Südamerika mit dem Rucksack

August - December 2022
Nachdem ich die letzten 5 Monate Osteuropa mit dem Wohnmobil erkundet habe, schnalle ich mir nun den Rucksack auf den Rücken und bereise Südamerika. Es geht von Kolumbien über Ecuador nach Peru, Uruguay, Paraguay und alles dazwischen wird aufgesaugt. Read more
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  • Day 37

    Die Reise geht weiter

    September 7, 2022 in Ecuador ⋅ ⛅ 18 °C

    Weitere Tage vergingen im Tierheim. Ich versuchte mit dem was vorhanden ist, den Hunden helfen wo ich kann, einen Unterschlupf zu bauen oder ihre Aufenthaltsmöglichkeiten zu verbessern. Dazu natürlich eine Menge Streicheleinheiten und viel Liebe. Auch die Hunde am Wohnhaus brauchten mal Auslauf und bekamen von Ash und mir eine Sonderbehandlung. Hier werden zwar viele Hunde zu Hause gehalten aber ich sehe kaum jemanden, die ihren Hunden Auslauf geben. Ich denke hier herrscht die Meinung, dass die Hunde ja genug Auslauf im Garten haben aber man merkt, wie sich Langeweile auf die Hunde auswirkt. Ash, eine Schottin, wohnte mit mir im Haus und es war sehr schön in ihrer Gesellschaft zu sein. Wir kochten, pflegten die Tiere und hatten einen tollen Austausch über unser Kulturen und Länder.
    Im Tierheim, aber auch bei sonstigen Begegnungen in Ecuador stelle ich immer mehr fest, dass in diesem Land die Geschlechterrolle noch klar getrennt ist. Das heißt, dass die Frau so ziemlich alles macht und der Mann wenig. Die Machokultur spüre ich hier stärker als in Kolumbien. Außerdem ist Kinderarbeit noch sehr weit verbreitet und sichtbar.
    Mein letzter Tag im Tierheim ist nochmal wunderschön. Ich verabschiedete mich von jedem einzelnen Hund und auch das Team drückte mich mit viel Dankbarkeit, über die ich mich sehr freute. Über die gewonnene Erfahrung bin ich auch sehr dankbar und ich wüsste nicht, ob ich das ein Leben lang ausüben könnte. Von Herzen her ja aber es fordert einen auch sehr. Das laute Bellen fängt ab 5:30 an und begleitet einen den ganzen Tag, dazu stinkt man selbst wie ein nasser Hund und kommt kaum hinterher, die Käfige sauber zu halten. Es ist eine sehr körperlich anstrengende Arbeit, ständig verletzt man sich irgendwie an Zäunen, Krallen oder beim Werkeln und man darf die emotionale Komponente nicht unterschätzen. Wenn dazu alles auf Spendenbasis basiert und man kaum Mittel hat, es den Hunden halbwegs angenehm zu machen, fühlt man sich manchmal ganz schön traurig. Aber nach meinem letzten Eintrag gab es einige Spenden, für die ich sehr dankbar bin!

    Ich fuhr also am Dienstag wieder zurück nach Quito, denn meine neue alte Reisebegleitung war auf dem Weg in die Hauptstadt. Paul wird mich nun bis Dezember begleiten und wir haben wunderbare Pläne im Gepäck. Voller Vorfreude stieg ich in den Bus und fuhr erneut durch das fantastische Tal. Leider wurde meine Freude kurz vor Ankunft sehr betrübt, da man mir unbemerkt aus meinem Rucksack den Laptop, ein altes Handy und die Musikbox stahl. Obwohl ich immer aufpasse, kam ich wohl jetzt an dieser Erfahrung nicht vorbei. Hab im Bus erstmal los geweint und mich tierisch geärgert. Zum Glück bin ich kein materieller Mensch, hatte alle meine Bilder Tage vorher in der Cloud gespeichert und war sehr froh, dass mir an sich nichts passiert ist. Dennoch hängt mein Herz sehr an dem emotionalen Wert des Laptops und natürlich sind auch einige Daten weg. In Quito angekommen machte ich mich auf den Weg zu unserem Treffpunkt. Als Paul vor 6 Jahren Südamerika bereiste, traf er Stefanie an der Küste, die nun in Quito wohnt und uns ihre Wohnung zur Verfügung stellte. Sie empfang mich mit offen Armen, nur mit einem Handtuch begleitet und in einer irre sympathischen Art. Bei ihr konnte ich meinen Ärger erstmal los werden und bekam volles Verständnis. Sie gab mir ihren Laptop, sodass ich meine Apple Produkte von meinem Account löschen konnte und niemand Zugriff auf meine Daten hat. Nach einem Bierchen ging es dann auch wieder und die Vorfreude stieg wieder. Wir quatschten und kochten bis Paul ankam und freuten uns schließlich über das große Wiedersehen. Nur eine Stunde später stand dann die nächste Feierei an, da ich Geburtstag hatte. 34 in Quito fetzt ☺️🎉 Den Tag verbrachten wir in der Stadt und gingen abends schön Essen und in eine Bar. Ich erhielt, auch Dank der Zeitverschiebung, gefühlt über 3 Tage verteilt liebe Nachrichten. Mögen all die schönen Wünsche in Erfüllung gehen.
    Vor zwei Wochen, als ich mit Sarah in Quito war, war ich gespannt, ob sich mein Eindruck der Stadt bestätigen würde. Was soll ich sagen? Leider ja, Quito ist die langweiligste und atmosphärenloseste Stadt, die ich bisher kennen gelernt habe. Und wenn einem die Höhe nicht zu sehr zu schaffen macht, dann bringen einen die Abgase um. Es gibt hier sogar die Regel, dass immer abwechselnd die Kennzeichen mit geraden und ungeraden Zahlen fahren dürfen, damit nicht so viele Autos unterwegs sind. Kaum zu glauben, dass das auch doppelte so viele schwarze Abgase sein könnten. Ich würde diese Stadt für einen längeren Aufenthalt wirklich nicht empfehlen. Wir haben mit unserer tollen Gastgeberin ja auch eine Ecuadorianerin, die uns einen Einblick zu dem Typ Mensch geben kann und bestätigte die Vermutung. An der ecuadorianischen Küste sollen die Menschen viel offener, amüsanter und lebensfroher sein. Vielleicht machen die knapp 3000m einfach zu müde und langweilig aber vor allem haben hier viele in der Stadt Angst und bleiben lieber zu Hause 🤷🏽‍♀️ Interessant finde ich allerdings, dass Quito zwar auch klimatisch eine kalte Stadt ist und dennoch überall große Palmen wachsen und Kolibris in den schönen Blüten den Nektar suchen. Das wird wissenschaftlich „kalttropisch“ genannt. Man würde die Höhe der Stadt nur schwer schätzen können. Die Lage der Stadt und die umliegende Natur ist jedoch sehr einzigartig. Vierzehn Vulkane umgeben die Stadt, von denen der Cotopaxi mit 5897m wohl der Beeindruckendste ist und nördlich über der Stadt thront. Außerdem gibt es zwei Stunden östlich der Stadt, bei Papallacta, heiße Quellen, die wir uns nicht entgehen lassen. Auf dem Weg dort hin überqueren wir den Pass ‘La Virgen’ mit 4.064m. Es zieht ordentlich und die Luft ist recht dünn aber für einen kurzen Fotostopp sind wir natürlich zu haben. Angekommen bei den Thermalquellen springen wir sofort in die sehr warmen Becken. Das Wasser kommt direkt aus den umliegenden Vulkanen, sodass sogar ständig kaltes Wasser hinzugeführt werden muss. Anfänglich konnten wir uns in einen privaten Bereich rein schmuggeln und leere Pools genießen aber wurden dann doch gebeten in den „normalen“ Bereich mit Eintritt zu gehen. Für 9$ hat man dann bestimmt 15 Pools mit unterschiedlichen Wärmegraden zur Auswahl und Genuss garantiert. Ein wunderbare Ort auf 3.300m, umgeben von grünen Hängen und idyllischer Natur.
    Der Naturausflug tat unglaublich gut aber Paul und mich zog es aus der Stadt an die Küste. Es ist Zeit, die nächsten Abenteuer gemeinsam zu entdecken. Es ist aktuell Walsaison und vielleicht haben wir ja das Glück welche zu sehen. Ich freue mich sehr auf den Pazifik, die Sonne und das Flair. Unser erstes Ziel wird Puerto López sein.
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  • Day 42

    Giganten der Meere

    September 12, 2022 in Ecuador ⋅ ⛅ 21 °C

    Wir wussten, dass entlang der ecuadorianischen Küste gerade Walsaison ist und diese im Oktober wieder Richtung Arktis schweben. Aber wie wundervoll unser Ausflug werden würde, war uns nicht bewusst. Bevor wir überhaupt unsere Rucksäcke ins Zimmer des wunderschönen Hostels gestellt hatten, meldeten wir uns schon für eine Tour zur Isla de la Plata an. Die ca. 30km vorgelagerte Insel wird gern von den Buckelwalen umkreist und das dort vorhandene Schutzgebiet ist ein zu Hause für die putzigen Blaufuß-Tölpel.
    Es ging also am nächsten Tag direkt los. Ich war so aufgeregt und freute mich tierisch auf die schönsten Wesen des Meeres. Meine Hoffnung, die Wale auch wirklich zu sehen war groß, aber garantiert war es nicht. Zwischen Purto López und der Insel lagen eine Stunde Bootstour und eine wirkende Reisetablette für mich. Ich liebe diese Tiere aber solche Bootstouren, auf offenem Meer, mit recht hohen Wellen ist so meine kleine Hölle auf Erden aber widerstehen kann ich eben auch nicht. Mit 20 anderen Personen brausten wir auf den Horizont zu. Das Boot hebte und senkte sich, bis wir das Festland nicht mehr sahen. Offensichtlich hatte der Bootsführer seinen Spaß. Als wir die Insel sahen wurde die Crew auch auf einen Wal aufmerksam, dem wir uns vorsichtig näherten. Offensichtlich hatte dieser keine Angst und richtig Spaß im Wasser, denn es war ein kleiner Wal, der ein paar mal aus dem Wasser sprang. Daneben schwomm seine Mutter und sein Vater, die vielleicht weniger als 10m von uns entfernt waren. Ich musste ein bisschen weinen vor Glück. Wie schön kann die Natur sein?! Diese Tiere so nah zu sehen ist atemberaubend. Wir hatten viel Zeit, die Walen zu beobachten und die Sprünge zu bejubeln, bevor wir zur Insel weiter fuhren. Dort angekommen schwammen große Schildkröten um unser Boot, die sehr neugierig den gefütterten Salat begutachteten. Von weitem sah man auch Mantarochen, die immer mal eine Spitze ihres seitlichen Flügels zeigten. Mehr sahen wir leider von diesen faszinierenden Tieren nicht.
    Auf der Insel wurden wir dann von der Crew auf Wegen geleitet, die uns entlang der Brutplätze der Blaufuß-Tölpel führten. Dabei erfuhren wir immer wieder wissenswertes über die Tiere und konnten sie von sehr nah bewundern. Sie sind an die Menschen gewöhnt, aber haben auch generell kein ängstliches Brutverhalten. Die Art wie sie laufen, für ihre Partnerin tanzen und einen anschauen ist wirklich zu lustig. Mit ihren gelben Äugeln scheinen sie zu schielen und wirken in ihrer Art etwas tropsig. Die blauen Füße sind wirklich herrlich aber auch ein wichtiges Indiz für die Gesundheit der Tiere. Ein Weibchen würde immer ein Männchen mit sehr blauen Füßen bevorzugen, da dieser ausreichend Fisch erbeuten kann und gut im Futter steht. Die Insel selbst sieht eher so aus, als ob es sehr lang nicht geregnet hätte, jedoch liegt das nur an dem Monat. Da gerade keine Regenzeit herrscht, besitzen die nicht immer grünen Gewächse keine Blätter. Im Januar ist die Insel jedoch sehr grün. Nach ca. 2 Stunden ging es zurück aufs Boot, wie bekamen Snacks und hielten unweit nochmal an einer Steilküste der Insel, um zu schnorcheln. Auch wenn das Wasser recht kühl war, sprangen wir natürlich rein und bestaunten die bunte Wasserwelt: Kofferfische, „Doris“ und Papageienfische wuselten herum. Als alle wieder an Bord und trocken waren, ging es mir Melone bestückt zurück zum Hafen. Auf dem Weg sahen wir immer wieder Wale, sie sprangen aus dem Wasser, winkten uns mit den weißen Flossen und schossen ihre Wasserfontänen in die Luft. Vermutlich konnten wir an diesem Tag ca. 20 Wale bewundern. Selbst in der Nähe der Stadt zeigten sie sich zahlreich. Einer der Crew berichtete uns, dass wir großes Glück hatten. Zum Einen hatten sie Tage vorher nur mäßiges Glück gehabt überhaupt Wale zu sehen und zum anderen waren die Wale nicht immer so spaßig unterwegs und sprangen so aus dem Wasser. An Land angekommen konnten wir unser Glück kaum fassen. Diese Tiere sind so majestätisch, warmherzig, anmutig und graziös, dass man nur die Luft anhält und staunen kann. Ich bin unglaublich dankbar über diese Erfahrung und werde diesen Tag als ein Geschenk in meinem Herzen festhalten.

    Angekommen im Hostel begrüßten uns unsere neuen Freunde Wendy und Genis. Ein Künstlerpärchen, dass wir sofort ins Herz schlossen und so den Abend mit ihnen verbrachten. Sie reisen seit vier Jahren umher, bieten ihre Kunst in Form von Gemälden, Jonglage oder Belustigung an und konnten dieses Hostel durch ein paar Wandbemalungen verschönern. Es ist egal wo man ist, wenn man Herzmenschen trifft, dann werden die Ort immer zu etwas besonderem.
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  • Day 45

    Ayampe

    September 15, 2022 in Ecuador ⋅ ⛅ 22 °C

    Von Puerto López aus, war es ein Katzensprung südlich entlang der Küste nach Ayampe. Paul hatte vor 5 Jahren seinen 30igsten Geburtstag an diesem paradiesischen Ort verbracht und wollte mir diesen gern zeigen. Puerto López besticht zwar mit einem langen Strand und der Nähe zur Isla de la Plata aber wirklich schön ist das Städtchen nicht. Zumindest nicht, wenn man auf autofreie Straßen steht, es bunt mag, viele Pflanzen zu sehen wünscht und nicht alles völlig verstaubt ist. Ayampe erfüllt all diese Wünsche. Ein kleines, ruhiges Hippie Dörfchen, wo man Bananenbrot kaufen, an Yogakursen teilnehmen und Surfen kann. Keiner schien hier mit Sorgen belastet, man trifft nur auf gut gelaunte Menschen und die Atmosphäre ist fantastisch. Dazu liebevoll dekoriertes und sehr sehr gutes Essen. Hinter Ayampe steigen grüne Hügel auf, von denen man auf den Traumstrand und das tobende Meer schauen kann. Eine kleine Oase an der ecuadorianischen Küste. Damit man nicht abhebt gibt es zu dieser Jahreszeit einen kleinen Haken: die Sonne zeigt sich so gut wie nie. Die Wolken schaffen es leider nicht, sich von den Hügeln zu lösen und man sieht jeden Tag unterschiedliche Grautöne. Ich kannte es nicht anders und irgendwie hat es zur Atmosphäre gepasst, auch wenn ich als Sonnenanbeterin mich schon sehr nach ihr verzehrt habe. Das brausende Meer war immer zu hören und das Klima war dennoch mild. Eine alte Bekanntschaft von Paul, Frisky, beherbergte uns in seinem Hostel. Er arbeitete sogar 2 Tage außerhalb, sodass wir das ganze Gelände für uns alleine hatten. Es wirkte irgendwie wie eine Insellodge auf den Malediven, mit eigenem Strandzugang. Ein Träumchen. Ab und zu kam der lustige Haussitter Galban vorbei und scherzte mit uns rum.
    Als wir uns im Dörfchen umsahen, lernten wir Camilo einen Surflehrer kennen, der noch Platz in seinem Kurs hatte. Ich wollte schon immer mal eine Welle reiten und seine Lehransätze haben mir so gut gefallen und Paul wollte seine Erfahrungen wieder auffrischen, dass wir uns dafür entschieden. Was soll ich sagen? Das hat irre Spaß gemacht! Nach ein paar Aufwärm- und Trockenübungen ging es ins Meer, die Wellen studieren. Camilo sagte mir was zu tun sei, hielt das Brett und sprach über Gefühle. Nicht nachdenken, einfach machen. Langsam tastete ich mich an das Aufstehen auf dem Brett heran und stand schon nach kurzer Zeit meine erste Welle. Der Wahnsinn. Ab da ging es immer wieder zurück, ab aufs Brett, ständig ins Wasser fallen und manchmal etwas gleiten. Ein riesen Spaß. Das hab ich definitiv nicht zum letzten Mal gemacht! Durch die ganze Euphorie hatte ich nicht gemerkt, wie anstrengend das war und so waren anderthalb Stunden auch wirklich ausreichend. Danach quatschten wir noch ein wenig und ich entdeckte mehrere Musiklautsprecher auf einem Tisch. Da mir dieser ja geklaut wurde, frug ich Camilo einfach mal, ob wir uns eine ausleihen könnten. Meine Mama meint immer „Sage was du willst und du wirst es bekommen!“ (klappt schon mein Leben lang) und schwups bekamen wir die Box und durften sie auch noch behalten. Mit der Erscheinung eines fast verrosteten Gehäuses, machte sie uns den ganzen Abend Freude. Schön, dass Dinge so im Umlauf sind ☺️

    Am nächsten Morgen, nach viel Schlaf begeisterte Paul mich, eine Runde am Strand zu joggen. Für mich war es eine große Überwindung aus dem warmen Bett, 8:30, direkt in die Sporthose zu schlüpfen aber was hätte ich da verpasst. Uns begrüßte ein leerer Strand, Grautöne wie jeden Morgen und die beiden Felsen von Ayampe, an denen sich die Wellen brachen. Wir joggten bis zum nächsten Dorf und lernten den Ort Las Tunas kennen, der so gar nicht touristisch erschlossen ist. Sehr spannend. Nach einem langen Frühstück und etwas Zeit am Meer gingen wir nochmal eine Runde durchs Dorf. Dabei besuchten wir Galbans Haus, der uns sein Anwesen mit fantastischem Blick offenbarte, bestaunten die Kolibris und seine zahlreich blühenden Büsche. Im Dorf selbst schauten wir uns etwas das Hinterland an, welches mich total an Tonga erinnerte und schmusten mit vielen Tieren. Wir fanden im Dorf einen Billardtisch, spielten gefühlt auf der Straße und die Lokals saßen um uns herum. Eine coole Szenerie.

    Wir verließen am nächsten Morgen diesen schönen Ort bei Sonne und blauem Himmel. Auch wenn es etwas schmerzte, sahen wir es als Abschiedsgruß. Auf dem Weg entlang am Meer sahen wir dann auch noch aus dem Bus einen Wal mit der Flosse winken. Was könnte es für ein schöneres „Aufwiedersehen“ geben?
    Unser Weg führt uns wieder zurück in die Anden nach Latacunga. Wir wollen ein paar Tage den Quilotoa Vulkan umwandern, worauf ich mich riesig freue!
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  • Day 52

    Quilotoa Loop

    September 22, 2022 in Ecuador ⋅ ⛅ 9 °C

    Vor ungefähr 8 Jahren machte sich Paul auf den Weg, den Quilotoa zu besteigen und zu umrunden. Dieser Weg hatte ihn so begeistert, dass wir ihn unbedingt zu zweit nochmal laufen wollten. Diesmal andersherum und zu einer anderen Jahreszeit. Jeder Tag zeigte sich von einer immer schöneren Seite, sowohl klimatisch, landschaftlich als auch von den Höhenmetern, bis wir am Highlight, dem Quilotoa Kratersee angelangt waren.

    Wir fuhren von der Küste nach Latacunga und wurden mit dem schönsten Sonnenschein begrüßt. Die wohltuenden Sonnenstrahlen, nach der grau in grau Küste konnten wir direkt auf der Dachterrasse des Hostels genießen. Die klare Aussicht zeigte uns die umliegenden Vulkane und vor allem den Cotopaxi in seiner vollen Pracht. Besser hätte die Vorbereitung auf unsere Wanderung nicht sein können.

    Es ging also am Montag mit dem Bus Richtung Sigchos, da wir von da aus unsere Wanderung starteten. Wir fuhren bei Sonnenschein tief in die Berge und genossen die Aussicht, bis wir zu einer Straßensperrung kamen. Im Vorhinein stand eigentlich überall geschrieben, dass man viel Zeit einplanen sollte, um in die kleinen Ortschaften zu gelangen. Es war also keine Überraschung, dass wir dort eine Stunde rum standen. Das gab uns Zeit mit den anderen Touris Kontakt zu knüpfen und eine Engländerin, einen Israeli und zwei aus Bayern kennenzulernen. Außerdem scherzte ein junges Mädchen ganz bezaubernd mit uns. Als es dann endlich weiter ging, dauerte es nicht mehr lang und wir konnten los laufen. Wir kapselten uns ab und liefen von ca. 2.880m los. Das Wetter änderte sich leider sehr zum Nachmittag und hüllte alles in graue Wolken ein. Dennoch war die Weite und die Tiefe der Schluchten erkennbar. Wir überquerten den Fluss im Tal, um dann den gegenüberliegenden Berg wieder zu erklimmen. Schon in dieser Höhe eine merkliche Herausforderung für die Lunge. Nach einem weiteren Hügel und ca. 4 Stunden laufen hatten wir es dann nach Isinlivi geschafft. Es gab zwei Hostels in diesem Minidorf, die beide einen schönen Aufenthalt versprachen, sodass wir uns für das Familiengeführte entschieden. Wir bezahlten 15$ pro Person pro Nacht inkl. Abendessen und Frühstück. Das verführte uns dazu, noch vor dem Abendessen, doch nochmal in das andere Hostel zu gehen, da dieses eine Sauna und einen Whirlpool für 5$ anbot. Nach dieser Wanderung ein absoluter Traum: heißes sprudelndes Wasser mit Ausblick für uns allein. Ich konnte es gar nicht glauben. Nach einer Stunde Tiefenentspannung setzten wir uns dann in unserem Hostel an den gedeckten Tisch und bekamen ein 3 Gänge Menü serviert. Mir kam es so vor, als wäre ich irgendwie falsch: das soll Backpackerleben sein? Irre schön übertrieben. Wir genossen es in vollen Zügen. Dazu ist es in dieser Region wohl Gang und Gebe, dass alle an einen Tisch gesetzt werden. Für diesen Abend waren wir weitere 2 Deutsche, 2 Niederländer und 2 aus den USA. Ein wirklich schöner Abend entwickelte sich. Dennoch fanden wir alle schnell den Weg ins Bettchen, weil wir so knülle waren.

    Unser nächster Streckenabschnitt führte uns nach Chugchilán. Bei leichter Sonne liefen wir talabwärts und sahen bald die grünen Hänge erleuchtet und die Täler strahlend. Aus einem Gebüsch schien sich ein sehr alter Mann den Hang hoch zu quälen, dem Paul nach oben half. Mit wenig Zähnen im Mund strahlte er uns an und quasselte vor sich hin. Wir baten ihm Kuchen an aber eigentlich wollte er nur ein bisschen Geld. Mit ein paar Dollar mehr in der Tasche machte er sich dann wieder im Schneckentempo davon. Unser Weg führte danach eine ganze Weile am Fluss entlang und wir konnten die ganze Naturpracht von unten betrachten. Als es Zeit war für eine Pause, aßen wir bei einem kleinen Laden in der Sonne unser Mittag und bekamen einen Kaffee von einer Frau, die einen total süßen Sohn hatte. Es war schwer, ihn vor die Linse zu bekommen aber dann schielte er doch mal aus der Tür heraus. Ganz aufgeregt war er dann, als Paul mit ihm unsere süßen Säfte teilte. Am liebsten hätte er alles genommen…
    Als die Sonne hinter den aufkommenden Wolken verschwand, machten wir uns wieder auf den Weg und gingen den schwersten Abschnitt der Strecke an. Es ging steil bergauf und die Lunge hatte ordentlich zu tun, genügend Sauerstoff zu bekommen. Mir fiel das Laufen wirklich schwer und man merkte die Höhe in der man sich befand. Dennoch kommt man schnell auch wieder zu Kräften, wenn man eine Pause einlegt. Ich hoffe und denke, die bisherigen 7 Monate Reisen haben zu meiner Fitness positiv beigetragen. Endlich oben angekommen, hatten wir einen phänomenalen Blick auf das Tal. Die Sonne hatte sich leider verabschiedet und es war merklich kühler geworden aber die Sicht war dennoch sehr beeindruckend. Wir hatten jedoch nicht viele Minuten des Genusses, denn sofort kam ein freundlicher Mann an, der uns von seinem Werk: der Aussichtsplattform erzählte. Dies tat er so lang, bis wir etwas kauften und für seine Arbeit spendeten. Es ging weiter auf hoher Ebene Richtung Hostel. Da der Winter einige Straßen zerstört hatte, mussten wir die letzten 2km entlang der Straße laufen und konnten nicht entlang des Tales wandern. Auf diesem Wege machten wir allerdings Bekanntschaft mit einem Ferkel, dass sich lautstark freute geknuddelt zu werden. Herrliche Tiere 🐷
    Im Hostel angekommen, begrüßten uns schon weitere Mitwanderer, die schon eher angekommen waren. Erneut kam uns ein Schwall Freundlichkeit der Betreiberin entgegen und wir bekamen ein Zimmer mit Aussicht und 2 Hängematten. Nach einer heißen Dusche, kuschelten wir uns in warme Decken ein und schaukelten draußen in den Matten hin und her. Ich war wirklich ganz schön platt und freute mich auf das Abendbrot. Dieses war wieder integriert und vom aller Feinsten, mit allem was ein wandernder Körper so braucht. Wir saßen wieder alle zusammen und tauschten uns aus. Eine richtige Reisetruppe entstand, mit der es Spaß machte das Abenteuer zu verbringen. Nach etwas Tischtennis und Billard fielen wir wieder in die (unglaublich bequemen) Betten und schliefen selig ein.

    Auch das Frühstück war der Knaller und bereitete uns auf den schwersten Abschnitt der Wanderung vor: hoch auf den Quilotoa Krater. Jeder Tag wurde sonniger, sodass wir bei herrlich blauem Himmel, dem Ziel vor Augen unsere 14km antraten. Da wir zwei Täler überwinden mussten, ging es wieder rauf und runter. Mit leichtem Muskelkater von den Vortagen und der immer dünner werdenden Luft, war das gar nicht mal so leicht. Aber bei Sonnenschein und vielen Tieren zum streicheln ist alles leichter. In einem hoch gelegen Dorf wurde uns dann vor Augen geführt, was die Lokals in dieser Höhe so machen. Rennen und Spaß haben. Sehr beeindruckend! Erneut sprach uns ein freundlicher Mann an, der uns den Weg zeigte, obwohl der gut ausgeschildert war. Dies passierte so nicht zum ersten Mal und wieder wird von uns Geld gefordert. Bei diesem 5. Mal sagten wir dann mal „nein“. Es scheint sich fast eine Art unverschämte Haltung gegenüber den Touris zu entwickeln. Es wird für jegliche Aktion viel Geld gefordert, da die weißen das Geld doch haben. Ich verstehe es mehr, als dass ich es verurteilen würde. Zumal die hiesige Regierung sämtliche Förderung und Unterstützung der Indigenen eingestellt hat. Völlig verständlich, dass jeder ein Stück vom Kuchen abhaben möchte aber wenn das Bauchgefühl nicht stimmt, können wir auch nicht die Untätigkeit der Politik kompensieren.
    Nach einer notwendigen Pause ging es zur vorerst letzten Etappe, hinauf zum Krater, ab in die Wolken und hoch den Hang. Ich kämpfte mich nach oben, ein Schritt nach dem anderen, voller Vorfreude den Kratersee zu sehen. Man denkt an das türkise Wasser und der Einbettung des Sees von grünen Hängen. Endlich oben angekommen sah man dann genau nichts. Die Sonne hatte sich versteckt und die Wolken hingen dick über dem See. Nebelschwaden glitten über den Krater und wurden vom See verschluckt. Eine spannende Atmosphäre machte sich breit und wir freuten uns über unseren Aufstieg. Wir mussten allerdings noch etwas am Krater entlang laufen, um zum Örtchen Quilotoa zu gelangen. Viele liefen nun mit uns und suchten einen schnellen Weg zum Hostel, um die Beine hochzulegen. Uns fiel auf, dass dabei niemand so wirklich den Ort würdigte oder zumindest nicht so, wie wir es als schön empfanden. Die Wolkendecke brach auf und wir setzten uns an eine windgeschützte Seite und bestaunten diesen besonderen Ort. Ich habe selten sowas Schönes gesehen und war ganz erfüllt von der Herrlichkeit der Natur. Neben uns grasten Lamas und Pferde, die die Landschaft komplettierten. Wir nutzen das Sonnenlicht voll aus, bis sich die Wolken wieder zuzogen und freuten uns nun auch bald anzukommen. Da wir relativ weit nach unten gelaufen waren, mussten wir wieder hoch. Wieder sprach uns ein netter älterer Herr an, der uns seinen Geheimweg zeigen wollte. Der Weg war weder geheim, noch war er einfach nur so nett aber diesmal willigten wir ein und kamen schnaufend oben an. Er verlangte viel zu viel von uns, sodass wir uns kurz mit ihm über die Situation unterhielten aber da haben wohl schon zu viele Touris nachgegeben.

    Richtig doll geschafft und voller Freude über die letzten Tage fielen wir ins Hostel ein. Wir trafen das andere deutsche Pärchen und saßen beim Ofenfeuer zusammen. Sogar in unserem Zimmer wurde der Ofen angeschmissen, sodass wir bei Holzknistern einschliefen.
    Wir entschieden uns für diese Nacht in knapp 4000m Höhe, da wir uns am nächsten morgen den See nochmal bei Sonnenschein ansehen wollten. Der Blick war nochmal schöner, gerade auch weil sich die umliegenden Vulkane zeigten und wir nochmal die gute Luft einsaugen konnten. Diese Wanderung war der absolute Wahnsinn. Herrliche Natur, liebe Mitmenschen, höchstgradig besondere Hostels, verschiedene Landschaften, coole Lokals und ein gigantisches Streckenende. Bin irre glücklich darüber! 🏔🌋
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  • Day 56

    Das Dschungel Abenteuer

    September 26, 2022 in Ecuador ⋅ ⛅ 32 °C

    Nachdem wir den letzten Blick auf den Quilotoa Kratersee aufgesogen hatten, ging es zurück nach Latacunga, um unsere großen Rucksäcke zu holen. Das nächste Abenteuer stand nämlich schon vor der Tür: wir hatten vor in den Dschungel zu fliegen. Dazu mussten wir zurück nach Puyo, dem Ort wo auch das Tierheim liegt, um einiges vorzubereiten. Im angrenzenden Amazonas gibt es eine Kommune des indigenen Volkes der Waoranis, die den Zutritt gewähren. Insgesamt leben von ihnen ca. Viertausend im Dschungel, einige mit festem Wohnsitz andere dem Nomadenleben ähnlich. Letzteren sollte man als Gringo (Mitteleuropäer) nicht zu nahe kommen oder wenn, dann nur nackt. Seit der Missionierungen in den 50igern leben viele nicht mehr völlig isoliert und sehen einen Vorteil im kulturellen Austausch, aber dazu werde ich später noch etwas schreiben.

    Die Waoranis haben einen Präsidenten Daniel „Dany“, mit dem wir uns für den Abend in Puyo verabredet hatten. Nach einigen Stunden Anreise, holte er uns vom Busbahnhof ab. Grünes Capi, Poloshirt, passende grün-weiße Sneaker, braune Haut und ein Silberkettchen am Handgelenk. Eigentlich verriet nur sein Gesicht seine Herkunft. Freudestrahlend vielen wir uns in die Arme, da wir es nach viel Kommunikation im Vorhinein, etwas schwierigen Unterhaltungen und nur mit Vermittlungshilfe geschafft hatten, uns leibhaftig zu treffen. Es würde wohl klappen. Wir sprachen 2 Stunden in einem Straßenimbiss, wobei Dany eigentlich ohne Punkt und Komma redete. Wir luden ihn zum Essen ein und lauschten. Er sprach über das Dorf, was uns gezeigt werden würde, wie sie dort leben und verpasste eigentlich keine Gelegenheit, um seine Stellung als Präsident zu betonen und was er alles für die Kommune tut. Wir versuchten zu erklären, dass wir an allem interessiert wären und uns auf den Austausch sehr freuten. Uns war es wichtig, dass das keine Touri-Veranstaltung wird, sondern wir es vielleicht schaffen würden, in den wenigen Tagen die Menschen und ihre Lebensweisen besser kennenzulernen. Man wusste manchmal nicht so genau, ob alles verständlich war, aber wir hofften das Beste. Als es dann ums Geld ging war es dann doch sehr klar, dass wir nun zum Automaten gehen würden, um das Flugzeug und den Aufenthalt zu bezahlen. Taten wir auch, verabredeten uns für den folgenden Tag, bezahlten noch sein Taxi und schnappten uns selbst eines. Am nächsten Tag hatten wir den Vormittag bei Karina und Roberto, bei denen wir untergekommen waren, für uns und regenerierten ein wenig von der Wanderung.

    Ich hatte die letzten Wochen versucht, Geld für das Tierheim zu sammeln. Es kamen wunderbare 630€ zusammen, die ich direkt in der neuen Praxis übergeben wollte. Wir fuhren also am frühen Nachmittag in die Stadt, um die Praxis aufzusuchen. Alle, mit denen ich gearbeitet hatte waren da und die Wiedersehensfreude war groß. Irgendwie größer als die Freude über die Geldspende aber ich glaube das war der Situation geschuldet, da plötzlich aufzutauchen und während der OPs zu stören. Wir warteten außerdem darauf, dass sich Dany melden würde, da wir zum Lebensmittel und Geschenke kaufen verabredet waren. Gegen 16:00 tat er dies endlich und sagte uns einen Ort zum Treffen. Ganze anderthalb Stunde später hatten wir es dann endlich geschafft. Mehrere Telefonate, Erklärungen und Versuche zu navigieren waren notwendig, um ihm verständlich zu machen wo wir sind. Wir kauften Spielzeug für die Kinder, Süßigkeiten und Grundnahrungsmittel in großen Säcken. Das Budget hielten wir dabei nur bedingt ein, aber man konnte auch nur schwer nein sagen. Es war uns allerdings bewusst, dass über Geld eine andere Vorstellung herrscht und manchmal auch gar keine Relation besteht. Nun waren die Gesten gekauft, das Flugzeug bezahlt und wir langsam angefreundet. Die Tage die danach folgten sind nur schwer zu beschreiben. Alles kam irgendwie anders als gedacht und mit verschiedenen täglichen Emotionen.

    Am nächsten Tag waren wir für 7:30 Uhr vor Danys Haus verabredet, um alle Sachen in Roberto’s Auto zu bringen, der uns lieberweise zum Flughafen fuhr. Es dauerte ganze fünfeinhalb Stunden, bis wir einsteigen konnten. Ob das an einer verregneter Landebahn, dem zu spät kommenden Piloten, da seine Nachbarn die Nacht vorher gefeiert hatten oder weil hier so ziemlich nichts nach Absprache läuft lag, weiß man nicht. Man braucht unglaublich viel Geduld und Zeit, wenn man auf unterschiedliche Kulturen trifft. Wir flogen dann also zu viert mit der gefühlt kleinsten Maschine der Welt. Das dieses Propeller tragende Etwas überhaupt abhob, war ein kleines fantastisches Wunder. Wir flogen über dem grünen Dach der Bäume in den Amazonas - der absolute Wahnsinn. Wir sahen Flüsse mäandrieren und grüne Hügel in der Weite hinauf ragen. Schon nach 20 Minuten machten wir unseren ersten Stopp und versuchten auf einer Rasenpiste mit Sumpflöchern zum stehen zu kommen. Aber der Pilot machte das nicht zum ersten Mal und wir konnten die ganzen Pakete aus dem Frachtraum mit zur Kommune tragen. Als alles verteilt war, stiegen wir wieder ein und hebten erneut auf unerklärliche Weise ab, um kurz danach in unserer Kommune zu landen. Die Freifläche zwischen den Gebäuden schien überall als Landefläche zu dienen. Freundlich warteten die Bewohner am Rande und hießen uns Willkommen. Vor allem der Dorfälteste „Peque“ sah mit seinen Gummistiefeln, Baumwollunterhose und Jurrasic Park Shirt ziemlich crazy aus. Der Bruder von Dany, „Tagaca“ zeigte uns unsere Überdachung, unter der wir unsere Hängematten befestigen konnten. Das für Besucher erbaute offene Bambushaus hat zwei Etagen, Bänke zum Sitzen und eine kleine Kochstelle. Es war irre heiß, sonnig und Tagaca schlug uns ein Bad vor. Direkt am Dorf rinnt der Fluss Tihuano, der klares, wunderbares Wasser trägt. Wir zogen uns aus und sprangen nackig ins Wasser. Vielleicht war das die erste Prüfung, wie wir so drauf waren aber da sind wir ja genau die Richtigen dafür ☺️ Nach kurzem Abklären, ob es uns gut geht, ging es schon nach einer Stunde ums Geschäftliche. Er sagte uns, was sein Tagesprogramm alles kosten würde und das wir das noch bezahlen müssten. Gefühlt ein ganz schöner Dämpfer und für uns überraschende Prioritätensetzung, gleich mit sowas einzusteigen aber es war uns wichtig mit Tagaca warm zu werden und zu schauen, was die Tage so brachten. Er zeigte uns später mit seiner Tochter einen Weg im Dschungel und lies uns am ersten Wissen über die heilende Wirkung der Pflanzen teilhaben.
    Im Dorf selbst wird fast jeden Nachmittag Fußball gespielt und Groß und Klein ist mit dabei. Paul gesellte sich dazu und ich versuchte mit den restlichen Dorfbewohnern in Kontakt zu kommen. Ich fing an Gemüse für das Abendessen zu schneiden, dass von vielen Augen neugierig betrachtet wurde. Sie schauen einem zu, lachen dabei, sprechen Waorani und ziehen immer mal die Augenbrauen hoch. Ich merkte schnell, dass viele mit essen wollten und die Küche füllte sich. Am Ende waren es sicher 10 Personen und die Gelegenheiten, dass von uns gekocht wird, wurden stets sehr bereitwillig angenommen.
    Mit bei der Flugzeugfracht war auch ein riesen Lautsprecher. Schon beim Beladen waren wir etwas irritiert, dass so ein technisches Gerät mit in den Dschungel genommen wird. Am Abend wurde uns dann lautstark demonstriert, was dieses Ding, betrieben mit einem Generator, alles kann. Einer von Tagacas Söhnen hing in der Hängematte davor, koppelte sein Telefon mit der Box und spielte für alle hörbar YouTube ähnliche Clips (einschließlich Werbung) ab. Noch mehr hatten sich versammelt aber niemand verstand ein Wort des anderen, so laut dröhnte die Musik. Auch wir hatten keine Chance in Kontakt mit den Einwohnern zu treten. Die meisten schienen es einfach auszuhalten. Die Musik wurde dann für Dany‘s Ansprache ausgemacht und wir lauschten einem sehr langen Monolog auf Waorani und waren uns nicht sicher, ob das überhaupt uns gewidmet war. Kurz dürfen wir uns dann doch vorstellen, jedoch hat irgendwie niemand mehr Energie zu zuhören. Der erste Abend war vorbei und ich war sehr enttäuscht und hing mit vielen Fragen im Kopf in der Hängematte. Was hatte ich mir vorgestellt zu sehen? Gehören moderne Klamotten, jeder mit Smartphone und eine monströse Musikbox dazu? Was ist daran noch ursprünglich und im Einklang mit der Natur? Ist der kulturelle Unterschied so groß? Wollte ich nicht genau diese Erfahrung machen?
    Die Geräusche beim Einschlafen sind allerdings phänomenal. Mit der Milchstraße über uns schliefen wir mitten im Dschungel ein und freuten uns auf den kommenden Tag. Am nächsten Morgen bereiteten wir das Frühstück zu, zudem sich wieder sehr viele Personen gesellten, obwohl die Waorani‘s laut ihrer Aussage gar kein Frühstück essen. Man weiß ja nie, wann es wieder etwas gibt… Natürlich boten wir alles an, wollten teilen und uns erkenntlich zeigen. Für eine Zeremonie wurde eine neue Hütte an unsere gebaut, die weitere Palmenblätter benötigte. Wir halfen die Blätter aus dem Busch zu ziehen und trugen sie über Wasser und enge Dschungelwege. Selbst Peque war mir seinen 80 bis 90 Jahren dabei und zog fleißig mit. Er wirkt noch wie ein Mann aus einer vergangenen Zeit, der viel erlebt hat. Er lachte eigentlich die ganze Zeit und unsere nonverbale Kommunikation war erste Sahne. Am Morgen hatte er uns sogar Waorani Namen gegeben: meiner ist „Waadé“ und Paul‘s „Uña“. Das bedeutet so viel wie: „Frau die Pflanzen mag“ und „spielende Flöte“.
    Nach einer Pause liefen wir wieder in den Dschungel, um einen Wasserfall aufzusuchen. Auf dem Weg lernten wir viel mehr über den natürlichen Medizinschrank des Dschungels kennen. Alles hat eine Funktion: leckere Bonbons zum lutschen, Blätter gegen Grippe, Früchte zum Färben, natürliches Desinfektionsgel aus dem Baum, Shampoo für die Haare, Teeblätter die Energie geben und vieles mehr. Es war unheimlich interessant, Tagaca zu lauschen und die Heilkunst kennenzulernen. Ihm war es unheimlich wichtig, dass wir von allem ein Foto machten. Auch er dokumentierte alles. Dies passierte in einem Ausmaß, mit dem nicht mal ich fotografiere. Ich hatte bei dieser Wanderung und dem dröhnenden Abend zuvor den Gedanken, ob andere Besucher das Bild von Touristen derartig geprägt haben, dass es nun als normal angesehen wird, tierisch laute Musik zu hören und alles zu dokumentieren, anstatt einfach mal zu genießen. Offensichtlich brachten auch wir eine neue kulturelle Seite mit. Tagaca lies jedoch kein Gespräch aus, ohne zu betonen, dass wir die Bilder hinaustragen und unsere reichen Freunde mitbringen sollten. Die Waorani wären arm und bräuchten Unterstützung. Interessant wie unterschiedlich man das sehen kann. Aus meiner Perspektive sind die Menschen hier sehr reich: sie haben alles, was sie brauchen zum Leben im Dschungel und sind noch des ursprünglichen Wissens mächtig. Aber Geld verändert alles und Smartphones, die einem die westliche Welt zeigen erst recht. Ich kann mir vorstellen, dass die Waorani sich nicht über das Ausmaß an Veränderung bewusst sind, den viel mehr BesucherInnen herbeiführen würden. Selbstverständlich treibt sie das Selbe an wie uns beide: los ziehen und fremde Kulturen kennenlernen. Jedoch zeigt diese Kommune, welchen Preis es für die ursprüngliche Kultur hat, wenn man die Fühler zu weit ausstreckt.
    Der angepriesene Wasserfall, der eher einem Rinnsal glich, bot uns eine willkommene Abkühlung. Also ausziehen und abspülen lassen. Dass alle hier so freizügig sind und wir eigentlich die ganze Zeit hätten nackig sein können, war ein sehr willkommenes freies Gefühl.
    Zurück im Dorf gingen wir wieder baden, spielten Fußball und kochten für so manche im Dorf. An diesem Tag bekamen wir allerdings Fisch und Bananen. Wir konnten uns an diesem Abend intensiv mit Tagaca austauschen, Paul übersetzte fleißig und ich füllte mein spanisches Wörterbuch auf. Wir erfuhren zB. dass sie zu Covid Zeiten dazu aufgefordert wurden, alle Häuser zu verbrennen und Neue zu bauen. Deshalb stehen hier leider mehr Wellblechhütten rum, als traditionelle aus natürlichen Materialien. Eine Schande! Außerdem hoffen sie darauf, dass eine vorhandene Straße erweitert wird, um ihr Dorf anzuschließen. Als ich fragte, ob sie das wirklich wollen, dass hier Autos entlang fahren, da sie ja auch immer betonen wie schlimm sie den Lärm der Stadt finden, meinten sie, dass dann nur die Waoranis hier her dürften. Ich bin mir nicht sicher, ob solche Regularien eingehalten werden würden, wenn die Touris erfahren, dass es einen einfachen Weg in den Amazonas gibt.

    Der nächste Tag beginnt mit Frühstück und Helfen am neuen Häuschen für die abendliche Zeremonie. Am Vormittag gingen wir zur Schule, um Englisch-Unterricht zu geben. Erst eine Stunde bei den Kleinen, dann bei den Teenis. Wir fingen ziemlich unvorbereitet bei den absoluten Grundlagen an, wie den Zahlen. Da der Unterricht nicht mehr von ausgebildeten LehrerInnen geführt wird, wissen diese auch nicht die korrekte Aussprache, setzten sich neben ihre Schüler auf die Bank und lernten fleißig mit. Sie erzählten uns, dass es für sie nicht leicht wäre, das Notwendige zu lehren. Alle freuten sich wohl über eine Abwechslung, die mitgebrachten Geschenke und waren wirklich lieb zu uns, auch wenn den Teenis selbstverständlich alles peinlich ist. Wie ähnlich wir uns doch alle in manchen Dingen sind, ist irgendwie schön.
    Später wurden wir dann gefragt, ob wir nun zum Speerwerfen bereit wären. Paul müsse erstmal demonstrieren, ob er ein Tier erledigen könnte, denn die Zeremonie war dazu gedacht uns auf Waorani-Art zu verheiraten. Langsam kamen auch immer mehr vom Dorf hinzu. Teilweise bereits in traditioneller Tracht und roter Schminke im Gesicht, die sie aus einer kleinen Frucht gewinnen und Ketten um die halbnackten Körper. Auch die Männer schmückten sich mit Federgränzen und Ketten um den Oberkörper. Ganz speziell bei ihnen ist die Befestigung des Gemächts an einer Schnur um die Vorhaut. Auch ich wurde um- bzw. ausgezogen, bemalt und behangen. Es wurde dunkler und wir Frauen fingen an zu tanzen und leicht zu tippeln. In dem Sinne ein Tanz für die Männer, die am Rand standen und darüber viel lachten. Andere vom Dorf standen außerhalb der Hütte, um sich das
    Spektakel anzusehen und vor allem mit ihren Handys zu dokumentieren. Als wir fertig waren, kamen die Männer dran, die relativ primitive Affengeräusche von sich gaben. Irgendwie wirkte das alles etwas unkontrolliert und spontan inszeniert. Es wird viel gelacht, geneckt und rum geblödelt. Sicherlich gehört das aber eben auch einfach zu ihrer Art dazu. Ich fühlte mich wie auf einem anderen Stern, in einer Situation in der ich jetzt einfach mal mit mache und gespannt war, was wohl als Nächstes passieren würde. Sie führten uns zusammen, die Männer kreisten uns ein, Peque sagte etwas und alle waren ganz schön aufgeregt. Nun waren wir durch die Waorani verbunden. Als alles vorbei war, gingen wir in unsere Hütte zurück, die zwar angeblich für die Gäste gebaut wurde aber eher als Vereinshaus dient, denn da hingen immer alle ab und hier dröhnte nun auch erneut die Musik aus der Box. Wir sollten mit allen tanzen und die Animateure spielen. Nachdem wir einen Tanz präsentiert hatten, versuchten wir die anderen dazu zu bewegen aber keine Chance bei den Frauen, die schüchterner als ihr Kinder waren und Männern, die sich richtig schlechten Schnaps rein kippten. Obwohl wir die Zeremonie wirklich spannend und schön fanden, hielten wir den weiteren Abend nicht lange aus, fühlten uns irgendwie fremd und wussten nicht genau, ob sie das jetzt für sich oder für uns machten. Gern hätte ich in diesem Moment instrumentale, ursprüngliche Musik gehört, zu der sie vielleicht ihre traditionellen Lieder gesungen hätten. Mitten in der Nacht kam dann der ziemlich betrunkene Sohn von Tagaca in seinen Verschlag, der neben unseren Hängematten lag, getorkelt und schlief zu einem gewalttätigen Film ein. Erst als die Sonne auf ging trauten wir uns, diesen fürchterlichen Geräuschen ein Ende zu machen.

    Meine Laune war am Morgen am Tiefpunkt und der Tag repräsentierte die Achterbahn, die wir die ganzen letzten Tage durchlebt hatten. Es fiel mir schwer das Erlebte einzuordnen. Mal hatte man einen echten Zugang zu den Menschen und einen kleinen Einblick gewonnen, dann war wieder alles höchstgradig übertrieben und so sehr westlich geprägt, dass man es kaum aushielt. Nach einem wohltuenden Frühstück gingen wir mit Tagaca, seiner Frau und Peque zu einer Höhle. Auf dem Weg erfuhren wir wieder viel über den Wald. Es ist wunderbar, durch so einen dichten Dschungel zu laufen. Es gibt in der Nähe vom Dorf zwei riesige überstehende Steine, unter denen sich oberhalb die Frauen und Kinder versteckten und unterhalb die Männer mit Speeren saßen, jedes Geräusch und sämtliche Bewegungen wahrnahmen, um ihre Liebsten zu beschützen. Wir setzten uns an diese Stellen, lauschten Tagacas Erzählungen und dem Gesang von Peque. Es erfüllte mich in diesen Ort einzutauchen, ein Teil davon sein zu dürfen und ich fühlte endlich dieses besondere Gefühl einer langen Geschichte. Solche magischen Momente hatte ich mir gewünscht.
    Als wir wieder im Dorf angekommen waren, gab es einen Kunstverkauf der Frauen der unterschiedlichen Familien. Wir sollten am besten viel kaufen und gleichmäßig auf die Familien aufteilen. Für die gewobenen Taschen verlangten sie viel zu viel Geld und mir war es unangenehm mit ihnen zu feilschen. Selbstverständlich sollten nicht nur die Männer ihren Anteil bekommen aber die Art und Weise hatte mich wieder aus meinem seligen Moment geholt. Alle standen um uns herum, wir waren der Situation ausgeliefert, Paul wurde zu jungen Mädchen geschupst, ob er nicht noch eine Frau wolle und schafften damit eine ganz komische Atmosphäre. Wir kauften etwas und beendeten dieses merkwürdige Gehabe, indem wir Fußball spielen gingen. Manchmal hatten wir das Gefühl, die schnupperten an irgendwelchen Pflänzchen zu lange. Beim Fußball konnten sich alle etwas abreagieren und die Fanbank, die ich lautstark mitriss, hatte mächtig Spaß. Auch der gemeinsame Kochabend war ganz besonders schön. Tagaca und sein Bruder waren an uns interessiert und erzählten uns etwas über sich und die Missionierung. Das war ein sehr emotional aufreibender Tag.

    Der nächste Tag sollte vielleicht unser Abreisetag werden. Wir sollten uns schon mal vorbereiten und packten zusammen. Ich musste ehrlich gestehen, mich auf den Heimweg zu freuen, weil ich nicht so recht wusste, wie ich unseren Aufenthalt fand. War ich zu prüde, unentspannt oder zu deutsch? Das Flugzeug kam auf jeden Fall nicht, sondern erst am nächsten Tag am Nachmittag. Die anfängliche Enttäuschung änderte sich jedoch in Freude, denn an unseren „freien Tagen“ änderte sich etwas. Die Waorani waren mit ihrem „Programm“ durch. Dieses hatten wir zwar nicht gefordert, jedoch schienen sie so in dem Schema drin zu stecken, dass sie sich schwer vorstellen könnten, es könnte darauf unterschiedliche Sichtweisen geben. Außerdem schien das Geld zu verlockend. Wir hatten also Zeit, mal auf eigene Faust die Umgebung kennenzulernen, den Frauen beim weiteren Hausbau zu helfen und ihre Webtechnik kennenzulernen, dem Dschungel zu lauschen und ein paar Gedanken aufzuschreiben. Wir bekamen auch das erste Mal Essen zu bereitet. Anhand dieses Nudel-Reis-getrockneten-Fisch Mixes, konnten wir uns allerdings vorstellen, warum die Waoranis sich zu gern zu uns einluden. Es schmeckte fürchterlich. Mehr als das und ein paar Kochbananen, Papaya und Yucca scheinen sie nicht zu essen.
    Als dann am nächsten Tag das Flugzeug kam, fiel der Abschied schwer. Ich war richtig wehmütig, diese Menschen zu verlassen, die mir so viel gezeigt, mich so viel gelehrt und mir neue Gedanken geschenkt haben. Ich werde diese Erfahrung nie vergessen!

    Wenn mich jemand fragen würde, ob man das unbedingt mal bei dieser Kommune der Waorani erlebt haben müsste, wüsste ich nicht, welche Antwort ich geben würde. Ich weiß nicht mal selber, ob es gut war dort gewesen zu sein. Aus egoistische Denkweise war es natürlich für meine persönliche Entwicklung und Weiterbildung wunderbar und es war wunderbar diese Menschen kennengelernt zu haben aber ich habe das Gefühl, dass es den Waoranis nicht gut tut. Zumal es genügend aktive Waoranis gibt, die sich für ihre zu Hause, den Wald einsetzen und keinen westlichen Einfluss fordern, sondern Respekt für die grüne Lunge fordern. Die Waoranis, die wir kennenlernen durften, haben sich zwar für den Weg des Kontaktes entschlossen, sind sich aber den Konsequenzen in keinerlei Hinsicht bewusst. Ich verstehe völlig, dass wenn man einmal vom Kuchen gekostet hat, mehr davon haben möchte. Dennoch bedarf die westliche Ausrichtung und ein angehender Ecotourismus eine gute Betreuung.
    Im Grunde genommen sollte man diese Völker in Ruhe lassen und kein Geld zu ihnen tragen, es verändert alles und es trägt dazu bei, dass sie ihre Traditionen gegen die vermeintlich besseren westlichen Dinge eintauschen. Aber ohne einen Kontakt kann auch leider ihr Lebensraum nicht geschützt werden. Sie sprechen ständig von ihrer naturnahen Lebensweise und ihren Traditionen. Einerseits soll ihre Tradition durch viele, von ihnen forcierte Fotos in die Welt hinaus getragen werden und man spürt den Stolz ihrer Herkunft aber andererseits scheint bei dieser Kommune der Wert ihres Schatzes, nämlich im und vom Dschungel zu leben, verloren zu gehen. Die eigene Einstellung zu ihrem Status, hat mich doch sehr gewundert, da sie sich als arm bezeichnen und alles was man trägt, oder benutzt haben wollen. Dazu verlangen sie für alles Geld und scheinen an einer echten Interaktion nicht interessiert zu sein. Aber dann wieder doch. Schafft man es, über alle dem hinaus durch die Fassade zu dringen, erfährt man etwas über die wahren Gedanken, ihre lang reichende Geschichte und kann die eigene Sichtweise teilen. Es entstehen Verbindungen, die es sich lohnt einzugehen.

    Ich würde gern noch mehr über die Geschichte der Waoranis berichten, von den Taten der Missionare und Ölkonzerne erzählen aber dazu gibt es einen wunderbaren Artikel, den ich empfehlen möchte:

    https://dewiki.de/Lexikon/Waorani#Rückzug_…
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  • Day 63

    Cuenca und der Chihuahua

    October 3, 2022 in Ecuador ⋅ ⛅ 17 °C

    Nach unserem Aufenthalt im Dschungel, kehrten wir wieder in das schöne zu Hause von Karina und Roberto zurück. Sie beherbergten uns nicht nur liebevoll, sondern verstanden auch unsere Gedanken, Bedenken und Erlebnisse, da sie die Waorani kennen. Wir genossen nochmal das Einschlafen bei Gewitter, die Dschungelgeräusche und regenerierten von Magenproblemen bevor wir uns weiter Richtung Süden aufmachten. Wir wollten uns die Stadt Cuenca anschauen, die wieder auf einer Hochebene in den Anden lag. Demnach erwartete uns eine recht lange und kurvenreiche Anreise, die uns die verschiedenen Klimazonen von Ecuador zeigte. Vom humiden Dschungel fuhren wir hoch durch die Nebelwälder, schlängelten uns an den Abhängen entlang, bis wir über der Baumgrenze waren und eine Art Heidelandschaft zu sehen war. Mal verschleierten die Wolken den Blick, mal konnte man tief ins Tal hinein blicken. Vom höchsten Punkt abwärts erreichten wir dann auf 2500m Höhe Cuenca, die dritt größte Stadt Ecuadors. Wieder hatten wir eine Busfahrt hinter uns, die uns traumhafte grüne Täler und karge Höhen zeigte, wo Menschen an den mit unerklärlichsten, entlegensten Orten zustiegen und mir die Serpentinen ganz schön zu schaffen machten.
    Wir fuhren zum Hostel Bella Vista, einer Empfehlung von unseren lieben Künstlerpärchen aus Puerto López, die sich dort auch verewigt hatten. Es war direkt wieder so herzlich die Beiden zu sehen. Das farbenfrohe Hostel selbst war auch sehr passend. Betrieben von zwei Brüdern und einer Frau von den Beiden. Offensichtlich ist einer der Brüder schwul und durfte es wohl leider nie zeigen, lebt es aber in der bunten, katholischen und detailreichen Dekoration im Haus aus. Die kreative Atmosphäre zeigte sich auch in der Stadt. Wir unternahmen einen Abendspaziergang und waren ziemlich schnell von Cuenca begeistert. Schöne Kolonialgebäude und Fassaden, eine unübersehbare Kathedrale, grüne Plätze und an diesem Abend Musik und viele Menschen. Auf dem Hauptplatz wird Cumbia gespielt und wir tanzten mit den Einheimischen. Auffällig schön war an diesem Ort, dass die Obdachlosen mitten im Gewusel mit tanzten und es niemandem störte. Sie teilten sogar ihr weniges Geld mit den talentierten Musikern.
    Am nächsten Morgen gönnten wir uns ein sensationelles Frühstück im Café con Amor und waren nach dem Dschungel selig über diese leckere Abwechslung und den lieben Service. Jedoch blieb die Leichtigkeit nicht lang erhalten. Als wir zurück zum Hostel gingen, wollten wir unbedingt ein Foto von der ulkigen Haustiertruppe vom Hostel machen: ein viel zu dicker Mops, eine grimmig schauende Katze und zwei sehr aufgeregte Chihuahuas. Als Paul mit den Süßen fürs Bild posierte, sprang einer der Chihuahuas runter und prallte mit viel Geschrei auf dem Boden auf. Nach dem ersten Schockmoment stellten wir fest, dass er sich beide Vorderbeine gebrochen hatte. Er weinte und wir konnten es erst gar nicht glauben. Als ich ihn hochnahm und tröstete, sahen wir wie die Füße nur noch an den Gelenken baumelten. Ein furchtbarer Anblick. Die Besitzer kamen bei der Aufregung natürlich sofort zu uns und wir mussten von unserer Schandtat berichten. Sie machten sich, bewaffnet mit Stock und Klebeband sofort daran, einfach selfmade die Beine wieder gerade zu biegen. Zu erst konnten wir sie kaum davon abbringen, da sie der Meinung waren, dass der Tierarzt den Hund sofort einschläfern würde aber ich drängte so sehr darauf, das professionell untersuchen zu lassen, dass sie darüber nachdachten. Als wir dann meinten, dass wir als Verursacher natürlich für die Kosten aufkommen und wir den Hund zum Arzt bringen würden, willigten sie dankbar ein. Den Wuffi in eine Decke eingekuschelt liefen wir, mit dem schlechtesten Gewissen überhaupt, zum Arzt. Am Empfang begrüßte uns der netteste Tierarzt und nahm sich unserer sofort an. Juren (der Chihuahua) wurde sofort geröntgt, mit der bitteren Erkenntnis, dass wirklich beide Beine komplett durchgebrochen waren. Der Chihuahua sagte seit dem ersten Schock nichts mehr, zitterte, kuschelte sich an mich und erduldete alles ganz tapfer. Er wurde noch am gleichen Tag operiert, bekam winzige Platten und Schrauben eingesetzt und wir hofften zu tiefst, dass er das überleben würde. Die Besitzer gingen auch erstaunlich gut damit um, waren kaum böse und vielmehr dankbar über unsere schnelle Handlung. An ihrer Stelle, wäre ich richtig sauer gewesen. In so einem Fall, kam uns die hier etwas distanziertere Haltung zu Haustieren vielleicht zu Gute. Allerdings hatte der eine dann auch eingeräumt, dass er uns schon am Abend vorher sagen wollte, die Hunde auf keinen Fall hochzunehmen, es aber nicht getan hatte und uns waren die Konsequenzen einfach nicht bewusst. Das graue, kühle Wetter passte zur Stimmung und uns war nach diesem Vormittag nur nach Aufwärmen zu Mute. Da Cuenca ebenfalls von Vulkanen umgeben ist, gibt es auch heiße Quellen. Wir fuhren also mit dem Bus ins nahegelegene Baños und legten uns in die heißen Thermalbecken „Piedra del Aqua“. Wir erfuhren zwar im Nachhinein, dass diese Becken künstlich angelegt waren und es natürliche tatsächlich gibt, aber das Ambiente war ganz fantastisch und wir lernten ein nettes deutsches Reisepärchen kennen, die aus der anderen Richtung von Südamerika kamen. Sie inspirierten uns dazu, doch Argentinien zu besuchen und wir gaben ihnen Tipps für Ecuador und Kolumbien. Ein schöner kurzer Austausch mit Nadine und Flo, den wir bei einem Wiedersehen auf deren Rückweg vielleicht wiederholen können. Es ist wunderbar so flexibel zu sein und die kleinen Geheimtipps auszutauschen.
    Am Abend war unser schlechtes Gewissen immer noch so groß, dass wir uns kaum ins Hostel trauten, aber wir durften bleiben und besuchten am nächsten Tag Juren. Die OP war super verlaufen, die Kleine stand schon wieder auf vier Beinen und ich kam aus dem Staunen nicht raus, bei diesen kleinen Superhelden. Mit nun etwas Stahl bestückt, brauchte Juren Zeit zum regenerieren und bekam ihre eigene Box und Pflege in der Praxis. Wir versuchten uns mit Leckerlies wieder beliebt zu machen und hatten das Gefühl, sie freute sich über den Besuch. Erstaunlich wie tapfer diese kleinen Kerlchen sind.

    An diesem Tag unternahmen wir auch eine „Free walking Tour“ durch Cuenca, um der Stadt etwas näher zu kommen. Eine hoch motivierte junge Studentin sauste mit uns 2 Stunden durch die Stadt, sodass wir kaum Zeit hatten alles von ihr gesagte aufzunehmen oder mal an einem Ort zu verweilen. Falls es vorkommt, dass SüdamerikanerInnen sehr gut englisch sprechen, übertragen sie ihr spanisches Temperament in die Satzbildung und quatschen sich fast einen Knoten in die Zunge. Es ist daher sehr anstrengend ihnen zu folgen. Dennoch war es hoch interessant etwas über die Stadt, einzelne Bauwerke und Bräuche erzählt zu bekommen. Zum Beispiel wurde die Kathedrale mit verschiedenen Bauepochen erbaut, nur keiner kann die Grenzen so wirklich definieren. Da ohnehin keine ausgebildeten Architekten und Statiker am Werk waren, gab es auch keine Pläne und es reichte statisch nicht die zwei Glockentürme fertig zustellen. Eine heilige Statue, die auf einem Podest zwischen die Glockentürme in ca. 20m Höhe gestellt wurde, war zu schwer und die Frontfassade begann Risse zu bilden. Zwar konnte die darunter liegende Decke stabilisiert werden aber für weitere Belastungen war das Mauerwerk nicht gemacht. An diesem Ort leben auch noch Nonnen, die niemand wirklich zu Gesicht bekommt. Mitten in der Stadt haben sie ihr kleines Kloster und einen Garten, indem sie alles für sich anbauen und auch nach draußen verkaufen. Eine Kommunikation mit der Außenwelt läuft nur über eine Glocke, die man ziehen muss und ein hölzernes Drehkreuz, durch das sie ihre Sachen verkaufen, jedoch nicht zu sehen sind. Fünf unter ihnen leben mit deutlich strengeren Regeln, werden nie gesehen und tragen ausschließlich schwarz. Ein kleiner Stand am Rand des Mauerwerks verkauft nur dort den einzigartigen Saft der Nonnen, der aus vielen Blüten des Gartens besteht und alles im Körper heilen soll (und unglaublich süß ist).
    Wir sahen außerdem erfreulicherweise viel mehr queere junge Leute als in ganz Ecuador und erfuhren, dass es seit wenigen Jahren nicht mehr verboten ist und sie sich auf die Straßen trauen. Dennoch ist die politische Lage im Land katastrophal. Mehrere Präsidenten versuchen seit längerem die Lage zu verbessern (oder auch nicht) aber entweder sind sie selbst korrupt oder wollen nicht mit dem korrupten Parlament zusammen arbeiten. Viele Menschen müssen mit 2$ am Tag auskommen, da die Besteuerung von allem so hoch ist, um die immensen Schulden des Landes zu begleichen. Deshalb streiken seit einiger Zeit die Menschen des Landes und vor allem gehen die Indigenen für ihre Rechte auf die Straßen. Die turbulenten Proteste der „El Paro Nacional“ sind oft recht brutal und führen zu wochenlangen Schließungen des Landes. Für den Oktober sind neue Proteste bereits angemeldet. Das Bussystem funktioniert in diesem Land auch wunderbar, wenn es auch große Unterschiede bei den Anbietern gibt. Wir erfahren, dass die Fahrer ihre Busse selber kaufen müssen und sich erst Jahre später die Fahrten rentieren. Das erklärt allerdings auch, warum die Fahrerräume oft wie kleine Wohnzimmer aussehen.
    In Puyo ist mir auch ein Protest für die Rechte der Frauen aufgefallen. Vielleicht bewegt sich ja was im Machismus von Ecuador. Dennoch konnte ich als Frau sehen, wie Paul beim Essen gehen immer zu erst den Teller bekommen hat oder meistens er angesprochen wird. Männer haben mir eigentlich nie den Vortritt gelassen oder etwas aufgehoben, wenn mir etwas runter gefallen ist. Männer kümmern sich um sich und Frauen machen eigentlich alles andere und vor allem sauber. Es sind die kleinen Dinge, die mir auffallen und sicherlich die Großen, die das Land zerrüttet.

    Nach fünf Wochen war es dann nun endlich Zeit, Ecuador zu verlassen. Wir verabschiedeten uns vom Wuffi, von der Stadt und unseren Hostel Brüdern. Wir fuhren mit dem einzigen Bus nachts über die Grenze und erreichten diese gegen 2:00 am Morgen. Wahrscheinlich der deutscheste Ort in Ecuador, wo alles nach Vorschrift und ohne Spaß lief, aber wir bekamen unsere Stempel und reisten glücklich und übermüdet ein. Noch im Dunkeln kamen wir am Ziel in Mancora 5:00 Uhr morgens an. Wir suchten uns einen Platz am Strand und schlummerten dort noch ein wenig, bevor es zu unserem eigentlich Ziel Punta Sal ging. Nochmal 20 Minuten nordwärts am Meer entlang kamen wir mit einem Sammeltaxi bei Jerry‘s Unterkunft an. Er und sein Haus, hieß uns direkt am Strand bei strahlendem Sonnenschein und Palmen im Sand willkommen. Jerry ist ein Kontakt von einer Freundin und eine echte Hausnummer. Seine spirituelle spaßige Art und die Gespräche versprechen eine verrückte und gute Zeit hier am Meer.

    Ecuador war so ganz anders als Kolumbien. Die Menschen sind nicht so laut, brauchen etwas länger zum Auftauen und die Musik dröhnt nicht aus jedem Winkel. Dennoch sind alle sehr freundlich und empfingen uns mit offenen Armen. Die Erlebnisse der letzten 5 Wochen sind kaum zu beschreiben und so vielfältig und das macht Ecuador so besonders. Auf einer relativ kleinen Landfläche, bietet das Land unglaubliche Natur, besondere Strände, urbane Gegenden, die langweiligste Hauptstadt und abgeschiedene Landschaften. Dazu einen Dschungel, der mehr Vielfalt in Flora und Fauna hat, als Nordamerika. Ich bin sehr dankbar, für all die schönen Dinge, die passiert sind.
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  • Day 70

    Casa de Jerry in Punta Sal

    October 10, 2022 in Peru ⋅ ☀️ 25 °C

    Wir sind nun schon seit einigen Tagen in Punta Sal, an der peruanischen Küste in Jerry‘s Haus. Eigentlich war der Plan nur 3 Tage zu bleiben, um anschließend nach Lima zu fahren, doch Pläne ändern sich. Viele Dinge an diesem Ort fühlten sich richtig gut an und es gab eigentlich keine Gründe zu gehen. Der Sand vom Strand rieselt quasi in die Küche des Hauses, Palmen umgeben das Haus, wir sahen das Meer vom Fenster aus und genossen diesen sonnigen Ort. Fast jeden Tag schauten Buckelwale vorbei und die Sonnenuntergänge waren fantastisch. Zu all der Leichtigkeit des Seins war da noch Jerry. Er ist der erste Strandshamane, den wir kennenlernen und eine echte Hausnummer. Mit seinem Einverständnis blieben wir erstmal auf unbestimmte Zeit und lernten uns näher kennen. Der Ort fühlte sich irgendwie wie ein zu Hause an und unsere kleine Dreier-WG war ein lustiges Match. Jerry redet viel und ausgiebig aber er hat eben auch einiges zu erzählen. Nach einigen Tagen dachte man, er hat schon 7 Leben gelebt. Mit seinen 66 hat er bereits 30 Jahre in den Staaten gelebt, war Oberkellner in den angesagtesten Restaurants, hat als Taxifahrer die High Society rumgefahren, 2 Millionen Dollar an Frauen, Drogen und Spielkonsum verloren, ist 6 Mal im Knast gewesen, hat mit der Band Santana abgehangen und hat seine Gabe, Menschen heilen zu können nicht nur professionalisiert, sondern sich auch selbst damit therapiert. Durch seine vielen Jahre im Ausland spricht er auch lieber englisch als spanisch, jedoch ist bei der Schnelligkeit des Sprechens und gleichzeitigem Nuschelns oft nur Bahnhof zu verstehen. Manchmal hatte ich auch das Gefühl, dass er eine völlig andere Sprache mit seinen Freunden spricht und es eher wie Waorani klang, als español. Leider sprechen die Peruaner allgemein bisher viel unverständlicheres Spanisch und ich verstehe wenig. Jerry‘s Lieblingssätze sind „That son of a bitch“, „Concha su madre“ und „Rock‘n‘Roll motherfucker“. Letzteres war lange Zeit sein Lebensmotto und gehört stark zu seiner Identität, sodass gern mal am Morgen eine Line Koks gezogen und am Nachmittag der Joint angezündet wird. Weitere Zaubermittelchen aus dem Dschungel stehen griffbereit neben seinem Bett. Aber er ist auch durch sehr harte Zeiten gegangen, hat viele Menschen verletzt und verloren, war in verschiedenen Einrichtungen und weiß seinen Konsum meistens zu regulieren. Dafür hat die Spiritualität in seinem Leben auch einen viel zu großen Platz eingenommen. Durch seine Erfahrung mit vielen Menschen gearbeitet zu haben und seine sehr sensible Art, kann er sie auch gut lesen und ihnen, bei eigenem Wunsch, auch helfen. Er kennt hier jeden im Dorf und jeder kennt ihn. Ich vermute, dass ihn auch viele für einen Spinner halten aber einige vertrauen auch seinen Heilkünsten, lassen sich reinigen, die Karten vortragen oder massieren. Da Peruaner ohnehin sehr religiös und abergläubisch sind, waren seine Gaben von StrandbesucherIn hier und da gefragt. Das führt bei ihm alles auch zu einer großen Unruhe, einem ständig besorgten Kopf und dem Drang alles kontrollieren zu wollen. Gerade wenn nachts um 3:00 welche mit Depression aus Belgien anrufen. Nach der ersten Nacht fragten wir uns daher, ob wir bleiben sollten, denn irgendetwas stimmte im Haus nicht. Einerseits wohnte zusätzlich ein Italiener bei ihm, der versuchte von seiner Kokainsucht los zu kommen und dem man nur durch starkes Husten und Wutanfälle wahrnahm. Anderseits saugte unter anderen ein junges Mädchen Jerry’s Energie und hinterließ viel Ärger bei ihm. Als wir am zweiten Abend zusammen saßen, war er so erschöpft und ausgelaugt, dass ich ihn versuchte mit meinen Worten zu beruhigen und einfach seine Hand hielt. Daraufhin schlief er ein und wachte erst am nächsten Tag nach dem Mittag wieder auf. Er wirkte wie ausgewechselt und viel präsenter als die Tage zuvor, man verstand ihn besser und er scherzte fröhlich vor sich hin. Seitdem ist er auch davon überzeugt, dass ich heilende Hände und eine Gabe hätte, die er gern hervor holen würde.

    In seiner Abwesenheit verschwand auch der Italiener und die Atmosphäre verändere sich zum Positiven. Zudem kamen drei französische Studentinnen zum Haus, um nach Jerry’s energetischer Massage zu fragen. Da dieser jedoch schlief, boten wir kurzer Hand unsere Dienste an, machten die Drei glücklich und verschafften uns für fast 3 Nächte die Kosten für die Übernachtung. So wuchs bei uns die Idee, Jerry generell zu helfen, etwas Geld zu verdienen und erstmal an diesem Ort zu bleiben. Bei Jerry wuchs wohl der Gedanke, ich könnte ihn heilen. Tja auch Shamanen brauchen mal eine Schulter zum Anlehnen und jemanden, der ihnen zu hört. Gesagt getan, wir entwickelten uns zu Volontären und halfen ihm bei allem was anstand. Zudem traf ich mich regelmäßig mit ihm in seinen heiligen Wänden, massierte seine Schmerzen weg und versuchte etwas durch seine harte Schale zu dringen.

    Am dritten Tag kamen drei Limeños (aus Lima kommende Menschen), Mitte 20, zur Unterkunft, um ein wenig den aktuell einzig sonnigen Strandabschnitt an der peruanischen Küste zu genießen. Im Winter halten sich nämlich die Wolken ganz hartnäckig an der Küste und hüllen alles über Monate in Grau. Sebastian, Ara und Kid genossen ebenso den traumhaften Ort wie wir und ließen sich allmählich von der guten Laune der Dreier-WG anstecken. Erst brachten sie kein Wort heraus aber eines Abends setzten sie sich zu uns und gerade Ara war sehr neugierig, etwas von einer anderen Welt zu erfahren und ihr Englisch zu üben. Für uns war es wiederum auch höchst spannend, von jungen Menschen zu erfahren, was so in Peru geht, wie sie leben und ihre Beziehung führen. Dadurch, dass sie meistens bis zur Hochzeit noch zu Hause wohnen, gibt es für Pärchen so gut wie keine Privatsphäre. Reisen geht aufgrund des geringen Budgets nur bedingt und Romantik wird ohnehin nicht sehr groß geschrieben. Wir sehen leider selten welche, die sich küssen oder umarmen. In Lima bleiben viele einfach nur zu Hause bei der Familie, man geht wenig auf die Straße, teilweise gar nicht zum Strand. Die Menschen scheinen in diesem Land auch sehr ängstlich und das wird noch durch eine dauerhaft instabile und korrupte Regierung gefördert. Schon mit ca. 16 schließen die jungen Leute ihre Schule ab. Die öffentlichen Schulen bieten leider nur eine mangelnde Bildung an und die privaten kann sich keiner leisten. Viele gehen dann also erstmal arbeiten, weil sie noch gar nicht wissen, was sie eigentlich mal werden möchten.

    Wir sahen also Gäste kommen und gehen, mit einigen kamen wir ins Gespräch, mit anderen eher weniger. Da Jerry’s Haus direkt am Strand liegt, kamen viele an, um auf die Toilette zu gehen. Daraus entwickelte sich ein kleines Geschäft und wir wurden am Gewinn beteiligt. Meistens übernahm Paul die Erklärungen, die Abrechnung und die Geduld, die wartende Meute bei Laune zu halten. Mir wurde wieder bewusst, warum ich nach 10 Jahren Arbeit in der Gastronomie, diesen Job nicht mehr machen wollte: man erzählt tausend mal das gleiche am Tag, muss die Leute manchmal in die Toilette schupsen, damit sie sie finden (obwohl diverse Schilder auf Sichthöhe aufgehangen sind), sieht all das schlechte Benehmen vom Menschen und muss dabei immer schön lächeln. Aber das paradiesische Umfeld machte vieles wett und dass wir am Gewinn beteiligt wurden, ist auch nicht die Regel. Jerry ist ein Lebemensch, der in vielen Branchen und teilweise mit einer Menge Geld gearbeitet hat. Er kann nur schwer Aufgaben abgeben und die bunten Scheine spielen eine allzu große Rolle in seinem Leben. Oft spricht er davon, wie viel Geld er wo erworben hat, wie gut er verhandeln kann und welche Deals er gemacht hat. Wir konnten beobachten, wie alles über Kontakte läuft und wie er mit jedem verhandelt. Es heißt, dass PeruanerInnen immer lügen, sich gegenseitig bescheißen und gerne mit Geld protzen. Auch das spüren wir bei unseren Verhandlungen mit Jerry, der jeden Tag seine Konditionen änderte, uns auf einmal an den Strom- und Wasserkosten beteiligte oder uns dann doch von unserem Geld einkaufen gehen ließ, obwohl er das machen wollte. Es war interessant in dieses System einzusteigen, mit der Konsequenz am Feilschen und Tricksen selber teilzunehmen.

    Über mehrere Tage waren auch gute Freunde von ihm da. Sie kochten und aßen gefühlt die ganze Zeit. Gleich am Anfang luden sie uns ein und wir durften in den Genuss des Essens vom Feinschmecker-Papa kommen. Am nächsten Tag kredenzten wir Pancakes für alle und waren froh, über solch liebe Gäste. Immer mal wieder tauschten wir Köstlichkeiten und ich fand es höchst interessant mal eine peruanische Familie, bestehend aus Mama, Papa, 3 Kindern und einer Omi, zu beobachten. Das Kleinste war gerade mal 3 Monate alt, um das sich die Frauen kümmerten. Selten sah ich den Papa mal das Kind halten. Der Mittlere, Luis 8 Jahre alt, hat mich völlig begeistert. Ein ganz schlauer, aufgeweckter Junge, dessen Neugierde grenzenlos schien. Gern hätte ich mich mehr mit ihm unterhalten und war neidisch auf den Austausch, den Paul mit ihm hatte. Die zwei waren beim Spielen und Erklären aber auch einfach zauberhaft miteinander. Die Größte steckt mitten in der Pubertät, hing nur am Handy, spielte Spiele und hielt den Strandurlaub aus. Die Omi schien die ruhige Seele in der Runde, die ihr kleinstes Enkelkind anhimmelte. Die Mama war bekanntermaßen sehr schüchtern und leise. Ihr Mann fragte mich nach einer Massage für sie, was ich ihr natürlich gern schenkte. Ich merkte wie verspannt so einer Mama sein kann aber auch, wie unterschiedlich es ist EuropäerIn und Latinas zu massieren. Leider sind die Frauen hier lange nicht so geübt in Berührungen, wie ich das von zu Hause kenne. Eines morgens stellte sich außerdem heraus, dass die Mama weder das Hakenkreuz kannte, noch Adolf Hitler. Luis kam mit einer geschenkten Kette an, die das Hakenkreuz eingraviert hatte. Paul versuchte ihm sofort zu erklären, was das für ein Symbol ist und dass man das auf keinen Fall verherrlichen sollte. Unwissend darüber aber feinfühlig genug, legte er sofort die Kette ab und war sich wohl, nach der Erklärung, über die Bedeutung bewusst. Als die Mama dazu kam, sah sie auch unser Entsetzten aber hatte keine Ahnung warum und war sich dieser Geschichte in keinem Fall bewusst. Das hat mich doch sehr schockiert. Der Vater hatte sein Spaß mit Jerry und dem Jungen, kochte mit Leidenschaft aber vermied die unangenehme Arbeit (Abwaschen, Putzen, Windeln wechseln etc.). Ich weiß nicht, ob sie als Sinnbild für Peru stehen können, aber ich könnte es mir vorstellen. Bemerkenswert ist aber dennoch, dass er überhaupt kocht, da peruanische Männer eher selten am Herd stehen, wie mir Paul berichten konnte.

    Während die Tage vergingen versuchte ich in vielen Sitzungen, Jerry’s Rücken zu heilen. Oft schlief er ein, oder wir kamen ins Gespräch. Es entwickelte sich eine eigene Dynamik zwischen uns Zweien, in der ich eher die Therapeutin war und einfach zu hörte. Offensichtlich fiel es ihm leicht, sich mir zu öffnen, er weinte oft und erzählte Geschichten von früher. So auch, dass er eigentlich Gerardo heißt aber das niemand in den USA aussprechen konnte und ihn Jerry tauften. Jerry ist allerdings ziemlich arrogant, hat immer einen flotten Spruch auf den Lippen, macht sein Business, unterbricht einem beim Sprechen, will dass man sofort springt wenn er ruft, hat meistens unerträgliche Launen, konsumiert zu viele Drogen und hat eine ganz harte Schale. Durch sein Öffnen mir gegenüber ist ihm jedoch aufgefallen, dass er so gar nicht sein möchte und gern den alten Gerardo zeigen will. Eine harte Aufgabe in diesem Alter, zumal wenn man sich ein Leben lang in seinem Panzer geschützt hat, um nicht verletzt zu werden. Wir haben hier wirklich einiges durch mit Jerry, teilweise liefen die Szenerien wie im Film ab, dann mussten wir auch mal abends ausgehen, um eine Pause von ihm zu bekommen, dann war es wieder tierisch lustig abends zusammen zu sitzen. Er hat Paul und mich an unsere Grenzen gebracht und manchmal hab ich mich gefragt, wie viel Energie er mir eigentlich saugt. Aber er hat auch viele Weisheiten zu teilen, ein großes Herz, viel Fürsorge und gute Ratschläge gegeben. Wir sind sicher aus einem bestimmten Grund zusammen gekommen und die Begegnung ist eine große Bereicherung für unsere Reise. Unser letzter Tag hat diese gemeinsame Zeit noch abgerundet. Alles war im Sonntagsmodus, die Sonne schien, wir arbeiteten ein wenig, ich verewigte uns an einer Hauswand und Jerry bekam Besuch von ganz alten Freunden und war in Feierstimmung. Nachdem alle Zimmer geputzt waren und sind wir zum Strand, um uns zu verabschieden. Die Sonne wärmte nochmal die Haut, das Meer rauschte und der Wind wehte über die goldenen Härchen auf den Armen. Später konnte sich Paul noch einen Wunsch erfüllen und einmal mit einem TukTuk fahren. Die kleinen Motortaxis fahren und hupen hier überall rum und es machte viel Spaß einfach mal ein bisschen durch die Straßen zu heizen. Wir sagten unserem Lieblingsdamen beim Minimarkt tschüss, kauften für das Abendbrot ein und genossen zusammen mit Jerry den selbst gemachten Pina Colada bei Pasta mit Kochbananen. Trotz, dass das Hostel wieder voll mit alten Freunden war, blieb er (wie eigentlich all die anderen Tage auch) wie ein Magnet bei uns, erzählte uns alte Geschichten und wir lachten viel miteinander. Ich glaube, dass wir ihn nicht verurteilt und ernst genommen haben, hat ihm richtig gut getan. Nach ein zwei Drinks liefen wir nochmal zum Meer, ob nicht doch etwas leuchtendes Plankton zu sehen ist. Viele Abende vorher versprach Jerry immer wieder das Leuchten zu sehen aber es war immer nur dunkel, mit unserer Vermutung er sieht diese Dinge vielleicht in irgendeiner anderen Welt. Aber als ob wir zum Schluss das all-inklusive Paket serviert bekommen haben, sagte auch das Meer Auf Wiedersehen zu uns. In den Wellen tummelten sich hier und da kleine leuchtende Wesen und wurden an den Strand gespült. Wir waren so aufgeregt, dass wir die Klamotten von uns schmissen und rein rannten. Durch Bewegungen im Wasser waren die Punkte überall zu sehen. Ein spektakuläres Naturwunder. Was für ein Abschied 🧡🌊

    Nach 2 Wochen war es dann aber doch Zeit wieder aufzubrechen. War der Ort ein Paradies, mit sehr wenig Internetzugang und versprach Meer, Sonnenuntergänge und das zeitlose Leben, war es mit Jerry doch sehr speziell. Ich möchte es auf keinen Fall missen aber wir wollen hier ja keine Wurzeln schlagen und Südamerika hält noch so viel für uns bereit. Also vamos ☺️
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  • Day 83

    Familienglück in Lamas (Gastbeitrag)

    October 23, 2022 in Peru ⋅ ⛅ 27 °C

    Für diesen Beitrag hat sich Paul die Mühe gemacht, unsere schönen Erlebnisse zusammenzufassen:

    Seit meiner ersten Südamerika-Reise im Jahr 2014 bin ich von diesem Kontinent fasziniert - vom stetigen Rhythmus auf den Straßen, von der Herzlichkeit der EinwohnerInnen, von der unfassbar vielfältigen Natur und den scheinbar unendlichen Weiten. Letzteres wurde uns einmal mehr bei der Anreise zu unserem nächsten Ziel bewusst. Vom Küsten-Paradies Punta Sal bis zum Dschungel-Dorf Lamas, welches ebenfalls im Norden Perus liegt, sind es knapp 1.000(!) km. Aber was tut man nicht alles, um alte Bekannte wiederzutreffen.

    Der alte Bekannte heißt Alex, ist ein 32-jähriger Franzose, der seit über 10 Jahren in Peru lebt und fast genauso lang eine wunderschöne Peruanerin, namens Lily, an seiner Seite hat. Als ich vor fünf Jahren im peruanischen Dschungel war, durfte ich nicht nur seine zauberhafte Familie kennenlernen, sondern auch eine einzigartige, spirituelle Erfahrung machen (bei Interesse teile ich Details dazu gern persönlich). Alex nannte sich damals noch Schamane und bot gemeinsam mit zwei peruanischen Schamanen spirituelle Zeremonien mit heiligen Dschungel-Substanzen wie z.B. Ayahuasca an.

    Aber die Jahre sind vergangen und nicht zuletzt durch die Pandemie hat sich in Alex' Leben einiges verändert. Er arbeitet nicht mehr als Schamane, litt zwischenzeitlich an schweren Depressionen und zog mit der Familie für eine Weile in die Nähe von Cusco, im Süden von Peru. Als ich ihn kennenlernte wohnte er noch in Iquitos, eine der abgelegensten und verrücktesten Städte der Welt. Trotz der turbulenten letzten Jahre, stellt Alex uns in Aussicht seine Schamanen-Skills zu reaktivieren und eine Zeremonie mit uns abzuhalten. Wir sind neugierig und ich freue mich auf das Wiedersehen.

    Alex' neuer Wohnsitz ist Lamas und nach zwei langen, anstrengenden Busfahrten, einem Zwischenstopp in Piura und über 22 Stunden Reisezeit sind wir endlich da. Obwohl Alex und seine Familie erst seit zwei Wochen in ihrem neuen Mietshaus wohnen, werden wir mit offenen Armen empfangen. Wir Europäer würden sagen, dass sich das Haus noch im Rohbau befindet, aber in Südamerika scheinen die meisten Leute ein Haus zu beziehen, sobald ein Dach drauf ist. Trotz der kurzen Zeit seit dem Umzug der Familie und obwohl nur wenige selbstgebaute Möbel im Haus vorhanden sind, bekommen wir ein eigenes Zimmer mit Matratze und sogar ein eigenes Bad - ein gutes Beispiel für die peruanische Gastfreundlichkeit.

    Im Vergleich zu meinem Besuch vor fünf Jahren ist die Familie deutlich gewachsen. Die Eltern Alex und Lily haben nun bereits drei Kinder: Theo, Lian und ganz frisch Leia (2 Monate jung). Auch Lilys Schwester Pilar wohnt mit im Haus und kümmert sich als Tante sehr liebevoll um die Kinder. Wir werden herzlichst empfangen und mit einem frischen Kaffee und einem ersten 'almuerzo' gestärkt.

    Am Nachmittag des ersten Tages, lassen wir die Familie allein und unternehmen einen Spaziergang durch das Dorf. Lamas liegt auf einer Hochebene auf 814m und wird umgeben von saftig grünen Dschungel-Hügeln. Das Dorf ist sehr beschaulich, die Häuser haben kaum mehr als zwei Etagen und viele Haustüren stehen offen. Fast alle BewohnerInnen grüßen freundlich und die Sonne rückt die bunten Wandbemalungen in das richtige Licht.
    Sinnbildlich für die friedlich-beschwingte Atmosphäre dreht rund um den Hauptplatz ein Eismann seine Runden. Aus dem Lautsprecher seines quietsch gelben Tuktuk-ähnlichen Gefährts schallt die Melodie von "Don't Worry, Be Happy". Wir fragen uns, ob er diese Melodie wohl jeden Tag spielt und ob die BewohnerInnen auch beim zigsten Hören ihre gute Laune behalten, sind aber optimistisch, dass dem so ist. Wir besuchen eine merkwürdige moderne Burg, die einige (vorallem peruanische) Touristen anlockt und entspannen uns anschließend bei Kaffee und Kuchen. Ein pittoresker Sonnenuntergang und ein gemeinsames Abendessen mit der Familie runden den ersten Tag ab.

    Am nächsten Tag begeben wir uns mit Alex auf eine kleine Dschungel-Expedition. Was als kurze Wanderung zu einem touristisch unerschlossenem Wasserfall beginnt, entpuppt sich bald als kleine Survival-Tour. Da irgendwann kein Pfad mehr zu finden ist, schlagen wir uns querfeldein durch das dichte, teils heimtückiche Dschungel-Dickicht. Zahlreiche Sträucher und Bäume geben uns mit ihren spitzen Nadeln zu verstehen, dass wir doch besser umkehren sollten. Aber nicht mit uns. Zusammen mit dem französischen Tarzan und meinem stets optimistischen Glücksbärchen (Nastasia) schlage ich mich in Indiana Jones-Manier durch die wehrhafte Pflanzenwelt. Damit keine Langeweile aufkommt, zieht natürlich noch ein ordentlicher Regenschauer auf und sorgt dafür, dass wir bis auf die Zehenspitzen durchnässt werden. Relativ orientierungslos und nur mit spärlichem Handy-Signal ausgerüstet, folgen wir unseren Instinkten. Wenn wir immer weiter dem Flusslauf folgen, wird der erhoffte Wasserfall schon auftauchen. Denken wir … Nach über 3 Stunden Schlammschlacht finden wir wenigstens eine Lichtung. Der Regen verschwindet wie auf Knopfdruck und wir lassen uns nieder, um unser mitgebrachtes Proviant zu verzehren. Wir genießen Tamales, Oliven, Reis und Bananen und lachen über das ungeplante Abenteuer. Den Wasserfall finden wir auch danach nicht, aber zumindest einen Pfad der den Rückweg zu unserem Tuktuk deutlich erleichtert. Von einigen Schrammen und dutzenden Moskito-Stichen gezeichnet, fahren wir zurück nach Hause. Dort angekommen muss Alex seiner Familie beichten, dass er auch bei seinem zweiten Versuch, den (offenbar gut versteckten) Wasserfall nicht gefunden hat. Die Kinder lachen und wir erklären Alex das deutsche Sprichwort "Alle guten Dinge sind Drei".

    Die Tage in Lamas vergehen und obwohl wir noch immer auf die Lieferung der heiligen Dschungel-Substanzen für unsere Zeremonie warten, wird uns nicht langweilig. Wir feiern Lilys Geburtstag, helfen Alex beim Möbelbauen und werden immer wärmer mit Lily, Pilar und den Kindern. In zahlreichen Gesprächen tauschen wir uns auf Englisch und Spanisch aus, u.a. über kulturelle Unterschiede, aber auch unsere Vergangenheit und Erziehung. Dabei wird deutlich, dass Lily und Pilar ein ganz schönes "Päckchen" zu tragen haben. Ihr Vater war/ist starker Alkoholiker und benannte seine Kinder nach kommunistischen Führern. Ihre Brüder heißen Stalin,Lenin und Fidel…
    Die Schwestern haben heftige Traumata aus ihrer Kindheit mitgenommen und sind dadurch sehr vorsichtig geworden. Vor allem in Bezug auf Männer. Wie schon bei unserem letzten Stop zeigt sich die Gabe von Nastasia, dass sich Menschen in ihrer Gegenwart öffnen können und sehr intime Geschichten erzählen. Immer wieder entsteht ein reger Austausch, der für beide Seiten sehr bereichernd ist. Am Abend von Lilys Geburtstag stellen Alex und ich spontan eine kleine Show auf die Beine. Während er im TukTuk sitzend auf seiner Gitarre jamt, schwinge ich meinen Feuerstab und zusammen bringen wir die Kinderaugen zum Leuchten.

    Als am vierten Tag klar wird, dass sich die Lieferung der Dschungel-Substanzen weiter verzögert, ändern wir unsere Pläne. Statt den Sonntag mit einer spirituellen San Pedro-Zeremonie zu verbringen, organisieren wir einen Ausflug mit der ganzen Familie. Mit zwei Tuktuks fahren wir endlich doch zu einem Wasserfall. Die 'Cascada de Chapawanki' scheint zwar touristischer, dafür aber auch deutlich leichter zu erreichen. Als wir ankommen, eröffnet sich uns ein wundervoller, artenreicher und im Gegensatz zur Survival-Tour gut begehbarer Regenwald. Wir wandern zu einem Wasserfall, der Bilderbuch-artig einen Pool formt, in dem auch kleine Kinder stehen können. Die Sonne scheint und bittet uns förmlich ins ziemlich kühle Nass zu springen. Wir planschen, kreischen, lachen und schießen wunderschöne Fotos. Die Emotionen schwappen über und wir fühlen uns, als wären wir Teil der Familie. Am Abend kochen wir zusammen und schwelgen in den Erinnerungen des Tages. Nastasia und ich haben schließlich nicht das Gefühl etwas (eine spirituelle Zeremonie) verpasst zu haben. Im Gegenteil, schöner hätte der Aufenthalt bei Alex' Familie nicht enden können.

    Bevor wir uns am nächsten Morgen verabschieden, machen wir noch ein Gruppenfoto. Auch das süße Kitten namens Bamboo und das freilaufende Garten-Hühnchen, welches die Nähe von Menschen sehr genießt, ist mit dabei. Wir drücken alle so doll es geht und bedanken uns für die tolle Zeit. Wir bleiben zutiefst beeindruckt, wie herzlich wir in Lamas aufgenommen wurden und wie schnell uns Alex' Famile ans Herz gewachsen ist. Mit wundervollen Erinnerungen und Fotos im Gepäck geht es dann los zur nächsten Station. Auf zum Titicacasee!
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  • Day 88

    Titicacasee - Hola Bolivien

    October 28, 2022 in Bolivia ⋅ ⛅ 12 °C

    Unsere wunderbaren Begegnungen am Meer und im Dschungel von Peru hatten uns dazu verleitet, etwas zu bummeln. Ein wunderbarer Zustand, an Orten verweilen zu können! Es gab allerdings noch einige Stationen in Peru, die wir sehen wollten und dann war die Zeit schon so voran geschritten, dass wir uns überlegen mussten, wie wir weiter reisen möchten. Es lagen noch mehrere Tausendkilometer bis zum Süden von Peru vor uns und wir wollen noch 3 Länder bereisen. Am Ende war es dann klar, dass wir uns entscheiden und einen Sprung machen müssen. Also entschieden wir uns, an den Titicacasee zu fliegen. Es gab eine Verbindung von Tarapoto nach Juliaca, die uns sehr weit gebracht hätte. Da wir nicht mit unserer deutschen VISA Karte online buchen konnten, blieb uns nur die Möglichkeit an den Flughafen in Tarapoto zu fahren und spontan einen Flug zu erfragen.

    Alex brachte uns also am Montagmorgen zur nahe gelegenen Stadt Tarapoto und wir versuchten am Flughafen unser Glück. Man sagte uns, dass man beim Tresen, bei dem man die Koffer einfolien lassen kann, auch nach Tickets fragen könnte. Der dort arbeitende Jungspunt „Pool“ war sofort zur Stelle und fragte Tickets per WhatsApp Kontakt an. Es gab keine Direktverbindung zum Titicacasee, aber es war wohl möglich über Lima zu fliegen. Nach etwas hin und her, warten, erneutem Nachfragen, schien es tatsächlich noch zwei Plätze zu geben und eine Frau auf der anderen Seite des WhatsApp Chats buchte für uns Tickets. Wir sollten die Tickets bar bezahlen, also lief Paul zum Automaten und kam mit einigen Scheinen wieder. Pool hielt es für keine gute Idee, das Geld in der Wartehalle vom Flughafen zu übergeben und verschwand mit Paul auf der Toilette. Gefühlt wartete ich sehr lange auf die Jungs und fragte mich, was da wohl auf dem stillen Örtchen von statten ging. Am Ende hatte die Übergabe geklappt und die Tickets wurden auch mit den richtigen Daten versehen, die die beiden auf der Toilette noch geprüft hatten. Pool half uns dann noch mit dem Gepäck und beim Einchecken. Der Flug sollte nur eine Stunde später nach Lima gehen und wir warteten voller Spannung in der Empfangshalle. Es war verrückt, wie unkompliziert man einen Flug buchen kann und wie das hier in Lateinamerika so laufen kann. Natürlich hatte der Flug Verspätung und es schien, als ob wir den Anschlussflug nicht bekommen würden aber blieben optimistisch überhaupt schneller gen Süden voranzukommen. Am Ende hatte alles geklappt und wir kamen zum Sonnenuntergang am Titicacasee an. Knapp 5 Tage Reisezeit, mindestens 4 lange Busfahrten und mehrere Hostelübernachtungen hatten wir uns mit diesem Sprung durch nur ein Land erspart, auch wenn es mir nicht recht ist zu fliegen. Jedoch bezweifle ich mittlerweile irgendwie auch, dass das Busfahren hier so viel ökologischer ist, wenn man sieht wie viel und wie stark die Abgase schwarz aus den Rohren gepustet kommen. Wir waren jedenfalls glücklich über unsere Ankunft nahe der Grenze zu Bolivien, dass es unsere Rucksäcke auch geschafft hatten und wir schwups auf knapp 4000m waren. Die Höhe haute mich dann jedoch mit einem Schlag um. Wenn man auf einmal über 3000m höher ist, dann gibt der Körper eindeutige Signale: kribbeln in den Gliedern, schnelles Atmen, Schwindel und ganz schön Druck auf dem Kopf. Es war klar, dass wir uns erstmal akklimatisieren mussten und so suchten wir uns eine Stadt weiter, in Puno, eine Bleibe. Am nächsten Morgen besuchten wir bei bestem Wetter den Titicacasee, der sich im schönsten blau zeigte. Langsam schlenderten wir durch die Stadt, erkundigten uns wie wir nach Bolivien fahren könnten und schlichen in Mopsgeschwindigkeit auf die Aussichtsplattform. Selbst das Schuhezubinden war an diesem Tag anstrengend. Jedoch hat sich der Blick auf den See und die umliegenden Berge, trotz des kräftezehrenden Aufstiegs sehr gelohnt. Die Stadt an sich ist sehr hässlich aber wir konnten ein paar schöne Stadtszenen einfangen, ich durfte einen riesen Adler auf dem Arm halten und so war es für einen Zwischenstopp ganz ok.

    Es zog uns ohnehin weiter auf die bolivianische Seite vom Titicacasee, um auf die Insel „Isla del Sol“ zu fahren. Es ging also sehr früh los mit dem Bus Richtung Grenze, die ganz einfach zu passieren war, weiter nach Copacabana. Auch in Bolivien hat sich ein Örtchen so benannt ☺️ Wenig später saßen wir im Bötchen und tuckerten bei herrlichem Sonnenschein der Insel entgegen. Ich war irre gespannt auf das neue Land, das wohl das ärmste in Südamerika ist, welches durch einige Kriege viel Land verloren hat und letztendlich im Salpeter-Krieg mit Chile 1883 auch noch den Meerzugang einbüßen musste. In Bolivien kann man alle Klimazonen vorfinden und viel Artenreichtum erkunden. Durch eine hohe Anzahl an Indigenen und wenig Zuwanderung soll es seine Ursprünglichkeit beibehalten haben und so spricht man Spanisch, Quechua und Aymara.

    Nun saßen wir also im Boot auf dem Titicacasee, knapp 4000m über dem Meeresspiegel, auf einem der größten Seen in dieser Höhe und ich bestaunte die Natur und das klare Wasser. Es kam mir vor, als wären wir auf einem Meer, umgeben von niedrigen Hügeln, wenn da nicht am Horizont hier und da schneebedeckte 6000m hohe Gipfel aufgetaucht wären. Ich vergegenwärtigte mir, wo wir gerade waren und war zu tiefst dankbar. Die Insel selbst wird von Aymaren bewohnt, die sich durch Kartoffel-, Mais- und Quinoaernte selbst versorgen können. Es gibt unheimlich viele Tiere, die die Inselvegetation auf Hufhöhe halten und nur wenig Eukalyptusbäume die Chance haben zu wachsen. Seit einigen Jahren bringen die vielen Touris Geld mit auf die Insel, sodass sich einige Hostels auf der Südseite angesiedelt haben. So kann man auf den Hügeln Pizza bei Sonnenuntergang und Frühstück bei Sonnenaufgang genießen. Auf der Insel selbst sind Hügel, die über 4000m hoch sind und wir suchten uns, ab von der Hostelhochburg, auf so einem eine schöne Bleibe. Bei der dünnen Luft kam man nur sehr langsam voran und wir drehten nur eine kleine Runde, um die Ausblicke aufsaugen zu können. Da Paul schon mal auf der Insel war, wusste er wie besonders dieser Ort ist und wollte ihn mir genau deshalb auch zeigen. Schon am ersten Abend wurde klar, wie traumhaft diese kleine Insel ist. Die Farbe des Wassers, die einzigartige Lage der Insel, die besondere Wärme der Sonne, die Stille des Ortes und den weiten Blick über den See bis hin zu den Andengipfeln war magisch. Dazu färbte sich der Himmel zum Sonnenuntergang in Lilatönen und wir konnten nur da sitzen, die Ruhe aufsaugen und staunen. So einen Himmel hatte ich noch nicht erlebt.
    Aus unserem kleinen und einfachen Zimmer hatten wir auch am Morgen einen wunderbaren Blick auf den See. Wir genossen unser Frühstück auf einer Sonnenterrasse und fühlten uns wie die glücklichsten Menschen der Welt. Unser Ziel war es, bis in den Norden zu laufen, um dort die zweite Nacht zu verbringen. Auf den knapp 9km kamen wir nur sehr langsam voran. Zum einen glich das Wandern in so einer Höhe eher langsamen Gehen und zum anderen bekamen alle Tiere am Wegesrand eine Kuscheleinheit. Hauptverkehrsmittel auf der Insel ist der Esel und steht demnach an jeder Ecke. Aber auch Schweine, Schafe und Kühe ließen es sich an den Stränden gut gehen. Die einzigen Geräusche, die man also wahrnahm, waren die von Tieren. Mich beeindruckten die Bewohner, die stetig die Berge rauf und runter laufen , schwere Sachen auf dem Rücken tragen, sich selbst versorgen und der stetigen Sonne ausgesetzt sind.
    An einer der Strände machten wir eine kleine Pause, eigentlich um etwas zu essen aber dann entdeckten wir die Holzstege. Erinnert an einen schönen Moment in Montenegro, bei dem wir nackt in die Bucht von Kotor gesprungen sind, hatten wir beide den selben Gedanken. Wir bereiteten die Kamera vor und uns selbst, in dem Wissen wohl gleich in sehr kaltes Wasser zu springen. Vorbei laufende Kinder merkten, dass wir da auf dem Steg etwas vorhatten und setzen sich sehr nah dazu und beobachteten sehr genau, was wir da taten. Etwas unsicher, ob wir unser Vorhaben so umsetzen könnten, wickelten wir uns in die Handtücher und rannten dann einfach los und sprangen rein. Es war viel kälter als gedacht, ich schrie, mein Herz hüpfte und musste wirklich einiges aushalten: die Höhe und 10 Grad Wassertemperatur. Aber wann kann man schon mal in den Titicacasee springen? Das sorgte natürlich für Aufsehen und die Kinder mehrten sich, waren an allem interessiert, was wir dabei und an hatten. Wir schossen noch ein paar witzige Fotos, verschenkten unser Anden-Popcorn und machten uns vom Acker, sonst wären sie noch in unsere Rucksäcke gekrochen 😁 Ein wunderbar elektrisierendes Erlebnis.
    Wir fanden auch im nächsten, sehr ursprünglichen Ort eine kleine Bleibe. Der davor liegende Strand war ein Tümmelplatz für Schweine und Kühe, die so traumhaft in die Inselsilhouette gepasst haben. Nach einer frischen Forelle aus dem See, waren wir irre froh, abends die Körper ausruhen zu können. Vom Fenster konnten wir ein Gewitter über den Andengipfeln beobachten, der See lag ganz ruhig davor und wir schliefen selig ein.
    Wir konnten am nächsten Morgen direkt vom Strand aus mit dem Boot zurück zum Festland fahren. Auch das Boot tuckerte mit den geringsten Knoten gen Copacabana und alles war völligste entschleunigt. Ein mitfahrender Reiseleiter erzählte uns noch einiges über die Insel und wie die Inkas hier früher gelebt haben. Es soll wohl auch eine Menge Gold auf der Insel gegeben haben, die die Inkas, vor der wissentlichen Eroberung der Spanier, in den See geworfen haben. Da dieser auch mit knapp 400m sehr tief ist, liegt ein guter Teil davon wohl immer noch da. Wir kamen irgendwann an der Küste an und entschlossen uns kurzerhand, direkt nach La Paz weiter zu fahren, da dies unser nächster geplanter Stop war. Wir bekamen auch direkt einen Bus und kamen abends in La Paz an.

    Das Flair der Insel, die Vogel- und Tiergeräusche, der majestätische See, die Ruhe und hochgradig liebevollen Menschen werden für immer in meinen Erinnerungen bleiben. Der Aufenthalt auf der Isla der Sol war wirklich etwas besonderes und ein ganz zauberhafter Start in Bolivien.
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  • Day 93

    La Paz und Cochabamba

    November 2, 2022 in Bolivia ⋅ ☀️ 23 °C

    Wenn man vom Titicacasee nach La Paz fährt, verlässt man die 4000 Höhenmeter eigentlich kaum und fährt entlang der Hochebene. Zuvor umrundet man den wunderschönen See südlich und kann von diesem tollen Ort Abschied nehmen. Mit einer kleinen Fähre überquert man schließlich noch einen Teil und fährt dann eine recht ungewöhnlich gerade Straße nach La Paz. Die Sonne ließ die Hochebene golden leuchten und strahlte die umliegenden weißen Berggipfel an, die bis zu 6000m hoch sind. Ein sensationeller Anblick. Hier und da sah man vereinzelt Häuser aus Lehmziegeln, die im gleichen Farbspektrum kaum in der Landschaft auffielen. Eigentlich ist diese Bauweise ein Zeichen von Armut, jedoch kam mir der Gedanke, dass das wohl aktuell die ökologischste Bauweise ist, auch wenn die Bolivianer sicherlich aus anderen Gründen so bauen. Überall standen Kühe und Lamas herum und kauten an den vertrockneten Grashalmen. Schon nach gefühlt kurzen 4 Stunden erreichten wir Randgebiete von El Alto, die Schwesterstadt von La Paz. Wir fuhren an schier unzähligen Ziegelbauten vorbei, alle im Rohbauzustand, oft mit herausragenden Stahlarmierung auf weiteren Etagen, kein Putz und eine staubige Umgebung. Es werden all die Baumaterialien verbaut, die da sind, auch wenn dadurch alles halb fertig wirkt. Die Sonne ließ alles noch karger, eintöniger und trockener wirken. Inmitten des Highways verkauften StraßenhändlerInnen Obst, Gemüse, Zuckerrohr und alles was man sonst so gebrauchen könnte. Ein willkommener Farbklecks für die Augen. Die Häuser hörten nicht auf, wurden sogar mehr und der Verkehr verdichtete sich. Ich begriff erst viel später, dass das noch gar nicht La Paz war.

    El Alto ist mit die am schnellsten wachsende Stadt der Welt, unkontrolliert wächst sie in die Weite der Hochebene und immer mehr Menschen strömen in die vermeintlich lebenswertere Stadt. Allerdings hat El Alto nur bedingt Wasser- und Stromanschluss, über 50% sind unter 19 Jahre alt und der indigene Anteil ist mit 75% recht hoch, da sich keiner leisten kann in La Paz zu wohnen. Die Stadt hat nicht mal ein richtiges Zentrum, sondern scheint einfach nur ein Millionen Ballungsraum von La Paz zu sein, der leider eine hohe Kriminalitätsrate hat. Als wir es dann irgendwie durch den Verkehr geschafft hatten, bogen wir in den Kessel ab, in dem sich La Paz befindet. Gefühlt klebten alle Gringos ihre Nasen an die rechten Scheiben, da man nicht glauben konnte was man da sah. Ein Tal voller Gebäude, auch hier die Berghänge zu tapeziert mit Ziegelbauten und das Stadtzentrum mit Glasgebäuden irgendwo im Talboden. Wir fuhren eine ganze Weile den Hang hinab, mitten rein ins Verkehrechaos, hupende Autos überall, Mopeds und Menschen die sich durch die Auto zwängen und eine immer schlechter werdende Luft. Man könnte denken, dass auch in La Paz Millionen Menschen leben, aber es sind gerade mal ca. 800.000. Ich muss sagen, dass ich nach den Aufenthalten an der peruanische Küste und im Dschungel, mit anschließendem traumhaften Stopp am Titicacasee echt irritiert und etwas überfordert von dem Lärm war. Mir war so gar nicht nach einer lauten Stadt zu Mute und das wurde mit der darauffolgenden Taxifahrt auch nicht besser. Wir steckten teilweise in den Straßen fest -rush hour- da alle von der Stadt wieder ins Umland wollten. Es gibt kein öffentliches Bussystem, sondern sogenannte Colectivos, die es massenhaft auf den Straßen gibt. Die Ampelfärbung wird auch eher als Empfehlung gesehen, sodass Kreuzungen verstopft sind und durch wütende Autofahrer ständig frei gehupt werden. Es hat sich da wohl eine eigene Dynamik entwickelt.
    Irgendwann waren wir dann in einem Hostel und wurden mit einem sehr geräumigen Zimmer entlohnt, wenn auch nicht frei von Verkehrslärm. Am Ende blieben wir vier Nächte, schauten uns die Umgebung an, erkundeten die Stadt und lernten sie besser kennen.

    La Paz hat seit 2014 ein ausgebautes Gondel-System, dass den Menschen den Aufstieg erleichtern soll. Auf knapp 4000m fiel es mir nach wie vor schwer richtig Luft zu bekommen aber ich konnte auch beobachten, dass es selbst für die Einheimischen schwer war. Deshalb, aber auch um El Alto an La Paz besser anzubinden, wurde die Stadt seit 2014 mit 10 Linien versehen. Über der Stadt zu schweben ist natürlich auch eine Touristenattraktion und man entgeht dem Trubel und Smog der Stadt. Wir ließen uns also, dem Sonnenuntergang entgegen, über die Stadt gondeln und sahen die verschiedenen Stadtteile, auch wohlhabendere Orte, die umliegenden Vulkane und am Ende die untergehende Sonne auf dem Kesselrand. Es war außerdem auch sehr interessant, mal in die Hinterhöfe schielen zu können, um zu sehen wie die Menschen so leben. Angelangt am oberen Ende des Kessels, war die Atmosphäre der oberhalb liegenden Stadt für uns nicht sonderlich einladend, sodass wir mit der Gondel wieder hinab fuhren. So bot sich uns die Stadt von einem weiteren Blickwinkel, denn es scheint als würde nachts der Sternenhimmel verkehrt herum scheinen, so leuchten all die Häuser der Stadt an den Hängen.
    La Paz bzw. Bolivien hat ein großes Wasserproblem. Alles ist kontaminiert und damit werden die Felder bewässert. Das merken wir deutlich an unseren schmerzenden Mägen und die Flüsse durch die Stadt sind braun und schäumen vor giftigen Inhaltsstoffen. Aber was das für die Menschen in der Stadt bedeutet, ist kaum greifbar. Auch hier gibt es eine große Zuwanderung zu den Städten, die nicht für so viele Menschen gemacht sind. Wichtige natürliche Wasserquellen werden sofort verunreinigt und die Regierung handelt nur wenig. Es gibt wohl aktuell kleine Initiativen, vor allem durch die indigene Bevölkerung, die anhand ihres uralten Wissens und mit Hilfe von neuen Technologien teilweise Stadtteile mit Frischwasser versorgen können. Dazu werden Filteranlagen installiert, um einige Haushalte an den Hängen von La Paz zu versorgen. Aber in Bezug auf die klimatischen Veränderungen und den allgemeinen Zustand des Landes, müsste an vielen Stellen sofort gehandelt werden.

    Um dem Smog ein wenig zu entkommen, wollten wir am nächsten Tag direkt wieder in die Natur und es ging sehr früh raus für uns. Wir hatten eine Tour gebucht, bei der man mit dem Mountainbike die sogenannte „Death Road“ - Camino de la Muerte - fährt. Eine einst sehr gefährliche Straße, wird nun als Adrenalin-Attraktion angeboten. Als Verbindungsstraße zwischen Hochland und Regenwald wurde sie damals von Zwangsarbeitern erbaut, wobei viele ihr Leben ließen. Während des Krieges zwischen Peru und Bolivien kam es bei Kämpfen wohl auch dazu, dass sich die Peruaner lieber die Hänge hinunter stürzten, als zu kapitulieren und auch beim späteren Befahren der Straße sind viele Autos in die Tiefen gestürzt. Aufgrund dessen wurde eine Umgehungsstraße erbaut, die all dem ein Ende setzen sollte aber den Namen hat sie behalten. Der Name ist Programm aber gefährlich ist etwas anderes. Ich fand es richtig schön, dass uns bei der Tour in Pausen auch von den geschichtlichen Hintergründen erzählt wurde.
    Aber erstmal ging es rauf auf 4700m, wo wir ein Frühstück mit Aussicht bekamen. Der hochgradig motivierte, junge Gruppenleiter des gesamten Teams heizte uns gut gelaunt ein, gab uns die Instruktionen und wir zogen unser Equipment an. Nach einem Gruppenfoto und dem tagesbegleitenden Schlachtruf, schwangen wir uns auf die Räder und sausten ca. 16km die Asphaltstraße hinab. Das war ein kleines Warm-up und Adrenalin pur. Zum Glück waren nur wenige Autos unterwegs und man konnte die Steilhänge der Anden und die Straße genießen. Anschließend fuhren wir alle mit einem Strahlen im Gesicht nochmal ein Stück mit dem Auto weiter, zur eigentlich Schotterpiste und dem Anfang des La-Cumbre-Passes. Von braunen Berggipfeln, über Moos bedeckte Steinhänge, waren wir nun im Dschungel angekommen. Es war merklich wärmer und wir sahen, wie die Wolken aus dem Dschungeltal über die Hänge zogen. Wir hatten großes Glück mit dem Wetter und man sagte uns, dass die Sonne den restlichen Nebel noch weg küssen würde. Tat sie auch. Es machte tierischen Spaß noch weitere 50km die Piste runterzubrettern und immer mehr vom Dschungel sehen zu können. Paul kannte die Strecke schon, da er sie vor acht Jahren schon mal entlang gebraust ist und konnte bei mir für Vorfreude sorgen. Auch für ihn hatte es sich so gelohnt, das Abenteuer noch einmal zu erleben. Wir stoppten immer mal, um ein Foto machen zu können, auszuruhen, einen Snack zu bekommen oder um etwas über den Ort zu erfahren. Nach ca. zweieinhalb Stunden waren wir dann am Ziel angelangt: wir wurden zu einem kleinen Lokal gefahren, um dort Mittag zu essen und in den Pool zu springen. Wir konnten ein paar Stunden in der Sonne abhängen, spielten mit den Locals im Wasser Volleyball und genossen die Wärme auf ca. 1000m Höhe. Anschließend wurden wir wieder ca. 3 Stunden nach La Paz gefahren und konnten die Veränderung der Natur mit der Höhe erneut bewundern. Ich hab den Tag total genossen, hatte eine Menge Spaß und würde jedem, der ein bisschen Adrenalin mag, zuraten ☺️

    Am nächsten Tag bin ich nochmal auf eigene Faust los, um die Stadt und ihr Leben besser verstehen zu können. Unser Hostel lag in der Nähe eines recht schönen Viertels und war voll von Menschen die Lebensmittel, Streetfood und Alpakapullover verkauften. Insbesondere sieht man hier die Cholitas. Die Verniedlichungsform von „Chola“, so wie einst die Bezeichnung für die „zivilisierte“, an die spanische Kultur angepasste Mestizin genannt wurde. Und auch wenn sie in Bolivien stark vertreten sind, müssen sie für ihre Rechte und Anerkennung kämpfen. Deshalb sind sie auf die Straßen ausgewichen, um sich ihren Lebensunterhalt zu verdienen. Dadurch wird jedoch auch ihre Kultur in Form von Streetfood und Kunsthandwerk sichtbar und erhalten. Cholitas haben ein ganz markantes Äußeres, dass sie seit den zwanziger Jahren verändert haben. Sie haben ihre alte indigene Tracht gegen die „pollera“ eingetauscht: sie tragen sehr viele Lagen an Röcken und haben dadurch teilweise 6-8m Stoff um sich gewickelt. Das lässt sie alle etwas übergewichtig scheinen (sind sie allerdings auch oft) aber das ist auch von finanzieller Situation der Trägerin abhängig. Dazu tragen sie zwei geflochtene Zöpfe und einen (Herren-) Hut. Hier hatte im 20.Jhr ein italienischer Huthersteller versehentlich eine große Lieferung Herrenhüte nach Bolivien exportiert, die bei den Männern keinen großen Anklang fanden. Daraufhin wurden die sogenannten „Melonen“ an die Frauen vermarktet. Sie tragen alle ein buntes Tuch auf dem Rücken, mit dem Lebensmittel aber auch die Babys transportiert werden und Goldzähne scheinen extrem angesagt zu sein. Bisher sind mir von ihnen jedoch keine jungen Frauen aufgefallen, bis ich es auf den Marktplatz der San Franzisco Kathedrale geschafft hatte, wo eine große pinke Truppe wohl einen Abschluss feierte. Ich liebe die Farben in diesen Ländern! Das bunte Treiben auf dem Markt, die wenigen Konversationen, die ich mittlerweile hinbekomme und die freundliche Art der Menschen hat mir die Stadt sehr sympathisch gemacht.

    Am Nachmittag zogen wir noch einmal los, um das Mondtal zu besichtigen. Unweit von La Paz gibt es das Valle de la Luna, in dem man wirklich vermuten kann, auf einem anderen Planeten zu sein. Wir schlängelten uns den Weg entlang und waren fasziniert von den Formationen und unterschiedlichen Farben der Steine in der gesamten Umgebung. Ein schöner kleiner Ausflug und ein gelungener Tag.

    Es war nun an der Zeit weiterzuziehen. Unser Ziel war Samaipata aber das war nicht mit einer Busfahrt zu schaffen, sodass wir erstmal nach Cochabamba fuhren. Nun waren wir schon eine gute Woche in Bolivien, dem ärmsten Land des Kontinents und ich ungefähr 3 Monate unterwegs und fuhr nun den bequemsten Bus überhaupt. Die neun Stunden waren also gut zu bewältigen und ein süßer kleiner Junge verzauberte unsere Fahrt. Ich kann jedoch auch beobachten, wie Kinder gern mehrere Stunden sich selbst überlassen werden, da die Eltern ständig am Handy hängen und wenn ein Kind mal gewickelt werden muss, riecht man das im ganzen Bus und dann wird die volle Windel einfach zum Fenster raus geschmissen. Mit Entsetzen musste ich feststellen, dass einfach keine Sensibilität für die Natur vorhanden ist. Andererseits habe ich das Gefühl mich sehr in Bolivien zu verlieben. Die Menschen sind irre nett, ich verstehe ihr Spanisch gut und die Atmosphäre wirkt sehr herzlich und warm. Dazu kommt die fantastische Umgebung.

    In erster Linie war Cochabamba als Zwischenstopp gedacht, also verbrachten wir nur einen Tag dort. Dieser hielt jedoch eine Überraschung für uns bereit. Wir liefen durch die leeren Gassen und waren ganz froh über den wenigen Trubel. Wir verschafften uns von den umliegenden Hügeln einen Überblick und hatten innerstädtisch das Gefühl, dass die Stadt doch sehr zivilisiert ist. Als wir am Friedhof ankamen, wussten wir dann wo alle Menschen sich versammelt hatten. Vom Hostel wurde uns empfohlen, da Tag der Toten, „Dia de los Muertos“ war, zum Friedhof zu laufen, um dort Geschenke zu bekommen. Erst als wir das Treiben beobachteten begriff ich, was die Tradition und das Geben und Nehmen bedeutete. Unglaublich viele versammelten sich vor den Mauern des Friedhofes, um Bilder ihrer Verstorbenen aufzustellen. Drum herum waren Gaben wie Brot, Obst, Süßigkeiten oder andere Leckereien ausgebreitet. Man stellte sich also vor all den Sachen, sprach ein Gebet, sang ein Lied, spielte ein Instrument und bekam als Dank etwas zu Essen. Viele kamen mit riesen Tüten, die sie sich voll packten. Das ganze glich eher einem riesen Fest. Man sah also weinende Witwen oder Eltern, daneben hüpfende Kinder auf Trampolinen, Jugendliche in knapper Bekleidung, kleine Bands die nebeneinander spielten, sodass man kaum etwas verstand und vor allem ganz viele umherlaufende Menschen. Ein sehr lautes, ungewohntes und surreales Treiben, dass uns da geboten wurde, aber wir waren sehr froh es erlebt haben zu dürfen. Auch wir sagten für einen liebenswerten Mann das Vaterunser auf und bekamen ein paar Gaben mit Getränk.

    Zurück im Hostel war der Kopf ganz schön am Wirbeln und wir entspannten bei einem schönen Wein. Paul lud mich in eine Pizzeria ein und wir schlemmten mal wieder ein wenig ☺️
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