch Schluss.
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  • 18. September

    September 18, 2024 in Finland ⋅ ☁️ 9 °C

    Das war mal wieder eine Nacht nach altdeutschem Standard wie in den Anfangstagen dieser Tour. Draußenrum irgendwo hingeschmissen, Hauptsache von oben trocken. Und da es weder sehr kalt noch windig war, ist das bisschen Regen in der Nacht auch draußen geblieben. Am Morgen kann ich noch mal abschließend meine Futtervorräte im Rucksack verteilen, während die ersten Tageswanderer aus dem Ort hier vorbeikommen. Gegen neun mache ich mich auf den Weg und zwar auf einen sehr steinigen. Er führt erst einmal um den See herum, die ganze Landschaft besteht nur aus herumliegenden Felsbrocken, es heißt also bei jedem Schritt irgendwie die Füße hochzuheben und eine Stelle dazwischen oder darauf zu finden. Immerhin ist es trocken, sieht aber aus, als könnte es noch Regen geben. Die Hütten hier in der finnischen Gegend sind meistens im Abstand von gut 10 km und so habe ich die nächste grob für die Mittagspause angepeilt. Nach dem See zieht es sich ein wenig aufwärts, so dass auch die letzten Birken noch verschwinden, die Landschaft an sich ist aber ziemlich trostlos und für mich überhaupt nicht ansprechend. Es sind kaum ernstzunehmende Berge in der Sicht, mehr Hügel oder Erhebungen, das wenige Sonnenlicht tut bei der Koloration sein übriges, der voll gestopfte Rucksack mit frischem Proviant noch dazu. Und so stapfe ich ziemlich lustlos durch dieses Gestein und zähle Kilometer für Kilometer, um doch bald irgendwie etwas anderes zu sehen. Immerhin guckt die Sonne immer mal durch und ab um zehn habe ich direkt in Laufrichtung einen Regenbogen, dem ich über eine halbe Stunde folgen kann. Wenn schon die Landschaft nicht mehr hergibt, dann eben auf diesem Wege. Es geht am See Čoahpejávri vorbei, der durchaus auch eine angenehme Abwechslung ins Bild bringt und gegen eins erreiche ich die Hütte Saarijärvi autiotupa. In Finnland sind meistens zwei Hütten vorzufinden, eine verschlossene, die etwas komfortabler und gegen eine Gebühr zu buchen ist, eine weitere in ihrer Art eher rustikal, die komplett kostenfrei zur Verfügung steht. Bemerkenswerterweise gibt es auch in den freien Hütten Gas und natürlich die Möglichkeit zu übernachten. Natürlich mache ich meine große Pause in der freien Hütte und lege mich noch eine knappe halbe Stunde aufs Ohr, bevor ich von hier weiterziehe. Es sind jetzt noch gute achteinhalb Kilometer bis zu meinem Tagesziel und nachdem es sich, inzwischen etwas geläufiger, noch eine Zeit lang aufwärts über weites, flaches Land gezogen hat, blicke ich in das Tal des Kuonjarjoki. Hinter mir habe ich südwestlich einen letzten Blick auf den Berg Saana, den ich schon vorgestern von der komplett anderen Seite her aus der Ferne sehen konnte und den ich jetzt fast einmal umrundet habe. Er ist übrigens ein heiliger Berg der Sami und für mich ein Berg der Empfängnis. Seit ich ihn vorgestern mit dem hohen Sendemast gesehen habe, hatte ich wieder Mobilfunkverbindung und jetzt, nachdem ich nur einige 100 m in diesem Tal abwärts gelaufen bin und ihn aus dem Blick verloren habe, bin ich dann auch wieder jenseits dieser zivilen Errungenschaft. Durch das Tal zieht es sich angenehm abwärts, ich habe in weiter Entfernung voraus blauen Himmel und blicke immer mal wieder hinter mich, da es doch recht grau aussieht und ich von Zeit zu Zeit das Gefühl habe, einen Tropfen bemerkt zu haben. Da es nur noch zweieinhalb Kilometer sind, hoffe ich, mich nicht noch um die Regensachen kümmern zu müssen. Und so ist es dann auch. Ich erreiche gegen fünf die Hütte Kuonjarjoki autiotupa, hier sind gerade zwei Arbeiter daran, an der Trockentoilette alles auf Vordermann zu bringen. Mit zwei Quads und Anhängern, einer davon ein Holzlader mit einem Greifer, baggern sie die Hinterlassenschaften in große BigBags, um sie später abzutransportieren. Da sie heute aber scheinbar nicht komplett fertig sind mit allem, schlafen auch sie am Abend in der Hütte. Innen treffe ich auf einen Wanderer und ein finnisches Paar mit Hund. Sie alle übernachten heute auch hier und so gibt es zumindest noch ein wenig zu unterhalten. Kaum eine halbe Stunde rein ist es draußen am Regnen, es zieht Nebel auf und der Wind frischt deutlich auf. Ich habe mich auf einem der Doppelstockbetten oben eingerichtet, da wird mir das Feuer, dass der Finne am Abend noch angeschürt hat, doch etwas zu warm, aber dafür brauche ich keinen Schlafsack. In der Nacht wird es mehr und mehr stürmisch, es ist ordentlich am Pfeifen und Rumoren. Die Vorhersagen der Finnen melden Sturm für morgen am Nachmittag, d.h. für mich früh aufstehen und rechtzeitig losziehen.Read more

  • 19. September

    September 19, 2024 in Finland ⋅ 🌬 8 °C

    Wenn drinnen vier Leute schlafen und ein Hund, es draußen rumort und pfeift, dann bin ich pünktlich um sechs wach. Es ist ein wunderschöner Sonnenaufgang, der mich draußen erwartet. Der Wind hat zwar zum Morgen hin nachgelassen, aber die angemeldeten 90 km/h am Nachmittag lassen mich doch zügig und vor allem leise aufstehen, um die anderen Beischläfer nicht unnötig zu stören. Entsprechend flott bin ich auch schon um halb acht bereit abzumarschieren. Mein Plan ist für heute, bis in gut 10 km zur nächsten Hütte zu gehen, um dann da einen halben Ruhetag mit Wäsche und dergleichen zu machen, während es draußen stürmt. Wenn ich nur ein Bild sehen würde von der Landschaft und dem Wetter, würde ich es nicht vermuten, dass hier gerade heftiger Wind weht und alle sich versuchen, davor abzuducken. Die Finnen kehren heute um, statt weiterzuziehen, da ihnen und speziell für den Hund dieses Wetter doch zu garstig ist. Ich brauche keinen Kilometer, bis ich merke, dass ich viel zu dick angezogen bin und den Hoodie direkt wieder wegmachen kann. Trotz des starken Windes ist es nicht wirklich kalt und läuft sich über diese hell erleuchtete Landschaft so wunderbar. Die Sonne scheint mir von Osten her aufs Gesicht und die Farben sind alle wieder da. Der Weg läuft sich deutlich angenehmer als der gestrige und im Rucksack fehlen schließlich auch ein paar hundert Gramm, das macht es halt aus. Ich genehmige mir gefühlt nach jedem Kilometer eine Pause und betrachte still rundherum die Landschaft, einerseits gegen die Sonne, wo ich nicht so sehr viel sehe außer dunstige Hügelketten, andererseits die direkt von ihr beschienenen Berge, die in einem merkwürdig türkisen Grünton schimmern. Ich vermute, es ist von den Flechten, die großflächig auf den Steinen wachsen. Mein kategorischer Apfel um halb acht darf nicht fehlen, schließlich schleppe ich diesen schweren Kram nicht umsonst durch die Gegend. Wie ich um neun so vor mich hinziehe und ein Lied vor mich hinjapse, überholt mich rechter Hand ein wenig gegen das Licht der Sonne eine Herde Rentiere. Ich bleibe stehen, sie tun dasselbe, beäugen mich, nehmen meine Witterung auf und einige von ihnen kommen immer näher. Eine günstige Gelegenheit, ein paar Fotos zu machen und irgendwann spreche ich sie an und erkläre Ihnen, dass ich doch nun auch weiter muss. Sie kreuzen vor mir in Ruhe den Weg und als ich nicht allzu lange weiter gelaufen bin, sehe ich, dass sie jetzt linker Hand neben mir herlaufen, natürlich in 30-40 Metern Entfernung. Irgendwann haben sie aber scheinbar doch verstanden, dass ich nicht ihr Sami-Hirte bin, kreuzen deshalb zügig noch einmal meinen Weg und verschwinden hinter dem nächsten Hügel. Nachdem ich etwas mehr als die Hälfte des Weges hinter mir habe, nimmt der Wind wieder stärker zu. Es sind Böen dabei, die mich den einen oder anderen Ausfallschritt machen lassen und so fühle ich mich bestätigt, den Weg heute nur bis zur nächsten Hütte zu machen. In einiger Entfernung etwas talwärts sehe ich nordöstlich den Jogasjärvi und Porojärvi. Es ist also nicht mehr so wahnsinnig weit und ich beginne langsam auch talwärts zu laufen. Da begegnen mir die einzigen Wanderer des Tages, es sind fünf Finnen, die gerade von der Hütte Meekonjärvi autiotupa kommen, wo ich hin will. Sie warnen mich vor, der Wind im Tal ist extrem stark und das ist tatsächlich dann auch meine Wahrnehmung. Je tiefer ich komme, desto mehr muss ich mich abstützen mit den Wanderstöcken und kräftig dagegen halten, ganz ähnlich dem letzten Sturm. Und auf dem See Meekonjärvi sehe ich auch schon wieder, wie der Wind das Wasser hoch saugt und weit durch die Gegend bläst. Der feine Unterschied zum letzten Sturm: Es regnet nicht dabei. Und so komme ich Punkt elf an der Hütte an, sie ist nicht groß, wirkt wie eine Almhütte, urgemütlich. Ich mache mich direkt daran, mich im Fluss und meine Sachen zu waschen, schüre ein Feuer an, damit alles trocknen kann und ganz nach Hausfrauenart steht Kochen, Backen und Flicken auf dem Plan. Es gab im Supermarkt Jeansflicken zum Aufbügeln. Ich heize mir auf dem Gaskocher einen der Töpfe bis auf Bügeleisentemperatur und spiele damit dieses heiße Spiel. Und was soll ich sagen? Besser könnt‘ ich’s a‘ net machen. Wie lange diese Uffditscher halten, wird sich in der Praxis in den nächsten Tagen zeigen, aber für fünf Euro war es mir das wert. Und wenn ich ehrlich sein soll, etwas fancy sind die Dinger schon. Ich denke noch mal über die Modemesse in Mailand nach. Am Nachmittag versuche ich mich an Pfannkuchen, es gab fertiges Pulver, das ich mit Wasser anrühren kann. Grundsätzlich funktioniert das auch, aber in der Pfanne ist das Wenden geradezu unmöglich und so ist es am Ende ein Pfannkuchen nach Hilde‘s Art. Am Abend sind dann auch die Schuhe mal wieder frisch gebohnert, das haben sie mir verdient. Apropos Schuhe: Über fünfzig schwedische Meilen haben sie mich jetzt schon gebracht und es gibt keine Erscheinungen wie bei den Vorgängern. Das ist ein guter Grund zum Freuen.
    Der große Regen für den Nachmittag ist komplett ausgeblieben, also wettermäßig schon ein schöner Tag, schließlich habe ich sturmfrei im wahrsten Sinne und das auch noch bis in die Nacht hinein. Obwohl es nur diese paar Sachen sind, die ich mache und bewerkstellige, im Handumdrehen ist der Tag rum. Es ist 19 Uhr deutscher Zeit und ich bin soweit, dass ich mich hinlegen kann. Bevor ich das tue, präsentiert sich aber noch der Mond in wunderbarer Riesenoptik als Betthupferl über den Seen. Und wie ich jetzt so liege, wird es draußen jetzt erst richtig gallig, die Hütte rüttelt sich und scheppert, dass es nur so kracht. Gute Nacht! Aber nein, es geht auch anders. Ab halb neun ist relativ schlagartig alles still und der Sturm hat sich gelegt. Schon komisch, wie schnell das doch nach stundenlangem Getöse auf einmal vorbei sein kann.
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  • 20. September

    September 20, 2024 in Finland ⋅ ☁️ 2 °C

    Durch das selbe Fenster, durch das der Mond mir am Abend die Augen zugemacht hat, weckt mich heute am Morgen die Sonne. Es ist kurz vor sieben und sieht fantastisch hell aus. Der Wind kam in der Nacht noch einige Male lautstark zurück, jetzt ist es zwar noch windig, aber überschaubar. Alle wichtigen Vorbereitungen habe ich gestern Abend schon getroffen und so ist das Frühstück und Zusammenpacken schon um halb neun erledigt. Ich ziehe los in meinen letzten Tag in Finnland. Auch wenn der Wind nicht mehr akut ist, so ist doch die Luft heute deutlich kälter. Ein nacktes Bad im Fluss wie gestern würde ich jetzt um keinen Preis nehmen wollen. Erst mal quere ich den Fluss Bierfejohka unweit der Hütte, spare mir damit einen Umweg von anderthalb Kilometern über die Brücke. Ab jetzt zieht es sich erst mal um den Meekonjärvi direkt am Fuße des Megonbákti entlang durch großes Geröll. Freundlicherweise hat man hier dicke Holzplanken über einige Stellen geführt, so dass diese Blockfelder gut zu passieren sind. Entlang des Sees fällt mir auf, dass sämtliche Birken schon komplett ohne Blätter sind, da wird der Sturm seinen Anteil haben, aber insgesamt schreiten wir ja auch massiv in Richtung Winter fort. Nachdem ich den See hinter mir gelassen habe, geht es für gute 3 km entlang seines Zuflusses Vuomakasjoki, also konstant leicht bergauf. Ich mag das sehr, wenn der Weg an Flüssen entlang führt, weil das Bild sich ständig ändert, gerade jetzt bei dem tollen Sonnenschein und auch die Geräuschkulisse für mich sehr angenehm ist. Da sind Wasserfälle und Stromschnellen und ein Stück weit geht es an einer ziemlich steilen Felswand oberhalb des Flusses entlang. So steil, dass hier sogar mit einer Art Handlauf gesichert ist. Die kalte Luft bringt mich doch dazu, zumindest Mütze und Handschuhe herzunehmen, wenn schon keine Jacke. Die Finnen in der letzten Hütte hatten laut ihrer Vorhersage für heute das Wetter als „worse“ bezeichnet, ich freue mich innerlich über diese neue Definition. Nichtsdestotrotz ist mein Gedanke, dass jeglicher Niederschlag heute bei der Kälte als Schnee käme. Gegen zehn erreiche ich den See Vuopmegašjávri, direkt an seinem Auslauf überquere ich den Fluss per Hängebrücke und treffe dort auf einen Finnen mit Schäferhund. Es wird jetzt tatsächlich, wie ich es erwartet hatte, immer dünner mit Wanderern hierum, die meisten Finnen gehen nach oder kommen von Halti, einer Hütte nicht mehr so wahnsinnig weit von hier. Von der Brücke aus sehe ich schon die Hütten und wundere mich gleichzeitig, dass ich denn schon so früh dort ankomme, schließlich sind es gute 13 km. Ein Wegweiser-Schild etwas dichter dran weist mir den Weg und nordet mich noch mal neu ein, ich habe noch 5 km zu machen. Da es sich bei dem Wetter aber wunderbar läuft und auch mein Rucksack heute wieder ein gutes Stück leichter ist, fliege ich geradezu über die durchaus steinigen Wege. Nach dem See biegt es rechts weg Richtung Norden und zieht sich wieder an einem kleineren Fluss aufwärts, bis ich den Pitsusjärvi erreiche. Auch hier wähne ich mich bei den Hütten, die ich sehe, schon wieder an meinem Zwischenziel, wieder werde ich am nächsten Schild darauf hingewiesen, dass da immer noch 2 km zwischen sind. Okay, so denn, es geht jetzt direkt am See entlang, der Wind ist hier besonders streng, da ihn natürlich über die Riesenwasserfläche nichts und niemand bremst. Gegen halb eins habe ich das Objekt der Begierde dann erreicht, in den Bergen voraus kann ich nicht gut einordnen, ob ich dort Regen oder Nebel sehe. Aber jetzt ist erst mal Pause und dann sehen wir weiter. Noch während ich zur Pause sitze und das Treiben da draußen so betrachte, erkenne ich, dass es Schnee ist, der vom Westen durch die Berge hergezogen kommt. Da ist er nun also, der erste Schnee, der bei gleichzeitig blauem Himmel und heftigem Wind hier durchweht. Da hab ich mir für meine Mahlzeit und ein kurzes Schläfchen hinterher wohl genau die richtige Zeit ausgewählt, denn als ich wieder aufbreche, ist alles wieder so wie vorher. Ab jetzt zieht es sich kontinuierlich hoch auf den Berg auf über 950 m.ü.M. Es sind Hochwiesen mit inzwischen komplett trockenem Gras, das in der Sonne wunderschön aussieht und sich biegt, wenn der Wind darüber fährt. Irgendwie stelle ich mir so auch Patagonien vor, wo der Wind hoch in den Bergen eben genauso durch das Gras fährt. Die Farben leuchten je nach Sonnenstand mehr oder weniger intensiv und ich folge meinem langen Schatten. Wenn ich mich umdrehe, sehe ich in weiter Entfernung in den Bergen, wie schneeverhangen alles ist, während ich voraus zwei Hochseen habe, zwischen denen der Weg hindurch führt. Hier oben ist der Wind sogar wieder angenehm ruhig und es könnte für einen Wandertag nicht schöner sein. Gegen vier habe ich den höchsten Punkt der heutigen Wanderung erreicht, das Gelände ist steinig, aber trotzdem für diese Umstände ganz gut zu laufen. Ab jetzt zieht es sich in einem weiten Tal abwärts, in dem der Kopmajoki fließt. Mal geht es recht dicht an dem ziemlich trockenen Flusslauf entlang, dann zieht es sich wieder seitlich an steilen Wänden hoch raus der teils schluchtartigen Landschaft raus. Als ich um halb fünf zu einer der letzten Pausen sitze, nehme ich hinter mir wahr, dass es sich ziemlich zugezogen hat. Während ich dann weiterlaufe, irgendwann schon in 3 km Entfernung die Hütten sehe, zieht ein leichter Schneeschauer heran. Es fühlt sich für mich wie der zärtlichste Wintereinbruch aller Zeiten an, so als wollte er sagen: „Fabian, erschreck dich nicht, du sollst nur wissen, dass ich jetzt da bin.“ Schließlich kommt aus der selben Richtung auch gleichzeitig die Sonne und wirft einen langen Schatten vor mir auf den Weg, während gleichzeitig feinste Schneeflocken von hinten angeweht kommen. Für eine halbe Stunde ist dann nochmal Ruhe und ich habe wieder die Nachmittagssonne pur, während auf den letzten 20 Minuten noch einmal ein Schauer einsetzt und mich etwas größere Schritte machen lässt. Ich habe keine Lust, jetzt so kurz vor dem Ziel noch den Poncho überzuziehen. Das klappt auch und so bin ich um kurz nach halb sechs an der Hütte Kopmajoki autiotupa. Wenige Minuten vor mir ist scheinbar aus anderer Richtung ein Wanderer angekommen, er schlägt aber in einiger Entfernung sein Zelt auf, während ich mich direkt in der Hütte einniste, ein Feuer anmache und erst mal einen Kaffee koche. Danach gibt es noch was zum Essen, etwas Lektüre aus dem Gästebuch und es dauert nicht allzu lange, da steht der Mond, heute schon wieder abnehmend, am Himmel. In der kleinen urgemütlichen Hütte beginnt es Stück für Stück dämmerig zu werden, so dass ich mir eine Kerze anzünde und nur noch das Tagebuch schreibe. Bin sehr gespannt, wie es morgen früh draußen aussieht.Read more

  • 21. September

    September 21, 2024 in Norway ⋅ ☁️ 2 °C

    Der Winter ist da! Es hat in der Nacht leicht geschneit und am Morgen ist alles mit einer leichten Decke gepudert. Da ich heute eine spezielle Mission vorhabe, habe ich mir den Wecker auf um sechs gestellt, aber trotzdem noch eine gute halbe Stunde länger geschlafen. Ich arbeite zügig in merkwürdig dämmerigem Licht mein Morgenprogramm durch, ins Porridge gibt es heute Schokoladenmousse und Honig, das gibt Kraft für den Weg. Als ich mit dem Frühstück durch bin und auf meine Uhr sehe, starre ich eine Zeit lang, da es gerade halb sieben ist. Es dauert ein paar Sekunden: Verdamm’ ich, das Handy hat ja die finnische Zeit. Also bin ich schon um halb sechs aufgestanden. Na gut, es soll nicht mein Schaden sein so kann ich schon um kurz nach halb acht losmarschieren. Ich will heute eine Abkürzung nehmen, der eigentliche Weg zieht sich Richtung Norden, macht dann einen Riesenbogen und wird für einige Tage nach Südosten verlaufen im wunderschönen Reisadalen. Ich habe einen alten Pfad, oder vielleicht ist es auch keiner, in meiner Karte, mit dem ich direkt eine Querverbindung mache und mir damit anderthalb Tage einsparen kann. Dazu laufe ich noch die nächsten 4 km entlang des Somasjärvi bis zur nächsten Hütte, passiere gegen halb neun zum letzten Mal eine Grenze auf meinem Weg, nämlich die nach Norwegen. In der Somashytta halte ich mich eine Zeit lang auf und plane, wie ich wohl den Zufluss Rahpesjohka am besten überqueren kann. Er ist in einer Art Delta mit einigen Verzweigungen und das Wasser steht deutlich tiefer, als dass ich einfach darüber hüpfen könnte. Da es draußenrum sehr kalt und stark windig ist, hoffe ich einen Weg zu finden, ohne dass ich furten muss. Wahrscheinlich genau deshalb komme ich irgendwie nicht los. Aber es muss ja gemacht werden und der Gedanke, mehr als einen Tag einzusparen reizt mich einfach genauso wie mal wieder abseits der Pfade auf eigene Faust zu laufen. Und so schultere ich noch vor halb zehn meinen Tornister, gehe direkt von der Hütte runter Richtung Wasser und selbst wenn ich jetzt eine Stunde lang am Bach auf und ab suche, wäre es das wert. Schon die 200 m bis dahin lassen ein paar Stellen erahnen, der Fluss ist hier in drei Arme aufgeteilt, jeweils mit kleinen länglichen Inseln. Ich stapfe durch kleinere gefrorene Wasserstellen am Rand, habe inzwischen einen Plan und denke: „Könnte klappen, Herr KaLeun.“ Und tatsächlich dauert es vielleicht 5 Minuten, bis ich durch flache Stellen erst ein Stück flussabwärts, dann entlang der Insel und über ein paar Steine das andere Ufer erreicht habe. Ich lache schallend laut in die Landschaft und sage: „Wenn das jetzt die ganze Prüfung für heute war...“, bin mir aber auch sicher, es werden noch unangekündigte Leistungskontrollen folgen. Ich habe mir heute den Kompass rausgenommen, da ich zwischendurch immer mal wieder die Richtung bestimmen muss und so ziehe ich los in Richtung Nordost über leicht hügeliges Hochland und das einzige, was diesen Weg von einem richtigen Wanderweg unterscheidet, ist das Strauchwerk am Boden, durch das ich die ganze Zeit mit den Füßen laufen muss sowie die kleinen Erhebungen ständig im Untergrund, über die es immer wieder hoch und runter geht. Und natürlich immer wieder Wasser- und Sumpfflächen, wo ich frei Schnauze rechts oder links drumherum muss. Nach einer guten halben Stunde komme ich in den Reisa Nasjonalpark. Der Wind pfeift mir jetzt von hinten hauptsächlich vor den großen Rucksack, deshalb habe ich schon vorhin die Jacke ausgezogen und trage nur noch meinen Schurwoll-Hoody, was vollkommen okay ist. Der atmet einfach viel besser und ich schwitze nicht alles nass. Rundherum beobachte ich immer wieder das Wetter, die Sonne ist noch hinter Wolkenschleiern verdeckt, während ich im Norden schon eine ganze Menge Blau am Himmel sehe. In einiger Entfernung in den höheren Bergen sehe ich aber auch Schneeschauer durchziehen, für mich ist das sowas von ideales Wanderwetter. Gegen halb elf auf einer weiten Hochebene nehme ich Rentiere war, und da ich mich eh gerade zur Pause setzen will und weit ins Land beobachten kann, sehe ich immer mehr von ihnen, die hier oben völlig ungestört ohne jegliche Menschen grasen können. Ein kleiner See in meinem Weg soll kein Problem sein, ich werde ihn an seiner linken Seite umlaufen und stehe aber kurz darauf vor seinem Zufluss, nicht sonderlich breit, aber deutlich zu tief, da könnte ich selbst ohne Rucksack nicht durch. Kurz überlegt, um den See am anderen Ende drumrumlaufen ist mir zu weit, so gehe ich an diesem Zufluss ein Stück entlang und kurz darauf komme ich an eine flache Stelle mit Steinen, die ich wie so viele andere Bäche einfach überschreiten kann. Das Navigieren klappt heute erstaunlich gut, die Landschaft hat zwar keine riesengroßen Fixpunkte zu bieten, da sie leicht nur wellig und hügelig ist, aber der eine oder andere Felsblock reicht mir als Anhaltspunkt und ich bin immer wieder erstaunt, wenn ich Peilung nehme, wie exakt ich doch in der Richtung bin. Trotz der Tatsache, dass es Winter geworden ist, ist das Wetter einfach wunderbar, es ist hell, der Himmel großflächig blau mit einer ganzen Armada an Wolkenkonstellationen. Gegen halb eins komme ich an ein Tal, in dem es eine Reihe von Hügeln, Seen und Sumpfstellen gibt und da es sich einigermaßen zugezogen hat, ich also auch den ersten Schneeschauer heute bekommen werde, habe ich mich unten im Tal windgeschützt an einem teils ausgetrockneten See zur großen Mittagspause niedergelassen. Der Rucksack ist schnell mit dem Poncho abgedeckt, ich zieh die Regenjacke über, das reicht aus, da es zumindest momentan nur feiner Griesel ist. Nach der Pause habe ich das Bild, dass ich mir im Kopf vorhin als Überblick über das Tal gemacht hatte, mehr oder weniger vergessen. Es fängt jetzt stärker an zu schneien und diese kleinen Hügel lassen ohnehin das Bild ständig neu erscheinen nach jeder Überquerung. Ich komme an zwei Seen, zwischen denen ich hindurch muss, allerdings sieht es sumpfig aus anhand des Sumpfgrases, das ich sehen kann. Ein erster Versuch und schnell ein paar Schritte zurück, da es doch zu tief für die Schuhe wird. Ein paar Meter weiter der nächste Versuch, das selbe Ergebnis. Ich gebe mir noch einen Versuch dichter an einem der Seen, obwohl ich gerade dort natürlich noch tieferes Wasser erwarte. Beim Durchschreiten trete ich jeweils mit dem Fuß seitlich das Gras um, da es meine Aufstandsfläche vergrößert und mich nicht so tief einsinken lässt. Und siehe da, es klappt und ich habe dieses Stück geschafft, stehe jetzt vor einer Fläche Weidenstrauchwerk, das mir teils bis zu den Schultern reicht. Das ist wüst kreuz und quer wachsendes, ziemlich hartes Gestrüpp, durch das es sich äußerst schlecht laufen lässt. Und gerade die Regensachen wie der Poncho bleiben sehr häufig hängen und sind natürlich für diese mechanische Belastung nicht unbedingt gemacht. Aber da muss ich durch. Durch den nassen Schneeschauer der letzten 20 Minuten sind diese Büsche auch alle sehr nass jetzt, da ich keine Regenhose anhabe, ist meine Hose samt Unterhose in gut 5 Minuten komplett durch und ich merke, wie mir das Wasser innen an der Unterhose bis runter in die Schuhe läuft. Aber jetzt noch die Regenhose herzuholen fällt aus, ich habe ja nur noch ein paar Stunden zu laufen. Nach gut 30 m durch dieses hässliche Strauchwerk stehe ich unerwartet vor einem dieser tiefen, aber nur circa 1,50 m breiten Wasserdurchläufe, die sich so schön geschwungen hier durch die Landschaft von See zu See winden. Überspringen wäre im besten Falle ohne Rucksack möglich, aber selbst Anlauf nehmen ist hier völlig unmöglich. Dieses glasklare kalte Wasser geht mir mindestens bis zum Bauchnabel und so gehe ich durch dieses schlecht zu laufende Umfeld etliche Meter nach rechts, bis sich dieser Kanal Richtung See windet und keinen Zentimeter in seiner Breite nachlässt. Ein gutes Stück in die andere Richtung offenbart mir exakt das selbe. So frisch durchnässt ist es doch eine große Freude, jetzt hier zu stehen und zu wissen, dass ich den Weg durch das Sumpfland wohl zurück muss, um dann sehr großflächig um diese Seen herumlaufen muss. Ein kleiner Hügel, der von hier aus aber erreichbar ist, ist meine letzte Hoffnung, vielleicht doch erst mal einen Überblick und doch einen Ausweg zu finden. Auch wenn es das nicht hergibt, es ist mehr eine Art Verzweiflungstat, gehe ich noch einmal in eine andere Richtung los, um es einfach versucht zu haben. Auf dem Weg dorthin spreche ich wie so oft wieder laut mit mir selbst und sage: „Jetzt muss mindestens ein kleines Wunder geschehen, sonst wird das hier nichts.“ Und nachdem ich wieder an einer zu breiten und tiefen Stelle stehe, sehe ich in gut 50-60 Metern Entfernung Steine im Wasser. Da ist es, das Wunder! Ich kann dort ganz normal an einer flachen steinigen Stelle herüberschreiten und meinen Weg bergauf aus dem Tal heraus fortsetzen. Ab jetzt läuft es wieder wie geschnitten Butterbrot. Der angedeutete Pfad in meiner Karte wäre um diesen Hügel eher herumgelaufen, ich steige oben drüber und setze mich zur Pause, während ich von hier schon einen ersten Schimmer vom heutigen Ziel habe, dem Reisadalen. Es ist wieder richtig hell außen rum, ich sehe auf der anderen Seite dieses tiefen Tals, wie Schneeschauer über die Berge ziehen, es ist wunderbar zu beobachten.
    Und ab jetzt geht der Weg für mich auch konsequent abwärts, laut Karte wird es am Ende ein tiefer Taleinschnitt sein, in den ich hinabsteigen und bis runter in das Haupttal laufen muss. Je näher ich komme, desto mehr wird der Grund felsig und es sind eine Art Felsterrassen, auf denen ich laufe und immer wieder an abgebrochenen Stellen so etwas wie Treppen nutzen kann, um tiefer zu kommen. Zwischendurch eine ganze Menge Birken und ich merke mehr und mehr, dass es immer wieder völlig unklar und nicht zu erkennen ist, wann es jetzt wirklich tiefer und steiler abwärts geht. Da ist ein kleiner Bachlauf, an dem ich versuche abwärts zu steigen, aber es läuft sich so schlecht, dass ich mir doch wieder eigene Wege suche. Und es wird mir mit der Zeit immer klarer, dass das kein tiefes Tal ist, in das ich hinunter muss, sondern eine Schlucht, von der ich noch keine Ahnung habe. Da die ganze Landschaft aber zum Reisadalen hin, so wie ich es auch schon auf der gegenüberliegenden Seite erkennen kann, in Steilwänden abfällt, muss ich durch diesen Gang da runter kommen. Es fällt jetzt hier auf anderthalb Kilometern von 500 m.ü.M. auf etwas über 100 m.ü.M. ab, der Fluss Reisaelva läuft gut fünfzig Kilometer Luftlinie von hier in einen Fjord im Nordmeer. Ein ganzes Stück tiefer habe ich irgendwann den kleinen Wasserlauf wieder erreicht direkt an einer Stelle, an der er sehr steil über Geröll tief hinab in diesen Canyon läuft. Das wird mein Weg, neben ihm werde ich hinabklettern, obwohl das verdammt steil aussieht und ich keine Vorstellung habe, wie tief es eigentlich wirklich jetzt da runtergeht, bis ich am Fuß angekommen bin. Ich nehme mir Zeit und arbeite mich Block für Block, Schritt für Schritt runter und stehe irgendwann mitten untendrin, sehe an beiden Seiten senkrecht hoch und nehme wohl wahr, dass ein Teil dieses Gesteins natürlich mit dem Schmelzwasser hergespült wurde, der größte Teil aber herabgestürztes Material von diesen Felswänden rundrum ist. Und so hoffe ich, dass heute alles an Ort und Stelle liegen bleibt, während ich mich hier unten in diesem teilweise nur 3 m breiten Durchgang bewege. Während ich anfangs dachte, dass nur der Einstieg runterwärts steil ist, geht selbst der weitere Verlauf ziemlich steil abwärts und ich klettere sehr aufwändig Meter für Meter am Grund dieser Schlucht entlang in der Annahme, dass ich irgendwann in einem breiten Auslauf unten im Haupttal Richtung Fluss herauskomme. Als großer Fan von „Das Boot“ geht mir immer wieder die Szene durch den Kopf, wie der Alte bei einem Tauchtest weit tiefer als die Werksgarantie zulässt dem Leitenden Ingenieur befiehlt, dessen Gesicht schon schweißnass und voller Zuckungen ist: „Tiefer LI, tieeefer!….Das muß das Boot abkönnen.“ Ich habe mich gedanklich damit arrangiert, es gibt keinen anderen Weg und steige Stück für Stück herab, aber jetzt das: Ein recht schmaler Durchlass, ein Wasserbecken, das von hier nur über einen Sprung abwärts erreichbar wäre und viel zu tief ist, um durch zu kommen. Ich nehme den Rucksack runter, um dichter rangehen zu können, da ich es nicht glauben kann. Es ist halb fünf, die Zeit Richtung Abend läuft und für mich endet dieser Weg hier! Ich sammle mich einen Moment und da klar ist, dass niemand kommt und mich aus diesem Jammertal holt, schultere ich den Rucksack und beginne wieder zurück, Stein um Stein, aufwärts zu steigen. Komplett wieder dahin, wo ich herkam, macht keinen Sinn, da laut Karte alles nördlich dieser Schlucht zum Tal hin völlig unbegehbar ist. Ich muss also auf der anderen Seite der Schlucht herauskommen, als wo ich eingestiegen bin, habe aber vorhin auf der Seite nur Steilwände gesehen. Ungefähr an der Stelle, an der ich an dem Wasserlauf heruntergestiegen bin, erkenne ich zu meiner linken jetzt einen schmalen, sehr steilen Aufstieg, den ich versuchen kann, sonst muss ich in der Schlucht noch weiter aufwärts steigen ohne Ahnung, wie lange. Ich nutze diese eine Chance und klettere auf dem schmalen Stück über ziemlich kleinteiliges rutschiges Geröll aufwärts und habe an einigen Stellen mein Tun, für Hände oder Füße etwas geeignetes zu finden. An einer Stelle hocke ich länger als 5 Minuten und denke mir aus, wie jetzt der nächste Schritt genau aussehen kann, da ich über mir mit dem Rucksack anecke und ich irgendwie nicht weiterkomme. Mit Geduld und Spucke packe ich aber auch diesen einen Schritt und ab hier beginnt jetzt ein wenig Moos und Vegetation, das den Untergrund besser zusammenhält. Irgendwann bin ich tatsächlich diesseits der Schlucht ausgestiegen und wie ich oben stehe, schreie ich laut darunter in dieses graue Loch. Meine Hände und Füße sind einigermaßen zittrig und ab jetzt heißt es, einen Weg nach unten zu finden. Gedanklich habe ich mich schon darauf eingestellt, falls es doch dämmrig wird, irgendwo hier oben im Zelt zu übernachten. Es geht auch hier noch ein Stück weit auf Terrassenfelsen, dann wird es mehr Wald und der Untergrund ist mit sehr dickem Moos und Heidelbeerkraut bewachsen. Laut der Karte geht es zwar steil abwärts, aber es müsste begehbar sein. Sehen tue ich immer wieder etwas anderes. Auf dem Weg nach unten stehe ich immer wieder vor steilen Abhängen, an denen ich nicht weiterkomme. Heißt also, immer wieder weiter Richtung Süden wieder steil abwärts, was glücklicherweise bei diesem Untergrund ganz gut möglich ist. Schon von weitem habe ich eine Hochspannungsleitung gesehen, die parallel zum Reisadalen ziemlich weit unten, aber immerhin noch auf dem Berg entlang geführt ist. Mehr und mehr nehme ich sie als meinen letzten Weg runter ins Tal wahr, allerdings muss ich da erst mal hinkommen. Es gehen eine Reihe von Seitentälern oder Schluchten in Richtung der, in der ich vorhin untendrin war. Dann komme ich an eine Stelle, an der ich denke, von hier könnte es runtergehen. Ich sehe in gut 200 m Luftlinie von oben schon die Hütte, aber sie ist für mich bis dahin unerreichbar. Wieder den Rucksack runter und an eine Kante näher ran gelaufen, um zu sehen, ob hier eine Passage möglich ist. Nein, keine Chance. Und so muss ich um den nächsten tiefen Taleinschnitt herumlaufen, d.h. erst mal wieder steil aufwärts, triefnass schwitzend und nebenbei immer die laufende Zeit im Auge und den nächsten Schneeschauer. Aber auch dieses obere Ende dieser kleineren Schlucht erreiche ich und bin circa um sechs inzwischen ziemlich mit meinen Kräften durch, aber unterhalb der Stromtrasse und erkenne hier sogar einen kleinen Pfad, der sich jetzt nach unten zieht. Das ist meine Rettung. Von hier aus sehe ich sogar die Stelle, wo die tiefe Schlucht von vorhin aus dem Berg herauskommt. Das Wasser läuft an einer Steilwand als kleiner Wasserfall herunter. Ich kann also dankbar sein, dass ich nur vielleicht die Hälfte der Schlucht untendrin durchschreiten konnte, sonst wäre ich spätestens an der Stelle am Ende gewesen gewesen. Dieser Pfad jetzt hier geht zwar auch sehr steil abwärts, aber ich weiß, hier sind schon diverse Leute gelaufen und ich muss das Rad nicht neu erfinden. Als kleine Aufmerksamkeit und Kraftquelle stehen an diesem Hang Unmengen von Heidelbeeren und wenn ich die Tage schon mal von den dicksten jemals gesprochen habe, toppen diese es noch einmal. Die meisten sind sogar unbeschadet vom Frost, deshalb nehme ich mir trotz fortschreitender Zeit ein paar kurze Pausen, um mir diese wunderbaren Früchte händeweise reinzustopfen. Nachdem das letzte Stück steil abwärts passiert ist, stehe ich im Tal im Wald auf flachem Boden und bin überglücklich, dass es geschafft ist. Aus der Leistungskontrolle ist eine richtige Prüfung für mich geworden. Die Hütte, die ich von oben gesehen habe, ist eine private und die Vuomatakka, die ich suche, noch gute 500 m entfernt direkt am Fluss. Auf dem Weg dahin fallen mir beim Laufen fast schon die Augen zu, aber das spielt keine Rolle mehr. Um kurz vor sieben erreiche ich die kleine offene Hütte, das Dach ist bewachsen und sie gehört dem Staatsforst. Innen drin ist es dank eines einzigen Fensters recht düster, aber dafür umso uriger. Ich schüre sofort ein Feuer an, hänge alle Sachen zum Trocknen auf, koche mir ein deftiges Abendbrot und habe mich schon den ganzen Tag darauf gefreut, mir aus dem Milchpulver und der Schokomousse einen schönen Kakao zu machen. Als die Kanne Wasser auf dem Ofen heiß ist, rühre ich die Ingredienzen hinein und da fällt mir das Pulver ein, mit dem ich Pfannkuchen machen kann. Die ja an sich nicht so brachial gut geworden sind und so rühre ich einfach das Pulver mit in meinen Kakao rein, es ergeben sich Stück für Stück kleine Klümpchen. Völlig unerwartet habe ich mir eine Klumpensuppe gemacht. Die gab es bei meiner Oma manchmal und ich habe sie als Kind geliebt. Also eine süße Puddingsuppe, in der eine Art Pfannkuchenteig als Diepchen eingelassen wird und die dann Klumpen ausbilden. Meine sind zwar nicht so groß, aber ich fühle mich, als würde meine Oma jetzt mit hier am Tisch sitzen und in edelstem Plattdeutsch sagen: „Junge, iß dich man‘d satt.“
    Abschließend zum heutigen Tag kann ich sagen, dass bei aller Mühe, die ich hatte, das Glück angesichts des Wetters und einem komplett unbeschädigten Satz Knochen mal wieder ganz auf meiner Seite war. Danke.
    Diesen Akt werde ich mein‘ Lebtag nicht vergessen.
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  • 22. September - Ruhetag

    September 22, 2024 in Norway ⋅ ⛅ 4 °C

    Für heute habe ich mich dank der gestrigen Anstrengungen und des Sonntags für einen halben Ruhetag entschieden. Gute 10 km von hier gibt es einen tollen Wasserfall, den mir ein Österreicher vor kurzem empfohlen hat und ganz in seiner Nähe eine Hütte. Ich werde da hingehen und den Rest des Tages zubringen. Also habe ich heute morgen bis um halb acht ausgeschlafen und ganz in Ruhe gefrühstückt. Mein Blick geht raus auf den Fluss, in dem ich immer mal wieder Fische springen sehe, ich höre einen Specht hämmern und vorhin saß sogar mal eine Kohlmeise am Fenster. Das Wetter ist prächtig, es könnte höchstens etwas Niederschlag geben, aber so tief hier unten im Tal ist das, wenn überhaupt, einfach nur ein wenig Regen. Der Vormittag geht mit Tagebuch schreiben, etwas Holz machen und allgemeiner Sonntagsruhe recht zügig vorbei. Wie ich um elf gerade draußen am Holzhacken bin, kommen just in dem Moment zwei Kanus auf dem Fluß vorbei. Es sind zwei Pärchen aus Norwegen, die in Kautokeino gestartet sind. Wir unterhalten uns ein paar Sätze und dann lassen Sie sich wieder von der Strömung mitnehmen. Bei blauem Himmel mache ich mich um zwölf auf den Weg, der heute ein völlig anderer als die letzten Tage ist. Alles ist viel ruhiger, wirkt wärmer und gemütlicher. Der Fluss so breit und still, kein Wind und ich kann für hier sagen: „Der Herbst ist zurück“. Insgesamt fühlt es sich hier an wie in eine völlig andere Welt gebeamt. Ich laufe auf Laub und teilweise Kiefernnadeln, es riecht nach Herbstlaub, all das habe ich oben über die Berge nicht gehabt. Und waren die Farben auf den Hochebenen eher rot, orange und braun, so ist es hier deutlich das Gelb der Birkenblätter und teils grell farbiges Herbstlaub von anderen Bäumen. Aber auch die Kiefern machen ein völlig anderes Bild, sehr beeindruckend. Der schmale Pfad führt die meiste Zeit nahe am Wasser entlang, nur manchmal zieht es sich weiter hinter in den Wald, der aber nie sonderlich breit ist, da der Fluss natürlich zu beiden Seiten steil aufragend von Bergen gesäumt ist. Ich komme gut vorwärts und mache deshalb auch immer mal zwischendurch eine kleine Pause, genieße die Stille dieses Tals. Mit der Sonne jetzt könnte ich sogar sagen: „Der Sommer ist zurück“. Vieles erinnert mich an die Zeit im Mai am Bergslagsleden, als es auch so hell und warm war. Gegen halb drei passiere ich die Nedrefosshytta und direkt einige Meter weiter bringt mich eine Hängebrücke auf die andere Seite des Reisaelva. Hier geht es jetzt etwas aufwändiger teils durch Geröllfelder, aber auch an einer ziemlich steilen Passage entlang, die aus gutem Grund mit einem Stahlseil als Handlauf gesichert ist. Später nach einer Art Weggabelung ist es nur noch etwas mehr als ein Kilometer zum Imofossen-Wasserfall, der es aber mächtig in sich hat. Es geht steil hoch in felsiges Gebiet, das direkt an der Oberkante einer steilen Schlucht verläuft, in der tief unten der Fluss durchrauscht. Das erinnert mich schon etwas an gestern, aber das hier ist der offizielle Wanderweg. Genau um vier erreiche ich den Wasserfall, lasse den Rucksack am Weg zurück und steige durch diverse Felsen bis zu dem Punkt, wo ich ihn in voller Größe sehen kann. Das ist schon sehr beeindruckend, wie der ganze Fluss hier um 90° verdreht zur eigentlichen Richtung aus einem Stück Felsen herauskommt. Und auf der anderen Seite hoch oben vom Berg her kommt ein weiterer Wasserlauf, der sich als kleiner Bruder in Szene setzt. Nachdem ich mir das ganze Schauspiel aus verschiedenen Perspektiven eine Zeit lang angesehen habe, mache ich mich auf das letzte kurze Stück Richtung einer Staatsforst-Hütte. Bis zur Immogammen ist es nur ein halber Kilometer und der Fluss hat hier wieder seine normale Breite und ruhige Form. Da steh ich nun und wundere mich, wie klein denn eine Hütte sein kann. Mein Rucksack wirkt, als wäre er halb so hoch wie dieses gemütliche kleine Holzhaus. Ich habe zu tun, mich und den Rucksack durch die Tür zu hieven und nachdem ich heute im Voraus Holz gemacht habe, stecke ich mir ein Feuer an und lasse diesen Sonntag gemächlich ausklingen. Solange es noch hell und nicht zu kalt ist, sammle ich ein paar Preiselbeeren, sitze dann im Stübchen, während der Ofen vor sich hinbollert.Read more

  • 23. September

    September 23, 2024 in Norway ⋅ ☁️ 3 °C

    Auf in eine neue Woche! Um sechs rausgepellt finde ich mich in der Hütte mit dem wenigen Licht kaum zurecht. Nachdem es mir irgendwann zu blöde ist, mache ich doch die Tür auf, auch wenn ich damit die Kälte reinlasse. Es ist draußen rum trocken und heute morgen für mich gefühlt besonders still. Im Wald sehe und höre ich lediglich einige Vögel und das leichte Plätschern des Flusses, der Himmel ist leicht bewölkt mit einigen wenigen blauen Schimmern. Es geht kein Wind und fühlt sich geradezu merkwürdig an.
    Punkt acht ist das Stübchen durchgefegt und ich breche auf, um das Reisadalen zu verlassen. Normal müsste ich mehr als einen Kilometer zurücklaufen, um auf den Weg zu kommen, mache aber heute daraus eine Montagmorgen-Gymnastik und nehme den direkten Weg durchs Geröll und im Wald steil hoch über gute 400 m. Es wird ohnehin ein Ausstieg aus dem tiefen Tal, von gut 200 m.ü.M. geht es wieder hoch auf über 500 m. Dabei scheint mir von Zeit zu Zeit die Sonne ins Gesicht, schließlich laufe ich Richtung Südosten. Gegen halb neun ein letzter Blick zurück in dieses schöne Tal und wenn ich den Blick in die Ferne schweifen lasse, sehe ich im Nordwesten in den höheren Bergen, dass sie alle jetzt schon mit Schnee bedeckt sind, während es hier rum komplett ohne ist. Es zieht sich mit leichtem Auf und Ab den ganzen Vormittag durch weitläufig verteilte Birken, dann auch wieder komplett kahles Hochland und relativ häufig auch an Sumpfflächen entlang. Die werden in den nächsten Tagen deutlich mehr und sind in ihrer gelben, grünen und braunen Färbung wunderschön anzusehen. Hier oben fällt auch auf, dass das Kraut der Heidelbeeren großflächig rot wird, was natürlich tolle Kontraste setzt. Die Luft ist ziemlich kalt und ich nehme heute Morgen wieder Mütze und Handschuhe zu Hilfe. Die Kälte als solches kann ich auch auf einigen Seen erkennen, sie haben zumindest teilweise eine dünne Eisschicht. Je weiter es auf Mittag geht, desto mehr versteckt sich die Sonne in einem leichten Grauschleier und während ich mich um zwölf zur großen Pause am Wegesrand niedergelassen habe, sehe ich in einiger Entfernung in den Höhenlagen Schneeschauer durchziehen. Es dauert nicht allzu lang und noch während ich sitze, ist es auch bis hier herangezogen. In Erwartung weiteren Schneefalls bekleide ich mich mit Poncho und Regenhose, beim Weiterlaufen merke ich aber, dass das nur ein kurzer Einstand war und befreie mich recht zügig wieder. Es mag auch dieses Wetter sein, am hauptsächlich leicht grau bedeckten Himmel sind keine großen Veränderungen, die Landschaft ist so unaufgeregt dahin, dass ich den Pfad einen Kilometer im Voraus sehen kann, dazu die Windstille, all das macht diesen Tag zu einem äußerst stillen Tag. Als würde das ganze Land still auf den Schnee warten. Meine Gedanken gehen heute hauptsächlich um die nächsten Tage, wenn ich Kautokeino passiert habe. Wie lange werde ich wohl noch laufen können und wie lange wird es mit dem Wetter noch so freundlich sein? Die Antwort darauf werde ich mir natürlich selbst geben müssen, aber für einige Tage wird es schon noch gehen. Meine geplante Strecke heute ist um die 25 km und da ich nicht so wahnsinnig steil auf und ab muss, läuft es sich auch prächtig, der Pfad ist meistens sehr gut begehbar, teils sandiger oder einfach erdiger Untergrund. Am Nachmittag komme ich dann an den See Ráisluoppal, hier hat es feinen Sandstrand und daran schließt sich als nächstes der Ráisjávri an. An seinem Ufer gibt es laut meiner Karte eine Hütte und eine Picknick-Site. Gegen halb fünf erreiche ich die Hütte, es ist eine größere vom Staatsforst, in der allerdings nur die Haupttür bis in den Windfang offen ist. Die zwei Türen rechts und links in die jeweiligen Räumlichkeiten sind verschlossen, aber immerhin gibt es einige Meter entfernt einen größeren Shelter, in dem ich mich einrichte und die Nacht zubringen will. Das Thermometer am Haus zeigt -2°, es liegt ganz feiner Schneegriesel in der Luft. Während ich in diesem Unterstand mein Essen zubereite und mich aufhalte, ist weiterhin dieses Gefühl der absoluten Stille. Kein Lüftchen bewegt sich, kein Geräusch, kein Wellengang vom See, einfach nur totale Ruhe.
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  • 24. September

    September 24, 2024 in Norway ⋅ ⛅ 3 °C

    Vom Himmel hoch, da komm ich her!
    Nicht nur das Fräulein Smilla hat ein Gespür für Schnee, sondern auch mein gestriges war genau das richtige. Seit dem Einbruch der Dunkelheit hat es begonnen zu schneien, heute morgen liegen einige Zentimeter und es schneit fröhlich weiter. Ich hab mich bis um halb sieben noch mal rumgedreht, mein Schlafplatz war grandios und ich kann mir nicht helfen, seit ich den Schnee heute am Morgen gesehen habe, hat jemand eine Langspielplatte mit Weihnachtsliedern aufgelegt. Ich kriege die nicht mehr aus dem Kopf raus. Freundlicherweise konnte ich im Eingangsbereich der Hütte an einer Steckdose alle meine Geräte aufladen, ich werde sie heute wohl einige Male brauchen zwecks fehlender Orientierung. Um halb neun ist alles angerichtet, ich habe mich auf Schnee eingestellt und stiefele los, der Schnee knirscht noch unter meinen Schritten. Ich möchte heute nach mehr als 28 Kilometern am Abend bei Madam Bongo einkehren, ich hoffe, sie ist empfänglich. Den ersten Kilometer geht es noch am See entlang, dabei schrecke ich einen riesengroßen Seeadler auf, kann ihm noch eine Weile zusehen, wie er über dem Wasser verschwindet. Es sind hier überall eine Menge von Quad-Spuren, da entlang des Sees einige Sami-Häuser stehen. Daher auch die Stromversorgung selbst in der Hütte. Schon als sich der Pfad vom See wegzieht, verliere ich die Spur das erste Mal und stapfe durch tiefes Kraut mit Schnee obendrauf, gerade hier in dieser Sumpfgegend schmatzt es laut bei jedem Schritt, der etwas tiefer geht. Nach einiger Zeit und nochmal Peilung nehmen bin ich wieder zurück. Als es etwas abwärts geht, drehe ich die erste Pirouette, gerade so noch gutgegangen, dass ich nicht auf dem Maul liege. Es soll nicht die einzige bleiben. Nach gut 3 km stehe ich an einem Rentierzaun, sehe sogar eine rote Markierung, aber keinerlei vernünftige Öffnung oder einen Überstieg. Und so muss ich mir an einer Stelle, an der er mit Bändern irgendwie verknotet ist, selber helfen und das Machwerk lösen und wieder binden. Aber immerhin bin ich auf dem richtigen Weg. Gegen zehn zur ersten Pause hat das Schneien aufgehört und es zieht rundrum mehr und mehr Nebel auf. Das, was vorhin noch Schnee war, kommt jetzt als Regen und so fühlt sich auch der Schnee beim Laufen immer nasser an. Den Pfad verliere ich zwischendurch immer wieder mal, je nachdem, über welchen Untergrund ich gerade laufe. An einigen Stellen ist der Schnee verweht und knietief, während im Sumpfgras fast gar keiner liegt. Ich bin gedanklich darauf eingestellt, dass das Bild heute wohl den ganzen Tag nur ein milchig schwarz-weißes sein wird, zumal der Regen mit dem stärkeren Wind mich ohnehin nicht weit gucken lässt. Die einzige Abwechslung sind alle Stunde mal ein paar Moorhühner, die wegfliegen und einmal bringe ich ein paar Rentiere auf, die gerade zur Ruhe gelegen haben. Trotzdem verteufele ich diesen Tag nicht, es ist zwar kein Schönwettertag, aber es spielt auch nicht gerade die Schicksalsmelodie. Es könnte viel schlimmer sein, zum Beispiel jetzt einen Schneesturm, in dem ich nicht 50 m im Voraus gucken könnte so wie jetzt im Moment und überhaupt keinen Pfad wahrnehmen würde. Apropos Melodie: Mit eigenem Gesang habe ich gegen „Oh Tannenbaum“ gekämpft und gewonnen. Dabei hat mir heute besonders die Zeile „From the coalmines in Kentucky to the California sun…“ ein ewiges Grinsen ins Gesicht genäht. Angesichts der Witterung heute fallen meine Pausen entweder kürzer oder ganz aus. Hütten am Weg gibt es nicht und da kommt mir gegen eins, als ich fast die Hälfte des Tagesmarsches bewältigt habe, ein Objekt von Rentierzüchtern ganz gelegen. Es ist ein eingezäuntes Gelände, wahrscheinlich werden hier die Rentiere zusammengetrieben, markiert und sortiert. Außerhalb steht eine Kote und mehrere primitive Hütten, die normalerweise verschlossen sind. Eine davon ist offen, innen drin zwei Bettgestelle und ein recht vermüllter Raum, der mir aber für die halbe Stunde zum einfach still da sitzen und was essen taugt. Den Rest des Tages marschiere ich straff, soweit das auf diesem Untergrund geht, am Nachmittag wird der Schnee immer matschiger und gerade auf dem Pfad oder wenn es mal wieder eine Quad-Spur ist, ist er so nass, dass er bei jedem Schritt einen Meter weit umherspritzt. Später am Nachmittag, als ich gerade noch einmal zu einer kleinen Pause sitze, stelle ich fest, dass ich inzwischen über 1 km vom richtigen Weg weg auf einem falschen bin. Bin so fröhlich einer dieser ATV-Spuren gefolgt und habe nicht noch einmal nach der Navigation geguckt. Die Hälfte der falschen Strecke laufe ich auf dem Weg wieder zurück, dann kürze ich ab und gehe über Land, bis ich wieder richtig bin. Gegen fünf, als ich gerade mal wieder einen Bach überqueren will, nehme ich zum wiederholten Male wahr, dass das Licht sich verändert hat. Es ist einerseits neblig, aber trotzdem zwischendurch heller geworden, manchmal wirkt der Nebel eher blau, manchmal eher gelb. Womit ich heute überhaupt nicht mehr gerechnet habe, dass ich gegen halb sechs noch einmal einen Farbfilm einlegen darf. Die Sonne hat sich doch durch den Nebel gekämpft und zeigt sich für einige Minuten lang zusammen mit etwas blauem Himmel. So schnell sie gekommen ist, so schnell ist sie auch wieder verschwunden. Aber es dauert auch wieder nicht lange, bis sie wieder hervorkommt und der Nebel sich soweit lichtet, dass der Himmel zum größten Teil blau mit wunderschönen Wolkenformationen und dank der fortgeschrittenen Stunde auch Farben ist. Ein völlig neuer Eindruck dieser verschneiten Landschaft, den ich auf den letzten 5 km genießen kann. Allerdings muss ich nebenbei trotzdem auf die Uhr schauen, denn ab um sechs wird das Tageslicht immer schwächer und ich mag es überhaupt nicht, auf solchen Wegen mit so vielen Unebenheiten, Steinen und Löchern in der Dämmerung zu laufen. Nachdem ich dieses Farbenspiel eine gute Stunde lang genießen konnte, zieht sich die Sonne wieder zurück, ich merke, wie es kälter wird und auch die Oberfläche des Schnees und des Weges beginnt zu überfrieren. Den letzten Kilometer laufe ich in der Dämmerung und sehe kurz darauf vor mir den Ort Čunovuohppi. Hier stehen diverse Häuser in der Nähe des Sees Stuorajávri, sie wirken wie Wohnhäuser, hier und da brennen auch Lichter. Die als Madam Bongo in den Karten vermerkte Hütte erweist sich als ein Wohnhaus, vor dem zwar ein ATV steht und in dem auch Licht brennt, aber niemand öffnet. Vermutlich war das Objekt früher mal eine Wandererhütte, so ganz genau werde ich daraus nicht schlau. Da alle meine Sachen soweit nass sind und ich sie bei der Kälte auch in keinster Weise trocknen kann, habe ich das Zelten für heute gedanklich gestrichen und gehe zum nächsten Haus, um nach irgendeiner Art von Unterkunft hier herum zu fragen. Aber auch hier ist zwar Licht, aber niemand da, ebenso am nächsten Haus. Bei dem gehe ich ein paar Meter ums Haus herum, weil ich doch über das Zelt nachdenke und wo ich es hinstellen kann. Dabei fällt mir ein Nebengebäude ins Auge, dass wie eine Toilette aussieht und da sie offen ist, klippe ich auch an der Tür eines weiteren Gebäudes, das für mich ganz unerwartet auch offen ist. Es ist eine kleine Werkstatt, in der allerlei Sachen ordentlich aufgehängt sind, unter anderem Ski, Schneeschuhe und derlei Sachen. Auch wenn ich niemanden fragen kann, ob es recht ist, beschließe ich kurzfristig, hier drin zu übernachten. Es gibt Strom und eine kleine elektrische Heizung, so dass ich die nassen Sachen trocknen und vernünftig übernachten kann.Read more

  • 25. September - Finish

    September 25, 2024 in Norway ⋅ 🌧 5 °C

    Ich schreibe den 25. September und der Eintrag ist besonders: Mein Wanderweg endet heute Abend nach 3900 Kilometern zusammen mit dem Nordkalottleden für dieses Jahr in Kautokeino. Die Entscheidung dazu ist gestern den ganzen Tag über in meinem Kopf zu Ende gereift. Nicht, weil es mal geschneit hat, vielmehr weil einige meiner Theorien im Kopf sich bestätigt haben und gute Gründe dafür sprechen, es gut sein zu lassen. Da ist natürlich das Wetter, um das es sich meistenteils dreht. Der Winter hat mich eingeholt und auch wenn es jetzt noch nicht so tierisch kalt ist, wird es ab jetzt eine Mischung aus nass und kalt sein, bis es dauerhaft weiß wird. Das Laufen auf verschneiten Pfaden ist in verschiedener Hinsicht müßig und wird mehr ein Krampf als eine genussvolle Reise. Das, was die Sonne noch hergibt, reicht zum Laden nicht mehr aus und ab morgen gibt es Richtung Norden am Weg so gut wie keine Hütten mehr, in denen ich trocken übernachten, aufladen oder meine Sachen trocknen kann. Außerdem ist die Tundra ab Kautokeino nicht mehr bergig wie bisher, sondern eher flach und trist, so wie ich es auch gestern schon erlebt habe, also wenig aufregend. Das alles zusammen hat mir diese Entscheidung recht leicht gemacht und ich würde jetzt, wenn ich weitergehe, ohne irgendwelchen Spirit unterwegs sein. Stattdessen trete ich eine neue Reise in etwas südlichere Gegend an, um ein Winterquartier und einen Job zu finden. Auch wenn die nicht mehr in der Art zu Fuß ist, wird sie sicher für mich aufregend werden. Ich freue mich innerlich so sehr darauf und habe eine so großartige Vorstellung davon, nach dem Winter auf dem Fahrrad die Strecke bis da hoch zu Ende zu bringen und dann wieder Richtung Süd einzuschlagen. Gerade heute bekomme ich zwar auch die Nachricht, daß mein „Fahrrad-Kurier“ Kai seine Nordkap-Tour aus wichtigsten persönlichen Gründen nicht antreten kann, das hat absoluten Vorrang. Da ich bis dato für alles am Ende eine Lösung gefunden habe, wird es auch hier einen Weg geben.
    Und ich bin so sehr dankbar und glücklich für jeden einzelnen Tag bisher, wie ich ihn voller unglaublich toller Begegnungen, Erlebnisse und bunter Bilder hatte. Auch für jeden Tag „Verspätung“, der mir diese faszinierende Welt in so schönem Licht und noch viel mehr Farben gezeigt hat. Und natürlich auch für dieses große Geschenk, gesund und munter hier zu sein ohne ernsthafte Verletzungen oder Probleme.

    Um halb acht stehe ich auf, es ist heute nicht sehr weit, statt 20 km Wanderweg werde ich auf 13 km der Straße folgen. Am Morgen schleiche ich erst mal los, um fürs Frühstück und die Katzenwäsche Wasser zu besorgen, fülle mir doch dabei am letzten Tag auf dem halben Kilometer dahin in sumpfigem Gelände fast noch die Schuhe ab. Das ging grad noch mal gut. Nachdem ich die Werkstatt wieder in Originalzustand gebracht und mir diese tollen Schuhe aus Rentierfell genauer betrachtet und befühlt habe, ziehe ich bei leichten Minusgraden, aber trocken los. Mit dem Wissen um das Ende der Tour ist das jetzt ohnehin nur die paar Kilometer Straße laufen, damit ich dann in Kautokeino auf einem kleinen Campingplatz für einen oder zwei Tage zivil unterkommen kann. Der Himmel ist bedeckt, es wird mit der Zeit immer wärmer und nach dem Mittag habe ich immer mal wieder leicht einsetzenden Niesel. Da reizt es mich ja fast zu trampen, aber am Ende packe ich es doch selbst. In dieser kleinen Stadt zieht es sich noch gute drei Kilometer und da lese ich ein Schild „kaffe og rom“, also nicht Kaffee auf römische Art, sondern ein Café mit Zimmervermietung. Schon als ich im Flur dieses menschenleeren Hauses stehe, zieht es mich direkt wieder raus. Es ist so runtergekommen oder vielleicht auch nie schöner gewesen, da ziehe ich gerne noch weiter. Es geht ganz in der Nähe der Kirche entlang, in der ich mal eine Zeit lang einkehre, hier ist gerade Konfirmationsunterricht, sonst wäre sie zu. Und dann ist es auch nur noch ein halber Kilometer, vorbei am Rema1000-Supermarkt und ich spreche bei Ole am Duottar(Tundra)-Camping vor. Die kleine Bikerstube, wie er sie nennt, soll meine sein, für die zweite Nacht gibt es sogar einen Rabatt. Eine Sauna hat es hier und er wird am Abend in der Grillhütte Feuer anmachen. Da bin ich doch genau richtig. Kurz darauf schnappe ich mir für den Weg zum Kaufmannsladen das Damenrad mit Körbchen drauf, scheinbar ist es aus der O-Maria-Hilf-Baureihe. Was für ein Gefühl! Wer um meinen Hang zum Fahrradfahren weiß, hat eine Vorstellung, wie göttlich es nach acht Monaten ist, mal wieder so einen Hobel zu reiten und sei es nur auf drei Gängen. Mit ein paar frischen Sachen und einem Sixpack geht es zurück. Als ich den Schlüssel zurückgebe, steht in der Rezeption gerade die junge Japanerin Momo und checkt ein. Ole macht uns kurz bekannt und erzählt ihr, dass ich heute hier nach gut viertausend Kilometern meinen Fußweg beende, mir erklärt er, dass sie mit ihrem Bruder Hiroki auf dem Weg zum Nordkap sind, er wird von da aus in Kürze eine Rekordfahrt auf dem Fahrrad starten. Na das ist ja mal was, gut dass wir uns alle am Abend nach der Sauna und dem Essen rund ums Feuer wiedertreffen. Dazu gesellt sich dann noch Satsuki, eine weitere Begleiterin und so wird es zusammen mit Ole ein sehr spannender Abend bei Bier und Kaffee mit Schuß. Zum einen ist da natürlich die ab übermorgen geplante extreme Biking-Tour vom Nordkap nach Tarifa bei Gibraltar innerhalb siebzehn Tagen, mit der sich Hiroki ein weiteres Mal ins Guinnessbuch eintragen will. Aktuell hält er unter anderem den Weltrekord für die Durchkreuzung der USA, also von der kanadischen Grenze bis Mexiko und anschließend von Los Angeles nach New York in 30 Tagen, 16 Stunden und 25 Minuten. Aber auch die Art und Weise, wie sie diese Tour so günstig wie möglich gestalten ist beachtlich und es ist auch äußerst interessant, von diesen bescheidenen Leuten aus ihrem Leben und der Kultur im Norden Japans zu hören. Der Abend hätte nicht schöner sein können.
    Gegen zehn beende ich diesen besonderen und tollen Tag, werde morgen noch hier ruhen und mich ab übermorgen in Richtung Kiruna durchschlagen.
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  • 26. September

    September 26, 2024 in Norway ⋅ 🌧 2 °C

    Der Tag wird ein ziemlich ruhiger werden. Und es ist richtig entschieden, hierzubleiben. Es wird den ganzen Tag regnen und schneeregnen, so dass alles draußen rum keine große Freude ist. Am Morgen sitze ich mit Momo in der Küche und wir frühstücken zusammen, unterhalten uns ein wenig. Nebenbei läuft meine Wäsche durch und ich sortiere im Laufe des Tages in meinem Rucksack ein wenig neu. Am Nachmittag habe ich mir noch mal die Sauna eingerichtet und direkt danach schwinge ich mich auf das Damenrad, radle 3 km zum Pitstop, um dort zu essen. Ole hat für den Abend wieder Feuer angekündigt, da es noch ein paar andere Gäste gibt, je ein deutsches und ein holländisches Paar mit ihren Wohnmobilen und Charlotte, eine Britin, die neben mir wohnt und mit dem Gravelbike unterwegs ist. Sie hat nach einem halben Jahr Arbeit in Helsinki die letzten Tage für diese Tour genutzt und wird morgen noch mal unterwegs sein, bevor sie nach London zurück muss. Es ist eine sehr interessante kleine Runde im Feuerschein.Read more

  • 27. September

    September 27, 2024 in Sweden ⋅ ☁️ 1 °C

    Heute wird ein schöner Tag. Ich bin mir ganz sicher, das Wetter hat schon den Anfang gemacht mit einem blauen Himmel, obwohl draußen alles überfroren ist. Ich habe intuitiv genau richtig gehandelt und gestern bei dem Wetter hier Ruhetag gemacht. Am Morgen treffe ich Charlotte noch mal, wir unterhalten uns ein wenig und verabschieden uns dann, sie will wegen der Glätte erst ein Stück mit dem Bus weiter rausfahren, so dass sie von der Straße wegkommt. Ich nehme mir Zeit zum Frühstücken und Duschen und habe um zehn alles soweit vorbereitet, dass ich mich von den anderen Gästen und natürlich von Ole ausgiebig verabschieden kann. Er hat mir, einfach weil er ein cooler Typ ist, eine große Pappe und den Filzstift zur Verfügung gestellt, damit ich sach- und fachgerecht mein Schild nach DIN-Norm zum Trampen vorbereiten kann. Und so steh‘ ich ab um zehn an der E45, die direkt hier am Campingplatz vorbeigeht. Der Verkehr ist nicht so übermäßig viel und natürlich sind viele lokale Fahrer dabei, für die meine Ansage SWE/FIN keinen Sinn macht, mich mitzunehmen. Ich bin ohnehin darauf eingestellt, dass die Fahrt über gut 330 km bis nach Kiruna ein loses Stückwerk durch Norwegen, Finnland und Schweden wird, wo ich vielleicht auch noch mal im Zelt schlafen werde. Manche Fahrer geben mir zu verstehen, dass sie nur Kirchturmcruiser sind, nicht mal der Politi-Wagen fühlt sich genötigt, anzuhalten, als ich ihnen grinsend mein Anliegen zur Schau stelle. Und so braucht es eine gute Dreiviertelstunde, die ich immer weiter an der Straße entlang gehe, bis ich gegen das Sonnenlicht in gut 100 Metern Entfernung ein Auto sehe, wo jemand steht und winkt. Ich bin mir nicht sicher, ob es mir gilt, aber es wirkt so. Ich lege einen Zahn zu und tatsächlich ist der Fahrer erst an mir vorbeigefahren, da er sein Auto einigermaßen voll hat, aber mein Grinsen im Gesicht und der Bart haben ihn überzeugt, doch noch anzuhalten, wie er mir später erzählt. Es ist Stig, der als Jäger hier unterwegs war und jetzt vorzeitig schon nach drei Tagen zurück nach Oslo muss, da sein junger Jagdhund sich im Kraut und Schnee zu sehr die Beine aufgerieben hat. Der Doc hat dem Dog mindestens sieben Tage Jagdpause verordnet. Man bedenke, er fährt heute zwölf Stunden und morgen noch mal zehn bis nach Hause, das ist dann schon ärgerlich. Zu meinem Glück geht sein Weg aber fast über Kiruna und nachdem ich meinen Rucksack auf dem Rücksitz verstaut habe, wird es wieder einmal eine dieser merkwürdig schönen Begegnungen. Dass er ausgerechnet da entlang fährt, wo ich hin muss, Germanistik studiert hat und fließend Deutsch spricht, dass es bei uns, wie wir es nennen, wie ein Schweizer Uhrwerk auf Anhieb gepasst hat und uns die paar Stunden bis um halb drei sehr gut unterhalten können. Dazu noch ein strahlend blauer Himmel… Dann schmeißt er mich raus, nicht ohne mir noch ein Bier mitzugeben und keine 10 Minuten später sitze ich von Svappavaara aus die letzten fünfzig Kilometer im nächsten Auto eines Minenarbeiters, der gerade Feierabend gemacht hat und für den es eine Selbstverständlichkeit ist, mich mitzunehmen, da er tatsächlich nach Kiruna muss. Um drei stehe ich in Nya Kiruna und Ivar hat mir geschrieben, dass er aktuell noch arbeitet, sich aber zum Feierabend direkt bei mir melden will. So habe ich ein paar Stunden Zeit, durch einen Teil der neugebauten Stadt zu schlendern, das Shopping-Zentrum für einen Kaffee und warmen Aufenthalt zu nutzen, aber auch ein paar der alten, am Stück umgezogenen Häuser zu betrachten. Für nächstes Jahr ist zum Beispiel der Umzug der Kirche geplant, das gesamte Gotteshaus wird Stück für Stück demontiert und in die neue Stadt transportiert. Dazu ist zu wissen, die Mine in Kiruna ist die größte unterirdische Eisenerzmine der Welt und kommt in anderthalb bis zwei Kilometern Tiefe der Stadt immer näher. In 2020 gab es minenbedingt ein schweres Erdbeben, seit 2016 hat man begonnen, die Stadt um gut drei Kilometer umzuziehen.
    Da ich bisher nicht weiß, wann Ivar überhaupt Feierabend macht und ob ich bei ihm heute unterkommen kann, gucke ich mir schon mal aus, wo ich am Rande der Stadt, ganz in der Nähe der Mine einen Shelter habe und da ich in der Stadt viel Zeit habe, spreche ich beim Vorbeischlendern schon mal beim ersten Anbieter von Wintertouren vor, wie es denn mit Arbeit aussieht. Gegen sechs stehe ich am Bus, um die vier Kilometer raus Richtung Mine und „Altstadt“ zu fahren. Dabei komme ich mit einer Schwedin ins Gespräch und wir werden dabei durch Ivars Rückruf unterbrochen. Sie reicht mir im Bus dann freundlicherweise ein Tempo an und ich frag mich: „Hab ich ’ne Rotznase?“ Ach nee, Füße hoch, runter von der Leitung, es ist ihre Rufnummer reingekritzelt. Die Frau will mir helfen, weil sie im Ansatz vorhin verstanden hat, was ich hier tue und vorhabe. Gegen halb acht habe ich meine Unterkunft für heute gefunden, es ist in einem sehr kleinen Park eine Holzbude im Format ähnlich einem Überseecontainer, in der die großen Schachfiguren lagern. Da leg ich doch den König direkt neben den Läufer…
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  • 28. September - Kiruna

    September 28, 2024 in Sweden ⋅ 🌙 0 °C

    Die Nacht im Schachfigurenkabinett war schon kalt, aber dank geschlossener Tür gut. Um eins rum hat kurz für eine bis zwei Sekunden der ganze Boden kurz gebebt, es war eine der Sprengungen, die sie immer zwischen eins und drei in der Nacht anderthalb Kilometer unter der Erde machen. Sehr beeindruckend. Am Morgen scheint die Sonne durch ein faustgroßes Loch vom Osten her in mein Schlafzimmer. Um neun raffe ich mich auf und frühstücke, halb und halb noch im Schlafsack.
    Dann mache ich mich auf, einen halben Kilometer von hier entfernt ist ein Hostel, das günstigste, was ich in Kiruna ausmachen konnte. Ich laufe durch den verlassenen, teils auch schon abgerissenen Teil der Stadt, fühle mich wie in Pripyat nahe Chernobyl, obwohl ich da noch nie war. Aber es wirkt schon gespenstisch, die Häuser verlassen, aber intakt, viel mit Zäunen abgesperrt und nur der Wind pfeift hier durch. Direkt hinter dem Bauzaun ist das Hotel, ich erkundige mich um die Preise und hänge in der Lounge bis zum Nachmittag rum, dann will ich raus nach Jukkasjärvi zu Ivar. In diesem Dorf gibt es unter anderem das weltbekannte Icehotel, das jedes Jahr aufs Neue gebaut wird.
    Der Busfahrer winkt mich einfach durch, ich denke so: „Der ist ein cooler Typ!“. Etwas später erfahre ich, dass im September wegen einer Systemumstellung der Nahverkehr hier kostenfrei ist. Bin ich mal wieder zur richtigen Zeit am richtigen Platz. Nach einem Essen beim Dönermann in der Neustadt stehe ich auswärts Schwedens nördlichster Stadt und hoffe darauf, dass mich jemand die 15km mitnimmt. Und nach zwanzig Minuten ist es John, der selbst von hier aus grundsätzlich Richtung Süden und immer als Tramper in den Urlaub fährt. Von daher ist es für ihn eine Freude, mich mitzunehmen und auch einen Umweg zu fahren, um mich direkt an meinem Ziel abzusetzen. Kurz darauf kommt auch Ivar und wir haben einen schönen Abend in dem Wohnwagen, der über den Winter seine Wohnung ist. Er sagte mir, der Typ, der letzten Winter da drin gewohnt hat, lebt auch noch und sie hatten 45* unter Null. Also Mut zur Lücke! Unter anderem fügt er mich auch der Winter Workers Powercrew hinzu, einer WhatsApp-Gruppe, die erst ein paar Tage alt ist, aber so unheimlich schnell wächst, wie hier auch die Kontakte wachsen.
    Ich übernachte bei ihm, morgen muss er wieder arbeiten und ich werde zurück nach Kiruna gehen.
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  • 29. September - Kiruna

    September 29, 2024 in Sweden ⋅ ☁️ 5 °C

    Es ist Sonntagmorgen und nach der Verabschiedung ziehe ich gegen halb zehn los. Nach einer guten halben Stunde pickt mich Ejan auf, ein Deutscher, der seit zwanzig Jahren hier lebt und mir seine Nummer gibt, falls ich im mal Dreck sitze. In der Neustadt setzt er mich ab und ich fahre mit dem Bus die paar Kilometer rüber in die Altstadt. Dann checke ich im Hostel ein, buche erst mal für zwei Tage und werde dann Stück für Stück nach Bedarf weitere Nächte buchen. Der Preis ist mit knapp unter 40 € noch im Rahmen, dafür ist ein sehr umfangreiches und gutes Frühstück inklusive neben kostenfreier Sauna und Waschmaschine.
    Am Abend kommt Lena, die Vorschullehrerin mich besuchen, wir sitzen zusammen in der Lounge und trinken ein Bier. In meinem Sechs-Bett-Schlafsaal bin ich allein, kann mich also gar nicht beschweren.
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  • 30. September - Kiruna

    September 30, 2024 in Sweden ⋅ ☁️ 4 °C

    Es ist Montag und Zeit für mich, in der Stadt rumzutingeln und nach Jobs zu gucken. Ich fahre also mit dem Bus die Runde, spreche in zwei Supermärkten und einer Tankstelle vor, es ist aber jeweils der Chef nicht vorrätig und ich soll wiederkommen oder bekomme die Rufnummer, um ihn direkt anzurufen. In der Neustadt frage ich direkt in einer Firma, die verschiedene touristische Sachen wie Touren mit Schlittenhunden und so weiter anbieten, sie wollen eine Bewerbung per E-Mail haben. Da kann ich mich doch gleich heute Abend oder morgen früh drum kümmern. Wie ich an der Bushaltestelle direkt neben dem großen Scandic-Hotel stehe, überlege ich mir, doch da auch gleich mal nachzufragen. Evelina, die Chefin ist heute nicht mehr da, aber morgen soll ich noch mal wiederkommen und kann mit ihr direkt sprechen. Und so geht es für heute erst mal wieder zurück in die Altstadt, ich will in einem Rote-Kreuz-Loppis (Second-Hand) mal wegen ein paar Klamotten durchgucken. Schließlich werde ich mit meinen Wandersachen bei -30 oder -40° keine große Freude haben. Den Tipp hatte mir Lena gegeben. In dem Laden finde ich zwar keine ernstzunehmenden Wintersachen, aber es gibt ein schönes rotkariertes Hemd, das wie neu ist und für einen Fünfer heute meins wird. Beim Rumstehen nehme ich zwischen all den Leuten ein Paar wahr, das miteinander deutsch, aber mit den Leuten im Laden schwedisch spricht. Das klingt für mich äußerst interessant, es scheinen Locals zu sein und so quatsche ich sie direkt an. Es ist ein nettes kurzes Gespräch mit Nina und Francisco, sie sind ausgewandert und sind gerade noch dabei, ein kleines Hotel einzurichten. Es ist zwar die halbe Strecke von hier nach Kautokeino, aber das spielt am Ende keine Rolle. Sie wollen sich überlegen, ob sie mich eventuell gegen Kost und Logis für einige Zeit gebrauchen können und wollen mir in ein paar Tagen Bescheid geben.Read more

  • 1. Oktober - Kiruna

    October 1, 2024 in Sweden ⋅ ☁️ 5 °C

    Gegen elf breche ich heute morgen auf, weil ich ja im Scandic mit der Chefin sprechen will. Gut 80 m von meinem Hostel entfernt ist die Busstation von Kiruna, hier warte ich auf den nächsten Stadtbus. Als der kommt, bin ich mir nicht sicher, ob er gerade in die richtige Richtung fährt und als ich den Busfahrer frage, verneint er. Fügt aber hinzu, dass er sowieso nach dem Ende der Runde hier wieder vorbeikommt, also springe ich auf und nehme eine etwas längere Fahrt in Kauf. Bin ja schließlich nicht auf der Flucht. Während der Fahrt komme ich mit dem Fahrer Charlie sehr angenehm ins Gespräch. Wir unterhalten uns ohne Punkt und Komma, teilweise lässt er fast Leute an den Haltestellen stehen, weil wir so ins Gespräch vertieft sind. Es passt irgendwie und so werden aus den paar Metern, die ich eigentlich fahren wollte, zwei komplette Runden durch die Stadt, bis seine Schicht gegen zwei beendet ist. Er hat mir so viel erzählt, unter anderem dass er Couchsurfing in seinem Apartment anbietet und nimmt mich nach seinem Feierabend mit dem Auto mit aus der Stadt raus in ein schönes Museums-Café. Anschließend bringt er mich in die Neustadt und ich habe meinen Vorstellungstermin im Scandic Hotel. Das ist ein sehr angenehmes, kurzes Gespräch und Evelina bietet mir an, ich könnte direkt auf Probe anfangen, benötige aber ein schwedisches Bankkonto und eine Person-ID. Die ist hier in Schweden der Dreh-und Angelpunkt um alles, was man irgendwo offiziell machen möchte. Sei’s sich beim Finanzamt zu registrieren oder ein Konto zu eröffnen oder irgendwo ein Abo abzuschließen, man braucht immer die Person-ID. Ich nehme diese Information erst mal mit und werde mich morgen darum kümmern. Heute habe ich mich am späten Nachmittag, das ist gerade jetzt, mit Lena verabredet und sehe aber vor dem Aurora, das ist die örtliche Bibliothek, Ivar und ein paar Leute stehen. Um sechs eröffnet hier heute eine kleine Kunstausstellung eines samischen Malers. Da es noch eine gute Stunde bis dahin ist, trinke ich mit Lena ein Bier und wir treffen uns alle zur Eröffnung wieder. Ich als großer Connaisseur bin üblicherweise nicht derjenige, der in Museen und Kunstausstellungen anzutreffen ist, von diesen Ölgemälden hier bin ich aber absolut begeistert und freue mich, schon wieder einmal zur richtigen Zeit am richtigen Platz zu sein.Read more

  • 2. Oktober - Kiruna

    October 2, 2024 in Sweden ⋅ ☁️ 0 °C

    Am Morgen sitze ich in meinem Zimmer und versuche online den Antrag für die Person-ID zu stellen. Es gibt zwei Varianten davon: Die Koordinationsnummer ist die „einfache“ temporäre, die auch nur begrenzt gültig ist. Die brauche ich. Leute, die hierher auswandern, benötigen die „richtige“ dauerhafte und müssten auch direkt bei einem Amt vorstellig werden. Die App, die ich in dem online-Verfahren zur Legitimation benötige, verlangt zwingend meinen Reisepass. Den habe ich mir zwar Anfang des Jahres noch neu machen lassen, aber ausdrücklich nicht mitgenommen, da meine Reise nicht nach Afrika oder USA geht, sondern nach Skandinavien. Der Personalausweis ist in dieser App aber einfach nicht zulässig. Und so denke ich kurz darüber nach, einen der günstigen Flüge zu nehmen und mir dieses Dokument zu Hause abzuholen. Teilweise könnte ich von Kiruna für 60 € nach Berlin fliegen. Aber nein, das ist nicht, was ich gerade will. Der Oktober ist der Monat, wo alle Winterworker hier einfallen und sich um Jobs und die ohnehin raren Wohnungen bemühen. Also möchte auch ich hier und dran bleiben. Ich entscheide mich, zu einer örtlichen Bank-Filiale zu gehen und mit denen zu sprechen, ob es tatsächlich ausschließlich mit der ID möglich ist, ein Konto zu eröffnen. Das bekomme ich dort exakt so bestätigt, aber auch den Hinweis, dass es unweit ein „Statens servicecenter“ gibt, in dem man alle offiziell zu regelnden Sachen erledigen kann. Die haben zwar gerade Mittagspause, aber für um zwei buche ich mir einen Termin und gehe so lange in der New City Hall ins Museum und Café. Während ich auf diesen kurzfristigen Termin warte, bekomme ich einen Anruf von Nina und Francisco, sie haben sich entschieden, es mit mir zu versuchen. Wenn es passt mit uns, haben Sie wohl für ein paar Wochen Arbeit für mich. Wow…. Wie stand es doch auf dem Grabstein des plötzlich verstorbenen Mathelehrers? „Damit habe ich nicht gerechnet.“ Ich bin total begeistert.
    Der Termin beim Service Center ist in einer guten halben Stunde abgehandelt, mein Antrag ist gestellt, es war hier auch mit dem Personalausweis möglich. Allerdings wird die Erstellung der ID einige Wochen in Anspruch nehmen. Na da passt es ja prima, wenn ich in Lannavaara unterkommen kann, weil wir da keinen offiziellen Kram brauchen.
    Anschließend fahre ich wieder zurück Richtung Hostel, ganz in der Nähe gibt es noch einen weiteren Second Hand Laden, in dem ich mich nach Wintersachen umsehen will. Er ist noch deutlich umfangreicher als der letzte, in dem ich war und ich finde tatsächlich eine Hose und Jacke und die zwei älteren Sami-Brüder, die diesen Laden gefühlt seit dem Tertiär betreiben, wollen sich auch für mich nach ein paar echten Winterschuhen umsehen und legen mir noch ein paar Handschuhe obendrauf. Sie haben einfach Angst, dass ich friere. Und ja, minus 45 Grad sind nix für die Badehose, da brauchts schon zwei. Da sie keine Kartenzahlung akzeptieren, werde ich einmal quer durch die Stadt zum Supermarkt fahren und dort Geld holen. Gut für mich, dass der Gratis-Busverkehr in Kiruna auch auf den Oktober ausgeweitet worden ist, da die laufende Systemumstellung nicht abgeschlossen werden konnte. Yes! Am Abend wollen die Goldjungs wegen den Schuhen nachsehen und so werde ich morgen noch einmal hergehen und mein Klamotten-Paket mitnehmen. Übrigens für nicht mal 50 € ist das tatsächlich sehr günstig.
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  • 3. Oktober - Kiruna

    October 3, 2024 in Sweden ⋅ ☁️ 3 °C

    Ich möchte und muss mein Tagebuch weiterführen. Seit meiner Ankunft hier habe ich das nicht mehr gemacht, aber was hier alles so passiert und diese merkwürdig magische Stadt möchte ich einfach festhalten. Da ich Zeit habe und das nicht in der Höhle im Keller machen will, fahre ich mit dem Bus raus nach Hjalmar Lundbohmsgården, dem Café, wo ich mit Charlie schon mal war. An der Haltestelle sind ein paar Schulkinder, ein paar Mädchen sprechen mich irgendwann an und fragen, wo ich her bin und ich habe ab dann viel zu erzählen. Das ist schon sehr ungewöhnlich, in dem Alter sind sie ja eher zurückhaltend und schüchtern. Und ich frage mich auch, ob ich denn so außergewöhnlich aussehe, habe schließlich nicht mal den Rucksack auf.
    Im Café genieße ich den Blick raus über die Mine und im Westen über die verschneiten Berge. Beim Bezahlen komme ich mit der jungen Kellnerin ins Gespräch und sie erzählt mir, dass sie nur noch bis Sonntag hier arbeitet und dann ihre Stelle frei wird. Sie gibt mir die E-Mail-Adresse, so dass ich auch hier eine Bewerbung herschicken kann. Beiläufig kommen wir auch darauf, dass ein Kollege von ihr täglich von Lannavaara hier nach Kiruna zum Arbeiten gefahren kommt. Das sind immerhin 120 km eine Richtung und ist für mich äußerst interessant, um möglicherweise auf diesem Wege zwischen diesen beiden Orten hin und her zu kommen, wenn es nötig ist. Vielleicht ja schon am kommenden Sonntag, da werde ich nämlich Kiruna verlassen. Ich gebe ihr meine Nummer und bin gespannt, ob sich derjenige bei mir meldet. Anschließend laufe ich noch einen Kilometer bis runter zum Bahnhof, glotze ein wenig Erzzüge und schleiche mich dann langsam wieder zurück. Im Secondhand Laden hole ich meine Jacke und die Hose ab, Schuhe gibt es leider grad keine passenden. Am Nachmittag mache ich mir aus meinen restlichen Essensvorräten noch mal eine Klumpensuppe, hier kann ich sogar Zucker und Zimt verwenden und genieße zum letzten Mal in diesem Hotel heute Nachmittag die Sauna.
    Am Abend treffe ich mich noch mal mit Lena, es wird ja vorerst schließlich das letzte Mal sein.
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