E1-Dänemark

May - September 2017
Der E1 verläuft in nördlicher Richtung durch Dänemark. Ich hatte so meine Probleme mit der Route...
375 km, E1 Tag 73 - 88
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  • E1-79-DK- Vingsted Sø (29km)

    May 14, 2017 in Denmark ⋅ ☁️ 17 °C

    Aufgeben gilt nicht! (2)

    Am Morgen weckt mich das nervige Gurren zweier Tauben, die sich viel zu erzählen haben. Der Regen hat aufgehört, vor dem Shelter wabert der Morgennebel. Die Nacht war angenehm und nicht kalt.
    Ohne Frühstück breche ich auf, denn da habe ich heute eine bestimmte Idee. Im Brugsen kaufe ich frische Brötchen, damit suche ich das nahe liegende Haervejen Touristen-Centrum auf, das es in Baekke gibt. Ab acht Uhr ist es geöffnet, das habe ich schon gestern herausgefunden. Es gibt dort sogar eine Dusche, der Gedanke daran erfüllt mich mit Vorfreude.
    Der Center-Wart schließt gerade auf und begrüßt mich freundlich. Er zeigt mir den Duschraum und lädt zum Verweilen ein. Kurz darauf muss er weg - zur Arbeit - für den Haervejen ist er ehrenamtlich tätig. Gut, dass es Menschen wie ihn gibt, sie bereichern das Leben. Vertrauensvoll überlässt er mir die Räumlichkeiten und ich darf bleiben, solange ich will.
    Die heiße Dusche tut gut, das Frühstück bringt mich auf Trab. Während Smartphone und Powerbank aus zwei Steckdose Strom zapfen, inspiziere ich die kleine Ausstellung.
    Mit frischer Energie geht es weiter. Kurz hinter Baekke stoße ich auf ein Wikingergrab, das im 10ten Jahrhundert als Grabmal in Form eines 45m langes Wikingerschiff angelegt wurde. Daneben ein noch älteres Hügelgrab aus der Bronzezeit. Eisentafeln und Felssteine zeigen die Lage des ehemalige Wikingerschiffs, vom Hügelgrab herunter hat man einen guten Blick darauf. Außer Tafeln und Steinen ist allerdings nicht viel zu sehen.

    Wieder folgt die Tristesse langer Schotterpisten und Asphaltstraßen. Erst auf einer Anhöhe vor der Vejlen Ǻ (Au) wird es besser. Der Blick ins Tal lässt ahnen, was vor mir liegt: eine waldreiche Gegend und das schöne Flussdelta der Vejlen Ǻ. Unten stoße ich auf eine alte Bahntrasse, dessen Gleisbett nun als asphaltierter Wander- und Radweg genutzt wird. Auf ihm geht es viele Kilometer am Fluss entlang und endlich ist die Natur so zauberhaft, wie man es sich nur wünschen kann.
    In Vingstedt ist mein Tagesziel erreicht. Hier soll es ein Shelter geben, das ich schnell finde. Es ist schon belagert und so voll, dass ich lieber weiter ziehe. Gut, dass ich als zweite Option den einfachen Zeltplatz (primitiv teltplads) am Vingstedt Sø im Ärmel habe. Um dort hinzugelangen, muss ich allerdings noch eine Kuhweide überqueren. Dort folgen mir sehr neugierige Kühe, eine besonders kecke Gescheckte stupst mich mehrfach von hinten an.
    Auf dem sonnigen Zeltplatz steht bald das Zelt, Frischwasser gibt es in der Nähe. Der Abend verläuft ruhig und angenehm, das Wetter bleibt gut. Nur Baden kann man in dem See leider nicht, es wäre die Krönung gewesen.
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  • E1-80-DK- Kollemorten (33km)

    May 15, 2017 in Denmark ⋅ ☁️ 17 °C

    Aufgeben gilt nicht! (3)

    Ich schlafe durch, ohne einmal aufzuwachen. Nach einem schnellen Frühstück geht's weiter.
    Ein paar Schritte hinter dem Zeltplatz stoße ich auf ein Wikingerdorf. Kein Mensch ist zu sehen und trotzdem stehen Hütten und Ställe offen. Eine der Hütten schaue ich mir genauer an. Senkrecht stehende Holzplanken bilden die Außenwände, geschützt durch ein Reetdach. Eine niedrige Tür ist der Eingang, darüber am Giebel thront ein skelettierter Stierkopf. Zierde oder Abschreckung? Die Decken sind niedrig, die Räume winzig. Ein Raum allerdings ist größer, darin sind Schlafkojen untergebracht, obenauf frisches Bettzeug aus Leinen. Wer übernachtet hier? Schulgruppen vielleicht? Ich frage mich, ob ich in einem Wikingermuseum bin. Doch für weitere Forschungen habe ich keine Zeit. Ein Wanderer muss wandern und auch heute ist der Weg weit.
    Lange geht es auf der ehemaligen Bahntrasse das Tal der Vejlen Ǻ Richtung Osten. In Skibet verlasse ich -etwas wehmütig- das schöne Tal, um wieder gen Norden zu streben. Nun gilt es, Höhenmeter zu machen, denn steil geht es aus dem Tal hinauf. Kumpel wird plötzlich auf dem Rücken schwer und ich beginne zu schwitzen.
    Der Fårup See ist nicht mehr weit, vielleicht gibt es dort Gelegenheit für ein erfrischendes Bad. Doch nein, welch' Enttäuschung, auch an diesem See treffe ich auf keine Badestelle. Dafür lenkt der im Wasser dümpelnde Nachbau eines Wikingerschiff meine Aufmerksamkeit auf sich. In dieser Gegend wird tatsächlich an jeder Ecke an die längst vergangene Wikingerzeit erinnert.
    Bald bin ich in Jelling. Der Ort macht auf mich einen blitzsauberen und äußerst gepflegten Eindruck. Die Sonne scheint breit vom typisch dänischen Blauhimmel, der, gesprenkelt mit Schäfchenwolken, ganz aussieht, als sei der einem Hochglanzprospekt entsprungen. Die Ortsmitte Jellings ist anders als die Orte, durch die ich bislang kam. Hier bildet die alte, weiße Steinkirche das Ortszentrum, davor ein üppig dimensionierter Platz. Dort setze ich mich zur Pause, es mangelt mir an nichts, denn ich habe mich zuvor in einem Supermarkt mit Proviant versorgt.
    Jelling ist ein äußerst geschichtsträchtiger Ort, wie ich durch die vielen aufgestellten Infotafeln erfahre. So lese ich, dass die weiße Steinkirche hinter mir aus der Zeit um 1100 n.Chr. stammt und das in dem Grabhügel Gorm der Ältere, der erste König der Dänen, begraben liegt. Sein Sohn Blauzahn hat die Dänen christianisiert und den zweiten Grabhügel errichtet, der weiter hinten liegt, aber nie verwendet wurde. Dahinter stehen weiße Betonpfähle senkrecht im Boden, die die Anlage weitflächig umsäumen. Sie stehen dort, wo früher ein Palisadenzaun die alte Siedlung schütze. Auch eine 350m lange Schiffssetzung gab es hier einmal, doch sie hat die Zeit nicht überdauert. Ein Wikingermuseum gibt es auch.
    Um alles in Ruhe zu besichtigen, bleibt wieder mal nicht die Zeit, denn ich muss weiter auf meinem Weg wandern. Ich werfe einen Blick in die Kirche und dann führt mich mein Weg mitten durch den ehemaligen Pallisadenzaun weiter. Jelling ist sicherlich einen späteren Besuch wert. Ich werde vielleicht einmal wieder kommen und mir alles in Ruhe ansehen.

    Der Nachmittag verläuft ereignislos. Kilometer auf Schotter und Asphalt. Am Ende des Tages komme ich nach Kollemorten. In einem Haervejen-Center werden feste Hütten vermietet. Das ist es, was ich heute für die Nacht haben will, denn es soll wieder regnen und auf eine nasse Nacht im Zelt habe ich so gar keine Lust. Das Center ist leicht zu finden. Den Hüttenwart muss man telefonisch herbei rufen, er vermietet mir eine Hütte für 100dKr. Heute bin ich sein einziger Gast, die ganze Anlage habe ich für mich alleine. Zunächst mache ich es mir in der Hütte gemütlich. Sie hat vier Betten, je zwei übereinander - und eine elektrische Heizung. Ich schalte sie ein, schnell wird es drinnen gemütlich. Dann Duschen, Wäsche machen, anschließend Essen zubereiten in der Gemeinschaftsküche. Es geht mir richtig gut. Nur die Beine sind müde.
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  • E1-81-DK Nørre-Snede (16km)

    May 16, 2017 in Denmark ⋅ 🌧 13 °C

    Aufgeben gilt nicht! (4)

    Oh, habe ich gut geschlafen! Draußen tobte ein Unwetter über Nacht, aber in der Hütte ist es mollig warm. Alles richtig gemacht, denke ich, während ich mich im Schlafsack strecke. Aus dem Schlafsack zu kriechen, fällt so allerdings schwer, denn draußen regnet es nach wie vor stark. So husche ich schnell unter die Dusche, im Gemeinschaftsraum mache ich mir ein üppiges Frühstück, es gibt wegen der Kälte, die mich draußen erwartet, eine doppelte Ration. Das wird sicherlich ein kräftezehrender Tag, der mir bevorsteht. Nebenan liegt ein Kindergarten, in dem Väter und Mütter ihren Nachwuchs abgeben. Ein schönes Schauspiel spielt sich vor dem Fenster ab, in denen die Kleinen die Hauptrollen und die Eltern die Statisten spielen. Nur ist es kein Spiel. Ich könnte mein Frühstück immer weiter in die Länge ziehen, doch es hilft nichts, irgendwann muss ich los in den Regen. Ich weiß nicht genau, wie der Weg heute verlaufen wird. Irgendwo werde ich den Haervejen verlassen müssen, um dem E1 weiter zu folgen. Vermutlich wird es kurz hinter Nørre-Snede so weit sein. Mal sehen.
    Wie erwartet ist es draußen kalt. Ich ziehe über, was der Rucksack hergibt: Shirt, Fleecejacke und -weste, drüber noch die Regenjacke. Die Rainlegs umschließen die Oberschenkel nur von vorne, hinten bleibt die Wanderhose ungeschützt, ebenso die Waden. Der Regen wird ungehindert in die Wanderschuhe laufen. Das wird bei dem Sauwetter draußen nicht angenehm sein. Aber ich kann es nicht ändern, da muss ich jetzt durch. Recht unwillig mache ich mich auf den Weg.
    Es regnet und regnet und regnet. Es hört einfach nicht auf. Die Hose ist nass, die Schuhe sind es auch und die Regenjacke versagt schließlich ebenfalls ihren Dienst. Alles ist feucht, vom Scheitel bis in die Sohlen.
    Mir ist kalt und kurz gesagt: ich habe keinen Bock mehr. Von der Gegend bekomme ich nicht viel mit, denn der Blick ist gesenkt, sieht nur Pfützen und Matsch. Und dabei soll es durch eine zauberhafte Heidelandschaft gehen.
    An Nørre-Snede soll es östlich vorbei gehen. Ich aber möchte in die Stadt hinein, der Sinn steht mir nach heißen Kaffee an einem trockenen Plätzchen. Doch bevor ich den Ort erreiche, lockt die Imbissbude auf einem Sportplatz mit ihrer trockenen Terrasse. Die Bude hat zwar zu, aber ich kann mir ja selbst was kochen. Der Gaskocher macht das Wasser heiß und während ich werkel, reift die Erkenntnis, dass hier mit der Tour Schluss sein soll. Ich mag einfach nicht weiter im Regen tappen. Wozu?
    In Nørre-Snede gibt es nur einen Busbahnhof. Der nächste Bus fährt in zwei Stunden nach Vejle, dort geht es mit dem Zug nach Fredericia, dann mit dem dänischen IC nach Flensburg, von dort mit dem Regionalexpress der DB zurück nach Hamburg. Sieben Stunden wird die Rückfahrt dauern. Doch es ist mir egal. Nur weg aus dem Regen! So durch bin ich.
    Irgendwie liegt mir mit Dänemark zum Wandern nicht.
    Immer dieses miese Wetter!
    So macht das Wandern keinen Spaß.
    Will ich noch weiter? Ich weiß es gerade nicht.
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  • Intermezzo (2)

    May 18, 2017 in Germany ⋅ ☁️ 22 °C

    Irgendwie liegt mir Dänemark zum Wandern nicht.

    Immer dieses miese Wetter!

    So macht das Wandern keinen Spaß.

    Will ich noch weiter? - Ich bin mir nicht mehr sicher.

    Jedoch - ich bin erst seit Kurzem zurück in Hamburg, dauert es nicht lange, bis sich mein Vorhaben wieder erneuert.
    Der Plan sieht nun vor, die Strecke von Nørre Snede nach Grenå in sechs bis sieben Wandertagen zu laufen und damit das dänische Teilstück des E1 hinter mich zu bringen. Derzeit kommt mir das Wandern in Dänemark wie eine Pflichtübung vor, die erledigt werden muss. Aufgeben möchte ich allerdings auch nicht.

    Doch auch auf der dritten Tour läuft es anders als geplant - es ist wie verhext.
    Ich werde eine sonderbare Erfahrung machen:
    NICHT ICH SCHAFFE DEN WEG, DER WEG SCHAFFT MICH.

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    Die Route der dritten Tour: https://www.komoot.de/tour/16753388/zoom
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  • E1-82-DK Them (23km)

    May 20, 2017 in Denmark ⋅ ☁️ 12 °C

    Der Weg schafft mich (1)

    Die Anfahrt nach Nørre-Snede dauert echt lang, die Verbindung dorthin ist nun einmal nicht optimal, der Absprungpunkt der vorhergehenden Etappe war eben nicht gut gewählt. Was soll`s, vergessen ist das Ungemach der letzten Tour. Weiter geht`s nun auf dem E1 gen Norden.
    Die ersten fünf Kilometer geht es durch hügelige Heidelandschaft, dann steht am Wegesrand ein Holzpfahl mit einer Besonderheit. Hier ist die Wegmarke des E1, das schwarze X, direkt unter die des Haervejen geschraubt. Das kann nur bedeuten: hier trennen sich zwei Wege. Während der E1 von hier aus gen Osten geht, wird der Haervejen weiter nordwärts verlaufen.
    Und hier nun muss ich mich endgültig entscheiden, welchem Weg ich ab jetzt folgen werde: E1 oder Haervejen. Ich überlege nicht lange, bleibe bei meinem Plan B und folge dem Pfeil des E1, der Richtung Silkeborg weist, wo der E1 mit dem Ǻrhus-Silkeborg-Wanderweg verschmelzen wird.
    So wende ich mich also vom Haervejen ab. Ein kleiner Schritt nur, begleitet von etwas Wehmut, denn trotz allen Missgeschicks habe ich den Haervejen schätzen gelernt. Doch der vor mir liegende Weg scheint schön, er geht geradewegs durch die Heide entlang kleiner Seen. Auch auf diesem Weg begegnen mir kaum Menschen, der Mai scheint in Dänemark ein Geheimtipp für diejenigen zu sein, die auf einfachen Zeltplätzen oder in Sheltern übernachten möchte. Wenn doch nur das Wetter mitspielen würde!
    Nach 14km wäre es Zeit für eine Pause. Und tatsächlich liegt da ein Gebäude wie gerufen, am Giebel prangt ein Schild: "Veteranbanen Bryrup – Vrads, Restaurant – Kiosk". Hier bekomme ich bestimmt einen Kaffee und mit etwas Glück auch dänischen Kuchen. Knallrote, restaurierte Eisenbahnwagons stehen auf alten Gleisen davor. Die jedoch interessieren mich weniger als der Eingang zum Restaurant. Erstaunlich viele Menschen stehen herum, viel zu viele für meinen Geschmack! Auf einer Kreidetafel kann ich den Grund für den Menschenauflauf lesen: „lukket samfund“. Wegen Hochzeit geschlossen. Das bedeutet: kein Kaffee für mich! Wenigstens kann ich mich auf der abseits gelegenen Toilette frisch machen und Wasser nachfüllen.
    Die Waggons stehen auf Gleisen, die ein paar Meter weiter schon enden, denn man hat sie entfernt und stattdessen einen Weg aus Asphalt geschaffen. Der Wanderweg folgt nun dieser ehemaligen Bahntrasse durch eine schöne Natur, doch die gerade Wegführung ermüdet den Geist.
    In Them, das liegt südlich von Virklund, ist für heute Schluss. Am Ortsrand soll es einen Shelterplatz geben, den ich auch schnell finde. Er liegt etwas versteckt hinter einem Rastplatz. Zwei Shelter, eine Feuerstelle, eine Bank und ein Mülleimer. Neu, blitzsauber und gut in Schuss.
    Eine Weile noch sitze ich und beobachte, wie die Sonne glutrot hinter Bäumen versinkt, trinke dazu heißen Tee, dann ist es auch schon Zeit, mich ins Shelter zurück zu verkriechen und den Schlafsack über die Ohren zu ziehen, denn immer noch wird es kalt, sobald die Sonne verschwindet. Während ich den Vögeln lausche, denke ich, dass es schön ist zu wandern und auch, alleine zu sein. Doch heute ist einer der Abende, da wäre Gesellschaft gut.
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  • E1-83-DK Tentplads Mariedal (25km)

    May 21, 2017 in Denmark ⋅ ☁️ 17 °C

    Der Weg schafft mich (2)

    Die Nacht ist früh zu Ende, ich erwache frierend. 6°C zeigt die Armbanduhr, die über ein Thermometer verfügt und neben dem Schlafsack liegt. Eigentlich ist das noch im Wohlfühlbereich von Schlafsack und Isomatte. Ich friere trotzdem. Was bringt es, weiter im Schlafsack zu frieren? Auf! Ich trotte zur nahe gelegenen Toilette, die über kaltes Frischwasser verfügt. Es ist Luxus, sich beim Wandern morgens waschen zu können. Die Sonne scheint bereits, ihre Strahlen wärmen die Bank, die zwischen den Sheltern steht. Dort braue ich mir einen heißen Kaffee, dazu Müsli auf warmem Wasser vom offenen Feuer des Hobos. Das macht mich wach und satt, das mich umgebende Vogelgezwitscher macht mich glücklich.
    Bald bin ich wieder auf meinem Weg, der immer weiter auf dem alten Schienenstrang entlang vorwiegend durch waldreiche Gegend führt, nur gelegentlich durchbrochen von vereinzelten Wiesen. Vorbei geht es an uralten Gehöften, auf denen die Zeit still zu stehen scheint. Schön ist es hier. So gar nicht vergleichbar mit der flachen Gegend, die ich im südlichen Dänemark durchwandert habe.
    Auf dem Silkeborg-Aarhus-Wanderweg treffe ich am Erlebniswildpark Friluftcenter Sletten auf den Julsø See, der durch die Gudenå gespeist wird, dem längsten Fluss Dänemarks. Von Silkeborg über Ry bis nach Skanderborg geht es nun für 60km die Gudenå und zahlreicher Seen entlang bis nach Aarhus.
    Der Julsø ist groß und wirkt auf den ersten Blick unberührt. Doch das ist nur eine Illusion, denn das waldreiche Gebiet vor Silkeborg ist ein Naherholungsgebiet, das an schönen Wochenenden von vielen Besuchern genutzt wird. Mein Weg führt an seinem Ufer entlang, das steil zum Julsø abfällt und das Laufen schwierig macht. Vermutlich geht deshalb hier – außer mir - kein Mensch.
    Am Fuße des Himmelbjerget, einem „Berg“ mit für dänische Verhältnisse bemerkenswerten 147 Höhenmetern, gibt es eine Anlegestelle. Das alte Motorschiff Ternen wartet bereits auf Fahrgäste und ist zur Abfahrt bereit. Es macht eine Seerundfahrt und fährt leider nicht nach Ry, was ich bedauerlich finde, denn ich wäre im Moment nur zu bereit gewesen, ein paar Kilometer meines Weges mit dem Boot zu verkürzen. Oberhalb der Anlegestelle liegt ein Restaurant, wo zu Mittag gespeist wird. Ein Blick auf die Karte zeigt mir, dass die Gerichte außerhalb meines Wanderbudgets liegen. Und auch der Kaffee ist mir dort zu teuer. Vielleicht finde ich mein Glück stattdessen in der Nähe, wo lange Tische stehen, die sich unter Haufen von Bananen und Snacks krümmen. Dort hat man eine Pausenstation für das Mountainbike-Rennen „Highland Mountainbike Challenge“ eingerichtet. Der Veranstalter „Aarhus Motion“ führt just heute ein 100km Radrennen von Silkeborg nach Aarhus durch. Ein Teil davon verläuft auf dem E1,. Auf dem Wegstück, das schon hinter mir liegt, habe ich einige rote Fähnchen passiert, ohne ihre Bedeutung zu ahnen. Nun weiß ich es. Die Radler werden jeden Moment hier vorbei kommen. So frage ich schnell nach einem Kaffee, der mir tatsächlich wortlos in einem Pappbecher gereicht wird. Mit einem Lächeln erwidere ich die Freundlichkeit, die mich nicht mal was kostet.
    Was gibt es Schöneres, als mit einem heißen Kaffee in der Hand auf einer sonnigen Bank zu sitzen, über einen schönen See zu schauen und auf die rasenden Radler zu warten? Doch sie kommen nicht, während ich warte. Also gehe ich weiter. Links und rechts des Weges stecken wieder die Fähnchen und signalisieren mir, dass ich noch immer auf der Rennstrecke laufe. Die Radler müssten also demnächst an mir vorbei kommen. Und tatsächlich, da rast der erste in einem höllischen Tempo vorbei, schmeißt in hohem Bogen eine Bananenschale hinter sich auf den Weg. Ich bin fassungslos, denke nur: "das tut man doch nicht!" Wenn jeder der Radler seinen Pausensnack hinter sich in den Wald schmeißt...". Die Nachfolgenden Biker verhalten sich vernünftiger, der Weg bleibt sauber. Ist es das Recht des Siegers, sich so rücksichtslos zu verhalten? Das Feld ist lange schon vorbei, da bin ich immer noch entrüstet.
    Weiter geht es an der Guidenå entlang, der Flusslauf ist abwechslungsreich und es gibt viel zu entdecken. Auf der anderen Uferseite liegt Ry, dort gibt es einen Campingplatz. Doch ich gehe vorbei. Erst kurz vor dem See Mossø wird mein Wandertag für heute zu Ende sein, auch wenn es eigentlich immer noch zu früh ist. Um 16 Uhr stehe ich vor einem einfachen Zeltplatz mit Plumsklo und Feuerstelle, aber ohne Frischwasserversorgung. Zum nächsten Lagerplatz ist es zu weit, also schlage ich hier mein Lager auf. Das Zelt stelle ich im Wäldchen zwischen vier Bäume. Im Hobo lodert bald ein munteres Feuerchen, Heißwasser für Essen und Tee sind schnell bereitet. Heute gibt´s Couscous mit Tomatensuppe, das verbraucht am wenigsten Wasser. Es bleibt reichlich Zeit, um im trockenen Gras ein ausgedehntes Sonnenbad zu nehmen. Neben mir liegt das Solarpanel, das die Batterie des Smartphones in Windeseile lädt.
    Der Sonnenuntergang nimmt immer noch die Wärme mit. Im Zelt liegend lausche ich dem Gesang der Vögel, die sich zur Ruhe begeben, sobald es dunkel ist. Gute Nacht.
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  • E1-84-DK Skanderborg (20km)

    May 22, 2017 in Denmark ⋅ ☁️ 17 °C

    Der Weg schafft mich (3)

    Kaum dämmert der Morgen, da singen die Vögel wieder. Das hört sich schön an, doch die Unterhaltung zweier Tauben, die sich von Baum zu Baum zu gurren, nervt fürchterlich. Im Schlafsack ist es mollig, doch es nützt nichts, ich muss dem Donnerbalken Hallo sagen. Feuchter Dunst schwebt über die Feldern, doch im Wald, wo mein Zelt steht, ist es trocken geblieben. Katzenwäsche und Zähneputzen mit dem verbliebenen Wasser, einpacken, Hobo anheizen, den Rest Wasser heiß machen, Müsli essen. Für einen Kaffee reicht das Wasser nicht mehr, der muss warten.
    Um 7 Uhr bin ich unterwegs. Der Mossø blitzt bald durch die Bäume und liegt dann auf der nächsten Anhöhe in seiner vollen Länge vor mir. Der See ist riesig und kein Haus stört die Einsamkeit. Viele Kilometer geht es an seinem Ufer entlang. Einen Hügel hinauf mit einem weiteren phantastischen Blick über den See als Lohn, einen Hügel hinab, dann durch ein Waldstück abseits des Sees. Dann das Ganze vor vorn. Irgendwo dazwischen liegt ein Steg, der weit in den See hinein ragt. Hier hätte ich baden können, doch ich tue es nicht, ich will weiter.
    Am westlichen Ende des Sees reihen sich Wochenendhäuser eine schmale Straße entlang. Eine Badestelle mit Badehaus markiert den Endpunkt des Weges am See. Eine Infotafeln berichtet über früheres Leben am Mossø, das vom Fischfang dominiert war. Diese Zeiten sind lange vorbei. Ein Schild am Wasser warnt vor Blaualgen, deren Fäden tödlich sein können. Ist die Blaualgenplage ein Ergebnis der Überdüngung umliegender Felder? So gibt es wohl auch an einem so natürlich anmutenden See Umweltprobleme. Ich gehe lieber nicht baden, suche stattdessen etwas enttäuscht den Waschraum auf.
    Der Weg verlässt den schönen Mossø. Kaum liegt der See hinter mir, hätte ich gerne sieben-Meilen-Stiefel an den Füßen statt der klobigen Wanderstiefel, um schnell nach Skanderborg zu eilen, das noch zehn Kilometer entfernt liegt. Stattdessen beschleicht mich der Verdacht, überhaupt nicht mehr voran zu kommen. Und bald ist sie wieder weg, die Wanderlust. Liegt es an der Asphaltstraße, die ich gerade entlang muss? Ich gehe nicht mehr, ich schleppe mich. Erst zwei unschöne Stunden später passiere ich das Ortseingangsschild von Skanderborg. Ein Wegweiser zeigt zu einem Stadion, das doch nur ein gewöhnlicher Fußballplatz ist. Erschöpft setzte ich mich auf eine Bank und starre kraftlos auf den grünen Rasen. Ich bin völlig fertig, sämtliche Energie ist vollständig aufgebraucht. Suppe und Müsliriegel bewirken nichts, auch der gesamte Nussvorrat hilft nicht weiter und der heißer Kaffee hellt meine Stimmung auch nicht mehr auf.
    „Es steht schlimm“, denke ich und muss mir eingestehen, dass ich am Ende bin. Fertig, kaputt, ausgelaugt und alt geworden. Der Weg hat mich geschafft. Ich stelle mir dieselben Fragen wie schon auf der letzten Tour:
    „Was tust du hier?“
    Was suchst du hier?
    Was hoffst du zu finden?
    Warum wanderst du überhaupt?“
    Doch Antworten kommen nicht. Da ist nur das Gefühl, mit jedem Schritt weiter weg zu gehen, statt näher zu kommen. Vielleicht gehe ich den Weg in die falsche Richtung?
    Dann wird mir klar, dass ich den E1 nicht bis zu seinem Ende gehen möchte. Ich will nicht mehr bis zum Nordkap, wo er erst nach Tausenden weiteren Kilometern enden wird. Es ist mir entschieden zu weit. Im Moment bezweifle ich sogar, ob ich überhaupt noch bis nach Grenaa wandern möchte. Vielleicht sollte ich genau hier, in Skanderborg, ein Ende mit diesem unsäglichen Weg machen. Ich weiß es nicht. Ich weiß gar nichts mehr. Ich weiß nur, dass ich heute nicht mehr weiter kommen werde und auch nicht mehr weiter will.
    Nach einer sehr, sehr, sehr langen Pause packe ich ein. Fast hätte ich das Solarpanel und die Powerbank in der Sonne zurück gelassen. Als ich es einpacken will, bemerke ich, dass das Panel die Powerbank gar nicht geladen hat. "Was für ein Zeichen!", bemerke ich still. Auch dort scheint Energie nicht mehr zu fließen.
    Dicht hinter dem Stadion liegt die Keimstelle Skanderborgs: die alte Schlosskirche. Dorthin zieht es mich, ich trete ein mit der Hoffnung, in der Stille der Kirche die Antworten auf meine Fragen zu finden. Das weiße Kirchenschiff ist schlicht, ich mag diese Art Kirche. Lange sitze ich in einer Kirchenbank, betrachte geistesabwesend den Altar und die heiligen Bilder. Ich, der gar nicht im christlichen Sinne gläubig ist, sucht hier Zuflucht und Antworten! Und tatsächlich, eine Eingebung formt sich zum Entschluss: ich fahre nach Hause. Jetzt und hier.
    HIER SOLL ENDE SEIN!
    Der Weg zum Bahnhof führt mich durch Skanderborgs Innenstadt. Ein Supermarkt bietet die Chance, Energie zu tanken. Ich kaufe Bananen, Milchshake, Kekse, Mars und stopfe gleich alles auf einmal in mich hinein. Danach geht es mir etwas besser und eine weitere Erkenntnis keimt auf:
    „Du hast viel zu wenig gegessen, dir haben Kalorien gefehlt.“
    Aber es reicht nicht mehr, meinen Entschluss zu ändern.
    Die Rückfahrt bietet mir viel Zeit zum Nachdenken. Und kurz hinter der Grenze ist da schon wieder das unerklärliche Verlangen, weiter zu wandern. Und die Antwort auf die Fragen, die ich im Stadion noch nicht beantworten konnte:
    „Ich möchte beenden, was ich begonnen habe.
    Ich möchte meinen Weg durch Dänemark vollenden.“
    Nur warum, weiß ich noch nicht.
    Nach ein paar Tagen der Ruhe wird es wohl bald weitergehen, so viel scheint sicher, als ich in Hamburg aus dem Zug steige.
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  • Intermezzo (3)

    May 23, 2017 in Germany ⋅ 🌩️ 24 °C

    Für sechs Tage kehre ich zurück in meinen Alltag, dann treibt es mich wieder los.
    Die vierte und letzte Etappe führt mich schließlich zu meinem Wanderziel Grenaa, wo der dänische Teil des E1 endet.
    Der Weitwanderweg Molsrouten führt durch die Molsberge (dän. Molsbjerge) und weiter die Ostseeküste hinauf nach Greena.
    Auf dieser Tour kehrt endlich die Freude am Wandern zurück.

    Die Route: https://www.komoot.de/tour/17065374/zoom
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  • E1-85-DK Brabrand Sø (25km)

    May 25, 2017 in Denmark ⋅ 🌙 19 °C

    Ich schaffe den Weg (1)

    Sechs Tage später bin ich wieder unterwegs. Der Weg hat mich doch nicht geschafft und nun bin ich aufgebrochen, ihn zu schaffen. Die vierte, voraussichtlich letzte Etappe soll von Skanderborg nach Grenaa gehen, dort endet der dänische Teil des E1. Gerade sitze ich im Bahnhofscafé, genehmige mir zum Auftakt der Tour einen großen Milchkaffee, dazu ein Sandwich und Kekse als Energielieferant. Dieses Mal werde ich sehr auf meine Energiezufuhr achten! Auch das Rucksackgewicht habe ich nochmals reduziert, er wiegt jetzt acht Kilogramm plus je zwei Kilo für Lebensmittel und Trinkwasser. Leichter geht es kaum noch. Los geht`s Richtung Tagesziel, einem Zeltplatz vor Aarhus, wo der Wanderweg Aarhus – Silkeborg enden wird, der mich auf der letzten Etappe so schön geleitet hat. Ein kleines Stück fehlt wegen des vorzeitigen Abbruchs noch, ich gehe es heute.
    Jenseits der Bahngleise geht es die Illerup Ǻ entlang, ohne den Lärm der nahen Autobahn wäre die Idylle perfekt. Wald, Wiesen und Felder, dann folgt ein Moor. Auf einem interessanten Bohlenweg geht’s die Jexen Bæk entlang, schmale Holzbrücken spannen sich gelegentlich über die Au, um die Uferseite wechseln zu können. So erreicht man die Ǻrhus Ǻ, wo es schattig und angenehm kühl ist. Hier fühle ich mich an die wunderschöne Wutachschlucht versetzt, einem Schwarzwälder Highlight des letzten Sommers.
    Es folgt ein Golfplatz und weil Sonntag ist, schlagen viele Golfer ihre Bälle. Das Ende des langgestreckten Platzes bildet ein Clubhaus, dessen Terrasse gut besucht ist. Ich finde noch Platz, bestelle Kaffee, den ich mir aus einem Automaten für 10dKr selbst ziehen muss und Kuchen, der mir gebracht wird. Ein Paar fragt mich wie so oft nach woher und wohin und wir plaudern in Englisch über dies und das. Zum Schluss meinen sie, der Weg nach Aarhus werde mir gefallen. Sie wünschen mir viel Glück auf meiner weiteren Wanderung.
    Die Pause beflügelt mein Fortkommen. Nun folge ich einem Grünstreifen, der sich am Ufer der Aarhus Ǻ entlang schlängelt. Sie fließt durch den Ǻrslev Engsø, wo sich Wasservögel lautstark im flachen Wasser vergnügen. Kurz darauf folgt der ebenso flache Brabrand Sø. Es ist eine Freude, im Grünen zu wandern und zu wissen, dass die Großstadt Aarhus schon nah ist.
    Am östlichen Ende des Brabrand Sø sollte der angepeilte Zeltplatz liegen, doch stattdessen steht da eine Pension, auf die ein goldener Drache am Wegesrand hinweist. Eine Terrasse lädt zum Verweilen ein. „Hier bleibe ich“, beschließe ich spontan und checke ein. „No dinner this evening, sorry“, meint die Wirtin mit dem Hinweis, es sei noch Vorsaison und die Küche sei wegen zu weniger Gäste noch zu. „But you can have breakfast“, fügt sie hinzu. Gute Idee, nehme ich! Zwar ist das Zimmer klein und die Gemeinschaftsdusche auf dem Flur, aber das ist mir egal. In meinen Augen ist die Unterkunft ein Palast und ich denke, heute ist mein „Luxustag“. Alles kommt immer nur auf den Blickwinkel an. Ich hatte in Dänemark so viele Gelegenheiten, kostenlos auf einfachen Zeltplätzen und Sheltern zu übernachten, dass diese Pension mir prachtvoll vorkommt und ich sie mir mal gönnen kann. Denn günstig ist die Unterkunft nicht. „Dinner“ bereite ich mir in der Abendsonne selbst zu. Es gibt Trockenfutter, was sonst? Dazu zwei gut gekühlte Biere aus der Flasche, die mir die Wirtin mit einem Lächeln verkauft hat. „Pay what you guess“, meinte sie und zeigt auf das Trinkgeldschweinchen.
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  • E1-86-DK Kalø Vig (35km)

    May 26, 2017 in Denmark ⋅ 🌙 20 °C

    Ich schaffe den Weg (2)

    Am nächsten Morgen wartet ein Luxus-Frühstück auf mich. Kaffee, Grapefruitsaft, Rührei, zwei Sorten Schinken, Käseauswahl, Weintrauben, Erdbeeren, Melone, getrocknete Tomaten, Brot und Brötchen. Habe ich etwas vergessen? Nichts lasse ich übrig. Am Tisch nebenan sitzt eine blonde Dänin mit ihrem Jungen, sonst sind keine Gäste da. All die Mühe nur für uns drei! Ich bin der Wirtin sehr dankbar für die schmackhaften Kalorien und hätte noch länger verweilen können. Doch was muss ein Wanderer tun? Richtig: Wandern! Zum Abschied frage ich die Wirtin, ob sie wisse, wo hier der Zeltplatz sei. „Ja“, meint sie, „den habe ich hier früher betrieben, aber das ist schon mehr als zehn Jahre her.“ So hat sich auch das geklärt.
    Durch das Kongresscentrum "Skandinavien Center", das mich an das Europacenter in Hamburg erinnert, gelange ich in die Aarhuser Innenstadt. Aarhus ist die größte Stadt Jütlands und die zweitgrößte Dänemarks und hat was zu bieten. Vorbei geht es an Kunsthalle und Musikschule und einigen Kunstgegenständen. Die Einkaufsmeile ist lang und endet mit dem Domplatz, über dem der Kirchturm hoch aufragt. Im Innern ist der Dom erstaunlich schlicht und das mag ich viel lieber als all den goldenen Pomp anderer Kirchen.
    Die Stadt verlasse ich durch Stadtwald im Norden, erhasche noch einen Blick auf das Quartier am Hafen. Es ähnelt der Hamburger Hafen City, zumindest aus der Entfernung. Auch hier wird noch gebaut.
    Hinter Aarhus beginnt die Molsroute, die 80km weit bis nach Grenaa führt und mit dem Weg des E1 identisch ist.
    Kilometerlang geht es direkt am Strand der Aarhus Bucht entlang. Hunderte, wenn nicht gar tausende Häuser stehen hier mit Blick auf die Ostsee. Manche sind klein und ganz schlicht, andere groß und überaus protzig. Die Gegend sei teuer, erzählt mir jemand, der es wissen muss. Hier und da weht der rot-weiße Danebrog munter im Wind. Der Tag ist sonnig, der Himmel blau, die Luft lau und der Weg führt immer am Wasser entlang. Mir geht es gut.
    Erst kurz vor Studstrup wandelt sich das Bild. Ein hoher Schlot überragt den Yachthafen und verschandelt das Bild. Der Schornstein ist Teil eines gewaltigen Heizkraftwerks, das 1963 der Natur seinen Stempel verpasste. Es sieht unschön aus, muss aber vermutlich sein, um auf Wachstum getrimmte Volkswirtschaften mit Energie zu versorgen. Die Abwärme der Kondensatoren wird direkt in die Bucht Kalø Vig geleitet, die ich gerade entlang gehe. Es scheint zu funktionieren, wird ja seit Jahrzehnten so gemacht.
    Hinter Studstrup weist der Weg ins Landesinnere. Hier ist es heiß und ich komme mächtig ins Schwitzen, zumal es auch noch bergauf geht. Hier beginnen die Molsbjerge. Doch bald schon, bei Havhusene kehrt der Weg zur Bucht zurück und die kühle Brise, die wieder über das Meer landwärts weht, tut dem Körper gut. Der Schlot dominiert noch immer das Bild.
    Eigentlich bin ich durch für heute, denn 25km liegen jetzt bereits hinter mir. Da lacht mich der ockerfarbene „Logten Strandkro“ an, doch der Wirt lacht nicht. Vielleicht mag er keine Wanderer, denn sein Angebot beschränkt sich auf ein einziges Appartement, für das er 900dKr haben will. Außerhalb des Budgets, gebe ich ihm zu verstehen, doch er hat kein anderes Angebot für mich. Immerhin meint er, und das etwas süffisant, dass es zum Campingplatz nicht weit sei. Doch das weiß ich, nur habe ich keine Lust, dort zu übernachten und gehe vorbei.
    Irgendwo im Wald auf einer Halbinsel der Bucht Kalø Vig soll ein einfacher Lagerplatz sein. Dorthin werde ich es noch schaffen. Die verbleibenden sechs Kilometer um die Halbinsel Hestehave ziehen sich zäh wie Gummi, so dass ich für die krüppelig gewachsenen Buchen an der Steilküste fast kein Auge mehr habe. Ankommen! Auf einer Wiese direkt am Wasser qualmt ein großes Feuer, darum lagern Jugendliche. "Ist das der Platz, nach dem ich Ausschau halte?", frage ich mich und bin schon etwas enttäuscht, denn in meiner Vorstellung ist da ein einsamen Platz nur für mich. Ein knappes „Hey“ von mir für die Jungs, dann gehe ich einfach weiter. Die Wiese ist zu Ende und ich stehe im Wald, höre mich knapp sagen: „Bleibe ich halt hier mitten im Wald“. Gesagt, getan. Kumpel fliegt ins Gras, ich beginne auszupacken. Von hinten surrt eine Mücke heran und sticht heimtückisch in meinen Hals. Doch es ist nicht nur die eine, es sind hunderte Blutsauger, die mich umschwärmen. „Nein, hier kann ich nicht bleiben, das überlebe ich nicht“. Also zurück auf die Wiese in die Sonne, wo die kleinen Teufel mich hoffentlich verschonen.
    Es ist ja auch reichlich Platz für die Jungs und mich auf der großen Wiese vorhanden und bald habe ich einen guten Standort für mein Zelt gefunden. Die Mücken sind auch hier, doch nicht in so großer Zahl und auch nicht so aggressiv. Ich versuche mich zu wappnen: lange Hosenbeine, Fleece-Pullover mit langem Arm, Schlapphut bis tief ins Gesicht. Nur noch Gesicht und Hände sind ungeschützt und solange ich mich bewege, lassen die Quälgeister mich in Ruhe. Aber wehe, ich sitze, dann blasen die Mücken zum Angriff. Mein Plan: schnell etwas essen und dann im Zelt verschwinden. Eigentlich wäre das schade um den lauen Abend und die grandiose Aussicht auf das Flachwasser der Bucht (Vig) und die Ruine der Burg Kalø.
    Glücklicherweise kommt da Björn ins Spiel. Mit einem lauten "Hey" schreckt er mich auf, als er wie aus dem Nichts plötzlich vor mir steht. Er will lediglich über Nacht bleiben. „Das mache ich öfters, denn man kann in klaren Nächten wie heute hier schön die Sterne beobachten“, meint er und schmeißt sein Wurfzelt direkt neben mein TarpTent. Die Mücken scheinen ihn nicht zu stören. Und wirklich, sie stechen nicht mehr. Liegt 's an der Dämmerung? Bald räumen die Jugendlichen ihren Lagerplatz und überlassen uns ihre Feuerstelle. Es ist noch genügend Feuerholz da und schon lodert das Feuer wieder. Der Qualm hält die verbliebenen Mücken auf Abstand und als es dunkel ist, verschwinden sie ganz. Dafür erscheinen die Sterne. Erst nur einer, vermutlich der Polarstern. Dann zwei, dann viele, schließlich unzählige. Björn hat kaltes Bier dabei, das er gerne mit mir an diesem lauen Abend teilt. Am Lagerfeuer erzählen wir uns Geschichten vom Wandern und anderem und kriechen erst nach Mitternacht in unsere Schlafsäcke. Was braucht der Mensch mehr? So hatte ich mir Wandern in Dänemark vorgestellt!
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