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  • Day 438

    Haangekommen und Glad to be beck

    December 21, 2023 in Germany ⋅ 🌧 11 °C

    Als wir in Worms den Rhein erreichen, fühlt sich der Weg nach Hause schon sehr übersichtlich an. Ab Koblenz kommen die ersten bekannten Gesichter hinzu. Dort übernachten wir bei einer Kommilitonin. Am Bonner Rheinufer flicken wir den letzten Platten der Tour, als wir von einem jungen Mann gefragt werden, was wir denn in dieser Jahreszeit mit den bepackten Rädern vorhätten. Wir erklären, dass wir gerade aus München kämen und dafür eine gute Woche gebraucht hätten. Das überrascht ihn - hatte er doch gedacht, dass man mit dem Rad etwa einen Monat dorthin bräuchte.

    In der Bonner Altstadt trinken wir spontan einen Tee mit unseren ehemaligen Nachbarn, schlafen in unserer alten WG und sehen die ersten Freund:innen wieder. Kaum sind wir hier, ist es ein bisschen so, als wären wir gar nicht weg gewesen und die Zeit sei einfach stehen geblieben. Wir können vom Gefühl her gar nicht einschätzen, wie lange wir weg waren - laut Kalender sind es 438 Tage.

    Sturm Zoltan zum Trotz fahren wir am nächsten Tag auch noch die allerletzten Kilometer der Reise bis nach Haan. Vor einem besonders heftigen Schauer flüchten wir in Leverkusen in einen Lidl. Dort bemerkt eine ältere Dame, dass es doch heute nicht das beste Wetter für eine Radtour sei und erkundigt sich, wie weit wir noch fahren würden. Sie staunt, als wir ihr sagen, dass wir noch 20 Kilometer fahren müssen. Wir verraten ihr nicht, dass dies nur das letzte Promille unserer Reise sein wird. Sie wünscht uns dennoch eine gute Fahrt.

    Die letzten Kilometer haben es in sich: Der Sturm nimmt nochmal an Fahrt auf und wir kämpfen gegen den von Böen gepeitschten Regen an, bis die Zieleinfahrt in Sicht kommt. An dieser liebevoll mit Kreide auf die Straße gemalte Linie warten unsere Familien und Freunde begeistert auf unsere Rückkehr und mit einem tosenden Jubel fahren wir ein. Es folgt ein herzlicher Empfang mit Sekt, leckerem Buffet und einem ersten Interview zu unserer Reise.

    Nach dem Willkommensabend gehen wir schnell wieder in unsere Weihnachtsroutinen in Gladbeck und Haan über - auch hier wirkt fast alles unverändert, als sei die Welt im Herbst 2022 eingefroren und nun für uns wieder aufgetaut. Nach so viel täglicher Veränderung sind diese Konstanz und die weihnachtliche Gemütlichkeit sehr erholsam. Das viele gute Essen schmeckt nach Wochen voller Campingkocher-Kost in diesem Jahr besonders gut.

    Die Fahrräder dürfen sich auch erholen und werden vorerst in der Garage geparkt. Der virtuelle Tacho bleibt bei insgesamt 20.038 geradelten Kilometern stehen - als Linie reicht das von Deutschland nach Neuseeland oder vom Nord- bis zum Südpol.

    Und damit, liebe Leser:innen, endet unsere Tour. Dies wird deshalb auch unser letzter Blogeintrag sein. Wir hoffen, wir konnten euch mit diesem Blog einen lebendigen Eindruck unserer Reise vermitteln und vielleicht haben wir euch zwischendurch aus dem grauen Alltag in ferne Orte versetzten und die ein oder andere Träumerei anregen können. Wir haben uns sehr über eure Nachrichten und Kommentare gefreut und bedanken uns für die Reisebegleitung. Kommt mit viel Rückenwind in das neue Jahr!
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  • Day 430–437

    Jeden Tag ein neues Türchen

    December 13, 2023 in Germany ⋅ ☁️ 7 °C

    Von München aus treten wir den Schlussspurt an: Wir schlagen uns einmal von Ost nach West durch Bayern und Württemberg bis nach Baden, wo wir den Rhein als Wegweiser für die letzten Kilometer erreichen.

    Vom Schnee der letzten Woche sind nur noch Pfützen geblieben und an einigen Stellen zwingen uns Hochwasser-Stellen zu kleinen Umwegen.

    Unterwegs öffnet sich für uns jeden Abend eine neue Türe: Dahinter verbergen sich immer eine warme Dusche und ein warmer Schlafplatz, aber immer auch viel mehr. Wir stoßen auf leckere Abendessen, eine Adventsfeier, eine Winzerei, eine Runde Doppelkopf, einen Weihnachtsmarkt, Reiseträume, Hütehunde und Kuschelkatzen.

    Und da unsere Gastgeber:innen immer an der Reise interessiert sind und immer unterschiedliche Fragen stellen, öffnen wir auch viele Türchen mit Erinnerungen, die wir auf unserer Reise aufgesammelt haben.
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  • Day 429

    Jetpack und Brezen

    December 12, 2023 in Austria ⋅ ☁️ 10 °C

    Nach zwei Tagen in Tokio kommt unsere Zeit in Asien zu einem Ende. Zum letzten Mal machen wir uns auf die Suche nach Fahrradkartons und Verpackungsmaterial. Das geht recht reibungslos und die Kartons, Pappe und Luftpolsterfolie passen gerade noch in eine Nische von unserem kleinen Zimmer.

    Zum Glück ist dieses nah am Flughafen, so dass wir uns die Kartons am Abflugtag auf unsere Rücken binden und mit Sack und Pack über einen Flussradweg direkt in die Abflughalle radeln. Air China nimmt die Räder unkompliziert mit - ganz nach japanischer Art werden sogar noch einige FRAGILE Aufkleber liebevoll auf die Kartons geklebt.

    Der Hauptstadtflughafen in Peking, an dem wir zwischenlanden, ist der zweitgrößte Flughafen der Stadt und wird, seit ein neuer Flughafen eröffnet wurde und Corona die internationalen Fluggastzahlen kollabieren ließ, kaum noch benutzt. Wir verbringen unsere sieben Stunden Umstiegszeit daher in der Transit-Lounge des ansonsten trotz Außentemperaturen von -8 Grad ungeheizten Flughafens. Immerhin ist es in der Lounge warm, aber im Gegensatz zum oft dezenten und hochwertigen Japan, wirkt diese traurig: Protzige Plastiksessel und haufenweise einzeln eingeschweißte Kekse laden weder zum gemütlichen Verweilen, noch zum kulinarischen Genuss ein. Die beiden Mitarbeiter:innen, die vor dem Eingang sitzen, tragen wegen der Kälte Winterjacken, wirken etwas
    überfordert mit unserem Erscheinen und sprechen zudem kein Englisch.

    Wir fassen auf den Kunstledersofas etwas Schlaf, springen in den nächsten Flieger und erreichen 10 Stunden später europäischen Boden.
    Wien dient uns zum langsamen Ankommen, wir kaufen uns erstmal ein paar Brezen, schlendern um den Stephansdom und freuen uns, dass eine Galerie in der belebten Innenstadt als Spezialaktion japanische Holzdrucke verkauft.
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  • Day 427

    Tokio: Ein würdiges Ramen zum Abschluss

    December 10, 2023 in Japan ⋅ ☀️ 19 °C

    Nach 5 Wochen und mehr als 2.000 Kilometern in Japan erreichen wir die Hauptstadt Tokio, die einen würdigen Rahmen für unsere letzten Tage in Asien bietet.

    Trotz der Tatsache, dass im Großraum Tokio rund 38 Millionen Menschen leben, wirken die äußeren Bezirke der Stadt mit ihren vielen kleinen Häusern und schmalen Straßen durchaus beschaulich. Viele Nebenstraßen sind vom Autoverkehr weitestgehend verschont und voller Radfahrender und Fußgänger:innen. Statt die oft überfüllte Metro zu nehmen, entscheiden wir uns daher, die Stadt mit dem Rad zu entdecken. Obwohl hier erstaunlich viel Fahrrad gefahren wird und dies auch recht angenehm möglich ist, gibt es wenig entsprechende Infrastruktur oder Beschilderungen und man muss sich seinen Weg mal auf der Straße, mal auf dem Gehweg selber suchen.

    In der Innenstadt, oder eigentlich einer der vielen Innenstädte, wird es dann doch voller und die Häuser wachsen in die Höhe. Wir besuchen ein Museum für japanische Holzdruckkunst und bestaunen unter anderem die große Welle von Kanagawa, die laut Beschreibung wegen ihres damals neuartigen Berliner Blaus neue Maßstäbe in der Ukyio-e-Kunst gesetzt hat. Farben aus Deutschland scheinen einen wichtigen Stellenwert in der japanischen Kultur zu haben.

    Ähnlich wie die große Welle im Museum schwappen draußen die Menschen aus dem Bahnhof Shibuya auf die berühmte "Alle-Gehen-Kreuzung", die sich bei jeder Grünphase mit bis zu 2.000 Menschen füllt. Auch das schicke Einkaufsviertel Ginza ist voller Menschen- und weihnachtlicher dekorierter Hunde. Im Stadtviertel Akihabara zeigt uns Naz, eine Freundin von Elias, wie man als Otaku die Zeit verbringt. Hier gibt es bunte Spielhallen, Sammelfiguren von allerhand Manga- und Videospielen und an jeder Straßenecke laden uns als Dienstmädchen verkleidete junge Frauen in das nächste Maid-Cafè ein.

    Diese Einladungen schlagen wir schweren Herzens aus, aber vom leckeren japanischen Essen verabschieden wir uns würdig. In einem Restaurant mit Sushi-Förderband essen wir uns am ständigen Strom der frisch zubereiteten Kleinigkeiten satt und über die letzten Tage probieren wir uns noch einmal durch alle möglichen Varianten der kultigen Nudelsuppe Ramen. Die wohl beliebteste Variante ist ausgerechnet jene aus Kyushu, die wir an unseren ersten Tagen in Japan schon ausgiebig getestet hatten.

    Sayonara, Japan!
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  • Day 421

    Ein Berg in 36 Ansichten

    December 4, 2023 in Japan ⋅ ☀️ 7 °C

    Die letzte Woche auf dem Weg nach Tokio steht ganz im Zeichen eines Berges. Schon aus über 100 Kilometern, als wir noch an der Küste unterwegs sind, können wir den imposanten, schneebedeckten Gipfel des markantesten Berges Japans - vielleicht sogar der ganzen Welt - weit über allen ihn umgebenden Bergen sehen. Über die nächsten zwei Tage radeln wir durch Küstenstädte und Teeplantagen stets auf den Berg zu und bestaunen die wachsende Silhouette und die sich im Tagesverlauf wandelnden Lichteffekte und Wolkenformationen.

    Doch die Fahrt zum Fuji läuft nicht ganz ohne Hindernisse: Noch am Pazifik gibt Elias' Umwerfer den Geist auf und hängt nach einem blechernen Krachen nur noch traurig an der Kette. Zum Glück sind wir noch in der Großstadt Shizuoka und finden in einem Radladen ein passendes Ersatzteil. Vom Hersteller ist es zwar nicht für dieses Schaltwerk empfohlen und der Mechaniker will uns schon wieder fortschicken, doch nach etwas Überzeugungsarbeit unsererseits baut er es zügig ein und siehe da, natürlich funktioniert es fast perfekt.

    Das ist auch gut so, denn ausgerechnet für diesen Tag haben wir einen Zeltplatz an einem See direkt vor dem Fuji reserviert. Mit etwas Verspätung radeln wir den Anstieg rund um den Berg hinauf. Selbst im Dunkeln vermittelt die Silhouette vor dem sternenbehangenen Himmel einen majestätisch Eindruck.

    Erst am nächsten Tag offenbart sich aber die volle Pracht unseres Zeltplatzes: Der Sonnenaufgang malt goldene Muster auf den Berg und wir spazieren zwischen beraureiften Bäumen um den glatten See, in dem sich der Berg spiegelt.

    Der Fuji hat schon lange eine wichtige kulturelle und spirituelle Bedeutung für Japan. Wir können das gut nachvollziehen: Der symmetrische Kegel mit der weiß gepuderten Kuppe zieht uns schnell in seinen Bann. Aus allen Blickwinkeln machen wir Fotos - jeweils mindestens 36 unterschiedliche Motive. Damit stehen wir in der Tradition der großen japanischen Ukiyo-e-Künstler wie Hokusai und Hiroshige und ihrer berühmten Fuji-Ansichten.

    In diesem Sinne entspannen wir drei Tage (also 36 Stunden) in der Stadt Fujikawaguchiko. Wir lassen es uns mit stapelweise Pfannkuchen und Fujiblick zum Frühstück und Kaffee in der Hängematte noch einmal richtig gut gehen. Natürlich bleibt auch Zeit für ein Sake-Tasting, denn das Fuji-Wasser erfreut sich, ähnlich wie sein Namensvetter aus dem Südpazifik, eines sehr guten Rufes.

    Nach den drei Tagen rasen wir wieder bergab, Richtung Tokio. Auf dieser Straße kämpften die olympischen Rennradfahrer:innen 2021 mit aller Kraft um Gold, Silber und Bronze - für uns geht es dagegen in umgekehrter Richtung mit Rückenwind entspannt bergab. Golden leuchtende Ginkgo-Alleen zieren die Zielgerade und bereiten uns so unsere ganz private Siegerehrung.
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  • Day 418

    Pacific Re-Cycling Road

    December 1, 2023 in Japan ⋅ 🌬 12 °C

    Für uns geht es wieder auf eine Fähre. Diese bringt uns von der Shima-Halbinsel zur Atsumi-Halbinsel auf der anderen Seite der Bucht. Dort eröffnet sich uns endlich die Weite des Pazifiks. Bis zum Horizont ist keine Insel zu sehen und man kann sich fast vorstellen, wie auf der anderen Seite des Meeres die Lichter von San Francisco und Los Angeles funkeln. Hier wird uns erst so richtig die Dimension dieses Ozeans klar: Die USA sind von hier fast genau so weit entfernt, wie Westeuropa.

    Trotzdem bietet der Strand mehr USA-Feeling, als Europa-Gefühl. Am Straßenrand stehen statt Ahorn und Ginkgo wieder Palmen und sogar vereinzelte Bananenstauden. Einige der Holzhäuser an der Küste sind in bunten Pastelltönen lackiert und abgeblätterte Schilder weisen auf Englisch auf geschlossene Surfshops in. Auch die Cafés haben ihre Verschläge schon winterfest aufgebaut.

    Passend dazu besuchen wir an einem kalten Tag eines der vielen sogenannten Family Restaurants am Wegesrand. Hierbei handelt es sich allerdings keineswegs um traditonelle inhabergeführte Restaurants, sondern um japanisch interpretierte Schnellrestaurants im Stile amerikanischer Diners. Das Mittagsangebot besteht meist aus einer panierten Frikadelle mit Kohlsalat und Reis. Viel besser als das Menü ist für uns jedoch die Tatsache, dass die All-you-can-Drink Getränkebar und Steckdosen am Sitzplatz im Preis inbegriffen sind. So verbringen wir zwei Stunden auf den bequemen Kunstlederbänken und radeln dann gut aufgewärmt, mit neuer Energie in den Handyakkus und Zuckerwellen in den eigenen Arterien eine sehr schnelle Nachmittagsetappe weiter.

    Selbst in diesen Fastfood-Ketten zelebriert die Bedienung stets die höflichsten Umgangsformen. Bei jedem Bestellvorgang und auch beim Bezahlen reihen sich unter stetigen Verbeugungen nahtlos Höflichkeitsformeln aneinander. Das Wechselgeld wird ganz sorgsam abgezählt und jede Münze einzeln benannt, damit jeder Gast die Rechnung ganz genau nachvollziehen kann.

    Neben der Höflichkeit ist die Hygiene die zweite ganz spezielle Alltagseigenschaft: Im Supermarkt sind Obst und Gemüse großzügig in Plastik eingepackt. Kekse gibt es oft in riesigen Verpackungen, die aber erstaunlich leicht sind. Wie bei einer Matrjoschka muss man geduldig eine Schicht nach der nächsten entfernen, bis man schließlich im Inneren beim Keks angekommen ist und einen großen Berg aus Plastik angehäuft hat.

    In diesem Moment hat man allerdings das nächste Problem, denn die Abfallpyramide steht hier Kopf: Vermeidung und Mehrweg spielen keinerlei Rolle, dafür ist das Recycling-System völlig aus dem Ruder gelaufen. Im Supermarkt gibt es regelmäßig bis zu 10 Mülleimer für die sortenreine Trennung des Mülls. Und damit nicht genug, denn dieser muss zuhause sorgfältig ausgewaschenen und getrocknet werden und die genauen Trenn-Vorschriften unterscheiden sich je nach Kommune. Und tatsächlich beobachten wir oft, wie Japaner:innen gewissenhaft und eifrig alles korrekt einwerfen.

    Wir stehen dann innerlich fluchend daneben und können keinen Müll entsorgen, weil unsere Tetrapaks nicht ausgewaschen und aufgeschnitten sind, unsere Plastiksammlung nicht sortenrein getrennt ist und das Entsorgen einer leeren Gaskartusche offenbar überhaupt nicht vorgesehen ist. Öffentliche Mülleimer für Restmüll gibt es nicht, jede:r Japaner:in nimmt den Müll einfach mit nach Hause. So fahren wir unseren stets wachsende Müllberg meist ein oder zwei Tage durch die Gegend, bis wir ihn endlich unauffällig und halb legal an einem Rasthof oder im Convenience Store loswerden können.

    Das Groteske der peniblen Mülltrennung wird dadurch auf die Spitze getrieben, dass Japan noch nicht einmal eine besonders hohe Recycling-Quote hat. Das meiste landet am Ende doch in der Müllverbrennungsanlage oder auf einer Müllhalde. Wir finden, dass der japanische Innovationsgeist, der bei den Toiletten so groß ist, sich vielleicht auch auf andere Abfallprodukte ausweiten ließe. So könnte man die emsige Müllsortierung auch durch einen tatsächlich kleineren ökologischen Fußabdruck zu belohnen.
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  • Day 415

    Mehr Schrein als Sein

    November 28, 2023 in Japan ⋅ ⛅ 8 °C

    Nur eine kleine Bergkette hinter Kyoto erreichen wir den größten seiner Art in Japan, den Biwa-See. Er ist etwas größer als der Bodensee, als Naherholungsgebiet mindestens ebenso beliebt und ein wichtiges Refugium für Tiere wie die Biwa-Forelle und diverse Zugvögel.

    Wir drehen in zwei Tagen ein Runde um den See, dessen Radweg zu den insgesamt sechs (!) von der japanischen Regierung ausgewiesenen nationalen Radwegen zählt, die durch blaue Markierungen auf der Fahrbahn erkennbar sind. Teilweise ist er nagelneu und super ausgebaut, teilweise eher Schein als Sein; dann führt die blaue Linie über holprige Bürgersteige und baut für Radfahrende umständliche Kehren ein. Am Uferrand wechseln sich Angler, SUP-Verleihe, kleine Yachthäfen und, selbstverständlich, reihenweise Shinto-Schreine ab. Selbst in der Nebensaison ist am Wochenende einiges los - wir können uns nur zu gut vorstellen, wie es hier wohl an einem warmen Sommertag aussieht.

    Gegen Ende November macht sich langsam aber sicher die winterliche Kälte breit. Im Sonnenschein der Mittagsstunden wird es noch angenehm warm, doch wenn ein Wind aufzieht, sich Wolken vor die Sonne schieben oder der Morgen graut, müssen wir all unsere Kleidungsschichten auftragen, um selber warm zu bleiben. An die Kälte können wir uns gut anpassen, doch daneben wird nun auch die Kürze der Tage zu einer Herausforderung. Wir müssen unser Tagesprogramm also so straffen, dass wir die verbleibenden zehn Stunden Tageslicht gut nutzen. So stehen wir meist um halb sieben in der Morgenkälte mit der aufgehenden Sonne auf, frühstücken einen heißen Porridge und radeln los.

    Schwieriger als das frühe Aufstehen ist allerdings das frühe Ankommen: Bis zum Sonnenuntergang um halb fünf müssen wir eingekauft und einen Zeltplatz gefunden haben. Gegen 18 Uhr haben wir meist schon gegessen und kriechen in die Schlafsäcke, um noch einen Film zu schauen. Um 20 Uhr sind wir dann meist schon eingeschlafen - über zu wenig Schlaf können wir uns wirklich nicht beklagen.

    Vom Biwa-See aus biegen wir nach Süden ab und passieren wieder viele Schreine, große wie kleine. Der größte ist der Ise-Schrein. Dieser besteht aus zwei Dutzend Gebäuden, von denen einige dem Kaiser und seiner Familie vorbehalten sind. Es herrscht ein großes Treiben und abgesehen von uns sind fast alle Anwesenden schick gekleidet. Es ist schließlich der wichtigste Schrein im Shintoismus und Gläubige, die hier um den Beistand der Götter bitten, werden wohl meist erhört. Sie verbeugen sich, werfen eine Münze in den dafür vorgesehenen Behälter und klatschen zwei Mal in die Hände. Noch eine abschließende Verbeugung, dann geht es weiter zum nächsten Schrein und bald klappt es bestimmt mit Genesung, Kinderwunsch und Studienplatz.
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  • Day 409–413

    Retro-Türme und rote Tore

    November 22, 2023 in Japan ⋅ ☀️ 19 °C

    Die sechste Fährfahrt in Japan bringt uns zurück nach Honshu, in die Gegend Kinsai, die lange Zeit das kulturelle Zentrum des Landes war. In Wakayama sind wir gerade von der Fähre herunter, als das Kulturprogramm auch schon beginnt: Wir besichtigen die Burg von Wakayama. Umgeben von einem breiten Burggraben steht sie mit mehreren weiß getünchten Stockwerken, die von dunklen und typisch ostasiatisch geschwungenen Dächern gekrönt werden, in einem herrlich herbstlich leuchtenden Park inmitten der Stadt. In den Augen von uns Lai:innen ähnelt sie damit allen anderen japanischen Burgen, denen wir bisher begegnet sind. Dennoch gilt sie als besonders eindrücklich, weshalb wir sie uns auch von innen anschauen.

    Die Nacht verbringen wir wieder auf einem spektakulären Zeltplatz: Am Ende einer kleinen Landzunge, die nur über einen schmalen Pfad zu erreichen ist, finden wir eine Wiese mit Blick auf die Meerenge zwischen Shikoku und Honshu. Beim Frühstück versuchen wir, die Schiffe und Boote zu zählen, aber es sind zu viele und ständig kommen neue hinzu. Von dutzenden kleinen Anglerschlauchbooten, über die schnittige Küstenwache bis hin zum Containerriesen ist alles dabei. Auch entlang der Küste sind die Angler schier endlos an der Zahl. An manchen Stegen sitzen sie eng gedrängt an nummerierten und zugeteilten Angelplätzen. Die Stimmung ist so friedlich und gelassen, dass wir kaum glauben, dass wir in weniger als 30 Kilometern in der drittgrößten Stadt des Landes sind.

    In Osaka verbringen wir zwei Tage. Nach der ruhigen Zeit in der Natur sind wir plötzlich wieder im bunten und schrillen Treiben der Großstadt. Besonders fallen hier die riesigen Werbefiguren auf. Überdimensionierte Tintenfische, Sushimeister und Sumo-Ringer thronen bunt beleuchtet und dreidimensional modelliert vor und über vielen Lokalen. Wir essen Takoyaki, typische frittierte Tintenfisch-Teigbällchen, und schlendern durch den Burgpark von Osaka, der um einiges größer ist, als der Cousin in Wakayama.

    Ein klarer Kontrast zum schrillen Osaka ist die Stadt Kyoto, die gleich nebenan liegt. Hier schieben sich zwar immernoch viele Menschen durch die Stadt, doch dieses Mal nicht durch von Leuchtreklamen dekorierte Straßenzüge, sondern durch das Labyrinth der Schreine, Parks und über 2000 (!) Tempel. Grell leuchten hier nur die herbstlichen Ahorn-Bäume und die berühmten japanroten Tore des Fushimi-Inari-Schreins. Da die Übernachtungen hier im Spätherbst unbezahlbar sind, fahren wir am Abend wieder aus der Stadt hinaus, über einen Berg, zu einem Zeltplatz am ruhigen Biwasee.
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  • Day 406–409

    Überraschung von oben

    November 19, 2023 in Japan ⋅ ☀️ 5 °C

    Am Ende der vielen Brücken erreichen wir die Insel Shikoku und damit die kleinste der japanischen Hauptinseln. Sie hat den Ruf, etwas abgelegen zu sein und gilt als spirituelles Zentrum Japans. Ein bekannter Pilgerweg verbindet 88 Tempel und zieht Buddhist:innen aus nah und fern an. Wir pilgern nach der Ankunft erstmal zu einem Restaurant für lokale Spezialitäten: Okonomiyaki ist eine Art Pfannkuchen mit im Teig eingebackenem Kohl, der auf einer heißen Platte direkt auf dem Tisch ausgebacken und anschließend mit Sojacreme und Mayonnaise serviert wird. Er haut uns zwar nicht völlig vom Hocker, erweitert aber unser Bild der sonst so feinen und fettarmen japanischen Küche.

    Das eigentliche Highlight dieses Restaurant-Besuchs ist aber das Ambiente: Die Zeit scheint mal wieder in den 90er Jahren stehen geblieben zu sein. Die Gerichte und Preise finden sich handgeschrieben auf vergilbten Zetteln an den Wänden und die beiden Besitzerinnen haben die 70 sicher schon lange überschritten. Während sie in buckeliger Haltung und mit zittrigigen Händen den Teig anrühren, schauen sie im Fernsehen auf voller Lautstärke eine brutale Kriminalserie voller blutiger Morde. Wir hoffen im Hintergrund auf eine baldige Aufklärung, verlassen das Lokal dann aber, ohne dass der Mörder gefasst wird.

    In der nächsten Nacht stürmt und hagelt es ein wenig, doch das ist - zumindest aus deutscher Perspektive - für Mitte November wenig verwunderlich. Wir freuen uns vor allem, dass sich das Wetter im Laufe des Vormittags bessert und wir den geplanten Abstecher ins Landesinnere angehen können. Als wir noch an der Küste unterwegs sind, glauben wir, unseren Augen nicht trauen zu können: Die sich verziehenden Wolken geben den Blick auf weiß gepuderte Berge frei - offenbar hat der Sturm in den höheren Lagen Schnee gebracht.

    Unser Ziel ist ein Rastplatz mit Sauna auf etwa 800 Metern und je höher wir uns die Passstraße hinaufschieben, desto frostiger wirkt die Umgebung. Im letzten Abendlicht erreichen wir den Gipfeltunnel. Für seine fast sechs Kilometer brauchen wir noch eine gute halbe Stunde. Als wir ihn verlassen, weht uns ein Winterwind entgegen, den wir in dieser Art schon seit zwei Jahren nicht erlebt haben. Wir tauchen in eine malerisch Winternacht ein: Es ist bereits stockfinster und es herrschen Minusgrade, aber die Landschaft verbirgt sich unter einer einer dichten Schneedecke, die mit den Sternen um die Wette glitzert. Ungläubig werfen wir ein paar Schneebälle auf die nächstbesten Straßenschilder, bevor uns im Stehen zu kalt wird.

    Es sind dann nur noch zwei Kurven bis zum Rastplatz, die wir bergab allerdings recht vorsichtig fahren, da die Wege anfangen, zu frieren. Dort angekommen fragen wir, ob wir unter dem Vordach mit etwas Windschutz zelten können. Der freundliche Angestellte macht uns aber klar, dass es zu kalt zum Zelten sei und schließt uns kurzentschlossen den Ruheraum auf, in dem wir unsere Isomatten zwischen Sofas und Massagesesseln im Warmen ausrollen dürfen - Geld möchte er keines. Uns macht diese Menschlichkeit und Großzügigkeit ein warmes Gefühl im Herzen - nur bis in die Fingerspitzen reicht es nicht ganz. Und so lassen wir den Tag in den heißen Becken des Onsens ausklingen - natürlich jeder in seinem eigenen, denn wie in allen Onsens sind Männer- und Frauenbereich identisch, aber durch eine hohe Mauer voneinander getrennt.

    Der nächste Tag führt uns auf der anderen Seite wieder hinab ins Tal. Kaum haben wir den Schnee hinter uns gelassen, nehmen wir Bewegungen im Bambus wahr: Es handelt sich um eine Affenbande, die sich offenbar durch Hüpfen warm hält. Der Japanmakak, auch Schneeaffe genannt, ist der am nördlichsten lebende Affe der Welt. Wir fühlen uns ihm gleich verbunden, denn wenn es ihm trotz dickem Fell mal zu kalt wird, wärmt er sich tatsächlich ebenfalls gerne in heißen Quellen.

    Weiter fahren wir lange auf menschenleeren Nebenstraßen, bis wir plötzlich in einen Ort kommen, in dem erstaunlich viele Autos parken. Eine Frau kommt mit uns ins Gespräch und erklärt, dass hier gleich eine Party stattfinden wird. Um 10 Uhr morgens ist das wohl eher auf ihre Englischkenntnisse, als auf eine lokale Tradition zurückzuführen. Die Party besteht dann daraus, dass aus einem Fenster im Rathaus Reiskuchen und andere Süßigkeiten in die Menschenmenge geworfen werden. Erst sind Kindergartenkinder und Grundschüler:innen dran, dann Oberschüler:innen und nach einiger Zeit dürfen auch die Erwachsenen die guten Gaben sammeln. Auch wir bringen uns in Position und fangen alles, was aus den Fenstern in unsere Richtung geflogen kommt - alles Gute kommt diese Woche von oben.
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  • Day 403

    Über sieben Brücken

    November 16, 2023 in Japan ⋅ ☁️ 17 °C

    Nach dem Kurzbesuch in Hiroshima sind wir mit nur einer Fährfahrt aus dem trubeligen Stadtzentrum zurück in der Natur und Einsamkeit. In der Bucht vor Hiroshima, der Seto-Inlandsee, liegen viele, etwas verschlafene Inseln. Diese sind, zu unserem Glück, mit teilweise spektakulären Brücken miteinander verbunden. Und so radeln wir in den nächsten Tagen über insgesamt 10 Inseln. Der Weg ist immer nah am Wasser, meist flach und abseits der Verkehrs- und Touristenströme. Wir freuen uns, dass sogar einige Radrouten ausgezeichnet und Fahrradwege angelegt sind. Besonders bekannt ist der Shima-nami-kaido, der über sechs Inseln und sieben Brücken die größte japanische Insel Honshu mit der kleinsten, Shikoku, verbindet.

    Menschen sehen wir auf den Inseln eher wenige und - wie man es in Japan erwarten würde - vor allem alte. Auch in Etajima ist wohl schon länger kein Tourist mehr vorbeigekommen: Als wir unseren fast täglichen Gang in den Convenience Store machen, um hier einen Kaffee zu trinken und das freie W-LAN zu nutzen, erregen wir große Aufmerksamkeit. Die beiden Angestellten sind ganz angetan von unserer Reise und bewirten uns mit allem, was ihr Laden so zu bieten hat: Kaffee, frisch gebackene Süßkartoffeln und Chicken Nuggets. Die Ältere von beiden ist Kalligraphie-Künstlerin und malt uns zum Abschied für die weitere Reise einen Talisman auf eine Serviette.

    Auf der weiteren Strecke wechseln sich kleine Siedlungen mit Mandarinen- und Khaki-Plantagen ab. Am Straßenrand wird der Ertrag an unbemannten Ständen verkauft, in denen man das Geld einfach in eine Kiste legt. Wir wussten vorher gar nicht, dass Mandarinen in Japan wachsen und können nun sagen, dass wir selten so leckere Mandarinen gegessen haben.

    Die erste Nacht auf Shikoku beschert uns neben einem leichten Herbststurm einen erstaunlichen Rekord: Wir haben nun acht Nächte hintereinander auf insgesamt acht unterschiedlichen Inseln verbracht. Wo hat man diese Möglichkeit schon mal?
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